Mrs. Fox will wieder heim
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Mrs. Fox will wieder heim
SABRINA FOX Mrs. Fox will wieder heim Wie ich die Amerikaner verstehen und die Deutschen lieben lernte Prolog er Taxifahrer warf mir einen neugierigen Blick durch den Rückspiegel zu, als ich mein Gespräch am Handy beendete. »Sie leben in Los Angeles? Da war ich auch schon mal. Wo denn genau?« Seit sechzehn Jahren habe ich auf diese Frage die gleiche Reaktion und würde sie am liebsten vermeiden. Im Eiltempo geschieht mehr oder weniger selbständig folgender Ablauf: Leichtes Zusammenziehen an den Schulterblättern, diverse mehrfach gehörte Kommentare wie »Ja, so was!« oder »Wohnen Sie neben irgendwelchen Stars?« bis zu »Wie heißt noch mal die berühmte Straße, wo all die teuren Geschäfte sind?« rasen durch mein Hirn, gefolgt von so kindischen Reaktionen wie: »Ja, was wird der Mann jetzt von mir denken?« Es gibt wohl wenig Städte, die weltberühmt sind und von denen sich jeder irgendwie schon lange ein Urteil gebildet hat wie von Los Angeles. Und damit natürlich auch ein ganz bestimmtes über die Einwohner. Zu denen ich nun mal seit sechzehn Jahren gehöre. Denn, so gebe ich seufzend zu: »Ich wohne in Beverly Hills.« Beverly Hills! Bekannt durch Filmpremieren, Stars und Starlets, aufgeblasene Lippen, falsche Brüste, teure Autos und Geld, viel Geld. Angefüllt von Leuten, die anscheinend irgendwie nichts tun; und wenn sie was tun, gehen sie am Rodeo Drive einkaufen. Beverly Hills, eine Stadt, die so ähnlich wie Disneyland alle möglichen Assoziationen weckt. Und gerade wieder sehe ich einige in dem schnellen Blick, den mir der Taxifahrer durch den Rückspiegel zuwirft, kurz abschätzend, wen er denn da im Auto hat. D 13 »Und, habe ich das richtig verstanden, Sie ziehen wieder zurück nach Deutschland?« Ich nicke stumm. »Ja, warum denn das? Müssen S’ wieder?« »Nein, ich will und ich freu mich drauf!« Und dann kann ich es mir doch nicht verkneifen, noch ein »Und das schon seit langem« hinzuzufügen. Mittlerweile sind wir am Münchner Flughafen angekommen, und er dreht sich nun ganz zu mir herum: »Des versteh i net. Wo’s doch da drübn so schee is.« »Ja«, antworte ich, leicht seufzend, »aber wissen Sie, was, nach einer Weile wollen Sie einfach mal wieder grauhaarige Leute sehen, über etwas anderes als Filme reden, länger als neunzig Minuten im Restaurant sitzen und Teenagerfreunde ihrer Tochter treffen, die wissen, was ein Gürtel ist. Außerdem«, und damit drücke ich ihm das Geld in die Hand, »ist es herrlich, Taxifahrer zu haben, die anständige Autos fahren und die wissen, in welcher Stadt und in welcher Straße sie sich befinden. Und ja, Sie haben recht, das Wetter in Kalifornien ist herrlich.« Ich bedanke mich bei ihm, während er mein Gepäck aus dem Kofferraum hievt, und mache mich auf den Weg. Ich kenne Flughäfen. Besonders den in Los Angeles, liebevoll »LAX« genannt (die Flughafenabkürzung mit dem X, das mir bisher noch keiner erklären konnte). Ein Vorteil von Vielfliegern ist, neben der Lufthansa-Senator-Karte, dass sie wissen, wie man mit dem Jetlag umgeht. Das ist das manchmal schwierige Umgewöhnen des Körpers an die neue Zeitzone. Ich habe da vor Jahren folgende Schritte entwickelt: Ich gehe in das Flugzeug, stelle sofort meine Uhr um, und meine Zeit ist die Zeit in dem Ankunftsland. Ich rechne nie und unter keinen Umständen nach, wie lange ich jetzt schon wach bin und wann ich eigentlich schlafen müsste. Ich esse im Flieger, und dann lege ich mich hin zum Schlafen. Ohrenstöpsel, natürlich Ohropax, Schlafmaske, und dann wird erst einmal meditiert. Eine Entspannungsmethode, 14 die mir beim Einschlafen immer behilflich ist. Wenn ich ankomme, gehe ich nie und unter gar keinen Umständen zu Bett. Ich bin immer eine lange Zeit im Freien, damit sich meine innere Uhr umstellen kann, der es durch die Sonneneinstrahlung auf der Haut leichter fällt. Ich rieche an Blumen, gehe barfuß, erde mich sozusagen, ein Begriff, der jedem New-Age-Vertrauten und Schamanen-Interessierten bekannt sein dürfte. Dann gehe ich erst nach 22 Uhr abends ins Bett in dem Wissen, dass ich gut bis in den Morgen schlafen werde. Und aufwache in Los Angeles oder, genauer gesagt, in Beverly Hills. Ach, das wollten Sie alles nicht wissen? Sie wollten wissen, wie es sich dort lebt? Wie das Leben an sich ist? Und ob ich nicht doch irgendwelche Stars kenne? Vielleicht wollen Sie ja auswandern oder dort Karriere machen? Sie haben sich in eine(n) Amerikaner(in) verliebt, oder Sie wollen zum Film? Zum Film? Um Himmels willen, bloß das nicht! Natürlich hoffe ich, dass Ihre Träume in Erfüllung gehen, also bitte verzeihen Sie mir so einen herausgerutschten Satz. L. A. (ausgesprochen »El Ey«) – wie Los Angeles liebevoll abgekürzt wird – ist für die Filmindustrie, was Paris für die Mode ist. Wenn man Karriere machen will, dann hilft es, da zu sein, wo man sich trifft. Für mich war die Welt dort immer zu sehr von der Filmwelt bestimmt, aber ich wollte ja auch nie zum Film. Dies ist ein Buch über meine sechzehn Jahre in Los Angeles oder, genauer gesagt, Beverly Hills. Mein früherer Mann Richard arbeitet in der Filmindustrie, und ich – knapp dreißig Jahre alt und deutsche Fernsehmoderatorin – versuchte, mich da mit anfänglich holprigem Englisch irgendwie zurechtzufinden. Bitte verzeihen Sie mir, dass ich kein Klatschbuch schreiben möchte und bis auf sehr wenige Ausnahmen auch keine Stars erwähne. Auch schreibe ich über mein Leben in Los Angeles nicht, um anzugeben. Ich bin als die Frau eines Film-Executive zu Premieren eingeladen worden und nicht, weil ich wichtig bin. Die Häuser drüben sind einfach größer, in den kalifornischen Badezimmern hat 15 man fast immer mehr Platz als in bundesdeutschen Kinderzimmern, und Swimmingpools findet man bei den Häusern wie bei uns Fahrräder vor dem Hauseingang. Es ist eine andere Welt. Und genau deswegen schreibe ich darüber. Als ich nach Kalifornien kam, hielt ich mich für einen Weltbürger. Ein paar Monate später merkte ich, wie deutsch ich bin. Als ich sechzehn Jahre später Amerika wieder verließ, ging ich als Europäerin. Und … ich möchte »meine« Amerikaner verteidigen. Sie sind nicht oberflächlich. Sie sind einfach nur ein bisschen anders. 16 1. Die Hochzeit mit einem Amerikaner und der Umzug nach Los Angeles ch zog nach Kalifornien, weil ich einen Amerikaner heiratete. Als ich auswanderte, war ich Fernsehmoderatorin. Ich wurde diverse Male interviewt und gefragt, warum, weswegen und weshalb ich nach Los Angeles ging (eben der Liebe wegen) und was ich davon erwartete. Ich wollte eine glückliche Ehe führen, mich so schnell wie möglich eingewöhnen und hoffentlich weiterhin arbeiten. Das allerdings nahm man mir nicht ab. Wahrscheinlich, so wurde vermutet, wollte ich Schauspielerin werden und versuchte, den Weg in die Castingstudios über die Ehe zu machen (das soll ja schon mal vorgekommen sein). Ich fühlte mich damals schwer angegriffen, und schon allein deshalb hätte ich niemals in irgendeiner Weise irgendeine Schauspielerkarriere angestrebt. Obwohl ich zugeben muss, dass ich als Kind leidenschaftlich gern und oft in meiner Laienspielgruppe aufgetreten bin. Ich kam nach L. A. als Ehefrau eines Amerikaners. Eine vollkommen andere Situation. Es brauchte nicht ganz so viel Mut, diesen Schritt zu wagen, schließlich ging ich ihn an der Seite eines Mannes, der zwar aus New York kommt, aber schon zehn Jahre in Kalifornien lebte. Ich wollte, dass diese Ehe ein Erfolg würde (was uns nicht gelang, fünfzehn Jahre später ließen wir uns scheiden), und ich wollte, dass ich mich schnell eingewöhnte. Deutsche scheinen das verinnerlicht zu haben, wenn Sie mir eine Verallgemeinerung erlauben. Wir sind bemühter im Adaptieren. Franzosen zum Beispiel – auch hier wieder eine grobe Verallgemeinerung – scheren sich weniger I 17 darum, ob andere Leute französisch sprechen. Zwei Franzosen auf einer amerikanischen Party: Natürlich wird französisch gesprochen, auch wenn die anderen Gäste währenddessen sprachlos an ihrem rohen Gemüse mit Dip knabbern, das in Los Angeles statt der bayerischen Erdnussflips auf den Tisch kommt. Zwei Deutsche auf einer amerikanischen Party: Trotz Akzents und knappen Vokabulars wird tapfer englisch gesprochen. Wir wollen ja niemanden ausgrenzen. Und wir wollen nicht unangenehm auffallen. Mein Englisch reichte gerade mal für den Hausgebrauch. Da ich über ein schwaches Namens- wie auch Zahlengedächtnis verfüge – offiziell als schwach bestätigt von der Johnson O’Connor Research Foundation –, kam ich über ein holpriges Englisch damals nicht hinaus. Richard und ich hatten uns auf der Hochzeit meiner Freundin Carolin Ohrner mit Bruno Frydman in Paris kennengelernt. Wochen später kam er, um mich in München zu besuchen. Irgendjemand erzählte mir, dass er Jude sei; und so schlug ich denn vor, ihm das Konzentrationslager in Dachau zu zeigen. Ich wusste nicht, inwieweit Richards Familie – wenn überhaupt – während der Nazizeit verfolgt worden war, und fiel, typisch deutsch, gleich mit der Tür ins Haus. Er lehnte etwas erstaunt ab. Am nächsten Morgen holte ich ihn vom Hotel zu einer Radtour ab. Wir sprachen über Familienfeiern, und er erzählte mir von Weihnachten. Weihnachten? »Bist du nicht jüdisch?«, fragte ich ihn. »Nein, meine Familie kam damals aus Irland. Wir sind katholisch.« Kein Wunder, dass er auf meinen Vorschlag, Dachau zu besuchen, überrascht reagierte. Überrascht wurde auch ich – von der Intensität seines Werbens. Das war ich nicht gewohnt. Ich bekam jeden Montag weiße Lilien – meine Lieblingsblumen – als Gruß geliefert. Jeden Tag Anrufe. Aufmerksames Zuhören, was allein bei meinem Englisch schon viel Geduld erforderte. Seinen Heiratsantrag ein paar Wochen später habe ich auch nur nach mehrmaligem Nachfragen verstanden. Auf unserer nachträglichen Hochzeitsfeier in Los Angeles hielt 18 der Chef meines frisch angetrauten Ehemannes Richard eine lange Rede. Es wurde viel gelacht, viel geschmunzelt; und wenn ich die Fotos von diesem Abend betrachte, dann scheine ich mich wie alle anderen darüber köstlich amüsiert zu haben. Ich habe aber kein Wort verstanden. Es ist ein eigenartiges Gefühl, auf seiner eigenen Hochzeit nur acht von zweihundert Leuten zu kennen: meine Mutter, meine Schwester, Carolin und ihren Ehemann Bruno, Joe und Dolores (Freunde von Richard, die auch auf Carolins und Brunos Hochzeit waren), die erste Frau meines Mannes und seinen Chef. Wochen und Monate später traf ich immer wieder Leute und stellte mich brav mit »Sabrina Fox, nice to meet you« vor. Die Antwort war nicht selten: »Aber wir kennen uns doch von Ihrer Hochzeit!« Oops! (Ausgesprochen: »Ups!«) »Oops« ist übrigens ein wichtiges Wort in der englischen Sprache. Es drückt genau das aus, was man darin vermutet. Einen Fauxpas. Oder ein Fettnäpfchen oder, wie die Amerikaner sagen, »to put your foot in your mouth«: den Fuß in den eigenen Mund schieben. Was ja auch ein ziemlicher Fauxpas wäre. Ich war mit einem Mann verheiratet, dessen Sprache ich kaum verstand. Und das ist selten eine gute Idee. Nun denn, ich konnte mich über das Essen, das tägliche Leben, das Hin und Her recht gut verständigen, aber das war es dann auch schon. Wir heirateten im September 1988, und drei Monate später, kurz vor Weihnachten, zog ich nach Los Angeles. Meine letzten Tage in Deutschland waren eigenartig. Ich hatte nie vorgehabt auszuwandern. Amerika stand nicht wirklich auf meiner Wunschliste. Ich bin in einer Generation aufgewachsen (geboren 1958), die automatisch gelernt hatte, die Amerikaner zu mögen. Meine Mutter erzählte mir von den Carepaketen, die selbst in der Oberpfalz gelandet waren. Von dem Glück, sich nach dem Krieg im amerikanischen Sektor wiederzufinden. Ich wusste um den Marshallplan, der nicht nur dafür sorgte, dass Deutschland kein reines 19 Agrarland wurde, und uns damit wieder ermöglichte, eine Industrienation zu werden – und der auch den sozialen Wohnungsbau antrieb. Als ich aufwuchs, gab es auf dem deutschen Musikmarkt für Teenager nur deutsche Schlager und amerikanische Popmusik. Ich entschloss mich natürlich für Letzteres. Die »neue deutsche Welle« war noch nicht erfunden, und auf »Herz« reimte sich im Deutschen einfach nur »Schmerz«. Außer den deutsch-österreichischen »Sissi«-Filmen war ich begeistert von Doris Day, Cary Grant und Rock Hudson. Ich versuchte, mit Joan Baez und Bob Dylan mitzusingen. Ich liebte Marshmallows – dieses unsäglich pappige Zeug, das über Feuer geröstet wird – und die schicken, großen amerikanischen Autos. Außerdem gab es da Pommes frites (oder French fries) zu jeder Mahlzeit. Was für ein Land! Mit 23 Jahren saß ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Flugzeug, und das gleich in Richtung Florida! Ich nahm an einer Pressereise als Fotoredakteurin der Zeitschrift Bild und Funk teil. Ich war im Himmel gelandet: Herrlichste Sonne und dazu noch das großartige Meer. Ich kannte bis dahin nur kleine schäbige Pensionen und war in einem der »Ramada Inns« untergekommen. Damals für mich der Inbegriff des besseren Reisens. Gleich neben dem Schlafzimmer ein schönes Bad. Ganz selbstverständlich warm. Warm! Ich erinnerte mich an Besuche bei Omas, Tanten und Onkeln, Gaststätten im tiefsten Bayern, kleine Pensionen … alle hatten eines gemeinsam: ein kaltes Klo. Das Fenster immer sperrangelweit auf. Die Wände, wie in einer Metzgerei, mit grauenvollen Kacheln fast bis unter die Decke. Das Toilettenpapier grau und schmirgelig. Es ist nie die Heizung an. Da verrichtet der Amerikaner doch sehr viel komfortabler seine Notdurft. Die Amerikaner, so war mir bei meiner ersten Amerikareise klar, lieben es bequem. Allein das Autofahren: Fast alle Autos haben ein Automatikgetriebe. Wozu dieses Gewusel mit der Kupplung? Ich gewöhnte mich in den zehn Tagen meiner ersten Floridareise so schnell an die leichte Art der Amerikaner, an ihre Höflichkeit, an den Enthusiasmus, dass mir meine deutschen Mitbürger auf einmal nicht mehr 20 gefielen. Am letzten Tag stand ich am Flughafen in Miami und kämpfte mit den Tränen. Eigentlich wollte ich nicht mehr zurückkommen. Da ich sehr praktisch veranlagt bin, habe ich diesen Wunsch kurz nach meiner Ankunft in München als unmöglich und unmachbar ad acta gelegt. Die Eigenheiten meiner Zeitgenossen, die mich schon vorher gestört hatten, fielen mir jetzt nur umso mehr auf: Sie waren eigensinnig – ich natürlich nicht. Sie waren stur – ich natürlich nicht. Sie waren inflexibel – ich natürlich nicht. Neidisch – ich natürlich nicht. Unhöflich – ich natürlich nicht. Natürlich mochte ich alle in meinem großen Freundeskreis, und auch meine Kollegen bei der Bild und Funk und später beim Fernsehen waren nicht so wie »die anderen Deutschen«. Als ich meinen zukünftigen Mann kennenlernte, moderierte ich nach vielen Jahren beim Bayerischen Fernsehen und in der ARD das Frühstücksfernsehen bei Sat.1, und bis auf das Aufstehen um 4 Uhr morgens war in meiner Welt alles in Ordnung. Der Traum von Florida war lange vergessen, die Reise ja auch schon über sieben Jahre her, und ich war ganz und gar in meine Karriere vertieft. Ich machte mir Sorgen, dass das deutsche Fernsehpublikum nichts mehr von mir wissen will, wenn ich meiner Heirat wegen nach Amerika gehe. Ich wollte unbedingt weiterarbeiten und wusste doch, dass meine geliebten Livesendungen kaum mehr möglich sein würden. Gelegentlich wurde ich gefragt, ob ich nun »die neue Margret Dünser« werden wollte, die kurz vorher verstorben war und die die großartige Sendung »V.I.P.-Schaukel« moderiert hatte. Da sah ich mich nicht. Ich wollte nicht die Kontakte meines neuen Ehemannes benutzen, um weiterhin im Fernsehen zu arbeiten. Damals machte ich mir noch viel daraus, was »die anderen« von mir denken, und diese Gedanken konnte ich mir vorstellen: »Ja, sie hat ja diesen Star nur gekriegt, weil sie mit Richard verheiratet ist. Und den hat sie nur geheiratet, um an die Prominenten ranzukommen.« Was macht man nicht alles für seinen Beruf! 21 Ich wollte nicht zu viel mit nach Los Angeles nehmen, und so ergab es sich, dass meine Freundin Rita meine Wohnung in Hamburg – in die ich gerade erst ein Jahr zuvor von München aus gezogen war – so, wie sie war, von mir übernahm: mit Möbeln, Geschirr, Bettwäsche und allem Drum und Dran. Da ich mit einem Amerikaner verheiratet war, durfte ich eigentlich meinen Pass mit meinem normalen Touristenvisum nicht mehr benutzen. Ich durfte offiziell nicht mehr einreisen. Wir trafen kurz nach unserer Hochzeit im September einen Immigrationsanwalt, und der erklärte uns, dass wir zwei Möglichkeiten hatten: Ich warte entweder außerhalb der USA, bis ich eine Greencard bekomme, oder innerhalb der Staaten. Warte ich außerhalb, kann ich nicht einreisen, bis ich die Greencard (die übrigens nicht grün ist) habe. Warte ich innerhalb, kann ich nicht ausreisen, bis ich die Card habe. Manchmal kann es ein ganzes Jahr dauern, bis man die Aufenthaltsgenehmigung bekommt, und so lange kann ich die Vereinigten Staaten nicht verlassen. Und – so entfuhr es mir –: So lange kann ich nicht arbeiten. Mir wurde mulmig. Es kann auch schneller gehen, tröstete mich der Immigrationsanwalt. Ich war schockiert. Ich hatte meinen Fernsehvertrag, und der lief noch bis Ende des Jahres. Also musste ich auf jeden Fall wenigstens die nächsten drei Monate aus- und einreisen können. Ich legte deshalb jedes Mal vor dem Einchecken meinen Ehering ab und versteckte ihn in meiner Geldbörse. Wir beschlossen, erst dann einen Antrag auf die Greencard zu stellen, wenn ich am Ende des Jahres nach Los Angeles gezogen wäre. Ich verbrachte die letzten Tage mit Packen, Michverabschieden und war so beschäftigt, dass ich eigentlich keine Zeit mehr hatte, groß darüber nachzudenken, welchen entscheidenden Schritt ich hier machte. Ich habe mir als junges Mädchen mal geschworen, nicht feige zu sein. Ich wollte nicht mit neunzig Jahren im Lehnstuhl sitzen und mein halbes Leben bedauern. Es wird schon werden, dachte ich mir, und so umarmte ich meine Freunde. Ich machte meine letzte Sendung, bekam einen lieben Abschieds- 22 gruß von meinem Sat.1-Team, und anschließend fuhr ich zum Flughafen. Es war ein Tag vor Weihnachten. Ich hatte Bammel. Nicht vor meinem Leben, sondern vor meiner Einreise. Das Team hatte eine kleine Videobotschaft für mich zusammengestellt, die kurz vor Ende der Sendung lief, in der es hieß, dass ich jetzt nach Amerika ziehe. Wenn das einer in der Passkontrolle sieht und merkt, dass ich mit einem Touristenvisum ausreise, dann lässt man mich vielleicht nicht in den Flieger. Ich war nervös. Ich zeigte meinen Ausweis vor, und der Polizist schaute mich kurz an und meinte: »Ja, wen haben wir denn da?« Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich versuchte, so unschuldig wie möglich zu schauen, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel: »Bitte lass ihn die Sendung heute nicht gesehen haben.« – Solche Stoßgebete lauten normalerweise für Moderatoren genau andersherum. Er holte seinen Kollegen. »Schau, die Sabrina Lallinger!« Dann wandte er sich zu mir und meinte: »Ich wache jeden Morgen mit Ihnen auf.« – »O Gott, nein!«, dachte ich mir. – »Aber leider muss ich dann immer um halb neun fahren und verpasse jedes Mal die letzte halbe Stunde.« Halleluja! »Danke«, sagte ich, nahm meinen Pass und schlich durch die Kontrolle. Den Rest der Zeit bis zum Abflug versteckte ich mich in der Damentoilette. Ich glaube, ich habe zu viele Krimis gelesen. Die Reise in meine neue Heimat brachte mich von Hamburg nach London und mit einem kurzen Zwischenstopp weiter nach Los Angeles. Kaum saß ich in Hamburg im Flieger, ich hatte einen Fensterplatz, legte sich Dunkelheit über mich. Meine Welt wurde plötzlich grau. Ich ließ meinen Blick übers Rollfeld wandern, über all die anderen Flugzeuge, die da standen, und die Gebäude, die mir so vertraut waren. Ich fahre jetzt weg. Ich fahre jetzt weg! Ich werde meine Freunde und meine Familie selten sehen, viele Gespräche werden in Zukunft mühsamer sein, weil entweder ich die Leute nicht verstehe oder sie mich nicht. Werden mich die Freunde von Richard mögen? Werde ich eigene Freundschaften schließen? 23 Wann werde ich wieder nach Hause fliegen können? In einem Jahr? In zwei Jahren? Ich erinnerte mich mit Schrecken an meine erste Reise als Verlobte mit Richard nach Venedig zu den Filmfestspielen knapp drei Monate zuvor. Wir gingen durch die Lobby im Hotel, als sich zwei Männer Richard näherten und ihn begrüßten. Er stellte mich beiden vor. Einer davon verwickelte Richard in ein Gespräch, der andere fragte mich, ob ich Schauspielerin sei. Ich verneinte. Das ist aber schade, meinte er mit einem Augenzwinkern, wo ich Richard doch jetzt so gut kennen würde. Ich versteinerte. Starrte ihn an, als ob ich mich verhört hätte. Richard merkte, dass mit mir etwas nicht stimmte, und schaute besorgt. Ich verabschiedete mich mit einer gehaspelten Entschuldigung und flüchtete mich nach draußen, gerade noch konnte ich meine Tränen zurückhalten. Wird das mein Leben sein? »Die Leute« werden annehmen, dass ich mit Richard schlafe, um Karriere zu machen? Ich war groß, schlank und blond – und werde ich nun auch automatisch noch ein Flittchen? In Deutschland war ich »ich«. Jetzt, wenn ich Richard heirate, bin ich nur noch »die Ehefrau«. Schaffe ich das? Will ich das? Plötzlich fühlte ich Richard hinter mir; und es dauerte eine Weile, bis er aus meinem Schluchzen heraushörte, was in mir vorging. Er hatte den Kommentar des Mannes nicht mitbekommen und versuchte, ihn mit einer Handbewegung wegzuwischen. »Er ist ein Idiot. Denk nicht weiter drüber nach.« Doch gerade jetzt, als das Flugzeug abhob und wir noch eine Ehrenschleife über Hamburg drehten, musste ich wieder darüber nachdenken. Und die Tränen, die ich damals nicht zu Ende geweint hatte, kamen jetzt hoch. Die Unsicherheit, die sich über mich legte, die Trauer, mein Zuhause zu verlassen, all das mischte sich gut durch. Ein paar Minuten später setzte dieses laute Kinderschluchzen ein, und ich heulte mich von Hamburg nach London durch zwei Packungen Taschentücher. Der Engländer neben mir meinte nach einer halben Stunde meines konstanten Schluchzens: »Tut mir leid, dass ich Sie störe. 24 Ist alles okay mit Ihnen? Ich weiß nicht, was Ihnen der Kerl angetan hat, aber ich könnte ihn für Sie umbringen, wenn Sie das wollen.« Sein Humor tat mir gut. Ich erklärte ihm, dass ich frisch verheiratet sei und gerade nach Amerika zog. Und dass ich um mein altes Leben weine. Er hob erstaunt die Augenbrauen und stieß ein sehr englisches »Oh« aus – was sich wahrscheinlich übersetzen lässt mit »Frauen! Wer will sie verstehen?« –, als er sich beruhigt hinter seiner Zeitung versteckte. Zur Sicherheit kaufte ich mir auf dem Londoner Flughafen Heathrow noch mal einen Nachschub an Taschentüchern. Überraschenderweise hörten meine Weinkrämpfe schlagartig auf, als ich in den nächsten Flieger stieg, und meine Stimmung von London bis L. A. war eine gänzlich andere: Ich fing an, mich auf mein neues Leben zu freuen. 25 Bedford-Haus, kurz vor dem Umzug nach Deutschland: Julia und ich nehmen Abschied Besuchen Sie uns im Internet: www.knaur-ebook.de Copyright © 2008 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden. Redaktion: Ralf Lay Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Illustration: Jürgen Gawron Satz: Adobe InDesign im Verlag ISBN 978-3-426-55443-2