Analyse der akustischen Signalstruktur der Laute des Schimpansen

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Analyse der akustischen Signalstruktur der Laute des Schimpansen
Analyse der akustischen Signalstruktur der Laute des Schimpansen (Pan
troglodytes), Bonobos (Pan paniscus) und Menschen (Homo sapiens)
Dr. Hartmut Rothgänger, ZHGB
Lachen
Acoustic analysis of sounds of chimpanzees (Pan troglodytes), bonobos (Pan paniscus)
and human (Homo sapiens)
Abstract
Artvergleichende Untersuchungen zwischen Schimpansen, Bonobo und Menschen besitzen
einen besonderen Stellenwert in der Forschung. Das gilt auch für die Bioakustik. Seit den
Analysen des Säuglingsschrei in den 60-er und 90-er Jahren besteht Unklarheit darüber, ob
Schreitypen existieren oder aber ob die bestätigten differierenden Schreimerkmale auf
graduelle Unterschiede beruhen. Diese Fragestellung erhält durch die Untersuchungen über
die Variabilität des Schimpansenschreies von Marler und Tenaza eine artübergreifende
Bedeutung. In dieser Studie sollen strukturelle Untersuchungen des Lautrepertoires des
Schimpansen, Bonobos und des Menschen darüber Aufschluss geben, inwieweit der
Erregungszustand aus dem Schreisignal analysiert werden kann. Dafür wird das
hochauflösende Analyseverfahren der Lautgrundfrequenz erweitert, so dass es auch für
Analysen von Erregungsmustern eingesetzt werden kann.
Abstract
Since the publications by Darwin (1884) and Köhler (1921), the behavioural comparison
between chimpanzee and human have a specific rating in science. The bioacoustics of human
and their baby cry as well as the ontogenetical and phylogenetical development of the human
language and their comparison of calls of chimpanzees and bonobos receive an increasing
attention.
In the sixties, the infant cry was intensively investigated by Brazelton (1962), Lind (1965),
Michelsson (1971), Sedlakova (1967), Wasz-Höckert (1968) and Wolff (1969) and in the
nineties by Green and Gustafson (1998), Zeskind 1996, and Green, Gustafson and McGhie
(2000). Since this time, there is a vagueness, whether the crying of human is characterised by
different cry types or whether it is one sound with a gradual cry pattern. In this connection it
was also discussed, whether the cry of infants and adults is a discreet or an analogous signal
system. This question got a breed spanning importance through the investigations of Marler
and Tenaza (1977), who confirmed different patterns in the calls of chimpanzees which refer
to an analogous signal pattern. Corresponding to the specific situation the chimpanzee
gradually changes the call so that the chimpanzee community notices the stages of
excitement. Therefore, comparative studies of the cry signs between chimpanzee, bonobo and
human have a great scientific importance.
1
From the amount of open bioacoustic questions, this study picks up a specific problem.
Structural investigations of the cry signals of chimpanzee, bonobo and human should clarify,
to what extend the state of excitement can be analysed from the cry signal. For it, the high
resolution fundamental frequency analysis will be extended to separate the arousal pattern of
cry signals (Lüdge and Gips 1989, Lüdge and Rothgänger 1990). This technique was
successfully used by Finish scientists (Michelsson, Eklund and Leppänen, 2002) for the
analysis of baby cries.
Projektskizze
Analyse der akustischen Signalstruktur der Laute des Schimpansen (Pan troglodytes),
Bonobos (Pan paniscus) und Menschen (Homo sapiens)
Schimpanse
Bonobo
Mensch
Stand der Forschung
Artvergleichende Untersuchungen, insbesondere zwischen Schimpansen, Bonobos und
Menschen, besitzen seit den Veröffentlichungen von Darwin (1872), Köhler (1921), Kohts
(1913) und Yerkes (1943) einen besonderen Stellenwert in der Forschung, da sie auch die
Grundfragen der menschlichen Evolution beinhalten (Diamond 2000, de Waal 1991, EiblEibesfeldt 1997, Gould and Gould 1997, Herder 1952 [1784], Leakey und Lewin 1996,
Lorenz 1988, Mayr 1998, Wundt 1913). Der Nachweis zunehmend detaillierterer akustischer
Verhaltensmuster nichtmenschlicher Primaten (Arcadi 1993, 2000, Boesch and Boesch 1990,
Cheney and Seyfarth 1981, 1982, 1988, 1995, Clark 1993, Crockford et al. 2004, de Waal
1988, 1997, Fischer et al. 2002, Fossey 1972, Geissmann and Nijman 2006, Goodall 1968,
1986, Hauser et al. 1993, Hauser and Marler 1993, Hauser and Wranghm 1987, Hohmann and
Fruth 1994, Kano 1992, Marler 1976, Mitani 1987, 1996, Mitani et al. 1992, 1999, Mitani and
Gros-Louis 1995, Nishida 1990, Owren et al. 1993, Savage-Rumbaugh and Rumbaugh 1993,
Rendall 1996, Riede et al. 2004, Todt et al. 1988, Wrangham and Clark 1996) rückt den
Grenzbereich zwischen Tier und Mensch weiter in den Mittelpunkt der Wissenschaft und
inspirierte Forscher vorrangig der Biologie, Psychologie aber auch der Linguistik immer
wieder zu aufwendigen Experimenten (Gardner and Gardner 1969, 1975, Hayes 1951, Kojima
2005, Owren and Rendall 2001, Rumbaugh 1977, Savage-Rumbaugh and Lewin 1994). Dabei
findet auch die Bioakustik der Primaten zunehmende Beachtung, insbesondere der Vergleich
der Schreie und Laute von Schimpansen, Bonobo und Menschen (Liebermann 1995, Marquart
1984, Rothgänger 2000). Weiterhin ungeklärt sind Fragen zur Signalstruktur besonders in
Hinblick auf den Grad der Erregung des Senders (Hauser 1996, Titze 1996). Die Beziehung
zwischen der akustischen Struktur und der Funktion in Bezug auf Erregungsmuster des Tieres
und besonders des Menschen sind allgemein anerkannt (Jürgens 1992, 1998, Ploog 1979,
1984, Scherer 1982, 1992), jedoch eine objektive Verifizierung ist bisher nicht ausreichend
möglich. In jüngster Zeit stehen die Sprache, der Spracherwerb und die interspezifische
Verständigung erneut im wachsenden wissenschaftlichen Interesse (Engelkamp 1976, 2001,
Fouts und Mills 1998, Grimm 1977, Hörmann 1981, Klix 2000, Savage-Rumbaugh und
Lewin 1994), bei dem neben kognitiven Fragestellungen auch die Instrumentalisierung des
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Hörers z.B. durch Ausnutzung prosodischer Muster also dem Einsatz nonverbaler Parameter
während der Sprachproduktion untersucht wird. Dabei nimmt die Emotionsforschung eine
herausragende Stellung ein.
Neben der sprachlichen Verständigung kann beim Menschen eine Schreikommunikation
bestätigt werden, die während der präverbalen Entwicklungsphase also vorsprachlich in
Erscheinung tritt (Barr et al. 2000, Brazelton 1962, Hirschberg und Szende 1985, Lester and
Boukydis 1985, Lind 1965, Michelsson 1971, Murry and Murry 1980, Ostwald 1972,
Papousek 1994, Sedlackova 1967, Rothgänger 1995, 2003, Wasz-Höckert et al. 1968, Wolff
1969, Zeifmann 2001). Auch im Erwachsenenalter bleibt der Schrei in Not- und
Affektsituationen sowie während kultischer Riten und rhythmischer Tänze erhalten
(Rothgänger 1999, Rothgänger et al. 1998). Beim Säugling unterscheidet man den Schrei
nach funktionellen Kriterien in den Geburts-, Hunger-, Schmerz-, Freuden-, Frustrations- und
Wutschrei (Rothgänger 1999, Wasz-Höckert et al. 1968, Wolff 1969) sowie nach
strukturellen Kriterien als Phonation („discomfort cry“, „basic cry“,„simple cry“),
Dysphonation („turbulence“, modifizierter Schrei) und Hyperphonation („shift“, „break“)
(Lind 1965, Sedlackova 1967). In jüngster Zeit wird dieser funktionelle Bezug des
Säuglingsschreies in Frage gestellt. Green, Gustafson, McGhie und Irwin (1998, 2000, 2000)
sprechen von graduellen Lautmustern, die in enger Beziehung zum Arousalzustand des
Kindes stehen. Damit sind die Unterschiede der Lautparameter als abgestufte Merkmale in
einem analogen Signalsystem zu betrachten und signalisieren den Erregungszustand des
Kindes.
Auch Schimpansen benutzen zur innerartlichen Verständigung ein umfangreiches
Lautrepertoire, das nach Goodall (1986) aus 17 separaten Rufen besteht und in „intraparty
calls“ und „distance calls“ unterteilt wird. Es bildet ein graduell vorgetragenes, fein
abgestuftes Kommunikationssystem (Marler and Tenaza 1977). Neben Lachen, Schreien
(„wraah“, „scream“, „tantrum scream“, „victim scream“, „copulation scream“, „squeak“,
„crying“, „bark“, „waa-bark“) und unterschiedlichen Grunzlauten („food grants“, „soft
grants“, „pant grants“) wird eine breite Palette von vokalartigen Lauten eingesetzt, wie der
„food aaa cry“, der hu:-, der ho:-Laut und besonders die pant-hut („pant hoots“) Laute (Arcadi
1996, 2000, Clark 1993, Clark and Wrangham 1993, Goodall 1986, 1991, Kajikawa and
Hasegawa 2000, Marler 1976, Marler and Hobbett 1975, Marler and Tenaza 1977, Mitani,
Hunley and Murdoch 1999). Diese hupenartige Lautfolge, die aus den Teilen „introduction“,
„build-up“, „climax“, „let-down“ besteht, variiert individuell stark (Clark and Wrangham
1993, Marler and Tenaza 1977) und trägt auch Dialektcharakter (Marshall, Wrangham and
Arcadi 1999).
Während allgemein davon auszugehen ist, dass Tiere in unterschiedlichen Funktionskreisen
differente Laute einsetzen (Bergmann und Helb 1982, Thielcke 1970, Tembrock 1996), wie
z.B. der Alarmlaut (Bergmann 1972, Curio 1969, Cheney and Seyfarth 1986, Löhrl und
Thielcke 1973), der Nahrungslaut (Williams, Stokes and Wallen 1968), der Kontaktruf
(Güttinger und Nicolai 1973, Rothgänger 1980), der Flugruf (Marler 1959, Güttinger 1974)
oder der Stimmfühlungslaut (Tschanz 1962), sind Lautserien einiger Primaten nicht
spezifischen Funktionen zuzuordnen. Diese Laute und Lautserien sind analog strukturiert und
scheinen unterschiedlichen Erregungszuständen der Tiere zu entsprechen. Die Analyse dieser
Laute ist bisher nur unzureichend möglich.
Verhaltensweisen, die mit Erregungszuständen korrelieren, werden zum emotionalen
Verhalten von Mensch und Tier gezählt. Emotionen stellen Wirkgrößen von Aktionen oder
Reaktionen des Organismus dar, denen eine verhaltensregulierende Steuerung also ein
Handlungsantieb zugesprochen wird. Durch Emotionen werden grundsätzliche
Verhaltensrichtungen festgelegt, so dass lebenswichtige Ziele angestrebt oder schädliche
Umstände vermieden werden. „Ein Ereignis oder Sachverhalt wird wahrgenommen und als
gut oder schlecht bewertet, was zur Annäherung oder Vermeidung führt. Je nach dem
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spezifischen Anreizwert des Sachverhaltes in der Umwelt und dem Zustand, in dem sich das
Lebewesen befindet, werden Verhaltensweisen der Annäherung als Orientierung, Exploration,
Einverleibung und Paarung und solche der Vermeidung als Weglaufen, Kämpfen, Hilfe
suchen oder Ausstoßen ausgelöst. Jeder Klasse dieser Verhaltensweisen sind eine oder
mehrere typische Emotionen zugeordnet“ (Schneider 1992). Bereits Darwin (1884) erwähnt
Hauptemotionen (Hauptinstinkte, Grundemotionen), die im Wesen auch heute noch genannt
werden, wie Zufriedenheit/Glück, Überraschung, Traurigkeit, Angst/Furcht, Ekel/Abscheu
und Ärger/Zorn (Ekman und Friesen 1975, Eibl-Eibesfeldt 1995, Scherer 1985, Jürgens
1981). Emotionen orientieren den Organismus demnach darauf, bestimmte Verhaltensweisen
durchzuführen oder zu unterlassen. Damit stehen sie in enger Beziehung zu Funktionskreisen
von Unlust und Lust, Angriff und Flucht oder Abkehr und Zuwendung. Sie treten in drei
Reaktionskreisen auf. Erstens als subjektives Erleben, das lange Zeit den tierischen
Organismen abgesprochen wurde. Es sind Gefühle, die angeborenermaßen auftreten und beim
Menschen durch Sitten und Konventionen abgewandelt oder unterdrückt werden können.
Zweitens als Ausdrucksverhalten, das vorrangig kommunikativen Charakter besitzt.
Emotionen werden durch die Mimik, die Gestik, die Körperhaltung und die Vokalisation
mitgeteilt und beeinflussen den Kommunikationspartner also instrumentalisieren ihn. Drittens
als begleitende physiologische Veränderungen, die auf Erregungen des autonomen
(vegetativen) Nervensystems beruhen, wie Erröten, Erhöhung der Herzschlagfrequenz oder
der Atmungsfrequenz.
Als funktionelle Bedeutung der Emotionen gelten die bedürfnis- und situationsgerechte
Auswahl von Verhaltensweisen, die Regulierung der Intensität und Ausdauer von
Verhaltensweisen und die Förderung von Lernprozessen, die mit Erfolg oder Misserfolg
gekoppelt sind.
Während der organismische Analysator ob Tier oder Mensch scheinbar in der Lage ist, die
unterschiedlichen Erregungszustände zu quantifizieren, sind im Bereich der Akustik
technische Verfahren zum Messen dieser Erregungszustände bisher nicht entwickelt worden.
Die Implementierung derartiger Verfahren kann einen großen wissenschaftlichen Beitrag
leisten, dass zukünftig der Erregungszustand, die Emotionalität und der Stress bei Tieren und
Menschen effektiver erfasst werden können.
Eigene Vorarbeiten und Ergebnisse
Der Säuglingsschrei und sein diagnostischer Einsatz wurden bereits seit 1979 an der Charité
untersucht (Rothgänger und Ueberschär 1980, Rothgänger et al. 1990). Die Kontrollkinder
einer umfassenden Hypoxiestudie setzten sich aus 25 term eutropen Neugeborenen des Jahres
1983 und zehn des Jahres1993 zusammen (Grauel et al. 1990). Erfasst wurden im Alter des
3.-5. Lebenstages der Hungerschrei und der Schmerzschrei (Rothgänger 1995, 2003;
Rothgänger et al. 1990,). Im Abstand von drei Monaten erfolgten Nachuntersuchungen in der
Pädiatrischen Klinik der Charité oder bei Hausbesuchen bis zum Alter von 1 ½ Jahren der
Kinder, bei denen zusätzlich Tonaufnahmen auch aller Lalllaute erstellt wurden.
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Die Ergebnisse dieser Studie weisen in zwei Richtungen. Einerseits lernen Säuglinge nach
dem dritten Lebensmonat, also zum Zeitpunkt der Änderung der strukturellen Eigenschaften
von hungerschrei- zu schmerzschreiähnlichen Lauten, den effektivsten Schreityp als
akustisches Signal mit der besten Wirkung auf die Betreuer einzusetzen. Dieses ist der
Schmerzschrei, der neben dem Frustrationsschrei (Rothgänger 1999, Wolff 1969) den
höchsten emotionalen Einfluss auf Erwachsene ausübt. Andererseits weisen die Schrei- und
Lallontogenese des Säuglings auf unterschiedliche Entwicklungsrichtungen beider Lauttypen
hin. Der Verlauf der Grundfrequenz des Schreiens und des Lallens zeigen eine gegenläufige
Tendenz im ersten Lebensjahr. Bereits im ersten Monat treten Unterschiede von 62,3 Hz auf,
die im 9. und 12. Monat mit 168,9 Hz und 166 Hz am deutlichsten nachweisbar sind. Obwohl
die Grundfrequenz (Fo in Hz) des Lallens im ersten Lebensjahr signifikant abnimmt, zeigen
sich im Vergleich zur Sprache, einschließlich der Sprache der Frau im erhöhten
Erregungszustand (während der Geburt), statistische Unterschiede (Rothgänger 2003).
Während einer Untersuchung mit dem Ziel Lachen und Sprache transkulturell zu vergleichen,
konnten von je 20 deutschen und 20 italienischen Studenten weiblichen und männlichen
Geschlechts im Alter zwischen 19 und 31 Jahren Sprachproben aufgezeichnet und analysiert
werden (Rothgänger et al. 1998), die die Grundlage für vergleichende Betrachtungen zu
vokalähnlichen Lauten des Schimpansen bilden.
Als biologische Eigenschaften der menschlichen Sprachlaute können die sexualdimorphe
Grundfrequenz von 124 Hz im männlichen und 214 im weiblichen Geschlecht, die auffallend
tief ist, eine stark monotone Melodie und eine Häufung von Obertönen genannt werden. Ein
bedeutendes linguistisches Merkmal der menschlichen Sprachlaute ist, dass trotz
unterschiedlicher Grundfrequenz der Frequenzbereich der ersten beiden Formanten
weitgehend konstant bleibt. Die Formantfrequenzen ändern sich dagegen deutlich mit der
Artikulationweise (Phonembildung) (Rothgänger 1999). Während [a:] eine Mittelstellung
einnimmt, liegen die Werte für [u:] und [o:] deutlich tiefer. Die Frequenz der Formanten für
[i:] tendieren auseinander (Rossing 1982).
Schrei
Hoo-Heulen
Wraa-Bellen
Die Pilotstudien im Zoologischen Garten Berlin, im Burger´s Zoo Arnhem (Niederlande) und
Apenheul (Niederlande) mit dem Ziel, das Lautrepertoire des Schimpansen und Bonobos zu
erfassen, ermöglichten erste Aufzeichnungen und Vergleiche. Als biologische Eigenschaften
der Schreilaute des Schimpansen tritt eine mittlere Grundfrequenz von 850 Hz auf (Mittel
aller bisher analysierten Schrei-, „pant-hoot“-, [ha:], [ho:]- und [hu:]-Laute), die im Vergleich
zum Menschen sehr hoch liegt. Das Mittel der Grundfrequenz aller analysierten Schrei- und
Sprachlaute befindet sich beim Menschen bei 350 Hz. Die Melodie ist im Mittel steigendfallend. Die „artikulatorischen“ Merkmale der Schimpansenlaute - Artikulationsmöglichkeiten werden bisher bei Schimpansen ausgeschlossen (Lieberman 1977, 1988, 1994) - sind
Formantbildungen, die sich durch unterschiedliche Artikulationsstellungen deutlich
unterscheiden. Schimpansen verwenden bei der Produktion von hu:-, ho:- und „pant-hoot“Lauten die gleichen Artikulationsstellungen
wie sie für den Menschen bei der
Phonemerzeugung [u:] und [o:] typisch sind. In beiden Fällen sind es hintere Vokale, die mit
gerundetem Mund und gespitzten Lippen erzeugt werden (Rothgänger 2000).
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Als Ergebnis dieser vergleichenden Untersuchungen wird festgestellt, dass die Schrei- und
Sprachlaute von Schimpansen und Menschen ähnliche Eigenschaften besitzen aber auch
deutliche Unterschiede aufweisen. Als Laut definieren wir ein abgegrenztes akustisches
Ereignis ohne Beachtung seiner spezifischen Phonemstruktur. Dabei ist in beiden Fällen
zwischen dem biologischen Laut und seinen Eigenschaften und dem artikulierten
(linguistischen) Laut und seinen Merkmalen deutlich zu unterscheiden. Ein wesentlicher
Unterschied ist die mittlere Grundfrequenz der akustischen Äußerungen beim Menschen
(Rothgänger 1999), Schimpansen (Rothgänger and Rothgänger in press) und Bonobo.
Eine Reihe kontroverser Fragestellungen ergeben sich aus vergleichenden Betrachtungen von
Schimpansen, Bonobo und Menschen (Soltis 2004). Auf dem Gebiet der Bioakustik sind es
z.B. die hohe Schreiaktivität des menschlichen Säuglings mit einem enorm hohen
Energieaufwand und die sehr geringe Schreiaktivität beim Schimpansen- und
Bonobosäugling. Hinweise einer möglichen Ursache gibt der Sozialbezug, der beim
Menschen als der höchste im Tierreich angesehen wird. Der Säugling ist nach der Geburt
völlig hilflos, unbeweglich, „übergewichtig“ und kann sich bis zum 3.-Lebensmonat nicht
vom Rücken auf den Bauch drehen (Mace 2000, Prechtl und Beintema 1976). Er wird als
sekundärer Nesthocker (Portmann 1967), als sekundärer Tragling (Hassenstein 1973) oder als
physiologischer Frühentwickler (Papousek und Papousek 1989) bezeichnet. Der Schimpanse
ist hingegen bereits nach der Geburt motorisch aktiv, klammert sich im Fell des Muttertieres
fest, folgt ihr im dritten Lebensmonat bereits aus eigener Kraft und wird bis ins hohe Alter
von fünf bis sechs Jahren gestillt. Hierin sind Widersprüche zu finden, die einer
wissenschaftlichen Bearbeitung bedürfen. Vergleichende Untersuchungen könnten die
Existenz des intensiven Säuglingsschreis sowie die hohe Schreiaktivität des menschlichen
Säuglings erklären helfen (Furlow 1997).
Analysen des Schreiverhaltens von Schimpansen und menschlichen Säuglingen (Rothgänger
and Rothgänger in press) deuten auf einen weiteren Widerspruch hin. Während Hauser
(1996), Mitani (1996) und Owren and Rendall (2001) eine Frequenzabhängigkeit der
Primatenlaute von Gewicht und Körpergröße nachweist, konnten vergleichbare Verhältnisse
für Schimpansen, Bonobo und Menschen nicht bestätigt werden. Bei etwa dem gleichen
Gewicht und der gleichen Körpergröße wird von jeder Art ein spezifischer Frequenzbereich
der Schreilaute genutzt (Schimpanse ca. 750 - 1600 Hz, Bonobo ca. 1800 - 2500 Hz, Mensch
350 - 700 Hz), der auf artspezifische Anpassungsbedürfnisse (Kortland, 2003, persönlich)
oder auf eine erhebliche interspezifische Konkurrenz hinweist. Eine Bestätigung könnte bei
Fragen zur frühen Radiation von Mensch und Schimpanse hilfreich sein (Rothgänger und
Rothgänger 2001, 2002).
Säuglingsschrei; Sonagramm
hochauflösende Fo-Analyse
Auch die Artikulationsfähigkeit von Mensch und Schimpanse steht im wissenschaftlichen
Meinungsstreit. Während Lieberman (1995) auf Grund von anatomischen Untersuchungen
des Vokaltraktes, Artikulationen bei Schimpansen und menschlichen Säuglingen ablehnt,
existiert der Nachweis, dass Schimpansen und Säuglinge vokale Laute erzeugen. Besonders
Schimpansen produzieren [hu:]- und [ho:]- Laute, die analog zum Menschen als hintere
gerundete Vokale definiert werden können (Rothgänger 2000). Menschliche Sprachlaute sind
höchstwahrscheinlich als angeborene Primatenlaute anzusehen. Ihre Formantstrukturen
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ändern sich bei der Phonembildung. Diese Änderungen zählen zu den bedeutendsten
Strukturen bei der Erzeugung von Phonemen, Silben und Wörtern. Im Gegensatz zum
Schimpansen erfolgt ihr funktioneller Einsatz im Kommunikationsprozeß des Menschen
bewusst (Lenneberg 1967). Schimpansenlaute sind demnach in ihrer strukturellen
Beschaffenheit den Sprachlauten des Menschen analog. Ihr kommunikativer Einsatz
unterscheidet sich aber grundlegend. Während Schimpansenrufe Ausdruckslaute sind und
spezifischen Situationen zugeordnet werden (Goodall 1987), sind Phoneme Grundbausteine
der Sprache des Menschen und tragen als Wort Ausdrucks-, Appell- und Darstellungsfunktion
(Bühler 1965). Ein besonderer Klärungsbedarf besteht weiterhin im Ausdrucksverhalten der
Schrei- und Sprachlaute von Schimpansen, Bonobo und Menschen.
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Mittelgeber
Universitäre Forschungsförderung
Publikationen
Rothgänger H (1999). Bioakustik des Menschen. Eine Gesamtdarstellung der nonverbalen
und verbalen Kommunikation. Bielefeld, Kleine.
Rothgänger H (2003). Acoustical analysis of the cries in chimpanzees (Pan troglodytes) and
humans (Homo sapiens). Folia Primatologica 74: 218.
Rothgänger H (2003). Comparison of the acoustical patterns of the beg sounds in the infant
and adult chimpanzees (Pan troglodytes). Folia Primatologica 74: 219.
Rothgänger H (2003). Analysis of the sounds of the child in the first year of life and a
comparison to the language. Early Human Development 75: 55-69.
Rothgänger H, Rothgänger A (2002). Der Sprachursprung. Eine phylogenetische und
philosophische Betrachtung. Ethnologisch-Archäologisch Zeitschrift 43: 161-185.
Schlagworte
Säuglingsschrei, Lachen, Schimpansenlaute, Bonobolaute
Hochauflösende Grundfrequenzanalyse
baby cry, laughing, calls of chimpanzee, calls of bonobo
high resolution fundamental frequency analysis
Dr. Hartmut Rothgänger
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