DArt S.1820

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DArt S.1820
2010
Japan
Interkulturelle Zeitschrift am Internationalen Studienzentrum
der Goethe-Universität Frankfurt
Inhalt
Editorial ………………………………………… 3
Japan ist für mich … ……………………… 4
Sushi, Geisha & Co. ……………………… 5
Heinz – Big in Japan ……………………… 6
„Es rappelt in der Kiste“ – Theater …… 8
Nippon Connection ……………………… 10
Kitsune – Japanischer Volksgaube … 15
Haiku ………………………………………… 16
Das Blütenblatt der Sakura …………… 17
Wagner Love ……………………………… 18
Sprache ……………………………………… 21
Perspektiven ……………………………… 24
Der Boom regionaler
Maskottchen in Japan …………………… 27
Manga aus Deutschland ……………… 28
Cosplay ……………………………………… 30
Shadowrun ………………………………… 32
Japanische Videospiele ………………… 33
Migration …………………………………… 34
Kulinaritäten ………………………………… 41
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Goethe D‘A r T 2010
Editorial
von Andrea Meierl
„Niemand von uns war zuvor jemals in Japan. Das ist ein Land, das so
weit weg ist“, erzählte uns Tilmann von der Frankfurter Band Wagner
Love bei einem Interview kurz nach der ersten Japantournee 2009
(Seite 18). Ähnlich reagierte auch unsere Redaktionsgruppe auf den
Vorschlag, eine Zeitschrift über Japan herauszugeben. Schließlich
waren unsere Japankenntnisse vergleichbar mit den rudimentären
Kenntnissen der deutschen Bevölkerung, die wir auf der Straße nach
ihren Vorstellungen von Japan und den JapanerInnen befragten (Seite
5). Frei assoziierend wollte auch uns zunächst nichts Schlaueres einfallen, als Stereotype wie Sushi, Manga, hohe Technologie, Freundlichkeit
oder Teezeremonie aufzuzählen. Niemand aus unserer international
zusammengesetzten Redaktionsgruppe kam zu diesem Zeitpunkt aus
Japan. Wie also konnten wir auf die aberwitzige Idee kommen, eine
Zeitschrift über ein uns so fernes, fremdes Land herauszugeben?
Den Anstoß gab die Idee zu einem Artikel über das japanische
Filmfestival Nippon Connection. Dieses findet jedes Jahr im April in den
Gebäuden der Universität statt und gilt mittlerweile als das größte japanische Filmfestival der Welt. Selbst Besucher aus Japan reisen an, um
in Frankfurt japanische Filme zu sehen, die sie in Japan sonst niemals
zu Gesicht bekommen würden. Ein Ereignis dieses Ausmaßes direkt
vor unserer Haustür? Unser journalistisches Interesse war geweckt,
Vorkenntnisse hin oder her.
Dass unser Vorhaben letztendlich in die Tat umgesetzt werden konnte, ist Dr. Eike Großmann und Dr. Cosima Wagner vom Fach
Japanologie der Universität Frankfurt und ihren Studierenden zu verdanken. Sie unterstützten uns maßgeblich bei der Konzeption der
Zeitschrift und durch ihre zahlreichen fundierten Beiträge. Unter ihrer
Mitwirkung entstand eine Zeitschrift, welche Japans kulturelle
Offenheit und Vielfalt betont. Dies zeigt sich an den Akzenten, die es
in Film, Theater, Literatur und Popkultur setzt.
Japan wirkt heute weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Vor
über 100 Jahren jedoch, als noch niemand daran dachte, dass dieser
Inselstaat im Pazifik einst zu einer der mächtigsten
Wirtschaftsnationen der Welt reüssieren würde, wanderten Tausende
von JapanerInnen nach Brasilien aus, um der ländlichen Armut im
eigenen Land zu entfliehen. Viele ihrer Nachkommen leben noch
heute als so genannte Nikkeis in Brasilien. Wie präsent ihre japanischen Wurzeln für sie sind, ist in unserer Reportage auf Seite 34 nachzulesen.
In Deutschland ist der Anteil der japanischen MigrantInnen zwar
nur verschwindend gering, aber Frankfurt nimmt als deutsche Stadt,
die nach Düsseldorf die meisten Japanerinnen und Japaner beherbergt,
in diesem Punkt eine besondere Rolle ein. Uns war es daher ein
Anliegen, JapanerInnen, die in unserer Region leben, zu Wort kommen
zu lassen (Seite 39). In ihren Schilderungen erfahren wir, welche
Schwierigkeiten und Möglichkeiten AusländerInnen haben, sich der
fremden, in ihrem Falle deutschen Kultur zu nähern. Ein Problem,
dem sich durchaus auch Deutsche zu stellen haben, wenn sie für längere Zeit ins Ausland gehen, wie etwa unsere fiktive Figur Heinz.
Heinz zeigt in seinem Blog (Seite 6), wie ein Europäer mit mangelnden interkulturellen Kompetenzen in Japan unter Garantie negativ
auffällt und spiegelt so manche Erlebnisse überspitzt wider, die
Japanologiestudierende während ihrer Studienreisen in Japan hatten.
Da die Annäherung an eine fremde Kultur bekanntlich über den
Gaumen und mittels Sprache stattfindet, geben wir Tipps, an welchen
Orten man in Frankfurt gut japanisch speisen oder japanische Zutaten
für die eigene Küche erhalten kann (Seite 42). Natürlich leiten wir
auch zu selbstgemachtem Sushi an (Seite 44)! Erste sprachliche
Kompetenzen lassen sich in unseren Japanisch-Schnellsprachkursen
Drei x Fell heißt weich und Japanische Lautmalereien (Seite 21 bis 23)
erwerben. Wer sich daraufhin berufen fühlt, Japanologie zu studieren,
kann sich weiter im Artikel 1945 Schriftzeichen (Seite 24) über die
Anforderungen des Studiengangs informieren.
Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre!
Goethe D‘A r T 2010
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Japan
ist für mich …
… das OAG-Studienhaus in Kôbe, in
dem ich drei Monate gelebt habe. Es ist
ein altes Gebäude, das zwar seinen
eigenen Charme hat, jedoch muss man
auch mit allerlei kleinen Tierchen und
sogar manchmal Wildschweinen im
Garten rechnen.
Christiane Rühle
… der Tôkyô-Tower, der Japans
stetigen Weg nach oben symbolisiert. Trotz der Zerstörungen im
Zweiten Weltkrieg entwickelte sich
Japan zur zweitgrößten
Wirtschaftsnation der Welt.
Christiane Mögenburg
… Häuser bis zum Horizont – eine
Aussicht, die mich sehr beeindruckt und
gleichzeitig auch eingeschüchtert hat.
Noch nie zuvor hatte ich so eine weite,
dicht bebaute Fläche gesehen – und
das in alle Himmelsrichtungen!
Jutta Lingelbach
...nicht nur immer die
Großstadt.
Anna Surawska
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Goethe D‘A r T 2010
Sushi, Geisha & Co.
Das Japanbild des Abendlandes
Eine Umfrage im Land der untergehenden Sonne
von Antje Grzelachowski und Anna Surawska
Am Römer, Frankfurt
Wir fragten Passanten in der Frankfurter Fußgängerzone, welche Vorstellungen sie von Japan und den JapanerInnen haben. An der Umfrage
nahmen zwanzig Personen teil. Die Befragten waren Teenager, junge Familien mit Kindern, StudentInnen, RentnerInnen und auch
Geschäftsleute mittleren Alters.
Ranking:
Diese Umfrage ist keine
quantitative
empirische
Erhebung, sie ist weder vollständig noch repräsentativ,
sondern dient lediglich der
Unterhaltung.
Einzelne Antworten:
Japanische Gärten, Essstäbchen, Kultur, Technologie (Klowärmer,
TV, Handys), Baseball, roter Punkt auf der japanischen Flagge,
Kundenzufriedenheit, Hiroshima, Capsule Hotels, andere Kultur,
Gruppenzwang
Antworten bereit sind. Hauptsächlich Menschen über 50 dachten bei
Japan spontan an Sushi oder Geisha. Während für viele Teenager, die
sich in ihrer Freizeit Anime anschauen und Manga lesen, Japan das
„Land der Technologie“ und des „technischen Fortschritts“ ist.
Wir haben während der kurzen Umfrage vor allem festgestellt, dass
Menschen keine Umfragen in Fußgängerzonen mögen und selten zu
Einige der Jugendlichen konnten sogar auf Japanisch bis 10 zählen
und kannten diverse Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln.
Goethe D‘A r T 2010
5
Heinz
er folgende Beitrag soll auf eine unterhaltsame Art und Weise das
vermitteln, was man am besten schon vor einem Aufenthalt in
Japan alles wissen oder wenigstens einmal gehört haben sollte. Es
wird eine Art Worst-Case-Scenario beschrieben, d.h. alles, was innerhalb
weniger Tage schief gehen kann, geht auch schief, nicht zuletzt aufgrund der
einzigartigen Persönlichkeit unseres Protagonisten Heinz, der in Form eines
Blogs seine Erlebnisse direkt aus Tôkyô schildert. (Ähnlichkeiten mit real
existierenden Personen sind rein zufällig und nicht von uns beabsichtigt.)
D
Mein Profil:
Hallo Leute, erst einmal vielen Dank, dass ihr euch meinen Blog
anschaut! Ich heiße Heinz, bin 35 Jahre alt und arbeite als Manager in
einer großen Firma. Ohne arrogant klingen zu wollen, aber ich mache
mich auch wirklich hervorragend, da ist es also kein Wunder, dass mein
Chef MICH dazu auserkoren hat, geschäftlich für einige Tage nach
Tôkyô zu reisen, um dort mit potentiellen Geschäftspartnern einen
Vertrag klar zu machen. Aber nun gut, ich werde jetzt noch schnell
meine Tasche packen und dann geht es morgen schon los! Mein nächster Eintrag wird dann live aus Tôkyô kommen.
1.Tag: Ankunft
Ich bin angekommen, mehr oder weniger. Das Flugzeug-Essen hat
mir ein wenig auf den Magen geschlagen und ich freue mich schon auf
mein Bett oder besser gesagt auf eine Matte auf dem Boden, denn man
hat mich doch tatsächlich in einen traditionell japanisch eingerichteten
Raum einquartiert. Aber nun werde ich noch kurz von meiner Fahrt
vom Flughafen zum Hotel berichten: Die Fahrt begann doch recht seltsam. Als ich mich vorne in das Taxi setzen wollte, habe ich an der
Beifahrertür gezogen und gezogen, aber die Tür klemmte wohl. Anstatt
dass sich der Fahrer von innen bemüht hätte, die Tür aufzustemmen,
fuchtelte er nur wie wild mit seinen Armen herum, ich verstand nicht,
was er mir sagen wollte; aber nun gut, dachte ich mir, setzt du dich halt
hinten hin, denn wie heißt es doch so schön in der einen AutoWerbung: Die wichtigsten Personen sitzen immer hinten. Am Hotel
angekommen wollte ich großzügig sein und steckte dem Herrn Fahrer
ein deftiges Trinkgeld zu, doch er lehnte es strikt ab, ist das zu fassen?!
Schon ein komischer Kauz… Ach ja, gerade eben habe ich auch eine
Erfahrung für mein Leben gemacht. Ich habe eine von diesen HockToiletten benutzt. Mein Rückenproblem und ich können dazu nur
eines sagen: Eine ähnliche Haltung wie beim Abfahrtsski, nur eben mit
runtergelassenen Hosen. Mit gemütlichem Zeitung lesen ist dann
natürlich auch nichts, ich wollte mein Schicksal ja nicht noch herausfordern. Warum macht man daraus nicht einfach Fußbadbecken oder
ähnliches und stellt stattdessen richtige Toiletten hin?! So, ich werde
jetzt Schluss machen und mich hinlegen, ich will ja morgen fit sein für
meinen Vortrag und die Verhandlungen.
2.Tag: Erkundungstour und Meeting
Heute war es soweit, das erste Treffen mit unseren japanischen
Freunden stand an. Da dieses jedoch erst gegen 15 Uhr stattfand, hatte
ich noch ein wenig Zeit, Tôkyô allein unsicher zu machen. Ich erkundete also ein wenig die Gegend um mein Hotel herum und fand einen
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Goethe D‘A r T 2010
Big In Japan
Mein Japan-Blog
von Jutta Lingelbach, Christiane Rühle
wunderbar ruhigen Ort zum Entspannen. Es handelte sich um einen
Tempel mit einem prächtigen roten Eingangstor. Da heute eine extreme Hitze war, kam mir auch das dort befindliche Wasserbecken mit
den bereit liegenden Kellen gerade recht. Ich nahm ein paar kräftige
Schlucke und setzte mich auf eine Bank in der Nähe, um meine
Gedanken für das bevorstehende Meeting zu sammeln, schließlich
wollte ich ja keinen Fauxpas begehen und so eventuell den Vertrag
gefährden. Die Zeit verflog und mein Magen, der sich langsam wieder
beruhigt hatte, meldete sich zu Wort. Ich machte mich also auf die
Suche nach einem Restaurant und fand in einer Nebenstraße eine sehr
gemütlich anmutende Gaststätte. Am Tisch sitzend brachte mir die reizende Kellnerin auch sogleich ein kleines Tuch. Eigentlich fand ich das
doch sehr unpassend, aber vielleicht ist das hier ja so Brauch und so
wischte ich den Tisch selbst damit ab. So wusste ich wenigstens, dass es
ordentlich gemacht wird. Auf der Speisekarte konnte ich nichts von
diesen Hieroglyphen lesen und tippte willkürlich, abenteuerlustig wie
ich eben bin, auf ein Gericht. Was ich allerdings serviert bekam, war
unzumutbar: klebriger Reis mit einer undefinierbaren, noch klebrigeren braunen Pampe aus Bohnen, deren Geschmack doch eher an
Batteriesäure erinnerte als an ein essbares Mittagsmahl. Ich konnte
gerade noch rechtzeitig die Stäbchen in die Schüssel pfeffern und zur
Toilette stürzen. Zum Glück fand ich auf dem Weg zur Besprechung
noch einen Laden, in dem ich mir ein Sandwich besorgen konnte.
Jetzt aber endlich zum Meeting: ich weiß gar nicht, warum ich mir
Gedanken über das Treffen gemacht hatte, alles verlief einfach wunderbar. Alle Anwesenden übergaben mir zur Beginn ihre Visitenkarten
und ich verteilte natürlich auch meine. Danach dann mein großer
Auftritt, mein Vortrag! Nach ungefähr 1,5 Stunden war ich auch schon
fertig und ich denke, es kam alles Wichtige rüber. Schließlich haben
einige danach fast meditativ anmutend mit geschlossenen Augen
dagesessen und über mein Gesagtes nachgedacht… Danach ging es
dann gemeinsam zu einem diesmal sehr köstlichen Essen und danach
zum Karaoke. Der Alkohol floss in Strömen und auch ich ließ mich
dazu hinreißen, ein paar Lieder zu schmettern. Meine Interpretation
von Frank Sinatra kam sehr gut an, ich wollte das Mikrofon gar nicht
mehr abgeben, so gut hat es mir gefallen.
3.Tag: Onsen und Einladung
Nachdem das Geschäftliche nun größtenteils besprochen war, konnte ich heute die angenehmen Seiten meines Aufenthalts auskosten. Ich
bummelte ein wenig durch die Stadt, bis ich dann am späten
Nachmittag zum ersten Mal einen Onsen in Anspruch nehmen konnte. Eine feine Sache! Mit meiner sportlichen Badehose erntete ich viele
anerkennende Blicke. Ich war allerdings sehr überrascht, dass sich die
anderen erst ausgiebig abschrubbten, bevor sie ins Becken stiegen. Ist
das nicht etwas übertrieben? Ich habe mir diesen Vorgang jedenfalls
gespart. Sehr viel Platz zum Schwimmen hat man allerdings nicht und
die Wassertemperatur ist auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich
ließ es auf einen Versuch ankommen, mit meinem Schnorchel auf
Tauchstation zu gehen. Kurz darauf kamen zwei seltsame Männer und
baten mich, das Bad zu verlassen. Spaßbremsen! Ich war gerade dabei,
richtig Stimmung in den müden Laden zu bringen... Am Abend folgte
ich der Einladung meines zukünftigen Geschäftspartners, bei ihm zu
Hause zu essen. Natürlich habe ich keine Kosten und Mühen gescheut
und mir für diesen Anlass ein besonderes Geschenk ausgedacht: Edle
bayrische Weißwürste mit Spitzensenf! Aber komischerweise waren
seine Gattin und er an meinem Geschenk überhaupt nicht interessiert.
Sie verbeugten und bedankten sich zwar, stellten es aber ungeöffnet in
die Ecke. Ich war darüber dann doch etwas entrüstet, schließlich ging
der Überraschungseffekt auf diese Weise völlig flöten. Ich habe mich
dann dazu hinreißen lassen, das Geschenk selbst von seiner
Zeitungspapierverpackung zu befreien, da sie sich partout nicht dazu
bewegen ließen. Sie schienen etwas irritiert, aber manche Menschen
muss man einfach zu ihrem Glück zwingen! Die Freude war ihnen
letztendlich doch deutlich anzumerken. Ein Volltreffer, meine Idee!
Das Essen schmeckte übrigens ganz fabelhaft, obwohl ich keine
Ahnung habe, was mir da serviert wurde. Aber ich bin ja anpassungsfähig! Übrigens darf man in japanischen Häusern ja bekanntlich seine
Schuhe nicht anbehalten, aber meine Gastgeber haben wohl bemerkt,
dass ich an den Füßen fror und mir ganz reizende rosafarbene
Schlappen hingestellt. Ich bemerkte sie, als ich zur Toilette ging – sehr
aufmerksam! Und ganz ohne dass ich etwas sagen musste! Ich habe sie
natürlich auch die ganze Zeit über anbehalten. Man muss solche kleinen Gesten schließlich würdigen.
4. Tag: Abflug
Leider habe ich mir nun am letzten Tag noch einen
ordentlichen Schnupfen eingefangen. Das ist zwar
sehr lästig, aber ich bin wenigstens gut mit
Taschentüchern versorgt worden – die werden
einem nämlich unterwegs ständig in die Hand
gedrückt. Solche nützlichen Werbegeschenke habe
ich selten gesehen! Aber komischerweise reagierten
futon: Japanische Matratze.
Fährt man in Japan Taxi, setzt man sich üblicherweise auf die hinteren Plätze. Die Tür geht meist
automatisch auf.
In Japan gibt man normalerweise kein Trinkgeld und es wird, jedenfalls fernab internationaler Hotels, als Beleidigung betrachtet. Denn
guter Service wird als selbstverständlich angesehen.
Rote Eingangstore, japanisch torii, kennzeichnen meist nur shintoistische Verehrungstätten, die als ”Schreine“ bezeichnet werden.
Tempel werden die heiligen Verehrungsstätten des Buddhismus
genannt.
chôzuya/ temizuya: Kleiner Pavillon mit Wasserbecken zur rituellen
Reinigung der Hände und des Mundes vor dem Betreten eines
Schreins. Es handelt sich um kein Trinkwasser.
o-shibori: feuchtes Erfrischungstuch oder kleines feuchtes Handtuch,
das dem Gast vor dem Essen gereicht wird, um damit Hände oder
Gesicht zu reinigen.
nattô: japanisches Gericht aus fermentierten Bohnen mit intensivem
Geschmack. Wird pur oder gemeinsam mit Reis verzehrt.
o-hashi: Stäbchen. Stecken Sie diese bitte nie senkrecht in den Reis
und geben Sie auch kein Essen von Stäbchen zu Stäbchen weiter, da
dies feste Rituale sind, die nur bei Trauerzeremonien durchgeführt werden. Ferner gilt es als unhöflich, mit den Stäbchen auf Personen zu zeigen. Nach dem Essen legt man die Stäbchen wieder auf das Tablett,
nicht quer über Schüssel oder Teller.
onsen: Bezeichnung für eine heiße Quelle oder Bäder, die von heißen
Quellen gespeist werden; das mineralienhaltige Wasser gilt als
gesundheitsfördernd. Im onsen badet man nackt. Badekleidung ist
nicht üblich und ein typischer Fauxpas. Bevor man in das Becken
meine Mitfahrer nicht sehr positiv, als ich in der Bahn ein paar Mal
kräftig schnäuzte. Ich selbst habe die ganze Zeit über keinen Japaner
gesehen, der diese Taschentücher tatsächlich benutzt.
Als meine Kollegen aus Deutschland anriefen, stand ich auch wieder
im absoluten Mittelpunkt, denn mein i-phone ist schon ein echter
Hingucker. Ich konnte die neidischen Blicke selbst von hinten spüren!
Und da mit großer Wahrscheinlichkeit niemand meine Sprache verstehen kann, konnte ich so viel und laut reden, wie ich wollte... ein befreiendes Gefühl! Am Flughafen machte ich dann auch die erste
Bekanntschaft mit einer dieser sagenumwobenen Hightech-Toiletten.
Wahnsinn, was es da für Knöpfe gibt! Ich habe vorsichtshalber mal alle
gedrückt – und löste damit ein wahres Konzert aus. Klassische Musik,
Springbrunnen, rotierende Klobrille…, aber die Spülung habe ich
nicht gefunden. Als ich dachte, ich hätte sie, ertönte ein schriller Alarm.
Vielleicht hätte ich den Knopf mit der roten Aufschrift doch lieber
ignorieren sollen, aber der panikartige Tumult löste sich bald wieder
in Wohlgefallen auf und ich konnte unbehelligt meinen Rückflug
antreten. Abschließend kann ich nur sagen, dass diese Reise nach Japan
auf jeden Fall eine wunderbare Erfahrung für mich war. Ich habe mich
schnell an die Gepflogenheiten angepasst und kann wohl mit Fug und
Recht behaupten, dass ich dort ohne Probleme für längere Zeit leben
könnte. Vielleicht habe ich meine Berufung gefunden – denn ich könnte mir durchaus vorstellen, als „Kulturbotschafter“ einige Workshops
für „Interkulturelle Sensibilität“ anzubieten. Etwas
sauer stößt mir allerdings schon auf, dass sich
meine japanischen Vertragspartner bis jetzt noch
nicht gemeldet haben... naja, man muss ihnen Zeit
lassen. Ich bin ja geduldig.
In diesem Sinne: Sayonara!
steigt, ist eine gründliche Körperreinigung unerlässlich, um den hohen Hygienestandard zu gewährleisten. Aufgrund der hohen Wassertemperatur
kann man sich nicht allzu lange im Becken aufhalten. Die Zeit dient der Entspannung und nicht der Unterhaltung – zwar
kann man leise Gespräche miteinander führen, doch gilt ansonsten das
Gebot der Ruhe.
Es gilt als unfein, Geschenke sofort nach ihrem Erhalt zu öffnen. Als
Zeichen der Wertschätzung wird das Geschenk unausgepackt auf
einen Tisch oder einer anderen Ablage platziert. Man muss dem
Geschenk schon an der Verpackung ansehen, dass es viel gekostet
hat. Zeitungspapier ist hier definitiv nicht angebracht. Preis und
Markenname dürfen auch deutlich erkennbar sein.
In japanischen Haushalten gibt es spezielle Schlappen, die nur in dem
Raum, in dem sich die Toilette befindet, getragen werden dürfen.
Danach wechselt man in andere Pantoffeln oder läuft wieder auf
Socken. Mit Toilettenpantoffeln aus dem Bad zu treten gilt als äußerst
unhygienisch und sollte dringend vermieden werden.
Es ist in Japan verpönt, sich in der Öffentlichkeit oder im Beisein anderer die Nase zu putzen. Tatsächlich werden einem in der Fußgängerzone aber häufig Taschentücher zugesteckt – ein Paradoxon?
Auch in der Bahn ist Ruhe angesagt. Wenn möglich sollte jede Aktivität
vermieden werden, die den Mitreisenden stören könnte. Dazu gehört
auch lautstarkes Telefonieren mit dem Handy.
Moderne japanische Toiletten haben tatsächlich sehr viele
Funktionen, die aber nicht alle unbedingt für einen normalen
Toilettengang von Nöten sind. Die vielen Knöpfe mit den unterschiedlichen Aufschriften können durchaus zu einem unerwarteten Ergebnis
führen...
Goethe D‘A r T 2010
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Es rappelt in der
Kiste
Die freie Theaterszene in Tôkyô kurz nach der Jahrtausendwende
von Lisa Mundt
W
er mit der Odakyu Odawara-Linie von Shinjuku bis
Umegaoka fährt, den Bahnhof durch den Südausgang verlässt, sich nach rechts wendet und den Seven Eleven-Supermarkt passiert,
gelangt nach wenigen Metern an eine Kreuzung. Dort ducken sich ein
Fahrradparkplatz und ein mehrstöckiges Wohnhaus unter den Gleisen,
über die unentwegt die Züge hinwegdonnern. Dass sich im Keller dieses unscheinbaren Gebäudes ein Theaterstudio verbirgt, ist auf den
ersten Blick kaum zu erkennen. Erst ein Blick auf die Eingangstür verrät: Hier befindet sich die Umegaoka BOX, das Studio der
Theatergruppe Rinkôgun.
Dennoch haben Sakate Yôji und Rinkôgun trotz ihres Erfolgs eines
mit den meisten anderen freien Theatergruppen gemeinsam: den ständigen Geldmangel. Gastspiele im Ausland sind nur mit Fördergeldern
möglich, Werbemittel und Miete für das Studio müssen durch
Fotos: Rinkôgun
Gegründet wurde die Gruppe vor mehr als 20 Jahren von Sakate Yôji
(geb. 1963), einem der renommiertesten Dramatiker und
Theaterregisseure Japans. Mit seinen Stücken hat er die wichtigsten
japanischen Theaterpreise gewonnen und war in Europa und Amerika
auf Tournee. Er ist als Kommentator der freien Theaterszene in Tôkyô
regelmäßig in den wichtigen Theaterzeitschriften vertreten und seit
2006 Vorsitzender der Japan Playwright's Association. Die Gruppe
Rinkôgun wird sowohl vom Publikum als auch von Kritikern in Japan
für ihre Verbindung von hohem ästhetisch-künstlerischem Niveau mit
politischen Stellungnahmen geschätzt und gilt als Ausnahmeerscheinung in der freien Theaterszene: Dramaturgische
Virtuosität und Performance lassen rasante Bühnencollagen entstehen.
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Goethe D‘A r T 2010
Sponsoren finanziert werden, die Mitglieder von Rinkôgun pendeln
zwischen Theater und Teilzeitjob. Denn in der japanischen
Kulturpolitik gelten ausschließlich die klassischen Bühnenkünste –
Nô, Kabuki, Kyôgen und Bunraku – als Repräsentanten der japanischen Theaterkultur, staatliche Förderung beschränkt sich auf die rund
2500 öffentlichen Theater und Konzerthallen.
Und trotzdem: Die Szene boomt und brodelt und setzt unbeeindruckt von der Konkurrenz des klassischen Theaters und der medialen
Populärkultur kreative Energie frei. In einem künstlerischen Milieu frei
von inhaltlichen und formalen Vorgaben und Einschränkungen hat
sich eine Vielzahl von Stilrichtungen und Theaterkonzepten herausgebildet, die von einem ebenso heterogenen Publikum mit Begeisterung
rezipiert wird.
Viele Gruppen der freien Theaterszene haben für ihre Arbeiten
urbane Nischen in der Megastadt Tôkyô gesucht. Sie stehen damit in
der Aufführungstradition des Untergrundtheaters der 1960er Jahre, das
den klassischen Theaterraum verließ und sich in kleinen Theaterboxen
einrichtete.
Zu ihnen zählt zum Beispiel die Performancegruppe Store House
Company. Sie experimentiert nicht weit von Ikebukuro in ihrem Studio
Store House in Ekoda auf einer Etage zwischen Supermarkt und
Mangacafé mit Körpern in Bewegung. Seit ihrer Gründung im Jahr
1994 hat die Gruppe unter der Leitung von Kimura Shingo (geb. 1957)
insgesamt sechs Performances erarbeitet, die die wechselseitige
Beeinflussung von Körper, Bewegung und (Bühnen)Raum erforschen:
Die sich immerfort bewegenden Körper erschaffen einen Raum, der
wiederum Einfluss auf die Bewegungen der Performer nimmt.
Rinkôgun und die Store House Company sind nur zwei Beispiele,
die stellvertretend für die vielen anderen Theaterschaffenden die
Vielseitigkeit der freien japanischen Theaterszene belegen. Die Szene
präsentiert sich kurz nach der Jahrtausendwende also überaus lebendig
und vielseitig. Gleichzeitig befindet sie sich im Umbruch, Grenzen
zwischen Theater, Tanz und Performance verschwimmen zunehmend.
So arbeiten junge Theaterautoren wie Okada Toshiki (geb. 1973) auch
für das Fernsehen oder verfassen Romane, was sich unmittelbar in ihrer
Bühnensprache niederschlägt. Die Kritik spricht infolgedessen kaum
mehr von Theater, sondern bevorzugt Begriffe wie Bühnenkunst oder
darstellende Künste.
Wenn auch abzuwarten bleibt, wie sich das Theater in den nächsten
Jahren entwickeln wird, ist eines klar: Es rappelt gewaltig in Tôkyôs
Theaterkisten.
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9
Nippon Connection:
Ein Festival nicht
nur für Japan-Fans
Interview mit Holger Ziegler
von Kristina Hvasti
und Christiane Mögenburg
I
n diesem Jahr fand zum neunten Mal das Nippon
Connection Festival im Studierendenhaus Bockenheim auf
dem Gelände der Goethe-Universität Frankfurt statt. Mittlerweile hat
es sich zum weltweit größten japanischen Filmfestival entwickelt. Uns
hat interessiert, wie es zu dieser phänomenalen Entwicklung kam und
was das Besondere an Nippon Connection ist. Holger Ziegler, Mitglied
der Festivalleitung, hat sich die Zeit genommen und mit uns gesprochen.
Herr Ziegler, seit wann gibt es das Festival Nippon Connection, wie
ist es überhaupt entstanden?
Das erste Festival fand im Jahr 2000 statt und entstanden ist es aus einer
simplen Idee. Damals haben wir noch Filmwissenschaften zusammen
studiert. Aus unserer Sicht gab es zum damaligen Zeitpunkt viel zu
wenige Filme auf Festivals zu sehen. Wir sind dann zu dem Ergebnis
gelangt, dass wir uns nicht beschweren dürfen, wenn wir nicht bereit
sind, auch etwas dagegen zu tun, und stießen auf das japanische
Kulturinstitut in Köln, welches eine Filmbibliothek besitzt, wo man
sich Filme kostenlos ausleihen kann. Viele Kommilitonen wollten sich
auch daran beteiligen, also haben wir im Rahmen des Studiums einen
studentischen Workshop ins Leben gerufen. Wir sind nach Köln gefahren, haben uns ein ganzes Auto voller Filme geholt und sie gesichtet.
Wir brauchten auch einen Ort, wo wir die Filmreihe zeigen konnten
und sind auf das Studierendenhaus in Bockenheim gekommen. Was als
kleine Idee begann, hat sich über einen „naiven Größenwahnsinn“
gleich zu einem Festival entwickelt. Wir haben gezittert, weil wir dachten, es kämen vielleicht um die 1000 Leute, wenn wir Glück hätten.
Doch dann waren es beim ersten Festival schon gleich ca. 10.000 Leute.
Das erste Festival war ein riesiger Erfolg, und hat uns darin bestärkt,
weiterzumachen.
Haben Sie das Festival rein privat finanziert
oder sich auch Sponsoren gesucht?
Wir haben schon erst einmal nach Sponsoren gesucht, aber noch bis
heute ist das Festival eklatant unterfinanziert. Im Prinzip trägt es sich
erst über die Besucher. Da wir nur Privatpersonen waren, haben wir das
Jahr 2001 erst mal dazu genutzt, einen Verein (Nippon Connection
e.V.) zu gründen und Gemeinnützigkeit zu beantragen, damit wir eine
Rechtsform bekommen und das Festival veranstalten können. Von Jahr
zu Jahr wurde das Programm erweitert, und mittlerweile schicken wir
die Filme sogar auf Tour.
Wurde es durch die Touren international bekannt oder war das
Festivalprogramm hauptsächlich in Deutschland vertreten?
Es wurde international bekannt, die Nippon Connection ist mittlerweile weltweit das größte japanische Filmfestival, und andere Festivals
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Goethe D‘A r T 2010
richten den Blick auf uns, schauen was bei uns läuft. Wir haben da
wirklich eine Plattformfunktion. Nicht wenige Filme haben durch
ihren Anfang bei Nippon Connection eine internationale Karriere
gemacht. Ein schönes Beispiel sind die sogenannten „Pink“ Filme, die
erotischen Filme. Von denen, die uns geschickt werden, wählen wir bis
zu zwei Filme aus, welche dann extra für Nippon Connection untertitelt werden. Indem die Filme bei uns und dann auf anderen Festivals
im Ausland laufen, erfahren sie auch in Japan ein größeres Interesse,
welches sie von alleine nie erhalten hätten. Nippon Connection kann
hier als Startpunkt gesehen werden. Selbst Japaner kommen zu uns,
um sich japanische Filme anzusehen.
Ist das Projekt sehr zeitintensiv?
Mittlerweile ist es sehr viel Arbeit geworden, wir verstehen uns nämlich
nicht als Studenten-, sondern als professionelles Festival, auch wenn
wir uns hier im studentischen Kontext befinden. Die Arbeit an Nippon
Connection ist für ein halbes Jahr ein Fulltime Job. Wir arbeiten ehrenamtlich, werden also nicht bezahlt. Das heißt jedoch, wir haben normale Jobs nebenher, über die wir uns finanzieren, das kann schon sehr
belastend sein. Wir platzen jetzt hier schon aus allen Nähten…
Sie haben dann auch sicher einen gewissen Qualitätsanspruch an
das Festival?
Ja, natürlich. Wir haben einen absoluten Qualitätsanspruch. Dazu
gehört, dass wir auch inhaltlich ein Programm bieten wollen, das eine
Bandbreite dessen, was in Japan produziert wird, zeigt. Beispielsweise
wollen wir nicht nur Anime zeigen, weil sie jetzt gerade wirtschaftlich
erfolgreich sind. Wir wollen ein Festival sein, das auch mal gegen den
Strom schwimmt. Natürlich haben wir auch immer ein paar Anime in
unserem Programm, denn man will ja die Leute mit etwas locken, das
sie interessiert, damit sie dann vielleicht auch in einen Film gehen, den
sie sich normalerweise nicht angesehen hätten. Wir selbst sind keine
Japanologen, wir haben allerdings ein paar in unserem Team. Wir
haben auch keine Sendungsbotschaft oder eine Idee, was Japan ist, sondern wir wollen Diversität bieten. Jeder soll sich sein eigenes Bild von
Japan machen können. Deswegen war es uns auch wichtig, eine
Bandbreite des Schaffens zu bieten, die Leute auch einmal mit einem
anderen Blickwinkel zu konfrontieren, ihnen das zu zeigen, was sie
noch nicht kannten oder nicht erwartet haben. Es ist auch sehr schön,
dass wir ein Publikum haben, welches verschiedene Interessens- und
Altersgruppen abdeckt, denn darüber gibt es einen vielfältigen
Austausch.
Wie wichtig sind ehrenamtliche Helfer für Nippon Connection?
Ehrenamtliche Helfer haben wir von Anfang an aktiv gesucht. Wir
organisieren das Festival zwar, aber in der Organisation ist natürlich
das ganze Jahr über viel zu tun. Wir haben in den fünf Tagen des
Festivals mehrere tausend Besucher. Mit nur einer Hand voll Leuten
kann man sie natürlich nicht versorgen. Wir waren also von Anfang an
darauf angewiesen, dass wir zusätzlich zum Organisationsteam des
Festivals auch noch Leute haben, die beim Aufbau helfen und während
des Festivals präsent sind. Wir fanden in der Hinsicht auch immer
Zuspruch. In dem Maß wie das Festival gewachsen ist, ist auch unsere
Datei mit potentiellen ehrenamtlichen Helfern gewachsen, die von uns
jedes Jahr neu kontaktiert werden. Viele machen schon seit dem ersten
Festival mit und es kommen stetig neue Leute dazu. Dadurch, dass das
Festival immer an demselben Ort stattfindet, ist es noch sehr familiär.
Wir haben sehr oft erlebt, dass Helfer dem Organisationsteam beitreten, weil es ihnen bei Nippon Connection so großen Spaß gemacht hat
und sie sich gerne mehr einbringen möchten. Die persönliche kommunikative Ebene, auf der jeder sich auch ein Stück weit einbringen kann,
ist uns wichtig, auch wenn es uns nicht immer gelingt, alles umzusetzen. Wir wollen den Helfern klarmachen, dass sie wichtig sind, dass
das Festival ohne sie nicht stattfinden würde. Wir haben während des
Festivals um die 150 Helfer, die in den unterschiedlichsten Bereichen
mitwirken. Wir können ja planen, was wir wollen, wenn wir niemanden haben, der den Einlass am Kino macht, kommt keiner ins Kino.
Ihr kennt ja das Studierendenhaus hier. Wir stecken eine ganze Woche
Arbeit hinein, um es zu renovieren, alles aufzubauen und eine ansprechende Atmosphäre zu schaffen.
Was ist für Sie das Spezielle am japanischen Film?
Zum einen die visuelle Erzählweise, bei der der Fokus mehr auf die
Bilder als auf die Geschichte gelegt wird. Zum anderen die zeitnahe
Herangehensweise, die es aufgrund des kurzen Produktionszeitraums
ermöglicht, aktuelle gesellschaftliche Strömungen zu integrieren.
Wie haben Sie den Namen des Festivals „Nippon Connection“ ausgewählt?
Darüber haben wir lange diskutiert. Der Name sollte gut zu behalten
sein, aber auch zeigen, wie wir uns präsentieren. Uns war es dabei auch
wichtig, die Bindung von Deutschland und Japan zum Ausdruck zu
bringen. Irgendwann kamen wir dann auf „Nippon Connection“, hatten aber leichte Bedenken, da dies ebenfalls der Name eines Romans ist
(„Die rote Sonne“), in dem es um die Mafia-Strukturen in Japan geht.
Trotz aller Bedenken haben wir uns aber dafür entschieden, denn den
Titel „Nippon Connection“ kann man sich gut merken.
Wie würden Sie die Festivalatmosphäre bei Nippon Connection
beschreiben?
Es ist eine sehr kommunikative, interaktive Atmosphäre, was uns wichtig ist. Die Leute sollen sich nicht nur wohl fühlen, sondern sie sollen
auch angeregt werden zu erleben, zu sehen, zu entdecken. Natürlich ist
es auch wichtig, dass wir immer Gäste dahaben, z.B. japanische
Filmemacher, so dass auch Begegnungen möglich sind und die
Schranken und Hemmschwellen fallen. Man soll etwas Neues erfahren, aus seinen Nischen hinauskommen und sich austauschen können.
Nehmen Sie die Auswahl der Filme vor oder kommt es auch immer
darauf an, wer sich jetzt bei Nippon Connection bewirbt oder wer
gerne seinen Film hier zeigen möchte? Oder ist es vielleicht ein Mix
aus beidem?
Es ist Mix aus beidem. Natürlich gibt es ein Auswahlplenum. Wir entscheiden, welche Filme laufen. Es gibt natürlich auch immer
Einreichungen von Filmen, wir fahren auf Festivals, lassen uns Filme
schicken... das heißt, wir versuchen, so viele Filme wie möglich zu
sehen, aus denen wir auswählen. Auch legen wir Schwerpunktthemen
fest. Dieses Jahr haben wir unser Programm auf die japanischen
Regisseurinnen und den Pink Film ausgerichtet.
Glauben Sie, dass das Festival auch bei Besuchern, die erst mal
nichts mit Japan zu tun hatten, doch Interesse weckt?
Ja, auf alle Fälle, allein schon durch die Bandbreite unserer Filme und
unser Rahmenprogramm ist eigentlich immer für jeden etwas dabei.
Das Festival hat einen sehr guten Ruf regional, in Frankfurt, aber auch
auf internationaler Ebene.
Der Erfolg des Filmfestivals Nippon Connection beruht auf
dem Engagement seiner ehrenamtlichen Helferinnen und
Helfer. Wer das nächste Filmfestival im April tatkräftig unterstützen möchte, kann sich bewerben unter
[email protected].
http://www.nipponconnection.com
Goethe D‘A r T 2010
11
Nippon Connection:
pinku eiga
B
eim diesjährigen Nippon Connection Festival vom 15.-19.
April stand neben vielerlei kinematografischen
Neuproduktionen und (pop-)kulturellen Themen im reichhaltigen
Rahmenprogramm auch ein hierzulande eher unbekannter
Schwerpunkt der japanischen Filmlandschaft im Zentrum: pinku eiga.
Die Bezeichnung pinku eiga, zu englisch „Pink Film“, charakterisiert
ein filmisches Genre, das keine genaue Entsprechung im Westen kennt.
Es steht für unabhängig produzierte pornografische Filme, die mit
Minimalbudget auf 35mm gedreht werden und zudem häufig ästhetisch experimentell arbeiten – mitunter sogar politisch agitativ sein
können. Sowohl politische Statements als auch sichtbar gemachte
Sexualität unterliegen in Japan äußerst strengen Auflagen und sind
nach wie vor im Mainstream-Film kaum zu finden. Selten länger als 70
Minuten, gehen auch Filme des pinku eiga über bestimmte
Zensurmargen nicht hinaus – oder finden vielmehr Grauzonen, in
denen das Zeigen von Genitalien durch uneindeutige Einstellungen
pro forma auch als Aufnahme eines unproblematischen Körperteils
verkauft werden kann.
1962 läutet die Geburtsstunde des Pink Film mit NIKUTAI NO
ICHIBA (MARKET OF FLESH) von Kobayashi Satoru. Daran
anschließend setzt ein Boom der Pink-Produktionen ein, deren Filme
sich vor allem an das heterosexuelle männliche Publikum richten.
Angesichts der rasanten Verbreitung des Fernsehens und des damit verbundenen Rückzugs vom Kino in den privaten Raum, hat auch die
japanische Filmindustrie mit einer rapide abflauenden Konjunktur zu
kämpfen. Der Vorteil der unabhängig arbeitenden Kleinststudios, in
denen die Pink Filme entstehen, verhilft pinku eiga inmitten dieser
schwierigen 60er Jahre, sich zum quantitativ größten Genre in Japan
zu entwickeln, und diesen Status bis zum heutigen Tage halten zu können. Damals wie heute werden Pink Filme in speziellen, nicht-kommerziellen Kinos gezeigt und sind nach wie vor als nicht-jugendfrei
gekennzeichnet.
Unter dem thematischen Feld „NIPPON RETRO – SEXPLOITATION AND EXPERIMENTATION: THE MANY SHADES OF
PINK FILM“ stellte die Programmkoordination des Festivals einen
vielfältigen Einblick in das Genre zusammen, und man hatte während
der vollen fünf Festivaltage Gelegenheit, mehr über den Pink Film zu
erfahren. Die Forcierung des künstlerischen Anspruchs innerhalb des
pinku eiga wird beispielsweise an der 1995er Produktion TEARS OF
ECSTASY von Hiroyuki OKI augenscheinlich: OKIs einziger heterosexueller Pink Film besteht wie eine mathematisch anmutende
Schnittform aus 60 Einstellungen von jeweils genau 60 Sekunden.
Aber auch frühere Vertreter aus den Jahren 1969 (BLUE FILM
WOMAN von Kan MUKAI), 1970 (SECRET HOT SPRING
RESORT: STARFISH AT NIGHT von Mamoru WATANABE) und
1971 (GUSHING PRAYER von Masao ADACHI) waren im
Programm zu sehen – BLUE FILM WOMAN war dabei einer der ers12
Goethe D‘A r T 2010
von Martina Lenhardt
ten pinken Farbfilme [!]. Viele spätere Mainstream-Filmemacher sammelten ihre ersten Regieerfahrungen im Pink Film-Genre, so etwa
Kiyoshi Kurosawa, der mittlerweile internationale Erfolge mit FeatureFilmen wie BRIGHT FUTURE (2003) oder TOKYO SONATA
(2008) feiert.
Der Frage, ob es sich im Pink Film nun um „Kunst oder
(S)Exploitation“ handelt, wurde sich während des Nippon Connection
Festivals auf vielfache Weise angenähert. So belegen einmal die ausgewählten Filmbeispiele die große Heterogenität des Genres, wie auch
die Unterschiedlichkeit der teilweise nach Frankfurt gereisten und für
Gespräche zur Verfügung stehenden Regisseure, dass sich „der“ Pink
Film nun wirklich nicht auf mehr als einen kleinsten gemeinsamen
Nenner zusammendefinieren lässt. Somit wird eine grundsätzliche
Beantwortung der Frage zwar nicht gänzlich umgangen, jedoch umso
stärker auf die einzelne BetrachterIn zurückgeworfen: So erhält das
Publikum des Films PARTING PRESENT (2008), der – anders als das
eigentliche Pink Film-Programm – nicht im Deutschen Filmmuseum,
sondern im Festivalzentrum gezeigt wird, mitunter ungewollte
Einblicke in die Welt des Softpornos.
Frau Izumi findet nach dem Tod ihres Mannes heraus, dass er sie mit
einer anderen Frau betrogen hat. Beim Versuch, nach dieser Frau zu
fahnden und Rache zu üben, entwickelt Izumi eigene sexuelle
Phantasien über die normierten Grenzziehungen des monogamen
Eheversprechens hinaus und erlebt sie – zunächst und immer wieder
als eben Imaginiertes, mehr und mehr jedoch aus als ausgelebte Praxis.
Während sich traumhafte Sequenzen und spielerische Phantasieräume
mit alltäglichen Szenen in Izumis Wohnung oder im öffentlichen
Alltag abwechseln, gerät die ordentliche Trennung zwischen Wunsch
und Wirklichkeit ins Wanken – auch und gerade auf der Ebene der
Bilderzählung. Gleich zu Beginn konfrontiert PARTING PRESENT
die ZuschauerInnen mit pornografischen Sequenzen, die in unerwartbarer Schnittfolge in die Narration „auf der Straße“ hineinragen.
Mamoru Watanabe, der zur Internationalen Premiere seines Films in
Frankfurt persönlich anwesend war, gilt als Veteran des Pink Films und
ist zur Zeit seiner aktuellen Produktion bereits 78 Jahre alt.
Beim Schauen der Filme steht die Vermischung von Künstlerischem
und Pornografischem jedes Mal erneut auf dem Spiel. Und diese
Vermischungen zeigen sich – manchmal komisch, bisweilen schockierend und erotisch, oft befremdlich – als sich gegenseitig hervorbringende Kräfte desselben Kinoereignisses. Und das will vielleicht einfach
nur heißen, dass die Frage nicht beantwortet werden muss, mit der das
diesjährige Scheinwerferthema im Programmheft des Festivals problematisiert ist. So entsteht jenes Changieren zwischen ErotischAnziehendem und komplexer Erzählung, zwischen Abstraktion und
intimer Geste letztlich immer während des Betrachtens selbst, und ist
nicht als im Film bereits Festgeschriebenes zu verstehen.
Genius Party &
Genius Party Beyond
– Der Name ist Programm
F
ilmfestivals wie Nippon Connection geben Künstlern die
Möglichkeit, ihre Werke abseits vom Massenmarkt einem
größeren Publikum zugänglich zu machen. Dieses Jahr wurde das
Festival durch zwei ganz besondere Anime-KurzfilmZusammenstellungen verschiedener namhafter Regisseure bereichert,
nämlich durch Genius Party und Genius Party Beyond.
Zu Beginn der Reihe Genius Party wird der Zuschauer langsam und
bedächtig in die phantasievollen und manchmal auch grotesk anmutenden Welten gesogen. Im gleichnamigen Einführungsfilm scheint
ein großer Vogel seine Liebe zum Film in die Hirne und Herzen von
Steinen einzupflanzen, die sich letztlich in Projektoren verwandeln
und die Wüste, in der sie leben, in gleißendes Licht tauchen. Weiter
geht es mit einer spaßigen Hommage an die Phantasie bei Shanghai
Dragon: In einer ärmlichen und dystopischen Zukunft kann nur ein kleiner Rotzbengel aus China die Welt retten, weil er noch weiß, wie man
träumt und wünscht. Gerade er zeigt übermenschlich starken Cyborgs
eine ihnen längst vergessen geglaubte Welt der Phantasie.
In Deathtic 4 stromert eine kleine Gruppe von netten Zombiekindern
durch die stilistisch an Nightmare Before Christmas erinnernde Stadt
und versucht das einzig lebendige Wesen, einen Frosch, wieder nach
Hause zu schicken. Dabei gerät sie in abstruse Situationen. In Doorbell
geht es ernster zu, der sehr normal anmutende Hauptcharakter wird
von einem verschmitzten Doppelgänger verfolgt, der ihn so lange vereinsamen lässt, bis er fast paranoid wird. Doch eine Türklingel verspricht Hoffnung.
Limit Cycle überwältigt mit einem gekonnten Mix aus brillanten
Animationstechniken und philosophischen Fragestellungen. Aufgrund
der Sprachbarrieren und der ständigen Wechsel der Denkansätze fällt
es aber schwer, gleichzeitig dem Bild und der Sprache zu folgen.
Dennoch ist dieser Film ein Muss und bringt die nötige Ernsthaftigkeit
in das Projekt. Bei Happy Machine fällt der Zuschauer regelrecht in die
zuweilen alptraumhafte Welt eines Kleinkindes und verliert sich zwischen Filmrealität und Traumwelt. Die oberflächliche Darstellung der
Welt kontrastiert wunderbar die eigentlich nachdenklich stimmende
Geschichte.
Baby Blue führt uns wieder etwas zurück in die Realität und zu den
Abenteuern, die es im wahren Leben zu bestehen gilt. Der Film spielt
mit dem allseits bekannten Problem, wie man gleichzeitig die eigene
Zuneigung für jemanden selbst anerkennt, mit Veränderungen umgehen muss und seinen Charakter stärkt. Der Film ist ein gekonnter
Abschluss des ersten Projekts, der uns nach all den kuriosen Welten
wieder aus dem Kinosaal hinaus in die Realität entlässt.
von Kyra Jäger
Der Titel Genius Party Beyond lässt zunächst vermuten, dass die
Regisseure noch tiefer in ihre Materie eingestiegen waren als beim
ersten Teil. Überraschenderweise erfuhr das Publikum jedoch nach der
Präsentation von einem der Regisseure, dass Beyond sich eher auf den
verpassten Abgabetermin bezog als auf die Fortsetzung des ersten Teils.
Dennoch ist der zweite Teil ebenso abwechslungsreich wie der erste
Teil, wenn auch etwas kürzer:
Gala ist ein Mix aus Magie, Völkern, einem alten phantasievollen
Japanbild und der Liebe zur Natur. Die musikalische Untermalung
reißt den Zuschauer ebenso mit in schwindelerregende Höhen wie die
Helden und ringt ihm am Ende geradezu ein friedliches Lächeln ab.
Überaus witzig und derb geht es dagegen in Moon Drive zu. Eine kriminelle, unglaublich schräge Truppe versucht, einen Schatz zu ergattern
und stürzt dabei regelrecht vom Regen in die Traufe. Vor allem das
Design und die alles andere als klischeereiche Chefin bleibt einem
unwillkürlich im Gedächtnis. Bei Wanwa werden wir ähnlich wie im
ersten Teil der Genius-Party-Reihe in eine Kindheitswelt entführt, die
allein schon durch die Wahl des Designs hervorragend umgesetzt wird:
Alles sieht aus, als wäre es mit Straßenkreide gemalt. Scheint die
Botschaft des Films lange Zeit zumindest tendenziell vorhersehbar zu
sein, überrumpelt den Zuschauer doch das etwas seltsame Ende, das
die Szenen des Filmes unvermittelt in ein anderes Licht rückt. Dimension
Bomb ist ein Film, den man sehr aufmerksam verfolgen muss, da er phasenweise nicht chronologisch bzw. überlappend ist. Es fällt anfangs
schwer so etwas wie einen roten Faden zu erkennen. Kurz: Technisch
sehr gut umgesetzt, inhaltlich dem Titel des Werks sehr treu, (mehrmaliges Anschauen) empfehlenswert!
Den Abschluss bildet der Beitrag Toujin Kit, bei dem wir einer jungen
Frau dabei zusehen, wie sie ihr tristes, graues Leben führt- Die einzige
Farbenpracht geht von einer Art Lebewesen aus, das sie illegal züchtet.
Die Präsentation wirkt gelungen, die Stilmittel gut eingesetzt, manchmal aber vielleicht etwas zu gut, wirkt der Film doch ab und an etwas
langsam und dröge. Trotzdem eine gut inszenierte Mahnung an eine
konforme Gesellschaft ohne Lebenssinn und Lebensbejahung.
Abschließend kann ich sagen, dass das Projekt Genius Party seinem
Namen durchaus gerecht wird. Selten hat man die Chance, die technisch als auch inhaltlich herausragenden Anime solch namhafter
Regisseure (die u. a. bei Nausicaä - Aus dem Tal der Winde, Animatrix,
Cowboy Bebop usw. mitwirkten) zu sehen. Aufgrund der Vielfalt der
Beiträge fällt es mir schwer, ein Fazit zu ziehen, reicht doch das
Beschreibungs-Repertoire von apokalyptisch bis hin zu zynisch. Aber
es gibt zwei wichtige Vorrausetzungen, die bei jedem Beitrag erfüllt
werden: Kreativität und Leidenschaft.
Goethe D‘A r T 2010
13
Nippon Connection:
Wenn die Kirschblüte
nach Westen fliegt
– Der japanische Film in seiner Entwicklung
von Anna Surawska
D
er moderne japanische Film erlangt eine immer größere
Aufmerksamkeit in der westlichen Filmbranche und erzeugt
ein immer größeres Publikum. Das in Frankfurt seit dem Jahr 2000
jährlich stattfindende Film-Festival „Nippon Connection“, das sich
weltweit als das größte Festival des japanischen Films bezeichnen kann,
ist ein Zeugnis des wachsenden Interesses auch hierzulande.
Die Geschichte des japanischen Films setzt fast zeitgleich mit den
westlichen Filmproduktionen ein. Im Jahr 1896, nur drei Jahre nach
der Erfindung des Kinetoskops von Thomas Edison, gelangt ein solches Gerät zum ersten Mal nach Japan, genauer gesagt, nach Kôbe.
Unter größtem Aufsehen fand am 25. November 1896 eine erste
Vorführung im Kreise der kaiserlichen Familie und weniger ausgewählter Persönlichkeiten statt. Einen Monat später wurde er der
Öffentlichkeit präsentiert.
1897 importierte Inahata Katsutarô den Kinematograph der
Gebrüder Lumiére nach Ôsaka. Ein dafür speziell eingeladener
Kameramann aus Frankreich nahm in Kyôto mehrere kurze Filme auf,
die danach in Tôkyô vorgeführt wurden. Doch mochte man nicht
immer nur ausländische Kameramänner bestellen, um in Japan die
Geräte zu benutzen. Asano Shirô war schließlich der erste Japaner, aus
dessen Hand die ersten Aufnahmen eines Landsmanns stammen. 1898
nahm er zwei Kurzfilme auf: „Die verhexte Schutzgottheit“ (Bakejizô)
und „Wiederbelebung eines Toten“ (Shinin so sosei).
Obwohl der Import der Aufnahmegeräte bis dato noch die technologische Überlegenheit Amerikas und Europas gegenüber Japan widerspiegelte, wurde die Filmproduktion in Japan aufgenommen, wenn
auch nur auf niedrigem Niveau. Denn trotz des großen Erfolgs von
Onoue Matsunosuke, dem ersten männlichen japanischen Filmstar
(Hauptrolle in 1.000 Filmen innerhalb von 14 Jahren), und trotz einer
maßgeblichen Weiterentwicklung der Filmtechnologie war der Film
der Literatur und dem Theater nachgestellt. Literatur und Theater galten weiterhin als primäre Träger der hohen Kultur, während der Film
ein Massenmedium mit niedrigem Ansehen blieb. Die Künstler des
Theaters, vor allem die des traditionellen Nô-Theaters, grenzten sich
stark vom Filmgeschäft ab, dessen Publikum vorwiegend aus Kindern
und mittellosen Arbeitern bestand.
Mit dem Aufkommen des Tonfilms in den 1920er Jahren setzte dann
schließlich auch die so genannte „goldene Ära“ des japanischen Films
ein, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs anhielt. Als erster reiner
Tonfilm gilt der 1931 von Gosho Heinosuke gedrehte Film „Madame
und meine Frau“ (Madamu to nyôbô). Er handelt von einem
Schriftsteller, dessen gesteigertes Interesse für Jazz die Vorbildhaftigkeit
des amerikanischen Lebensstils für die japanische Bevölkerung widerspiegelt. Dank der Vertonung der Filme ab den 1930er Jahren kam es
zu einer Welle neuer Schauspielerkarrieren, die sich auch auf die musikalischen Gattungen, wie zum Beispiel die Operette auswirkte.
Als eine weitere Hochphase des japanischen Films kann man die
14
Goethe D‘A r T 2010
Nachkriegszeit zwischen 1950 und 1960 sehen. Nach den langen
Jahren des Kriegs und der Besatzungsjahre unter US-amerikanischer
Führung fand der Staat seine lang erhoffte Unabhängigkeit. Durch die
Aufhebung der Zensur war ein Durchbruch des Verbotenen und
Tabuisierten auch in der Kunst möglich. Während in der Kriegs- und
Nachkriegszeit vermehrt Historiendramen gezeigt wurden, wurde das
Kino nun zu einem Ort der Massenaufklärung. Es bot damit zugleich
die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Nationalstolzes.
In den 1950er Jahren erhielt der japanische Film wieder internationale Aufmerksamkeit. Durch mehrere Auszeichnungen auf weltweiten
Filmfestivals wurden die Regisseure in ihrer Arbeit bestätigt. Als
Beispiele dafür können u.a. „Das Ergebnis der Atombombe: Hiroshima
und Nagasaki“, 1946 (Genshi bakudan no kôka: Hiroshima, Nagasaki)
von Iwasaki Akira, „Hört, die Stimme des Meeres!“, 1950 (Kike, wadatsumi no koe) von Sekigawa Hideo sowie „Das Kriegsschiff Yamato“,
1953 (Senkan yamato) von Yutaka Abe gelten.
In den 1970er, 80er und 90er Jahren geriet das Kino jedoch durch
eine rapide Abnahme der Kinobesucher in eine schwere Krise. Obwohl
sich im Zuge der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre viele
Filmgesellschaften auflösen mussten, überlebte der japanische Film.
Denn Japan registrierte immer mehr ausländische Regisseure im Land,
verlegte häufiger die Dreharbeiten ins Ausland und ging
Kooperationen auf dem internationalen Filmmarkt ein. Japanische
Filmproduktionen erlangten große Erfolge auf den bedeutenden
europäischen Filmfestivals. Besonders hervor trat die Verfilmung von
Abe Kôbô’s „Die Frau in den Dünen (Suna no onna) durch
Teshigahara Hiroshi, der schon bei den Filmfestspielen von Cannes im
Jahr 1956 den Spezialpreis der Jury bekam; oder „Die Ballade von
Narayama“ (Narayama Bushiko) von Imamura Shohei. Er wurde 1983
bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem höchsten Preis, „Die
Goldene Palme“, ausgezeichnet. Japanische Journalisten sprachen gar
von einer „Renaissance des japanischen Films“.
Vor allem seit den 1990er Jahren stellt man sich berechtigterweise die
Frage, was heute unter einem japanischen Film noch zu verstehen ist.
Zählen hierzu auch die Produktionen der in Japan lebenden Ausländer
oder auch die Werke, die in Japan nicht vor Ort gedreht wurden? Wie
„japanisch“ sind etwa Filme, die zwar auf der zu Japan zählenden südlichen Insel Okinawa gedreht wurden, allerdings in der Sprache der
dort lebenden Bevölkerung, nämlich der Ryûkyû-Sprache, die sich
wesentlich vom Standard-Japanischen unterscheidet, weswegen bei der
landesweiten Ausstrahlung Untertitel eingeblendet werden müssen.
Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft, der Kulturen und
die zunehmende Vergleichbarkeit der Lebensstile und der gesellschaftlichen Probleme in den Industrieländern sind ein wichtiges Stichwort
in diesem Zusammenhang. Nicht nur im Falle Japans fällt eine
Definition des „typisch Nationalen“ zunehmend schwerer.
Japanischer Volksglaube – Spotlight:
Zeichnungen: Maike Schmidt
Kitsune
von Maike Schmidt
G
enau wie ihre westlichen Gegenstücke sind Füchse (jap. kitsune) in Japan bekannt für ihre Klugheit, Gerissenheit und
List. Sie spielen in vielen japanischen Fabeln und Volksgeschichten,
aber auch in der Religion, eine große Rolle, und ihnen werden häufig
magische Fähigkeiten nachgesagt. Besonders im 17.-19. Jahrhundert
erfreuten sich Fuchsgeschichten in Japan einer großen Beliebtheit. Die
magische Macht der Füchse wurde teils für so real gehalten, dass es im
schlimmsten Fall zu ähnlichen Extremen wie bei der Hexenverfolgung
in Europa kam: Frauen, die man für verwandelte Füchsinnen hielt,
wurden verfolgt und/oder verstoßen.
Dies lässt sich auf die dem Fuchs zugesprochenen magischen Kräfte
zurückführen. Zusammen mit dem Marderhund (jap. tanuki) zählen
Füchse zu den Meistern der magischen Verwandlung und zu den
großen Gestaltwandlern der japanischen Tier- und Sagenwelt. Die
Zauberkraft eines Fuchses nimmt mit zunehmendem Alter zu und
lässt sich an der Anzahl der Schweife ablesen (die mächtigsten kitsune
besitzen neun). Füchse, zumindest die bösen Vertreter unter ihnen,
werden oftmals mit allen möglichen Formen von Besessenheit,
Exorzismus und ähnlichem in Verbindung gesetzt und es heißt, dass
vor allem Frauen für Fuchszauber anfällig seien. Füchse wiederum verwandeln sich am liebsten, wenn auch nicht ausschließlich, in eine
schöne Frau, um so die Menschen zu täuschen. Die beiden bekanntesten Gestalten in „Fuchsfrau“-Legenden sind Kuzunoha, die liebende
Mutter und Ehefrau, und Tamamo no Mae, die verruchte Hofdame.
Sie zeigen den starken Gegensatz der Fuchsdarstellung, die sowohl
positiv als auch negativ behaftet sein kann.
Um das Täuschungsmanöver eines kitsune aufzudecken gibt es verschiedene Möglichkeiten: wenn z.B. der Schatten einer „Fuchsfrau“
auf Wasser fällt, dann ist im Spiegelbild nur der Fuchs zu erkennen.
Oder wenn etwa ein Hund eine „Fuchsfrau“ ansieht, verschwindet das
weibliche Trugbild sofort, und zurück bleibt nur der Fuchs. Im
Volksglauben sind besonders bösartige Füchse berühmt-berüchtigt: sie
sind in der Lage von den Seelen der Unvorsichtigen Besitz zu ergreifen, sie zu willenlosen Marionetten zu machen oder dauerhaft in den
Wahnsinn zu treiben. Auch dämonische Besessenheit wird dem
Einfluss von bösen kitsune nachgesagt, die eitel, lügnerisch, launisch
und besessen von Sex sein sollen. Demnach sind bei Personen, von
denen ein böser Fuchs Besitz ergriffen hat, häufig ähnliche
Eigenschaften zu beobachten.
In der Religion haben Füchse eine besondere Funktion im
Zusammenhang mit Inari, dem japanischen Reisgott. Inari-Schreine
stellen mit etwa 30000 in ganz Japan eine der zahlenmäßig größten
Gruppen von Shintô-Schreinen dar, wobei es sich dabei sowohl um
kleine als auch um mittelgroße Schreine handelt. Der berühmteste
unter ihnen ist wohl der Fushimi inari taisha bei Kyôto. Ihr
Erkennungsmerkmal sind zwei weiße Fuchsstatuen, die als "Wächter"
fungieren, und auch die Gottheit Inari selbst zeigt sich, wenn sie nicht
gerade die Gestalt einer jungen Frau annimmt, gern als Fuchs.
Der Fuchs, der ein Haus in Brand steckte
Es war einmal ein Samurai, der dem Landesherrn der Provinz
Kai* diente. Als er in der Abenddämmerung das Anwesen
verließ um nach Hause zu gehen, traf er unterwegs auf einen
Fuchs. Er verfolgte diesen und mit einem gezielten
Pfeilschuss traf er den Fuchs in die Flanke. Der angeschossene Fuchs jaulte vor Schmerzen und schleppte sich, die
Flanke nach sich ziehend, ins Dickicht. Als der Mann seinen
Pfeil aufheben ging, richtete sich der verletzte Fuchs in einiger Entfernung auf. Doch als der Mann erneut auf ihn
schießen wollte war der Fuchs schon verschwunden.
Nur noch vier oder fünf chô von seinem eigenen Haus entfernt, tauchte der Fuchs plötzlich etwa zwei chô vor ihm mit
einem brennenden Holzscheit auf, und rannte davon. „Was er
wohl vor hat?“ fragte sich der Mann. Er gab seinem Pferd die
Sporen, doch als er zuhause ankam, hatte sich der Fuchs in
einen Menschen verwandelt und dieses angezündet. „Ah, ein
Mensch hat das Haus in Brand gesetzt“ rief der Mann und
während er das Pferd antrieb, machte er sich bereit einen
Pfeil abzuschießen. Doch der Fuchs, der das Feuer gelegt
hatte, verwandelte sich wieder in seine frühere Gestalt, rannte ins Gras und verschwand. Schließlich brannte das Haus
komplett ab. Solche Wesen wie dieser Fuchs nehmen im
Handumdrehen Rache. Wenn man diese Geschichte also
hört, so versteht man, dass man sie auf keinen Fall schlecht
behandeln darf.
* heutige Präfektur Yamanashi auf der Hauptinsel Japans,
genannt Honshû
chô = japanisches Längenmaß, ca. 109m
Goethe D‘A r T 2010
15
Verschneite Wälder
Landschaften versinken tief
In der weißen Pracht
•
Haiku
von Antje Grzelachowski
Im Sommerabend
Plätschernde Regentropfen
Auf dem warmen Gras
•
Lecker, cremig, süß
Zergeht es auf der Zunge
Wohlschmeckendes Eis
•
Hunderte Kanji
Interessant und schwierig
Ästhetisch zugleich
H
aiku ist eine Kurzlyrik, die ihren Ursprung in Japan hat. Ihr
Beginn wird auf das 17. Jahrhundert datiert. Oftmals werden
Haiku schlicht als „japanische Gedichte“ oder als „japanische
Gedichtform“ bezeichnet. Der Aufbau eines solchen Gedichts ist relativ einfach: Es besteht in der Regel aus 17 Silben, verfasst in drei
Versen. Die Silbenanzahl lautet 5-7-5, also im ersten Vers 5 Silben, im
zweiten 7 und im letzten wiederum 5 Silben. Abweichungen von dieser Regel sind jedoch möglich, die Silbenanzahl darf reduziert und die
Reihenfolge der Verse darf vertauscht werden.
Haiku beschreiben stets Schauspiele, die sich in der Natur ereignen.
Themen dieser Gedichte sind konkrete Beobachtungen, niemals aber
Gefühlsbeschreibungen oder abstrakte Bilder. So ist ein wichtiges Sujet
die Beschreibung von Jahreszeiten. Es wird oft geschildert, wie der
stürmische Herbstwind weht, wie Blätter verwelkt zu Boden fallen, wie
ruhig der weiße Schnee eine Landschaft bedeckt, wie Tiere morgens
aus ihrem Schlaf erwachen, wie kühl der Sommerabend oder wie hübsch die Blütenpracht ist. Auch wenn die Natur und die Jahreszeit nicht
explizit erwähnt werden, wird auf sie doch immer indirekt durch die
im Gedicht erzeugte Stimmung referiert. Die Sprache eines Haiku ist
im Allgemeinen nicht hochpoetisch oder ausschweifend, ein Haiku
besticht durch seine Schlichtheit und Einfachheit.
Haiku dichten kann jeder, nimm einen Stift, schreibe deine
Beobachtungen nieder und lass deiner Kreativität freien Lauf! Die folgenden Haiku aus meiner Feder sollen dir eine Anregung sein. Übrigens macht es auch Spaß Haiku zusammen mit Freunden zu schreiben.
Wenn du magst, schicke deine Kurzlyrik an:
[email protected], vielleicht
erscheint sie ja in der nächsten Ausgabe!
16
Goethe D‘A r T 2010
•
Im Morgengrauen
Vernebelt, kalt, doch friedlich
Innere Ruhe
•
Die kleine Katze
Schleckt mit großer Freude
Ihre Milch – Miau
•
Als der Sonnenstrahl
Den Frosch am See traf
Sprang diieser zurück ins Nass
•
Eifrig lernen sie
Wenn die Prüfungen nahen
Brave Studenten
•
Mondenschein so klar
Glitzernder See im Licht
Zirpende Grillen
•
Herbstblätter im Wind
Farbenfrohes Spektakel
Grün, gelb, rot und braun
von Karina Myskava
Das Blütenblatt der
Sakura
Das Schweigen des Windes.
Wird die Windböe nicht berühren
Illustration: Jutta Lingelbach
das Blütenblatt der Sakura?
I
m Frühling, wenn die Kirschblüten –
Sakura – blühen, halten sich viele Japaner
bevorzugt im Freien auf, um die strahlende Schönheit der in der Sonne
weiß und blassrosa schimmernden Blüten zu betrachten. Doch der
atemberaubend schöne Anblick ist nur von kurzer Dauer. Nach wenigen Wochen bereits fallen die zarten Blüten herab und werden von
einer Windböe davongetragen. Nicht ohne Grund wird die blühende
Sakura in Japan deshalb auch als Sinnbild für Vergänglichkeit und
Unbeständigkeit gesehen. In der Poesie ist sie häufig verwendetes
Symbol einer dahinschwindenden Jugend und Schönheit und der
Vergänglichkeit der Liebe.
morgens einen der heißbegehrten Plätze unter den Kirschbäumen, um
dort nach Dienstschluss ein Mitarbeitertreffen zu arrangieren. Dabei
geht es gewöhnlich recht ausgelassen zu, was ohne Konsequenzen
bleibt, denn am nächsten Tag ist alles vergessen!
Zur Zeit der Blüte der Sakura wünscht sich ein jeder die Zeit zurückdrehen und die glücklichen Momente des Lebens verlängern zu können. Gerade darin liegt wohl die Anziehungskraft, die
Unbegreiflichkeit und der eigenartige Zauber dieser Jahreszeit, die
einen Höhepunkt im Kalender markiert.
Die Darstellung der blühenden Sakura ist im Land außerordentlich
weit verbreitet: man findet sie in Zeichnungen, welche die Kimonos,
das Geschirr und andere Alltagsgegenstände schmücken. Von jeher
wird sie in zahlreichen Liedern und Gedichten glorifiziert. Einst war
sie sogar ein beliebter Frauenname in Japan.
Um die Sakura zu ehren findet in Japan am 27. März einer der
beliebtesten Feiertage statt. Die Tradition dieses Feiertages reicht bis in
das III. Jahrhundert zurück. An diesem Tag treffen sich viele Japaner
unter den blühenden Kirschbäumen der Parkanlagen, um sich gemeinschaftlich zu amüsieren und die üppige Blütenpracht auf sich wirken
zu lassen. Unternehmen, die etwas auf sich halten, reservieren bereits
Goethe D‘A r T 2010
17
von Kristina Hvasti, Andrea Meierl, Ina Rohrlack
D
Die Frankfurter Band Wagner Love landete mit ihrem Lied
„Doin‘ It“ auf Platz eins der japanischen Radiocharts und
ging daraufhin zehn Tage auf Japan-Tournee. Bevor die Band zum
zweiten Mal nach Japan aufbrach,um auf dem Super Sonic- Festival
neben Musikgrößen wie Mando Diao, Linkin Park, Beyoncé oder Lady
Gaga zu spielen, gaben die Bandmitglieder Tilmann und Ravel uns die
Gelegenheit, sie über ihre Eindrücke in Japan zu befragen.
Wart ihr auf euren musikalischen Erfolg in Japan vorbereitet?
Tilmann: Nein, überhaupt nicht. Unser Erfolg erschien uns zunächst
surreal. Wir hatten zuerst nur die Verkaufszahlen, konnten das aber
nicht richtig einordnen, weil wir ja auch kein unmittelbares Feedback
von den Hörern bekommen konnten. Keiner von uns war zuvor jemals
in Japan. Das ist ein Land, das so weit weg ist. Als ein japanischer
Radiomoderator unseren Sänger Jakob dann anrief, wurde der Erfolg
für uns etwas greifbarer.
Ihr habt nun schon eure erste Japantournee hinter
euch - die nächste steht schon an – wo wart ihr genau?
Tilmann: Unser Erfolg kam selbst für unsere Plattenfirma überraschend. Unsere „Promotour“ wurde daher sehr kurzfristig organisiert.
Wir gaben drei Konzerte in Fukuoka, Osaka und Tôkyô. Wir sind 10
Tage durchs Land gereist und haben wirklich jeden Tag einen dermaßen vollgestopften Interview-Promo-Plan gehabt, wie ich es hier nicht
erlebt habe. Weil natürlich auch in der Kürze der Zeit viel hineingepackt werden musste. Wir waren gefühlt bei zehn Radiosendern pro
Tag. Trotz der Anstrengung war es toll. Wir haben gespürt, dass die
Leute es als etwas Besonderes ansahen, dass wir da waren. Es war eine
stets herzliche Angelegenheit.
18
Goethe D‘A r T 2010
Wie erklärt ihr euch, dass gerade euer Song „Doin’ It“
in Japan so gut ankommt?
Tilmann: Erklären konnten wir uns das natürlich zunächst nicht. Wir
haben viele Gespräche auch mit Leuten von Radiosendern über den
Grund unserer Popularität in Japan geführt. Vor allem war der Song ja
ursprünglich gar nicht als Singleauskopplung gedacht. Die japanischen
Radiomoderatoren hatten ihn gespielt, weil es der erste Song in unserem Album war und sie ihn wohl am besten fanden. Daraufhin war er
immer häufiger im Radio zu hören. So wurde er in Japan populär.
Manche sagten, sie mögen unseren Song, weil er so melodisch ist und
einen guten Vibe hat.
Glaubt ihr, dass der Exotikfaktor, aus Deutschland zu
kommen, dabei auch eine Rolle gespielt hat?
Tilmann:
Ja, das hatten wir uns auch schon gefragt. Natürlich spielt das auch eine
Rolle. In Japan ist man als deutsche Gruppe per se schon mal interessant. Aber ich würde das nicht als Hauptgrund sehen.
Wie alt sind eure japanischen Fans eigentlich?
Tilmann: Sie sind älter als ich dachte. Es sind keine Teenies. Anfang
zwanzig würde ich schätzen. So wie unsere deutschen Fans. Allerdings
standen im Publikum mehr Männer, das hat mich gewundert. Sie preschen jedoch seltener vor als Frauen, um sich Autogramme geben zu
lassen. Überraschend für uns war auch, dass die Leute immer eine CD
zum Signieren dabei hatten.
Konntet ihr einen Unterschied zwischen dem Verhalten
eurer deutschen Fans und japanischen Fans ausmachen?
Ravel: Eigentlich nicht. Ah ja doch. Die japanischen Mädchen sind ein
bisschen aufgeregter, wenn sie uns sehen. Am Flughafen wurden wir
Foto: Manuel Debus
Wagner Love
zum Beispiel empfangen von einer Gruppe Mädchen, die selbst
gebastelte Geschenke vorbereitet hatte, wie Fächer oder kleine gemalte Bildchen.
Tilmann: In Tôkyô war es überhaupt sehr lustig. Wir spielten in einem
relativ kleinen Club. Es passten ungefähr 600 oder 700 Leute rein. Die
Fans standen dort schon eine Stunde vor Konzertbeginn an der
Sicherheitsabsperrung. Mich erstaunte dabei ihre Disziplin. Sie warteten, ohne dass jemand noch mal rausgegangen wäre, um sich beispielsweise etwas zu trinken zu holen. Als das Konzert dann losging,
waren sie auch 100-prozentig bei der Sache. Schon beim ersten
Akkord unseres Songs „Doin’ It“ klatschten sie bereits Beifall. Doch,
das ist vielleicht ein Unterschied, einfach die Art und Weise, wie
Konzerte zelebriert und wahrgenommen werden. Man hat so richtig
das Gefühl, die Leute haben jetzt eine Stunde Urlaub. Sie gucken auf
die Bühne, singen mit und sind voll dabei. In Deutschland kommt es
vor, dass sich die Leute auch während des Auftritts ein Getränk holen
gehen oder sich unterhalten. Nicht in Japan, dort hat man das ganze
Konzert hindurch die volle Aufmerksamkeit. Das ist schon bemerkenswert.
Ravel: Was mir aufgefallen ist, ist, dass die Städte total zugebaut sind.
Was war euer schönstes Fangeschenk? Oder wurde
euch etwas auf die Bühne geworfen – wie etwa
Blumen, Fotos oder gar ein Slip?
Tilmann: Insgeheim hatte ich das ja gehofft (lacht). Angeblich soll es in
Japan ja Slip-Automaten geben, aber ich habe noch keinen einzigen
gesehen. Ich glaube mittlerweile, dass das ein Gerücht ist.
Ravel: Mein schönstes Fangeschenk war ein tragbarer Aschenbecher.
Tilmann: Sehr moderne Gebäude neben sehr alten Gebäuden lassen die
japanischen Städte sehr patchworkartig aussehen. Architektonisch ist
das natürlich sehr interessant, es zeigt die Schnelllebigkeit dort. Es wird
versucht, noch in dem letzten kleinen Winkel ein siebenstöckiges
Gebäude hineinzubauen. Auffällig sind auch die vielen Boutiquen in
den kleinen Gässchen. Dort kann man viele Stunden verbringen und
viel Geld zurücklassen.
Wir haben ein kleines Assoziationsspiel für euch vorbereitet. Wir nennen euch ein paar Begriffe und ihr sollt
uns bitte sagen, welche spontanen Assoziationen ihr
zu Japan habt.
Ravel und Tilmann: Okay.
Leute
Ravel: Die Japaner sind sehr höflich. Sie weisen einem den Weg, auch
wenn sie keine Ahnung haben.
Geschwindigkeit
Ravel: Shinkansen. Ich muss dazu sagen, dass ich ein großer
Technikfan bin.
Es gibt ja verschiedene Linien…
Ravel: Ja! Ja! Wir sind mit dem Nozomi gefahren. Er ist der Schnellste!
Die Nachfrage nach diesen kleinen mobilen Aschenbechern ist in
Japan sehr groß. Irgendwie sagt das auch etwas über die Japaner aus.
Einerseits, dass es viele Raucher gibt, andererseits, dass sie darauf achten, ihre Umwelt nicht zu verschmutzen.
Tilmann: Wenn man durch Tôkyô läuft, ist es dort tatsächlich sehr sau-
ber. Nicht deshalb, weil überall Verbotsschilder stehen würden, sondern
weil jeder von sich aus auf Sauberkeit achtet. Nach meinen
Vorstellungen war Tôkyô eine Stadt, in der es hektisch und laut zugehen musste. Tatsächlich ist Tôkyô aber eher angenehm ruhig, obwohl
die Stadt natürlich in Bewegung ist. Die Leute schreien nicht herum,
die Autofahrer hupen nicht. Nicht wie hier in Frankfurt, wo man in der
U-Bahn mitunter blöd angeschaut oder mal angerempelt wird.
Welche weiteren Eindrücke haben die Städte bei euch
hinterlassen?
Tilmann: Ravel stand vor dem Shinkansen und hat ständig Fotos
gemacht. Ich habe mir gedacht, jetzt weiß ich, wie es ist, wenn Japaner
hier in Deutschland sind und sich mit ihren Kameras vor den ICE stellen. (Lachen).
Ravel: Das ist das Bemerkenswerte. Wenn man umgekehrt als
Europäer die Rolle des Touristen in Japan einnimmt, dann merkt man
erst, wie neu alles für einen ist. Alles sah anders aus als zu Hause und
war es wert, fotografiert zu werden. Wir haben Getränkeautomaten,
Anzeigetafeln und selbst die einfachsten Gegenstände fotografiert.
Sogar Bagger, weil sie völlig anders aussehen als bei uns.
Essen
Tilmann: Das Essen ist sehr abwechslungsreich und ich glaube sogar
das gesündeste der Welt. Wir haben zwar diese etwas „fragwürdigen“
Gerichte wie den Kugelfisch noch nicht probiert, aber das werden wir
beim nächsten Mal im August unbedingt nachholen.
Goethe D‘A r T 2010
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Ravel: Oder aber auch, dass man in der Musikbranche eh alles etwas
lockerer sieht. Wichtig zu wissen war, dass Japaner ungern ihr „Gesicht
verlieren“, das heißt, dass man sie auf Fehltritte ihrerseits nicht aufmerksam machen und auf sein Recht bestehen sollte.
Unser Begleiter hat vor allem sein Gesicht verloren, als er uns die falschen Schuhe nach einem Restaurantbesuch herausgegeben hatte. Wir
hatten sie zuvor in Schließfächern deponieren lassen und er gab uns
irgendwelche holländischen Clogs und Sandalen. Wir mußten natürlich lachen, schließlich waren es tatsächlich Schuhe von Europäern,
aber eben von anderen Europäern.
Tilmann: Es war ein großes Hallo. Wir hatten gelesen, wenn im
Restaurant das falsche Essen kommt, dass man erst mal das Essen stehen lässt und dann sagt, dass es das falsche ist.
Ravel: Nee, dass man sagt: „Das schmeckt aber lecker, ich hätte aber
gern noch das und das.“
Ravel: Als wir zum ersten Mal im Restaurant waren und die ersten
Teller kamen, hatte sich Tilmann gleich so viel genommen, dass er gar
keinen Hunger mehr hatte, als dann der fünfte Gang kam.
Tilmann: Man muss sich erst einmal daran gewöhnen, dass man klei-
nere Portionen über einen bestimmten Zeitraum verteilt isst.
Clubs
Tilmann: Alle tanzen den DJ an. Als unser Konzert in Osaka fertig war
und ein DJ auflegte, standen die Clubbesucher alle mit dem Gesicht
zum DJ, tanzten leicht und spielten dabei mit ihren Handys.
Ravel: Für uns war dieser Anblick sehr merkwürdig. Könnt ihr uns
sagen, wie wir uns dieses Verhalten zu erklären haben?
Ich weiß es nun auch nicht genau. Aber ich erkläre mir
dieses Verhalten als einen gruppendynamischen
Prozess. Ich habe neulich von einer Kommilitonin
gehört, die in Japan auf vielen Konzerten war, dass
man sich nicht wie bei uns beim Tanzen individuell
bewegt, sondern synchron. Alle reagieren auf ein
Zeichen hin. Es ist faszinierend.
Habt ihr euch auf euren Aufenthalt in Japan vorbereitet, indem ihr zum Beispiel Reisebücher gelesen habt?
Tilmann: Ich habe im Internet Seiten gefunden, auf denen die einfachsten Floskeln in Lautschrift kurz erklärt waren, damit man wenigstens
„Danke“ und „Bitte“ sagen kann und „Guten Tag“.
Ravel: Ich habe Reisebücher gelesen, ikonographische Bücher, in
denen stand: „Wenn Sie nicht wissen, wo es lang geht, holen Sie eine
Karte heraus und deuten Sie wild darauf.“
Tilmann: Wir haben uns natürlich auch über Gepflogenheiten informiert, wie zum Beispiel über Visitenkarten. Die Visitenkarte zeigt, welchen Rang eine Person hat und wie respektvoll man sie behandeln
muss. Deshalb spielt sie in Japan auch so eine große Rolle. Man wird
bei jeder Gelegenheit mit Visitenkarten ausgestattet. Wichtig ist, dass
man sie mit beiden Händen entgegennimmt, sich dabei verbeugt und
die Karte anschaut, bevor man sie wegsteckt. Man sollte diese aus
Höflichkeit nicht in die Hosentasche stecken, sondern ins
Portemonnaie oder in ein Kästchen. Aber in diesen Büchern haben wir
auch viele Irrtümer gelesen, wie beispielsweise der Hinweis, dass man
sich zur Begrüßung nicht die Hand gibt, sondern verbeugt. Wir wurden eigentlich immer mit Handschlag begrüßt. Aber es kann natürlich
wiederum auch daran liegen, dass die Japaner sich einfach unserem
Begrüßungsritual angepasst haben.
20
Goethe D‘A r T 2010
Tilmann: Kevin, unser Ansprechpartner, sagte aber, dass man sofort
sagen kann, dass man dieses Essen nicht bestellt habe. Kevin ist
Halbamerikaner, er kennt auch beide Kulturen und hat immer vermittelt. Vor allem dann, wenn wir das Gefühl hatten, uns falsch verhalten
zu haben. Er meinte dann immer: „Das ist kein Problem, ihr seid hier
zu Gast.“
Welche Japanischvokabeln sind euch denn in
Erinnerung geblieben?
Ravel und Tilmann: Konitschiwa, sayonara, arigatô natürlich, genki
desuka ( wie geht’s). Dieses desuka ist eine Frageformel. Das
Substantiv wird davor gestellt und heraus kommt eine Frage.
Tilmann: Ravel hatte vor einem Interview “Genski desuka“ gesagt und
da fing der Interviewpartner heftig an zu lachen. Als wir fragten, was
denn los sei, meinte er, „Genski desuka“ heißt, „Ist das ein Moped?“
Das erklärte uns auch endlich, warum unsere Fans bei unseren
Auftritten, immer in heftiges Gelächter ausbrachen, wenn wir Genski
desuka für „Wie geht’s“ sagten.
Ravel: Da gab es doch noch mehr, wir kannten noch mehr, wir hatten
doch auch Bier bestellt: „Biru kudasei“.
Ihr wolltet ein Gebäude? (Lachen).
Ravel: Was heißt denn dann Bier?
Biiru, lang gezogen.
Tilmann: Vielleicht hab ich deshalb nichts zu trinken bekommen?!
Sprache
von Anja Catharina Junghenn
„flauschig“
Drei x Fell heißt
Japanisch lernen mit Eselsbrücken
H
allo und willkommen zu einer etwas ungewöhnlichen
Einführung zu den japanischen Schriftzeichen!
Diejenigen unter euch, die sich für Japan und seine Sprache interessieren, wissen bestimmt, dass Japanisch nicht mit dem uns bekannten
lateinischen Schriftsystem, sondern mit aus dem Chinesischen importierten Schriftzeichen geschrieben wird, den sogenannten Kanji. Auch
wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag, sind diese
Schriftzeichen nicht aus willkürlich angeordneten Strichen zusammengesetzt, sondern sie folgen gewissen Gesetzmäßigkeiten.
Vereinfacht lässt sich sagen, dass ein Kanji aus mehreren Elementen
besteht – meist sind zwei, drei oder vier Elemente in einem Kanji.
Diese wiederum haben oft eine bestimmte Bedeutung, und diese
Bedeutung zu kennen, kann das Lernen und Memorieren der
Schriftzeichen um einiges erleichtern – nämlich indem ihr anhand der
einzelnen sprachlichen Elemente gezielt Eselsbrücken bildet.
Hier eine Auswahl an Schriftzeichen, die dafür als
Beispiel dienen sollen.
Lesung: taga-i
Bedeutung: gegenseitig
Das Schriftzeichen ist punktsymmetrisch, will heißen, es sieht noch
genauso aus, auch wenn ich es auf den Kopf stelle. Hier ist die
Bedeutung „gegenseitig“ sehr gut zu erkennen, denn Gegenseitigkeit
beruht ja auf zwei ausgeglichenen Seiten.
der Teil rechts unten bedeutet „alt“. Mit diesem Wissen kann man sich
Eselsbrücken bilden wie: „Schon in alten Zeiten wurde Reis mit der
Hand bearbeitet.“ Und dies trifft auf Japan ja durchaus zu.
Lesung: taki
Bedeutung: Wasserfall
Der linke Teil ist die verkürzte Schreibweise von „Wasser“, die innerhalb eines Schriftzeichens oft anstelle der Vollform gebraucht wird. Der
rechte Teil bedeutet Drache. Betrachtet man die Kraft und Schönheit
eines Wasserfalls, von der viele Menschen angezogen werden, liegt die
Verbindung zu den mystischen Drachen, die Menschen seit langem
faszinieren, sicher recht nah.
Lesung: arashi
Bedeutung: Sturm, Unwetter
Der obere Teil bedeutet „Berg“, der untere Teil „Wind“. Als
Eselsbrücke könnte man sich hier zum Beispiel merken: „Ein Wind,
der so schlimm ist, wie ein Berg hoch ist.“
Lesung: meoto
Bedeutung: laute/zornige Stimmen
Dieses Kanji setzt sich zusammen aus den Kanji „Frau“ und
„Mann“. Die Überlegung, dass Männer und Frauen gern miteinander
streiten, ist also nicht neu.
Lesung: mukuge
Bedeutung: weich, flauschig
Dieses Schritzeichen besteht aus dreimal dem Kanji für Fell. Und
viel Fell aufeinander ist bekanntlich flauschig!
Lesung: kashima-shii
Bedeutung: böse; laut
Bei der Entstehung dieses Schriftzeichens hatte man offenbar keine
allzu gute Meinung von dem weiblichen Geschlecht...
Lesung: ine
Bedeutung: Reis
Der linke Bestandteil bedeutet Getreide, die vier Striche rechts oben
sind eine verkürzte Darstellung für das Schriftzeichen „Hand“, und
Goethe D‘A r T 2010
21
Sprache
Japanische
von Aya Puster
Lautmalerei
1. Definition
yotayota
schwanken = yotayota suru
Was sind Lautmalereien (Onomatopöien)?
Das Lexikon der deutschen Sprache DUDEN definiert sie als „eine
Wiedergabe natürlicher Geräusche o.ä. durch klanglich ähnliche
Laute“. (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 1989)
Onomatopöien wie beispielsweise „Boom“, oder „Miau“ haben
Mitteilungscharakter und kommen ohne weitere Erklärungen oder
Beschreibungen aus. Dem allgemeinen Verständnis nach entstammen
sie der Sprachwelt eines Kleinkindes, das aus Mangel an
Ausdrucksfähigkeit und Wortschatz durch Nachahmen der tatsächlichen Geräusche etwas mitzuteilen versucht. Häufig werden daher
Onomatopöien in europäischen Sprachen als kindischer Klamauk
abgetan.
2. Stellung der Onomatopöien im
Japanischen
Die Einstellung, Onomatopöien seien Kindereien, ist Japanern
jedoch fremd, denn sie bilden feste Bestandteile der japanischen
Sprache. Dies musste ein ausländischer Student in Japan schmerzhaft
am eigenen Leib erfahren: Von Schmerz geplagt suchte er einen japanischen Arzt auf, der ihn nach reichlicher Untersuchung mit einer für
ihn schier unlösbaren Frage konfrontierte: „Welche Schmerzen haben
Sie? „shikushiku?, hirihiri?, zukizuki?, gangan?, chikuchiku?, kirikiri?“
Schmerzen
chikuchiku
gangan
hirihiri
kirikiri
shikushiku
zukizuki
stichelnder Schmerz
hämmernder Schmerz
brennender Schmerz
bohrender Schmerz
stechender, ziehender Schmerz
pulsierender, dröhnender Schmerz
Nicht nur für die Beschreibung von Schmerzen, sondern generell für
die Darstellung von Eigenschaften und Tätigkeiten suchen Japaner
nach einer passenden Onomatopöie.
burabura, urouro, yotayota, yoroyoro, yochiyochi
sind Onomatopöien, die in Verbindung mit verschiedenen Verben stehen können.
suru (machen)
aruku (laufen)
burabura
faulenzen = burabura suru
urouro
ratlos, verzweifelt =urouro suru
22
Goethe D‘A r T 2010
burabura aruku = bummeln
urouro aruku= herumlung
yotayota aruku = latschen
yoroyoro
schwach auf den
Beinen sein = yoroyoro suru
taumeln = yochiyochi
yoroyoro aruku = wackeln
yochiyochi
suruyochiyochi aruku = watscheln
Diese Onomatopöien sind allgemein gebräuchliche Ausdruckweisen,
und können offiziell in japanischen Lexika nachgeschlagen werden.
Sie stellen eine deutliche Erleichterung bei der Wahl des passenden
Ausdrucks dar. Jedoch kann ihre häufige Anwendung auch zu eintönigen Formulierungen führen, wie das folgende Beispiel zeigt:
Zwei Personen unterhalten sich vor der Filmaufführung:
Mit großer Freude erwarte ich den Beginn des Films.
Hai, watashi mo uki uki shiteimasu.
Es ist ja so spannend!
Hai, watashi mo doki doki shiteimasu.
Ich freue mich auf den Film.
Hai, watashi mo wak waku shiteimasu.
Es dauert aber lang. Warum beginnt der Film nicht?
Hai, watashi mo jiri jiri shiteimasu.
Verdammt! Ich werde nervös.
Hai, watashi mo ira ira shiteimasu.
Die japanische Sprachwissenschaftlerin Prof. Nakami YAMAGUCHI
erfasste ca. 2000 Onomatopöien des Japanischen, beschrieb sie und
gab ein Onomatopöien-Lexikon heraus.
Nakami Yamaguchi, Gion-Gitaigo Jiten (Lexikon der japanischen
Onomatopöien), 605 Seiten, Tokio 2003
Bei ihren Recherchen in verschiedenen klassischen Literaturwerken
fand die Professorin heraus, dass es japanische Onomatopöien seit
mehr als 1000 Jahren gibt und dass ca. 50-60% davon heute noch in
regem Gebrauch sind.
Lautmalereien im Japanischen deuten also keineswegs auf den
Verfall der klassischen Sprache in der modernen Zeit hin, sondern liegen offenbar im Kern dieser Sprache.
3. Eine mögliche Erklärung für die Bedeutung
der Lautmalerein im Japanischen
Eine Erklärung dafür glaubt der Kognitionswissenschaftler
Tadanobu TSUNODA gefunden zu haben. Er ist der Auffassung, dass
Japaner sprachliche Äußerungen kognitiv anders wahrnehmen, als
Europäer oder Amerikaner. Denn gehirnwissenschaftliche
Untersuchungen ergaben, dass japanische Sprecher im Gegensatz zu
den Sprechern westlicher Sprachen beide Gehirnhälften aktivieren,
wenn sie Vokale, menschliche Stimmen, Geräusche von Tieren
(Grillen-Zirpen) und traditionelle japanische Musik hören. Bei
Sprechern westlicher Sprachen ist dagegen nur eine Gehirnhälfte aktiv.
Somit scheinen Japaner jegliche Geräusche und Laute wie Wörter
wahrzunehmen und als solche zu gebrauchen. Tatsächlich lassen sich
im Japanischen mehrere Sätze bilden, die nur aus Vokalen bestehen.
Beispiele:
E o ou.
Ai o ou.
(Man) verfolgt die Bilder.
(Wir) verfolgen die Liebe.
Ee, aou.
Iie, aoi!
Ja, lasst uns treffen!
Nein, (es ist) blau.
Oi, ie!
Adverbien
burabura
dokidoki
hokahoka
iraira
jirijiri
gatsugatsu
pera pera
ukiuki
uzuuzu
waiwai
wakuwaku
baumeln, schaukeln, schlendern
klopfenden Herzens
mollig warm
nervös
unruhig, ungeduldig
hastig eine große Menge verschlingen
fließend Fremdsprache sprechen
voller freudiger Erwartung
unruhig, eigenes Können zu zeigen
laut und fröhlich unterhalten, feiern
mit großer Freude warten
Hey, sag es!
Oi o oe!
Verfolge den Neffen!
4. Besser Japanisch sprechen
mit Onomatopöien
Wie wir bisher gesehen haben, geben Onomatopöien dem
Japanischen einen typischen Charakter. Wenn der Japanisch-Lerner sie
richtig einsetzt, klingt sein Japanisch wesentlich authentischer:
Deutschen Japanisch-Lernern fällt es aufgrund der Differenziertheit
der deutschen Sprache in Verben, Adjektive und Adverbien sowie der
vielfältigen Variationsmöglichkeiten des deutschen Satzbaus jedoch oft
schwer, sich auf die einfachen Satzkonstruktionen und lautmalerischen
Ausdrucksweisen des Japanischen umzustellen. Sie neigen beim
Generieren japanischer Sätze oft dazu, zu abstrakt und kompliziert zu
formulieren. Das umgekehrte Phänomen ist bei japanischen DeutschLernern zu beobachten. Ihre Formulierungen kommen einem deutschen Muttersprachler oft zu einfach vor. So ist es beispielsweise bei
japanischen Deutsch-Lernern beliebt, Phänomene des Alltags mit
„machen“ zu umschreiben, wie etwa einen „Einkauf machen“, eine
„Party machen“, eine „Arbeit machen“. Um sich mit den
Onomatopöien des Japanischen vertraut zu machen, empfiehlt es sich,
Manga zu lesen. Nicht selten kommt es vor, dass ein onomatopoetischer Ausdruck die gesamte Szene eines Panels erklärt. In einigen
Manga stellen Onomatopöien sogar die einzigen sprachlichen
Realisierungen dar. Im folgenden gebe ich euch eine Kurze Liste nützlicher Onomatopöien mit auf den Weg und wünsche euch viel Spaß bei
ihrer Anwendung!.
Adjektive
buyo buyo
fuwa fuwa
kachi kachi
kira kira
pika pika
schwabbelig
flaumweich, leicht im Wind getragen
steinhart
blinzelnd
glänzend poliert, sauber
Aya Puster
gibt neben ihren wissenschaftlichen Abhandlungen zur japanischen Sprache und Geschichte Japanisch-Wörterbücher
und -Lehrwerke heraus. Ihr Anliegen ist es, die japanische
Sprache auf kreative und unterhaltsame Weise zu vermitteln.
Im Aya Puster Verlag erschienen sind u.a.:
Praxisorientiertes Wörterbuch Deutsch-Japanisch,
3. Auflage 2005, ISBN 3-9806662
Praxisorientiertes Wörterbuch Japanisch-Deutsch,
1. Auflage 2003, ISBN 3-9806662-4-7
Japanisch Grundstufe 2, 1. Auflage 2005,
ISBN 3-9806662-6-3
Kyushu Daisuki. Ein japanisches Lesebuch für Anfänger,
ISBN 978-3-9806662-7-5
Kanji(Lern)Sudoku ISBN 978-3-9806662-8-2
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Goethe D‘A r T 2010
23
1945
Schriftzeichen
oder die Kunst, Japan(ologie) zu studieren
hat sein Abitur in der Tasche, dessen Erwerb ausgiebig
M angefeiert
und freut sich bereits, einen neuen Lebensabschnitt
beginnen zu können. Diese Euphorie kann allerdings ein jähes Ende
finden, sobald man sich gewahr wird, dass es ab jetzt gilt, Weichen für
das weitere Leben zu stellen. Auch wenn ich natürlich nur
Rückschlüsse auf meinen eigenen Jahrgang ziehen kann, vermute ich,
dass es jedes Jahr eine Hand voll Abiturienten gibt, welche ihr Leben
zunächst einmal nur bis zum Abiturerwerb geplant haben und gar
nicht so recht wissen, wie es eigentlich danach weitergehen soll.
Insbesondere jenen Suchenden mag in diesem Artikel aufgezeigt werden, wie überaus befriedigend ein Studium der Japanalogie doch sein
kann.
Angenommen man liebäugelt als Schüler oder auch als studentischer
Fachwechsler damit, sich mit Japan zu beschäftigen, zunächst einmal
vorweg: Japanologie ist nicht gleich Japanologie. Wer sich diesbezüglich einmal eingehender mit dem deutschen Universitätsangebot befasst, wird feststellen, dass der Studiengang Japanologie zwar an einigen
Universitäten angeboten wird, allerdings mit sehr unterschiedlichen
Fokussierungen. Da es in der Natur der Sache liegt, dass jede/r
Professor/in seine/ihre Spezialgebiete besitzt und natürlich jede
Universität nur eine begrenzte Anzahl an Lehrstühlen aufweist, ist
konsequenterweise davon auszugehen, dass nicht jede Uni alle
Bereiche eines Faches abzudecken vermag. Ergo, ist der Wunsch nach
einem japanologischen Studium geweckt, gilt es zu überprüfen, welches Studienortsangebot den eigenen Vorstellungen am Nächsten
kommt. Natürlich müssen hier auch die Lokalität beziehungsweise die
finanziellen Aspekte jedes einzelnen berücksichtigt werden.
Aber am Besten, wir fangen ganz am Anfang an. Wie kommt man
darauf, ein Japanologiestudium anzutreten? Indem man sich für Japan
interessiert. Hierbei ist zunächst einmal vollkommen unabhängig, ob
dieses Interesse durch Manga und/oder Anime hervorgerufen wird, ob
man sich für japanische Geschichte oder Religion begeistert oder ein
Faible für technologische Errungenschaften wie beispielsweise japanische Roboter besitzt. Wichtig ist lediglich allen Aspekten des Landes
aufgeschlossen gegenüberzutreten und das grundsätzliche Bestreben,
seinen Horizont zu erweitern. Man sollte sich vor der Entscheidung für
ein Japanologiestudium ernsthaft fragen, ob man bereit ist, sich intensiver mit vielen verschiedenen Spektren der japanischen Kultur genauer auseinanderzusetzen oder aber, ob man lediglich an einigen einzelnen Produkten, welche diese hervorgebracht hat, seine Freude findet.
Gesetzt den Fall, man hat sich immatrikuliert, also erfolgreich an der
Universität eingeschrieben, hat nun all die Jahre der Mühe und
Anstrengung hinter sich gebracht und seinen Bachelor beziehungsweise Master in der Tasche, wie geht es dann weiter?
Primär gilt, man kann sich bei jeder Firma bewerben, welche eine
japanische Abteilung besitzt oder Kontakte mit Japan unterhält. Das zu
wählende Nebenfach sollte hierbei die Wahl des Berufsweges unter24
Goethe D‘A r T 2010
von Philipp Otschonovsky
stützen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es sicher
Japanologenstudierende gibt, deren familiäres / gesellschaftliches
Umfeld der Meinung ist, dass man sich mit solch einem Studium auf
geradezu traumhafte Weise für die Arbeitslosigkeit qualifiziere. Dies
beruht jedoch auf keinerlei Datenbasis durch Umfragen unter
Absolventen des Faches und muss daher zurückgewiesen werden.
Auch wenn der weltweite „Bedarf “ an Japanologen natürlich geringer ist als der an Jura- oder BWL-Studierenden sollten doch mindestens zwei Dinge nicht außer Acht gelassen werden: Zum einen die
Tatsache, dass die Anzahl der Studierenden, die sich für eben jene
Studiengänge mit konkretem Berufsbild entscheiden, wesentlich höher
ist als die der Personen, die ein Japanologiestudium aufnehmen. Der
Konkurrenzdruck ist somit ebenfalls viel höher. Zum anderen, dass die
Wahl des Faches noch niemandem einen Arbeitsplatz gesichert hat.
Ohne entsprechende Qualifikationen und Begeisterung für ihren
Arbeitsbereich, ohne die Fähigkeit, sich aus der Masse abzuheben, werden auch diese Studierenden nicht zwingend eine Arbeit finden.
An dieser Stelle soll noch einmal aufgezeigt werden, in welchen
Branchen und Funktionen Japanologen tätig werden können:
Wenden wir uns dem Alltag eines Studenten der Japanologie zu.
Stress!
Es liegt in der Natur des Studiums und des Erlernens einer Sprache,
dass sämtliches Wissen permanent abrufbar sein und daher wiederholt
werden sollte. Man muss also stets auf der Hut vor der so genannten
„Schüler-Bulimie“ sein. Das heißt, während der Schulzeit mag es theoretisch noch möglich sein, Lernstoff lediglich für eine Prüfung zu pauken und ihn anschließend wieder zu vergessen. Als Student endet dies
katastrophal, eine Tatsache, die selbstverständlich für jeden
Studiengang gilt. Insbesondere beim Sprachstudium muss bedacht
werden, dass die Sprache selbst stets nur als „Werkzeug“ fungiert. Ohne
brauchbares „Werkzeug“ ist es folglich schwierig, inhaltlich zu arbeiten,
sich mit dem „Werkstoff “ auseinanderzusetzen. Hat man nun diese
gesunde Lerneinstellung, kann es losgehen. Das erste Semester beginnt
mit den folgenden Inhalten:
Perspektiven
Der„Keroppi-Schrein“ in einem
Büro der Frankfurter
Japanologie.
1. Grammatikalische Erscheinungen
2. Vokabeln
3. kanji
(chinesische Schriftzeichen, welche im Japanischen verwendet werden)
4. Fakten bezüglich Kultur, Landeskunde und Geschichte
5. Ab dem dritten Fachsemester: Fachkenntnisse in zwei von vier
Wahlpflichtbereichen der Japanologie Frankfurt (1. Literatur- und
Kultur Japans, 2. Japanische Kultur- und Ideengeschichte, 3.
Japanische Wirtschaft, 4. Japanisches Recht, zu wählen ab dem 3.
Fachsemester)
Jede Woche erwarten Studenten Spiel, Spaß und Spannung in Form
von grammatikalischen Phänomenen und Vokabeln. Insbesondere gibt
es vom japanischen Kultusministerium noch 1945 kanji frei Haus, welche neben dem Grundwissen eines japanischen Abiturienten zu
beherrschen sind. Man möchte schließlich mit seinen japanischen
Freunden so schnell wie möglich auf Japanisch kommunizieren.
Referaten beschäftigt. Aber Moment, da man ja Japanologie und nicht
Japanisch studiert, bedarf es natürlich ferner der Auseinandersetzung
mit Jahreszahlen, Ereignissen, kulturellen Phänomenen und Studien
in den fachlichen Schwerpunkten. Hat man sich nun noch beispielsweise für Sinologie als Nebenfach entschieden, darf der monatliche
Nervenzusammenbruch beruhigt präventiv im Kalender markiert werden.
Ich selbst befinde mich erst im zweiten Semester und wende daher
die meisten meiner Anstrengungen für den Sprachkurs auf. In fortgeschrittenen Fachsemestern nimmt die Zahl der Sprachkurse ab, dafür
kommen inhaltliche Module hinzu. Das heißt, jetzt muss die Sprache
als Werkzeug genutzt werden. Denn, wie bereits oben erwähnt, vermittelt das Fach „Japanologie“ ein größeres Spektrum an Wissen als
nur „Japanisch“.
(mori – der Wald )
Ferner bieten die Dozentinnen und Dozenten diverse
Arbeitsgruppen an. So gibt es unter anderem die „Cool-Japan“-AG, die
sich mit dem Phänomen der japanischen Populärkultur weltweit
beschäftigt, den Arbeitskreis „Delicious Japan“ über japanische
Esskultur, „Ku-Ma“ Kulturmanagement Japanologisch, die
„J-Bungaku AG“ zur zeitgenössischen japanischen Literatur und den
Arbeitskreis japanisches Theater.
Neben dem Erwerb der Sprache ist man auch mit
Prüfungsvorbereitungen, wöchentlichen Leistungsnachweisen und
Abschließend noch einige Anregungen, die bei der Überlegung
helfen könnten, ob man für das Studium der Japanologie geeignet ist:
Um die Ästhetik der japanischen Schrift (eigentlich chinesische
Schriftzeichen)
aufzuzeigen,
hier
ein
Beispiel:
(ki – der Baum)
(hayashi – das Wäldchen)
Ein Studium ist sinnvoll,
wenn man…
- ein tiefgehendes Interesse bezüglich der japanischen Kultur
zu stillen hat
Von einem Studium sollte man
absehen, wenn man…
- es als Nebenfach anpeilt und sich nicht im Klaren darüber
ist, dass selbst der Spracherwerb alleine, also ohne
fundierte Landeskenntnisse zu lernen, sehr zeitaufwendig ist
- viel Ausdauer, Fleiß, Belastbarkeit besitzt
- gutes sprachliches Talent besitzt
- bereit ist, jeden Morgen sofort nach dem Aufstehen diverse
Kanji-Trainingsübungen zu absolvieren
- Anime, Manga und J-Pop für das einzige Charakteristikum
Japans hält und das Fach nicht als ernsthafte, wissenschaftliche Forschung betrachtet
- Angst hat, abends nicht mehr einschlafen zu können, weil
einem eine Kanji-Lesung entfallen ist
Goethe D‘A r T 2010
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Perspektiven
„Freeter“
und „Generation Praktikum“ – ein Vergleich
P
von Michael Schedelik
raktika, Soft Skills, Credit Points, Module – all das begegnet
einem Bachelorstudenten ständig. International und praxisnah soll das Studium sein; vor allem Praktika weden jedem
angehenden Absolventen nahegelegt, wenn er nicht im harten Überlebenskampf der Wirtschaft untergehen möchte. Eines ist sowieso obligatorisch, jedoch wird den Studierenden bei jeder Gelegenheit empfohlen, auch in den Ferien noch mindestens ein oder doch besser zwei
weitere zu absolvieren. Die Furcht, dass sich am Ende der ganze
Aufwand (ganz zu schweigen vom Studium an sich) dennoch nicht
lohnt und man keine geeignete Anstellung findet, schwebt wie ein
Damoklesschwert über den Studenten und wird bei jeder Nachricht
über Finanz- und Wirtschaftskrisen, Arbeitslosenzahlen und gekürzten
Sozialleistungen weiter genährt.
ten Arbeitsmarktbedingungen viele zu einem „Freeter“- Lebensstil
gezwungen werden.
„Generation Praktikum“ – so werden 20- bis 30-jährige junge
Akademiker bezeichnet, die nach ihrem Abschluss nicht sofort eine
reguläre Beschäftigung finden und diese Zeit mit verschiedenen
Praktika überbrücken müssen.
Hier lassen sich eindeutige Parallelen zu der deutschen „Generation
Praktikum“ erkennen: die erschwerten Arbeitsmarktbedingungen und
der durchgreifende Strukturwandel der Beschäftigungsverhältnisse
sind Auslöser für eine tiefe emotionale Prägung der jungen
Berufseinsteiger und Akademiker. Was heißt das nun für die derzeitigen Studenten? Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Vergleich ziehen?
Praxisnähe – ein wesentlicher Aspekt der Bolognareform – fehle den
Absolventen; um diese nachzuholen und ihren „Marktwert“ zu steigern bzw. keine Lücken im Lebenslauf entstehen zu lassen, werden
vielfach schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlungen in Kauf
genommen. Die Angst vor der beruflichen Zukunft und fehlende
Planungssicherheit sind dabei allgegenwärtig. Je länger der Zustand
der nicht-regulären Beschäftigung andauert, desto mehr rücken der
Anspruch auf berufliche Selbstentfaltung und angenehme
Arbeitsbedingungen in den Hintergrund und einzig die materielle
Sicherheit wird als Kriterium für die Berufswahl herangezogen.
Ein vergleichbares Phänomen lässt sich in Japan feststellen, wo ähnliche sozioökonomische Bedingungen herrschen – langanhaltende
wirtschaftliche Rezession nach den 1990ern; grundlegender
Wertewandel von bürgerlich-autoritären zu individualistisch-modernen Wertvorstellungen seit den 1960er Jahren; Strukturwandel des
Beschäftigungssystems mit stark gestiegenen nicht-regulären
Beschäftigungsverhältnissen im Zuge neo-liberaler Reformpolitik.
„Freeter“ – steht für „furî arubaitâ“ und leitet sich von dem englischen Wort „free“ und dem deutschen Wort „Arbeit“ ab. Der Begriff
kam Ende der 1980er Jahre auf und bezeichnete zuerst eine eigenständige Randgruppe jugendlicher Berufseinsteiger, welche die lebenslangen Beschäftigungsverhältnisse und die damit einhergehenden engen
Verbindungen mit der Firma ablehnten, um stattdessen ihre individuelle Freiheit ausleben zu können. Dies taten sie, indem sie nur Teilzeitbzw. Aushilfsjobs annahmen und mit weitgehend flexiblen
Arbeitszeiten ihren Alltag selbständig bestritten. Der Begriff war bald
negativ geprägt und stigmatisierte die „Freeter“ als „parasaito“
(Parasiten), die nur ihrem egoistischen Vergnügen nachgehen und
somit eine Gefahr für den wirtschaftlichen Erfolg Japans darstellen.
Mit der Zeit wurde jedoch immer deutlicher, dass durch die veränder26
Goethe D‘A r T 2010
Man unterscheidet also zwei Arten von Freetern: Zum einen solche,
die freiwillig in nicht-regulären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind,
um ihre Freizeit flexibel und eigenständig gestalten zu können. Sie tun
dies entweder aus Mangel an Perspektiven, bzw. wegen schlechter
Erfahrungen im bisherigen Berufsleben, oder als Überbrückungsphase,
um einen Berufswunsch erfüllen zu können (z.B. Musiker). Im
Unterschied dazu gibt es jene, die durch äußere Umstände dazu
gezwungen werden, ein Dasein als „Freeter“ zu fristen, und dieses,
durch unzureichende Planungssicherheit, als äußerste Belastung empfinden.
Abgesehen davon, dass die japanischen Jugendlichen mit ähnlichen
Problemen bzw. Herausforderungen wie ihre deutschen
Altersgenossen zu kämpfen haben, kann man doch einige entscheidende Unterschiede identifizieren. Ein interessanter und wesentlicher
Aspekt ist zum Beispiel, dass sich ein Teil der betroffenen „Freeter“Generation aus freien Stücken für die beschriebene berufliche
Situation, welche auf viele andere so traumatisierend wirkt, entscheidet, um sich mit der dadurch gewonnen Freizeit einen Lebens- oder
Berufstraum zu erfüllen und sich damit selbst zu verwirklichen. Diese
Phase wird also bewusst als Überbrückungszeit angesehen und dient
somit eher als Chance denn als Hindernis.
Meiner Meinung nach können wir der Einstellung dieser jungen
Menschen einiges abgewinnen, denn sie stellen sich mir als wahrlich
selbstbestimmte Individuen dar, die ihren Lebensweg frei wählen und
sich durch vorgegebene gesellschaftliche Strukturen nicht dahingehend
beeinflussen lassen, dass sie ihren eigenen Traum aufgrund von
Konventionen und Zwängen opfern. Selbstverwirklichung und ein
erfülltes Leben lassen sich nicht gleichsetzten mit wirtschaftlichem
Erfolg – dies sollte man sich immer wieder vor Augen führen. Wieso
also haben wir dann soviel Angst vor der Zukunft? Wegen mangelnder
Planungssicherheit? Fehlender Absicherung? – Was lässt sich schon
wirklich glaubwürdig absichern? Ganz gewiss nicht die Zukunft! Man
sollte stattdessen den Blick für wesentlichere Dinge wiedergewinnen,
z.B. für seine Mitmenschen, die Natur, Ideen oder eben - Träume.
Literatur: Carola Hommerich (2008): “Freeter” und “Generation
Praktikum”-Arbeitswerte im Wandel? Ein deutsch-japanischer
Vergleich. München: Iudicum
„yuru-kyara“ –
Der Boom regionaler
Maskottchen in Japan
von Christiane Rühle
D
as Jahr 2008 kennzeichnet den
Höhepunkt des Aufkommens regionaler Maskottchen in Japan. Diese
Maskottchen, in Japan als „Character“1
bezeichnet, sind lokal unterschiedlich gestaltet.
Sie beinhalten jeweils Elemente, die auf regionale Eigenheiten hinweisen, damit so beim
Betrachter unweigerlich eine Assoziation mit
dem jeweiligen Ort bzw. der jeweiligen Region
oder Institution hervorgerufen wird. Sie kommen in Bereichen zum Einsatz, in denen es
darum geht, durch ihr bloßes Auftreten in der
Öffentlichkeit ein ansprechender Repräsentant
einer Region oder Institution zu sein. Regionale
Touristenattraktionen, Feuerwehr- und
Polizeistationen und lokale Behörden benutzen
die ein breites Publikum ansprechenden niedlichen Sympathieträger für ihre jeweiligen Zwecke.
Dieser Artikel soll mithilfe einiger Beispiele einen kurzen Einblick in
die stetig wachsende Sparte des Character-Business geben, das in Japan
inzwischen sowohl aus werbedesigntechnischer als auch aus soziokultureller Sicht einen festen Stellenwert einnimmt.
Das Geschäft mit dem „leichten“ Character
Zwar existiert der vom japanischen Illustrator Miura Jun2 geprägte
Begriff der yuru-kyara schon seit Beginn des neuen Jahrtausends, doch
war es das Jahr 2008, in dem diese, durch ihre Einfachheit im Design
bestechenden Character-Kreationen, vermehrte Aufmerksamkeit durch
die japanischen Medien genossen. Das Wort „kyara“ steht als Kurzform
für das englische Wort „character“ während „yuru“ vom japanischen
Wort „yurui“ kommt, was soviel wie locker, schwach oder leicht bedeutet. In diesem Kontext haftet dem yurui-Begriff eine etwas negative
Konnotation an, im Sinne von unseriös und unfertig, da diese
Maskottchen, häufig von Amateuren, aber auch von professionellen
Designern
entworfen,
trotz
ihrer
unterschiedlichen
Erscheinungsformen immer auf einem gemeinsamen Nenner gebracht
werden können: Ihre Konzeption und Produktion darf aufgrund der
oft leeren Kassen der Landesbehörden nur wenig kosten. Dagegen sind
die Einnahmen durch den Verkauf von Merchandising-Artikeln zu den
„leichten“ Maskottchen häufig beträchtlich. So wurde mit dem
Maskottchen „Hikonyan“3 der Burg Hikone in der Präfektur Shiga,
einer überdimensionalen mit Samuraihelm und Schwert ausgestatteten
Katze, alleine seit ihrer Entstehung 2007 umgerechnet über 12
Millionen Euro Umsatz gemacht.
zen etwa 84% der japanischen Bevölkerung in
irgendeiner Form Character Goods. Die Palette
reicht von Handyanhängern mit den
Lieblingsfiguren aus einem Zeichentrickfilm
über Bleistifte, auf denen eine mit einem niedlichen Gesicht versehene Zahl das Einmaleins
zeigt bis hin zu Hello-Kitty Notizzetteln. Es
erscheint daher nur konsequent, dass nun auch
regionale Institutionen von dieser Entwicklung
profitieren wollen.
Ein anderes Beispiel ist die kleine, südwestlich von Hiroshima gelegene Insel Miyajima,
die für ihre momiji manjû, ein mit süßer roter
Bohnenpaste oder sahniger Creme gefülltes
Gebäck in Ahornblattform bekannt ist.
Natürlich gibt es auch dazu unzählige
Character Goods (siehe Foto).
Von der bizarren Mooskugel mit dem gewissen Etwas
Als einer der kuriosesten und auch national einen hohen
Bekanntheitsgrad genießenden regionalen Character kann wohl
„Marimokkori“, ein Maskottchen der auf der nördlichen Hauptinsel
Hokkaidô gelegenen Ortschaft Akan, gezählt werden. „Marimo“ ist der
Name einer Algenart mit rundlicher Form. Besonders häufig treten die
Mooskugeln im Akan-See auf. „Mokkori“ dagegen bezeichnet
umgangssprachlich eine Erektion. Was nun bei der Kombination dieser
beiden Elemente herauskommt, kann man auf dem Foto sehen: ein
zwar sehr skurriler, jedoch definitiv im Gedächtnis bleibender
Character.
Weiterführende Quellen zum Thema
1 jap. kyarakutâ: Der Ausdruck leitet sich vom englischen Wort „character“ ab. Es ist ein feststehender Begriff
im Bereich des „Character Business“ und wird daher auch im deutschen Sprachraum als solcher benutzt, anstelle des deutschen Begriffs „Charakter“. Unter dem Begriff Character werden in diesem Fall meist fiktive Figuren
betitelt, die entweder in Form von Maskottchen oder Markenfiguren mit Symbolgehalt für Firmen, Produkte
oder sonstige Institutionen zu Werbezwecken eingesetzt werden.
21958 (Kyôto)
3Das Profil von Hikonyan, inklusive der Hobbies und genauen Tätigkeitsbeschreibungen, kann unter folgendem Link abgerufen werden (in Japanisch): http://hikonyan.hikone-150th.jp/profile/
Studie besagt, dass mehr als 80% „Character
Goods“4 besitzen
4jap. kyarakutâ guzzu: Eine sich im Japanischen eingebürgerte, eigentlich falsche englische Bezeichnung für
Produkte, die mit Charactern versehen sind oder einen solchen darstellen. Die korrekte Bezeichnung würde
„character products“ lauten.
Einer Studie des Bandai Character Laboratory5, einer Forschungsabteilung des japanischen Spielzeugherstellers Bandai, zufolge, besit-
5jap. kyara-ken. Die offizielle Homepage ist unter folgendem Link zu erreichen (in Japanisch): http://www.charaken.com/.
Goethe D‘A r T 2010
27
© Christina Plaka / Tokyopop
Manga aus Deutschland
von Maike Schmidt
die japanischen Comics, erscheinen in Deutschland
M anga,
seit 1982. Wirklich bekannt waren sie damals aber noch
nicht. Erst 1997, mit dem Erscheinen von „Sailor Moon“ (jap.: bishôjo
senshi sêrâ mûn) von Takeuchi Naoko und „Dragon Ball“ (jap.: doragon bôru) von Toriyama Akira gelingt den manga der Durchbruch.
Seitdem werden die „Comics im Taschenbuchformat“ von Millionen
Deutschen gelesen, davon sind mehr als die Hälfte junge Mädchen.
Bevor die manga nach Deutschland kamen, hatten Comics hauptsächlich männliche Leser. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass
z.B. Comics aus den USA vor allem Abenteuer-, Superhelden- oder
„Funny“-Thematiken behandeln, die vielleicht eher bei Jungen auf
Interesse stoßen. Mit den manga kam dagegen eine Literaturgattung
auf den deutschen Markt, die sich in ihrer Themenwahl und
Gestaltung auch gezielt an weibliche Leser richtet, nämlich die so
genannten shôjo-, also Mädchenmanga, worunter natürlich auch
romantische Erzählungen mit „hübschen Jungs“, den so genannten
bishônen, fallen.
Für viele der deutschen manga-Fans bleibt es nicht nur beim Lesen.
Sie greifen selbst zu Stift und Papier, und bewerben sich mit ihren eigenen Projekten bei deutschen Verlagen. Bereits im Jahr 2000, also drei
Jahre nach dem Erfolg von „Sailor Moon“ und „Dragon Ball“, erscheint
der erste „deutsche manga“: Bloody Circus, von Jürgen Seebeck. Darin
werden drei Geschichten erzählt, die auf Sagen oder literarischen
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Goethe D‘A r T 2010
Vorlagen basieren und diese mit Elementen aus SF, Horror und
Fantasy vermischen. Auf Jürgen Seebeck folgt 2001 Robert Labs’
„Dragic Master“, in dem ein Schüler zum Helden eines Bürgerkriegs
auf einem fremden Planeten avanciert. Im Jahr 2002 hat dann auch die
erste weibliche manga-Zeichnerin Deutschlands ihr Debüt: Christina
Plaka, mit „Prussian Blue“. Die Zeichnerin arbeitet auch bis heute
erfolgreich an der Fortsetzung ihres Debütwerkes, welche den Titel
„Yonen Buzz“ trägt. Manga-Zeichner werden übrigens in Japan, und
mittlerweile auch in Deutschland, mangaka genannt.
Viele deutsche Verlage haben ihr Programm den manga angepasst
und bieten immer mehr der japanischen Comics an. Aber auch die
Zeichner aus Deutschland werden zunehmend unterstützt. Bei meinen Recherchen konnte ich weit über 100 inländische Zeichner ausfindig machen, die aktiv bei einem Verlag tätig sind oder bereits etwas veröffentlicht haben. Der „Andrang“ bei den Verlagen ist sogar so groß,
dass 2007 bei Carlsen Comics auf jeden veröffentlichten manga eines
deutschen Zeichners knapp hundert Bewerbungen abgelehnt werden
mussten. Verkauft werden von den „deutschen manga“ je nach Serie
zwischen 8.000 und 30.000 Exemplare pro Band.
„Deutsche manga“ müssen sich also nicht hinter ihren japanischen
Vorbildern verstecken. Und ein vielleicht interessantes Detail: Die
meisten deutschen mangaka sind junge Frauen! Einige Werke deutscher mangaka, darunter Christina Plaka oder Judith Park, haben auch
im Ausland Erfolg. Im Gegensatz zu ihren japanischen Kollegen sind
deutsche Mangazeichner auf Signierstunden, Fan-Treffen und im Netz
wesentlich präsenter und erzählen vermehrt Geschichten, die in der
deutschen Alltagsrealität ihrer Leser angesiedelt sind. Vor allem aber
wirken sie als greifbares Vorbild, denn bislang war jeder deutsche mangaka auch selbst einmal Fan, und damit einer unter Millionen anderer
manga-Begeisterten in Deutschland.
Gespräch mit einer deutschen mangaka
Christina Plaka war die erste weibliche mangaka Deutschlands. Bei
dem vom Carlsen Verlag (einer DER großen Verlage, die manga aus
Japan und Deutschland herausgeben) ins Leben gerufenen Wettbewerb
„Manga-Talente 2002“ belegte sie den 1. Platz, und wurde im Alter von
18 Jahren unter Vertrag genommen. Ihr Debütwerk „Prussian Blue“
wurde als fester Bestandteil in das gerade neu entwickelte anthologische Fan-Magazin „Daisuki“ aufgenommen, in dem es fortan erschien.
Mittlerweile hat die deutsche Zeichnerin bereits fünf mangaSammelbände herausgebracht. In einem Interview erzählte mir die
heute 26-jährige Zeichnerin, was sie an manga fasziniert.
Den ersten Kontakt mit dem fremden Stil hatte die Christina Plaka
nicht auf dem Papier, sondern über das Fernsehen. Mit 11 Jahren erlebte sie erstmals einen japanischen anime (Zeichentrick, von engl. „animation“) im deutschen Programm, und war sofort von der Exotik des
fremden Stils und des Schauplatzes angetan. Dieser erste Kontakt war
„Mila Superstar“ (jap.: atakku No. 1), ein Sport-anime um ein junges
Volleyball-Team, der auch Aspekte der japanischen Kultur, Schule,
Gesellschaft und – was sie als besonders wichtig betont – der Sprache
in sich vereinte. Durch diesen ersten, zaghaften Kontakt mit der
Sprache, z. B. über die Namen der Figuren, erwachte in ihr auch der
Wunsch, sich näher mit Japanisch zu befassen. So versuchte sie nicht
nur, den Stil zu adaptieren, sondern sich auch selbst Japanisch beizubringen. Heute ist Christina Plaka, neben ihrer Tätigkeit als mangaka,
Studentin der Japanologie.
Abgesehen vom Element der Exotik kommt die Zeichnerin auch auf
die stilistischen Besonderheiten von manga zu sprechen. Die japanischen Comics haben ihren ganz eigenen Stil und unterscheiden sich
auch in der Erzähltechnik von z.B. US-Comics. Sie sind detailliert und
abstrakt, der Zeichenstil ist simpel, aber gerade deswegen ansprechend
– wenige Striche, großer Effekt!
Detaillierte Hintergrundgestaltung spielt in den japanischen Comics
eine eher untergeordnete Rolle. Die Seiten sind schwarz-weiß gehalten
und werden zur Schattierung oder der Erzeugung von Textur mit
Rasterfolie bearbeitet. Manga benutzen verschiedene Elemente der
Bildsprache: Unglaublich dumme Momente werden durch das
„Umfallen“ einzelner Figuren als Reaktion auf die Dummheit dargestellt („Beine in die Höhe“), für Situationen der Komik werden
Figuren gerne „verkindlicht“ und sind plötzlich nur noch halb so groß,
es gibt „Emotionstropfen“ (Schweißtropfen) als Reaktion auf peinliche
Situationen und vieles mehr. Mangaka arbeiten mit verschiedenen
Perspektiven und visuellen Effekten; einzelne Handlungsabläufe
erstrecken sich über mehrere Seiten, für die ein US-Comic nur eine
einzelne Seite genutzt hätte. Das Einsetzen solcher so genannter „cinematic techniques“ führt zu kamera-ähnlichen Effekten, wie man sie
aus Filmen kennt. Im Vergleich zu den US-Comic-Zeichnern arbeiten
mangaka mit weniger Text, dafür aber mehr und oft auch größeren
Bildern, verteilt auf mehrere hundert Seiten pro Band.
Doch abgesehen von dem Stil mag Christina Plaka besonders das
„sympathische Auftreten“ und die „Menschlichkeit“ der Figuren, den
Tiefgang der Geschichten und das Serienformat (z.B. „Dragonball“
und „Sailormoon“ erschienen in 42 bzw. 18 Sammelbänden). Obwohl
sich die Zeichnerin seit ihrer Grundschulzeit auch für US-Comics
begeisterte, lag deren Nachteil doch eindeutig in der Tatsache, dass die
abgebildeten Figuren – meist Superhelden der „Marvel“-Comics –
keine glaubhaften, da keine menschlichen, Schwächen hatten. Die
Stärke der Figuren in manga besteht darin, dass sie eine Entwicklung
durchmachen, sich Alltagsproblemen und Herausforderungen stellen,
an ihren Schwächen wachsen und aus ihren Fehlern lernen.
Dieses Konzept hat sie auch in ihre eigenen manga übernommen. In
„Prussian Blue“ geht es um eine Musikband, die sich ihren Weg von
einer Underground-Band bis zum Plattenvertrag hocharbeitet, und
dabei allerlei Höhen und Tiefen überstehen muss. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Charaktere, darunter die dominante und
zielstrebige Saiyuri, der ruhige und fast verschlossene Jun, der lebendige und spontane Keigo und der geheimnisvolle und coole Atsushi,
beschwören in der Musiker-WG allerlei Komplikationen und
Meinungsverschiedenheiten herauf. Einfacher wird es auch nicht, als
sich die Bandmitglieder Jun und Saiyuri ineinander verlieben…
Falls ihr jetzt Lust bekommen habt, selbst einmal in einen deutschen
manga reinzuschnuppern, dürften euch die folgenden Links bei der
ersten Orientierung helfen.
Kleine Auswahl deutscher
mangaka und ihrer Homepages:
Buschova, Lenka: http://nekoli.myblog.de/ („Freaky Angel“)
DuO: http://www.manga-sushi.net/ („Mon-Star Attack“,
„Indépendent“)
Garden, Zofia: http://myblog.de/zofia („Im Namen des
Sohnes“, „Killing Iago“)
Hage, Anike: http://www.snow-flake.jp.pn/ („Gothic Sports“,
„Die Wolke“)
Jeltsch, Rebecca: http://rebecca-jeltsch.weebly.com/
(„A Demon’s Kiss“)
Park, Judith: http://www.judithpark.com/ („Dystopia“,
„Y-Square“, „Y-Square Plus“, „Ravine“, „Luxus“, „Kimchi“)
Rogalski, Olga: http://freenet-homepage.de/angelwing/
(„Strike Back“, „Triple Witching Hour“, „Tränen eines Engels“)
Sann, Marie: http://www.marie-sann.de/ („Sketchbook
Berlin“, „Krähen“)
Sindram, Fahr: http://fahrlight.free.fr/ („Losing Neverland“)
Völker, Alexandra: http://www.xela-city.de/ („Catwalk“,
„Make A Date“, „Paris“)
Werner, Nina: http://www.koibito.de/ („Jibun-Jishin“)
Wormsbecher, Natalie: http://www.menolly.de/ („Summer
Rain“, „Dämonenjunge Lain“, „Life Tree’s Guardian“)
... und natürlich Christina Plaka mit „Prussian Blue“ und
„Yonen Buzz“, zu finden auf der Homepage des Tokyopop
Verlag:http://www.tokyopop.de/buecher/manga/yonen_buzz
/autor.php
Goethe D‘A r T 2010
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Cos
30
Goethe D‘A r T 2010
play
Fotos von: JIRÉ GÖZEN PHOTOGRAPHY
STREET AND EVENT PHOTOGRAPHER – GERMANY AND JAPAN
M.A. in Theater-, Film- & Media Studies from Goethe University, Frankfurt.
Dissertation in Media Studies in Frankfurt, Düsseldorf and Tokyo.
Exhibitions in Berlin, Frankfurt, Köln, Istanbul, Tokyo and Vienna.
Email: [email protected]
http://www.nachtkatze.de
Goethe D‘A r T 2010
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Japan im Pen und Paper Role
Playing Game Shadowrun
von Kyra Jäger
W
ir befinden uns im Jahr 2070. Die japanische Bevölkerung ist
mit Cyber- und Biowareimplantaten ausgestattet, man kommuniziert via Matrix. Das Tagesgeschäft dreht sich um Waffen, es geht
um dein Schicksal, das nur deinen Erfolg oder deine Niederlage kennt.
Die Welt ist dunkel und trist trotz der farbenprächtigen menschlichen
und nichtmenschlichen Völker und Kulturen, denn riesige Konzerne
bestimmen den Verlauf der Dinge, und deine Aufgabe ist es, den Spieß
umzudrehen, und zwar mittels eines Auftrags, eines Run.
Dies ist die Welt von Shadowrun, einem von vielen „Pen and Paper“
- Rollenspielsystemen, bei denen es im Allgemeinen darum geht, mit
einem selbst erfundenen Charakter – Avatar – in der jeweiligen
Spielwelt zu agieren, die durch eine Vielzahl von unterschiedlichen
Organisationen und Gruppen sowie einem hohen technologischen
Standard sehr komplex ausgestattet und nur schwer zu überschauen ist.
Gespielt wird mit Stift, Papier und viel Einfühlungsvermögen.
Es gibt Regelwerke, welche die Funktionen der vielschichtigen
Institutionen erklären, Möglichkeiten zur Charaktererstellung aufzeigen und manchmal auch vorgefertigte Abenteuer beinhalten, welche
die Spieler nachspielen können. Die Geschichte, in der sich die erfundenen Charaktere behaupten müssen, wird von einem Spielleiter
erzählt. Der Phantasie der Spieler bleibt es überlassen, wie ihre
Charaktere auf die ihnen auferlegten Aufgaben reagieren und zu welchen Handlungen sie sich entschließen. Wenn Spieler und Spielleiter
erfolgreich interagieren, ist das Spiel für mich persönlich immer wie
eine Mischung aus Geschichten schreiben und Schauspielern, alle
Teilnehmer sind dann sehr konzentriert und man kann sich umso besser in seine Figur und die Spielwelt, wie auch in das im Spiel entworfene Japan, hineindenken und einfühlen.
Einen Eindruck, wie gewalt(tät)ig und mächtig dieses Japan in
Shadowrun dargestellt wird, soll ein Auszug aus der englischen Version
(Eigenübersetzung, gekürzt) der 4. Edition des Regelwerks aufzeigen.
„2005 erklärte Südkorea (gestärkt durch japanische
Geschäftsinteressen) Nordkorea den Krieg. Und was tat Nordkorea?
Im Jahr 2006 startete es den fruchtlosen Versuch, Japan mit Raketen zu
beschießen, um die Japaner davon abzubringen, Südkorea weiter zu
unterstützen. Doch die Sprengsätze detonierten nicht, und Nordkorea
wurde bis zum Ende des Jahres überrannt. Zu diesem Zeitpunkt
benannte sich Japan selbst in den „Japanischen Imperialen Staat“ (JIP)
um – offensichtlich die glorreichen Tage vor dem Zweiten Weltkrieg in
Erinnerung rufend…
Aber das ist nicht alles. Der JIP stellte daraufhin den ersten einer
ganzen Flotte von solarbetriebenen Satellitenkollektoren auf, um
Mikrowellenenergie an die Rezeptoren auf der Erdoberfläche auszustrahlen. Diese relativ billige Methode, um Energie in isolierte Gebiete
zu verteilen, erlaubte es Japan, eine virtuelle Übernahme der Dritten
Welt in Gang zu setzen.
Danach kehrte es als Militärmacht zurück, und übte seine Macht an
den Leuten aus den Philippinen und aus San Francisco aus.“
Dieses martialische Japan beherrscht jedoch nicht nur als
Militärmacht weite Teile der Shadowrun-Weltpolitik, sondern ist auch
eine gnadenlos unbarmherzig agierende Wirtschaftsmacht. Insgesamt
fünfzig Prozent der internationalen Megakonzerne, die Fuchi,
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Goethe D‘A r T 2010
Yamatetsu und Renraku, Mitsuhama Computer Technologies und
Shiawase Corporation heißen, haben ihre Wurzeln in Japan. Die
Währung in Shadowrun ist „Nuyen“ (New Yen ausgesprochen).
Neben den meist nicht ganz legal agierenden Konzernen gibt es
noch unzählige weitere kriminelle Elemente in Shadowrun, so z.B. die
Organisation der Yakuza, die (laut Regelwerk) eine altehrwürdige kriminelle Organisation ist, die ihren Mitgliedern absolute Treue abverlangt und Vergehen harsch bestraft. Die Mitglieder haben meistens die
japanische Staatsbürgerschaft, sind männlich, identifizieren sich stark
über Tätowierungen und lassen manchmal den kleinen Finger an der
Hand vermissen. Ihre Haupteinflussbereiche liegen in der Prostitution,
im Glücksspiel, im Drogengeschäft und in der sokaiya, bei der Firmen
unter Druck gesetzt werden um zu Krediten und Macht zu gelangen.
Bei der eigenen Charaktererschaffung kann man auf viele „japanische“ Elemente zurückgreifen: Die Attribute des „Street Samurai“, der
neben allerhand Erfahrung im Kampf und in der Zen-Meditation auch
Kenntnisse der japanischen Sprache besitzt, ist hierfür ein Beispiel.
Aber es gibt auch „Alltagsgegenstände“ mit (pseudo-)japanischem
Flair zu erwerben und zu nutzen: Die Droge „Kamikaze“ birgt die
Gefahr, dass der Konsument aus lauter Selbstüberschätzung nicht
mehr auf seinen Körper achtet und stirbt. Katanas und Shuriken sind
gebräuchliche Waffen, die man in jedem besser sortierten
Waffengeschäft erstehen kann.
Kurzum: Japan ist in Shadowrun überall vertreten und weiß seine
Interessen durchzusetzen. Dabei geht es auch über Leichen.
Das Spielprinzip, die Komplexität und die politisch-wirtschaftlichen
bis hin zur Kriminalität motivierten Abenteuer richten sich an
Erwachsene. Die Spielwelt soll gefährlich wirken, mancherorts verloren. Als (Anti)-Held schlägt man sich in dieser Dystopie durch und versucht so gut es geht, unbeschadet den Tag zu überstehen. Positive
Einflüsse sind rar gesät. Obgleich auch konfliktreiche Attribute aus
anderen Nationen in das Spielkonzept eingebettet sind, und auch
andere Nationen durchaus eine Rolle spielen, ist gerade das im Spiel
kolportierte Japanbild interessant. Zwar wurden alle Fakten über Japan
zugunsten der Stimmigkeit des Spiels verändert, doch bleibt der eigentlich kritische Blick der Autoren an vielen Stellen unübersehbar und regt
zum Nachdenken an. Wenn man sich länger mit dem realen Japan
beschäftigt und Spielbeschreibungen mit ihm vergleicht, erkennt man
zuweilen Pointen, Seitenhiebe und ab und an auch eine kleine
Hommage an das düstere, aber dennoch überlegen coole „Setting“
Japan. Zuweilen ist man dazu geneigt, Parallelen zu dem Film Blade
Runner zu ziehen, der im selben Jahrzehnt auf den Markt kam wie
Shadowrun.
Wer Lust hat, sich mit den größtenteils ausgedachten Tücken des
(kriminellen) japanischen Alltags im wahrsten Sinne des Wortes herumzuschlagen, und bei den dargestellten Klischees ein Auge
zudrücken kann, den erwartet eine phantasievolle Zukunftsvision, die
gewiss mit einigen Ängsten westlicher Ökonomen aus der Zeit des
japanischen Wirtschaftswunders Vieles gemeinsam hat.
Ich frage mich nur, wann ein Pen and Paper Spiel mit China als
einem der größten und jüngsten Wirtschaftsmagnaten herauskommen
wird…
Japanische
Videospiele
von Anja Catharina Junghenn
E
rinnerungen werden wach, wenn der Begriff „Pokémon“ fällt:
Einige fühlen sich in ihre Kindheit zurückversetzt, in der sie
selbst gemeinsam mit Freunden auf dem Gameboy – der euch sicherlich noch bekannten kleinen tragbaren Konsole der japanischen Firma
Nintendo – die Pokémon-Spiele spielten. Andere wiederum erlebten
als Erwachsene, wie ihre eigenen Kinder Liebhaber der knuddeligen
Tiere wurden, und unterdrücken wohl heute noch einen Seufzer, wenn
sie nur daran denken, wie viel Geld sie damals dafür ausgegeben
haben.
„Pokémon“ hat unser (wie auch immer geartetes) europäisches
Denken über japanische Videospiele in großem Maße geprägt, schließlich gelang keiner anderen Spielwelt aus Japan ein derartiger
Durchbruch, wie er „Pokémon“ beschert war. Doch unabhängig davon,
ob wir nun etwas Positives oder Negatives damit verbinden, ist es für
die meisten lediglich ein Spiel, ein Unterhaltungsmedium.
Tatsächlich jedoch verbirgt sich hinter solchen Spielen meiner
Ansicht nach oft mehr als nur der „Kinderkram“ aus alten Tagen, auf
den sie oft reduziert werden. Viele, auch der neuen Spiele, bieten ein
kulturelles Hintergrundwissen, welches man nur erfassen kann, wenn
man sich genauer mit der Materie auseinandersetzt.
Zu ihnen gehört auch das Pokémon-Spiel:
Oberflächlich betrachtet ist Pokémon ein Fangspiel, bei dem es gilt,
möglichst viele Pokémon zu sammeln und sie gegen die im Verlauf des
Spiels immer stärker werdenden Gegner nach einem harten Training
einzusetzen. Wirft man jedoch auch einen Blick auf die Kulisse des
Spiels, entdeckt man in den Stadtbildern traditionelle japanische
Tempelbauten und Schreine, deren Schutzpatrone mystische Pokémon
sind, die im Spiel den Platz der Götter aus der japanischen Mythologie
einnehmen. Besucht man die Pokémon-Friedhöfe, denen eine eigenartige spirituelle Atmosphäre innewohnt, und wo der gewohnte Frohsinn
und die Leichtigkeit der Spielwelt verschwunden scheinen, stellt man
fest, dass auch ernste Themen den Pokémon-Spielen nicht fremd sind.
Noch tiefer in die japanische Kultur eintauchen kann man mit dem
Spiel „The Legend of Zelda – Majora’s Mask“, das ebenfalls für
Nintendo 64 entwickelt wurde. Wie der Titel bereits vermuten lässt,
spielen Masken in diesem Spiel die Hauptrolle: So ist der eigentliche
Gegner des Spiels eine von einem bösen Geist beseelte Maske. Auch
sind Masken die Belohnung für erfolgreich absolvierte Rätsel. Dabei
sind diese Abbildungen real existierender Masken und erfüllen zuweilen auch deren Funktionen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die
Fuchsmaske an den Fuchsgeist Kitsune (vgl. S. 15) aus der japanischen
Mythologie angelehnt und die so genannten Verwandlungsmasken des
Spiels erinnern an die Masken des traditionellen japanischen NôTheaters. Ebenso wie dem Theaterschauspieler erlauben sie dem
Spieler von The Legend of Zelda die Rolle derjenigen Person zu übernehmen, deren Maske er aufsetzt.
Schließlich gibt es nun auch japanische Videospiele, die sich nicht
mit der eigenen Kultur sondern mit anderen Kulturkreisen befassen,
wie zum Beispiel das Spiel „Tales of Symphonia“, erschienen für den
Nintendo GameCube. In diesem Spiel trifft man auf unzählige
Namen, die eigentlich aus der nordischen Sagenwelt stammen: Orte
namens Asgard oder Niflheim, Waffen benannt nach mächtigen
Drachen wie Fafnir oder Personen mit dem Nachnamen Yggdrasill –
eigentlich der Name des mystischen Lebensbaumes – lassen keinen
Zweifel daran, dass hier nicht nur ein seichtes Unterhaltungsmedium
produziert wurde.
Diese Beispiele sollen demonstrieren, dass es sich bei Videospielen
nicht zwangsläufig um einen „lebenszeitfressenden Firlefanz“ handeln
muss. Vielleicht greift ja der eine oder andere (wieder) zur Konsole um
sich Japan auf eine unterhaltsame Weise zu nähern.
Ähnliche Kulissen, wie traditionell gebaute Häuser, Schlösser und
Tempel finden sich auch im Spiel „Mystical Ninja“ für Nintendo 64
wieder, bei dem der Name schon vermuten lässt, dass dieses Spiel nicht
in der Moderne angesiedelt ist. Vielmehr bewegt man sich durch das
alte Edo (früherer Name Tôkyôs) und das frühmoderne Japan, von der
nördlichsten Insel Hokkaidô bis in den Südwesten nach Kyûshû, und
erlebt dort mit der Spielfigur Goemon die aberwitzigsten Abenteuer.
Ihr Name kommt nicht von ungefähr: Die Endung „-emon“ ist in dieser Epoche sehr häufig anzutreffen, wie etwa bei dem edozeitlichen
japanischen Dramatiker namens Monzaemon Chikamatsu.
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Fotos: Regis Dudena, Ruy Filho und Daniel Sayuri Saito
Migration
102 Jahre
von Cecília Himmelseher
Japaner in Brasilien
A
m 18. Juni 1908 kommt das Schiff Kasato Maru mit den ersten japanischen Familien im Hafen von Santos, Brasilien, an.
Die meisten der 165 Passagiere sind Bauern aus den armen
Landregionen Japans. Sie kommen mit der Hoffnung auf eine bessere
Zukunft nach Brasilien. Diese Hoffnung ist nicht unberechtigt, denn
in Brasilien boomt die Wirtschaft und es werden händeringend
Landarbeiter für die Kaffeeernte in São Paulo gesucht. Da diese in
nicht ausreichender Zahl im eigenen Land zu finden sind, vereinbart
Brasilien mit Japan ein Migrationsabkommen, in dessen Verlauf tausende von japanischen Bauern bis in die 30er Jahre hinein nach
Brasilien emigrieren. Sie werden freundlich aufgenommen und gelten
als die „Soldaten des Glücks“ (Eintrag im Logbuch der Kasato Maru).
Zu ihnen gehören die Großeltern meiner Freundin Cinthia Sayuri
Saito (22). Sie waren noch Kinder und Jugendliche, als sie mit ihren
Eltern nach Brasilien kamen.
In Brasilien leben heute rund 1,5 Mio. Nikkeis, japanische
Nachkommen. Die meisten (75 %) sind wie ihre Vorfahren im
Bundesland São Paulo registriert, 40% davon in der Stadt São Paulo.
Weitere 15 % leben im Süden Brasiliens, insbesondere im Bundesland
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Goethe D‘A r T 2010
Paraná, und 10% in den anderen Bundesländern.
Ich beschließe, Cinthia für einige Tage zu besuchen. Sie wohnt mit
ihren Eltern in Rio de Janeiro, während der Großteil ihrer
Verwandtschaft weiterhin in dem von Japanern geprägten Landesteil
São Paulo beheimatet ist. „Obwohl wir bereits in der dritten Generation
in Brasilien leben, fühlen wir uns unserer japanischen Herkunft innerlich sehr verbunden“, meint Cinthia. „In unserem Alltag spielt die japanische Kultur noch eine große Rolle, zum Beispiel essen wir ausschließlich den traditionellen japanischen Reis, der in Wasser gekocht
wird und weder Salz noch andere Gewürze enthalten darf. Wenn
jemand stirbt, schicken wir den Hinterbliebenen nicht, wie in Brasilien
üblich, Blumen, sondern Geld. Denn wir denken, dass Geld der
‘Familie des Todes’ mehr hilft.“
Die Toten erhalten in den traditionell lebenden japanischen
Familien auch unter den Lebenden ihren angestammten Platz. In vielen Haushalten der weitläufigen Familie Santos ist ein Schrein mit
Fotos der verstorbenen Vorfahren aufgestellt, vor dem Früchte, Speisen,
kleine Gläser mit Getränken und Blumen stehen. „Wir ehren unsere
Vorfahren“, erklärt Cinthias Cousine Lise Cristina Matsumoto (41),
„schließlich sind sie der Ursprung der Familie.“ Doch nicht jedes
Familienmitglied teilt diese Ansicht. „In meiner Familie legen die
Frauen mehr Wert auf ihre Herkunft und die Bewahrung japanischer
Traditionen als die Männer“, sagt Cinthia, „zwei meiner Onkels haben
Brasilianerinnen geheiratet und sich dadurch von einem traditionell
japanischen Leben distanziert.“
Cinthias Cousin Bruno Eduardo Okano Saito (25) ist stolz, noch
Japanisch zu können, denn selbst unter den traditionell lebenden
Familienmitgliedern ist dies nicht unbedingt selbstverständlich. Seine
Sprachkenntnisse beruhen auf dem engen Kontakt zu seiner
Großmutter, die 1934 als 18-Jährige nach Brasilien emigrierte. Aber
auch São Paulos berühmter japanischer Stadtteil Liberdade und zahlreiche japanische Festivals bieten Gelegenheit, die Sprache weiter zu
pflegen. „Liberdade musst du unbedingt gesehen haben“, versichern
mir Cinthia und ihr Cousin, „denn dort bekommst du alles angeboten,
was es an Japanischem gibt.“ Kurzerhand beschließen wir eine Fahrt
dorthin.
Liberdade, São Paulo
Liberdadade ist ein orientalischer Stadtteil im Herzen São Paulos.
Ein Ort, wo sich der japanische Einfluss durch japanische Lampen,
japanische Geschäftsschilder und entsprechend thematische Märkte
bemerkbar macht. Dort werden traditionelle Kleidungen, zahlreiche
elektronische Geräte japanischer Hersteller, orientalische Gewürze,
Manga, Filme und Artikel japanischer Pop Kultur verkauft. Ich entdecke Behandlungshäuser, die Massage, Shiatsu und Naturelle-Therapie
anbieten, orientalische Kampf-Kunst-Schulen, Karaokê-Bars, ein japanisches Theater und zahlreiche Musik-Häuser mit japanischer Musik.
Angeboten werden Kurse in Origami, Volkstanz und japanischer
Kalligraphie. Ich überlege mir, ob ich die Gelegenheit nutzen und
mich in die Kunst der Teezeremonie einweisen lassen sollte. „Gut, dass
du am 7. Juli noch hier bist“, reißt Cinthia mich aus meinen Gedanken,
„dann können wir auf das Tanabata-Fest gehen. Am Tanabata Matsuri
ist ordentlich was los in Liberdade. Jedes Jahr kommen zigtausend
Leute, um ihre Wünsche auf einen Zettel zu schreiben und an einen
Bambusbaum zu hängen.“
Das Tanabata-Fest erinnert an die Liebesgeschichte eines alten
Ehepaares, das getrennt leben musste und sich nur einmal im Jahr in
der Nacht des 7. Juli treffen konnte. Es heißt auch Sternen-Fest, da sich
zeitgleich die beiden Sterne „Wega“ und „Altair“ am Himmel trafen.
Da dieses Zusammentreffen kein reiner Zufall sein konnte, glauben die
Leute bis heute, dass in dieser Nacht alle Wünsche in Erfüllung gehen.
Ich nehme mir vor, auch einen Wunschzettel an den Bambusbaum zu
hängen!
Die Brasilianische Gesellschaft für Japanische Kultur (Bunkyo,
Sociedade Brasileira de Cultura Japonesa) organisiert jedes Jahr mehrere japanische Feste in São Paulo, wie das Japanische-Kultur-Festival
und das Hina Matsuri-Festival. Im Jahr 1978 wurde auf ihre Initiative
hin das Historische Museum für Japanische Immigration (Museu
Histórico da Imigração Japonesa) im Stadtteil Liberdade eröffnet. In
seinen Ausstellungen wird das Leben der japanischen Migranten in
Brasilien dokumentiert.
Seit den 80er Jahren ist in Brasilien jedoch ein gegenläufiger Trend
unter den japanischen Nachkommen zu beobachten, der
Migrationsstrom verläuft in die umgekehrte Richtung: viele Nikkeis –
auch aus Cinthias Familie – kehren zurück nach Japan. Heute leben in
Japan mehr als 300.000 Enkel der ehemals nach Brasilien emigrierten
japanischen Familien, um in der Industrie ihren Unterhalt zu verdienen. Sie sind die neuen „Soldaten des Glücks“.
Goethe D‘A r T 2010
35
Migration
Sakerinha
von Priscila Lopes Cavichioli
Einwanderern kam auch der Reisschnaps
M it– denSakejapanischen
– nach Brasilien. Seit 1934 wird er offiziell in
Brasilien destilliert und nicht nur in den von Japanern bewohnten brasilianischen Landesteilen getrunken. Heute ist er ein wesentlicher
Bestandteil des beliebten Cocktails Sakerinha.
Der namentliche Gleichklang mit unserer landestypischen
Caipirinha ist nicht rein zufällig und uns ein willkommener Anlass für
Spekulationen. Wie es zu dem Getränk kam, lässt sich im Nachhinein
nur schwer rekonstruieren, die wahren Hintergründe werden wohl für
immer verborgen bleiben. Möglicherweise war jemand in Not und
hatte keinen brasilianischen Schnaps, Cachaça, mehr im Hause, oder
jemand hatte Lust am Kreieren eines neuen Getränks und experimentierte, möglicherweise griff jemand aber nur versehentlich nach der
falschen Flasche. Was auch immer die Beweggründe gewesen sein
mochten, das Resultat war, dass in die traditionell brasilianische
Caipirinha auf wundersame Weise statt des obligatorischen Cachaça
Sake hinzugegeben wurde. Eine kulinarische Revolution! Es war die
Geburtsstunde eines neuen Getränks, der „Sakerinha“, auch
„Caipisake“ genannt. Sie ist ein Beispiel für die gegenseitige
Bereicherung unterschiedlicher Kulturen und überzeugte Japaner und
Brasilianer gleichermaßen.
Aufgrund des hervorragenden Geschmacks ist Sakerinha heute in
ganz Brasilien verbreitet. Besonders aber in dem von Japanern beeinflussten Landesteil São Paulo empfiehlt es sich, wenigstens einmal
Sakerinha getrunken zu haben.
Für diejenigen, die statt „Caipi“ einmal „Saki“ trinken möchten, gibt
es die Rezepte im Anschluss. Probiert Sakerinha selbst aus! Vielleicht
inspiriert euch der Cocktail ja zu einer eigenen kulinarischen
Entwicklung eurer landestypischen Speisen und Getränke!
36
Goethe D‘A r T 2010
Sake
„Sake“, landläufig als Reisschnaps bekannt, ist im
Japanischen eigentlich ein Oberbegriff für alkoholische
Getränke. Mit der Zeit setzte sich dieser Begriff aber als
Bezeichnung für Reiswein (Nihonschuu) durch.
Man ist sich uneinig über die Herkunft von Sake. Die einen
sagen, Sake wurde vor ca. 7.000 Jahren in China zum ersten
Mal getrunken und in Japan volkstümlich gemacht, andere
wiederum behaupten, es gebe Belege dafür, dass es ein
ursprünglich japanisches Getränk sei. Wie auch immer, einig
ist man sich darüber, dass es ein Getränk war, das ausschließlich in privilegierten gesellschaftlichen Kreisen getrunken
wurde.
Sake ist eigentlich ein sehr reines Getränk, es besteht lediglich aus Reis und Wasser, das zum Gären, fachsprachlich
Fermentieren,
gebracht
wird.
Ein
besonderes
Qualitätsmerkmal von Sake ist die Polierung des Reises. Je
mehr er poliert wird, desto feiner wird der Geschmack.
Durchschnittlich enthält Sake zwischen 15 und 16 Prozent
Alkohol.
Beim Kauf ist zu unterscheiden zwischen dem preisgünstigeren Standard-Sake und Premium-Sake. Dem Standard-Sake,
der 80% der Herstellung ausmacht, wird Alkohol in größeren
Mengen zugefügt. Dadurch wird die Herstellung beschleunigt
und kostengünstiger. Dem Premium-Sake dagegen wird kein
weiterer Alkohol zugesetzt, er ist somit rein und von höherer
Qualität.
Sake wird in Japan im Allgemeinen nicht in gewöhnlichen
Bechern serviert sondern in eigens dafür vorgesehenen quadratischen Holzgefäßen.
Man trinkt Sake bevorzugt bei wichtigen Anlässen, wie beispielsweise bei Gedenkfeiern, an Neujahr oder zur Hochzeit.
Für die Serviertemperatur gibt es keine Vorschrift, ob kalt,
warm oder heiß, Sake ist bei jeder Temperatur genießbar.
Man kann Sake vor dem Essen als Aperitif oder nach dem
Essen als Digestif in einem Zug trinken.
Sake wird oft zu Sushi getrunken. Feinschmeckern dreht sich
bei diesem Anblick jedoch der Magen herum. Sie sind der
Meinung, dass der essiggesäuerte Reis, mit dem Sushi
gewöhnlich hergestellt wird, den Geschmack von Sake verdirbt. Dennoch werden in der Öffentlichkeit weiterhin Sushi
und Sake als das „perfekte Paar“ serviert. So kann jeder seinen Vorlieben ungehemmt nachgehen!
Fotos: Regis Dudena und Ruy Filho
CocktailRezepte
Erdbeeren Sakerinha
Zutaten:
- 4cl Sake
- 6 – 8 Erdbeeren
- 1 Teelöffel weißer Zucker
- zerstoßenes Eis
Limette Sakerinha
Zutaten:
- 4cl Sake
- 1 Limette
- 1 Teelöffel weißer Zucker
- zerstoßenes Eis
Kiwi Sakerinha
Zutaten:
- 4cl Sake
- 1 ? Kiwi
- 1 Teelöffel weißer Zucker
- zerstoßenes Eis
Maracuja Sakerinha
Zutaten:
- 4cl Sake
- 1 Maracuja
- 1 Teelöffel weißer Zucker
- zerstoßenes Eis
- Minze
Goethe D‘A r T 2010
37
Migration
JapanerInnen in Deutschland
oder von der Schwierigkeit, sich diesem Thema zu nähern
von Agnieszka Satola
U
rsprünglich hatte ich die Absicht für die Zeitschrift Goethe
D’ArT einen Artikel zu dem Thema japanische
MigrantInnen in Deutschland – insbesondere in Frankfurt am Main –
zu schreiben. Seit mehreren Jahren setze ich mich in meiner
Dissertation intensiv mit dem Thema der Migration auseinander,
jedoch mit einem anderen Forschungsinteresse, so dass die Ergebnisse
meiner Untersuchungen nicht auf die spezifische Personengruppe der
japanischen MigrantInnen übertragbar sind. Deshalb versuchte ich
mehr über die Situation der JapanerInnen in Deutschland in
Erfahrung zu bringen und stieß bei meinen Recherchen auf folgende
Studien, die zumindest dem Titel nach einen Bezug zu meinem
Thema zu haben schienen:
Jovanovic, Inga (2002): Japaner in Frankfurt. Eine empirische
Untersuchung über den Integrationsprozess vermeintlicher Exoten.
(Magisterarbeit)
Schmidt, Takeo (2004):Japaner in Deutschland. Eine Untersuchung über
die Lebens- und Anpassungssituation der japanischen „Permanent
Residents“. (Diplomarbeit)
Doch schon bald wurde mir deutlich, dass ich die in den beiden
Studien vertretene kulturalistische Perspektive, inwieweit sich
JapanerInnen in Deutschland integrieren, für einen falschen Ansatz
hielt, sich dem Thema zu nähern. Beide Studien kommen zu dem
Ergebnis, dass sich die von der aufnehmenden Gesellschaft geforderte
Anpassungsleistung und die Weigerung der migrierten Gruppe sich
anzupassen diametral entgegenstehen. Eine derartige Schlussfolgerung
überrascht nicht weiter, hat aber weitreichende Konsequenzen, leistet
sie doch einer Stigmatisierung der JapanerInnen als eine exotische
Minderheit Vorschub, die von sich aus keinen Integrationswillen zeigt.
Der enge Rahmen dieses Artikels erlaubt es nicht weiter die Studien zu
widerlegen oder eine andere Perspektive auf die untersuchte Gruppe zu
entwickeln. Dazu wäre meines Erachtens eine neue Studie notwendig,
die sich dem Thema unvoreingenommen annimmt. Aufgrund der für
mich unbefriedigenden Quellenlage werde ich deshalb nur einen kurzen Überblick über die Situation der Japanerinnen in Deutschland
geben und auf eine Analyse wie ursprünglich von mir beabsichtigt verzichten.
Möchte man die Situation japanischer MigrantInnen in Deutschland
genauer untersuchen, stellt man fest, dass man sich auf einem wenig
erforschten Terrain bewegt. Informationen über japanische
MigrantInnen sind rar und reichen über statistische Angaben kaum
hinaus. Dies hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass
JapanerInnen nur einen verschwindend geringen Anteil an der Gruppe
38
Goethe D‘A r T 2010
der in Deutschland lebenden MigrantInnen ausmachen und daher
wenig untersucht sind. Nach den Statistiken des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge gab es in Deutschland im Jahr 2007 30.230
Ausländer mit japanischer Staatsangehörigkeit, davon waren 17.521
Frauen. (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2007):
Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im
Auftrag der Bundesregierung, S. 185.)
Die Gründe für die geringe Einwohnerzahl der JapanerInnen in
Deutschland liegen auf der Hand: Japan ist eine führende Wirtschaftsund Technologiemacht und nach den USA die zweitstärkste
Wirtschaftsnation der Welt. Japan ist damit kein typisches
Emigrationsland. Migrationsprozesse sind allenfalls dem beruflichen
Austausch von Fachkräften geschuldet. Im Vergleich mit anderen
ArbeitsmigrantInnen nehmen JapanerInnen deshalb auch eine privilegierte Stellung ein. Sie benötigen als hochqualifizierte Führungskräfte
beispielsweise keine weitere Arbeitserlaubnis, auch wird es japanischen
UnternehmerInnen durch die so genannte „Meistbegünstigungsklausel“ erleichtert, sich in Deutschland niederzulassen.
(Jovanovic, Inga (2002): Japaner in Frankfurt. Eine empirische
Untersuchung über den Integrationsprozess vermeintlicher Exoten.
(Magisterarbeit) S. 10)
Die meisten JapanerInnen sind entweder in Düsseldorf, Hamburg
oder Frankfurt ansässig, da diese Städte je nach Branche in Europa
gewisse Standortvorteile bieten. So gilt Düsseldorf als ein wichtiges
Industriezentrum, Hamburg aufgrund seines Überseehafens als ein
wichtiges Handelszentrum und Frankfurt als eine bedeutende
Bankenstadt. Durch seinen Flughafen ist Frankfurt Hauptknotenpunkt des europäischen Flugverkehrs. Eines der größten japanischen
Unternehmen, die Fluggesellschaft Japan Airlines, hat ihren Sitz in
Frankfurt.
Grauzonen
von Yoko Hosoda
A
ls Dolmetscherin lernte ich viele Menschen unterschiedlicher
Nationalitäten kennen. Häufig betreute ich auch deutsche
Kunden und fand die Zusammenarbeit mit ihnen stets sehr angenehm.
Sie waren sehr höflich, fleißig, vernünftig, hielten sich an Regeln und
waren immer relativ pünktlich.
Seit 2007 lebe ich nun in Frankfurt und lerne Deutsch. Da Japanisch
und Deutsch sehr unterschiedlich sind, fällt es mir sehr schwer,
Deutsch zu lernen. Es gibt keine Gemeinsamkeiten, an denen ich
anknüpfen könnte – außer „Ah so!“, das sagen wir auch.
In Japan hatte ich mir bereits ein Bild über „die Deutschen“ machen
können. Deshalb überraschte mich zu Beginn meines
Deutschlandaufenthalts ganz besonders, wie flexibel man hier Regeln
handhabt. Ich war vom Kreis Heppenheim nach Frankfurt umgezogen
und benötigte ein neues Visum. Da jedoch meine Unterlagen noch
nicht an die Frankfurter Behörde weitergeleitet worden waren, konnte
man mir kein neues Visum ausstellen. Dafür gab man mir einen Brief,
in dem stand, dass ich informiert werde, wenn die Unterlagen da sind.
Diesen Brief sollte ich mit meinem Reisepass bei mir tragen. Ich war
sehr verwundert und auch verunsichert, dass ich mich ohne Visum
weiter in Deutschland aufhalten durfte. In Japan wäre eine solche
Situation undenkbar. Die Behörden in Japan sind sehr strikt. Wenn
jemand kein Visum hat, ist er illegal im Land. Dafür gibt es keine
Entschuldigung. Ein Verstoß gegen diese und auch andere Regeln wird
nicht geduldet. Nachdem ich zweieinhalb Monate nichts mehr von der
Ausländerbehörde gehört hatte, ging ich auf das Amt, um mich nach
meinen Unterlagen zu erkundigen. Ich hatte keinen Termin und wartete drei Stunden, bis ich aufgerufen wurde. Zum Glück waren meine
Unterlagen mittlerweile da. Ich fragte mich, warum man mich nicht
schon längst informiert hatte, und bekam einen Stempel – „Bam!“ –
auf meinen Reisepass gedrückt. „Das war’s???“ Ich konnte es nicht fassen. Total unglaublich…
Einem iranischen Bekannten von mir ist Ähnliches passiert, allerdings in Tôkyô und mit einem anderen Ausgang. Um ein neues Visum
zu erhalten, musste er seinen Reisepass bei der Botschaft abgeben. Er
spazierte an einem Ufer in Tôkyô entlang und wurde dort glatt von der
Polizei angehalten. Die Polizisten fragten ihn, woher er komme und
was er beruflich mache. Natürlich fragten sie auch nach seinem
Reisepass. Da er diesen nicht vorzeigen konnte, wurde er auf das nächste Polizeirevier gebracht, von dort in das Gefängnis der
Ausländerbehörde weitergereicht, wo er dann schlimme sechs Monate
verbrachte. Dabei konnte er nichts für diese Situation. Doch für die
japanischen Behörden zählte allein das Faktum: Kein Visum/kein
Reisepass, also illegal. Vielleicht wird jetzt verständlich, weshalb ich
mich so fürchtete, ohne Visum zu sein.
In meiner (deutschen) Kirchengemeinde berichtete ich über meine
Erfahrungen mit der Ausländerbehörde und sagte, wie verunsichert ich
sei: „Ich habe darauf vertraut, dass Deutsche Regeln strikt einhalten,
habe ich mich geirrt?“ Mein deutscher Bekannter antwortete mir
daraufhin: „Yoko, du bist um eine gute Erfahrung reicher. Du hast
etwas über die Deutschen erfahren, was nicht jeder Ausländer bemerkt.
Wir sind nicht so an Regeln orientiert, wie allgemein behauptet wird.
Regeln gelten bei uns und werden auch strikt eingehalten. Aber es gibt
Grauzonen und es wird auch mal ein Auge zugedrückt, wenn die
Situation es erfordert.” Diese Erfahrung passte tatsächlich nicht zu
dem Bild, das ich bis dahin von den Deutschen hatte.
Im Laufe der letzten zwei Jahre sammelte ich noch weitere
Erfahrungen, die meine Vorstellungen über die Deutschen ins Wanken
brachten. Ich hatte in Erinnerung, dass meine deutschen Kollegen in
Japan immer recht pünktlich waren. Deshalb war ich doch sehr verwundert über die häufigen Verspätungen der Deutschen Bahn und bin
es auch heute noch. Sehr oft erlebe ich, dass meine Bahn fünf, manchmal auch zehn Minuten zu spät kommt. Mich irritiert, dass niemand
sich darüber bei den DB-Mitarbeitern beschwert. Würde dies in Tôkyô
passieren, würden sich die Fahrgäste darüber extrem ärgern. In Japan
beginnen Schulen und die Arbeitszeiten in den Firmen sehr pünktlich.
Verspätet man sich, bekommt man in einigen Firmen sogar einen halben Tag vom Gehalt abgezogen. Als Japaner ist man daran gewöhnt,
dass die Fahrpläne eingehalten werden und man darauf vertrauen
kann, dass die öffentlichen Verkehrsmittel pünktlich sind. Man hat für
die Fahrkarte bezahlt und ein Recht darauf, pünktlich an seinem Ziel
anzukommen.
Im Falle der Deutschen Bahn fällt es mir heute noch schwer, mich an
das Abweichen von Regeln zu gewöhnen, in vielen anderen Bereichen
des Alltags aber beginne ich es zu genießen und flexibel reagieren zu
können und zu dürfen als Vorteil zu sehen.
Goethe D‘A r T 2010
39
Migration
„Ich verhalte mich wie eine Deutsche, bin aber doch Japanerin!“
von Chizuru Osawa
W
enn ich über das Wetter spreche, finde ich, dass ich wie eine
Deutsche geworden bin. In Japan redet man nicht so oft über
das Wetter. Das liegt wohl daran, dass in Japan auf das Wetter Verlass
ist. Die Sommer sind stets heiß und schwül (ungefähr drei Monate
lang). Wenn es „Hitzefrei“ auch in Japan gäbe, würde ich mich freuen:
jeden Tag frei! In Deutschland ist der Sommer dagegen recht unbeständig. Man weiß nicht, ob die Sonne scheint und wenn ja, für wie
lange. Dafür weiß man, was der Winter bringt: Dunkelheit und Kälte.
In Japan kann man auch im Winter die Sonne sehen, der blaue
Himmel ist sogar schöner als im Sommer. Ich glaube, an den strengen
Gesichtern der Deutschen ist nur das Wetter schuld. Immer häufiger
wundere ich mich in Deutschland über den Wetterbericht. Jedes Mal,
wenn ich das Radio anmachte, um mich nach dem Wetter zu erkundigen, hörte ich die Ansagerin sagen: „Sonne, Wolken, Regen und
Gewitter“. Das soll ein Wetterbericht sein????
Inzwischen kann ich gut verstehen, weshalb die Deutschen gern in
ferne Länder reisen, wo die Sonne scheint, weshalb sie es genießen, im
Café draußen zu sitzen und sich absichtlich der Sonne aussetzen um
braun zu werden. Zu Beginn meines Aufenthalts in Deutschland
konnte ich dieses Verhalten nicht nachvollziehen. Wir Japanerinnen
wollen unter keinen Umständen braun werden, gerade ein weißer
Teint entspricht dem japanischen Schönheitsideal. Um uns eine helle
Hautfarbe zu erhalten, schützen wir uns im Sommer mit einem
Sonnenschirm. Da ich in Deutschland keinen Sonnenschirm habe,
behelfe ich mir mit einem Regenschirm. Ich glaube, Deutschland ist
ein sehr humanes Land. Das Lebenstempo hier gefällt mir. Es gibt freie
Wochenenden, an Sonn- und an Feiertagen sind die Geschäfte
geschlossen und man hat Zeit, sich zu erholen. In Japan sind fast alle
Geschäfte jeden Tag geöffnet und es gibt überall Convenience Stores,
in denen man rund um die Uhr einkaufen kann. Das ist sehr praktisch,
aber zu praktisch, wie ich finde.
Die Lebensqualität und das Wertgefühl in Japan unterscheiden sich
erheblich von dem, was darunter in Deutschland verstanden wird. Stets
ist man darum bemüht, sich zu übertreffen, indem man noch schnellere und noch praktischere Konsumgüter herstellt.
Als ich zuletzt in Japan war, kam ich auf die Idee, mir zu Hause
Wasser und Äpfel für unterwegs einzupacken. Meine Mutter wunderte
sich sehr und fragte mich, ob ich tatsächlich vor hätte, das alles mitzunehmen, schließlich gebe es doch Convenience Stores, in denen ich
etwas kaufen könne. Da merkte ich, dass die acht Jahre, die ich mittlerweile hier lebe, ihre Spuren bei mir hinterlassen haben, und ich doch
auch deutsche Verhaltensmuster angenommen habe.
Aus der Ferne kann ich Japan mit Distanz sehen und habe
Vergleichsmöglichkeiten. Ich kam mit großer Sehnsucht nach
Deutschland, doch inzwischen bin ich froh, als Japanerin geboren und
in Japan aufgewachsen zu sein. Es ist wichtig für mich, so fühlen zu
können.
„Ich hatte schon in Japan gehört, dass Deutsche
gern diskutieren…“
von Naomi Tsuruta
I
ch wohne seit zwei Jahren in Deutschland und habe mittlerweile viele Deutsche kennen gelernt. Ab und zu treffe ich
mich mit meinen deutschen Freunden zum Essen. Am Anfang überraschte mich, dass sie über so ernste Themen wie Politik sprachen,
denn in Japan ist dies ungewöhnlich. Ich hatte aber schon in Japan
gehört, dass Deutsche gern diskutieren. Mittlerweile habe ich mich
daran gewöhnt. Jeder meiner deutschen Freunde hat seinen eigenen
Standpunkt, und niemals zögern sie, ihre Meinung zu sagen. Sie können auch stets begründen, wie sie zu ihrer Meinung kommen. Sie wissen, wie man diskutiert und wie man dabei taktisch klug vorgeht.
Wir Japaner dagegen sagen unsere Meinung nicht direkt. Wenn wir
etwas sagen, bedenken wir immer, wie der andere sich dabei fühlen
kann. Wir sind sehr vorsichtig mit unseren Äußerungen, da wir niemanden beleidigen möchten. Leider behindert oder verhindert dies
40
Goethe D‘A r T 2010
sogar oft eine Diskussion. Wenn ein Japaner genervt von jemandem ist,
schweigt er und zieht sich zurück. Dann kann eine Diskussion nicht
fortgesetzt werden. Wir Japaner wissen schon, dass wir öfter unsere
Meinung sagen sollten, dies ist eine große Herausforderung für uns.
Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Kultur deswegen aufgeben
müssen. Ich finde, dass Deutsche häufig diplomatischer sein könnten.
Man soll die Mimik und die Stimmung des Gesprächspartners beobachten. Darin sind wir einfach besser.
Jedes Land hat seine starken und schwachen Seiten. Ich habe schon
viel in Deutschland gesehen, und insgesamt gefällt mir Deutschland
sehr gut. Viele Deutsche wollen ihr Land verbessern und sehen die
Zukunft pessimistisch. Doch die Zukunft ist meines Erachtens nicht so
düster, wie sie für viele Deutsche erscheinen mag. Sie ist eher hoffnungsvoll.
FAST FOOD DINNER, Kojeni, Tokyo 2008
Kulinaritäten
Fotos von: JIRÉ GÖZEN PHOTOGRAPHY
STREET AND EVENT PHOTOGRAPHER – GERMANY AND JAPAN
GANG OF FOUR, Piss Alley, Tokyo 2008
in Japan
Goethe D‘A r T 2010
41
Kulinaritäten
Einmal Japan zum Mitnehmen, bitte!
Japanische
Kultur
in Frankfurt
von Daniela Becker
D
ie japanische Kultur ist sehr vielfältig und faszinierend.
Sowohl die traditionelle Kultur als auch die in den letzten
Jahren so beliebt gewordene Pop-Kultur finden viele Anhänger. Doch
wer einmal japanische Kultur hautnah erleben möchte, muss nicht
unbedingt sein Sparkonto räumen und nach Japan fliegen. Dadurch,
dass Frankfurt nach Düsseldorf die zweitgrößte japanische Gemeinde
beherbergt, gibt es viele japanbezogene Einrichtungen und eine
Vielzahl von japanischen Restaurants in Frankfurt. Ob man nun haiku
dichten möchte oder einfach nur lecker Sushi essen will, man findet in
Frankfurt die Gelegenheit dazu. Eine kleine Auswahl an
Möglichkeiten wird hier vorgestellt.
JAPAN ART – Galerie Friedrich Müller,
Braubachstraße 9, 60311 Frankfurt
Kunstfreunde werden hier viel zu entdecken haben. Es werden
Werke der traditionellen wie auch der modernen japanischen Kunst
präsentiert. So werden Skulpturen, Kalligraphie, Gefäße und Malerei
gezeigt. Aufgrund der wechselnden Ausstellungen lohnt es sich, die
Galerie mehrmals zu besuchen.
Museum für angewandte Kunst Frankfurt ,
Schaumainkai 17, 60594 Frankfurt
Im Garten des MAK steht ein aufblasbares Teehaus, in welchem TeeZeremonien stattfinden. Allerdings wird das Teehaus nur in unregelmäßigen Abständen aufgeblasen, weswegen es sinnvoll ist, sich vorher
darüber zu informieren.
Sushi Circle, Diesterwegstraße 34,
60594 Frankfurt
Ein Sushi-Restaurant, das zusätzlich über ein Sushi-Band verfügt, ist das „Sushi Circle“. An diesem nimmt man Platz und das
Sushi läuft auf kleinen Tellern an einem vorbei. Man nimmt sich
dann einfach die Teller mit Sushi, die man möchte. Dabei sollte
man aber auf die unterschiedlichen Farben der Teller achten, da
diese den Preis bestimmen.
Besonders das Sushi-Buffet, das jeden Tag nach 17 Uhr und
an Feiertagen den ganzen Tag lang angeboten wird, wird SushiVielessern eine Freude bereiten. Außerdem werden auch
Kochkurse angeboten, für all diejenigen, die sich selbst mal als
Sushi-Koch versuchen wollen.
SamaSushi, Sandweg 62, 60316 Frankfurt
Eines von vielen kleinen Sushi-Restaurants in Frankfurt ist das SamaSushi.
Die Preise sind sehr günstig und laden zum Ausprobieren ein. Vor allem
Sushi-Neulinge sind hier gut aufgehoben, da man sich einfach mal quer
durch’s Angebot essen kann, ohne den Geldbeutel zu sehr belasten zu
müssen. Noch dazu ist der Laden sehr hübsch eingerichtet und man bleibt
gerne länger sitzen, um sich noch einen Nachschlag zu holen. Ein Tipp für
alle, die aus Prinzip Sushi ablehnen, weil sie keinen rohen Fisch mögen: Es
gibt auch vegetarisches Sushi mit Gurke oder Paprika.
42
Goethe D‘A r T 2010
MoschMosch, Luginsland 1,
60313 Frankfurt
Das MoschMosch ist eine japanische Nudelbar. Hier werden vor
allem leckere Ramen angeboten. Jedoch gibt es hier auch köstliche Vorspeisen, appetitliche Salate, gebratene Nudeln und einiges mehr. Eine Abwechslung also für alle, die sonst nur Sushi
essen.
Iimori Patisserie, Schopenhauerstrasse,
60316 Frankfurt
Wer neben dem japanischen auch ein bisschen französischen
Flair genießen möchte, ist hier genau richtig. Hier gibt es sowohl
leckere Croissants und süße Törtchen als auch Melonpan und
köstliche Yakisoba-pan. Dazu wird neben dem üblichen Kaffee
auch noch eine Reihe von verschiedenen Teesorten angeboten.
Asia Supermarkt,
Fahrgasse 95,
60311 Frankfurt
Zwar ist dies kein rein japanischer Supermarkt, jedoch bietet
er eine große Auswahl an japanischen Lebensmitteln. Man findet
leicht alle Zutaten, um Sushi
selbst zu machen, aber auch um
sich andere japanische Gerichte
zu kochen. Darüber hinaus kann
man auch noch Porzellan,
Fächer usw. erstehen.
OCS Japan Store,
Grosse Gallusstrasse 17, 60311 Frankfurt
Neben einem größeren Bestand
an japanischen Büchern und
Zeitschriften gibt es auch einiges
an japanischem Krimskrams,
wie Spielzeug, Stifte, Figuren
etc. Auch eine kleine Auswahl an japanischen Lebensmitteln,
vor allem Süßigkeiten werden angeboten. Und wer japanische
Damenhygieneartikel benötigt, kann diese hier finden.
Okonomiyaki
Ein Grundrezept für 4 Personen:
Zutaten:
300 g
Mehl, für Teig
210 ml
Wasser, für Teig
2
Eier
1 Kopf
Weißkohl
Fleisch oder Scampi/Garnelen etc., Pilze und
was man noch will (zu empfehlen ist auch noch
„Mochi“, aber in abgepackter und harter Form. Wenn man
etwas davon in den Teig gibt, schmilzt dieses bei der
Erhitzung und gibt dem Ganzen eine angenehm klebrigen
Konsistenz).
Zubereitung:
Schneiden Sie etwa vier große, äußere, grüne Kohlkopfblätter
ohne den harten, weißen Kern in dünne Streifen (ca. 4mm).
Mischen Sie das Wasser, das Mehl, die Eier und den
geschnittenen Kohl. Dem Teig können Sie nun weitere
Zutaten beimischen, z.B. in kleine Stücke
geschnittene Meerestiere, gehacktes Fleisch
oder Pilze, ganz nach Ihren Wünschen. Braten
Sie den Teig wie einen Pfannkuchen in einer
Bratpfanne. Die Okonomiyaki sollten einen
Durchmesser von etwa 20 cm haben. Bevor
Sie das Okonomiyaki wenden, können Sie weitere Zutaten in den noch weichen Teig stecken.
Wenden Sie das Okonomiyaki. Wenn fertig gebraten, geben
Sie Okonomiyakisauce, etwas Mayonnaise und wenn vorhanden
noch Katsuobushi
(getrockenete
BonitoFischflocken) und Aonori (getrocknetes grünes SeetangGewürz) darüber. Die Okonomiyaki-Sauce gibt es zwar in
Asia-Läden fertig zu kaufen, sie ist aber meist sehr überteuert, daher kann man diese auch mit einer Mischung aus
Ketchup, dunkler Soyasauce und Worcestershiresauce
selbst machen.
Itadakimasu! (Guten Appetit!)
Goethe D‘A r T 2010
43
E
s gibt verschiedene
Varianten von Sushi.
Die zwei bekanntesten, die hier
auch vorgestellt werden sollen,
heißen Nigiri-Sushi und MakiSushi. Das Besondere an Sushi
ist, dass es mit frischem, rohem
Fisch zubereitet wird. Ursprünglich ist dieses Gericht, das heute
so gut wie jeder mit Japan verbindet, einer Konservierungsmethode für Süßwasserfisch zu
verdanken, die eigentlich gar
nicht typisch japanisch ist, sondern von den Bewohnern entlang
des südostasiatischen Flusses
Mekong entwickelt wurde. Hierbei wird der Fisch in hauchdünne
Scheiben geschnitten und zur Desinfektion mit Essig bestrichen.
Zutaten
Die Zutaten für Sushi sind äußerst vielfältig, deswegen sollen hier
„nur“ die gebräuchlichsten genannt werden. Grundlagen sind stets:
• Reis, der recht klebrig sein sollte (wer sicher gehen möchte, nimmt
den im Handel angebotenen Sushireis)
• Fisch, gut geeignet sind z.B. Thunfisch, Lachs, Makrele, Seebarsch,
Seebrasse, Aal. Andere geeignete Meeresfrüchte sind: Garnelen,
Krebs, Tintenfisch, Oktopus
• Gemüse wie Karotten und Gurken
• Reisessig
• Ingwer zur Neutralisierung des Fischgeschmacks im Mund
• Wasabi, japanischer Meerrettich, der sehr scharf ist
• Nori, getrockneter Seetang (für Maki Sushi) und Sojasauce
44
Goethe D‘A r T 2010
Larysa Palhuy, Priscila Lopes Cavichioli, Jonas Simeon , Ganbold Ganbolor
von Hye Suk Jung
Mitwirkende: Ignacio Hennigs, Catalina Victoria Roman Zamorano,
Sushi
Herstellung
Zunächst den Reis kochen und in heißem Zustand mit Salz und
Reisessig würzen, dann erkalten lassen. Den Fisch in dünne Scheiben
schneiden.
Nigiri-Sushi
ist in der Zubereitung recht einfach: Hierfür wird der Reis in der Hand
geformt, wenn man es scharf mag, mit Wasabi bestrichen, und mit einer
Fischscheibe belegt. (Bild links)
Die Herstellung von Maki-Sushi, auch Rollen-Sushi genannt, ist dagegen etwas aufwändiger.
Maki-Sushi
Ein Seetangblatt (Nori) auf die Bambusmatte legen. Den Reis auf das
Seetangblatt gleichmäßig verteilen. Darauf nach Belieben
Fischscheiben, Gurkenstreifen und / oder Karottenstreifen quer legen.
Die Matte mit beiden Händen rollen. Die Rolle mit gleichmäßigem
Druck pressen und von der Bambusmatte nehmen. Anschließend die
Rolle mit einem scharfen Messer in sechs bis acht gleich große Teile
schneiden. (Bilder rechts)
Wasabi und Sojasauce können als Dip zu Sushi getrennt oder zusammen in einer Schale serviert werden. Als Getränk zu Sushi eignet sich
grüner Tee, als Vorspeise wird gerne eine Misosuppe serviert.
Etikette
Sushi wird in einem Stück in den Mund geführt und nicht abgebissen!
Man kann Sushi mit der Hand oder mit Stäbchen essen, auch die
Gabel ist erlaubt.
Kulinaritäten
2
3
5
6
7
8
9
4
Fotos: Ignacio Hennigs
1
10
Itadakimasu
Guten
Appetit!
Goethe D‘A r T 2010
45
Kulinaritäten
Japanischer
von Anja Catharina Junghenn
N
achdem ihr nun so viel über japanisches Essen gelesen habt,
ist es an der Zeit, dass ihr ein wenig über das traditionellste
aller japanischen Getränke erfahrt: den japanischen grünen Tee.
Der grüne Tee wird aus den Blättern der Teepflanze gewonnen.
Es gibt viele verschiedene Sorten in allen möglichen Preisklassen.
Die Art der Zubereitung spielt beim grünen Tee eine nicht zu unterschätzende Rolle. Lässt man ihn zu lange oder bei zu hoher
Temperatur ziehen, wird er bitter und entwickelt eine ermüdende
Wirkung auf Körper und Geist; zieht er eine zu kurze Zeit, kann er seinen Geschmack nicht richtig entfalten und schmeckt lasch und verwässert. Nur die optimale Zubereitungsweise, die wiederum von Sorte
zu Sorte variiert, ermöglicht es dem grünen Tee zu dem zu werden, was
er sein soll: ein wohlschmeckendes, erfrischendes und belebendes
Getränk.
Man sagt dem grünen Tee besondere Heilkräfte nach; so soll er zum
Beispiel die Entstehung von Krebszellen verhindern. Jede Sorte des
grünen Tees enthält zudem Koffein – je nach Sorte mal mehr, mal
weniger –, so dass man ihn vor dem Schlafengehen nicht in zu großen
Mengen zu sich nehmen sollte.
Der grüne Tee ist aber nicht nur für seine gesundheitsfördernden
Eigenschaften bekannt – auch kulturell erfährt er eine besondere
Wertschätzung durch die so genannte Teezeremonie. So gibt es in
Japan die so genannte Teezeremonie (jap.: sadô), welche sogar als
Kunstrichtung zählt. Anmutig und elegant wirkt eine Teezeremonie
vor allem aufgrund der präzise durchgeführten Handlungsabläufe, bei
welchen bewusst auf überflüssige Bewegungen verzichtet wird.
Nun möchte ich euch noch ein paar der bekannteren Grünteesorten
vorstellen, um euch einen ersten Eindruck über die Vielfalt der Teewelt
Japans zu vermitteln:
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Goethe D‘A r T 2010
Tee
Sencha
Diese Teesorte wird in Japan am häufigsten und zu allen möglichen
Gelegenheiten getrunken, er ist ein „Allroundtee“. In der Tasse hat er
eine hellgrüne Farbe.
Matcha
Der Matcha mit seinem auffälligen Grün ist im Gegensatz zu allen
anderen hier aufgeführten Sorten nicht in Blätter-, sondern lediglich in
Pulverform erhältlich. Er ist die Teesorte, welche am häufigsten bei der
Teezeremonie Verwendung findet.
Genmaicha
Wirft man einen Blick in die Tüte einer Genmaicha-Mischung, so
wird man feststellen, dass sich neben den Teeblättern dort noch etwas
anders tummelt: nämlich geröstete Vollkornreiskörner, die dem
Genmaicha seinen besonderen reisartigen Duft und Geschmack verleihen.
Gyokuro
Der Gyokuro ist eine Rarität unter den japanischen Tees und der teuerste Grüntee überhaupt. Er sollte keinesfalls in der Hektik des Alltags
getrunken werden, sondern verdient seinen eigenen ganz besonderen
Moment. Liebevoll wird er auch „Tautropfen“ genannt.
Impressum
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in Zusammenarbeit mit dem
Fachbereich 9, Japanologie
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Kontakt: [email protected]
http://www.goethe-d-art.uni-frankfurt.de
Redaktion:
Dr. Eike Großmann (Japanologie)
Andrea Meierl, M.A. (Internationales Studienzentrum)
Dr. Cosima Wagner (Japanologie)
Manuskript und redaktionelle Mitarbeit:
Daniela Becker, Antje Grzelachowski, Cecilia
Himmelseher, Yoko Hosoda, Kristina Hvasti, Kyra
Jäger, Anja Junghenn, Jutta Lingelbach, Christiane
Mögenburg, Lisa Mundt, Philipp Otschonovsky, Ina
Rohrlack, Christiane Rühle, Agnieszka Satola, Michael
Schedelik, Maike Schmidt, Anna Surawska
Autorinnen:
Priscila Lopes Cavichioli, Martina Lenhardt, Karina
Myskava, Chizuru Osawa, Aya Puster, Hye Suk Jung,
Naomi Tsuruta
Titelillustration:
Jutta Lingelbach
Illustrationen und Photos:
Daniela Becker, Manuel Debus, Regis Dudena, Ruy
Filho, Jiré Gözen, Ignacio Hennigs, Jutta Lingelbach,
Christina Plaka, Rinkôgun, Christiane Rühle, Maike
Schmidt
Layout und Gestaltung:
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