Lieder zum Träumen - Haus der Kulturen der Welt

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Lieder zum Träumen - Haus der Kulturen der Welt
Lieder zum Träumen,
Betäuben und Vergessen
8.–11. Mai 2014
DOOFE
MUSIK
DOOFE MUSIK
Lieder zum Träumen, Betäuben und Vergessen
Vom kaum sichtbaren Knopf im Ohr bis zum HighEnd-Ballon, in der U-Bahn, beim Sport oder im Wartezimmer – Kopfhörer begleiten ihre Besitzer heutzu­tage überallhin. Sie bieten Distinktion, Privatheit, die
Möglichkeit zur Flucht aus dem öffentlichen Raum,
aus der Kommunikation, aber auch vor den eigenen
Gedanken und Gewissheiten.
Es ist diese eskapistische Qualität von Musik, die
wir meinen, wenn wir doofe musik thematisieren.
»Doof« ist nicht als Geschmacksurteil zu verstehen,
sondern bezieht sich eher auf die ursprüngliche,
aus dem Niederländischen entlehnte Bedeutung des
Wortes: taub. Wir suchen nach dem betäubenden
Effekt von Musik. Dieser wird gemeinhin vor allem als
banal, stumpf und anspruchslos geltenden Musik­
genres zugeschrieben wie Polka, Bolero, Schlager
oder Arabesk. Aber steckt wirklich nicht mehr in
diesen Stilen? Wir bieten mächtige Fürsprecher auf,
die ihre Ehrenrettung betreiben. Auf der anderen
Seite zeigen wir die Fluchtmöglichkeiten in scheinbar
komplexeren, höher angesehenen Genres wie dem
Jazz und der klassischen Musik.
Was aber hat es auf sich mit dem Eskapismus? Wie
kann man die Neigung zum Nicht-wissen-Wollen
bewerten? Welche Bedeutung hat sie für die Wissensgesellschaft? All dies sind Bezüge des dritten Musikprogramms im Rahmen des anthropozän-projekts.
Nach den Fragen nach dem Menschen an sich (unmenschliche musik) und seinen Intentionen (böse
musik) möchte doofe musik so die Lernfähigkeit
des Hauptakteurs im Anthropozän untersuchen und
an seinem Selbstbild womöglich die eine oder andere
Korrektur vornehmen.
Detlef Diederichsen, Holger Schulze
Kuratoren doofe musik
STUPID MUSIC
Songs for Dreaming, Sedation and Forgetting
As barely visible earbuds or high-end balloons clamped
to the head, on the underground, at the gym, or in
the waiting room, earphones accompany their owners
everywhere today. They offer distinction, privacy, and
a mobile retreat from public space and communication
—as well as from one’s own thoughts and certainties.
It’s this escapist quality that we mean when we
speak of stupid music. Not to be understood as
a judgment of taste, “stupid” refers here to the dulled
sensory state denoted by the word in its ancestral
forms. In short, we’re looking for the numbing effect
music can have. This is most commonly ascribed to
musical genres considered banal and unchallenging,
such as the polka, bolero, arabesque, or German
Schlager. But is there really nothing more to these
styles? We mobilize powerful proponents in defense
of their honor. At the same time, we shed light on the
escapist possibilities lurking in seemingly more
complex, more highly esteemed forms like jazz and
classical music.
But what’s escapism all about? How does one
judge the inclination to not want to know? What does
this tendency mean for the knowledge society? These
are all questions taken up in the third music program
in the framework of the anthropocene project.
Following an exploration of human nature (unhuman
music) and human intentions (evil music), stupid
music sets out to investigate the Anthropocene
protagonist’s learning capacity—and, if possible, to
make a correction or two to his self-image.
Detlef Diederichsen, Holger Schulze
Curators stupid music
AUDITORIUM
Guido Möbius, Foto: Martin Kurtenbach
Donnerstag 8.5.
20h · Eröffnungskonzert
POCKET SYMPHONIES
Mit Eliav Brand, Patric Catani, John Kameel Farah, Adi Gelbart, Juliana
Hodkinson, Kammerensemble Neue Musik, Ari Benjamin Meyers, Guido
Möbius, Alex Paulick, Ana Maria Rodriguez, Zeitblom, Moderation: Khan
FOYER
Mit dem Klingelton und der Audio-CI ist die Idee der »Komposition« auf
die wohl kleinste mögliche Einheit zusammengeschrumpft. Die Haus­
aufgabe an die Musiker dieses Abends bestand darin, den aus der
Fern­sehwerbung bekannten und gefürchteten Kennton eines namhaften
Telekommunikationsunternehmes (Düdeldü-di-dü!) mit individuellen
kompositorischen Mitteln, vom Laptop bis zum Streichquartett, zur
drei- bis fünfminütigen Komposition aufzublasen.
21h · Performance
DER HOKEY POKEY
Der kleinste gemeinsame Nenner des Gesellschaftstanzes: der Hokey
Pokey. Jeder kennt ihn, jeder kann ihn und damit ist er auch Keimzelle
von Vergnügungen wie der Polonaise oder dem Ententanz. – Eine choreografische Reflexion von Rica Blunck, musikalisch unterstützt vom
Chor der Kulturen der Welt unter der Leitung von Barbara Morgenstern
Durch den Erfolg von »Balkan-Techno«-Hybriden hat auch – mehr als
150 Jahre nach seinem ersten globalen Siegeszug – der Polkarhythmus
wieder klammheimlich Einzug in die mitteleuropäische Feierkultur
gehalten. Wolfgang Voigt, der Techno schon öfter als Ausgangspunkt für
Reisen in spezifisch deutsche Befindlichkeits- und Klanglandschaften
benutzt hat (vgl. die Gas-Alben »Zauberberg« und »Königsforst«),
hat diese Entwicklung bereits 1996 mit seiner EP »Polka Trax« (Warp
Records) vorweggenommen.
Wolfgang Voigt
CAFÉ GLOBAL
22h · Doofe Lounge I
WOLFGANG VOIGT SPIELT POLKA TRAX
Pocket Symphonies: Artists using compositional means ranging
from a laptop to a string quartet blow up a famous telecommunications company’s dreaded advertising jingle into a series of
several-minute-long compositions. The Hokey Pokey: Rica Blunck’s
choreographic reflection on ballroom dancing’s lowest common
denominator and the germ cell of such amusements as the
polonaise and the chicken dance. Wolfgang Voigt Plays Polka Trax:
With the success of “Balkan techno” hybrids, the polka rhythm
is making a clandestine comeback in Central European party
culture. Voigt anticipated this development as early as 1996 with
his EP “Polka Trax.”
Installationen
FOYERS UND GÄNGE
WOLFGANG VOIGT: Rückverzauberung 9 –
Musik für Kulturinstitutionen
AUFZUG
TRACKING BACK THE BACKING TRACK
FOYER
SCHNEIDER TM: Der Nippel Mobilee
HAUPTEINGANG
Do & Fr 18–0h, Sa 16–0h, So 16–23h, Eintritt frei
CRISTIAN VOGEL: Chemical For Music Toilet
Als Produzent von mehr als 160 Tonträgern unter ca. 30 Pseudonymen,
Kompakt-Mitbegründer und Pate des minimalistischen »Sound of
Cologne« hat Wolfgang Voigt zahlreiche Akzente in der internationalen
Techno-Landschaft gesetzt. Als Mixed-Media-Künstler machte er mit
der Installation »Zukunft ohne Menschen« bei der Art Cologne auf sich
aufmerksam. Es folgten die Videoinstallation »Du musst nichts sagen«
und eine Serie von Platten-Artworks. Ab Donnerstag beschallt seine
neueste Arbeit, eine Nonstop-Klanginstallation aus abstrakt-ambienter
Blasmusik, das HKW.
Als CD vor Ort erhältlich
14 Musiker und Komponisten aus dem Umfeld des Berliner AvantgardeClubs »Ausland« nehmen den Begriff der »Fahrstuhlmusik« beim
Wort und stellen eigene Kompositionen zur Verfügung, die als Dauerschleife im Lift des HKW auf und ab gespielt werden: traumhafte,
flüchtige, angenehme oder verstörende Momente von Margareth
Kammerer, Anja Jacobsen, Maria Bertel, Tisha Mukarji, Louis Rastig,
JD Zazie, Ian Douglas-Moore, Nathalie Ponneau, Axel Dörner, The
Understated Brown, Sabine Ercklentz, Andrea Neumann, Liz Allbee
und Johnny Chang.
Zu den erfolgreichsten Beiträgen zur Blödelwelle in der bundesrepu­
blikanischen Schlagerwelt der 70er-Jahre zählt Mike Krügers »Der
Nippel«: des Kleinbürgers Abrechnung mit Gebrauchsanweisungen und
den Herausforderungen des modernen Lebens. Schneider TM, einst
Musiker bei The Locust Fudge und Hip Young Things, später Brückenbauer zwischen Indie-Rock, Electronica und Improvisation, nimmt den
Song beim Wort und baut ihn zum klingenden Mobile um: von Nippel,
Lasche, Kurbel und Pfeil bis zur vermaledeiten Senftube und dem
finalen Himmelstor. Zum Erinnern, Lauschen, Lachen und Verzweifeln.
In den mehr als 20 Jahren seiner Karriere hat Cristian Vogel kniffelige Technotracks (u. a. Tresor Records und Novamute) veröffentlicht, reine Maschinenmusik unter dem Pseudonym Trurl & Klapaucius und, gemeinsam mit
Jamie Lidell, futuristische Vokalismen unter dem Namen Super Collider.
Der doofen musik, einem der wenigen Festivals mit ausreichend Toiletten,
stellt er ein Chemie-Klosett zur Verfügung, das mit einem aus Originalkompositionen und Field Recordings gefertigten Soundtrack beschallt wird.
THEATERSAAL
18h · Vortrag
EBBA DURSTEWITZ: KLASSISCHER FALL VON
SOPHISTICATED ESCAPISM: WAS BEETHOVENS
3. SINFONIE SO DOOF MACHT
THEATERSAAL
Axel Dörner
Freitag 9.5.
19h · Gespräch
ARTIST TALK MIT WOLFGANG VOIGT
In ihrer Lecture Performance nimmt die Musikerin (JaKönigJa) und
Literaturwissenschaftlerin Ebba Durstewitz uns mit in die nur vermeintlich vom Aussterben bedrohte Welt des braven, Beethoven verehrenden
Bildungsbürgers. Wie die 3. Sinfonie »Eroica« zum Fetisch einer
auf Abgrenzung und Selbstüberhöhung bedachten Weltflucht wurde,
die Musik lieber als Kultur denn als Kunst kanonisiert, zeigt die Musikgelehrte in einer so amüsanten wie provokanten Beweisführung.
Wolfgang Voigt hat unter Verwendung zahlreicher Pseudonyme (Gas, Mike
Ink, Wassermann) die Feierwut des Techno mit provokanten Beiträgen
zur Identitätspolitik und Kulturgeschichte aufgemischt. Er ist Mitbegründer des aus dem gleichnamigen Plattenladen hervorgegangenen Labels
und Vertriebs Kompakt Records, das bereits früh den Übergang zum
digitalen Vertrieb vollzog und bis heute zu den erfolgreichsten deutschen
Independent-Labels zählt. Im Artist Talk spricht er mit Detlef Diederichsen und Holger Schulze, den Kuratoren der doofen musik, über seine
Soundinstallation »Musik für Kulturinstitutionen«, über funktionale Musik,
Ambient, New Age und die Verwandtschaft zwischen Polka und Techno.
Mit Liz Allbee, Johnny Chang, Axel Dörner, Sabine Ercklentz, Hannes
Lingens, Andrea Neumann, Derek Shirley
Fahrstuhlmusik, Warteschleifen-Beschallung, billiges Werbemedium
für teure Lifestyle-Accessoires: »Smooth Jazz« gilt als Jazz für jene,
die keinen Jazz mögen. Eine »Supergroup« aus Musikern der im und um
den Prenzlauerberger Gegenkulturstandort »Ausland« herum aktiven
»Echtzeitmusik«-Familie treten an, um dem süßen Geheimnis von Kenny
G. auf die klebrige Spur zu kommen. Dabei behalten sie aber auch die
Konzepte von »undoofen« Künstlern wie Ambient-Pionier Erik Satie
(»Möbelmusik«), Schlitzohr Brian Eno (»Music for Airports«) und Meistern
der Subversion wie William S. Burroughs und Genesis P-Orridge
im Sinn: Das Projekt Seems dehnt mit »My Funny Valentine« einen
Klassiker der Hintergrundmusik bis an die Grenze der Erkennbarkeit.
Das Duo ercklentz/neumann präsentiert »Smooth Jazz«-Bearbeitungen
eigener Stücke, Trompeter Axel Dörner, Spezialist für leiseste Töne,
stellt seine Komposition »Verdacht« vor, ein flüchtiges Stück für
Trompete und Electronics. Und das »Classic Rock Power Trio« The
Understated Brown begibt sich ins Referenzdickicht von Easy Listening
und Barjazz.
Kuratiert von Ruth Waldeyer und Christina Ertl-Shirley
In Zusammenarbeit mit Ausland e. V.
ercklentz/neumann, Foto: Weber
CAFÉ GLOBAL
20h · Konzerte
MIRACLES: FLÜCHTIGE MOMENTE DER
SCHÖNEN MUSIK
CAFÉ GLOBAL
22h · Doofe Lounge II
EL MAHDY JR. SPIELT ARABESK
In der Türkei wird auf Arabesk gern als »Taxifahrermusik« herab­
geschaut: ägyptische Orchester nachäffende, üppig ornamentierte,
überproduzierte Billig-Sentimentalismen für die Unterschicht.
Der algerische Produzent El Mahdy Jr. entdeckte ihre verschmähte
Schönheit während seines Aufenthalts in Istanbul und wählte sie
als Sample-Quelle für seine 2013 auf Boomarm Nation erschienene
EP »The Spirit of Fucked Up Places«.
Ebba Durstewitz – A Classic Case of Sophisticated Escapism:
What Makes Beethoven’s Third Symphony So Silly: In an amusingly
provocative way, the lecture performance shows how the
“Eroica” became a fetish of a self-aggrandizing flight from reality.
Artist talk with Wolfgang Voigt: The cofounder of the label Kompakt
Records on functional music, ambient, New Age music and the kinship of polka and techno. Miracles: Fleeting Moments of Beautiful
Music: “Smooth jazz”—we hear it in elevators, while waiting on
the phone, and in cheap ads for pricey lifestyle accessories. Here, a
“supergroup” interprets this genre in all its sticky-sweet variations.
El Mahdy Jr. Plays Arabesque: For his EP “The Spirit of Fucked
Up Places,” the Algerian producer discovered the scorned beauty
of arabesque, a genre often denigrated in Turkey as “taxi driver music.”
Installations
Thu & Fri 6 pm–12 midnight, Sat 4 pm–12 midnight, Sun 4–11 pm,
admission free
Wolfgang Voigt —Reverse enchantment 9 —Music for Cultural
Institutions: As a mixed-media artist, Voigt has drawn attention with,
among other things, his installations “Zukunft ohne Menschen”
(Future without Humans) and “Du musst nichts sagen” (You don’t
have to say anything), as well as his record artworks. Starting
Thursday, his new sound installation can be heard at HKW.
Tracking Back the Backing Track: Taking “elevator music” at its
word, fourteen members of the Berlin club “Ausland” create
compositions specially for the HKW lift. Schneider TM—Nipple
Mobilee: “Der Nippel,” one of the most successful songs tossed
up by the inane wave of 1970s German Schlager music, is reborn as
a hanging sound sculpture. Cristian Vogel—Chemical For Music
Toilet: Vogel provides stupid music with a chemical toilet graced
with a soundtrack consisting of field recordings and his own
compositions.
THEATERSAAL
16h · Film
DU BIST NICHT ALLEIN – DIE ROY BLACK STORY
THEATERSAAL
Adriano Celentano Gebäckorchester
Samstag 10.5.
18h · Mikrosymposium I
DIE FURCHT VOR DER FLUCHT
R: Peter Keglevic, D 1996, 96 min, deutsche OF
Roy Black personifizierte eine Mischung aus Provinzialität und weiter
Welt, die in der Bundesrepublik einen Nerv traf. Das mit Christoph Waltz
in der Titelrolle gedrehte Biopic zeigt die Karriere des Sängers in ihrer
ganzen Ambiguität zwischen songgewordenem Hochzeitstraum »Ganz in
Weiß« und »Schnulzenerlass« des Radiosenders Ö3.
Welch Genuss es doch ist, ins Doofe, Schlichte, Primitive zu flüchten!
Warum also diese Angst davor? Warum suchen wir nach Schutzbehauptungen – »das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist« – um uns
ironisch, objektiv oder dialektisch vom Schlichten zu distanzieren? Was
ist falsch an unseren »guilty pleasures«, ist unser Selbstbild als eines
selbstermächtigten, umfassend reflektierten und versierten Subjekts in
so großer Gefahr? Das Symposium will unsere Furcht vor dem Doofen
auf den Grund gehen.
Mit Markus Bongartz (Komponist, Berlin), Andreas Dorschel (Musik­
historiker, Graz), Reinhold Friedl (Musiker, Berlin), Simon Grab
(Musiker, Zürich), Moderation: Holger Schulze (Leuphana, Lüneburg)
Mit dem Adriano Celentano Gebäckorchester, Justus Köhncke,
Friedrich Liechtenstein, Lifafa
»You’d think that people would have had enough of silly love songs/but I
look around me and see it isn’t so« – an Paul McCartneys Erkenntnis
von 1976 hat sich auch heute noch nichts geändert. Grund genug, dem
Thema im Rahmen der doofen musik eine eigene Gala zu widmen. Mit
dabei: Justus Köhncke, Kompakt-Techno-Künstler, der nicht nur immer
schon eine Schwäche für »Flitter und Tand« hatte, wie er im Eröffnungssong seines aktuellen Albums »Justus Köhncke & The Wonderful
Frequency Band« verrät, sondern auch von McCartneys Hymne fürs
Leben geprägt wurde. Ebenfalls eine entspannte Haltung gegenüber
sentimentalem Liedgut vertritt seit Jahren der Berliner Schauspieler und
Lebenskünstler Friedrich Liechtenstein, der dank der viralen Werbekampagne einer bekannten deutschen Supermarktkette jüngst zu überraschendem Medienruhm gekommen ist. Zum globalen Experiment wird
der Abend durch die Mitwirkung von Lifafa aus Delhi, Frontmann des
psychedelischen Musikzirkus Peter Cat Recording Co. Er feierte sein
Berlin-Debüt als Solokünstler beim Worldtronics-Festival 2013 im HKW.
Über die italienischen Seiten des Lebens schließlich singt, bläst, stampft
und trötet im Berliner Untergrund seit Jahren das vielköpfige Adriano
Celentano Gebäckorchester. Heute schaltet es einige Gänge zurück, um
mediterranes Sentiment in uns allen zum Vorschein zu bringen.
Friedrich Liechtenstein, Foto: Ralph Anderl
AUDITORIUM
20h · Konzerte
SILLY LOVE SONGS
CAFÉ GLOBAL
21.45h · Liveübertragung
EUROVISION SONG CONTEST
Beim Eurovision Song Contest trifft alljährlich Triumph auf Tragik,
Unterhaltung auf Statistik, das Klassenziel eines europaweit effektiven
Erfolgscodes auf unverhohlenen Nationalismus. Vier Experten des
schönen Scheins kommentieren das live aus Kopenhagen übertragene
Event: Christiane Rösinger (Ex-Lassie-Singer, Flittchenbar-Kraft
und Chronistin der Berliner Boheme), Justus Köhncke (Pop-Artist), die
Mode- und Musikjournalistin Sonja Eismann und die Hamburger
Choreografin Rica Blunck.
CAFÉ GLOBAL
Mit Rica Blunck, Sonja Eismann, Justus Köhncke, Christiane Rösinger
23h · Doofe Lounge III
NOURI BEN REDJEB SPIELT SCHLAGER
Mysterium deutscher Schlager: eine Mischung aus Marschmusik
und romantischem Lied, zu der am besten im Sitzen getanzt wird und in
der Frisuren möglicherweise eine größere Rolle spielen als das reale
Schallereignis. Nouri Ben Redjeb, seit Jahrzehnten ein Aktivposten des
Berliner Schmelztiegels, hat sich seinen eigenen Reim auf die heile
Welt des Schlagers gemacht und präsentiert seine liebsten Fallbeispiele.
The Roy Black Story: Christoph Waltz embodies the singer who
touched a nerve in Germany with his mix of the provincial and
the worldly. The Fear of Fleeing: The symposium examines the
ironical or dialectical distance we take from our guilty pleasure in
the simple and the silly. Silly Love Songs: “You’d think that people
would have had enough of silly love songs/but I look around
me and I see it isn’t so …” Paul McCartney’s insight inspires a gala
with Justus Köhncke, Friedrich Liechtenstein, Lifafa and the
Adriano Celentano Gebäckorchester. Eurovision Song Contest:
An annual collision of triumph and tragedy. Four experts on
gloss and glamor deliver real-time commentary during the live
broadcast of this year’s installment from Copenhagen. In the
Lounge: Nouri Ben Redjeb looks for rhyme and reason in the
genre of the German Schlager.
Sonntag 11.5.
16h · kids&teens-Workshop
KONSOLE MIO r
Wie könnten Super Mario oder Tetris anders klingen? Videospielmusik
selber gemacht! Ein Workshop mit Simon Franzkowiak und Benjamin
Ostarek. Ab 8 Jahren
16h · Film
THANK YOU FOR THE MUSIC – A FILM ABOUT MUZAK
R: Mika Taanila, Finnland 1997, 24 min, finnische OF mit englischen
Untertiteln
Wie in so vielen von Taanilas auf mehr als 300 Festivals aufgeführten
Filmen spielt auch hier die Musik eine tragende Rolle: Fachleute wie
Theo Van Leeuwen (Hauskomponist eines Elektronik-Herstellers) und
Joseph Lanza, Autor der Standardwerke »Elevator Music« und »Vanilla
Pop«, sprechen über Wesen und Wirken der unterschwelligen Berieselung, knallbunt koloriert und unterlegt mit einem lobotomisierenden
80-bpm-Dauerpuls. Muzak wird unter Taanilas Händen zum Schlachtfeld der Zukunft.
THEATERSAAL
Filmstill »Thank you for the Music«
THEATERSAAL
Teilnahmebeitrag 5€, Anmeldung unter [email protected]
16.30h · Film
DECODER
R: Muscha, D 1984, 87 min, deutsch/englische OF
Gedreht mit minimalem Budget und basierend auf William S.
Burroughs’ Non-Fiction-Büchlein »The Job«, ist »Decoder« ein fast
verschollenes Dokument des Cyberpunk. Im Mittelpunkt steht die
von Burroughs entwickelte Idee, eine auf Konformität und Konsum
abgerichtete Gesellschaft durch manipulierte Muzak zur Rebellion zu
motivieren. Der Soundtrack stammt u. a. von Hauptdarsteller F.M.
Einheit, John Caffery, Dave Ball sowie Genesis P-Orridge, der, so wie
Burroughs selbst, einen Kurzauftritt hat.
THEATERSAAL
18h · Mikrosymposium II
UNSERE DOOFE MUSIKKULTUR
Warum lieben wir das Doofe? Warum ist unsere Musikkultur voll davon?
Können wir nicht anders? Was verbindet die kaum abzuweisende Lust
am Doofen mit unserer Faszination für das Böse, für das Unmenschliche, das Triebhafte? Ist das alles nur eine Entlastungsfantasie? Was,
wenn doofe Musik tatsächlich keine schreckliche Ausnahme ist –
sondern das einzig verlässliche Fundament musikalischer Praxis und
Theorie? Ein Blick aus dem Panoramafenster des Elfenbeinturms der
bürgerlichen Gewissheiten.
CAFÉ GLOBAL
Salvadora Andaluz
Mit Detlef Diederichsen (HKW, Berlin), Justus Köhncke (Musiker, Berlin),
Jens Gerrit Papenburg (Musikwissenschaftler, Berlin), Moderation: Holger
Schulze (Leuphana, Lüneburg)
20h · Konzert
SALVADORA ANDALUZ
Auch so ein weltumspannendes Phänomen, das zu gleichen Teilen
geliebt wie gehasst wird: der Bolero, Inbegriff der lateinamerikanischen
Schnulze, Schwanengesang gefallener Frauenzimmer und sterbensunglücklicher Opfer der Liebe. Salvadora Andaluz aus Bogotá ist die
Galionsfigur der »Nueva canción« und des »Space-Bolero« und macht
derzeit mit der Kreation eines neuen Genrebastards namens »Bolero
salvaje« von sich reden, die auf den Texten der kolumbianischen
Avantgarde-Band Meridian Brothers basiert, die schon zweimal im
HKW zu sehen war.
Kofelgschroa © Sonja Herpich
CAFÉ GLOBAL
21h · Konzert
KOFELGSCHROA
Benannt nach dem Oberammergauer Hausberg, dem Kofel, wurde aus
Matthias Meichelböck, Maxi Pongratz und den Brüdern Martin und
Michael von Mücke das heutige »Kofelgschroa«, als sie ihre von lokalen
Traditionen hergeleitete Musik um bis zu dreistimmiges Geschrei und
künstliche Widersprüche erweiterten. Seitdem ergründet das Quartett,
bewaffnet mit Akkordeon, Flügelhorn, Tenorhorn, Helikontuba, Gitarre
und Mundart ihr nach eigenen Angaben schizophrenes Verhältnis zum
Oberammergauer Brauchtum.
Console mio: Compose your own video-game music! Workshop for
kids ages 8 and up. Thank You for the Music – A Film about Muzak:
On the essence and impact of subliminal musical streams, in bright
colors and accompanied by a constant, lobotomizing 80-bpm
pulse. Decoder: Cyberpunk film, based on William S. Burroughs’s
nonfiction book “The Job.” Our Stupid Music Culture: The symposium asks: what if the stupid is the only reliable foundation of
musical practice and theory? Salvadora Andaluz presents her new
genre bastard “Bolero salvaje,” based on lyrics from the Colombian
avant-garde band Meridian Brothers. Kofelgschroa employs
accordion, flugelhorn, tenor horn, helicon tuba, guitar and the local
vernacular to plumb the depths of its self-admittedly schizophrenic
relationship to the customs of the town of Oberammergau.
Hier geht es nicht etwa um guten Geschmack, nicht um »schlechte«
Musik. Thema ist vielmehr der menschliche Eskapismus: die Abwendung
von Alltag, Wirklichkeit und schlechten Nachrichten, die Rolle, die
Musik dabei spielen kann, die Frage nach den Verlockungen solcher
Fluchten und letztlich nach der Einsichtsfähigkeit des Menschen.
Mehr unter hkw.de/doofemusik
The festival isn’t about good taste or “bad” music. Rather, it’s
about human escapism: the avoidance of everyday routine, reality
and bad news, and the role music can play in this. It’s about the
question of our temptation to flee and, ultimately, of our capacity
for reason.
For detailed English program please check hkw.de/stupidmusic
Eintritt:
Eintritt frei zur Eröffnung am 8.5. und für
Lounges, Talks, Sound-Installationen, Filme
Konzerte 9.–11.5.: 10€/8€ pro Abend
Festivalpass: 20€
Kuratiert von Detlef Diederichsen (Bereichsleiter Musik, HKW) und Holger Schulze
(Professor Sound Studies, Leuphana, Lüneburg)
Programmkoordination: Gabriele Tuch, Projektkoordination: Pia Thilmann
Praktikantinnen: Marleen Pfefferkorn, Catarina Pires
Das Haus der Kulturen der Welt ist ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen
des Bundes in Berlin GmbH.
Intendant: Bernd M. Scherer, Kaufmännische Geschäftsführerin: Charlotte Sieben
In Kooperation mit
Präsentiert von
Trailer
HKW
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
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Design: NODE Berlin Oslo
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