Artikel als pdf-Datei - Natalie Geisenberger
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Tatjana Hüfner veredelt ihre Siegerehrung mit einem Lippenbekenntnis. FotoAP •• Silber für Osterreich, ein Silberstreif für die Welt Vertrackte erste Kurve nach dem "Babystart": Die deutschen Rodel Damen gewinnen in Whistler "nur" Gold und Bronze, sind aber wegen der besonderen Umstände zufrieden. Tatjana Hüfner siegt mit der Konstanz des Champions. Von Anno Hecker Damenrodeln? Keine Frage - da gewin nen seit gefühlten hundert Jahren die Deutschen. Im Weltcup sind sie seit fast hundert Rennen ungeschlagen. Auf der Su che nach der letzten Niederlage in diesem Wettbewerb muss man ins letzte Jahrhun dert zurückblättern, 13 Jahre sind es her. Und bei Olympia? Dasselbe Bild. Auch da bildete der Rest der Welt 2002 und 2006le diglich den bunten Rahmen zur deutschen Meisterschaft - alle Medaillen gingen an den einen nationalen Verband. Tatjana Hüfner hat am Dienstag die schwarz-rot-goldene Tradition mit ihrer souveränen Tour zu ihrer ersten Goldme daille fortgesetzt. Hinter der Oberwiesen- thalerin aber ereignete sich Unerhörtes: Nina Reithmayer pflanzte sich in die deut sche Phalanx ein: Silber für Österreich! Erst dann kam die zweite Deutsche ins Ziel, die Debütantin Natalie Geisenberger aus München musste sich mit Bronze an freunden. Rodel-Historiker werteten den ersten erfolgreichen Angriff auf die deut sche Dominanz im dritten Jahrtausend als Zeichen für eine Zeitenwende. Das Ergeb nis aus dem Whistler Sliding Center kann man aber auch anders interpretieren: Die Deutschen sind auch Spitze, wenn sie ihre Stärke nicht ausspielen können. Daran hinderte sie der "Ladies Olympic Start" - so heißt, ganz feinsinnig, der im provisierte Startplatz in der fünften Kur ve. Nach dem tödlichen Unfall am vergan genen Freitag war die Abfahrt der Damen weiter nach unten ins Tal verlegt worden. Offiziell wird die Einstiegsstelle "Junio renstart" genannt, Athleten und Trainer sprachen am Dienstag vom "Kinder-" und Fans im Bus nach dem Wettbewerb vom "Babystart". Warum? Weil ausgewachse ne Spitzensportlerinnen nach knapp zwan zig Metern auf einer leichten Schräge mit allerlei Verrenkungen irgendwie die Kur ve bekommen mussten. ABC-Schützen ler nen sonst an dieser Stelle die Welt des Eis kanalrodelns kennen. Die Leichtgewichte sausen lustig ums Eck. Ihre gut trainier ten, teils doppelt so schweren Vorbilder aber mussten gleich am Anfang höllisch aufpassen, auf dem Weg zur Bestzeit ei nen kuriosen Fehler zu vermeiden: Sie durften nicht zu schnell sein. Und so schwankten und eierten selbst die Stars ?'!:." Goldener Moment: Tatjana Hüfner regis triert im Ziel ihren Triumph. Foto AFP der Szene in ein Rennen, als habe sich die Wok-WM (Männer und Frauen auf chinesi schen Kochtöpfen) nach Whistler verirrt. Tatjana Hüfner und ihre Kolleginnen hatten mehr olympische Würde verdient. Eine Herausforderung war das Hindernis rennen aber trotzdem: "Die Deutschen sind unter normalen Bedingungen die bes- ten Starter", sagte der' Cheftrainer der Österreicher, Rene Friedel, "ihre Athletik ist ein Teil ihres großen Erfolges." Ein Teil. Die anderen leistungsbestimmenden Faktoren reichten für eine immer noch glänzende Medaillenausbeute und dazu Platz fünf (Anke Wischnewski). "Man braucht die Technik, den Schlitten", sagt der Generalsekretär des Bob- und Schlit tenverbandes für Deutschland, Thomas Schwab, "und einen starken Kopf." Dritter von vier Durchgängen: Tatjana Hüfner führt mit 0,05 Sekunden vor Nina Reithmayer. In einem Gefährt in der Art eines alltradgetriebenen Golfwägelchens kommt sie von der Umkleidekabine am Damenstart zum Kindereinstieg hinunter. Tatjana Hüfner bahnt sich ihren Weg durch die Enge zwischen Eiskanal und Bö schung vorbei an den Offiziellen, scheint um sich herwn nichts wahrzunehmen. Auf dem ScWitten sitzend, schließt sie die Augen, wirkt Jbwesend. unberührbar im vielleicht schwierigsten Moment ihrer Kar riere. Ein FeWer kann Gold kosten. Und mit dem wegen der Startbiegung unge wohnt defensiv abgestimmten Schlitten "ich bin noch nie so sicher gefahren" -las sen sich in der ersten Kurve verursachte Verzögerungen kaum wieder aufholen. Tatjana Hüfner knetet Sekunden vor dem Start jeden einzelnen Finger. Alle Hand griffe scheinen programmiert. Patsch, patsch, zwei BeschleunigungsscWäge statt der üblichen drei ins Eis mit den nagelbe setzten Handschuhen, schon liegt sie gut in der Kurve. Hüfner gewinnt in diesem Durchgang 0,2 Sekunden Vorsprung, die Gold wert sind. Der deutsche Starttrainer ist zufrieden. Der Chef begeistert. "Sie ist unheimlich cool", sagt Schwab. "Ich habe nach der Umstellung versucht, Lösungen zu finden"; erklärt sie, "das ist mir mehr und mehr gelungen." Die zweimalige Welt meisterin, dominante Rennrodlerin der Saison, steigert sich Runde um Runde: Von der sechstbesten über die zweitbeste bis zur besten Startzeit. von Rang drei im ersten Lauf zu drei Bestzeiten. So sind Champions gepolt. Die Zweitbesten haben auch das Ni veau, aber nicht die Konstanz. Reithmay er und Geisenberger schwankten. "Die Tatjana", sagt Schwab schon Minuten nach dem Triumph im Ziel mit einem Sei tenblick auf seine Bronzemedaillenge winnerin, "hat ihre olympische Karriere in Turin auch mit Rang drei begonnen." Eine halbe Stunde vorher hatten fast an gleicher Stelle der Präsident des Interna tionalen Rodel-Verbandes mit seinem Ge neralsekretär ~rtei ergriffen für die Hoffnung allerl>hne deutschen Rennan zug. "Hoffentlich wird das was mit der Reithmayer", sagten die Herren. Sie sind von Amts wegen zu Neutrantät verpflich tet. Baten aber - trotz deutscher Staatsan gehörigkeit - inständig um ein Zeichen für alle Welt. Sie bekamen es: "Jetzt merkt man, das ganze Training im Som mer hat sich gelohnt, man kann in die deutsche Gruppe hineinfahren", erzählt die strahlende Reithmayer. Die Strategen im deutschen Lager können damit leben. Ein bisschen von dem silbernen Glanz der Österreicherin führt man auf ihre gute Schule zurück. Austrias Cheftrainer Friedel, einst ein guter Rennrodler, kommt aus Friedrichsroda.