„Das Motto Ü 30 ist ausgelutscht“

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„Das Motto Ü 30 ist ausgelutscht“
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CITY EXTRA
Mittwoch, 3. Juni 2009
Zeitung Nr.8
Spaziergang durch Weinberge
Die Nacht ist kreativ
„Meistens bin ich in einer der vielen guten Kultureinrichtungen der Stadt unterwegs. Wenn nicht, laufe ich abends
gern den Schimmelhüttenweg durch die Weinberge nach
Degerloch. Zwischen den alten Mauern riecht es im Frühjahr schon nach Sommer. Danach gibt es an den besonders guten Tagen badischen Weißwein und Spargel in der
Weinstube Vetter.“
„Ich bin gern in Stuttgarts Subkultur unterwegs, weil sie
für mich und meine Arbeit ungeheuer inspirierend ist. Die
Szene boomt! Im Club Zwölfzehn habe ich die RockabillySwing-Band Triple Espresso gesehen. Ich war so begeistert, dass ich sie in meine New-Burlesque-Show im Winter
integrieren werde. Auch liebe ich die schrägen Veranstaltungen, die die Rollergirlz im Keller Klub organisieren.“
Ralph Sun,
Künstlerischer Leiter im Friedrichsbau Varieté
Petra von Olschowski,Geschäftsführerin der
Kunststiftung Baden-Württemberg
Ausgehen in Stuttgart
Ü
-30-Partys sind
out. Welche
Bars und Clubs die
Stuttgarter jenseits
der 30er-Marke dennoch aufsuchen können und an welchen
Wochentagen wo
etwas los ist in der
Stadt, zeigen Kathrin
Thimme und
Stefanie Käfferlein.
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Im Perkins Park, einer der ältesten Diskotheken in Stuttgart, trifft sich nicht nur das ganz junge Publikum.
„Das Motto Ü 30 ist ausgelutscht“
Stuttgart bietet nicht nur für Teenager Ausgehmöglichkeiten – Einige Adressen schaffen eine ausgeglichene Mischung aller Altersklassen
Boa-Chef Werner Find ist ein Urgestein
des Stuttgarter Nachtlebens. Er erklärt,
warum es kaum Locations speziell für
Ü-30er gibt, wie sich das Ausgehverhalten verändert hat und wo die Leute jenseits des Teenie-Alters dennoch ihre
Abende und Nächte verbringen können.
Von Kathrin Thimme
Endlich Wochenende. Das heißt zwei Tage
frei, zwei Tage Zeit zum Ausschlafen und
zwei Abende zum Ausgehen. Wohin die Reise
ins Nachtleben geht, wird oft spontan entschieden. Die Stadt ist schließlich voll von
Clubs und Bars.
Allerdings nicht voll genug, wenn man so
manchem Bekannten zuhört, der die magische Altersgrenze von 30 um ein bis ein paar
Jahre überschritten hat. ’Ich kann abends
nirgendwohin hin’, ’Ich habe keine Lust auf
Teenie-Alarm’, ’Für mein Alter gibt es keinen
Club in der Stadt’. So ähnlich klingen die
Reaktionen auf den Vorschlag, nachts mal
wieder um die Häuser zu ziehen.
Ist das tatsächlich so? Gibt es in Stuttgart
keinen Club, in dem sich ein Mitdreißiger
nicht fühlen muss wie ein Rentner? Müssen
die Leute jenseits der Zwanziger überall
fürchten, vom Türsteher gefragt zu werden,
ob sie ihre Kinder abholen wollen?
Werner Find weiß auf diese Fragen keine
klare Antwort. Das lässt für die Ü -30er
nichts Gutes hoffen. Denn wenn jemand das
Nachtleben in der Landeshauptstadt kennt,
dann Werner Find. Er ist seit 32 Jahren
Inhaber der Boa. Auch das legendäre Oz hat
ihm gehört, ebenso das Ufo und das Ballhaus.
Ein Urgestein also in dieser Branche.
Auch Find kennt die typischen Sätze derjenigen, die dem Jugendalter entwachsen
sind. „Viele sagen, dass sie nicht weggehen,
weil es für sie nicht das richtige Angebot
gibt.“ Das ist auch die halbe Wahrheit, denn
in der Stadt findet sich keine Bar und keine
Discothek, die explizit für 30-, 40- oder
50-Jährige wäre. Der Grund dafür ist ein
ökonomischer und ziemlich einleuchtend:
„Diese Altersgruppe ist im Beruf etabliert,
viele haben Familie und gehen nicht
mehr jedes Wochenende aus“,
sagt Find. Und kein Club-Besitzer kann es sich leisten, darauf zu warten,
dass diese Zielgruppe
sich dann einmal pro
Monat entschließt,
abends
auszugehen. „Wenn diese
Leute ausgehen,
geben sie an einem Abend zwar
mehr Geld aus als
ein
Zwanzigjähriger“, sagt Find. „Aber
der Zwanzigjährige
kommt dafür regelmäßig.“
Das war auch
ein Grund, warum
viele Clubs und Diskotheken regelmäßig oder sporadisch sogenannte
Ü-30Partys
ins
Programm genommen
haben. Der Trend
klingt aber schon
wieder ab. „Das Motto ist einfach out“, sagt
Find. 2007 gab es noch insgesamt drei
Ü-30-Partys in der Liederhalle. „Die erste war
damals ein Riesenerfolg mit 5500 Besuchern,
die aus dem ganzen Umland kamen“, sagt
Find. Bei den folgenden Veranstaltungen
wurde weniger geworben, die Nachfrage war
gering und letztlich waren sie Flops. Seitdem
hat die Agentur, die solche Partys überall in
Deutschland organisiert, Stuttgart nicht
mehr aufgesucht. Werner Find veranstaltet
in der Boa jeden ersten Samstag im Monat
die Party-Reihe Saturday-Night-Fever. „Die
Bezeichnung Ü habe ich weggelassen, weil es
so ausgelutscht ist“, sagt er. Dennoch kommen an diesem Abend auch Ältere in
die Boa. „Die von früher“, wie Werner Find sie nennt. Also diejenigen, die mittlerweile
selbst Eltern sind und
deren Kinder freitags
zur „Abi-Party“ kommen, eine weitere
Veranstaltung
in
der Boa.
Über den Titel
eines
Abends,
über die Musik,
die
gespielt
wird – Mainstream
anstatt House oder
HipHop – oder auch
über das Alter des
Personals lässt sich
der
Altersdurchschnitt des Publikums regulieren. „In
der Boa haben wir
langjährige Mitarbeiter, die kennen mittlerweile sowohl die
Eltern als auch deren
Kinder“, sagt Find. Einen Abend im Monat
für das ältere Publikum hält er für vollkommen ausreichend.
„Häufiger würde man die Leute nicht in den
Club bekommen“, sagt Find, der mit seiner
Boa etwas geschafft hat, was der Schlüssel
zum Erfolg sein könnte – das alterslose
Publikum. Verschiedene Angebote für verschiedene Altersklassen.
„Heutzutage ist es schwer, sich zu etablieren oder ein neues Konzept zu finden“, räumt
der Boa-Chef ein. Seit Mitte der 1990er Jahre
sieht er eine Veränderung. „Die Leute gehen
nicht mehr so oft aus.“ Deshalb haben viele
Clubs nur noch zwei bis drei Tage in der
Woche offen. Auch die Boa hatte bis in die
80er-Jahre eine Siebentage-Woche. Heute
sind es noch vier.
Das liegt auch an dem umfassenden Möglichkeiten, welche Stuttgart bietet. „Das
Nachtleben hier ist phänomenal“, sagt Find.
„Wir haben die höchste Dichte an Clubs.“
Was schön für das Publikum ist, ist im Umkehrschluss aber ein
Problem für die Betreiber – und ein bisschen
auch für die Stuttgarter gehobenen Alters.
„Stuttgart hat fast
schon ein Überangebot“, sagt er. Und innerhalb dieses Angebots setzen viele Betreiber auf ein ähnliWerner Find
ches Konzept. Die
Folge ist, dass auch
das Publikum überall ähnlich ist.
Dennoch hat Werner Find letztlich noch
ein paar Tipps für die Ü-30er parat. „Im
Amici trifft man beispielsweise kaum Jugendliche“, sagt er. „Die machen eine Mischung
aus Restaurant und Tanzen.“ Auch das Basta
im Bohnenviertel, die Bar im Hotel Maritim
mit der Veranstaltungsreihe Soul Night oder
das Café Deli am Hans-im-Glück-Brunnen
sind laut Find gute Adressen für die etwas
Älteren. „Und wer Rock-Musik mag, kann ins
Classic Rock Café“, sagt er. Auch das neu
eröffnete Fou Fou könnte dauerhaft eine
Adresse für eine ausgeglichene Altersmischung bleiben. Weitere Tipps sind der Perkins Park, neben der Boa die älteste Disco in
Stuttgart, und natürlich die Boa selbst – für
alle Ü’s am besten zu Saturday-Night-Fever
oder am Donnerstag zur After-Work-Party.
Archivfoto: Kraufmann
Ü-30-PARTYS IM JUNI/JULI
Viele Clubs in der Stadt bieten MottoAbende wie den 80er-Jahre-Abend,
die türkische Nacht oder die
Ü-30-Fete, auf der auch die Ü 40 plus
willkommen sind. Wer mal wieder
eine Disko von innen sehen möchte,
ohne von Teenagern umzingelt zu
sein, für den sind folgende Termine:
In der Boa (Tübinger Straße 12 - 16) steigt
am Samstag, 6. Juni, die Party SaturdayNight-Fever. Die Party-Reihe findet immer am ersten Samstag im Monat statt.
Gespielt werden Hits der 70er und 80er
Jahre ab. Hier feiern die 30-Jährigen ohne
Grenze nach oben.
Im Club The Paris am Bosch-Areal (Forststraße 9) feiern das nächste Mal am Mittwoch, 8. Juli, die Ü-30er. Von 18 Uhr an
trifft sich dort das Publikum mit gehobenen Durchschnittalter in der Teeniefreien Zone.
Der Perkins Park (Stresemannstraße 39)
ist für die Älteren am kommenden Freitag, 5. Juni, die Anlaufstation. Wie jeden
ersten Freitag im Monat steigt dann der
„Ältern-Abend“, bei dem die Gäste gepflegt unter sich feiern und bis Mitternacht sogar noch am im Eintritt inbegriffenen Buffet schlemmen können.
Am heutigen Mittwoch, 3. Juni, steigt im
7 Grad (Theodor-Heuss-Straße 32) die wöchentlich wiederkehrende Ü-30-Fete Forever Young. Gespielt werden den ganzen
Abend über die Hits der vergangenen 30
Jahre. Von 19 Uhr an gibt’s Essen, von 20
Uhr an wird getanzt.
Das Zollamt (Frachtstraße 25) ist bekannt
für seine Ü-30-Partys, bei denen die Dreißiger und Vierziger wild abtanzen können. Allerdings nicht mehr lang, denn
Ende Juni muss das Zollamt schließen.
Zwei Termine gibt es bis dahin aber noch
für all diejenigen, die dem Teenageralter
entwachsen sind: an den Freitagen, 12.
und 26. Juni, steigen die beiden letzten
Ü-30-Feten auf drei Floors.
ktm
CLUBS UNS BARS (AUCH) FÜR Ü’s
Es muss nicht immer die Ü-30-Party
sein. Es gibt auch Clubs und Bars in
der Stadt, wo nicht nur Jugendliche
hingehen. Hier können Mitdreißiger
oder Mitvierziger auch ohne Motto als
Anlass einen Abend verbringen.
- Aer-Club an der Büchsen-/Kronprinzstraße
in den Räumen der legendären Clubs Oz und
P-Club. Im Aer-Club feiert anspruchsvolles
Publikum in hochwertig gestaltetem Ambiente. Kein Teenie-Alarm.
- Bar (Augustenstraße 81). Hier gibt es eine
lange Theke und ein paar bequeme Sofas.
Die Mitarbeiter hinter der Theke sind vom
Fach und kennen sich mit Bier und Whiskey
aus. Die Atmosphäre ist gepflegt und
schlicht. Allein aufgrund des begrenzten
Raums ist die Bar meist besetzt bis auf den
letzten Platz, nicht zuletzt vom Stammpublikum, das einen gehobenen Altersdurchschnitt hat.
- Barcode (Theodor-Heuss-Straße 30). Perfekt zum Kaffee trinken mittags, Cocktail
trinken abends und ein Stockwerk tiefer
zum Tanzen zu House-Musik. Einer der besten und ältesten Clubs auf der Feier-Straße,
in dem sich Ü 20 bis Ü 30 trifft.
- BIX Jazzclub (Leonhardsplatz 28) trumpft
mit Live-Jazz und ausgefallener Architektur
auf. Das Moderne Design trifft auf den 50er-
Jahre Charme des Gustav-Siegle-Hauses.
Hier treffen sich Jazzfreunde in entspannter
Atmosphäre.
- Bravo Charlie (Lautenschlagerstraße 14)
hat trotz Closing-Party noch offen. Hier treffen sich Menschen gehobenen Durchschnittsalters.
- Erdgeschoss (Theodor-Heuss-Straße 4),
ehemals Schaufenster Mitte, ehemals Tearoom. Viele Namenswechsel für eine gleichbleibend schöne Location. Ab und zu finden
Live-Konzerte oder Lesungen auf der kleinen
Bühne statt. Das Publikum ist gemischt, unter 25 Jahren ist aber kaum jemand anzutreffen.
- Fou Fou (Leonhardstraße 13) hat sich in-
nerhalb nur weniger Monate zu einer der beliebtesten Bars gemausert. Die Einrichtung
ist chic, die Barkeeper sind freundlich, der
Himbeer-Mojito ist seine acht Euro wert.
Das Alter der Gäste liegt zwischen Mitte
zwanzig bis Mitte 50. Hier fühlt sich offenbar jeder wohl.
- Rohbau (Theodor-Heuss-Straße 26). Hier
gehen auch die Leute über 30 hin, die nicht
rumstehen, sondern tanzen wollen. Im Rohbau läuft meist kein House, dafür alle Hits
der 80er-Jahre und viel Rock-Musik. Die
Tanzfläche vor der Bar ist zwar ziemlich
klein, das stört aber niemanden. Wer eine
Pause braucht, zieht sich in eines der gemütlichen Separees zurück.
- Schocken (Hirschstraße 36). Live-Konzerte, Tatort-Abend, Party-Nächte mit DJ’s.
Das Programm im Schocken bietet Monat
für Monat für jeden Geschmack etwas. Der
Laden ist meist brechend voll, das Alter variiert je nach Veranstaltung, mit dreißig plus
ein paar Jährchen ist man für einen Besuch
im Schocken aber nie zu alt.
- Suite 212 (Theodor-Heuss-Straße 15) ist
der älteste Club auf der Theodor-HeussStraße. Die Einrichtung ist modern, Bildschirmen hinter der Theke zeigen Videokunst.
Der Altersdurchschnitt ist schwer zu schätzen. Hier mischt sich junges, aber nicht zu
junges, Publikum mit Vertretern der über
30-Jährigen.
ktm