Elternkurse als Methode der Gewaltprävention in Familien mit
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Elternkurse als Methode der Gewaltprävention in Familien mit
Fachhochschule Köln Fakultät 01 Elternkurse als Methode der Gewaltprävention in Familien mit türkischem Migrationshintergrund Bachelor Thesis Sebastian Gewande Erstgutachterin: Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler Zweitgutachter: Prof. Dr. Winfred Kaminski Eingereicht am _____ Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Türken in Deutschland 5 2.1. Geschichte der Türken in Deutschland 5 2.2. Situation der Türken in Deutschland 6 3. Struktur und Interaktion in der türkischen Familie 8 3.1. Hierarchie innerhalb der Familie 9 3.2. Rolle des Vaters 9 3.3. Rolle der Mutter 10 3.4. Rolle des Sohns 12 3.5. Rolle der Tochter 13 4. Wertvorstellungen und Normverständnis in der Erziehung 15 4.1. Der Einfluss des Islam 15 4.2. Verschiedene Erziehungsstile 16 4. 3. Sevgi, Şeref, Namus, Saygi – Grundwerte der Erziehung 17 4.4. Gewalt in türkischen Familien 20 5. Traditionelle Strukturen 25 5.1. Die Beschneidung 25 5.2. Die Eheschließung 27 6. Schlussfolgerung 29 7. Elternkurse als Präventionsinstrument 31 7.1. Grundlagen des Elternkurses „Starke Eltern – Starke Kinder“ 31 7.2. Inhalt und Methodik der Kursstunden 32 8. „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" 34 8.1. Anforderungen an Kurse für türkische Eltern 34 8.2. Grundlagen des Elternkurses 36 8.3. Inhalt und Methodik der Kursstunden 37 8.4. Übertragung der Anforderungen an türkische Elternkurse auf 37 „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" 9. Konklusion 39 10. Literaturverzeichnis 41 Anhang I: Zusammenfassung der Kursstunde vom 7. April 2008 43 Anhang II: Interview mit dem Kursleiter von „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar", Herrn Hayri Argav 45 2 1. Einleitung Türkische Familien, Familien türkischer Herkunft sind seit Jahrzehnten Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Vorurteile und Fremdenhass hat sie teilweise in die Isolation geführt, teilweise haben sie sich integriert, teilweise auch assimiliert. Während ich diese Zeilen schreibe, wird die durch Massenmedien implementierte öffentliche Diskussion über gewalttätige Jugendliche, besonders gewalttätige moslemische Jugendliche und noch spezieller gewalttätige türkische Jugendliche geführt. Der Brand in einem von Türken bewohnten Haus in Ludwigshafen brachte weitere Differenzen in das deutsch-türkische Verhältnis. Der daraus resultierende Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan in Deutschland und seine Rede in Köln, in denen er die in Deutschland lebenden Türken dazu aufrief, sich zu integrieren, nicht aber zu assimilieren führte ebenfalls zu diversen Kontroversen auch innerhalb der deutschen Gesellschaft und der sog. Türkischen Community. Es wäre vermessen, das vielschichtige und komplexe Thema „Türken in Deutschland“ in einer einzelnen Bachelor Thesis zu behandeln. An dieser Stelle geht es vielmehr um eine Betrachtung der nach traditionellen Familienstrukturen lebenden Türken in Deutschland verbunden mit der Frage, in wieweit diese Strukturen Gewalt als Erziehungsmittel beinhalten oder begünstigen können. Darauf auf baut der zweite Teil der Arbeit. Hier nehme ich mich einer konkreten Methode zur Gewaltprävention speziell bei türkischen Familien an. Dabei geht es um Elternkurse, speziell den Elternkurs „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar", eine Adaption des etablierten Kurses „Starke Eltern - Starke Kinder“ vom Deutschen Kinderschutzbund. Die dort verwendeten Inhalte und Methoden werden auf ihre Zweckmäßigkeit hinsichtlich der aversierten Zielgruppe von türkischen Eltern untersucht. Begrifflichkeiten Im Laufe der letzten Jahrzehnte waren die Benennungen der Bevölkerungsgruppe, um die es in dieser Arbeit geht, einem steten Wandel unterlegen. Aus den Fremdarbeitern wurden die Gastarbeiter. Aus den Türken wurden Deutsche mit Migrationshintergrund oder auch türkischstämmige Deutsche. Die Pluralität der verschiedenen Lebensformen macht es unmöglich, einen Begriff zu finden, in dem sich alle angesprochenen Menschen wieder finden. Dennoch muss an dieser 3 Stelle ein durchgehender Begriff verwendet werden. Ich habe mich für die Variante der Türken entschieden, unabhängig ob diese die türkische oder deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In dieser Arbeit geht es um die kulturellen Eigenheiten der türkischen Familien in Deutschland, welche auch den Elternkurs „Güclü Anne– Babalar – Güclü Cocuklar“ ins Leben gebracht haben. Von daher halte ich es als angebracht, die angesprochene Bevölkerungsgruppe als ‚Türken’ zu bezeichnen. 4 2. Türken in Deutschland 2.1. Geschichte der Türken in Deutschland Wenngleich die gemeinsame Geschichte Deutschlands und der Türkei, dem ehemaligen Osmanischen Reich, schon weit früher begonnen hat, stellt doch der 31. Oktober 1961 einen der wichtigsten Meilensteine in den Beziehungen dieser beiden Völker dar. Dies war das Datum der Unterzeichnung des „Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“ (Şen/Goldberg S. 10). Nachdem in den vier Jahren zuvor schon Türken zur Arbeit nach Deutschland geholt wurden, wurde durch dieses Abkommen eine große Migrationswelle begonnen. Einen Einschnitt stellte der 23. November 1973 dar. Im Zuge der Ölkrise kam es durch die Bundesregierung zum Anwerbestopp von weiteren türkischen Arbeitskräften, „Maßnahmen zur Eindämmung der Ausländerbeschäftigung“ genannt (Bade / Oltmer, S. 76f). Durch Familienzuzug wuchs die türkische Wohnbevölkerung in den kommenden Jahren jedoch weiter an. Männer holten ihre Frauen und Kinder nach Deutschland, Kinder wurden in Deutschland geboren. Im Jahr 1983 führte die Bundesregierung das Rückkehrförderungsgesetz ein. In Deutschland beschäftigten türkischen Arbeitnehmern wurde eine Prämie in Aussicht gestellt, wenn sie in die Türkei zurückkehrten. Dieses Gesetz hatte nicht Erfolg in dem Rahmen, wie gewünscht. Etwa eine Viertelmillion Männer, Frauen und Kinder kehrten während der Durchführung des Rückkehrförderungsgesetztes in ihre Heimatländer zurück. Das Gesetz wurde bereits 1984 letztmalig eingesetzt. (Şen/Goldberg S. 23f) In den 47 Jahren seit Inkrafttreten des Anwerbeabkommens 1961 sind die Türken in Deutschland eine präsente Größe geworden. Viele Familien leben in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland, besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. In den letzten Jahren ließen sich über 30.000 Türken per Anno einbürgern. (Statistisches Bundesamt, 1). Im Jahr 2006 lebten insgesamt 1.738.831 Türken in Deutschland. (Statistisches Bundesamt, 2) Die Gesamtzahl der Türken und der Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund bezifferte sich im Jahr 2005 auf 2.397.400 Personen. 5 2.2. Situation der Türken in Deutschland Altersverteilung Die türkische Bevölkerung in Deutschland ist insgesamt sehr jung. Mit 32,7 Jahren stellt sie die im Altersdurchschnitt jüngste aller größeren Migrantengruppen in Deutschland dar. Verweildauer in Deutschland Das Alter bei der Einreise nach Deutschland lässt sich in zwei größere Blöcke unterteilen. Zum einen in die Personen, die schon als Kinder oder Jugendliche aus der Türkei gekommen sind. Zum anderen die Personen, die als junge Erwachsene in die Türkei kamen. Die große Mehrheit der Türken lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Etwa zehn Prozent der Türken lebt seit weniger als zehn Jahren in Deutschland. Familiensituation1 Türken in Deutschland sind weitaus häufiger als Deutsche familiär gebunden. 81 % der erwachsenen Türken sind verheiratet, zum Vergleich sind dies 45 % der Deutschen. Lediglich zwei Prozent der Türken leben in Ein-Personen-Haushalten. (Deutsche 36 %). Türken haben im Schnitt 2,1 Kinder. Erwerbstätigkeit Von den gezählten 2,397,400 Personen sind 1,127,800 als Erwerbspersonen zu zählen. Erwerbstätig hiervon sind 871,400, nicht erwerbstätig 256,400. Schulbildung und berufliche Qualifikation Die Mehrheit der Türken in Deutschland verfügt über einen niedrigen Schulabschluss. Etwa zwei Drittel aller Türken mit Schulabschluss haben diesen an einer Hauptschule erworben. Etwa eine halbe Million Türken besitzen keinen Schulabschluss. Die berufliche Qualifikation ist daher auch verhältnismäßig niedrig. Etwa 35,000 Personen mit abgeschlossenem Studium stehen fast zwei Millionen Personen ohne beruflichen Bildungsabschluss gegenüber. 1 Diese Zahlen beziehen sich auf eine repräsentative Umfrage in Nordrhein-Westfalen durch das Zentrum für Türkeistudien in der Studie „Perspektiven des Zusammenlebens: Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordhrein-Westfalen“ durch Martina Sauer. 6 Religion2 94,2 % der Türken in Deutschland sind Muslime, wobei die Aleviten hier mit einbegriffen sind (Vgl. 4.1.). 0,2 % sind Christen, 1 % gehören einer anderen Glaubensrichtung an, 2,4 % rechnen sich keiner Religion zu. Die übrigen 2,3 % äußern sich nicht zu ihrer Religionszugehörigkeit. Anmerkung: Die verwendeten Zahlen entstammen der Studie „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005“ wenn nicht anders gekennzeichnet. Diese fasst den Migrationshintergrund nach Staaten zusammen. Für die Auswertung bedeutet dies, dass die Gruppe der aus der Türkei stammenden Kurden ebenfalls zu den aus der Türkei stammenden Menschen zählt wenngleich sie keine Türken sind. Die Angaben beziehen sich auf Menschen türkischer Nationalität in Deutschland sowie ethnische Türken, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. 22 Diese Zahlen beziehen sich auf eine repräsentative Umfrage in Nordrhein-Westfalen durch das Zentrum für Türkeistudien in der Studie „Perspektiven des Zusammenlebens: Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordhrein-Westfalen“ durch Martina Sauer. 7 3. Struktur und Interaktion in der türkischen Familie Voranzuschicken ist die Feststellung, dass man die türkischen Familien in Deutschland nicht einheitlich erfassen kann. Jede Familie hat ihre eigene Dynamik und Wertvorstellungen. Dennoch lassen sich anhand bestimmter Faktoren bestimmte Familientypen festlegen. Atabay (Atabay S. 35) benennt hierbei drei verschiedene Familientypen: 1. Religiös-traditionell orientierte Familien 2. Familien zwischen Tradition und Moderne 3. Moderne Familien und Paare Diese drei Familientypen dienen weiters als Grundmodelle, die Struktur und Interaktion von türkischen Familien in Deutschland zu analysieren. Je genauer man auf die Abläufe innerhalb der Familien schauen würde, desto mehr Untertypen würde man finden, etwa Familien, die sich nach moderner Lebensweise auf religiöse wie traditionelle Werte zurückbesonnen haben oder Alleinerziehende mit Kindern, die entgegen ihrer traditionellen Einstellung mit anderen Strukturen konfrontiert werden. Dies würde aber zwangsläufig zu weitläufig und unpräzise werden. Die oben benannten Familienmodelle erachte ich als derzeit bestmögliche Kategorisierung von türkischen Familien in Deutschland. Nachfolgend wird die Struktur und Interaktion in Familien des ersten Typs beschrieben. Sie stellen weit häufiger als Familien des zweiten und dritten Typs potentielle Klienten für sozialpädagogisches Handeln. 8 3.1. Hierarchie innerhalb der Familie Die religiös-traditionell orientierten Familien sind patriarchalische Familien. Der Vater ist das Oberhaupt der Familie und sein Wort hat letztendlich Gewicht. Die Stellung der anderen Familienmitglieder lässt sich am besten in Form einer Grafik verdeutlichen, hierbei orientiere ich mich an der Darstellung von Schäfers (Schäfers S. 31): Vater ↑ ↑ Mutter ↑ ↑ Söhne ↨ ↨ Ältester Sohn Töchter Schwiegertochter Abb. 1 3.2. Rolle des Vaters Wie oben erwähnt, stellt der Vater das Oberhaupt der Familie dar. Gleichzeitig vertritt er die Familie nach außen und sorgt für den Lebensunterhalt. Ein Mann, der nicht imstande ist, seine Familie eigenständig zu ernähren oder dies seiner Frau überlässt, gilt als ‚namusuz’, als schwach (vgl. Kapitel 4.2.). Der Vater ist in der Kindererziehung wenig präsent. Auch in seiner Freizeit verbringt er nur geringe Zeit mit seinen Kindern. Der erzieherische Alltag ist Aufgabe der Mutter und der Vater greift nur dann als strafende Instanz ein, wenn die Kinder wiederholt die Autorität der Mutter missachtet haben. Wenngleich der Vater in der alltäglichen Erziehung wenig handelt, so obliegen ihn doch die wesentlichen Entscheidungen in der Gestaltung des Lebens der Kinder. Dies betrifft die Schullaufbahn und daran anknüpfend die Berufsausbildung sowie die Wahl des Ehepartners. (vgl. Schäfers S. 27). Im traditionellen, durch den Islam geprägten Verständnis steht der Mann in der Hierarchie über der Frau. Begründet wird dies mit Passagen aus dem Koran. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, so auf dieses Thema einzugehen, wie es eigentlich nötig wäre. Dennoch zitiere ich zum Verständnis der obigen Feststellung den Koran mit der vierten Sure, Vers 35: 9 Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden (weil sie für diese verantwortlich sind), weil Allah auch die einen vor den anderen mit Vorzügen begabte und auch weil jene diese erhalten. Rechtschaffende Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, da ihr fürchtet, dass sie euch durch ihr Betragen erzürnen, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer, sperrt sie in ihre Gemächer und züchtigt sie. Gehorchen sie euch aber, dann sucht keine Gelegenheit, gegen sie zu zürnen; denn Allah ist hoch und erhaben. Der Mann hat die Entscheidungsgewalt über die Frau. Dies bezieht sich nicht nur auf die Leitlinien der Kindererziehung oder die Frage, ob die Frau einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, sondern auch auf die Sexualität. Aufgabe der Frau ist es, die Sexualität des Mannes zu stillen, der Mann hat hierauf ein Recht (Atabay, S. 54). Die Freizeit verbringen die Männer und Väter wie erwähnt wenig mit ihrer Familie. Vielmehr verbringen sie diese in Gesellschaft anderer Männer bevorzugt in Caféhäusern. Bordieu bemerkt hierzu, dass die Frauen ins Haus eingeschlossen sind während die Männer gleichzeitig zumindest tagsüber vom Haus ausgeschlossen sind. (Petersen, S. 34) Toprak (Toprak, 2004a, S. 58) weist bei der Rolle des Vaters darauf hin, dass diese in vielen Fällen nur nach außen als klassisch-patriarchalisch dargestellt wird und der Vater in der Realität intern weit mehr Entscheidungen im Einvernehmen mit der Mutter treffe oder dieser die Entscheidungen ganz überlasse. Toprak verwendet hier den Begriff des „Pressesprechers“, der die Familie nach außen vertritt. 3.3. Rolle der Mutter Die Mutter ist im klassischen Familienmodell dem Vater untergeordnet. Während der Vater die Familie nach außen vertritt, ist die Mutter für das innere Handeln, zumindest im Alltag zuständig. Neben der Haushaltsführung ist sie für die Kindererziehung zuständig. Wie oben beschrieben gibt hier jedoch der Mann die groben Leitlinien vor und fungiert als Bestrafungsinstanz, auf die sich die Mutter 10 bei Bedarf beruft. Tut sie dies, stellt sie damit gleichzeitig ihre eigene Autorität gegenüber den Kindern zurück da sie das aktive Handeln dem Vater überlässt. Bei der Auswertung diverser narrativer Interviews (Toprak 2004a 2004b, 2005, Gür, Atabay) ist festzustellen, dass die Frauen faktisch kein Mitspracherecht bei der Wahl des Ehepartners bekommen haben. Sind aus den Frauen jedoch Mütter geworden, so haben sie in der Realität durchaus Mitspracherecht bei der Wahl des Schwiegersohns bzw. der Schwiegertochter wenngleich ihre Stimme meist weniger zählt als die ihres Mannes. Wie in 3.2. beschrieben hat der Mann unter Berufung auf den Koran sexuelle Verfügungsgewalt über die Frau. Neben der Haushaltsführung und der Kindererziehung ist dies die dritte Pflicht der Frau. Inwieweit es hierbei zu Vergewaltigungen kommt, ist empirisch kaum belegbar. Die Analyse von narrativen Interviews durch Toprak (Toprak, 2004a) und Kelek (Kelek 2006) lässt jedoch darauf schließen, dass sexuelle Gewalt in traditionell geprägten Ehen überdurchschnittlich häufig vorkommt. Nach außen hat sich die Frau ehrenhaft zu verhalten (vgl. 4.2.). Sie muss ihren Körper bedecken, was in traditionellen türkischen Familien bedeutet, nur ihr Gesicht und Hände außerhalb des Hauses zu zeigen und Körperkontakt mit anderen Männern vermeiden wozu auch das Handgeben gilt. Ein Zuwiderhandeln dessen bringt Schande über die Frau und damit gleichzeitig über ihren Mann was im Extremfall dazu führt, dass die Frau von der Familie verstoßen wird oder im schlimmsten Fall ermordet wird. Anzumerken an dieser Stelle ist, dass diese so genannten „Ehrenmorde“, wenngleich von den Massenmedien stark beleuchtet, tatsächlich extreme Auswüchse darstellen und keinesfalls die normale Konsequenz für Untreue oder sonstiges Fehverhalten darstellt. Im obigen Schaubild ist festzustellen, dass der älteste Sohn über der Mutter eingeordnet ist. Hier wird ein ambivalentes Verhältnis deutlich. Wenngleich der Sohn der Mutter, die ihn geboren hat, bedingungslos Liebe und Dankbarkeit schenken muss, so stellt der älteste Sohn gleichzeitig den Stellvertreter des Vaters dar, besonders in der Rolle des Beschützers und Erziehers der jüngeren 11 Geschwister. Da der älteste Sohn zumindest in Abwesenheit des Vaters dessen Aufgaben und somit auch dessen Rolle übernimmt, steht er in dieser Zeit an der Spitze der Familie und somit auch über der Mutter. Dies geschieht gewöhnlich, sobald der Sohn das Jugendalter erreicht hat. Hier sei jedoch noch einmal auf die Diskrepanz zwischen traditionellen Handlungsmustern in der Theorie und Praxis verwiesen. Im Alltag kann der Sohn dennoch hinter der Mutter zurückstehen oder sich in seinem Handeln ihr Einverständnis holen. 3.4. Rolle des Sohns In traditionellen türkischen Familien sind die Söhne besser gestellt die Töchter, was nicht zwangsläufig heißen muss, dass sie für die Eltern auch mehr wert sind. Für die Umwelt hingegen steigt das Ansehen der Mutter, je mehr Söhne sie gebiert. Dies ist auf die ursprünglich ländliche Herkunft vieler türkischer Einwanderer zurückzuführen, wo ein Sohn einen höheren ökonomischen Nutzen hat als eine Tochter (vgl. Toprak 2004b, S. 31ff). Den Söhnen wird mehr Freiraum gewährt. Sie dürfen der Mutter schon früh widersprechen ohne gleiche Konsequenzen für dieses Verhalten zu erfahren wie die Töchter. Im Jugendalter zeichnet sich der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen auch dadurch ab, dass den Jungen zugestanden wird, ihre Freizeit ohne Aufsicht der Erwachsenen alleine oder mit ihren Freunden zu verbringen. Hat ein Junge eine Freundin, so wird dies vom Elternhaus nicht unbedingt gutgeheißen, jedoch toleriert. Im Gegensatz zu Mädchen sind sexuelle Kontakte vor der Ehe nicht verboten. Die Jungen werden in ihrem Verhalten wenig gemaßregelt. Das Fehlverhalten eines kleinen Jungen wird durch seine Kindlichkeit entschuldigt, dies gilt für kleine Mädchen genauso. Die ‚Sünnet’, die Beschneidung des Penis stellt den ersten Wandel in seiner Biographie dar. Während des Rituals, traditionell oft ohne Betäubung und unter den Augen der Familie und Bekanntschaft muss der Junge Stärke zeigen und sich Weinen oder Schreien verbieten. Der beschnittene Junge hat den ersten Schritt zum Erwachsenwerden getan. Ihm obliegen nun gewisse Pflichten wie etwa die Mutter beim Einkaufen zu begleiten oder auf die jüngeren Geschwister aufzupassen falls keine große Schwester da ist. Wichtig ist hierbei jedoch die Feststellung, dass es sich in der Regel gegenüber der Mutter, nicht dem Vater gegenüber um Soll-Pflichten handelt während es sich bei den Mädchen 12 um Muss-Pflichten handelt. Der Junge wird von der Mutter angehalten, etwas zu tun, muss aber mit wenigen Konsequenzen rechnen, wenn er ihrer Aufforderung nicht nachkommt. (vgl. Toprak 2004b, S. 44). Das Wort des Vaters gilt jedoch auch für den Jungen als bindend. Neben den Soll-Pflichten hat der Junge nun mehrere Verhaltensweisen zu erfüllen. Es wird von ihm erwartet, dass er sich in die Hierarchie der Autoritäten einfügt. Er ist den älteren Familienmitgliedern zu Respekt und Gehorsam verpflichtet und darf sie nicht mit Vornamen anreden sondern mit ‚Mutter’, ‚Onkel’ oder ‚Großmutter’ (Toprak 2004b, S. 34). Ferner hat er sich ehrenhaft zu verhalten (vgl. 4.2.) und die Familie nach außen positiv verkörpern. Ebenfalls ein wichtiges Erziehungsziel, das die Eltern vom Sohn erfüllt sehen wollen ist nationaler Stolz und die Erfüllung der religiösen Pflichten in dem Maße wie die Familie sie selbst lebt. (Toprak, 2004b, S. 38f). 3.5. Rolle der Tochter Während bei kleinen Kindern keine unterschiedlichen Rollenvorstellungen herrschen, so entwickeln sich etwa ab dem sechsten Lebensjahr unterschiedliche Erwartungshaltungen gegenüber Jungen und Mädchen. Während die Jungen ihre Freizeit möglichst außer Haus verbringen sollen, so wird von Mädchen das Gegenteil erwartet. Sie sollen sich viel zuhause aufhalten wo sie, ihre Freizeit ist knapper bemessen als die der Jungen, der Mutter bei der Hauswirtschaft zur Hand gehen müssen (vgl. Toprak 2004b, S. 45f). Außer Haus werden die Mädchen möglichst von der Mutter, dem älteren Bruder oder auch mehreren Freundinnen begleitet. Die Mutter stellt im Alltag die erzieherische Autorität dar. Während sie gegenüber den Jungen jedoch keine Absolution genießt, tut sie dies bei den Mädchen wohl. Nur in extremen Situationen schaltet sich der Vater, der in der Hierarchie noch über der Mutter steht, in die Situation ein. Das Mädchen erfährt seitens der Mutter ferner weniger körperliche Zuwendung als der Sohn (ebenda). Wie bereits oben erwähnt wird bei den Mädchen und Jungen zwischen Soll – und Muss-Pflichten unterschieden. Die Aufgaben des Mädchens, etwa das Bewirten von Gästen, stellen gewöhnlich Muss-Pflichten dar. Gemeinsam ist Söhnen und Töchtern jedoch die strenge Einhaltung von Hierarchien, kein ungefragtes Sprechen in 13 Anwesenheit von älteren Familienmitgliedern, eine zurückhaltende Körperhaltung und andere Dinge. Die Mädchen und Frauen verkörpern die Ehre der Familie (Atabay, S. 33). Einem Mädchen ist es untersagt, vor der Ehe einen Partner und sexuelle Kontakte zu haben. Es muss sich in der Öffentlichkeit züchtig zeigen, d.h. unaufreizende Kleidung, oft verbunden mit dem Tragen eines Kopftuchs. Die Mädchen werden früh verheiratet. In der ländlichen Türkei kann schon in der Kindheit der zukünftige Partner für die Tochter festgelegt werden. Die Partnerwahl übernehmen die Eltern, die Kinder haben hierbei gewöhnlich kein Mitspracherecht. 14 4. Wertvorstellungen und Normverständnis in der Erziehung In diesem Kapitel wird das Erziehungsverständnis von traditionellen türkischen Familien näher beschrieben. Da die traditionelle Erziehung gleichzeitig eine starke religiöse Prägung beinhaltet, wird nachfolgend zuerst der Islam kurz beschrieben, danach werden verschiedene Erziehungsstile, die in türkischen Familien präsent sind, behandelt. Anschließend werden die Wertvorstellungen, insbesondere die Ehre, näher thematisiert. Der dritte Teil dieses Kapitels handelt davon, wie weit Gewalt in türkischen Familien ein verbreitetes Erziehungsmittel ist. 4.1. Der Einfluss des Islam Der Islam ist die vorherrschende Religion der türkischen Bevölkerung. 94 % der in Deutschland lebenden Türken sind Anhänger dieser Religion. Während ein Christ seinen Glauben durch Kirchenaustritt abstreifen kann, kann sich ein Moslem nur durch Zuwendung zu einer anderen Religion, bspw. durch die christliche Taufe, vom Islam abwenden. Dies bedeutet, nicht jeder der 94 % Muslime ist zwangsläufig gläubig. Der Anteil der Türken, die sich als nicht überhaupt nicht gläubig bezeichnen, nimmt mit etwa 5 % jedoch einen sehr geringen Rahmen ein. Die Hälfte der Türken in Deutschland bezeichnet sich als eher religiös, des Weiteren bezeichnet sich etwa jeder Sechste als sehr religiös (Sauer, S. 47f). Aufgrund dieser Erkenntnisse ist festzuhalten, der Islam spielt im Leben von etwa zwei Drittel der Türken in Deutschland eine größere bis bestimmende Rolle. Er beeinflusst die Wert – und Normvorstellungen von vielen Menschen. Obgleich eine intensive Betrachtung des Islam den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll an dieser Stelle dennoch auf einige grundlegende Gegebenheiten eingegangen werden. Wie sich das Christentum in Katholiken, Protesten, Orthodoxe etc. aufgliedert, so erfährt auch der Islam unterschiedliche Deutungsansätze die zu unterschiedlichen Glaubensströmungen führten. Die drei Hauptströmungen sind die Schiiten, Sunniten und Aleviten 3 . Die Schiiten sehen den Nachfolger Mohammeds, Begründer des Islam, in einem seiner leiblichen Nachfahren. Für die Sunniten hingegen muss der Nachfolger Mohammeds, der Kalif, von der Mehrheit der 3 Durch Gespräche mit Aleviten erfuhr ich, parallel zur Recherche für diese Arbeit, dass sich Aleviten selbst oft nicht als Muslime bezeichnen da sie ihren Glauben nur vom Islam ableiten. Um dieses Thema befriedigend zu thematisieren fehlt mir im Rahmen dieser Arbeit der Raum. Daher halte ich mich an dieser Stelle an die Erkenntnisse aus der angegebenen Literatur, wonach die Aleviten dem Islam zugeordnet werden. 15 Muslime gewählt werden. Während sowohl für Schiiten wie Sunniten Mohammed nichts Göttliches an sich habe, so sehen die Aleviten in ihm eine Art Lichtwesen, geschaffen aus Lichtpartikeln Gottes. Gleiches gilt für Mohammeds Schwiegersohn Ali, der den Aleviten ihren Namen gegeben hat. Die Mehrheit der Türken in Deutschland gehört dem sunnitischen Glaubenszweig an (Şen/Goldberg, S. 85f). Hieran erkennt man Tendenzen, die sich auch auf das alltägliche Leben beziehen können. Die Schiiten begründen ihr religiöses Oberhaupt durch Erbrecht während die Sunniten dieses durch einen demokratischen Prozess wählen. Die Aleviten haben eine losere Interpretation des Korans, dem heiligen Buch der Muslime. Kennzeichnend ist für sie, dass Frauen den Männern oft gleichgestellt sind. Auch das Kopftuch ist bei Aleviten unüblich (ebenda). Die sog. fünf Säulen des Islam stellen für einen gläubigen Moslem die Grundlage seines Handelns dar. Diese sind das Glaubensbekenntnis, dessen Aussprache einen Menschen, so er es aufrichtig spricht, sofort zum Muslim macht; das Pflichtgebet fünfmal am Tag; die Pflichtabgabe als regelmäßige Spende an Bedürftige; das Fasten zwischen Sonnenauf – und Untergang im Monat Ramadan sowie die Wallfahrt, die Reise nach Mekka, die Stadt, in der der Islam begründet wurde (Tworuschka, S. 102 - 111). Der Islam kennt eine Anzahl von Festen, das Opferfest und das Zuckerfest als bedeutendste. An dieser Stelle soll hier jedoch nicht näher darauf eingegangen werden. Abschließend bleibt nur festzustellen, dass bei der Betrachtung von türkisch-muslimischen Familien sehr differenziert geschaut werden muss, inwieweit der Glaube für die jeweilige Familie eine Rolle spielt und wie sehr das Leben sowie die Erziehung von religiösen, oft mit kulturellen Traditionen verbundenen Elementen, geprägt wird. 4.2. Verschiedene Erziehungsstile Der Begriff Erziehungsstil bezeichnet relativ fest ausgeprägte Verhaltensmuster seitens der Erziehenden, hier also der Eltern, dem Kind gegenüber. Im Allgemeinen wird bei Erziehungsstilen grob zwischen dem autoritären bzw. 16 autokratischen Erziehungsstil, dem demokratischen/sozialintegrativen Erziehungsstil und dem permissiven Laissez-Faire-Erziehungsstil unterschieden (Schaub / Zenke, S. 130). Überträgt man diese drei klassischen Erziehungsstile auf die traditionelle türkische Familie, so dominiert hier der autoritäre Erziehungsstil patriachischer Prägung. Vom Kind wird ein bestimmtes Verhalten erwartet. Wenn es dies erbringt, wird es von den Eltern gelobt (die Tochter von der Mutter, der Sohn meist vom Vater), enttäuscht es die Erwartungen der Eltern, wird durch Konsequenzen eine Verhaltensänderung verlangt. Festzustellen ist jedoch auch ein Einfluss des permissiven Erziehungsstil in bestimmten Phasen, was einen klaren Kontrast zum autoritären Erziehungsstil darstellt. Dies betrifft zum einen die frühe Phase der Kindheit bis etwa zum Beginn der Schulzeit sowie das Freizeitverhalten der Jungen allgemein. Hier können die Kinder weitestgehend ohne Lenkung seitens der Eltern ihren Interessen nachgehen. Solange sie gewisse Grenzen, etwa Sachbeschädigung, nicht überschreiten, können sie ohne Einflussnahme der Eltern ihren Interessen nachgehen. 4. 3. Sevgi, Şeref, Namus, Saygi – Grundwerte der Erziehung Eine wichtige Feststellung bevor die obigen Begriffe näher erläutert werden, ist die hohe Bedeutung von Kindern im ökonomisch-utilitaristischen Kontext. Etwa 70 % der türkischen Eltern in Deutschland verweisen auf ihre Kinder als Hilfe im Alter und in Notfällen. Zum Vergleich sehen dies nur zehn bis 20 % der Deutschen ähnlich (vgl. Toprak 2004a, S. 28f). Der Aspekt der Versorgung und Unterstützung durch die Kinder hat somit auch bei den Türken in Deutschland noch eine sehr hohe Gewichtung. Weiters werden mehrere Begriffe behandelt, die in türkischen Familien eine prägende Rolle spielen. Sie stellen Grundlagen der Wertevorstellungen dar und haben daher einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Erziehung türkischer Kinder. Die drei letzteren Begriffe können alle synonym mit ‚Ehre’ ins Deutsche übersetzt werden. Die Tatsache, dass es für diesen einen deutschen Begriff drei türkische Adäquate gibt, spiegelt die Bedeutung dieser Eigenschaften für die türkische Kultur wieder. 17 Sevgi Dies bedeutet im türkischen ‚Liebe’. In diesem Fall geht es jedoch nicht um die Liebe im Allgemeinen sondern um die Liebe eines Älteren zu einem Jüngeren. Hierbei ist nicht nur die Liebe von Eltern und älteren Geschwistern zu den jüngeren Familienmitgliedern gemeint, auch die Liebe des türkischen Staates zu seinen Untertanen wird als ‚Sevgi’ bezeichnet (Atabay, S. 25f). Ältere Geschwister nehmen im Alltag gegenüber den jüngeren Kindern oft, zumindest zeitweise, die Rolle von Vater und Mutter ein. Die ältere Schwester weist die jüngere Schwester in die Hausarbeit ein, der jüngere Bruder hat auf das Wort des älteren Bruders zu hören. Diese besondere Geschwisterkonstellation wird auch dadurch hervorgehoben, dass jüngere Geschwister ihre älteren Geschwister mitunter nicht mit Vornamen anreden sondern den älteren Bruder als ‚abi’ und die ältere Schwester als „abla’, was ihr Verwandtschaftsverhältnis ausdrückt. Dies gilt auch für weitere Familienmitglieder wie Onkel, Tanten, Großväter – und Mütter (Toprak 2004a, S. 69). Die drei folgenden Begriffe umfassen allesamt den Bereich der Ehre. Şeref Der Wert ‚Şeref’ entspricht den Begriffen von Würde und Ansehen. Das Ansehen ist kein ständig vorhandener Begriff. Durch gutes, anderen Menschen hilfreiches Handeln kann ein Mensch, egal ob Mann oder Frau, sein Şeref in den Augen seiner Mitmenschen erhöhen. Schlechte, selbstsüchtige und der Gemeinschaft abträgliche Handlungen verringern sein es (Atabay, S. 27). Das Ansehen ist somit keine konstante Größe. Es verändert sich und wird durch das Handeln der jeweiligen Person definiert. Sie hat Einfluss auf diesen Wert. Şeref als Wert unterscheidet nicht zwischen Männern und Frauen. Namus ‚Namus’ lässt sich wörtlich mit Ehre übersetzen. Es stellt den wichtigsten Wert der traditionellen türkischen Gesellschaft dar und ist für Männer und Frauen zwar gleichermaßen bedeutsam, jedoch nicht identisch. 18 Ein Mann ist dann ehrenhaft, wenn er sich stark, hart, männlich und viril gibt (Petersen, S. 30). Er muss sich und seine Familie bei Angriffen verteidigen und niemals den Anschein geben, dass er an seinem Handeln zweifelt. Tut er dies, gilt er in den Augen als ‚namusuz’, als schwach und unehrenhaft. Während sich die männliche Ehre durch Stärke definiert, so definiert sich die Ehre der Frau durch ihre sexuelle Reinheit. Dies bezieht sich zum einen auf die Pflicht, als Jungfrau in die Ehe zu gehen, was für einen Mann nicht zwingend gilt, aber auch auf korrekte Kleidung, Kopftuch und bedeckte Arme und Beine. Eine Frau, die sich als sexuell attraktiv präsentiert, gilt als ‚orospu’, als Hure ohne Ehre. Mitunter haben Frauen sämtliche Körperfunktionen vor Männern zu verbergen (Petersen, S. 19). Dies kann dazu führen, dass Frauen nicht in Anwesenheit von Männern essen, und wenn dann nur mit einem vor den Mund gehaltenen Schleier, und es vermeiden, eine Toilette aufzusuchen wenn dies von Männern bemerkt werden könnte. Die Ehre des Mannes definiert sich durch sein eigenes Handeln, die Ehre der Frau durch ihre Interaktion mit Männern. Während der Mann seine Ehre durch Nichthandeln zerstört oder verletzt und dies gegebenenfalls durch späteres Handeln wieder rückgängig machen kann, ist die Ehre der Frau durch unehrenhaftes Handeln endgültig zerstört. Da der Mann als Verteidiger seiner Familie gilt, werden das Fehlverhalten seiner Frau oder Kinder immer auf ihn zurückgeführt. Er ist also abhängig vom Verhalten seiner Familie. Umgekehrt gilt dies für die Frau nicht. Unehrenhaftes Verhalten seitens des Mannes hat keine Konsequenzen für das Ansehen der Frau oder Kinder. Saygi Dieser Wert umfasst die Achtung, den Respekt vor Älteren. Er ist eng mit dem Begriff des ‚Sevgi’ verbunden. So wie jüngere Menschen, Familienmitglieder ein Recht auf Liebe haben, haben ältere ein Recht auf Respekt. Saygi entwickelt ein Mensch durch zunehmendes Alter (Atabay, S. 26). Je höher ein Mensch in der Familienhierachie steht, desto höher ist sein Anspruch auf Saygi. Dem Großvater wird so mehr Achtung entgegengebracht als dem ältesten Sohn, auch von den jüngeren Kindern. Saygi wird durch das konkreten Handeln bzw. Nicht-Handeln von jüngeren gegenüber älteren Menschen ausgedrückt. Ausdrucksformen sind etwa das 19 Schweigen in Anwesenheit von Älteren solange die Jüngeren nicht zum sprechen aufgefordert wurden oder der Verzicht von Zigarettenkonsum in Anwesenheit der Älteren. Aber auch hier gibt es durchaus Unterschiede in der Hierachie. So kann es einem heranwachsenden Sohn verboten sein, in Anwesenheit seines Vaters zu rauchen, in Anwesenheit seiner Mutter muss dies jedoch nicht gelten. Für die heranwachsende Tochter kann neben dem Rauchverbot in Anwesenheit des Vaters auch das Verbot in Anwesenheit der Mutter gelten. Saygi ist genau wie Sevgi ein Wert, der sich durch das Alter der betreffenden Person ausdrückt. Anders als bei den Werten Şeref und Namus hat die betroffene Person keinerlei Einfluss darauf. Diese vier Elemente werden im Alltag Kindern von klein auf vermittelt. Natürlich sind sie nicht in jeder Familie gleich ausgeprägt, sie finden sich dennoch in traditionellen Familien stets wieder. Nach Auswertung von narrativen Interviews verschiedener Autoren (Atabay, Gür, Petersen, Toprak) ist allgemein festzustellen, dass das soziale Umfeld hier einen entscheidenden Einfluss nimmt. Vielfach wird von den interviewten Türken ihr eigenes Missfallen an bestimmten Wertvorstellungen ausgedrückt, sie werden aber dennoch legitimiert zum einen durch die Religion zum anderen wegen der Angst, das soziale Umfeld, die Nachbarn und weitere Familie, würde schlecht über die betreffenden Personen denken, sie gar isolieren. 4.4. Gewalt in türkischen Familien Türkische Eltern gelten als anfälliger, Gewalt in der Erziehung anzuwenden als deutsche Eltern. Diese Behauptung lässt sich durch Untersuchungen aufgrund der hohen Dunkelziffer nicht endgültig empirisch belegen. Pfeiffer und Wetzels haben in einer Studie zur Gewaltbelastung von türkischen Jugendlichen 16,000 Jugendliche unterschiedlicher ethnischer Herkunft zu ihren Gewalterfahrungen seitens der Eltern in den letzten zwölf Monaten befragt (Pfeiffer / Wetzels). Die Autoren machten hierbei eine Trennung zwischen eingebürgerten Türken und Türken mit Status von Ausländern. 30,6 % der eingebürgerten türkischen Jugendlichen haben Misshandlungen seitens der Eltern erlebt, 18,2 % hiervon schwere Züchtigungen. 20 28,8 % der türkischen Jugendlichen haben Misshandlungen seitens der Eltern erlebt, 17,8 % hiervon schwere Züchtigungen. Dem gegenüber stehen 5,4 % misshandelte und 7,5 % schwer gezüchtigte deutsche Jugendliche. In totalen Zahlen besagt die Studie, dass drei von zehn türkischen Jugendlichen Gewalt seitens der Eltern erfahren. Bei deutschen Jugendlichen ist es nur etwa jeder Zehnte. Als Schlussfolgerung ist somit festzuhalten, dass Gewalt in der Erziehung bei türkischen Familien etwa dreimal so häufig vorkommt wie bei deutschen Familien. Zu berücksichtigen ist, dass durchaus nicht alle befragten Jugendlichen wahrheitsgemäß auf die Frage nach Gewalterfahrungen geantwortet haben vor dem Hintergrund, die Eltern nicht zu diskreditieren oder anzugreifen. Pfeiffer und Wetzels weisen darauf hin, die Ergebnisse auch bezüglich der sozialen Milieus, denen die befragten Jugendlichen angehören, ausgewertet zu haben. Auch dadurch war die Diskrepanz zwischen den Erfahrungen von deutschen und türkischen Jugendlichen gleich hoch, unabhängig ob es sich um Sozialleistungsempfänger oder sozial abgesicherte Familien handelte. Wenngleich eine endgültige quantitative Feststellung nicht möglich ist, so muss die Behauptung, dass Gewalt in der Erziehung von türkischen Eltern weit häufiger eingesetzt wird als von deutschen Eltern bestätigt werden. Es ist davon auszugehen, dass Eltern mit konservativen, traditionellen Erziehungsstilen häufiger Gewalt anwenden als Eltern mit demokratischen Erziehungsstilen. Sondiert man nun erstere Gruppe aus der gesamten Gemeinschaft der Deutsch-Türken heraus, so ergibt dies die These, dass deutlich mehr als 30 % dieser Eltern Gewalt in der Erziehung einsetzen (Pfeiffer/Wetzels, S. 14ff) Gewalt findet auf verschiedene Weisen statt. Körperlich, seelisch und sexuell. Der letzte Punkt wird aufgrund seiner Komplexität an dieser Stelle nicht behandelt. Eine gängige Erziehungspraxis ist die ‚tokat’, die Ohrfeige. Ein türkisches Sprichwort sagt, „Die Ohrfeige stammt aus dem Paradies“. Es wird als legitimes Mittel angesehen, Kindern den Willen der Eltern aufzugeben, eine standardisierte Form der Disziplinierung. Als Gewalt im eigentlichen Sinne wird eine Ohrfeige seitens der Eltern nicht gesehen (Toprak 2004b, S. 47). Die körperlichen Bestrafungen gehen jedoch, besonders vom Vater, oft über das Maß einer 21 Ohrfeige hinaus und es kann zu schwereren körperlichen Misshandlungen kommen. Es ist auch in diesem Bereich so, dass es zu einer gewissen Geschlechtertrennung kommt. Die Mutter ist in erster Linie für die Bestrafung der Tochter zuständig, der Vater für die des Sohnes. Während es dem Vater auch zusteht, die Tochter zu maßregeln, hat der Sohn die Möglichkeit, sich der Bestrafung seiner Mutter zu entziehen (vgl. 3.4.). In diesem Fall überträgt die Mutter die Aufgabe auf den Vater (Toprak 2004a, S. 109f). Ein weiteres Element der Gewalt ist neben körperlichen Sanktionen die psychische Gewalt. Als Erziehungsmittel werden hierbei zum einen die Beschimpfung und zum anderen das Ignorieren angewendet. In Topraks Studie über die Sozialisation von türkischen Männern in Deutschland (vgl. Toprak 2005) werden diese Mittel von den Gesprächspartnern vielfach beschrieben. Hierbei kommt es vor allem zu Beschimpfungen, die die Ehre des Jungen bzw. jungen Mannes angreifen, er wird als ‚schwul’ oder als ‚Nutte’ bezeichnet. Interessanterweise haben diese gängigen Beleidigungen einen sexuellen Bezug während Sexualität an sich in türkischen Familien meist ein großes Tabu darstellt. Ignorieren des Kindes bedeutet, dass die Mutter bzw. meist der Vater oft für Tage nicht mit dem Sohn oder der Tochter redet und es entweder zu einem abrupten Umschwung oder einer langsamen Wiederannäherung kommt. Nicht ausgeklammert werden soll auch der Faktor des passiven Erlebens von Gewalt zwischen den Eltern. Hier geschieht dies meist seitens des Vaters der oft sein Recht, über die Frau zu herrschen aus dem Koran ableitet (Toprak 2005, S. 167f). Kindern kann hier ein verheerendes Rollenverständnis vorgelebt werden bei dem sie Gewalt als legitimes Mittel zur Konfliktlösung von Erwachsenen erleben. Abschließend sei auf einen weiteren Punkt hingewiesen, der in der Literatur häufig nicht beachtet wird, im Alltag jedoch oft präsent ist. In der Türkei genießt das Militär einen sehr hohen Stellenwert was auch verbunden mit dem hohen Nationalbewusstsein der Mehrheit der Türken ist. Neben der teilweisen Omnipräsenz von türkischen Flagge zeigt sich auch darin, dass Jungen schon im Kindergartenalter gelegentlich Camouflage-Kleidung tragen, also als Soldat 22 ‚verkleidet’ werden. Für einen kleinen Jungen symbolisiert ein Soldat vor allem Waffen, Gewalt und Macht. Er wird selbst in diese Rolle gebracht und dadurch weit eher angeregt, sich im Rollenspiel an diesen Punkten zu erproben. Gewalt wird dadurch weiter normalisiert. Jungen betrifft weiterhin das Ritual der Beschneidung (vgl. 5.1.). Der Junge erlebt, wie andere Menschen über seinen Körper entscheiden. Klassisch ohne Narkose durchgeführt stellt die Beschneidung neben der potentiellen psychischen Traumatisierung ferner eine klare Form von körperlicher Gewalt dar. Auch Mädchen erleben, wie andere Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben über ihren Körper entscheiden. Gewöhnlich zu Beginn der Pubertät, also im Alter von etwa elf, zwölf Jahren, hat das Mädchen ein Kopftuch zu tragen. Tut sie dies nicht, muss sie mit schweren Sanktionen seitens der Eltern rechnen. Während Jungen sämtlich beschnitten werden, gibt es jedoch auch traditionell orientierte Familien, in denen das Kopftuch für Mädchen nicht immer Pflicht ist. Die Eheschließung und die fehlende Autonomie bei der Partnerwahl sowie für die Frau ferner die fehlende Autonomie bei der sexuellen Selbstbestimmung sind in Kapitel 5.2. genauer beschrieben. Abschließend ist festzustellen dass körperliche Gewalt in türkischen Familien auch in Deutschland sehr präsent ist. Wenngleich ihre Akzeptanz nachlässt je gebildeter das Milieu der Familie ist, so geht dies nicht linear mit dem Akzeptanzverlust bei deutschen Familien einher. Jungen, Mädchen und Frauen erleben in ihrem Alltag und in Schlüsselmomenten (Beschneidung, Kopftuch, Hochzeit) wie von anderen über sie bestimmt wird. Einziges Familienmitglied, das alleine über sich bestimmt, ist der Vater, wobei dieser auch einmal ein Junge war. Das ständige Erleben der Missachtung des eigenen Willens kann zu Ohnmachtsgefühlen führen. Der Mensch ist zwar bis zu einem gewissen Grad je nach Alter auf Weisung und Anleitung von anderen angewiesen, er drängt aber gleichzeitig auch auf ein immer größer werdendes Maß an Selbstbestimmung. Diesem Bedürfnis wird durch die traditionelle Erziehungskultur in türkischen Familien nicht nachgekommen. Die Begutachtung, inwieweit obige Feststellung 23 Einfluss auf potentielle psychische Erkrankungen, Gewaltbereitschaft gegen Dritte oder sonstige Formen der Auffälligkeiten, die zu einer Ausgrenzung aus der Gesellschaft bzw. zu einer Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft führen, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Festzuhalten bleibt aber, dass Gewalt in traditionell orientierten Familien oftmals ein Teil des Alltags ist und teilweise gar nicht als Gewalt angesehen wird. 24 5. Traditionelle Strukturen Exemplarisch werden hier zwei Elemente der türkisch-moslemischen Kultur näher beschrieben um die Unterschiede zwischen dem türkischen und deutschen Werteverständnis transparenter zu machen. 5.1. Die Beschneidung An dieser Stelle betrachte ich die traditionelle Form der Jungenbeschneidung als Exempel, wie unterschiedlich die Wertvorstellungen und Normen zwischen Türken und Deutschen sein können. Während die Beschneidung im türkischen Verständnis einen großen Tag im Leben des Jungen darstellt, vielleicht den größten, so ist sie im deutschen Verständnis eine Einschränkung der Autonomie des Kindes bezogen auf das Recht, über seinen Körper frei zu entscheiden. Bezogen auf Mädchen gehört die Pflicht, ab der Pubertät ein Kopftuch zu tragen, auch zu einer Handlung, in der das Kind nicht frei über seinen Körper entscheiden kann. Das Kopftuch ist für jeden sichtbar, jedoch theoretisch wieder ablegbar. Die Beschneidung bleibt Anderen verborgen, ist jedoch nicht revidierbar. Ich habe mich entschieden, nur auf die Beschneidung näher einzugehen, da das Kopftuch zum einen in den Medien breit thematisiert wird während die Jungenbeschneidung kaum Beachtung findet, zum anderen würde eine angemessene Beschäftigung mit der Kopftuchthematik nicht in den Rahmen dieser Arbeit passen. Wenngleich die Eheschließung einen jungen Türken endgültig zu einem erwachsenen Mann werden lässt in den Augen des sozialen Umfelds, so stellt die Beschneidung doch den ersten Schritt zum Mannwerden dar. Die Beschneidung im moslemischen Verständnis wird darauf zurückgeführt, dass Mohammed ohne Vorhaut auf die Welt gekommen sei. Quelle hierzu ist nicht der Koran, der die Beschneidung nicht erwähnt sondern die Sunna, die zweitwichtigste Schrift des Islam. Als tatsächliche Indikatoren können zwei andere Gründe angenommen werden. Zum einen hat der Islam seinen Ursprung in wasserarmen, oft wüstenhaften Gebieten. Wassermangel erschwert die regelmäßige Körperreinigung und damit auch die Genitalhygiene. Durch eine Beschneidung kann einer Infektion des Penis durch mangelnde Hygiene zum Teil 25 vorgebeugt werden wenngleich dieses Argument in Deutschland und weiten Teilen der Türkei, wo jeder Mensch jederzeit Zugriff auf Wasser hat, nichtig ist. Ein weiterer Indikator kann die verminderte Reizempfindlichkeit des Penis durch die Beschneidung sein. Die Vorhaut beinhaltet Nervenzellen, die für Reize, auch sexuelle, empfänglich sind. Eine ohne Vorhaut ungeschützte Eichel verhornt und verliert zusätzlich an Empfindlichkeit. Auf diese Weise nehmen die sexuelle Empfindsamkeit und mitunter auch das sexuelle Verlangen ab (Väteraufbruch, S. 13). Diese These ist, auch wenn Sexualität im islamischen Verständnis weitläufig als etwas negatives, Einzuschränkendes gilt, jedoch kritisch zu sehen. Zwar wird dem Jungen eine eigene Sexualität untersagt, so wird diese Einschränkung bei Erwachsenen weitestgehend nur den Frauen auferlegt. Die Sünnet, die türkische Beschneidung, wird in der Regel bis zum Eintritt der Pubertät durchgeführt. Sie ist Pflicht für jeden Jungen. Ein unbeschnittener Mann gilt als temizsiz, als unsauber. Die Art und Weise der Beschneidung hängt vom Verständnis der jeweiligen Familie ab. Moderne Familien lassen ihre Söhne im Krankenhaus beschneiden. Die traditionelle Form der Beschneidung findet während eines großen Festes statt wobei der zu beschneidende Junge oft auf einem Bett vor den Augen der Gäste beschnitten wird. Mitunter findet dies jedoch auch in einem Nebenzimmer statt mit einer kleinen Zahl von Angehörigen. Die Rechtslage in Deutschland bezüglich der Jungenbeschneidung ist unklar, vor allem da sie anders als das Kopftuch noch nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten ist. Hier steht das Recht auf freie Religionsausübung (Grundgesetz Artikel 4) im Widerspruch mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2. Die Mädchenbeschneidung wird in Deutschland auf Grundlage des § 223 StGB strafrechtlich verfolgt. Kern und Köhler weisen darauf hin, dass bei konsequenter Rechtsauslegung die Jungenbeschneidung eine Form der Körperverletzung darstellt (Kern / Köhler, S. 104f). Wenngleich die Folgen der Jungenbeschneidung nicht so gravierend sind wie die der Mädchenbeschneidung so stellt die Sünnet doch die Amputation eines gesunden Körperteils und lebenslange Beeinträchtigung des Sexualempfindens dar. Ferner wird sie auch dann durchgeführt, auch wenn der Junge hierzu nicht sein Einverständnis 26 gegeben hat. Das Recht des Jungen, über seinen Körper selbst zu entscheiden, zählt nicht. Durch das große Fest verbunden mit Geschenken, materiell wie finanziell wird er zur Bereitschaft gelenkt. Ob er über die tatsächlichen körperlichen, mitunter seelischen Folgen adäquat aufgeklärt wird, erachte ich für unwahrscheinlich. 5.2. Die Eheschließung Die Ehe stellt nach traditioneller türkischer Vorstellung die anzustrebende Lebensweise dar. Gewöhnlich ziehen Männer und Frauen erst dann aus dem Haus der Eltern aus, wenn sie geheiratet haben. Erst durch die Heirat gilt man als wirklich erwachsen. In traditionellen Familien stellt die Eheschließung in vielen Fällen keine Liebesheirat dar. Die Eltern entscheiden, welcher Partner für ihr Kind der Richtige ist. Gesichtspunkte sind dabei der gute Ruf der Familie aus der der Partner bzw. die Partnerin kommt, in der ländlichen Türkei dominiert auch der utilitaristische Wert des künftigen Ehepartners hinsichtlich Mitgift und Vermögen. Für Frauen ist es unabdingbar, als Jungfrau in die Ehe zu gehen. Bei Männern wird dies lockerer gehalten. In der ländlichen Türkei ist es zudem Sitte, nach der Hochzeitsnacht das bei der Entjungferung verwendete blutige Laken als Beweis für die Reinheit der Frau aus dem Fenster zu hängen. Nicht immer ist es gegeben, dass sich die künftigen Ehepartner vor der Hochzeit tatsächlich kennen gelernt haben. In konservativen Familien werden die Ehen meist sehr jung geschlossen. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt, die sexuellen Bedürfnisse der jungen Menschen möglichst früh zu stillen um sie von einer Lebensweise, die nicht mit den islamischen Werten vereinbar ist, zu schützen (Atabay, S. 35-37). Was die sexuellen Bedürfnisse angeht, stehen die Rechte des Mannes vor denen der Frau. Im Gegensatz zur Frau hat er das Recht, über seinen wie ihren Körper zu verfügen was auch zu Vergewaltigungen führt (Toprak 2005, S. 146f). Die Hochzeit selbst wird als großes Fest, oft über mehrere Tage, inszeniert bei dem sämtliche Familienmitglieder und Bekannte eingeladen werden. Hunderte von 27 Gästen bei einer einzelnen Feier sind nicht ungewöhnlich. Je größer und prachtvoller die Feier, desto höher das Ansehen der zusammengeführten Familien. In vielen traditionell orientierten Familien lebt das jung verheiratete Paar bei den Eltern des Ehemanns wobei die auftretenden Konflikte vielfach von der Mutter bzw. Schwiegermutter und insbesondere vom Vater bzw. Schwiegervater gelöst werden (Toprak 2004a, S. 25f). Eine vollständige Autonomie ist somit auch durch die Eheschließung nicht gewährleistet. Es sei noch einmal erwähnt, dass oben beschriebenes religiös-traditionell orientierte Familien betrifft. Elemente davon können sich individuell auch in moderneren Familien wieder finden, grundsätzlich ist die Heirat dort jedoch auf Liebe begründet und nicht auf Zweckmäßigkeit. 28 6. Schlussfolgerung Traditionelle türkische Familien befinden sich in Deutschland in einem steten Rollenkonflikt. Die traditionell türkisch-moslemische Gesellschaft ist kollektivistisch, der Einzelne hat sich der Mehrheit unterzuordnen, seine Meinung ist von geringer Bedeutung. Die deutsche Gesellschaft hingegen ist individualistisch orientiert. Selbstverwirklichung und Meinungsfreiheit sind Ziele und Werte, die von großer Bedeutung sind. Türkische Einwanderer der ersten Generation haben oft schon eine Binnenwanderung in der Türkei hinter sich. In Dörfern aufgewachsen erleben sie in türkischen Großstädten andere Lebensweisen und Rollenmuster was zu Verunsicherungen führt. Diese verstärken sich durch die Migration nach Deutschland wo sie, gewöhnlich ebenfalls in Großstädten mit noch einmal anderen Lebensweisen, Werten und Normen konfrontiert werden. Türkische Einwanderer der ersten Generation reagieren hiermit oft durch Rückzug in die sog. türkische Community und/oder suchen Halt in der Religiosität. Für die Kinder dieser Generation sieht die Situation anders aus. Während ihre Eltern erst als Erwachsene nach Deutschland kamen, ihre Kindheit somit in der Türkei verbracht haben, wurde die nachfolgende Generation in Deutschland sozialisiert. Kontakte mit Deutschen beschränkten sich nicht mehr nur auf den Arbeitsplatz, sondern erstreckten sich auf Kindergarten, Schule, Jugendtreff etc. Diese zweite Generation wurde in einem weitaus stärkeren Maß von deutschen Wertvorstellungen und Lebensweisen beeinflusst. Während ein Teil der zweiten Generation durch Integration oder Assimilation das für sich beste aus der Situation herausgeholt hat, gibt es dennoch einen Teil, der auf das Zusammentreffen der Unterschiedlichkeiten mit Rückzug reagiert. Auf diese Gruppe der türkischen Subkultur ist in der sozialen Arbeit besonders einzugehen. Pädagogische Maßnahmen und Angebote, hierzu gehören auch Elternkurse, können nicht ohne weiteres auf diese Familien übergestülpt werden. Eine ausschließliche Orientierung an deutschen Werten und Normen seitens des Pädagogen würde zu Irritationen, Unverständnis und im schlimmsten Fall Ablehnung bzw. Rückzug seitens der angesprochenen Familien führen. 29 Dies verhält sich umgekehrt genauso. Auch beim Pädagogen kann es zu kulturellen Irritationen kommen wenn er das Handeln der türkischen Familie betrachtet. Er kann das Schwimmverbot der Mädchen oder die Beschneidung der Jungen als Ausgrenzung oder Missachtung von Selbstbestimmungsrechten deuten wohingegen die Eltern dies zum Schutz oder zur Feier ihres Kindes machen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Eltern ihr Handeln als Einschränkung bzw. Verhinderung der Autonomie ihrer Kinder betrachten, da sie ihr Erziehungshandeln vom Handeln ihrer eigenen Eltern ableiten und selbst wenig demokratische Elemente in ihrer Kindheit erlebt haben. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass auch Eltern dieser Migrantengruppe ihr Handeln gegenüber den Kindern auf Liebe basieren lassen und bestrebt sind, ihren Söhnen und Töchtern eine angenehme Zukunft zu gestalten. Sie orientieren sich jedoch häufiger an äußeren ‚Richtern’ – Familie, Nachbarschaft, Religion – bei der Beurteilung, was richtig und was falsch ist. Von daher ist immer zu berücksichtigen, dass diese Gruppe Eltern den Begriff Gewalt anders definiert als es in Deutschland gemeinhin üblich ist. Eine Ohrfeige gilt wie beschrieben nicht als Gewalt. Hingegen kann es für eine türkische Mutter durchaus als Gewalt empfunden werden, wenn sie gezwungen wäre ihre pubertierende Tochter ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit zu lassen. Ein Elternkurs zur Gewaltprävention für türkische Eltern stellt daher immer eine Gradwanderung dar. Die Inhalte müssen auf die Situation der Eltern abgestimmt sein. Es ist kontraproduktiv, die Eltern mit den aus unserer Sicht richtigen Erziehungsleitlinien zu konfrontieren und ihnen Vorhaltungen zu machen, dass sie diese nicht einhalten. Genauso kontraproduktiv wäre es, eine falsche Toleranz gegenüber sämtlichen traditionellen Erziehungsmethoden walten zu lassen. Niemals darf Gewaltanwendung als Erziehungsmittel legitimiert werden. In den nächsten Kapiteln wird der vom Deutschen Kinderschutzbund initiierte Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“ und sein auf türkische Eltern zielendes Pendant „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" in Betracht genommen und daraufhin untersucht, inwieweit er ein adäquates Mittel zur Gewaltprävention in türkischen Familien ist. 30 7. Elternkurse als Präventionsinstrument Bevor ich mich exemplarisch dem Kurs „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar“ näher widme, wird an dieser Stelle das deutschsprachige Pendant „Starke Eltern – Starke Kinder“ kurz vorgestellt. 7.1. Grundlagen des Elternkurses „Starke Eltern – Starke Kinder“ Der Kurs „Starke Eltern – Starke Kinder“, im weiteren Verlauf kurz mit SESK bezeichnet, baut auf Ideen des Finnischen Kinderschutzbundes aus den 1980ern auf. Auf dieser Grundlage hat der Deutsche Kinderschutzbund den Elternkurs weiterentwickelt. Verfolgt werden dabei primär zwei Hauptziele: 1. Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz und Verhinderung von physischer wie psychischer Gewalt. 2. Stärkung der Rechte und Partizipation der Kinder im Familiensystem Das Erziehungskonzept von SESK wird als „anleitende Erziehung“ bezeichnet. Es basiert auf dem Menschenbild des Deutschen Kinderschutzbundes, wonach jeder Mensch nach Homöostase strebt, der Balance zwischen Autonomie und Bindung. Es ist somit weder als autoritär noch als antiautoritär zu bezeichnen. SESK arbeitet ressourcenorientiert, die Stärken sowohl von Eltern als auch Kindern stehen im Mittelpunkt des Handelns und nicht die Defizite. Dabei wird der Schwerpunkt auf die jetzige und zukünftige Familiensituation, nicht auf Vergangenes gerichtet. Der Kurs basiert auf Freiwilligkeit und versteht sich als Präventivangebot, nicht als therapeutische Maßnahme. SESK ist ebenfalls eine Maßnahme zur Stärkung der Durchführung des § 1632 BGB. Dieser im November 2000 geltend gewordene Paragraph beinhaltet das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung. Der Kurs soll hierbei zur Bewusstseinsbildung der Eltern diesbezüglich beitragen und ihnen helfen, Verunsicherungen durch diesen Paragraphen zu mindern (Hokanen-Schoberth, S. 1f) 31 7.2. Inhalt und Methodik der Kursstunden Für jeden SESK-Kurs gibt es verbindliche Standards. Diese sehen unter anderem die Zeitstruktur und die Gruppengröße vor. Der zeitliche Umfang beträgt auf acht bis zwölf Kurseinheiten verteilt mindestens 16 Zeitstunden. Die Teilnehmerzahl ist zwischen acht und 16 Teilnehmern festgelegt (Schnabel, S.1). Die SESK-Kurse werden nicht in Blockform angeboten sondern über einen längeren Zeitraum. Auf diese Weise werden die Eltern längerfristig begleitet und bestimmte Situationen und Verhaltensänderungen können eher wahrgenommen, thematisiert und reflektiert werden. Die Teilnehmerzahl zwischen acht und 16 Personen führt zur Möglichkeit einer guten Gruppendynamik ohne Anonymität zu vermitteln. Der SESK-Kurs wird von ein oder möglichst zwei Kursleitern durchgeführt, die hierzu durch spezifische Fortbildungen qualifiziert wurden. SESK ist grundsätzlich ein allgemeiner Elternkurs, kann aber bei entsprechender Zielgruppe spezialisiert werden, etwa auf Kindergartenkinder, Alleinerziehende oder Eltern mit Migrationshintergrund. Jede Kurseinheit steht unter einem bestimmten Motto (unten aufgeführt). Die einzelnen Stunden bestehen aus Theorie und Praxis. Visuell unterstützt wird der Theorieteil vermittelt, anschließend folgt in Kleingruppenarbeit der Praxisteil. Die teilnehmenden Eltern kriegen für die jeweils nächste Einheit aufgetragen, zuhause bestimmte Verhaltensweisen zu erproben oder zu beobachten (Schnabel, S.2). Mottos der einzelnen Kurseinheiten 1. Achte auf die positiven Seiten deines Kindes 2. Vorbild dringt tiefer als Worte 3. Zum Wachsen braucht man Anerkennung, Liebe und Vertrauen 4. Wenn du dich verstecken willst, verstecke dich nicht zu gut, irgendwann mal musst du dich selbst ja wieder finden 5. Sprache schafft Wirklichkeit 6. Hör dem Kind mehr zu, dann verstehst du es besser 7. Keiner kann für den anderen dessen emotionale Probleme lösen 8. Alle Gefühle als solche sind erlaubt und akzeptiert 32 9. Verändere zuerst dein Verhalten und erwarte nicht, dass der Andere den ersten Schritt tut 10. Je mehr Macht du in einer Konfliktsituation anwendest, desto weniger bleibenden positiven Einfluss hast du auf den Anderen 11. Wenn man Beschlüsse, die einen selbst betreffen, mitentscheiden kann, ist man auch eher bereit sie einzuhalten 12. Wenn Du es eilig hast, mach einen Umweg Die Grundlagen der SESK-Kurse basieren auf verschiedenen Theoriepositionen. Honkanen-Schoberth (Honkanen-Schobert, S. 2) führt hierzu neben systemtheoretischen Ansätzen den kommunikationstheoretischen Ansatz von Watzlawick, Inhalte unterschiedlicher familientherapeutischer Schulen, Elemente der Individualpsychologie Alfred Adlers, verhaltens – und gesprächstherapeutische Ansätze Carl R. Rogers sowie Ideen von Thomas Gordon auf. SESK hat somit ein sehr heterogenes Theoriefundament. 33 8. „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" An dieser Stelle wird in Bezugnahme auf die im ersten Teil der Arbeit festgestellten Lebenswelten und Erziehungsmuster der türkischen Familien eine Reihe von Anforderungen gestellt. Im Anschluss wird der „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar“-Kurs näher beleuchtet und in Kontext mit den nachfolgenden Anforderungen gestellt. 8.1. Anforderungen an Kurse für türkische Eltern Die unterschiedlichen Wertvorstellungen von traditionell lebenden Türken in Deutschland und der deutschen Mehrheitsbevölkerung, Hauptzielgruppe von Elternkursen, erfordern einige Änderungen in der Konzipierung und Durchführung. Sicherlich kann man sie nicht als Schablone auf jeden einzelnen Kurs, jede Gruppe übertragen. Dennoch stellen die hier aufgeführten Anforderungen einen Maßstab der Orientierung und Möglichkeit zur Überprüfung der Arbeit dar. Anforderungen an Kurse für türkische Eltern a) Räumliche Faktoren b) Kostenfaktoren c) Zeitliche Faktoren d) Geschlechtertrennung e) Die Kursleitung a) Räumliche Faktoren Die angesprochene Zielgruppe verfügt meist über ein geringes Einkommen. In den Familien ist meistens nur ein PKW vorhanden, dieser wird meist vom Familienvater während seiner Erwerbstätigkeit genutzt. Dies bedeutet, dass die Mutter und Kinder in ihrer Mobilität eingeschränkter sind. Schon der regelmäßige Kauf von Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel kann eine finanzielle Belastung darstellen, die eine Aufhebung dieser mobilen Einschränkungen verhindern kann. Ein zentral in der Innenstadt angebotener Elternkurs stellt sicherlich ein besseres Angebot dar als ein Kurs in den Randgebieten der Stadt. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass auch dadurch nicht alle potentiellen Eltern erreicht werden können. Elternkurse sollten regelmäßig in den Stadtteilen mit besonders hohem 34 Anteil türkischer Migranten angeboten werden. Als Ort der Durchführung bieten sich für die Familien vertraute Räumlichkeiten wie Kindertagestätte, Schule oder Jugendtreff an. b) Kostenfaktoren Wie in a) bereits aufgegriffen, kann die finanzielle Situation der Familie dazu führen, dass sie viele Angebote aus Kostengründen ablehnen obwohl diese bei ihnen durchaus auf Interesse gestoßen sind. Ein Elternkurs sollte auch für sozial schwache Familien finanziell erschwinglich sein. c) Zeitliche Faktoren Hier stellt sich die Frage, ob ein Kurs besser in den Vormittagsbereich gelegt wird oder in den Nachmittags/Abendbereich. Erstere Variante kann die Kinderbetreuung durch Kindertagesstätte oder Schule sichern, beschränkt aber die Teilnahme der Eltern bei Berufstätigkeit. Während in klassisch türkischen Familien die Frau als Hausfrau dem Kurs nachkommen kann, hat der Vater, wie in dieser Arbeit beschrieben, meist das Zentrum der Familie, nicht die Möglichkeit, dem Kurs nachzukommen. Ein Kurs spät am Tag ermöglicht mehr Vätern die Teilnahme, sodass die Eltern als Paar an dem Kurs teilnehmen können. Hier stellt sich jedoch die Frage der Kinderbetreuung. Nicht immer ist es für diese Familien möglich, die Kinder von den Großeltern, der Tante etc. versorgen zu lassen. Eine allgemein gültige Richtlinie ist hier nicht zu finden. Ein parallel zum Kurs laufendes Angebot der Kinderbetreuung ist jedoch in jedem Fall ein positiv verstärkender Faktor. d) Die Geschlechtertrennung Männer und Frauen in klassisch türkischen Milieus verbringen ihre Freizeit gewöhnlich getrennt voneinander. Auch bei der Arbeitsteilung kommt es selten zu Berührungspunkten. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die angezielten Ehepaare zu gemeinsamen Sitzungen bereit sind. In den Kursen wird das Privatleben zumindest zu einem Teil offenbart. Die Eltern kommen in die Situation, auch Schwächen im eigenen Handeln und Verhalten vor der Gruppe einzugestehen. Dadurch besteht die Gefahr des ‚Ehrverlusts’. Männer könnten sich in Anwesenheit von anderen Männern und Frauen als schwach empfinden, Frauen 35 könnten ihre Aufgaben als Mutter in Gegenwart von anderen Müttern hinterfragt und kritisiert sehen. Eine Alternative wäre hier der Ansatz, die Geschlechtertrennung zu dulden und, während des gesamten Kurses oder bei bestimmten Einheiten, nur mit einer reinen Vätergruppe bzw. reinen Müttergruppe zu arbeiten. e) Die Kursleitung Die Leitung des Kurses stellt im Idealfall einen Pädagogen mit türkischem Migrationshintergrund dar. Auf diese Weise wird das Sprachproblem von vornherein ausgeschaltet. Eine türkischstämmige Kursleitung ist eher in der Lage, sich in die Mentalität der Zielgruppe hineinzuversetzen. Dennoch muss sie eine professionelle Distanz bewahren und in der Lage sein, althergebrachte Handlungsmuster in der Erziehung hinterfragen zu können und zu lassen sowie alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Kursleitung muss sich trotz Verständnis für die Mentalität der Eltern und deren Schwierigkeiten mit dieser in der deutschen Gesellschaft ohne Einschränkungen für eine gewaltfreie Erziehung einsetzen. Die nachfolgend verwendeten Informationen sammelte ich in Gesprächen mit zwei Mitarbeitern des Deutschen Kinderschutzbundes, Ortsverband Wuppertal: Frau Kerstin Holzmann und besonders Herrn Hayri Argav (Siehe Anhang). 8.2. Grundlagen des Elternkurses Das türkische Pendant von SESK verfolgt dieselben Grundziele wie der Ursprungskurs: Wege in eine gewaltfreie Erziehung aufzeigen und Kinder als autonome Individuen achten. Ein zentraler Unterschied ist die Vermittlung durch die türkische Sprache. Hiermit werden Familien angesprochen, die sich im Deutschen sprachlich nicht so treffend ausdrücken können wie in ihrer Muttersprache. Durch Gespräche mit Mitarbeitern des Kinderschutzbundes erfuhr ich, dass die Türken, die fließend deutsch sprechen, eine Teilnahme an einem türkischsprachigen Kurs nicht wünschen, da sie es aufgrund ihrer Sprachkompetenz für unnötig halten und teilweise auch, da sie mit den Besuchern eines solchen Kurses keinen Kontakt wollen. 36 8.3. Inhalt und Methodik der Kursstunden Die angesprochene Zielgruppe verfügt über teilweise stark eingeschränkte Schreib – und Lesekompetenzen. Daher wird in diesem Kurs nur sehr eingeschränkt mit schriftlichen Aufgaben und Hausaufgaben gearbeitet. Teilweise werden Stichpunkte, visualisiert durch eine Stelltafel, zu einem Thema aufgeführt. Die Mottos der einzelnen Kurse werden als Großschriftausdruck an die Teilnehmer ausgegeben. Ein weiterer Punkt, in dem sich die hier angesprochene Zielgruppe von der der Deutschen unterscheidet, ist die Bereitschaft über innerfamiliäre Probleme zu reden. Die einzelnen Teilnehmer kommen oft durch private Kontakte, Mund-zuMund-Propaganda zum Kurs. Neben der grundsätzlichen Hemmung über familieninterne Probleme in Gegenwart von Anderen zu reden, kommt hier noch zusätzlich der Aspekt hinzu, sich gegenüber Freunden und Familienangehörigen eine Blöße zu geben. Das Gespräch über eigene Fehler und Probleme wird vermieden um nicht als schwach oder versagend zu gelten. Aufgrund dieser Voraussetzungen kommt in den GABGC-Kursen ein großer Teil des Inputs von Seiten des Kursleiters. 8.4. Übertragung der Anforderungen an türkische Elternkurse auf „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" An dieser Stelle wird der vom Wuppertaler Kinderschutzbund organisierte Kurs „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" auf die in 8.1. gesammelten Anforderungen an einen gelingenden Kurs für türkische Eltern übertragen. a) Räumliche Faktoren Der Kurs findet zentral in Wuppertal-Elberfeld statt, eine Minute Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. Die Verkehrsanbindungen sind somit optimal. Dennoch werden dadurch durch die in 8.1. genannten Gründe nicht alle Eltern erreicht. Die Organisation eines Kurses in einzelnen Stadtteilen wäre bei genügend Bedarf jedoch möglich. b) Kostenfaktoren 37 Der komplette Kurs in zwölf Einheiten kostet für eine Einzelperson 40 Euro, für Paare 70 Euro und für Sozialhilfeempfänger jeweils 10 Euro. Der Kurs ist somit für alle angesprochenen Familien erschwinglich. c) Zeitliche Faktoren Der Kurs findet im Vormittagsbereich, montags zwischen 9.30 Uhr und 11.30 Uhr statt. Dadurch können nicht alle berufstätigen Eltern, besonders Väter, erreicht werden. Kinder können zum Kurs mitgebracht werden sofern der Veranstaltungsort eine Kinderbetreuung ermöglichen kann. Insgesamt ist die Abhaltung des Kurses von der Zeit her variabel. Dadurch können möglichst viele potentielle Kursteilnehmer angesprochen werden. d) Die Geschlechtertrennung Der Kurs ist für Mütter und Väter gleichermaßen offen. In der Realität nehmen jedoch weit mehr Mütter als Väter am Angebot teil. Neben Arbeitstätigkeit kann das Fernbleiben der Väter auf Hemmnisse zwischen Männern und Frauen zurückgeführt werden. Kurse speziell für Mütter oder Väter werden aus Konzeptionsgründen derzeit nicht stattfinden. e) Die Kursleitung Der Kursleiter, Herr Argav, ist ein aus der Türkei stammender Grundschullehrer und türkischer Muttersprachler. Mit diesem Hintergrund stellt er einen optimalen Kursleiter für dieses Klientel dar. 38 9. Konklusion Ausgangsfrage war, welche Faktoren Gewalt in türkischen Familien begünstigen und in wieweit Elternkurse eine geeignete Präventionsmaßnahme darstellen können. Gewalt ist in der hier betrachteten traditionell lebenden Gruppe türkischer Familien weitaus präsenter als im Gesellschaftsdurchschnitt. Nicht jede Gewaltanwendung wird innerhalb der Familie auch als solche erkannt und benannt. Der Islam und die Relevanz der Ehrerbietung bzw. Ehrerhaltung prägt das Handeln im Alltag. Die patriarchalischen Strukturen führen zu einer strikten Rollenverteilung und unterbinden eine Diskussionskultur. Die traditionellen Familien schirmen ihr internes Familienleben von äußeren Einblicken ab. Probleme werden nicht öffentlich gemacht und können somit nicht immer gelöst werden. Traditionelle Initiationen werden auf die Kinder bzw. jungen Menschen übergestülpt und behindern eine individuelle Entwicklung. Insgesamt steht der Kollektivismus vor der Individualität – die Meinung der Gemeinschaft ist erstrangig, die Meinung des Einzelnen zweitrangig. Althergebrachte Strukturen und Handlungsweisen werden auf diese Weise wenig oder gar nicht hinterfragt. Durch fehlende Diskussionsbereitschaft wird die Relevanz der Veränderung bestimmter Verhaltensweisen nicht ins Bewusstsein gerückt. Elternkurse wie hier exemplarisch dargestellt „Starke Eltern – Starke Kinder“ und sein türkisches Pendant „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar" können diesen Familien helfen, eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen und Konfliktsituationen gewaltfrei zu lösen. Eltern, die diesen Kurs besuchen haben bereits eigenständig den ersten Schritt zur Verhaltensänderung getan: Sie haben eine außerhalb der Familie stehende Institution aufgesucht um sich Unterstützung in Erziehungsfragen zu holen. Nur durch diese Grundeinstellung zur etwaigen Verhaltensänderung seitens der Eltern kann ein solcher Kurs auch erfolgreich sein. Ein deutscher Elternkurs lässt sich nicht unverändert auf traditionelle türkische Familien übertragen. Zu berücksichtigen sind Faktoren wie die sozio-ökonomische 39 Lage, das Rollenverständnis oder die interkulturelle Kompetenz der Kursleitung. Die wenig ausgeprägte Diskussionskultur und die Hemmnis, über familiäre Probleme in Anwesenheit Dritter zu reden fordern einen eher vortragsorientierten Kurscharakter. Die oft geringen Lese – und Schreibkompetenzen müssen bei der Visualisierung und Aufgabengestaltung berücksichtigt werden. Ein weiterer zentraler Punkt ist, Eltern transparent zu machen, dass Veränderungen in der Erziehung durchaus Monate und Jahre brauchen um als solche wahrgenommen zu werden. Inwieweit ein Elternkurs tatsächlich zur Gewaltreduktion in der Erziehung türkischer Familien beiträgt, ist empirisch noch nicht zu belegen. Dennoch stellen Elternkurse, so sie durchgängig besucht und möglichst mit Nachtreffen verbunden sind, einen wichtigen Schritt zu einer reflektierten Erziehung dar. Strukturen können hinterfragt und Verhaltensweisen diskutiert werden. Die Schaffung eines solchen Bewusstseins in traditionellen türkischen Familien stellt einen großen Erfolg für einen Elternkurs dar. 40 10. Literaturverzeichnis • Atabay, Đlhami: „Zwischen Tradition und Assimilation“, Lambertus, Freiburg, 1998 • Bade, Klaus J. / Oltmer, Jochen: „Normalfall Migration“, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung, 2004 • Gür, Metin: „Meine fremde Heimat“, Paul-Rugenstein-Verlag, Köln, 1987 • Honkanen-Schoberth: „Elternkurse: „Starke Eltern – starke Kinder“ Gewaltfreie Erziehung in der Familie“ IN: Homepage des Kinderschutzbund NRW http://www.kinderschutzbund-nrw.de/index2.htm (10.03.08) • Kelek, Necla: „Die fremde Braut“, Goldmann, München, 2006 • Kern, Bernd-Rüdiger / Köhler, Knut „Beschneidung in Deutschland: Religionsfreiheit oder Körperverletzung?“ IN Ärzteblatt Sachsen 3/2006, S. 104f • Petersen, Andrea: „Ehre und Scham“, Express Edition, Berlin, 1985 • Pfeiffer, Christian / Wetzels, Peter: „Junge Türken als Täter und Opfer von Gewalt“, KNF-Forschungsbericht Nr. 81 IN: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.2000, S. 14 • Sauer, Martina: „Perspektiven des Zusammenlebens – Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordhrein-Westfalen“, Essen, Zentrum für Türkeistudien, 2007 • Schäfers, Hans-Gerd: „Sozialisationsbedingungen türkischer Migranten“, KoWAG, Paderborn, 2001 • Schaub, Horst / Zenke, Karl G.: „Wörterbuch zur Pädagogik“, dtv, München, 1995 • Schnabel, Michael: „Elterkurs: Starke Eltern – starke Kinder“ IN: Homepage Familienhandbuch http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Fachbeitrag/a_Familienbildung /s_1139html (03.03.08) • Şen, Faruk / Goldberg, Andreas: „Türken in Deutschland – Leben zwischen zwei Kulturen“, München, Beck, 1994 41 • Statistisches Bundesamt: „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005“, Wiesbaden, Statistisches Bundesamt, 2007 • Statistisches Bundesamt – www.destatis.de: 1. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/Auslaen discheBevoelkerung/Tabellen/Content50/EinbuergerungStaatsangehoerigkeit,templateId=renderPrint.psml (12.02.08) 2. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/Auslaen discheBevoelkerung/Tabellen/Content50/TOP10,templateId=renderPrint.psml (12.02.08) • Toprak, Ahmet: „Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer“, Lambertus, 2005 • Toprak, Ahmet: „Jungen und Gewalt“, Centaurus, Herbolzheim, 2004 – Im Fließtext mit ‚b’ gekennzeichnet. • Toprak, Ahmet: „Wer sein Kind nicht schlägt, hat später das Nachsehen“, Centaurus, 2004, Herbolzheim – Im Fließtext mit ‚a’ gekennzeichnet. • Tworuschka, Monika: „Grundwissen Islam“, Aschendorff Verlag, Münster, 2002 • Väteraufbruch für Kinder e.V. (Hg.): „Genitale Verstümmlung bei Jungen und Männern“, Väteraufbruch für Kinder e.V., Augsburg, 2005 42 Anhang I: Zusammenfassung der Kursstunde vom 7. April 2008 Am 7. April 2008 bekam ich die Gelegenheit, selbst an einer Kursstunde von „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar“ teilzunehmen. Diese fand von 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr in den Räumen des Deutschen Kinderschutzbundes, Ortsverband Wuppertal, an der Schlossbleiche 18 statt. Da der Kurs auf türkisch gehalten wurde, konnte ich ihm nur oberflächlich folgen. An diesen Kurs nahmen sieben Mütter, zwei Väter und eine Großmutter teil. Abgesehen von einem Säugling waren keine Kinder anwesend. Der Kursleiter, Herr Argav verwendete zur Veranschaulichung eine Klapptafel. Neben einem Ordner mit Arbeitsblättern war dies das einzig verwendete Arbeitsmaterial. Der Kurs startete in der Vorwoche. Zu dem Zeitpunkt waren jedoch sehr wenige Eltern anwesend sodass heute der Einstieg wiederholt wurde. Begonnen wurde mit einer Vorstellungsrunde der Teilnehmer. Es wurde vereinbart, sich mit Vornamen anzureden. Herr Argav erläuterte das grundlegende Konzept von GABGC und begann dann mit dem eigentlichen Einstieg. Auf die Stelltafel schrieb er diverse Zahlen zur Situation von Türken in Deutschland bezüglich ihrer Berufs – und Lebensbedingungen. Den Schwerpunkt legte er auf folgende Werte: Arbeitslosenquote von Deutschen: 8 % Arbeitslosenquote von Migranten insgesamt: 18 % Arbeitslosenquote von Türken: 40 % Der Runde wurde nun die Frage gestellt, woher diese große Diskrepanz rühren könnte. Es wurde auf Diskriminierungen hingewiesen. Herr Argav wies seinerseits jedoch auf ‚hausgemachte Probleme’ seitens der Türken hin. Gegen Ende der ersten Stunde wurde eine Übung abgehalten, bei der die Eltern aufzuzählen hatten, was ihnen und was ihren Kindern wichtig sei. Bei den Eltern wurden Begriffe genannt wie Sevgi (Liebe), Saygı (Ehre/Respekt), Arbeit, Geld, Urlaub genannt. Für die Kinder kamen sie auf Begriffe wie Liebe, Glück und 43 Freunde. Auffällig war hierbei, dass die Begriffssammlung für Kinder deutlich länger dauerte als die der Eltern. Im Anschluss verdeutlichte Herr Argav die Bedeutung der Eltern für die Erziehung der Kinder mit einem Sinnbild. Er zeichnete einen Bogen, bezeichnete den Griff als Mutter, die Sehne als Vater und den Pfeil als Kind. Zwischenzeitlich teilte er auch zwei Merkblätter an die Eltern aus. Für die restliche halbe Stunde kam es zu einer Diskussion. Nachdem zuvor meist nur ein Vater und eine Mutter sich in die Diskussion eingebracht hatten, kamen nun alle Teilnehmer mit ihren Beiträgen zu Wort. Sämtliche Inhalte der Gespräche kann ich aus Verständigungsgründen nicht wiedergeben. Es wurde jedoch der Vergleich der Kindererziehung mit der Mathematik gezogen. Während es in der Mathematik immer einen stets anwendbaren Lösungsweg gibt, so ist dies in der Kindererziehung nicht möglich. Der Kurs endete kurz vor 11.30 Uhr. Nachdem die anderen Kursteilnehmer den Raum verlassen hatten, hatte Herr Argav noch ein Gespräch mit einer Teilnehmerin, die ihn darum gebeten hatte. 44 Anhang II: Interview mit dem Kursleiter von „Güçlü Anne- Babalar – Güçlü Çocuklar", Herrn Hayri Argav Im Anschluss an die Kurseinheit vom 7. April 2008 hatte ich die Gelegenheit, Herrn Argav über seine Erfahrungen mit dem Elternkurs zu befragen. In den letzten vier Jahren hat Herr Argav etwa 20 Kurse im Bergischen Land sowie Düsseldorf geleitet. Er selbst ist in der Türkei Grundschullehrer gewesen und in Deutschland hauptsächlich als Journalist und Regisseur tätig. Erreichte Klientel des Kurses Den Kurs besuchen mehrheitlich Mütter. Der Anteil von Vätern bei den Kursen liegt zwischen ein und drei Teilnehmern. Die Teilnehmer haben sich teilweise schon vor der ersten Kurseinheit gekannt. Hieraus resultiert, dass die tatsächlichen Probleme der Familien nicht erzählt werden. Oft kommen Kursteilnehmer nach dem eigentlichen Kurs auf Herrn Argav zu um ihn um Hilfe bei einem bestimmten Problem zu bitten. Immer wiederkehrende Themen Diese Frage verneinte Herr Argav. Die zur Sprache gebrachten Probleme seien immer wieder unterschiedlich. Bestimmte Themen, die stets zu Konflikten führten, könne er nicht benennen. Spezifische Unterschiede zwischen türkischen und deutschen Eltern Herr Argav bestätigte die klassische Rollenaufteilung in türkischen Familien. Der Vater entscheidet in der Familie, eine Diskussionskultur ist nicht gegeben, wenngleich es zu Konflikten kommen kann, wenn die Mutter anderer Meinung ist als der Vater. Die Meinung der Kinder ist weitgehend ohne Gewicht. Die Lebenswelten von Mann und Frau sind klar getrennt. Die Mütter verfügen als Hausfrau über den internen Bereich, die Männer verbringen ihre Freizeit außerhalb des Hauses. Herr Argav bemängelte hierzu das geringe Interesse der Väter an ihren Kindern. Diese würden auf fehlende Zeit verweisen, hätten aber Zeit für andere Dinge wie das Internet oder den Besuch von Kaffeehäusern. 45 Türkische Eltern würden einen Pädagogen wie einen Arzt betrachten. Sie schildern ihm ihr Problem und erwarten ein Patentrezept zur sofortigen Lösung des Problems. Die Erkenntnis, dass familiäre Probleme oft Monate oder Jahre brauchen um gelöst zu werden, ist nicht bekannt. Die türkischen Eltern würden mehrheitlich keinen Sinn in zusätzlicher Bildung wie Erwachsenenbildung sehen, da sie sich, die sie Erwachsene sind, als ausgelernt betrachten. Gewaltproblematik in türkischen Familien Herr Argav bestätigte meine in Punkt 4.4. erläuterten Erkenntnisse zur interfamiliären Gewalt. Die Zahlen von 30 Prozent + Dunkelziffer X konnte er bestätigen. Herr Argav fragt in seinen Kursen die Eltern direkt, ob sie ihre Kinder schlagen würden. Er führte weiter aus, dass er nicht jeder Verneinung glaubt. Weiters wies er auf die Gewalt von Seiten des Manns gegenüber der Frau hin, die er als weitaus höher erachtet als in deutschen Familien. Die Rolle des Islam in der Erziehung Herr Argav bestätigte, dass in den erreichten Familien der Islam einen gewichtigen Einfluss auf die Erziehung hat. Es sei normal für moslemische Väter, ihren Frauen und Kinder zu schlagen. Der Islam präge auch die Kleidungsvorschriften. Kinder dürften keine kurzen Hosen tragen.4 Herr Argav bestätigte, dass die Beschneidung und das Kopftuch eine Autonomieverletzung der Kinder darstellt. Er könne dies jedoch nicht in seinen Kursen thematisieren, da diese Themen tabuisiert sind und ein Großteil der Eltern dann seinen Kursen fernbleiben würde. Weiter wies er darauf hin, dass einige der Eltern, die seinen Kurs besuchen, der verbotenen Organisation „Tarikat“5 angehören, die von einem sehr strikten Islam bestimmt wird. 4 Herr Argav sprach hier nicht nur von Mädchen. Durch meine eigenen Beobachtungen konnte ich auch feststellen, dass moslemische Jungen auch im Sommer stets Hosen tragen, die mindestens bis zum Knie reichen. 5 „Tarikat“ ist ein Ordensbund, der dem sufiistischen Islam zugeordnet wird. Ihn kennzeichnet eine sehr strikte Religionsausübung. Zu genauerer Analyse im Rahmen dieser Arbeit fehlt hier der Raum. 46 Positive Erfahrungen mit den Kursteilnehmern Herr Argav bestätigte, dass sich durchaus positive Verhaltensänderungen bei den Kursteilnehmern feststellen lassen. Sehr erfreulich findet er den Wunsch von einigen Kursteilnehmern, den Kurs erneut besuchen zu wollen. 47