Schülerzeitung - Robert-Koch

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Schülerzeitung - Robert-Koch
Redaktion:
Mariam Abdul Hadi
Faruk Kına
Tansu Dursun
Nadia Hassan
Axel Zander
Natalie Zander
Beratung, Korrektur, Aufsicht:
Inge Sewig
Einige Illustrationen stammen aus
dem PK Kunst von Herrn Nordloh
SORAYAS LESEBIOGRAPHIE
Ich las schon bevor ich zur Schule ging, ich hatte es sehr früh gelernt, meine Mutter sagte mir,
dass ich schon sprach bevor ich lief und begann zu lesen bevor ich ganz fünf Jahre alt war.
Zu Hause hatten wir Wände voller Regale voll mit Büchern, die zum Großteil meinem Vater
gehörten und deshalb meist dicke Gesetzeswälzer waren, doch eben auch Literatur. Allein
vom optischen her faszinierten mich eine Reihe von Büchern, die mit dunklem Leder
eingebunden waren und am Rücken in goldener Schrift auf
dunkelrotem Hintergrund, eingefasst von filigranen goldenen
Linien, den Autoren des Werkes verkündeten. Wie ich später
herausfinden sollte, waren es Werke von Dostojewski und Tolstoi.
Meine Eltern und Großeltern unterstützten, dass ich gerne las und
Geschichten hörte, und schenkten meiner kleinen Schwester und
mir viele Bücher. Zuallererst ganze Koffer voll Märchen und
Geschichten auf Schallplatten und Kassetten, dann die kleinen Dixi
Heftchen, Märchenbücher, dann aufwendig illustrierte Bücher zu den Disney Kinofilmen, also
zu Bambi, zu Die Hexe und der Zauberer, Die Schöne und das Biest, Cinderella,
Schneewittchen und die 7 Zwerge, Das Dschungelbuch, Fantasia, Dumbo, Peter Pan, Susi und
Strolch und Arielle die Meerjungfrau.
Mit Beginn der Grundschule ging ich auch allein in die Else Ury Kinder- und
Jugendbibliothek, die direkt eine Straße weiter von zu Hause lag. Sie war meiner Meinung
nach unheimlich schön, eben mein Traum, wie ein verzaubertes Märchenschloss wirkte sie
auf mich in dem mit Efeu überwucherten Haus.
Tagelang saß ich in der Sofaecke und las ein Jugendbuch nach dem anderen (z.B. Berts intime
Katastrophen), Enid Blytons Bücher(Fünf
Freunde auf einem Leuchtturm),
Kriminalgeschichten(TKKG - Die Sekte
Satans), Gruselgeschichten (Gänsehaut –
Fürchte dich sehr!), Fantasy (z.B.Die
Meute der Mórrígan , Die Nebel von
Avalon), Märchen (1001 Nacht ,
Gestohlene Märchen), Comics, Mangas,
aber auch, meist für Referate in Bio, z.B.
Sachbücher über Tiere, oder alles
Mögliche für Geschichte. Besonders
angetan hatte es mir damals „Der kleine
Prinz“.
Bald witzelte die Bibliothekarin, dass ich
die Ecke hinten links wohl schon komplett ausgelesen haben müsste. Das waren die
Jugendbücher, und so ganz unrecht hatte sie nicht, denn bald ging ich nur noch auf Streifzug
nach Büchern, die neu rein gekommen waren, und als sie es bemerkte, legte sie mir jedes Mal,
wenn ich kam, wortlos das neueste vom neuen auf den Tresen.
Ich liebte und liebe es einfach zu lesen, mich in diesen fremden Welten zu verlieren, in der
alles in Ordnung ist oder zumindest kommen wird, in die Köpfe der Figuren zu steigen und
ihre Handlungen zu verstehen, durch ihre Augen zu schauen, mich mit ihnen zu freuen, mit
ihnen zu weinen und gespannt zu sein, was als nächstes geschehen wird. Jedes Buch fesselte
mich irgendwie, egal, worum es ging.
Zu Beginn waren es die Bücher, die jedes Mädchen irgendwann mal liest, ob früher oder
später und warum auch immer: Liebesromane. Am liebsten las ich die aus der KuschelrockReihe, zu der Zeit die modernsten, die es gab. Meistens ging es natürlich um die Vermarktung
der Kuschelrock-CDs, weshalb die männlichen Protagonisten der Bücher grundsätzlich
Musiker waren, Verwandte von Musikern oder zumindest unheimlich gern Musik hörten. Die
Lieder, die dann erwähnt wurden, gab es immer auf der aktuellen Kuschelrock-CD zu kaufen.
Die Liebesgeschichten verliefen meist in denselben Bahnen, und natürlich grundsätzlich mit
einem Happy End, doch das war es, was ich daran besonders mochte. Das Schema hieß:
Mädchen lernt Jungen kennen (oder auch umgekehrt), einer von beiden oder beide verlieben
sich und es gibt so viele Hindernisse zu bewältigen wie in ein 90-seitiges Buch in
Schriftgröße 12 und mit 3 cm Rand an jeder Seite nun mal rein passten.
Damals waren diese Bücher meine Flucht vor der
Realität und gaben mir das Gefühl, jeden Tag eine
neue Liebesgeschichte zu erleben, die meiner
Meinung nach in meinem Leben derzeit doch eher
selten waren. (Kein Wunder mit 10 Jahren!)
Allerdings hatte ich diese Reihe schnell erschöpft,
ich las am Tag drei dieser Bücher! Also hieß es,
erfinderisch sein. Nachdem ich also wirklich alle
Mädchenromanreihen, die es gab, ausgelesen hatte,
sah ich mich nach neuer Nahrung für meinen Geist
um.
Es gibt nur eine Reihe, die ich nicht zu Ende lesen
konnte, denn es gab nicht alle Bände in der
Bibliothek und sie wurde erst 2006 endlich mit dem
28. Band beendet, also ich las nur bis Band 12!
Als ich also das vor hanebüchenen Zufällen und
Schmalz gerade zu strotzende Genre der Mädchenromane hinter mir gelassen hatte, wusste
ich nicht recht wohin.
Und wie eine Antwort darauf geschah mir ein Missgeschick, das mich auf andere (Lese)Wege weiterleiten sollte.
Eines Abends, meine ganze Familie war weggefahren und hatte mich allein zu Hause
gelassen, sah ich fern. Zu dieser Zeit lebte mein älterer Bruder in der Wohnung direkt unter
uns und auch er war mitgefahren, so dass ich seinen Schlüssel hatte.
Ich saß also im Wohnzimmer und sah fern, als mir einfiel, dass ich etwas im Zimmer meines
Bruders hatte liegen lassen. Also ließ ich alles so, wie es war, stehen, ging hinunter und nahm
nur seinen Schlüssel mit. Allerdings war es sehr windig, so dass unsere Tür sofort zuschlug,
als ich hinausgegangen war. Dummerweise hatte ich den Schlüssel in der Wohnung gelassen
und hatte somit keine Chance mehr reinzukommen – ich hatte mich ausgesperrt.
Meine Familie würde erst am Abend des nächsten Tages zurückkehren und ich musste so
lange in der Wohnung meines Bruders ausharren.
Leider war sein Kühlschrank grundsätzlich leer, außerdem besaß er weder einen Fernseher
noch eine Stereoanlage, was mich natürlich noch mehr frustrierte.
Ich saß also da, auf seinem Bett, heulte ob meiner Blödheit und sehnte mich nach dem vollen
Kühlschrank und dem Fernseher, der immer noch laufen musste, was vor meinem inneren
Auge unheilvolle Bilder von einem verrußten, von der Explosion in Folge von Überhitzung
der Bildschirmröhre des Fernsehers verwüsteten Wohnzimmer heraufbeschwor - woraufhin
ich noch lauter heulte.
Ich sah keinen anderen Ausweg, als mich hinzulegen und zu schlafen, so würde die Zeit am
schnellsten vergehen. Ich legte mich auf die Seite und versuchte mich dazu zu zwingen nicht
mehr daran zu denken, was mein Vater mit mir anstellen würde, sollte sein teurer, ganz neuer
37-Zoll- Fernseher irgendeinen Schaden genommen haben, da fiel mein Blick auf das
Bücherregal. Das Zimmer meines Bruders, ansonsten mehr als spartanisch (Bett, Schrank,
Schreibtisch), beherbergte eines der Regale, die mein Vater, ein begabter Hobbyhandwerker,
gebaut hatte, um auch hier einen Teil der schier unendlichen Menge seiner Bücher
unterzubringen. Die Bücher lagen alle kreuz und quer. Ich neckte meinen Bruder oft, indem
ich sagte, er habe nur so wenig Möbel, um mehr Platz für sein Chaos zu haben, und auch die
Anordnung der Bücher bestätigte mir das.
Ich sprang vom Bett und griff in den riesigen Haufen von Büchern. Das erste war Marnie von
Winston Graham. Ich kannte das Buch nicht und ahnte nur grau, dass Hitchcock dieses Buch
verfilmt hatte.
Doch ich begann zu lesen und zu lesen und hatte das 283 Seiten dickes Buch in zwei Stunden
durchgelesen. Mich faszinierte vor allem die Psychologie, die in diesem Buch so
unverkennbar das Hauptthema war.
Es war draußen schon Nacht geworden, es gewitterte und ich gruselte mich so ganz allein und
konnte einfach nicht schlafen, also nahm ich mir ein weiteres Buch: Die Möwe Jonathan von
Richard Bach. Jetzt, da ich mich warm gelesen hatte, brauchte ich nur eine halbe Stunde für
diese Buch und war wieder mal völlig begeistert. Jonathan, das war ich mit meinem Drang
nach Freiheit und Selbstverwirklichung.
Immer noch im Rausch griff ich mir gleich das nächste Buch in der Reihe, Die Verwandlung
von Kafka. Ich las und ich verstand vielleicht die Hälfte, wenn es hochkommt. Ich war elf
Jahre alt, aber es war mir egal, ob ich verstand oder nicht, ich wollte nicht alleine sein und die
Bücher waren meine Freunde, mit denen ich mich unterhielt und die mich vom tosenden
Unwetter vorm Fenster ablenkten.
Das nächste war Ein Sommernachtstraum von Shakespeare. Für dieses Buch
brauchte ich wesentlich länger als für die anderen, allein aus dem Grund,
dass ich nicht an die Dramenform gewöhnt war und außerdem häufiger über
ungewohnte Worte stolperte. Trotz erheblicher Verständnisschwierigkeiten
verliebte ich mich sofort in den Schreibstil und in die Geschichte, die einer
Fabel so nahe kam. Die Elfen tanzten um mich herum und ich versank völlig.
Es war mittlerweile wahrscheinlich schon fast wieder hell, ich hatte nicht
geschlafen, sondern die ganze Nacht gelesen, trotzdem las ich noch ein Buch,
ehe ich einschlief. Ich erinnere mich nicht mehr an den Autor, es war eine
psychologische Fallstudie zu Vatermördern, angefüllt mit unverständlichen
Fachbegriffen, aber trotzdem spannender als jeder Krimi.
Endlich schlief ich ein, es war vielleicht sieben Uhr morgens, und ich
träumte ein Mischmasch aus allen Büchern, was ziemlich bizarr war.
Nach dieser Nacht begann ich mich langsam systematisch von unten nach oben durch das
große (3 x 4 m) Bücherregal durchzuarbeiten. Ich las wirklich alles, ganz egal, worum es
ging, denn diese eine Nacht hatte mir gezeigt, dass in allen Arten von Büchern etwas war,
dass einen begeistern konnte.
Ich las Tierlexika, Psychologiebücher, sogar Wörterbücher und alle anderen Bücher, die dort
standen. Bald war ich bei den Büchern angelangt, die ich schon immer bewundert hatte, weil
sie so schön waren. Dostojewski und Tolstoi und im ersten Moment und noch eine ganze
Weile danach lief ich gegen eine Wand. Ich verstand es einfach nicht. Es waren bekannte
Worte, aber es war mir einfach zu hoch - wie mir in diesem Alter einiges zu hoch war, was
ich las, aber ich übersah einfach geflissentlich, dass ich manchmal nicht einmal hätte erklären
können, worum es in diesem Buch gegangen war.
Bald siedelte ich um in die Amerika- GedenkBibliothek, die Else Ury Bibliothek war mir zu eng
geworden, und lieh jeden Monat 20 Bücher aus, die
ich peu à peu durchlas. Einmal las ich den Knigge
und fand es einerseits belustigend, für was es nicht
alles Regeln gibt, wo wer gehen darf, wer zuerst
begrüßt werden muss, wer zuerst eintreten darf etc. pp., doch andererseits fand ich das
beeindruckend und versuchte mir ein wenig davon anzueignen, immerhin hatte meine Mutter
immer an mir kritisiert, dass ich nicht besonders mädchenhaft sei und daher- gestampft käme
wie ein Junge. Also las ich ein eindeutig veraltetes, fleckiges und verstaubtes Werk („Gutes
Benehmen für junge Damen“), das mittlerweile wahrscheinlich schon aussortiert ist. Es ging
von Verhalten im allgemeinen über die richtige Tischdekoration für besondere Anlässe bis hin
zu Ratschlägen, wie man am besten Männer durch die gute Erziehung beeindrucken und dann
möglichst schnell heiraten konnte. Ich lachte mich halb tot, denn ich konnte tun was ich
wollte, ich würde es nie schaffen „Herr Vater“ und „Sie“ zu meinem Vater zu sagen und mit
einem Blick auf das Herausgabedatum (es war in den 50igern) klappte ich das Buch wieder zu
und brachte es zurück.
Und so ging es immer weiter mit allem, was ich las. Wenn es nicht Romane oder Dramen
waren, waren es Sachbücher über Themen, die mich gerade interessierten, über Religionen,
über Psychologie, über Tiere, über Epochen, über Handarbeit, über Motorräder und über
Kochen.
In der Literatur hingegen arbeitete ich mich über meine Vorlieben voran. So hatte ich in
dieser Nacht Geschmack an Shakespeare gefunden und las nun jedes seiner Werke und blieb,
mein Lieblingsbuch bis heute, an Hamlet hängen. Ich liebte aber auch Romeo und Julia, Ein
Sommernachtstraum und Viel Lärm um nichts. Ich muss sagen ich bin immer noch
verzweifelt auf der Suche nach einer schönen Ausgabe seiner gesammelten Werke.
Hatte ich Taschengeld, ging ich los und kaufte mir ein Buch; je nach meinem Budget war es
ein richtiges Buch, ein Heftchen, oder eine Kladde, die ich dann selbst voll schrieb. Ich liebte
den Geruch eines ganz neuen Buches, schon die Unberührtheit der Seiten verzückte mich,
ganz zu schweigen von weißen Seiten, die sich geradezu anboten, sie zu beschreiben, darauf
zu zeichnen oder zu malen. Meine Phantasie schlug Purzelbäume.
Hatte ich ein Buch erst gekauft, wartete ich nicht, bis ich zu Hause war, sondern begann, im
Laufen zu lesen, wenn ich Zeit hatte, las ich die Bücher in einem durch, verschlang sie
sozusagen ohne Luft zu holen.
In der Schule ging alles seinen Lauf, und als es dann so weit war, die Kurse zu wählen, hörte
ich, der Profilkurs Deutsch fände mit Herrn Müller statt, den ich sehr gern hatte, und hätte
zudem noch das Thema Kreatives Schreiben.
Meine freudige Spannung bestätigte sich vollauf, als wir gleich mit Malte von Rilke
begannen. „Ich lerne sehen“ und ich lernte sehen. Es machte mir unglaublich Spaß, unter der
Anleitung eines Lehrers Texte zu lesen und zu schreiben. Der Kurs blieb gut und wurde zu
meinem Leistungskurs, natürlich lasen wir auch Bücher, von denen ich nicht besonders viel
hielt und die ich trotz ihrer unbestreitbar wichtigen literaturhistorischen Position schrecklich
fand, es gab sogar welche, die mich wortwörtlich einschläferten, sobald ich sie in der Hand
hatte. Ich sage nur Emilia Galotti, oder Biedermann und die Brandstifter!
Später las ich die meisten Bücher auf Empfehlung meiner
Bibliothekarin, oder meines Bücherverkäufers, der selbst so
begeistert ist von aller Art von Büchern, dass ich mir mindestens
eine Stunde Zeit nehmen muss, wenn ich ihn besuchen gehe,
denn mindestens so lange dauert einer seine Abrisse über das,
was gerade aktuell und gut ist, was schon älter, aber trotzdem
gut ist, was ich unbedingt lesen sollte und was ich lieber nicht
lesen sollte. Ich bin mir sicher, dass er alle Bücher, die bei ihm
neu reinkommen, erstmal selber liest. Zumindest kennt er jedes
Buch, das ich auch kenne und noch viele darüber hinaus.
In der 9. Klasse machte ich mein Betriebspraktikum in der
kleinen Bücherei bei uns um die Ecke. Es machte mir
unheimlichen Spaß, obwohl es auch Aufgaben gab, die ich nicht besonders gern machte. Da
diese Bücherei ja eine Kinder- und Jungendbibliothek war, stand sie in enger Zusammenarbeit
mit den umliegenden Grundschulen, die grundsätzlich ihre Bücher in Klassensätzen in der
Bibliothek ausliehen und die Leseanfänger zu Führungen in die Bibliothek brachten. So war
es zum Beispiel oft meine Aufgabe, Vorschülern vorzulesen. Wir rollten dann eine kleine
Leinwand aus, auf die wir die Bilder der Bücher projizierten, und ich las laut dazu vor und
ließ die Bilder passend dazu vorbeilaufen. Eigentlich machten mir Vorlesen immer Spaß,
doch bei den Vorschülern, die weder still sitzen noch den Mund halten konnten, geschweige
denn zuhören, wurde das für mich zur Qual. Ich brüllte gegen die Kinder an und war
irgendwann vor Wut fast außer mir. Natürlich sagte ich keinen Ton und las brav weiter, doch
am liebsten hätte ich jede Seite einzeln aus dem Buch ausgerissen, zusammengeknüllt und
jedem dieser Blagen gegen den Kopf geworfen. Als es endlich vorbei war, schlug ich drei
Kreuze, verabschiedete die Gruppe und schob diese Aufgabe, sofern sie in den weiteren
Wochen noch mal auf mich zukommen sollte, prophylaktisch meinem Mitpraktikanten
Constatin unter.
Als Abschiedsgeschenk bekam ich das Buch Amrita von meiner Bibliothekarin geschenkt und
immer, wenn ich das Buch in der Hand habe, muss ich an sie denken und sehe sie vor mir. So
habe ich manchmal das Gefühl, dass ich Bücher habe, an denen meine Gefühle aus der Zeit,
als ich sie las, haften bleiben.
So las ich zum Beispiel gerade Salman Rushdies „Die Satanischen Verse“
und direkt danach „Des Mauren letzter Seufzer“ vor meiner Brasilien reise
immer in der S-Bahn zur Uni und hörte dazu die neue CD von Seu Jorge
und Ana Carolina. Wenn ich heute Des Mauren letzter Seufzer aufschlage,
dann ist es mir, als klänge mir „Morro do pau da bandeira“ in den Ohren,
ich bilde mir ein, die S-Bahn in der Ferne zu hören und spüre wieder diese
sehnsüchtige Aufregung, die ich damals hatte. So geht es mir mit den
meisten Büchern, die ich mich gelesen zu haben erinnere.
Ich las auf der Rückreise aus Brasilien im
Flugzeug „Na margem do Rio Piedra eu Sentei
e Chorei“ (zu deutsch: Am Ufer des Rio Piedra
saß ich und weinte) von Paulo Coelho. Ich hatte
es mir am Flughafen in Salvador gekauft, um
mich davon abzulenken, dass es mir das Herz herausriss, meine
Familie wieder verlassen zu müssen, und damit ich nicht den
ganzen 11- Stunden-Flug hindurch rumsitzen und heulen würde,
wie ich es bei der 28-stündigen Busfahrt schon getan hatte. Selbst
jetzt, wenn ich es aufschlage, strömt mir die Aura der tiefen
Trauer entgegen, die Ruhelosigkeit der Reise, das Dröhnen der
Turbinen, und auf manchen Seiten sieht man, dass sie ein
bisschen feucht geworden sind.
Danach begann ich auch die anderen Bücher von Paulo Coelho zu
lesen, meistens versuchte ich sie auf Portugiesisch zu bekommen,
damit ich währenddessen auch mein Portugiesisch verbessern konnte. Veronica decide morrer
(zu deutsch: Veronika beschließt zu sterben) gefiel mir ziemlich gut. As Valquírias hingegen
war nicht ganz so mein Ding.
Meine Liebe speziell zur Literatur meines „Mutterlandes“ und im Allgemeineren
Südamerikas entdeckte ich, als ich mich auf die Suche nach dem Brasilien machte, wie es in
mir war. Ich las erst Gabriel García Marques’ „Hundert Jahre Einsamkeit“, dann „O Feitiço
da Ilha do Pavão“ (Das Wunder der Pfaueninsel) von João Ubaldo Ribeiro, „Migo“ von Darcy
Ribeiro und „Mar Morto“(Totes Meer) von Jorge Amado. Ich liebte diesen Stil, der sich so
völlig von dem unterscheidet, was hier in Deutschland gelesen und geschrieben wird, die
maßlose Übertreibung, der Witz und der Frohsinn, die sprühende Lebensfreude – allen noch
so widrigen Lebensumständen trotzend – die absoluten Tabulosigkeit und das Einweben von
Magie und Wundern in das Geschehen, so selbstverständlich, als seien sie alltäglich.
Zur Zeit hält sich mein Bücherkonsum traurigerweise ziemlich in Grenzen, ich habe einfach
nicht genug Zeit zum Lesen, doch trotzdem quetsche ich es überall dazwischen: Die halbe
Stunde morgens neben der überlebensnotwendigen Tasse schwarzen Kaffees, die Busfahrt
zum Praktikum, die halbe Stunde Zeit zwischen dem Praktikum und der Arbeit, die zehn
Minuten vor dem Abendessen, die zwei Stunden nachts ab drei, wenn ich mal wieder
aufgewacht bin und nicht einschlafen kann.
Ein Tag ohne eine bedruckte Seite ist für mich wie ein verschwendeter Tag. Und wenn ich
schon keine Zeit zum Lesen habe, trage ich immer ein Stück Papier und einen Stift mit mir
herum, mache Notizen, schreibe irgendwas auf, was mich erleichtert und die rasende
Geschwindigkeit, in der mein Leben zur Zeit an mir vorbeizieht, bremst, anhält, ein Bild von
der Sekunde schießt und dann weiter ziehen lässt.
Ich sage mir immer, wenn irgendwann alles vorbei ist und eine neue Menschheit auf der Erde
lebt, die vergessen hat, was früher war, graben sie vielleicht mal ein Blatt von mir aus und
stellen staunend fest, dass es irgendwann mal Telefone mit Schnur gab, dass ein Flug nach
Brasilien irgendwann mal fast volle 12 Stunden gedauert hat und dass ich gelebt habe und in
der Angst, nichts zurück zu lassen, ganze Truhen voll Selbstgeschriebenem aufbewahrte, ganz
altmodisch per Hand - nicht getippt.
Vielleicht.
Marcia Soraya
Marcia Soraya Gonς alves ist ehemalige Schülerin der Robert-Koch-Schule und hat voriges
Jahr hier ein glänzendes Abitur abgelegt.
I WANT TO GO INTO THE LIGHT
Ihre helle Stimme hob sich, sodass sie bis zur hintersten Ecke des lichtdurchfluteten
Klassenraumes drang; voll mit Leben erzählte sie von Abenteuern, drängte sich in mein Ohr und verabschiedete sich in Sekundenschnelle. Ich erinnere mich, wie mir das linke Auge in
Intervallen zuckte und die Stimme der Lehrerin wie das lästige Summen der Biene in mein
Ohr einsickerte und bald monoton wurde. Wie mich das anödete, wenn sie die
Vorlesungsstunden ankündete! Am liebsten hätte ich meinen Kopf mit dem Tisch bekannt
gemacht und dabei wäre es auch geblieben. Es wäre eine interessante und laute Bekanntschaft
gewesen. Mein Kopf und der Tisch gesellen sich zusammen, und ich bin Gott weiß wo. Bin
ich ein Müßiggänger? Habe ich keine Beschäftigung? – Ja, es ist traurig ... („Leonce und
Lena“ von Georg Büchner)
Nach ein paar Seiten würde sie immer wieder für sechs Sekunden (Was die Leute nicht Alles
aus Langeweile treiben!) schweigen, aufblicken, mit ihren grauen, um die Winkel sanft
gealterten Augen in die Runde blicken und fragen: „Was habt ihr mit geschlossenen Augen
gesehen, während ich die paar Seiten gelesen habe?“
Ich an ihrer Stelle hätte gefragt, ob jemand eingeschlafen sei, denn wahrlich, durch die darauf
folgende Stille hätte man doch meinen können, alle wären mit Freddy in der Traumwelt
friedlich spazieren gegangen. Fast alle. Ein schmächtiger Arm mit weitem, dunklem Ärmel
hob sich stets schüchtern empor und beantwortete die Frage mit einer erstaunlich detaillierten
Wiedergabe, und ich fragte mich, ob er insgeheim das gleiche Exemplar des Buches unter
dem Tisch versteckt aufgeschlagen habe. Streber. Wie oft ich doch versuchte, den Jungen mit
Blicken aufzuspießen! Nicht nur, dass er ein super Gedächtnis besaß, nein, er sah auch
komplett wie ein Idiot aus. Kaum zu glauben, dass jemand sich mit dermaßen in alle
Himmelsrichtungen zerstrubbeltem, kurzem, nachtschwarzem Haar auf die Straße traute, mit
einer drei Nummern zu großen Jeans und grünem Pulli. Zu allem Überfluss trug er auch noch
eine runde Brille, deren Bügel tatsächlich mit Klebeband befestigt waren. „Streber.
Bücherwurm.“ Das und ähnliches waren immer meine Gedanken, wenn ich Florian durch
einen unglücklichen Zufall begegnen musste. Dass er the splitting image of my to-be-hero
sein würde, kam mir nicht in den Sinn. Kann mir auch kaum jemand verübeln. Denn wer
konnte schon ahnen, dass die Bücherhasserin in rund drei Jahren selber das Buch, das die
Lehrerin so oft in den Händen hielt und von dem sie nur Schnee und einen fliegenden Zug
(später sollte er sich als ein fliegendes Auto entpuppen) in Erinnerung hatte, an einem
einzigen Tag verschlingen und binnen kurzem ein(e) Harry-Potter-Fan(atikerin) werden
würde?
Dass ich den ersten Band der Potter-Reihe aufgeschlagen hatte, war nur einer äußersten
Notwendigkeit zu verdanken. Während einer der Wandertage in der 7. Klasse ging man in den
1. Film der Serie. Ich täuschte Erkältung vor und blieb zu Hause. Im nächsten Jahr war Film
Nummero 2 dran, und ich konnte dieselbe Nummer nicht noch einmal durchziehen.
Deswegen durchkämmte ich alle Videotheken nach Film 1 - mit null Resultaten. Mit
Ausweis und polizeilicher Anmeldung ausgestattet, stampfte ich zur AGB, ließ mir
einen Bibliotheksausweis aushändigen und lieh mir das verhasste Buch „Harry Potter
und der Stein der Weisen“ aus. Am darauf folgenden Tag rannte ich wie eine
Besessene zur Bibliothek und war vor Mitternacht noch mit Band 2 „Harry Potter und
die Kammer des Schreckens“ fertig. Innerhalb einer Woche hatte ich alle bis dahin vier
erschienenen Bände durch und ein Hunger erwachte in mir, den ich bis heute kaum zu
stillen vermag.
Wolfgang und Heike Hohlbeins Romane, dick und mit schwarzem Bucheinband, der
alle Farben und Blicke zu verschlingen schien, waren neben die Potter-Bände
aufgereiht, und wie es dem Zufall beliebte, waren sie ebenfalls Fantasy-Romane. Band
1 der Märchenmond-Trilogie erinnerte mich stark an die Potter-Welt und sehr bald fand
ich mich am Ende der Fantasy-Regale in der Jubi wieder. Rechts und links befanden sich
Bücher über Pferde und noch etliche kitschige Bücher, deren Covers und Titels ich aus
meinem Gedächtnis verbannt habe, nur mein angewiderter Blick im Angesicht der rosa
changierenden Einbände blieb hängen. Wie sich herausstellte, habe ich durch den direkten
Einstieg in die Fantasiewelt eine Abneigung gegen jegliche Normalitäten entwickelt, erst
recht gegen typische Mädchenromane.
Wenn man bedenkt, dass sämtliche Fantasy-Romane einen männlichen Protagonisten
besaßen, war es auch kein Wunder. „Dreizehn“ von Wolfgang und Heike Hohlbein kannte
ich am Anfang nicht. Das Buch ein Jahr später in dem Regal vorzufinden, war eine wahre
Freude für mich, und umso mehr schockierte es mich, eine Protagonistin vorzufinden. Ich
kam mir deplaziert und verwirrt vor. Die Worte der beiden Autoren vor dem Beginn des
Anfangkapitels ließen mich nur noch skeptischer das Buch lesen:
„Da habt ihr eure Protagonistin!“
Wenn ich jetzt zurückblicke, empfinde ich es als eine Beleidigung, nur wenige FantasyRomane mit einer Protagonistin vorzufinden.
Abenteuer, Kämpfe, heldenhaftes Handeln, dies sollte nicht eine männliche Domäne bleiben,
sie ist es auch nicht. Auch ein Mädchen/eine Frau ist durchaus in der Lage zu kämpfen, sie
kennt auch das harte Leben in der Realität , weiß, was es heißt, für ihre Rechte zu kämpfen
und Risiken einzugehen. Sie kennt Gefahren, sie mag auch Spott und Diskriminierung
kennen, also warum sollte ihr nicht mehr Platz in der Fantasy-Welt gegeben werden?
Als ich in meinen Augen nichts Lesetaugliches mehr vorzufinden vermochte, dauerte es eine
kleine Ewigkeit, bis ich endlich etwas Handfestes wieder fand. Monate, die mir wie Jahre
erschienen. Doch etwas Gutes hatte das mit sich gebracht: anstatt greifbare Geschichten
wandte ich mich der neu entdeckten, bequemeren und elektronischen Variante zu:
Geschichten aus dem Internet. Tschüs, ihr (zwanzig Minuten) langen, eiskalten
Wintermärsche zur AGB!
Nur nannte man diese Geschichten nicht mehr Geschichten, sondern FanFiktions (FF). Der
Unterschied zu der klassischen Geschichte bestand darin, dass FFs auf Bücher, die in der
materiellen Welt existierten, basierten und von Fans geschrieben
waren.
Und, die Potter-Fanatikerin, die ich war, las nur HP-FFs. Die Anzahl
dieser FFs war auch im Vergleich zu anderen
Büchern/Serien/Filmen usw. dramatisch höher. Keine andere
Geschichte erfreute sich einer dermaßen großen Beliebtheit oder
kam ihr auch nur im Geringsten nahe. Jeden auch nur schlecht oder
dichterisch meisterhaft geschriebenen Mist verschlang ich mit den
Augen. Es ging soweit, dass ich in den Ferien und übers
Wochenende fünfzehn Stunden vor dem PC lesend hockte, das
Essen vergaß, nur die linke Hand zum Hinunterrollen der Seiten
bewegte und alles andere an mir vorbeihuschte.
Nur war der deutschsprachige Raum der FFs nicht gerade riesig.
Durstig nach mehr wandte ich mich mit Widerwillen den englischen
FFs zu. Und noch ein Vorteil offenbarte sich mir. Hatte ich am
Anfang große Schwierigkeiten mit englischen Vokabeln, musste ich nicht nach einem
tonnenschweren Wörterbuch greifen. Ein Klick auf Google unter Sprachtools und ich konnte
das unbekannte Wort dort eingeben (EINGEBEN nicht SCHREIBEN! Dazu musste ich nur
das Wort markieren, kopieren und einfügen!) und tatütata! Die deutsche Übersetzung erschien
im Nu. Musste ich zu Anfang zwanzig Wörter in einem Absatz übersetzen, benutze ich nun in
den seltensten Fällen noch Google oder dict.cc, um ein buchlanges FF zu lesen. Und ganz
nebenbei, ohne mir dessen bewusst zu werden, lernte ich die englischen Sprach-/Satz/Grammatikregeln und was sonst noch dazu kam.
Fragte man mich jetzt, was das Past Perfect von dem Verb xyz wäre, bliebe die Frage
unbeantwortet, doch beim Texteverfassen gerate ich selten ins Stocken, weil ich die passende
Form/Zeit kenne. Einziges Problem hierbei liegt darin, dass man nur liest, und nicht hört.
Dementsprechend schlecht ist meine Prononcierung der englischen Wörter. Ärgerlich.
Das Lesen von FFs hat mir immer Spaß bereitet und noch heute lese ich welche, nur nicht auf
HP reduziert, sondern auch FFs aus dem Anime & Manga Bereich.
Aber zugegeben, der Reiz bestand und besteht nicht überwiegend in den Titeln, eher in der
Grenzüberschreitung der FF-Autoren. Sie benutzen die Figuren, um über Themen zu
schreiben, die in keinem Buch bei keinem Verlag je veröffentlicht werden würde: NC 17,
oder anders ausgedrückt ADULT, und das so detailliert, man müsste rot vor Scham werden.
Ich glaube aber, ich sollte hier meine Grenzen nicht überschreiten - zugunsten der
Nichtzensierung, Grenzen, die die FF-Welt nicht kennt.
Mit einer nun besser beherrschten Sprache, traf ich wieder seit langem in der AGB ein und
verließ mit ein paar englischen Büchern das Gebäude. „Inkheart“ aus der Inkworld-Trilogie
(aus dem Deutschen ins Englische übersetzt!) von Cornelia Caroline Funke (So hört die
traurige Geschicht’! Sie ist ein Fantasy-Roman!) war erstaunlich schnell durchzulesen. Ich
habe durch die FFs ein dermaßen großes Vokabular in mir angereichert, dass es eine
Leichtigkeit war, echte Bücher zu lesen. Ich war erstaunt. Die „Barry Trotter“-Bücher
hingegen waren allerdings eine reine Quälerei.
Unter all den englischsprachigen Büchern, die ich derzeit gelesen habe, war/ist „The
Stranger“ von Albert Camus (diesmal aus dem Französischen übersetzt!!) das
ausdrucksstärkste bisher. Nicht mal die deutsche Übersetzung war derart schön.
With death so near, Mother must have felt like someone on the brink of freedom, ready to start
life all over again. […] To feel [the universe] so like myself, indeed, so brotherly, made me
realize that I’d been happy, and that I was happy still. For all to be accomplished, for me to
feel less lonely, all that remained to hope was that on the day of my execution there should be
a huge crowd of spectators and that they should greet me with howls of execration.
Es dauerte eine kurze Weile, um zu erkennen, dass ich Eifersucht gegenüber dem
atheistischen Protagonisten empfand. Wie konnte er kurz vor seinem Tode, sein ganzes Leben
lang, Ruhe und Frieden in sich bewahren, die ich nicht haben konnte? Hatte ich kein Recht
darauf? Am liebsten hätte ich in diesem Moment das vergilbte, beschmierte, im Jahre 1986
gedruckte Buch ins Feuer gelegt. Seit fünf Jahren lieg es nun bei mir, Monat um Monat von
der Bibliothek verlängert, und noch immer blättere ich darin herum, lese die letzten Seiten
und der Neid vermindert sich nicht. Ach! Was hab’ ich euch nicht alles zu erzählen.[…] Ich
kann vor Tränen nicht zu Worte kommen. („Turandot“ von Schiller)
Den Zugang zu den herrlichsten Literaturbüchern in ihrer prächtigsten Form entdeckte ich erst
jetzt.
Die Klassiker sind mir die Liebsten. Mag sein, dass sie neben der neueren Literatur inhaltlich
einfach gestrickt erscheinen, doch der literarische Stil ist weitaus graziöser. Während die
neusten Bücher eine noch „normale“ Sprache verwenden, findet man bei Goethe, Schiller
usw. raffinierte und mit großer Mühe angefertigte Verse, mit Metrum und das komplette
Paket.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt
(„Faust I“ von Goethe)
Wie würde wohl ein heutiger Autor das formulieren? Vielleicht so:
Sorry, dass ich nicht so große Töne spucken kann
wie der werte Goethe,
auch wenn mich alle auslachen sollten!
Klagt ihr etwa in der Schule, die Klassiker seien eures Niveaus unwürdig und wollet
modernere Literatur?
Dabei solltet ihr erfreut sein mit den einfach gestrickten Sachverhalten, denn je moderner und
zeitnaher die Literatur wird, desto komplexer wird deren Psychologie und umso schwieriger
die Analyse in den Arbeiten. Da müsste man doch Freuds Bücher wälzen und als Basiswissen
unbedingt in den Lehrplan einbringen.
Nehmt „Die Räuber“ von Schiller und „Mephisto“ von Klaus Mann in die Hand (schon
allein die Seitenanzahl der modernsten Literatur steigt stetig) und versucht auf die Schnelle
was zu analysieren/interpretieren! Gegen das Argument, die Sprache sei bei „Mephisto“ doch
leichter zu verstehen, könnte ich einwenden, dass eben dies eine weitere Hürde bei der
Sprachanalyse sein könnte, denn da müsste man genauer hinschauen, so raffiniert und leicht
zu übersehen sind die stilistischen Mitteln eingebaut. Doch „Mephisto“ nebenbei zu lesen,
ohne Analyse, dagegen habe ich nichts einzuwenden.
Ich bedauere es sehr, dass wir keine Weltliteratur in der Schule behandeln.
Weder russische noch polnische, arabische, persische, japanische, chinesische, portugiesische
Literatur, und nicht einmal die deutsche Übersetzung davon, kriegen wir zu lesen! And if I
can't have everything well then just give me a taste! So vieles entgeht uns dadurch!
Wer möchte jedem von uns versichern, dass nur durch die deutsche Literatur der Mensch
Interesse am Lesen entwickelt?
Wenn diese törichten Gesetzgeber doch nur wüssten, wie beflissen sie unsere Gefühle
befördern, in dem sie sich das Recht anmaßen, den Menschen Satzungen aufzuerlegen. Sich
keinen Deut um Gesetze zu scheren, sie samt und sonders zu brechen, mein Freund, dies ist
die wahre Kunst, Wollust zu empfinden. Erlerne diese Kunst und zerreiße alle Zügel.
„Justine oder vom Missgeschick der Tugend“ und „Die 120 Tage von Sodom“ von Marquis
de Sade, „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch und „Geschichte der O“ von
Dominique Aury musste ich immer heimlich lesen. Gott bewahre, hätte jemand zu Hause die
Illustrationen von „Die 120 Tage von Sodom“ erblickt, wäre ich in der Psychiatrie gelandet!
Dabei muss ich gestehen, wie anstrengend das Weiterlesen war. Alle zugleich faszinierend
und doch abscheulich.
Beim Anblick so vieler Bücher wird der Drang, selber etwas zu hinterlassen, mächtig. Bei
dem Gedanken, etwas selber zu veröffentlichen, erscheint immer wieder dasselbe Bild vor
meinem inneren Auge.
Eine verwüstete Stadt breitet sich vor dem Auge aus, die Straßen über und über mit Schutt
und Asche bedeckt und der Himmel mit tiefhängenden Wolken, die ihn verdecken, und
fallendem Schnee, der schmitzt, sobald er den heißen Boden berührt. Das Ergebnis eines
Atombombenangriffs. Überall das gleiche Bild.
Und bei der Vorstellung tönen mir die Verse von Nine Inch Nails immer und immer wieder in
den Ohren:
Shame on us
Doomed from the start
May God have mercy
On our dirty little hearts
Shame on us
For all we've done
And all we ever were
Just zeros and ones
Und inmitten dieser Ruinen bückt sich eine hagere Gestalt, wühlt inmitten des Verfalls nach
etwas Essbarem und zieht ein teilweise verbranntes Blatt empor. Meine Geschichte! Was wird
von mir übrig bleiben, wenn ich nicht mehr da bin? I write so I shan’t fade away. In every
writing, I leave a piece of me, a memory, an ideal, a feeling, something. I write as I live,
spontaneously, chaotically. I write so I will remember. I write, because I’m still alive (von
einem HP-Fan im Internet).
Wenn man mir vorwerfen möchte, meine Geschichten, meine Überbleibsel, seien trübselig,
dann sage ich, es tue mir gut, das Depressive in mir herauszudrängen, es aus mir
herauszuziehen wie ein Wahnsinniger sein Herz herauszieht, weil er sein Pochen nicht mehr
ertragen mag. Schreiben ist mein Ort & vielleicht bin ich selbst eine Sadistin, will die
ultimative Kontrolle über die Wirklichkeit, mit meinem Messer Worte schnitzen, Narben
hinterlassen, gegen die andere Geliebte vergeblich protestiert haben. So ist es in
„verführungen“ von Andrea Krug und Dagmar Schadenberg beschrieben worden.
Doch noch bin ich nicht soweit. Je öfter ich meine Geschichten lese, desto falscher kommen
mir diese Aneinanderreihung von Wörtern vor, desto bedeutungsloser werden sie, so normal!
Ich erkenne kein Stil darin, keine literarische Sprache, keine Begabung und umso mehr hasse
ich mich dafür. Sehe ich mir die Tagebucheintragungen von Max Frisch an, so zweifle ich an
meinen Fähigkeiten. Ich muss besser werden. Ich muss mehr lesen, mehr lernen.
Nur zwei Buchstaben unterscheiden verlieren von verloren. („Vincent“ von Joey Goebel)
Vielleicht werde ich eines Tages nicht mehr nur vor dem Schaufenster stehen und mir die
Brillen ansehen, sondern mutig genug sein, um eine zu kaufen und deren Gelenke mit ein
Stückchen Klebeband zu befestigen. Vielleicht werde ich auch in der Lage sein zu sagen: „I’m
so happy that I could die.“ (Pia Dehne)
Mariam Abdul Hadi
JUNGS!!!
Unsere Leser beschweren sich, dass unsere Schülerzeitung gar nichts Interessantes für Jungs
enthält. Ob das wohl daran liegt, dass wir nur Redakteurinnen sind? Bestimmt. Also
versuchen wir, Jungs zu finden, die mal was schreiben. Muss ja gar nicht mit regelmäßiger
Anwesenheit bei unseren Redaktionssitzungen verbunden sein. Einfach was aufschreiben, was
einem durch den Kopf geht und von dem man vermuten darf, dass es auch für andere von
Interesse sein könnte, und ab mit dem Zettel in unseren Briefkasten, reicht schon! Nur bitte
nicht den Namen und die Klasse/den Jahrgang vergessen!!
Heute haben wir einen Jungen, der nur zufällig am Computerraum vorbeischlich, tatsächlich
dazu gebracht, uns ein paar Zeilen zu schreiben. Super!! Danke, Faruk!!
Ich gehe in die 9. Klasse. Mein Klassenlehrer ist Herr Hoppe. Ich finde, die Schule wird
immer schwerer und schwerer.
Manchmal denke ich, alles passiert nur mir. Zum Beispiel mein Vater, er ist gestorben, als ich
fünf war, und dann mein Opa, er ist gestorben, als ich zehn war. Oder wenn ich mit meinen
Freunden zusammen gespielt habe, ist immer nur mir was passiert. Einmal, als ich sieben
war, bin ich von einem Baum gefallen und hätte beinahe eine Gehirnerschütterung gehabt.
Oder einmal ist Spülmittel in mein Auge gespritzt, ich wäre fast blind geworden. Und einmal
haben wir aus Spaß gekämpft, mein Freund sollte meinen Cousin treffen, aber er hat mich
getroffen.
Faruk
Welcher Junge ist ebenso mutig wie Faruk und schreibt uns, was ihm gerade so durch den
Kopf geht? Wir können nämlich nicht glauben, dass da bloß große Leere ist. Und wenn einer
gar nicht merkt, dass er was denkt oder sogar fühlt, dann soll er uns eben schreiben, was er
heute, gestern, jeden Tag immer so macht!
NUR NOCH BIS ZUR 12. KLASSE !
Ich wollte wissen, wie es manche finden, dass jüngere Schüler nur noch bis zur 12. Klasse
Unterricht haben. Ich finde es gut, aber dafür wird auch bestimmt mehr gelernt und mehr
erwartet.
Mal sehen, was die anderen dazu sagen.
-
„Einerseits gut und andererseits schlecht! Einerseits, weil man ja nicht mehr so lange
Schule hat, aber dafür gibt es jetzt mehrere Stunden.“
„Besser, weil wir dann nicht mehr lange Schule haben.“
„Gut, weil wir weniger Schule haben.“
„Voll Schrott! Ich will nur bis zur 8.! 12 .oder 13.? Das ist zu viel!“
„Schrecklich! Keine Ahnung warum!?“
Tansu
MSN
Wie man sieht, geht es wieder um MSN! Ich möchte euch ein paar Gründe sagen, wozu man
gerne ins MSN online geht.
1. Die meisten benutzten ihre Hotmail-Adresse, damit sie mit der Familie oder mit
Freunden, die sie nicht immer sehen, chatten oder damit sie mithilfe des Webcams
sich anderen zeigen.
2. Wenn man mit frechen Jungs/Mädchen oder „Möchtegern-Coolen“ mal richtig reden
möchte, kann man das sehr gut, weil kein Freund oder keine Freundin dabei ist, wo
man den frechen Coolen spielen muss.
3. Wenn man auf jemanden sauer ist, kann man ihm oder ihr so richtig die Meinung
sagen! Oder wie es die meisten machen: EINE LIEBESERKLÄRUNG SCHICKEN
und wenn man einen Korb bekommt, passiert diese Peinlichkeit nicht vor der
Verehrerin oder vor dem Verehrer.
4. Wenn man nicht so die
freche Zicke ist und
gerne so richtig frech
werden möchte, ist das
MSN genau das
Richtige. Wenn du z.B.
gerade mit deinen
Bekannten im Ausland
chattest und du ein
bisschen ungehorsam
bist, sagen sie gleich:
„Nur weil ich nicht bei
dir bin, bist du frech
geworden.“ Da hat
man doch was zu
lachen.
Tansu
FOR THE GREATER GOOD
Quäle den Künstler zum Wohle der Menschheit
Am 10.11.1998 haben die Vereinten Nationen (UNO) und die UNESCO gemeinsam das erste
Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, 2001 bis 2010, zur Internationalen Dekade für eine Kultur
des Friedens und der Gewaltlosigkeit zugunsten der Kinder der Welt erklärt, „[…]in der
Erkenntnis, dass Kindern weltweit durch verschiedene Formen der Gewalt auf allen
Ebenen der Gesellschaft ungeheures körperliches und seelisches Leid zugefügt wird und
dass eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit die Achtung des Lebens und der
Würde jedes Menschen ohne Vorurteile oder Diskriminierung jedweder Art fördert […]“.
Indes sind die Resultate sehr bescheiden, insbesondere der Beitrag der Unterhaltungsindustrie
zur Friedensforschung. Neue Film- bzw. Musikproduktionen und Computerspiele zeigen:
Gewalt, Sex und Diskriminierung (vorzugsweise die einer Frau), soweit das Auge reicht.
Wahre Kunst droht unterzugehen. Den meisten der Mainstream-Entertainer mangelt es nicht
an reichlich hirnlosem Sex, aber an Talent. Sie können keine guten Lieder schreiben, aber
offensichtlich sind sie durchaus in der Lage, ihre T-Shirts hochzuheben, und das verkauft sich
anscheinend großartig. Gesichter huschen an dem MTV-Bildschirm vorbei, erwecken den
Anschein von Kunst, zu der Musik ja immerhin gehört, nichts zu wissen. Die Lyrik ist
einförmig, dumm, rassistisch, sexistisch, unoriginell, und trotzdem besitzen sie Ruhm und ein
Vermögen.
Ich möchte behaupten, daß die Unterhaltung die Kunst getötet hat. Die Akteure im
Entertainment sind eher Sexsymbole als wahre Künstler. […] Statt Kunst haben wir
Unterhaltung, statt Künstlern schöne Gesichter, die geil sind auf Ruhm, Spaß und Reichtum.
So lauten die Worte des steinreichen Medienmoguls Foster Lipowitz in dem neuen Roman
Vincent von Joey Goebel. Der sterbenskranke Multimillionär erkennt in seinem letzten Jahre,
welche Dimensionen sein nur auf der Profitmaximierung beschränktes Arbeitsvorgehen
angenommen hat. >Je dümmer die Produkte, desto größer der Gewinn.< An Stelle gut
geschriebener, geistreicher Produkte haben wir der Öffentlichkeit eine geistlose Mischung
aus Sex, Gewalt und Dummheiten präsentiert. Jetzt blickt er mit Reue auf seine Taten und
sieht sich vor der ungeheueren Aufgabe, das Publikum in eine geistreichere Richtung zu
lenken. Ab jetzt will ich die Kunst zurückbringen, koste es, was es wolle, oder mindestens die
künstlerische Seite der Unterhaltung stärken.
Machen wir zunächst einen Abstecher ins Reich der Philosophie, bevor es mit Vincent
weitergeht.
In ihrem Essayband Dialektik der Aufklärung erklären Max Horkheimer und Theodor W.
Adorno wie es in der Unterhaltungsindustrie1 abläuft und üben starke Kritik.
Die Unterhaltungsindustrie agiere kapitalistisch, sie sei Akteur des Kapitalismus, d.h. ihr
Bemühen sei auf wirtschaftliche Erfolge gerichtet. Geld, Geld und nochmals Geld. Welche
Produkte dem Publikum verkauft würden, sei nebensächlich. Die Unterhaltungsindustrie sei
eben genau das – eine Industrie, die von Produktionsfirmen beherrscht werde, die einen
maximalen Profit erzielen wollten. Genau wie andere Kapitalisten ignoriere sie dabei die
Bedürfnisse der Menschen oder die Auswirkungen ihres Tuns.
Der Konsument werde mit dem bedient, was er will, was er versteht, was ihn nicht verwirrt,
mit eingängigen Melodien, einfach gestrickten Sachverhalten. Nun mögen Sie sich fragen, wie
ich auf die Idee komm, daß sich das Publikum überhaupt mit hochwertigen Filmen,
Fernsehsendungen und Musik abgeben will, da ihm Sex und Gewalt doch offensichtlich lieber
sind als Inhalte, bei denen man denken muß.
Speisekarte der Konsumenten: triviale, oberflächliche Nichtigkeiten.
1
Ursprünglich wird in dem Essayband von Kulturindustrie gesprochen, doch ist dies gleichbedeutend wie der Begriff
Unterhaltungsindustrie. Für unsere Zwecke wird weiterhin dieser Begriff verwendet.
Die Rolle eines Individuums sei von der Unterhaltungsindustrie auf die Konsumentenrolle
beschränkt worden. Die Unterhaltungsindustrie bediene das Publikum mit einem Haufen
(Abfall-)Produkte, und darin könne sich das Individuum hineinstürzen, sich reichlich
befriedigen (da denke man doch gleich an die Pornoindustrie, ein Nebenzweig der
Unterhaltungsindustrie), sich verlieren. Es fordere nicht mehr. Es lasse sich nur noch von dem
Unterhaltungsindustrieprodukten überschütten. Indem dem Individuum nur die Aufgabe des
Konsumenten zustehe und es diese auch brav ausführe, werde verhindert, dass es eigenständig
denke, kritisches Hinterfragen der Unterhaltungsindustrie werde damit ausgelöscht, abgelenkt
von dem Wesentlichen mit Nichtigkeiten. Es komme zu einer geistigen Stagnation der
Gesellschaft.
Was tun, wenn das Publikum nur noch die Produkte in sich hineinschaufelt, nur darauf
bedacht, ob die Unterhaltungsstars, die sich mit Alkoholismus herum[plagen], mit
Drogenmissbrauch, Seitensprüngen, übermäßig ausgeprägtem Sexdrang und Depressionen,
bei der breiten Öffentlichkeit beliebt sind?
Indem man diese Unterhaltungsstars dazu bewegt, eben solche Inhalte in solchen Formen zu
präsentieren, die von wahrer Kunst zeugen. Denn immerhin werden die Drehbücher und
Lieder nicht von den Stars selber geschrieben, sondern die bekommen sie von klugen Köpfen
in die Hand gedrückt.
Foster Lipowitz kontrolliert praktisch alles, was man sieht und hört, ihm gehören viele der
großen Firmen der Unterhaltungsindustrie der Welt, und ist somit im Stande eine
intellektuelle Wiederbelebung […] in Gang zu bringen.
Allerdings braucht er dazu Künstler, und diese verschafft er sich folgendermaßen: Er lässt 457
Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren , die UNGEWÖHNLICHE BEGABUNG IM SCHREIBEN,
MUSIZIEREN ODER ANDEREN KÜNSTLERISCHEN AUSDRUCKSFORMEN AUF[WEISEN], auf eine
Akademie, die New Renaissance, von speziellen Lehrern unterrichten, um ihr Talent nicht
sterben zu lassen. Unter diesen Kindern befindet sich der siebenjährige Vincent. Das
besondere an ihm ist, dass er zu den sehr wenigen gehört, die auserwählt wurden, ein Wagnis
einzugehen, um zu einem der allerbesten Künstler zu gehören, nach dem Motte: per aspera ad
astra – ohne Leid kein Preis.
New Renaissance braucht also eine einsame Seele, die das Leiden der Welt auf sich nimmt
und in Meisterwerke verwandelt. Diese Seele mag unerwiderte Liebe erdulden, unter
Nervenzusammenbrüchen leiden, von Überarbeitung, Isolation, Ächtung, Elend, körperlichen
und seelischen Krankheiten geplagt werden. Nichts davon wäre umsonst.
Und um dafür zu sorgen, dass Vincent stets inspiriert (also gequält) wird, stellt die New
Renaissance ihm einen Manager zur Seite, Harlan Eiffler, einen sehr zynischen, von der
derzeitigen Situation der Unterhaltung sehr angewiderten Ex-Musiker, dann Kritiker, bevor er
wegen giftiger Bemerkungen in einer Zeitschrift gefeuert wurde:
Es schmerzt, meine Tinte für die kritische Würdigung einer Band wie D-Prayvd zu vergeuden.
Schließlich könnte der wertvolle Platz dazu genutzt werden, dieses Magazin mit ein Paar
großen Brüsten zu verschönen.[…]Natürlich gibt es gute Gründe dafür, D-Prayvd eine
Zukunft zu ermöglichen, wenn man bedenkt, wie das Land, das sie hervorgebracht hat,
Mittelmäßigkeit feiert und alles haßt, was auch nur einen Hauch Originalität aufweist. […]
Wenn es im Fernsehen ist, muß es doch gut sein, richtig?
Falsch, du Trottel.
[…] Mir ist klar, dass ich noch nichts über den eigentlichen Inhalt dieser Platte gesagt habe.
Was ich auch nicht vorhabe, denn sie hat keinen.
Ohne dass Vincent diesbezüglich etwas weiß, wird sein Leben durch Harlan dermaßen
manipuliert, dass er ein Außenseiter bleibt, ohne Hoffnung auf Liebe, von jedem verraten –
nur von Harlan nicht, von dem er glaubt, er sei immer an seiner Seite. Dir bleiben also nur
deine Gedanken, und deine Gedanken sind lebende Menschen in deinem Hirn, die anrufen
und wieder auflegen und herumlungern wie bewaffnete Wachleute, die zufällig wunderschön
sind. Es heißt nicht mehr geben, sondern wegnehmen. All seine glücklichen Momente bleiben
auch nur dies: Augenblicke, bevor das Leid an ihre Stelle tritt und Vincent zu neuen,
kunstvollen Meisterwerken inspiriert. Das Leid des Künstlers wird verkauft, zugunsten der
Gesellschaft. Und der Leser fühlt mit Vincent, auch wenn in gewissen Momenten ein
zynisches Lächeln wegen Harlans Methoden über das Gesicht der Leser huscht und Vincents
Leid vergessen wird. Doch wie lange kann ein Künstler das durchhalten, bevor er daran
zerbricht, weil zwischen Genie und Wahnsinn nur ein schmaler Grad liegt, was wird die Zeit
bringen, die Hässliches aufdeckt und die Wahrheit ans Licht [bringt]? Kann der Künstler
weiterhin der Erlöser der Welt sein?
Mit beißendem Witz und satirischem Scharfsinn erzählt J. Goebel von einer Welt, deren
Inhalte bedeutungsloser werden, und fragt sich, inwieweit der Mensch als Einzelner aus
diesem Teufelskreis einen Ausweg findet - oder ob es einen Ausweg möglicherweise gar nicht
gibt.
Jedem wird schon heutzutage bange, wenn er das Fernsehen anschaltet und nach etwas
Produktivem Ausschau hält. Was steht auf dem Tagesprogramm? Sex and the City? Oder
doch eine Runde Talkshow, die zeigt, wie der Freund seine (Ex-)Freundin verlassen hat, weil
er die Verantwortung für das gemeinsame (was er heftig bestreitet) Kind nicht übernehmen
will? MTV mit seinen Stars, deren Brüste den ganzen Bildschirm ausfüllen, und der immer
wiederkehrenden Lyrik, ein zu Tode gerittenes Pferd, das man geschlagen, gehäutet, in
Scheiben geschnitten, tiefgefroren, gegessen, verdaut, wiedergekäut und noch mal verspeist
hat?
Da schaltet man doch liebend gern aus, nur leider bleibt die Masse daran hängen, kritiklos und
unreflektiert lässt sie sich davon füttern, verblödet allmählich daran.
Besonders Kinder und Jugendliche, deren Widerstand praktisch Null ist, sind davon
betroffenen. Traurig, aber wahr. Wie will man eine Welt „des Friedens und Gewaltlosigkeit
zugunsten der Kinder“ erreichen, wenn sie täglich Gewalt und Unnutz in sich hineinziehen?
Es geht nicht mehr um Kunst, sondern um Gewinn. Was lässt sich besser verkaufen, was
leichter? Da bleibt nur noch die Frage offen, ob die hirnlose Unterhaltung zuerst da war und
das Publikum verblödete, oder ob die Dummheit der Zuschauer am Anfang stand und die
Geldgeilen sich das gnadenlos zu nutze machten.
Joey Goebel: Vincent
Roman; Aus dem Amerikanischen von
Hans M. Herzog und Matthias Jendis;
Diogenes Verlag AG Zürich; 431 S.,
Taschenbuchausgabe: 9,90 €
ISBN: 3257064853
Mariam A.
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Das ist mein Hase.
Axel Zander
Ich habe in alten Schulsachen herumgekramt und habe ein Gedicht und eine Geschichte
gefunden, die ich selber ausgedacht habe. Die Geschichte sollte ich mit den Wörtern bilden,
die meine Lehrerin auf die Tafel geschrieben hatte, und wie ich das Gedicht geschrieben habe,
weiß ich nicht mehr :-P
Bei der Geschichte weiß man, dass ich das, als ich in der Grundschule war, geschrieben habe,
und bei dem Gedicht auch.
MEIN GEDICHT
Mein Taschentuch hat viele Risse,
Nur weil ich dich so sehr vermisse!
Nichts kann ich mehr genießen,
Da ständig meine Tränen fließen!
Gefiel dir etwa nicht die Rose
In deiner vollen Eisteedose?
Du kannst mich doch dafür nicht hassen
Und mich hier draußen stehen lassen!
Vorhin lief ich zum Kaufhaus Hase
Und kaufte dort die schönste Vase.
Nun warte ich vor deinem Haus
und hoffe, du kommst gleich heraus.
Mein Hund wird dich bestimmt nicht beißen,
Denn seine Leine kann nicht reißen.
Der Dackel sitzt auf meinem Fuß
Und bellt dir einen lieben Gruß.
EINE INDISCHE STORY
Es war einmal ein Junge namens Shahrukh. In der Schule hatte er seiner Freundin Kajol eine
Jugendzeitschrift geschenkt. Kajol hatte Shahrukh zum Mittag- und Abendessen eingeladen.
Im Unterricht war es sehr warm. Die Hitze sorgte dafür, dass er stark schwitzte. Zum Glück
hatte er in seiner Wasserflasche noch was zu trinken. Nach der Schule ist Shahrukh mit Kajol
den Weg bis zur Kreuzung gelaufen. Als er dann zu Hause ankam, grüßte ihn seine Mutter:
"Namaste"
"Namaste Mom!", sagte er und flitzte in sein Zimmer, um mit den Hausaufgaben rechtzeitig
fertig zu werden. Shahrukh musste ja zu Kajol. Zum Glück hatte er heute nur eine einzige
Hausaufgabe auf. Er sollte was über die Wespe herausfinden. Er schlug im Lexikon nach. Da
stand alles!
Endlich war er fertig. Er sagte zu seiner Mutter, dass Kajol ihn eingeladen hatte und er sie
besuchen wollte.
Seine Mutter sagte: "Zieh deine Wanderstiefel an!"
"NEIN", widersprach er. "Sie sehen hässlich aus. Ich ziehe sie an, wenn ich wandere.
Versprochen. OK Mom! I love you Mom! Bye Mom."
Die Mutter hatte fast nichts verstanden, weil sie nicht richtig deutsch konnte. Sie schrie ihm
hinterher: "Donnerstag du ziehen Wanderstiefel an!" Und Shahrukh flüsterte leise "Das heißt:
Am Donnerstag ziehst du Wanderstiefel an!"
Er hatte ein bisschen Geld dabei. Er brauchte das Geld um eine Bahnfahrkarte zu kaufen. Er
hatte keine Lust zu laufen. Das war ihm zu weit. Er musste in der Endstation aussteigen. Er
kaufte noch vom Bäcker ein Stück Käsekuchen. Er war früher da, als er sein sollte. Kajol war
überrascht, als sie den Kuchen sah. Sie aßen erst mal zu Mittag. Nach dem Essen gingen sie in
Kajols Zimmer und spielten mit Konsolen. Später saßen sie vor dem Computer und chatteten.
Nach dem Abendessen wollte Kajol, dass Shahrukh bei ihr übernachtete, aber er war ein
Junge und sie ein Mädchen. Sie dachten darüber nach, ob sie, wenn sie mal groß waren,
heiraten würden.
Da sagte Kajol: "Ach, Quatsch! Wir bleiben beste Freunde und das reicht.“ Shahrukh musste
nach Hause. Sie verabschiedeten sich.
Als sie erwachsen wurden, heirateten sie, aber nicht Shahrukh und Kajol, sondern Shahrukh
und Gauri. Shahrukh hatte Rücken- und Knieprobleme. Er rauchte. Weil das schlecht für
seine Gesundheit war, hörte er später auf. Wen Kajol heiratete, weiß ich nicht. Shahrukh und
Kajol wurden Schauspieler und drehten als Hauptcharaktere in Filmen zusammen.
Tansu
GUTEN TAG
Mein Name ist Axel und ich gehe in die 10a und bin einer der wenigen Deutschen hier und
ich kann auch nicht so gut Deutsch, besonders die Rechtschreibung fällt mir sehr schwer.
Ich gehe seit 3 Jahren 6 Wochen und 6 Stunden in diese Schule. An manchen Tagen dachte
ich, dass ich die Schule niemals schaffen würde, da ich einfach nur noch schlechte Noten
bekommen habe, und dann kam auch noch alles auf einmal. In Englisch, Französisch und
noch Deutsch habe ich meistens sehr schlecht abgeschnitten. Dazu kamen immer so viele
Hausaufgaben, ich dachte, es geht nicht mehr weiter und ich werde sitzen bleiben.
Doch ich habe es immer wieder geschafft, da ich einfach weiter gemacht habe, damit ich,
wenn ich sitzen bleibe, einen Vorteil habe in der nächsten Klasse, die ich wiederholen werde.
Ich hoffe, dass es jeder so macht und nicht einfach aufgibt, auch wenn er weiß, dass er die
Klasse nicht mehr schafft.
Axel Zander
UNTERRICHTS-MIX
Die chemische Reaktion bezieht sich auf den Term des Taktes in der Mundhöhle des
Leichtathletikers Space Campes. Die Grammatik hat jedoch Kolumbus bewiesen, indem er
das à plus entdeckt hatte.
Die Organe eines Atoms sind Monsune. Laufen gehört zu den beliebtesten Brüchen. Cortés,
der beste Space Camper, ist sehr präpositional.
Organe werden durch Taktstriche getrennt. Eine Verbindung ist kein physikalischer Vorgang,
sondern ein einfacher Term. Ein Term wird auch einfach als Horizontlinie bezeichnet, da die
chemische Reaktion ein Artikel ist.
Khaldun Tubasi 8a
DURCHBLICK
LIEBE
Das Auge mit dem wir sehen,
betrügt uns um die Realität.
Wir sehen nur das, was wir sehen wollen.
Das was sich dahinter verbirgt,
sehen wir nur durch unser geistiges Auge.
Irrwege der Liebe sind bekannt.
Doch die schönen Sachen sind kaum genannt.
Es gibt Freude und Leid,
Auch Entspannung, manchmal Neid.
Liebe ist schön, dennoch kann sie nicht jeder
finden...
Nadja H.
DAS LOS
[AUSZUG]
[…]Wir interessieren uns nicht für das Leid des anderen. Wir kennen nur unser eigenes Leid,
das wir täglich erleben. Sowohl körperlicher als auch verbaler Gewalt sind wir Mädchen
nahezu immer ausgesetzt. Dass das andere Mädchen sie ebenfalls erlebt, ist uns vorstellbar,
aber es interessiert uns nicht, denn wir spüren nur, was mit uns passiert, und das reicht uns zur
Genüge. Weshalb sich für das Leid des anderen interessieren, wenn wir unser eigenes lieber
vergessen möchten. Und weil wir keine echte, nur vorgeheuchelte Aufmerksamkeit zeigen,
reden wir aneinander vorbei. Wir sitzen in einem Café und versuchen unserem Gegenüber
klar zu machen, wie schlecht es uns geht, aber weil beide Parteien das gleiche wollen, ist es
uns egal, was die andere sagt. Aber das ist auch egal. Denn angenommen, wir würden
wirkliche Anteilnahme zeigen, es bringt uns beiden nichts. Denn wir sind machtlos, wir sind
schwach, können dem anderen nichts bieten, nicht helfen. Wir leben in einem Universum, das
in mehrere subjektive Welten gespalten ist; in dem Café stehen sich zwei Welten gegenüber,
existieren dicht beieinander, prallen aufeinander und möchten in die andere eindringen und
miteinander verschmelzen, schaffen es aber nicht. Wir gleiten aneinander vorbei. Abseits
existiert eine andere Welt in dem Café, die, im Gegensatz zu unserer, mehrere Individuen
beherbergt. Sie lachen und hören Musik, reden über nichts Ernstes. Das macht uns wütend
und lässt uns unserer Hilflosigkeit und Schwäche bewusster werden. Wir ekeln uns
gegenseitig an, können die Präsenz des anderen nicht mehr ertragen, wenn wir sie auch nicht
immer allzu bewusst aufnehmen. Nur der süßliche Duft der Schande dringt zu uns und sorgt
dafür, dass die beiden Welten auseinander driften. Eine Kluft in einem einzigen Universum.
Anstatt die Welt mitteilen zu wollen, sollten wir lernen, die Welt mit-teilen zu können. […]
Mariam A.
GLOSSEN aus dem Deutsch-Profilkurs von Frau Maltusch sollten schon in der letzten
Nummer erscheinen, sind aber leider in unserem Computer-Chaos untergegangen. Jetzt ist
das Thema „Hitzefrei“ zwar nicht mehr aktuell, jedoch finden wir die Glossen so lustig, dass
wir sie Euch nicht weiter vorenthalten wollen.
HURRA, KEIN HITZEFREI!!!!
Es ist 32° und wir haben kein Hitzefrei. Was für ein GLÜCK!!
Die arme Mittelstufe muss jetzt nach Hause gehen und ist sich nicht bewusst, was sie
verpasst. Und wir, die Oberstufe, dürfen weiter Unterricht haben und das macht uns zu etwas
Besonderem! Denn wir sind ja älter als die und können die Hitze besser ertragen! Es macht
uns Riesenspaß, bei 32° mit schwitzendem Körper dem Mathelehrer zuzuhören. Auch die
Lehrer sind erfreut, uns in dieser Hitze zu unterrichten, und empfangen uns mit offenen
Armen. Warum sollen wir, anstatt Unterricht zu haben, schwimmen oder Eis essen gehen?
Wir als die Oberstufe sind sehr froh und zufrieden darüber, dass wir kein Hitzefrei haben!!!
Gülnur Yildirim, Güngör Günaydin
WAS WOLLEN WIR?
Wir, die Oberstufenschüler verlangen Gleichberechtigung!
Warum haben die Sieben- bis Zehntklässler hitzefrei und wir nicht?
Wo bleibt die Demokratie?
Warum haben die Sieben- bis Zehntklässler nicht auch das Recht weiter Unterricht zu haben?
Bloß weil die Lehrer früher Schluss haben wollen und keine Lust mehr haben zu
unterrichten. Nach so vielen Jahren geben sie als Grund an: „Ja, die armen Schüler halten es
nicht mehr aus!?“
Aber über miserable Pisastudienergebnisse wundern sich alle.
Kein Wunder, wenn die Schüler ständig hitzefrei haben.
Es wird immer laut, sobald sie erfahren, dass sie
hitzefrei haben, dann denkt jeder, sie freuen sich
bestimmt, aber das ist nicht die Freude, sondern das
Bedauern.
Wir wollen von Tag zu Tag unser Wissen erweitern und
finden es unsinnig, früher Schluss zu haben, um
schwimmen zu gehen, denn wir haben es uns selber
ausgesucht, hier auf der RKO Abi zu machen!
Wir pauken lieber Mathe und Deutsch in schwitzenden
Klamotten.
Ist es euch jetzt unklar, was wir wollen???
Wir wissen es auch nicht...
Dyana Ahmad, Islim Dogan
WARUM GIBT ES HITZEFREI ABER KEIN KÄLTEFREI?
Die Schüler Deutschlands bekommen Hitzefrei, wenn die Raumtemperatur
einen bestimmten Hitzegrad übersteigt. Dafür sind wir ja sehr dankbar, doch was ist mit dem
Winter? Der eisige Wind zieht in das Klassenzimmer und die Schüler haben so dicke Mäntel
an, dass sie bei der Bewegung ihres Kugelschreibers eingeschränkt sind.
Natürlich könnte unser Schulsenator jetzt sagen, dass jede Schule Heizungen besitzt, doch
was bringen sie uns, wenn sie höchstens einen Teil der Klasse heizen. Trotzdem danke, dass
wir in den Klassen frieren dürfen, während der Schulsenator sich vor seinem Kamin
Gedanken über seinen nächsten Urlaub machen darf, statt sich über unser Wohlbefinden
Sorgen zu machen. Wenn ich mich nicht irre, sind wir doch die Zukunft...denn der
Schulsenator wir sicher keine haben!
Umut Danis
DER SOMMER IST DA, DOCH WIR SCHWITZEN VOR UNSEREN
SCHULTISCHEN
Nun ist der lang ersehnte Sommer endlich da und die Thermometer zeigen nie unter 30Grad
an. Doch die Oberstufenschüler unserer Schule bekommen kein Hitzefrei. Viele kommen
damit nicht klar, was auch zu verstehen ist. Man würde lieber draußen im Park sitzen und ein
erfrischendes Eis essen oder in einem Freibad schwimmen. Es ist ungerecht, die
Mittelstufenschüler schon nach der 5.Stunde gehen zu sehen und dann noch 3 Schulstunden
„absitzen“ zu müssen. Eine Alternative wäre vielleicht das Einbringen der Kurzstunden. Wir
könnten statt Hitzefrei 30min Unterricht machen, würden keine Ausfälle haben und hätten
früher Schluss. Damit könnten die Schüler auch bessere Leistungen bringen und wären in den
letzten Schulstunden nicht so abgelenkt und erschöpft von der Hitze!
Hümeyra Cicek, Oguzhan Karadavut
YUHUUU, MEHR SCHULE
Ist es nicht toll, dass wir uns
weiterbilden können, während die
Schüler aus der Mittelstufe Hitzefrei
haben???
Die Mittelstüfler tun mir so leid, sie
müssen Eis essen gehen, schwimmen
gehen, ins Kino gehen und ihre Freizeit
mit Vergnügungen vergeuden. Doch wir
haben das Glück, weiter in der Schule
bleiben zu können. Es ist einfach
traumhaft, in der achten und neunten
Stunde viele schöne Matheaufgaben bei
30-40 Grad zu lösen. Ich verstehe
wirklich nicht, wieso man Hitzefrei
haben will.
Wie schön es ist, ein Oberstüfler zu
sein!
Kemal Ahmedi, Jülide Cakan
NACHMITTAGSUNTERRICHT IM SOMMER
Die Sommertage stehen uns bevor. Die Sonne brennt einem auf der Haut und alles, woran
man glücklicherweise in der Oberstufe denken darf, ist die Schule und der bevorstehende
Nachmittagsunterricht. Schwitzen ohne Ende ist eines der Dinge, die wir über uns ergehen
lassen, solange wir nur unsere heißgeliebten Lehrer dabei betrachten dürfen, wie sie uns mit
ihrem intellektuellen Gesprächsstoff besänftigen. 30 Grad und ein langer Sommernachmittag
sind vielleicht keine Selbstverständlichkeiten in Berlin bei dem ständig wechselnden Wetter,
aber nicht annähernd zu vergleichen mit einem Nachmittag, den wir mit
unseren Lehrern verbringen dürfen. Warum besteht also der nicht
nachvollziehbare Verdacht, dass wir die Mittelstufe beneiden könnten?
Vielleicht aus dem Grund, weil sie ihren Nachmittag voll ausnutzen können
durch die Vergünstigung des Hitzefrei?! Oder weil sie, während wir unsere
heißgeliebten Diskussionen führen, damit beschäftigt sind, ins Freibad zu
gehen oder sich zu einem Eis zu verabreden. Schwachsinn, wir sind
zufrieden!!
Özlem, Asli, Sümeyya
WIE SCHÖN SICH DOCH UNSERE SCHÜLER VERSTEHEN!
Nein! Wir verstehen uns nicht nur gut, wir lieben uns alle! Jeden Morgen freuen wir uns,
einander zu sehen! Wir laufen nicht in die Schule, wir rennen! Die Schule beginnt immer mit
einer Umarmung! Wenn es so weiter geht, kriegen wir noch einen Nobelpreis im Verstehen!
Und wir würden nie auf die Idee kommen, uns zu streiten! Hahah, neinnn ! Die Lehrer
langweilen sich schon, weil sie keine Schlägereien schlichten müssen! Tadel müssen bei uns
auch nicht verteilt werden, die benutzen wir inzwischen als Schmierblätter! Unser Wortschatz
kennt keine Ausdrücke! Das würde bloß unserer Persönlichkeit schaden! Wir würden nie auf
Idee kommen Fuck off, was guckst du, man willst du Schläge haaaa lan, zu sagen! IN LIEBE
ROBERT-KOCH-SCHÜLER!
Selin, Sinem
LIEBES ROBERT-KOCH-LEHRERKOLLEGIUM
Wir wollen uns bei Ihnen bedanken, dass Sie uns am frühen Morgen nicht anfangen zu nerven
und uns fünf Minuten geben, um wach zu werden! Sie würden ja auch nie uns eine
Verspätung eintragen und so unsere Zeugnisse ruinieren! Vor allem, wie Sie versuchen uns zu
verstehen und mit uns zu diskutieren, so was haben wir noch nie erlebt! Andere Lehrer
würden erst gar nicht auf eine Diskussion eingehen, aber Sie sind anders! Jeden Morgen
werden wir mit einem freundlichen GUTEN MORGEN, IHR LIEBEN SCHÜLER begrüßt.
Der Unterricht wird mit Süßigkeiten geschmückt. Ist das zu fassen? - auf unserer Schule
schon! Unsere Lehrer haben geschafft, wovon alle Schüler träumen: dass Schule Spaß macht!
DANKE, DANKE, DANKE!!!!! Echt süß und lieb von Ihnen ;) – kein Wunder, dass wir jetzt
alle gute Noten haben und einen Durchschnitt von 1,0! Am besten finden wir, dass die Lehrer
unsere Hausaufgaben erledigen. Wollen nicht alle Schüler so etwas?
Selin, Sinem
HEIßE SCHULE!!
Durch das jahrelange Strapazieren des Klimas werden die Tage immer wärmer.
Doch wer leidet unter dieser Hitze? Natürlich die Schüler, die in ihren stickigen
Klassenzimmern hocken müssen und stundenlang gezwungen werden den Unterricht
aufmerksam zu verfolgen.
Die meisten in der Oberstufe haben schon eingesehen, dass sie kein Hitzefrei mehr haben,
was eigentlich auch sehr traurig ist.
Wieso kommen die Lehrer nicht mal auf die Idee Unterricht im Freien zu machen, welches
das Denken den Schülern auch sehr erleichtern würde bei diesen Temperaturen.
Doch bis der Schulsenat was unternimmt, werden wir wahrscheinlich schon alle verkohlt sein.
Yasin Bölme
BEGEGNUNG
Heute bin ich zufällig im LPG-Supermarkt einer ehemaligen Schülerin aus meinem DeutschLeistungskurs vor vielleicht acht bis zehn Jahren begegnet: Sibel! Zu meiner großen Freude
erfuhr ich, dass sie ihr Studium (Sport und Grundschulpädagogik Deutsch und Sachkunde)
abgeschlossen hat. Auch hat sie schon während ihres Studiums geheiratet und während der
Wartezeit aufs Referendariat zwei Kinder geboren. Nächstes Jahr wird sie nun hoffentlich ihre
berufliche Arbeit in einer bilingualen Grundschule aufnehmen.
Sie leuchtete vor Glück und schien mir schöner und klüger als je.
Sewig
DER TOD
Der saphirfarbige Himmel war wolkenlos. Es war warm. Die Hitze lag wie Blei über der
Stadt. Das hielt aber die Menschen nicht davon ab, hinauszugehen und sich zu amüsieren.
Genauso wie ich, Azrael.
Jeden Tag vertrieb ich mir meine Zeit mit Mädchen, Alkohol, Nightlife usw.
Doch dann geschah es ...etwas, was mich von einer Sekunde auf die andere veränderte.
Es war Donnerstagmorgen. Ich wachte wie jeden Morgen um 7 Uhr auf, um mich für die
Schule fertig zu machen. Ich nehme mir immer viel Zeit, um mich aufzustylen. Ach ja, hab
ich schon erwähnt, dass ich der Mädchenschwarm der Schule bin?
Heute hatte ich wieder nur eines im Kopf, nämlich mir ein Mädchen zu sichern und feiern zu
gehen. Wie immer fuhr ich meinen Audi TT, um zur Schule zu kommen. Das kommt bei den
Jugendlichen, besonders bei den Mädchen, gut an. Doch irgendetwas war heute anders. Ich
weiß nicht was es war, nur, dass heute etwas geschehen würde, was ich niemals geahnt hätte.
Auf meinem Schulweg merkte ich, dass ich meine Schlüssel zuhause vergessen hatte.
Daraufhin machte ich mich auf den Rückweg; aber um pünktlich anzukommen,.
beschleunigte ich das Tempo. Die Ampel leuchtete rot, aber hielt mich nicht davon ab, meine
Fahrt zu stoppen. Ich raste mit voller Geschwindigkeit, um noch über die Ampel zu kommen.
Und da...
Was war das nur? Ich spürte einen ungeheuerlichen Schmerz, ich hörte ein lautes Krachen,
mir wurde schwarz vor Augen, ich spürte nichts mehr, nur noch Dunkelheit.
Was war passiert?! War ich etwa tot?
„Oh, was?! Doktor, Doktor! Schnell, kommen Sie hierher. Azrael ist aufgewacht!“
Was ist denn hier los? Was meint sie mit aufgewacht?
„Ein Wunder ist geschehen!“
Voller Schmerzen versuche ich mit dem Arzt zu reden:
„Was... Was war denn? Was ist passiert?“
„Azrael, du hast zwei Monate lang im Koma gelegen. Wir haben dich schon aufgegeben. Wir
haben alles versucht, und nun bist du wach. Oh, Azrael, ein Wunder, ein Wunder.“
Wie bitte?! Ich lag zwei Monate lang im Koma? Was ist denn bloß passiert? Ich erinnere
mich an nichts, nur an meine letzte Fahrt [...]
Es ist ein Monat vergangen und ich werde nun aus dem Krankenhaus entlassen. Immer
wieder, von dem Tag, an dem ich aufgewacht bin, bis heute, stelle ich mir Fragen, wie z.B.,
was das Leben für einen Sinn hat. Wieso habe ich überlebt? Was wäre passiert, wenn ich jetzt
tot wäre? Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Woher bekomme ich meine Antworten? Ich bin einfach ratlos, irritiert und einsam. Keine
Gedanken über Mädchen, Spaß und Geld kommen mir mehr.
An meinen ersten Schultag erfuhr ich, dass wir einen neuen Mitschüler namens AbdulRahman bekommen haben. Er scheint ganz nett zu sein, ruhig und gelassen.
Aber wo waren eigentlich meine Freunde? Komisch. Nicht einer von denen war zu sehen.
In der Hofpause bewegte sich eine Gestalt auf mich zu. Ich erschrak, als diese Gestalt mich
von hinten anfasste.
Es war der Neue, Abdul-Rahman.
„Na du, alles klar bei dir? Du bist doch Azrael, nicht wahr?“
„Äh, ja, der bin ich. Wieso fragst du?“
„Ich hab viel von dir gehört. Du lagst im Koma, oder?“
„Ja.. Aber was geht dich das überhaupt an? Hast du ein Problem damit?!“
Oh, war ich zu hart? Mir egal, wieso kommt er mir auch gleich mit diesem Thema?!
„Bruder, rege dich bitte nicht gleich auf. Sei nicht zornig. Ich habe nur angenommen, dass du
vielleicht jemanden zum Reden brauchen könntest.“
Seine Augen wirken klein und liebevoll beim Sprechen.
Aber was redet er da? Bruder, zornig?! Wo bin ich denn hier? Hat er sie nicht mehr alle?!
„Zum Reden?“
„Ja. Soweit ich gehört habe, warst du früher anders.. Mädchen, Geld und Alkohol. Du siehst
aber komischerweise gar nicht danach aus, oder irre ich mich da etwa?“
Ich zögerte. Ich wollte nicht über mich sprechen, aber etwas drängte mich, es zu tun.
„Du irrst dich nicht. Ich habe mich verändert... sehr sogar.“
„Aha. Woher kommt dieser plötzliche Wandel?“
„Ich weiß es auch nicht, aber mein Unfall hat mich zum Überlegen gebracht.“
„Hmm.“
„Weißt du vielleicht, wo meine Freunde sind. Es war eine Gruppe. Sie hießen Lahab, Frank
und Christian.“
„Klar kenne ich die. Hast du nichts in der Zeitung gelesen?“
„Zeitung? Wieso, was ist denn passiert?“
„Sie sind alle gestorben. Genau an dem Tag, als du deinen Unfall hattest, ist Lahab gestorben,
bei einem Autounfall. Er wollte seinen Freunden zu einer Party am Strand folgen und ist
gegen ein LKW gekracht.. Frank war so betrunken, dass er ins Meer gefallen und ertrunken
ist. Christian ist dabei umgekommen, als er hinterher sprang, um ihn aus dem Wasser zu
retten.“
Ich sah ihn schockiert an. Wie konnte das nur passieren, genau an dem Tag, an dem ich
meinen Unfall hatte? Das alles hätte mich treffen können. Aber wieso habe ich überlebt. Ist
das Schicksal? Existiert wirklich so etwas?
„Azrael, ich verstehe dich sehr gut. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann rufe mich
an oder besuche mich einfach. Meine Daten stehen auf der Telefonliste. Ich muss mich jetzt
für die Sportstunde fertig machen...Bis dann.“
Was ist nur alles passiert und wieso...?
Als ich Zuhause war, habe ich mir nur noch Gedanken über die vergangenen Geschehnisse
gemacht. Sollte ich mich vielleicht d och bei Abdul-Rahman melden? Nein, das ist blöd. Ich
will nicht wie ein Schwächling wirken, ratlos und unwissend.
Aber mit wem soll ich denn sonst reden? Ich habe niemanden. Was soll ich nur tun? Ach, was
soll´s! Ich darf nicht zu stolz sein...
„Ja, hallo? Wer ist da?“
„Bin ich hier bei Abdul-Rahman?“
„Ah Azrael?! Ja, ich bin es. Du bist hier richtig. Komm hoch.“
...Irgendwie kommt es mir so vor, als würden heute einige meiner Fragen beantwortet
werden...
„Komm rein!“
„Danke. Ich hoffe, ich störe dich nicht, Abdul-Rahman.“
„Nein, ganz und gar nicht, Bruder.“
„Und wie geht es dir?“
„Danke, sehr gut, ich bin gesund, und dir?
Ich bin gesund! Was ist denn das für eine komische Antwort? Ein wirklich seltsamer Kerl ist
das.
„Danke, ähh.., ich bin auch gesund.“ Jetzt habe ich auch noch dieselbe dumme Antwort
gegeben. Ich habe sie langsam auch nicht mehr alle.
„Abdul-Rahman? Du hast hier viele Bücher, wie ich
sehe, und das auf dem Tisch sieht sehr interessant
aus. Um was geht es denn da?“
„Es geht um den Tod.“
Mein Herz fing an heftig zu schlagen. „T..Tttood?“,
stotterte ich.
„Ja, es ist sehr interessant. Dieses Buch besonders,
denn es schildert die Geschichte des Todes und so,
als wärest du dabei gewesen. Sagen wir, es sei eine
Geschichte, in der du mitfühlen und in die du dich
hineinverwickeln kannst.“
Wow. So etwas gibt es? Wie unheimlich, aber auch
interessant.
„Kannst du mir vielleicht davon erzählen?“
„Ja, sehr gerne..
Stell dir vor, es wäre dein Begräbnis und du würdest
in einem Sarg liegen. Alles wird schwarz und dunkel um dich. Deine Haut wird kalt und deine
Augen werden trocken. Du hörst Schritte, die sich weiter und weiter von dir entfernen. Du
bemerkst, dass dich deine Seele verlassen wird. Nun fängt ein heftiger Wind von deinem
Kopf bis zu deinem Fuße an zu wehen. Es ist Zeit zu gehen. Nun wird dir klar, dass jede Seele
ihr Datum zum Sterben bekommen hat. Es kann jeden Tag jeden treffen. Du wirst bemerken,
dass am Ende sich alles zwischen Hölle und Paradies entscheiden wird. Alle deine Taten
wurden aufgeschrieben. Warst du ein guter Mensch oder ein schlechter?..“
Ich fange am ganzen Körper an zu zittern. Was erzählt er denn da? Ist das etwa die Wahrheit?
Wird es wirklich nach dem Tod noch ein Leben geben, worin entschieden wird, ob du in der
Hölle oder im Paradies landen wirst..?
„..Und nun..“
„Nein! Hör auf damit! Ich will nichts mehr hören. Das ist doch krank. Du willst mir doch nur
Angst einjagen. Hab ich Recht?! Ich bin kein Idiot...“
Was macht mich so zornig? Wieso rege ich mich überhaupt auf?
„Ich verstehe dich, Azrael, aber..“
„Nein...!!!“
Er schaute mich schockiert an, während ich die Tür heftig hinter mir herschlug und
hinausrannte [...]
Amina Al-M.
Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe!