Predigtreihe „Die Zehn Gebote“ (9/12)

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Predigtreihe „Die Zehn Gebote“ (9/12)
Predigt
Predigtreihe „Die Zehn Gebote“ (9/12)
Predigt vom Sonntag, 10. Juni 2012
über 2. Mose 20,14: „Das unbeliebteste Gebot“
Lukas Cranach der Ältere: Jesus und die Ehebrecherin (1532)
Predigtvers 2. Mose 20,14: (Luther-Übersetzung)
Du sollst nicht ehebrechen.
Liebi Gmeind
Aageblich söll de Mose mit sine beide Steitafele vom Berg
Sinai obenabe cho sii und zum Volk gseit ha: „Liebi Lüt! Ich
ha also mit Gott verhandlet. Beidi Siite händ Kompromiss
müesse iigoh. Die guet Nachricht für öich: Ich ha d’Zahl vo
de Gebot chönne reduziere. Jetz sind’s nur no zeh! Die
schlecht Nachricht: S’Verbot vom Ehebruch isch immer no
debii!“
Ja, es beliebts Gebot isch das Ehebruchsverbot wohl nie gsi!
Mit dem siebete Gebot händ sehr viel Mensche i de hütige
Ziit grossi Müeh. S’Gebot vorher („Du sollst nicht töten.“)
und s’Gebot nachher („Du sollst nicht stehlen.“) werde au i
de hütige Moralvorstellige und im Strafrecht ernst gnoh.
Ganz im Gegesatz zum siebete Gebot, wo vo vielne als völlig überholt aagluegt wird. Dass de Ehebruch no bis 1989
als Tatbestand im Schwiizerische Strafgsetzbuech ufgfüehrt
gsi isch, isch hüt wiitgehend vergesse. Allerdings het me
d’Problem, wo hinter em Ehebruch ligge, au scho vor 1989
ned mit em Strafgsetzbuech chönne kläre.
D’Ehe und überhaupt s’ganze Liebeslebe wird hüt als reini
Privatsach aagluegt. Da wott sich niemer loh driirede, ned
vom Staat und scho gar ned vo de Chile, also au ned vo de
Zeh Gebot! Usserdem het sich dur die sexuell Revolution
im Bereich vo Ehe, Moral und Sexualität i de letschte 50 Jahr
so viel veränderet, dass mir hüt unterschiedlichsti Aasichte zu dem Thema händ. Die eint Extremposition het sich vo
de frei usglebte Sexualität d’Befreijig vo Aggression und
Gwalt für die ganz Menschheit versproche – die Meinig döfti
mit all dene Missbruuchsskandäl und andere Gschichte unterdesse klar widerleit sii. Die ander Extremposition gseht i
de frei usglebte Sexualität degege de Untergang vo de westliche Zivilisation, was sicher au starch übertriebe isch. Und
zwüsche dene Extrempositione git’s Tuusigi vo andere Meinige.
Vilicht sette Sie also vo dere Predigt ned z’viel erwarte. Es
isch es Thema, won ich selber gnueg dra z’schaffe ha, als
dass ich da de Eheberater oder Sexualtherapeut chönnt
spiele. Wer selber scho die aastrengend Phase vo de Familiegründig, won ich jetz drinn stecke, hinter sich het, dä
weiss, wie’s eim i dere Ziit mängisch goht! Wer da als Ehepaar de Weg dur de Dschungel findet und au nach de gröbste Ziit einigermasse unbeschadet wieder usechunnt, cha
sich sicher glücklich schätze!
D’Bible hingege seit ja usserordentlich viel zum Bereich
Liebi, Ehe und Ehebruch. So viel, dass ich nur stichwortartig
einigi Themebereiche cha aatöne: D’Schöpfigsgschicht mit
der Erschaffig vo Maa und Frau und der Iisetzig vo der Ehe;
d’Frag vo de Monogamie und Polygamie im Alte Testament;
verschiedeni Beziehigsgschichte wie d’Drüecksbeziehig vom
Jakob und sine beide Fraue Lea und Rahel; s’allgegewärtige
Thema vo de Chinderlosigkeit; berüehmti Ehebruchgschichte
wie die vom David und de Batseba; s’Hohelied mit sinere ussergwöhnlich schöne Schilderig vo Erotik und Sex; de Vergliich vom Bruch vo de Gottesbeziehig mit em Bruch von ere
Ehebeziehig bi de Prophete; de Umgang vo Jesus mit de
Fraue und sini Uslegig vom Ehebruchsgebot; oder schliesslich au no die mängisch schwer verständliche Wort vom Paulus über d’Fraue, über d’Ehe, d’Ehescheidig und d’Ehelosigkeit. I de letschte Jahr han ich jewiils mit Konfirmande e Lektion zum Thema „Sex and Crime in der Bibel“ abghalte und
de Konfirmande unbekannti Sexgschichte us de Bible zum
Lese vorgsetzt. Die sind us em Stuune nümm usecho, was
d’Bible da für Gschichte us dem Bereich parat het und i
welere Offeheit d’Bible über die Theme brichtet, und händ
gfunde, das hätte sie scho viel früehner müesse ghöre!
I de christliche Chile hingege het das Thema e schlechti
Entwicklig duregmacht. D’Liib- und Sexualfeindlichkeit insbesondere vo de katholische Chile wirkt bis hüt noche, und
au im freikirchliche Bereich werde Vergehe uf em Gebiet vo
de Sexualität scho fasch als Todsünde aagluegt, jedefalls
sicher als s’Schlimmste, wo me cha begoh. S’Image vo de
Chile i dem Thema isch eifach katastrophal schlecht. Und
so erstuunt’s au ned, dass hützutags chuum meh öpper
kirchlich wott hürote. Denn was söll d’Chile dodezue no
sinnvolls z’säge haa?
Luege mir also lieber druuf, was d’Bible seit. „Du sollst nicht
ehebrechen“ isch wiederum es extrem churzes Gebot, es
bestoht im Hebräische nur us sechs Buechstabe und tönt
recht allgemein. Doch im alttestamentliche Zämehang isch
klar gsi: E Maa cha nur e fremdi Ehe breche, e Frau hingege nur die eiget. Denn i de patriarchale Gsellschaft vom
Alte Testament isch d’Frau es Bsitzstück vom Maa – im
Zehte Gebot wird sie ja unter den andere Bsitztümer wie
Huus, Sklave und Vieh ufzellt – und darum isch d’Frau dur
d’Eheschliessig us em Bsitz vo ihrem Vater i Bsitz vo ihrem
Maa übergange. E Restbestand vo dem gsehnd mir hützutags no, wenn e Bruut bi de kirchliche Trauig vo ihrem Vater i
d’Chile inegfüehrt wird zu ihrem Maa – ich probiere d’Ehepaar jewiils dodruuf ufmerksam z’mache, was das genau bedüütet, aber sie wänd’s mängisch trotzdem so! Darum cha
d’Frau im Alte Testament nur die eiget Ehe breche – nämlich
wil sie als Bsitz vo ihrem Maa keis Recht het, us dem
Bsitztum usz’breche. De Maa hingege cha durchuus mehreri Fraue haa (was ja vieli berüehmti glöibigi Manne im Alte
Testament au tüend!), aber er darf ned e fremdi Ehe breche,
wil er denn de Bsitz vom ne andere Maa aatastet. Am
David isch darum ned zum Verhängnis worde, dass er vieli
Fraue gha het, sondern dass er sich im Fall vo de Batseba in
e bereits verhüroteti Frau verknallt het. So isch das Ehebruchverbot ursprünglich eigentlich es Diebstahlsverbot, au
wenn das alles i de wiibliche Ohre unter öis skandalös
muess töne.
Aber mir döfe au das Gebot ned losglöst vom ganze biblische Kontext aaluege. Denn was seit Jesus zu dem The-
ma? Er kritisiert die vorherrschend Uslegig vo dem Gebot
und radikalisiert das Gebot total: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.« Ich
aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der
hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Mt
5,27f) Und mit dem Wort macht er öis wohl alli zu Ehebrecher und das Gebot zu eim vo de meist brochnige Gebot
vo de Bible überhaupt. De Luther söll zu dene Verse aageblich gseit haa, dass nach dene Wort keini unter öis seig, wo
ned riif für d’Höll isch. E Maa us minere früehnere Chilegmeind het mir zu dem Thema mol gseit: „Im Geist han ich
mini Ehe wohl scho hundert, wenn ned tuusig Mol broche.“
Das mag wohl wahr sii. Und darum isch es ned wiiter erstuunlich, wenn Mensche lieber ufs Tötigsverbot verwiise, wo
sie ganz sicher no nie broche händ, wenn sie wänd betone,
dass sie eigentlich no ganz aaständigi Mensche sind. S’Ehebruchsverbot wär da vermuetlich für die meiste weniger
geignet defür, und ich tue Ihne chuum unrecht, wenn ich behaupte, dass au mir dodemit meh z’kämpfe händ als mit
em Verbot, z’stehle oder e Falschussag vor Gricht z’mache.
Und wenn ich bi Ihne doch unrecht ha: Ich gratuliere Ihne
ganz herzlich!
Und so jetz drei churzi Gedanke für Sie. Öb ledig oder verhürotet, verwitwet, trennt oder gschiede – nähme Sie das
mit, wo Sie i Ihrere Lebenssituation aaspricht und aagoht.
1. Ehebruch ist Treuebruch.
S’Adjektiv „tröi“ ghört sicher zu de wichtigste Eigeschafte
vo Gott. Gott isch öis tröi, er isch d’Tröji in Person. Mit der
Ehe het Gott de Mensch in e zwüschemenschliche Tröjibund
gstellt. Doch au d’Beziehig vom Mensch mit Gott wird im
übertreite Sinn mit em Bild vo de Ehe beschriebe. Gott isch
da der eint „Ehepartner“, s’Volk Israel der ander. Wenn
s’Volk sich vo Gott abgwendet het und anderi Götter verehrt
het (e Bruch vom erste Gebot also!), denn händ d’Prophete
das bildlich als Ehebruch vom Volk bezeichnet. Im Nöie
Testament wird das Bild au aufs nöie Gottesvolk vo de
Christe übertreit. Jesus isch denn de Brüütigam, wo sini
Bruut, die christlich Gmeind, am Endi vo de Ziit zur Hochziit
füehrt. Das isch für mich es wunderschöns Bild, wo öis de
Johannes i der Offebarig beschriebe het.
Gott wott also mit de Mensche im übertreite Sinn e Ehebeziehig iigoh. So gern het öis Gott! Gott verpflichtet sich öis
gegenüber zu ewiger Tröji. Er isch ned fehlbar wie mir Mensche. Und die Tröji vo Gott macht öis Hoffnig für öisi zwüschemenschliche Beziehige und Ehene. Sie wird öis zum
Vorbild. Sie macht öis Muet, au dur schwierigi Ziite dure tröi
z’bliibe, genauso wie Gott öis tröi isch und bliibt.
Ehebruch isch e Bruch vo de Tröji. Mit em Ehebruch isch
s’Vertraue broche. Und darum isch eigentlich gar ned de
Ehebruch a sich s’Problem, sondern s’brochnige Vertraue,
wo hüüfig nur müehsam und ufwendig wieder cha hergstellt
werde. Es isch wie mit emne Beibruch: Der Unfall passiert
innerhalb vo es paar Sekunde, aber d’Heilig duuret Wochene
und Mönet. Bim Ehebruch isch s’Verhältnis ähnlich: Er isch
schnell passiert, aber alles andere als schnell duregstande.
2. Ehebruch führt zurück in die Knechtschaft.
Grad bi dem siebete Gebot meine vieli no meh als bi allne
andere Gebot, dass öis das Gebot uf krassi Wiis iiengt. Es
isch aageblich es typisches Biispiel defür, dass d’Chile
gsetzlich und vorsintfluetlich seig. Die Ziite seige doch längstens verbii, wo me no vo ewiger Liebi, ewiger Tröji und lebenslanger Bindig und Ehe het chönne rede! Mir sind im Ziitalter vo de „LAPs“ aacho, vo de Lebensabschnittspartner!
Und so wänd vieli hüt gar nümm hürote, wil sie sich ned
wänd binde und loh iienge. Aber einisch meh i dere Predigtreihe müend mir betone: D’Gebot vo Gott enge öis ned ii,
sondern sie mache öis eigentlich erst richtig frei. Gott
stellt sich ja vor de Zeh Gebot vor als dä, „der ich dich aus
Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe.“ (V.2b) –
mir händ Endi Februar über dä Vers nochedenkt im Gottesdienst.
Wenn mir gsehnd, was für Bindige die sogenannt sexuell
Revolution bewirkt het: Druck, 100%-igi Erfüllig z’finde, Sexund Pornosucht, Leid für unzähligi Scheidigschind und Ehepartner und vieles meh, denn muess me doch säge: Das isch
kei Freiheit. Würklich frei isch vielmeh dä, wo d’Freiheit i
Jesus Christus gfunde het und us dere Freiheit vom Glaube
use us freiem Wille probiert, si Weg mit Gott z’goh, im Wüsse, dass es nie perfekt wird glinge, au im Bereich vo dem
siebete Gebot ned, aber au im Wüsse, dass es s’Beste isch,
das wenigstens z’probiere und so frei und froh chönne z’lebe.
Ehebruch hingege macht ned frei, sondern füehrt zrugg i
die Chnechtschaft, wo au de unglöibig Mensch drinn steckt,
und wo nur Gott dur sini Gnad und Vergebig devo cha frei
mache.
gäh. Wie d’Ehebrecherin vo Jesus e nöji Chance übercho
het, so cha ja au en Ehebruch als Usdruck von ere Ehekrise
e Chance zum ne Nöiaafang sii. Denn nur selte findet en
Ehebruch ja grundlos statt, i de meiste Fäll träge beidi Partner e meh oder weniger grosse Teil dezue bii, dass es überhaupt sowiit chunnt, i de meiste Fäll isch er ned Uslöser,
sondern Symptom vo töifer liegende Problem. Und so
müend au beidi Partner bereit sii, i ihrere Ehe e Nöiaafang
z’wage, wenn sie das wänd. En Ehebruch muess ned s’Endi
sii!
Mitenand lebe chöne mir nur us de Gnad und Vergebig vo
Gott. Das giltet ned nur für d’Ehe, sondern für alli Lebensbereiche. Es giltet au für öises Zämelebe i de Chilegmeind.
Wenn mir ned uf Jesus Christus luege, nach Golgatha, wenn
mir ned s’Chrüüz vor Auge händ, denn goht’s sowieso ned.
Aber wenn mir det hii luege, denn isch immer wieder e
Nöiaafang möglich, au i der Ehe.
3. Ehebruch ist nicht das Ende.
D’Gschicht vo de Ehebrecherin, wo zu Jesus gfüehrt wird,
zeigt exemplarisch, wie Jesus mit de Sünd umgoht: Er
verurteilt ned d’Sünderin: „So verdamme ich dich auch nicht“,
sondern d’Sünd: „Geh hin und sündige nicht mehr!“ (Joh
8,11). Jesus isch cho, zum d’Mensche vo ihrere Schuld
z’erlöse, ned um sie defür z’bestrafe.
D’Chile und d’Gsellschaft het da langi Ziit grad umkehrt
ghandlet. Ehebrecher, beziehigswiis vor allem Ehebrecherinne sind öffentlich a Pranger gstellt worde, unehelichi Chind
händ – obwohl sie ja total unschuldig sind a ihrem Schicksal
– hüüfig bis is 20. Jahrhundert unter Benachteiligunge
müesse liide. Im Taufregister i minere früehnere Chilegmeind
Rhynegg han ich im 19. Jahrhundert Iiträgige gseh, wo unehelichi Chind despektierlich als „illegitim“, also gege s’Gsetz
erzügt, bezeichnet worde sind.
En Ehebruch stoht hüüfig am Aafang vom Endi von ere
Ehe. Aber ich möcht dem hüt zum Schluss chli Gegestüür
„Du sollst nicht ehebrechen.“ Churz und knapp stoht das siebete Gebot da. Churz und knapp isch öis d’Grenze gsteckt.
Es sinnvolls Gebot, es Gebot, wo frei macht, es Gebot, wo
aber au viel Vergebig muess i Aaspruch gnoh werde. Wer
sich i de Partnerschaft und Ehe, wer sich aber au süsch i sim
Lebe so usrichtet, dass Vergebig und Versöhnig kei Fremdwörter sind, dä wird die Grenze vo Gott guet chönne aanäh
und lehre schätze.
Amen
Pfarrer Christian Bieri