Gesamte Ausgabe herunterladen - Helden

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Gesamte Ausgabe herunterladen - Helden
1
helden.
heroes.
héros.
E-Journal
zu Kulturen
des Heroischen.
Mediale Strategien
der Heroisierung
Die Briefe Philipps von Hutte­n
zwischen Medium und Memoria
des Heroischen
Tilman Moritz
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld
zwischen Krieg und Frieden
Christina Posselt-Kuhli
Transfigurations du héros
dans la culture mondaine
du siècle classique
Isabelle Chariatte
Intermediale Heroisierungs­
strategien bei Molière und
Pierre Mignard
Christina Posselt-Kuhli,
Jakob Willis
Zur Heroisierung Theodor Körners
im 19. und 20. Jahr­hundert
Nikolaus Immer, Maria Schultz
Heldentum und mediale
Inszenierung am Übergang zur
politischen Moderne
Robert Lukenda
Leningrad als Heldenstadt in
der medialen Vermittlung durch
Reiseführer
Kristina Offterdinger
John Harrison (1693-1776) and the
Heroics of Longitude
Ulrike Zimmermann
Herausgegeben von
Katharina Helm und Jakob Willis
Band 2.2 (2014)
helden. heroes. héros.
2
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Katharina Helm, Jakob Willis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Aufsätze
Neue Welten, alte Helden? Die Briefe Philipps von Hutten
zwischen Medium und Memoria des Heroischen
Tilman Moritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden –
Ein herrscherliches Tugendexempel im Deutschland des
17. Jahrhunderts
Christina Posselt-Kuhli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Transfigurations du héros dans la culture mondaine
du siècle classique : Madeleine de Scudéry,
La Rochefoucauld, le chevalier de Méré
Isabelle Chariatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
« La voilà, cette main, qui se met en chaleur » – Intermediale
Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
am Beispiel des Gedichts La Gloire du Val-de-Grâce
Christina Posselt-Kuhli – Jakob Willis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Lützows wildester Jäger. Zur Heroisierung Theodor Körners
im 19. und 20. Jahrhundert
Nikolas Immer – Maria Schultz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Viva Garibaldi! – Heldentum und mediale Inszenierung
am Übergang zur politischen Moderne
Robert Lukenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
helden. heroes. héros.
3
„Stadt, die den Tod bezwang“ – Leningrad als Heldenstadt
in der medialen Vermittlung durch Reiseführer
Kristina Offterdinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
John Harrison (1693 - 1776) and the Heroics of Longitude
Ulrike Zimmermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Rezensionen
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an? Der russische
Feldherr Alexander Suworow als Kristallisationsfigur eines
neuen Nationalmythos. Zu den neuen Biographien von
Wjatscheslaw Lopatin und Arsenij Samostjanow
Reinhard Nachtigal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Heldenlose Oper? Giacomo Meyerbeers Die Hugenotten,
wiederbelebt und neu interpretiert am Staatstheater Nürnberg
Carolin Bahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
helden. heroes. héros.
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helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/01
5
Editorial
S’il n’y a de l’héroïsme que dans l’action, il n’y a de héros que dans et par la parole.
Maurice Blanchot: Le Héros
Seit der Antike kommt heroischen Figuren wie
Herakles, dem Cid oder Jeanne d’Arc eine zentrale Rolle im Kontext kultureller Vorstellungs- und
Aktionswelten zu. Indem sie als Identifikationsfiguren die Werte und Ideale einer Gemeinschaft
verkörpern, rufen sie zur Imitation auf und besitzen integrative und soziale Kohäsion stiftende Funktionen. Gleichzeitig sind sie nicht selten
Gegenstand kontroverser Deutungs-, Zuschreibungs- und Abgrenzungsprozesse. Jeanne d’Arc
beispielsweise wurde Zeit ihres Lebens nicht
nur als Heldin und Märtyrerin verehrt, sondern
auch der Häresie beschuldigt, im 19. Jahrhundert dann zum nationalen Mythos verklärt und zu
Beginn des 20. Jahrhunderts sogar heiliggesprochen. Untersucht man den kulturellen Umgang
mit Heldinnen und Helden in einer historischen
Langzeitperspektive, stehen so Traditionen und
Kontinuitäten neben Transformationen und radikalen Brüchen, Prozesse der Heroisierung neben solchen der Deheroisierung.
Einen wesentlichen Anteil an der Konstruktion
wie auch der Dekonstruktion heroischer Figuren
haben die unterschiedlichen Medien und Künste. Sie stellen in ihrer vermittelnden Funktion
den Kontakt zwischen Helden und deren Publikum her, indem sie sowohl von den Taten der
heroischen Figuren als auch über deren Opfer
berichten. Durch diese Form der bewahrenden
Vermittlung wird das Heroische präsent gehalten
für Kulte und Rituale, für individuelles wie auch
kollektives Erinnern. Dass Medien und Künste
zudem den Ruhm einer Persönlichkeit auch über
deren Tod hinaus vor dem Vergessen bewahren
können, ist ein Faktum, das beispielsweise auch
Ovid am Ende seiner Metamorphosen hervorhebt. Den Stellenwert seiner Dichtkunst unterstreichend weist der verseschmiedende Heldenmacher mit Blick auf den Nachruhm Cäsars
darauf hin, ein Werk verfasst zu haben, „das
Feuer und Eisen nimmer zerstört, noch Jupiters
Zorn, noch zehrendes Alter.“
helden. heroes. héros.
Die dritte Ausgabe von helden. heroes. héros.
E-Journal zu Kulturen des Heroischen beschäftigt sich vor diesem Hintergrund in einer dezidiert transkulturellen und epochenübergreifenden Ausrichtung mit unterschiedlichen medialen
Strategien der Heroisierung. Die literatur-, bildund geschichtswissenschaftlichen Beiträge, die
zeitlich vom Spätmittelalter bis ins 21. Jahrhundert und geografisch von Südamerika bis
zur ehemaligen Sowjetunion und dem heutigen
Russland reichen, gehen dabei unter anderem
der Frage nach, wie sich die diversen Formen
der Heroisierung in Medien oraler, textueller,
bildlicher, plastischer, musikalischer, kinematografischer oder medial hybrider Darstellung beschreiben lassen und machen einzelne Strategien in ihren Analysen konkret fassbar. Darübe­r
hinaus spielt die Überlegung, inwiefern sich spezifische Medien, Künste oder Gattungen in den
unterschiedlichen historischen Konstellationen
für Heroisierungsprozesse besonders eignen
oder sogar einzelne Objekte oder Artefakte an
der Erzeugung heroischer Semantiken direkt
beteiligt sind, eine wesentliche Rolle. Schließlich tragen die Beiträge auch Phänomenen wie
der intermedialen Dimension der Konstruktion
des Heroischen, den verschiedenen Kontexten
seiner Verbreitung und Rezeption sowie seiner
museumsdidaktischen Vermittlung Rechnung.
Tilman Moritz untersucht in seinem Beitrag die
selbstheroisierende Intention von Briefen des
fränkischen Ritters Philipp von Hutten, in denen
dieser Mitte des 16. Jahrhunderts über seine
Erfahrungen als Teilnehmer einer Welser-Expedition nach Venezuela berichtet. Neben den
textuellen Strategien der Heroisierung liegt der
Fokus der Analyse dabei auch auf den Möglichkeiten und Grenzen der posthumen Integration
der Ausnahmefigur in die Familienmemoria.
Christina Posselt-Kuhli beleuchtet in ihrem
Aufsatz den Zusammenhang zwischen der heldenhaften Repräsentation von Herrschern im
Editorial
6
Deutschland des 17. Jahrhunderts und deren
Eigenschaften als Kunstsammler und -förderer.
Unter anderem anhand der Beispiele Erzherzog
Leopold Wilhelm und Kurfürst Friedrich Wilhelm
von Brandenburg analysiert sie in einer transmedialen Perspektive künstlerische Verfahren der
Stilisierung herrscherlicher „Kunst-Helden“.
vermittelte Stilisierung Leningrads als Heldenstadt. Dabei arbeitet sie heraus, welche medialen Praktiken an der heroischen Mythologisierung des Stadtraums mit seinen zahlreichen
Erinnerungsorten zum Einsatz kamen und welche Rolle die unterschiedlichen Produktions- und
Rezeptionskontexte der Reiseführer spielten.
Isabelle Chariatte arbeitet in ihrem literaturwissenschaftlichen Beitrag Figurationen und
Transfigurationen des Heroischen innerhalb der
culture mondaine des französischen 17. Jahrhunderts heraus. Durch ihre kontrastive Lektüre
von Texten Madeleine de Scudérys, La Rochefoucaulds und de Mérés werden Traditionslinien, aber auch Umbrüche literarischer Heroisierungsstrategien im siècle classique fassbar.
Ulrike Zimmermann wirft in ihrem literatur- und
kulturwissenschaftlichen Aufsatz einen Blick auf
die posthume Heroisierung des englischen Uhrmachers John Harrisons, der zu Beginn des 18.
Jahrhunderts das Schiffschronometer erfand und
damit das Problem der genauen Bestimmung
des Längengrades löste. Durch die Analyse der
literarischen, massenmedialen und musealen
Erinnerung Harrisons entsteht ein differenziertes
Bild heroisierender Praktiken der jüngeren Vergangenheit und der unmittelbaren Gegenwart.
Christina Posselt-Kuhli und Jakob Willis wenden sich mit Molière und Pierre Mignard zwei
weiteren prominenten Künstlerpersönlichkeiten
der französischen Klassik zu und analysieren in
ihrem Aufsatz eine Reihe intermedialer Heroisierungstechniken, die sich auf Text-Bild-Ebene
in dem Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce sowie den Kupferstichen der Originalausgabe von
1669 nachweisen lassen. Den kunst- und literaturwissenschaftlichen Analysen vorangestellt
sind einige allgemeinere Überlegungen zum
Phänomen der medialen Heroisierung.
Nikolas Immer und Maria Schultz befassen
sich in ihrem Beitrag mit den unterschiedlichen
Formen und Funktionen der Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert. Anhand
einer reichen Fülle von lyrischen und belletristischen Texten, von bildlichen Repräsentationen auf Sammelbildern und Postkarten sowie
der kinematografischen Bearbeitung seiner Vita
zeichnen sie – ausgehend von Körners eigener
Dichtung – die wechselvolle Geschichte der medialen Konstruktion der Heldenfigur und ihrer
politisch-ideologischen Vereinnahmung nach.
Reinhard Nachtigal bespricht in einer Sammelrezension Biografien, die zwischen 2000
und 2014 auf dem russischen Buchmarkt über
den Generalissimus Alexander Suworow (17301800) erschienen sind. Neben medialen Strategien der Heroisierung stellt er dabei auch die
tagesaktuellen Funktionalisierungen der national bis nationalistisch geprägten Helden-Geschichtsschreibung heraus.
Carolin Bahr beleuchtet unter musikwissenschaftlicher Perspektive die Inszenierung von
Giacomo Meyerbeers Oper Die Hugenotten, die
am 15. Juni 2014 am Staatstheater Nürnberg
Premiere feierte. In ihrer Rezension diskutiert
sie die Kontexte der Wiederbelebung des in Vergessenheit geratenen Stücks und geht Fragen
bezüglich der (de-)heroisierenden Funktionen
von Dramaturgie, Inszenierung und stimmlicher
Gestaltung nach.
Robert Lukenda untersucht in seinem Aufsatz die mediale Inszenierung einer weiteren
Heldenfigur des 19. Jahrhunderts, jener des
italienischen Freiheitskämpfers Guiseppe Garibaldi. Unter besonderer Berücksichtigung der
identitäts- und medienhistorischen Kontexte
am Übergang zur politischen Moderne wird die
Konstruktion des wirkmächtigen Heldenmythos
nachvollzogen und dabei auch Fragen nach Fiktionalität und Faktizität, nach Selbstvermarktung
und Instrumentalisierung gestellt.
Kristina Offterdinger diskutiert in ihrem Beitrag
die über west- und ostdeutsche sowie sowjetische Reiseführer der 1950er bis 1980er Jahre
helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/02
7
Tilman Moritz
Neue Welten, alte Helden?
Die Briefe Philipps von Hutten zwischen Medium und Memoria des Heroischen1
I. Dissonanzen
Heftig prallen die beiden Schlachtreihen auf­
einander. In mehreren Wellen dringen Reiter
auf Fußsoldaten ein, die in geschlossener For­
mation dem Ansturm begegnen. Zwischen den
Fronten, schon unter den Hufen der heranspren­
genden Pferde, wälzen sich bereits Verwunde­
te, Ross und Reiter, Freund und Feind. Mit ge­
zückten Schwertern, eingelegten Spießen und
erhobenen Schilden, ihre Körper aber entblößt,
so stürzen sich die Kämpfer ins Getümmel. Die
Vorbehaltlosigkeit, mit der dieser Kampf ausge­
tragen wird, der Mut, aber auch die Rohheit auf
beiden Seiten sind kaum zu übersehen.
Szenenwechsel: Ein Mann ist vor dem Kru­
zifix auf die Knie gefallen. Er trägt Waffen und
einen prächtigen Harnisch, nur den Helm hat
er abgelegt und die Panzerhandschuhe gegen
zivilere Pendants getauscht. Im Gegensatz zur
äußerlich wehrhaften Erscheinung aber steht
das zerquälte Gesicht, der zur Anrufung geöff­
nete Mund, der auf den Gekreuzigten geheftete,
flehende Blick. Allein, Christus erwidert den Blick
nicht, sein Kopf ist zur anderen Seite geneigt,
und unter schweren Lidern schaut er auf einen
zweiten Mann herab. Dieser kniet dem Gerüs­
teten gegenüber, gefasster, aber kaum weniger
inbrünstig betend. Hirtenstab, Ring und vor ihn
gesetzte Mitra weisen ihn als Bischof aus. Zu­
gleich markiert das ihm um die Schultern geleg­
te Pluviale den Grund seiner Anwesenheit: die
Konsekration, die Weihe der hier vollzogenen
Fürbitte.
Zwischen beiden Szenen – religiösem Ernst
und bewegendem Gebet hier, dem Gemetzel
in gleichermaßen heroischer wie barbarischer
Nacktheit2 dort – besteht kein offensichtlicher
Zusammenhang. Und doch gehören sie in ein
und dasselbe Bild. Es handelt sich nämlich um
Motive, die auf einem steinernen Grabdenkmal
erscheinen. (Eine Photographie ist über das
Historische Lexikon Bayerns abrufbar.)3 Das
Denkmal selbst ist Teil einer ganzen Galerie von
helden. heroes. héros.
Grabplatten und Epitaphien, die den Ort ihre­
r
Auf- bzw. Ausstellung, die Pfarrkirche Maria
Sondheim im unterfränkischen Arnstein, als eine
Grablege der ritteradligen Familie von Hutten
ausweist.4 Diesem äußeren Kontext des Steins
wiederum wird ein konkreter, inhaltlicher Bezug
verbunden durch eine Inschrift, die unter die Bild­
tafel gesetzt ist. Als Philipp von Hutten, „Ritter
aus Franken“, wird der Verstorbene vorgestellt,
dessen Bruder Moritz, Bischof zu Eichstätt, ihm
den Gedenkstein „der Liebe und des Anden­
kens wegen in tiefer Trauer“ stiftete. Angaben
zu Herkunft und Werdegang des Verstorbenen
sind fast völlig ausgespart. In den Vordergrund
gerückt sind vielmehr Huttens Reise nach „Ve­
nezuela, einer Provinz des jenseitigen Indien“,
im Jahr 1534, und sein Wirken dort als „Soldat
bei zwei Expeditionen“, deren zweite er sogar
„an Stelle des verstorbenen Gouverneurs“ selbst
leitete. Die vermeintliche Erfolgsgeschichte aber
ist letztlich nur die Folie für die Umstände, unter
denen Hutten zu Tode kommt: Zusammen mit
einigen namentlich aufgeführten Gefährten wird
er „im Jahr 1546 jämmerlich (o welcher Schmerz!)
hingeschlachtet“ und fern der Heimat begra­
ben – immerhin nicht, ohne dass den ebenfalls
namentlich gemachten Mörder, Juan de Car­
vajal, zwischenzeitlich seine gerechte und hier
eigens berichtete, grausame Strafe ereilt hätte.5
Eine solche Geschichte passt ganz offen­
sichtlich nicht in den Rahmen des Herkömm­
lichen, der Konvention. Sie erzeugt vielmehr Dis­
sonanzen, und genau das ist im Epitaph – oder
eigentlich: dem Kenotaph Philipps von Hutten
gespiegelt. So bildet die ausführlich erzählende
und sorgfältig komponierte lateinische Inschrift
für sich genommen schon eine Ausnahme im
Kontext ritterlicher Grabmäler. Hinzu tritt die
kunstvolle Gestaltung des Denkmals, das sich
neben den wuchtigen Monumenten, die es heute
rahmen, beinahe zierlich ausnimmt. Diesen Ein­
druck verstärkt das Bildfeld mit seinen zahlrei­
chen, ebenso plastisch wie fein ausmodellierten
Details. Die eingangs beschriebenen Szenen
Tilman Moritz
8
gehören hierher: die Fürbitte steht im Mittelpunkt,
sie füllt den Rahmen der Darstellung; zugleich ist
sie auf einen bewegten Hintergrund gesetzt, in
eine Landschaft einbezogen, die durch Einzel­
szenen belebt wird – darunter die bewaffnete
Auseinandersetzung am jenseitigen Ufer eines
aufgewühlten Gewässers.
Allerdings sind diese Szenen nicht als bloße
Indizes misszuverstehen, als Zeichen, die eine
gegebene Handlung nur mit anderen Mitteln
darstellen, etwa im (faktologischen) Sinne einer
Illustration des beigegebenen Textes.6 Vielmehr
wird hier versucht, durch eine eigenlogische
Darstellung, d. h. einen für sich stehenden und
lesbaren Bildbericht7, eine weitere Perspektive
zu öffnen bzw., wie die Beispiele zeigen, eine
parallele, transzendente Deutung der geschil­
derten Vorgänge zu bieten. Damit das aber
gelingt, damit ein angemessener Ausdruck ge­
funden werden kann, sind offenbar Regelver­
stöße notwendig. Daher rührt die eigentümliche
Zusammensetzung des Arnsteiner Kenotaphs.
Wodurch aber werden diese Brechungen eigent­
lich verursacht? Oder konkret gefragt: Warum
rechtfertigt, nein, erfordert der unglückliche Tod
Philipps von Hutten auf einer – zugegeben, un­
gewöhnlichen – Reise den Aufwand einer sol­
chen Inszenierung?
II. Überreste und Traditionen
Am 8. Dezember 1534, nach bereits vier geschei­
terten Versuchen, gelingt es dem Welser-Konvoi
endlich, aus dem Hafen von Cádiz auszulaufen
und die offene See zu erreichen. An Bord des
Führungsschiffs, in Begleitung des gerade neu
berufenenen Gouverneurs, befindet sich Philipp
von Hutten. Kaum zwei Wochen später, beim
Zwischenhalt auf Gran Canaria, schreibt er eine­n
Brief an einen Freund aus gemeinsamen Tagen
am spanischen Hof Kaiser Karls V. Es ist der
erste einer Reihe von Briefen, die Hutten über
einen Zeitraum von wenigstens sechs Jahren in
die europäische Heimat sendet.8
Tatsächlich ist die Zahl der erhaltenen Schrei­
ben gering.9 Nach aktuellem Stand liegen fünf
Briefe noch im Original vor. Ihre Echtheit ist
durch Versandspuren (wie die Faltung des Pa­
piers auf Briefformat oder die stärkere Alterung
der Außenseite) sowie durch Eingangs- und
Weiterleitungsvermerke hinreichend belegt.10
Zwei der Originale sind auch sekundär überlie­
fert in einer Druckausgabe des späten 18. Jahr­
hunderts; diese Ausgabe enthält darüber hinaus
weitere sechs Schreiben, die auf Basis rezenter
Abschriften ediert wurden (Meusel). Die Kopien
sind noch vorhanden, die Originale aber wohl
verloren – vielleicht auch, weil keine unmittel­
bare Notwendigkeit mehr darin gesehen wurde,
die nun im Druck gewissermaßen konservierten
Schriftstücke aufzubewahren.11 Wo der Abgleich
zwischen Original und (edierter) Kopie möglich
ist, offenbaren sich einige Ungenauigkeiten,
Irrtümer und Auslassungen in den Abschriften.
Redaktionelle Eingriffe, Marginalien u. ä. sind in
den Kopien überhaupt nicht mehr fassbar. Noch
verworrener zeigt sich schließlich die Überliefe­
rungslage eines Konvoluts von Texten, die 1550
als Anhang zur deutschen Übersetzung zweier
Schreiben des Hernán Cortés gedruckt wurden.
Sie erscheinen dort mit der Begründung, „dieweil
sy auch vo(n) Indien […] meldung thůn. Ist dem
Bůchtrucker beuolhen, sy zů den zwaien vordern
Büchern zutrucken“ (Ulhart LI r-LVII v ).12 Dem
rein inhaltlichen Fokus dieses Kompendiums
entspricht, dass die ursprünglichen Formate der
darin versammelten Texte verwischt sind, Prove­
nienz und konkrete Autorschaft unklar bleiben.
Die Zuweisung an Philipp von Hutten ergibt sich
vornehmlich aus Passagen, die einige seiner
Briefe im Wortlaut zu zitieren bzw. zu paraphra­
sieren scheinen oder die einen Bezug zu seiner
Biographie, soweit sie bekannt ist, aufweisen.
So schlagend die Analogien sind, aus quellen­
kritischer Sicht bereitet die Überlieferung Proble­
me – und das gilt, so einleuchtend wiederum die
Verdichtung zu einem Gesamtkorpus scheint,
für die Mehrzahl der unter Huttens Namen zu­
sammengefassten Texte. Vor allem da der Tradi­
tionszusammenhang dieser Quellen also, nach
derzeitigem Stand, nicht geklärt werden kann
und sie deshalb eher den Rezeptionszeugen zu­
zurechnen sind, konzentriere ich meine Analyse
auf die fünf Originalbriefe.
III. Brüche
Kehren wir noch einmal zu jenem Dezember­
tag des Jahres 1534 zurück, der den Aufbruch
Philipps von Hutten in die Neue Welt markiert.
Dieser Aufbruch ist zugleich ein Abbruch. Denn
mit der räumlichen Distanz bringt Hutten auch
Abstand zwischen sich und seine bisherigen
Aktionsfelder. In die Neue Welt zu reisen, war
nichts Alltägliches und entsprach ganz sicher
weder herkömmlichen Lebensplanungen noch
der für Hutten vorgesehenen Karriere. Anders
als die möglichen Vorbilder Hernán Cortés oder
Francisco Pizarro war Philipp von Hutten gewiss
kein „unbegüterter Landadliger“ (Schmitt, Kolonien 397) oder ohne Aussicht auf ein gesicher­
tes Erbe.13 Im Gegenteil galt er, nachdem der
ältere Bruder Moritz eine geistliche Laufbahn
eingeschlagen hatte, als Stammhalter und damit
helden. heroes. héros.
Neue Welten, alte Helden?
Repräsentant einer erfolgreichen Nebenlinie de­
rer von Hutten.14 Seine vorangegangene Aus­
bildung am nassauischen bzw. spanischen Hof
hatte ihn außerdem in die Nähe einflussreicher
Persönlichkeiten geführt und ihm Chancen zu
gleichsam internationaler Netzwerkbildung er­
öffnet. Das dokumentieren unter anderem die
Briefe an den bereits genannten Freund, den
Kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann, sowie
die darin mit angesprochene peer group, na­
mentlich oder summarisch etwa als „das gantz
Hoffgesindt, sunderlich die gantz Gesellschaft
von vnser Taffel“ (Schmitt, Gold 91); und das
belegt schließlich auch Huttens Aussicht, sich
durch Heirat einem Krainer Adelsgeschlecht zu
verbinden.15
Allein daraus lassen sich die Gründe für den
dramatischen Wechsel der Verhältnisse also nicht
rekonstruieren. Allerdings steht fest, dass Hutten
den Bruch durchaus als solchen wahrnahm und
entsprechend verhandelte. Das erhellt zunächst
aus der Sprache der Briefe selbst. Ausführlich
und mit großer Anschaulichkeit werden darin
die Gegebenheiten der Neuen Welt geschildert.
Hutten zeigt sich fasziniert vom Unbekannten,
dem Unerhörten, dem Unglaublichen, für das
er dann herausstellen kann, „wiewol es luger­
lich laut, ist es entlich war“ (Schmitt, Gold 91).16
Er verortet sich im Geschehen, ist nicht nur Au­
gen- und Ohrenzeuge, sondern aktiv Beteiligter,
dessen Motiv letztlich die Anschauung selbst ist:
„Ob ich schan nichs gewun, allain mit Gesunthait
daruon keme, bin ich zefriden mit dem, das ich
gesehen hab vnd teglichs syehe vnd sunderlich
in der Entrada [d. h. Expedition]“ (ebd. 94). Diese
Anschauung ist natürlich, dem Ausdruck nach,
vorrangig eine europäische Perspektive, speist
sich also aus dem Vergleich. Mit Alteritätserfah­
rungen so umzugehen oder, besser gesagt, sie
dadurch zu betonen, ist ein Verfahren, das aus
zeitgenössischen Pilger- und Reiseberichten be­
kannt ist. Fremde Begrifflichkeiten, selbst dort,
wo sie nicht erklärt werden, verstärken den Ef­
fekt. Es handelt sich um Exotismen, die einer­
seits eine Fremdheit hervorbringen, indem diese
gewissermaßen sprachlich ‚reproduziert‘ wird;
andererseits inszeniert sich darin derjenige, der
die Exotik auf den Begriff bringt, selbst als Teil­
haber jener Fremdheit.17 Bei Hutten finden sich
solche Begriffe verhältnismäßig häufig und wie
selbstverständlich eingestreut, obwohl sie einem
europäischen bzw. deutschsprachigen Publikum
nicht ohne Weiteres verständlich gewesen sein
dürften: so ist etwa von „reuier“ (Fluss; Schmitt,
Gold 93), „mahiz“ (Mais; ebd. 95), „Cassicques“
(Häuptlinge; ebd. 99) oder „Iucka“ (Yucca; ebd.
103) die Rede. Das vollkommen Fremde kommt
dann aber auch in einer persönlichen Aneignung,
als Aushalten der Fremdheit zum Ausdruck:
helden. heroes. héros.
„Welche grosse Arbait vnd Not […] ßo die [armen
Cristen in] diesen Landen leiden, euch zum Theil
vnuer[treglich vnd schier] vnmenschlich, wie sie
dan warlich an in sel[bst seyn, duncken] werden,
ßo sein wir doch itz durch lange Gewo[nhait alßo
darinn] erwachsen, das wir die gantz gering ach­
ten“ (ebd. 129).18 Die perspektivischen Brechun­
gen werden hier also klar benannt. Mehr noch,
ihre Wahrnehmung und der Umgang mit ihnen
werden zu einer rite de passage. Der Philipp
von Hutten, der sich aus dem gewohnten Kon­
text gelöst hat, ist ein anderer geworden – und
er muss ein anderer sein, weil es die geänderten
Bedingun­gen erfordern. Genau diese Dynamik
manifestiert sich in den Briefen, materialisiert
sich, wird (be-)greifbar.
IV. Reparaturversuche
Die Briefe bringen demnach nicht nur das Frem­
de auf den Begriff, sondern auch den persönli­
chen Wandel. Sie veranschaulichen und begrün­
den zugleich, warum und vor allem wie Hutten
sich von vertrauten Positionen verabschiedet.
Sie sind tatsächlich medial zu verstehen, das
heißt in ihrer vermittelnden Funktion, durch die
ein Standpunkt kommuniziert oder zunächst
überhaupt etabliert wird. Der entstandene Bruch
wird hier gewissermaßen ‚gekittet‘; denn die Not­
wendigkeit, sich selbst mitzuteilen, besteht ja nur
für den, der sich verständlich machen will – der,
anders ausgedrückt, die Selbstverständigung
sucht. Diese Absicht ist im Fall Huttens sogar
recht klar und als konkrete Planung zu erkennen.
Zeugnis sind die Briefe selbst, nämlich als Mate­
rialien: Es ist zwar nicht zu klären, ob Hutten das
Papier für seine Briefe selbst einführte oder auf
den Vorrat der Welser-Administration, der er ja
angehörte, zurückgriff. Allerdings zeugt die Anla­
ge der Briefe von seinem sorgfältigen und betont
eigenhändigen Umgang mit dem Material. Ein
schönes Beispiel ist das Schreiben vom 23. Fe­
bruar 1535, der erste Brief aus Festland-Vene­
zuela.19 Der Text ist hier in ein vorgezeichnetes
Schema gesetzt, jeweils auf eine Hälfte des
Blattes auf Vorder- und Rückseite. Die entspre­
chende Markierung ist noch zu erkennen, und
tatsächlich zeigt sich eine nur geringe Schwan­
kung in Zahl und Breite der Zeilen. Offenbar
wurde der Text nach einem Konzept oder einer
ausgearbeiteten Vorlage in Reinschrift übertra­
gen, wie sich an Korrekturen zeigt, die von der
Hand des Textes angebracht sind und auf Irrtü­
mer beim Abschreiben hindeuten.20 Als Schrei­
ber aber kommt nur Philipp von Hutten selbst
in Frage: Zum einen erscheinen in diesem und
allen anderen Briefen Text und Unterzeichnung
9
Tilman Moritz
10
in derselben Handschrift; eine Rubrizierung
lässt sich in keinem Fall erkennen. Zum ande­
ren, und das ist entscheidend, enthält der Brief
vom Februar 1535 eine teilweise verschlüsselte
Nachschrift; sie besteht aus Kombinationen von
Buchstaben, die mit dem Schriftbild des Textes
identisch sind. Diesen Code, obwohl er nur drei
Zeilen umfasst, zu diktieren oder abschreiben zu
lassen, wäre zumindest fahrlässig, allein schon
aufgrund möglicher Übertragungsfehler. Wir dür­
fen also annehmen, dass Hutten seine Briefe ei­
genhändig ausfertigte – sicherlich nicht zuletzt,
um seine inhaltliche Präsenz als Autor schon
formal, an der Außenseite des Textes sichtbar
zu machen, das heißt im Erkennen seiner Hand­
schrift selbst wiedererkannt zu werden.
Genau das ist dann auch eine – oder sogar
die eigentliche – Funktion der verschlüsselten
Passage. Ohne ihren Inhalt zu kennen, lässt
sich nämlich vermuten, dass auch sie der Prä­
senzerzeugung dient; dass sie sozusagen direk­
te Kommunikation ermöglicht, die nicht durch
Distanz oder das Medium gebrochen ist, eben
weil sie verschlüsselt ist, somit auf einer ande­
ren, vertraulichen, ja intimen Ebene stattfinden
kann. In den Briefen ist der Code freilich singu­
lär, zumindest hat sich Vergleichbares nicht er­
halten. Gerade dieser Umstand hat Anlass zu
Spekulationen gegeben, hat dazu angeregt, an­
dere Doppeldeutigkeiten als Geheimnachrichten
zu lesen und daraus einen Sonderstatus, eine
Beob­achtermission Huttens in Venezuela abzu­
leiten (Schmitt, Gold 12, 96).
Umso ernüchternder mag wirken, was dort
tatsächlich zu lesen ist. Es handelt sich um einen
einzigen Satz, verschlüsselt über einen schlich­
ten Buchstabentausch und mit Trugzeichen
verunklart – keineswegs aber ‚bruchsicher‘. So
ist auch die Nachricht kurz: „ich bit euch gantz
freuntlich wollet mir nichs uerhalten wie sich bis­
her ger-t gehalten haet un[d] noch he[l]t“ (D 1072,
3 r2).21 Hutten erkundigt sich also nach der Ver­
fassung einer Person, deren offenbar gekürzter
Name vom Korrespondenzpartner leicht zu er­
schließen sein muss. Aus ähnlichen Passagen in
anderen Briefen aber ergibt sich die Möglichkeit,
die Abkürzung zu „Ger(trau)t“ aufzulösen, dem
Namen der Mutter Philipps von Hutten.22 Frei­
lich, eine solche Frage zu verschlüsseln, scheint
zunächst widersinnig. Allerdings grenzt sie den
Adressatenkreis erheblich ein, und der Blick
muss hier zurückgehen auf die oft übersehene
Anschrift, besser gesagt, die Anweisung, den
Brief „meine(m) [br]uder lieben hern vnd Freůndt
zůhand(en)“ (D 1072, 3 r2) weiterzuleiten.23 An
ihn, Moritz, nämlich richtete sich das Schreiben.
Zuvor aber hatte es einen Umweg über Matthias
Zimmermann und sehr wahrscheinlich auch jene
„loblich geselschaft vnser taffel“ (D 1072, 3 r2)
genommen, als deren Stellvertreter Zimmer­
mann hier wie noch häufiger fungierte. Folglich
war der Brief keinesfalls vertraulich oder gar
privat, sondern ging durch viele Hände. Das an­
zuzeigen, war wohl durchaus im Sinne Huttens:
dass die alten Netzwerke noch bestanden, dass
Hutten in der Gemeinschaft des spanischen
Hofs noch zahlreiche Freunde hatte und dass er
diese Kontakte sogar immer noch bewusst such­
te, all das stellt der Brief aus. Die Geheimschrift
aber, wenigstens als Geste, ermöglichte es, in
der Öffentlichkeit des Schreibens Vertraulich­
keit (wieder-)herzustellen, und zwar zielgerich­
tet im ‚Gespräch‘ mit dem älteren Bruder. Bei
näherem Hinsehen entpuppt sich die gesamte
Nachschrift als sozusagen ostentativ verbor­
gene Botschaft: Unter anderem und scheinbar
beiläufig referiert Hutten die – vor Ort redensart­
lich gewordene – Gewohnheit des Bischofs von
Santo Domingo, „alle Iar her zekome(n) seine
scheffle zeschere(n) vnd widerůmb mit der wol­
len gen santo domÿngo faren“ (D 1072, 3 r2).24
Gegenüber Moritz von Hutten, der sich Hoffnun­
gen machen durfte, selbst einmal ein Bistum zu
übernehmen – was sich 1539 mit seiner Wahl
in Eichstätt auch bestätigte –, war das natürlich
mehr als ein augenzwinkernder Scherz. Hier
wird Selbstironie abgerufen, die mit dem Amt
nicht vereinbar sein mag, allein unter Brüdern
aber erlaubt ist.
Allerdings, die Frage bleibt: Worin liegt der
Sinn einer solchen doppelbödigen Kommunika­
tion? Philipp von Hutten hielt diese Ansprache,
die sich auf Verbundenheit beruft und Nähe in­
szeniert, offenbar für notwendig. Gerade des­
halb aber können wir vermuten, dass Verbun­
denheit und Nähe hier stark akzentuiert werden,
eben weil sie nicht mehr gegeben sind. Und
das verweist wiederum nicht nur auf räumliche,
sondern auch gedankliche, oder anders gesagt:
ganz persönliche Distanz. Es verweist auf einen
Konflikt, in dem der ältere Bruder sowohl die Rol­
le des Antagonisten als auch des einzig verblie­
benen Ansprechpartners übernehmen kann.25
V. Heros ex machina
Gleich zu Beginn des Jahres 1540 gerät Philipp
von Hutten unter massiven Druck. Seit über ei­
nem Jahr sitzt er in Venezuela fest. Die letzte
Expedition, seine erste, blieb ohne greifbaren
Erfolg und musste abgebrochen werden, und die
Verhandlungen über einen erneuten Anlauf kom­
men nicht recht voran. In dieser Situation treffen
gleich mehrere Briefe von Verwandten ein, da­
runter auch ein Schreiben des Bruders, „allain
darauff gericht, das ich mich auffs furderlichst
helden. heroes. héros.
Neue Welten, alte Helden?
anheymb vnd hynnaus thun sol“ (Schmitt, Gold
128). Der Bruder insistiert sogar, den Bescheid
„nit als ain Bit, sunder wie ain Gebot“ (ebd.) zu
verstehen, da nun er, nachdem der Vater soeben
verstorben ist, die Position des Familienober­
haupts übernommen hat.26 Philipp von Hutten
soll in die Nachfolge des Vaters eintreten, das
Erbe übernehmen und damit in die für ihn vorge­
sehene Rolle finden.
Eigentlich könnte Hutten sich diesen Ansprü­
chen fügen. Man hat ihm Zeit und wahrschein­
lich auch die Mittel zugestanden, sich in der
Neuen Welt zu eigenen Bedingungen zu bewäh­
ren. Nun erwartet die Familie, dass er seinen
Pflichten nachkommt – was aber auch heißt,
dass er, ungeachtet des vor allem finanziellen
Misserfolgs seines Unternehmens, in gesicherte
Verhältnisse zurückkehren darf. An dieser Stelle
jedoch geht Hutten in die Offensive:
N[un freundlicher lieber Her] vnd Bruder,
wollet wol bedencken vnd ze He[rzen neh­
men], mit was Eren ich euch vnd vnser­n
Freunden [heimkomen] wurdt, mit Schul­
den beladen, dan ich itz zur [Zeit kein
ander] Beut mit mir bringen möcht, vnd ir
kurtz­lich darnach vernemen wurd, wie die
in Venezola, ßo erlich gehandlet, ßo reich­e
Land auffdeckt vnd ßo grosse Austailung
daruon bracht hetten, vnd ich itz lenger
dan v Iar im Land vnnutzlich verzert, mich
in Schuld gesteckt, vnd do es an ain Tref­
fen gangen, Er vnd Gut zu gewynnen wer,
het ich mich daruon gemacht. (Schmitt,
Gold 129)
Die Argumentation an sich ist nicht neu, Versatz­
stücke finden sich schon in früheren Rechtferti­
gungen. Hier aber erscheinen sie kondensiert,
auf den Punkt gebracht: Die ‚Ehre‘ nämlich
verbietet es, angesichts erheblich verbesserter
Aussichten auf Erfolg bei der bevorstehenden
Expedition, das Land zu verlassen – so guter
Aussichten, „das nit allain diejenen, ßo im Land
sei(n), nit hynnaus, sunder gantz Santo Domin­
go vnd zum Thail His(pa)nia herzekomen be­
wegt sein“ (Schmitt, Gold 129). Ehre besteht
allerdings weniger im Gewinn und der Chance,
sich dadurch der angehäuften Schulden zu ent­
ledigen; vielmehr soll umgekehrt der Gewinn
äußeres Zeichen der Ehre sein, ein Zeichen,
vor den Herausforderungen im entscheidenden
Moment nicht versagt zu haben. Denn trotz der
ebenfalls schon früher geäußerten Einsicht, dass
das Gold der Neuen Welt nicht auf der Straße
liege, zeigt sich Hutten der möglichen Nachre­
de bewusst, die Rückkehr in Armut „geschech
aus Fele oder Gebrechen irer Person“ (Schmitt,
Gold 129).27 Darin drückt sich zweierlei aus: Zu­
erst geht es um den Tugendbeweis selbst, der
helden. heroes. héros.
sich nicht allein darin erschöpft, ein Programm
abzuarbeiten, sondern darüber hinauszugehen,
besondere Leistungen zu erbringen, umso eher
noch unter erschwerten Bedingungen. Um gültig
zu sein, muss dann aber diese Leistung ‚öffent­
lich‘, vor den Augen aller vollbracht und sichtbar
gemacht werden. Beides zusammen ergibt eine
aristokratische Haltung in ihrem ursprünglichen
Sinn – der Beste zu sein, indem man das Beste
tatsächlich verkörpert.28 Kein Zufall auch, dass
das Streben nach Ehre und Gewinn zum Kampf
(„Treffen“) umgedeutet wird, also eine klar mili­
tärisch-ritterliche Konnotation erhält. So werden
noch zwanzig Jahre später Lope de Aguirre die
Worte in den Mund gelegt, er sei nach Peru ge­
kommen, „um mehr zu gelten mit der Lanze in
der Hand und um die Schuld einzulösen, die
jedem Ehrenmann aufgebürdet ist“ (übersetzt
nach Galster 846).29
Kein Wandel also? Nichts als herkömmliche
Beglaubigungsformeln, begründet in der Selbst­
gewissheit, an vorderster Front, unter härtesten
Bedingungen für überkommene Ideale einzu­
stehen? – Nicht ganz. Denn Philipp von Hutten
bietet diese Argumentation gewiss nicht auf, weil
er in „überspannten Ehrvorstellungen und man­
gelnder innerer Flexibilität“ (Schmitt, Gold IX),
das heißt in unangemessenen Dispositionen,
eine­m starren Habitus gefangen wäre. Die Hand­
lungslogik ist eine andere, und sie hängt ganz
wesentlich wiederum vom Medium des Briefs
ab. Es geht dabei, wie wir bereits festgestellt
hatten, um Kommunikation, um Verständigung,
auch im Kampf zwischen Positionen. Machen
wir uns noch einmal klar: Philipp von Hutten wird
von seinem – sehr wahrscheinlich selbstgewähl­
ten – Posten abberufen. Soweit es sein Referat
erkennen lässt, läuft die Begründung darauf hin­
aus, dass er seine eigenen Interessen denen der
Familie unterzuordnen habe, also einer dynas­
tischen und damit durchaus adligen Logik folgen
müsse. Dem aber verweigert sich Hutten, und
seine Beweisführung muss den Hebel bei eben
dieser adligen Handlungslogik ansetzen, um
letztlich eine Überbietungsstrategie in Gang zu
bringen. Die Formel gegenüber dem Bruder und
Familienoberhaupt lautet daher, er wisse wohl,
„was wir alle sunderlich die vo(n) adel schuldich
sein nach ehrn zutrachte(n)“ (D 1072, 9 r1).30 Hut­
ten erklärt seine Entscheidung in den Begriffen
und mit den Zeichen, von denen er überzeugt
ist, dass sie verstanden werden; das heißt ver­
standen von Adressaten und erweitertem Publi­
kum seiner Briefe, deren umfassende Rezeption
etwa bei Hof und innerhalb der adligen Groß­
familie nur durch Anspielungen und Wieder­
erkennungseffekte zu beschränken war. Da es
sich sicherlich um keinen unerwarteten Konflikt
handelte, tauchen einige Argumente schon in
11
Tilman Moritz
12
früheren Briefen auf; seien es die besonderen
psychischen und physischen Herausforderun­
gen der Neuen Welt, seien es seine Dienste und
Verdienste als loyaler Gefolgsmann oder die im
Vergleich mit anderen Entdeckungsfahrten im­
mer noch guten Aussichten, das wahrscheinlich
letzte verbliebene Goldreich von Venezuela aus
zu finden und zu erobern.31 Die letzten Briefe, in
denen die Auseinandersetzung dann tatsächlich
ausgefochten werden muss, können daher auf
diese Erklärungen zurückgreifen und die Argu­
mentation zuspitzen.
Hier wird schließlich deutlich, dass Philipp
von Hutten auf eine Verzögerungstaktik setzt.
Zwar sucht er weiter den Austausch, aber er
‚verbessert‘ seine Position zusehends. Die Hoff­
nung ist nun nicht mehr nur, „zway oder drey iar
aůff[s] lengst“ auszufahren, um anschließend
„mit ern naus [zu] kome(n)“ (D 1072, 9 r1).32 Mit
der begründeten Erwartung, die nächste Entra­
da selbst leiten zu dürfen und vielleicht sogar die
Statthalterschaft über Venezuela zu überneh­
men, äußert er seine Hoffnung, der inzwischen
gefürstete Bruder möge
mich zw solchen ehrn fůrdern vnd nit
hindern, vnd dieweil der almechtich got
e(uer) f(ürstlich) g(naden) ßo gnedichlich
zw solchem hoen vnd furstlichen stand
geholffen hat, wölle mir vergu(n)nen das
ich mein glůck auch versůch ob mir vil­
leicht got aůch zw ehrn helffen wolt da­
mit sich e(uer) f(ürstlich) g(naden) mein
zw ayne(m) arme(n) brůder destmynder
schemen dörfft. (D 1072, 9 v2-r2)33
Der Spieß wird hier umgedreht, der Bruder plötz­
lich in die Pflicht genommen. Das ist ebenso un­
verschämt wie klug berechnet. Denn indem sich
Hutten selbst neben der Standes- nun auf die
Familienehre beruft und seine eigenen Ziele, als
designierter paterfamilias, der Standeserhöhung
des Bruders angleicht, macht er seine Position
beinahe unangreifbar.
Wir sehen hier, wie anpassungsfähig die ver­
meintlich starre Haltung des ritterlichen Heros
ist. Gleichzeitig ist an dieser Stelle auch der Leis­
tungsdruck spürbar, unter den Philipp von Hut­
ten sich setzt. Seine Haltung ist kein bloßes selffashioning, kein Nachahmen von Mustern, auch
kein Rollenspiel; sondern sie besteht im Zwang
zu ständiger Neubestimmung der eigenen, als
exzeptionell behaupteten Position. Das näm­
lich hebt das Selbstverständnis, wie es in den
Briefen Huttens formuliert oder, besser gesagt,
angereichert wird, aus dem Kontext ritterlicher
Ehrvorstellungen heraus. Nichts weniger wird
demonstriert, als dass Hutten die größten Her­
ausforderungen sucht und die stärksten Wider­
stände überwinden will. Denn die Ansprüche, die
er zu erfüllen sich vornimmt, sind nicht die eines
einzelnen Ritters, sondern die des Rittertums
schlechthin – obwohl sein Weg immer als Aus­
nahme erscheint und ihm kein Vorbildcharak­ter
zugeschrieben wird. Selbst der Sturz in existen­
tielle Krisen kann deshalb ins tatsächlich Hero­
ische34 gewendet werden: Das geschieht, indem
etwa völlige Fremdheit oder psychische und
physische Härten nicht nur ertragen, sondern als
sinnhaft vorgeführt werden, als Prüfungen auf
dem Weg zur Selbsterhöhung. Dieser augen­
scheinliche Beweis vor sich selbst ist aber, da er
allein im Format des Briefs greifbar wird, in ers­
ter Linie ein Beweis vor Familie und Freunden,
und zwar in den Maßstäben jener ‚alten‘ Welt.
Allein, in diese Maßstäbe fügt sich Philipp von
Hutten schließlich kaum mehr ein, und das umso
weniger, je mehr er auf Verständnis und Verstän­
digung setzt. Es scheint ihm selbst unmöglich,
sich wieder in die vorgezeichneten, gewohnten
Bahnen ritterlichen Daseins lenken zu lassen;
genau das kommt in der Sehnsucht zum Aus­
druck, sich nicht
an kaÿßer(lichen) noch konig(lichen) mai­
estat noch an kaines fursten hoff zethůn
aůch kain dinstgelt, es sey dan an e(uer)
f(ürstlich) g(naden) h(of) oder meines
g(nädigen) h(errn) v(on) wůrtzbůrgk hoff
oder dinstgelt, allain nach růe trachten
vnd got vnd meine(n) freůnd(en) dienen,
vnd mich der welt benůge(n) lassen.
(D 1072, 9 v1)35
Diese vita contemplativa ist nicht der Traum
eine­s Pensionärs. Vielmehr ist es der Traum von
Selbstbestimmung in der Selbstbeschränkung,
von Eingliederung ohne äußere Verpflichtun­
gen oder Abhängigkeiten. Verwirklicht werden
konnt­e diese Vision freilich erst in dem Augen­
blick, da Philipp von Hutten den an ihn gestellten
Ansprüch­en – oder eher: seiner Vorstellung, sei­
nem Verständnis davon, genügte.
VI. Apperzeption oder From Zero to
Hero
Wie ließ sich der ‚verlorene Sohn‘ aus Venezu­
ela nun wieder in den Kontext einer fränkischen
Adelsfamilie zurückführen? Wie war mit den Am­
bitionen umzugehen, und zwar ungeachtet, ob
sie sich erfüllten oder zur Desillusion führten? –
Zumal nachdem ernste Ermahnungen bislang of­
fenbar genauso wenig wie stillschweigende Dul­
dung oder sogar Förderung des Unternehmens
dazu beigetragen hatten, Philipp von Hutten in
die Familie, die Adelsgemeinschaft einzuholen.
Die Schwierigkeiten gerade des vornehmlich
korporativ agierenden und funktionierenden
helden. heroes. héros.
Neue Welten, alte Helden?
Niederadels, Mitglieder, die einmal aus der Mitte
der Gemeinschaft geraten sind, zu reintegrieren,
sind durch Einzelfälle belegt, aber kaum syste­
matisch untersucht.36
Tatsächlich stellte sich die Frage nach Wieder­
eingliederung nicht mehr. Wie die Inschrift sei­
nes Kenotaphs verrät, wurde Philipp von Hutten
1546, auf dem Rückmarsch von seiner zweiten
Entrada, ermordet. Da man ihn bereits verschol­
len glaubte, hatten die Welser begonnen, das
Venezuela-Unternehmen endgültig abzuwickeln.
Hutten geriet also in die Auflösungserscheinun­
gen der Provinzadministration hinein, bevor die
Leerstelle von der königlich-spanischen Verwal­
tung gefüllt werden konnte. Die genauen Hinter­
gründe seiner Ermordung, soweit sie sich über­
haupt erschließen lassen, sind hier allerdings
weniger relevant als das Ergebnis: das beinahe
spurlose Verschwinden Philipps von Hutten.37
Es mag zynisch klingen, aber gerade dieser
Umstand eröffnete der Familie eine einmalige
Chance, den Abhandengekommenen zurück­
zuholen. Moritz von Hutten bemühte sich zwar,
wenn auch mit augenscheinlich geringem Er­
folg, um die Herausgabe der Besitztümer, allen
voran der Schriftstücke seines Bruders.38 Tat­
sächlich nötig war das aber nicht, um Philipp
von Hutten einen Platz in der Familienmemoria
einzuräumen. Im Gegenteil konnte man sogar
umso leichter das von ihm gezeichnete hero­
ische Selbstbild übernehmen: In seinen Briefen
hatte Hutten sich eine Position erschrieben, die
es ihm ermöglichen sollte, seine Leistungen und
Erfahrungen in Gewinn, in ökonomisches wie
symbolisches Kapital, umzumünzen. Sein Tod,
beinahe anonym und folglich ohne Nachweis,
ob sein Unternehmen wirklich den erhofften Er­
folg gezeitigt hatte, enthob – zumindest im ‚Licht
der Öffentlichkeit‘ – den engeren Familienkreis
wie auch die regionale Adelsgemeinschaft der
Pflicht, jene Selbsterhöhung faktisch einzuholen.
Stattdessen knüpfte man ideell daran an, stell­
te Hutten etwa als miles Christianus vor, der „im
Eifer, den christlichen Namen zu verbreiten“ zu
neuen Ufern aufgebrochen war.39 Vor allem aber
zeigte man einen Vorreiter, der in eine quasimythologische Heldenzeit und -region versetzt
worden war und dem nur durch böses Geschick
die Anerkennung seiner Erfolge in personam, in
der Heimat verwehrt wurde.
An diesem Punkt stehen wir wieder vor dem
Grabmal. Der Reflex der Briefe, die Spannung
zwischen Distanz und Nähe, Fremdheit und In­
timität, zwischen Selbstbehauptung und Integra­
tion, zwischen heroischem Anspruch und fataler
Desillusion ist in den Dissonanzen der Darstel­
lung erkennbar. Die Einholung Philipps von Hut­
ten als exzeptionelle Erinnerungsfigur, als ‚Spit­
zenahn‘, als Held – vielleicht ein gebrochener,
helden. heroes. héros.
aber ein Held – scheint gelungen. Auch wenn er
selbst dafür nicht überleben durfte.
1 Folgende Abkürzungen werden verwendet: SAB: Stadt­
archiv Bamberg; StAL: Staatsarchiv Ludwigsburg; StAWÜ:
Staatsarchiv Würzburg. Die Zitate folgen i. d. R. der Edition
von Schmitt, Gold. Wo mir die Originale zugänglich waren,
gebe ich eine diplomatische Transkription, in der Kürzungen
in Klammern aufgelöst sind.
2 Zur entsprechenden Differenzierung von Nacktheit im
Kontext hellenischer Kunst, vor allem gegen eine einseitig
‚heroische‘ Perzeption vgl. Hurwit.
3 Bei Hanna, Adelsfamilie. Vgl. auch Schmitt, Tocuyo für
dieselbe (Abb. 29) und weitere Photographien des Denkmals
(Abb. 17, 18, 27 und 28).
4 Siehe Schmitt, Epitaph.
5 Die Inschrift ist in einer Antiqua-Kapitalschrift ausgeführt
und im unteren Drittel beschädigt. Gisela Schmitt rekonstru­
ierte den Text nach einem bis dato unveröffentlichten „Entwurf
von der Hand des Steinmetzen“ (Schmitt, Camerarius 330)
aus dem Huttenschen Familienarchiv in Schloss Steinach;
vgl. ebd. 331-332 mit Anm. 99. Ich gebe hier eine leicht kor­
rigierte Variante, die auch die im Original angezeigte Groß-/
Kleinschreibung berücksichtigt und Rekonstruktionen durch
eckige Klammern markiert, sowie eine eigene Übersetzung:
„Philip(po) ab Hvtten eq(ui)ti Franc(oni)o fr(atr)i chariss(imo),
qvi in avla Caroli V cæs(aris) edv/cat(us) et dilatandi chr(ist)
iani no(min)is novasq(ue) gent(es) cognoscen(di) stvd(io)
in Venezola(m) / vlterior Indiæ provinc(iam) an(no) d(omi)
ni m.d.xxxiii profect(us), et postq(uam) in dvab(us) inde /
expedition(ibus), qvarv(m) prima(m) III ann(is) ita seqvvt(us)
erat miles, vt in demortvi gvber/nator(is) locv(m) ab exercitv
svffect(us) altera(m) V. ann(is) cv(m) imper(io) dvceret, mvlta
/ tvlisset. vastiss(ima)q(ue) regna svb antarct(icis) siderib(us)
parva manv peragrans deviciss(et), / ia(m)q(ue) re b(e)n(e)
et foeliciter gest(a) in stativa sva [corv(m)] versvs reg(re)
deretvr, ab æmulo / q(u)oda(m) Hispano Ioan(ne) Carvesa­
le amicitia(m) [simvlante intercept(us)] et cvm Barthol(ome)
o VVelser / Avgvstano ac dvob(us) nobil(ibus) Hispan(is)
Alphons(o) [Ramer(o) et Grego]r(io) de Placentia in ipsa /
parasceve an(no) m.d.xlvi miserabili[ter (proh dolor!)] trvci­
datvs ac e spe patriæ / ingenti erept(us) ibiq(ue), Carvesale
scele[sto in qvatvor frvs]ta dissecto, sepvlt(us) / est: Mavri­
civs d(ei) g(ratia) ep(iscop)vs Æystette[n(sis) amoris et me­
moriæ] ergo moestvs p(osuit).“ – „Philipp von Hutten, dem
fränkischen Ritter, dem innig geliebten Bruder, der am Hof
Kaiser Karls V. erzogen wurde und im Eifer, den christlichen
Namen zu verbreiten und neue Völker kennenzulernen, nach
Venezuela, einer Provinz des jenseitigen Indien, im Jahre
des Herrn 1534 ausfuhr, und, nachdem er von dort aus bei
zwei Expeditionen – auf deren erster er sich als Soldat so
[gut] gehalten hatte, dass er vom Heer an die Stelle des ver­
storbenen Gouverneurs gewählt wurde, [und] deren andere
er für fünf Jahre mit [eigener] Befehlsgewalt anführte – vie­
les ertragen und die unermesslichsten Reiche, [die er] unter
südlichen Sternen mit kleiner Schar durchwanderte, völlig
unterworfen hatte, und schon, da die Tat gut und glücklich
vollbracht war, in sein Lager, dem Nordwestwind entgegen,
zurückmarschierte, von einem Nebenbuhler [aber], einem
gewissen Spanier, Ioannes Carvesal [Juan de Carvajal], der
Freundschaft vortäuschte, abgefangen wurde und zusam­
men mit Bartholomeus Welser, einem Augsburger, und zwei
adligen Spaniern, Alphonsus Ramerus [Diego Romero] und
Gregorius de Placentia [Gregorio de Plasencia], gerade zu
Karfreitag, im Jahr 1546 jämmerlich (o welcher Schmerz!)
hingeschlachtet und der außerordentlichen Erwartung des
Vaterlands entrissen und, während der unselige Carvesal in
vier Teile gerissen wurde, ebenda begraben wurde – [ihm
also] hat Moritz, von Gottes Gnaden Bischof von Eichstätt,
der Liebe und des Andenkens wegen [diesen Stein] gesetzt.“
13
Tilman Moritz
14
6 Eine solche Ausdeutung bietet Schmitt, Tocuyo 155.
7 Ich verwende den Begriff hier in Anlehnung an die Analy­
se frühneuzeitlicher Nachrichtendrucke durch Ramon Voges
180-181: „Mithilfe rhetorischer Gestaltungsmittel erzeugten
die Bildberichte eine eindringliche und detailliert wirkende
Repräsentation der geschilderten Vorgänge. […] Sie kon­
struierten eine historische Wirklichkeit, die sich permanent
an den moralischen Richtlinien der etablierten sozialen Ord­
nung orientierte.“
8 Dieser erste Brief an den Kaiserlichen Rat Matthias Zim­
mermann ist nicht erhalten, allerdings schreibt Hutten am 28.
Januar 1535 an denselben Adressaten: „Ich hab euch aus
Cannaria geschriben. Hoff, sey euch worden.“ (Schmitt, Gold
89). In einem weiteren Schreiben vom 23. Februar 1535 wird
als Tag der Ankunft auf den Kanarischen Inseln der 20. De­
zember 1534 genannt (Schmitt, Gold 92).
9 Die moderne Edition umfasst neben den Briefen auch
Zeugnisse, die die Biographie Philipps von Hutten mittelbar
betreffen. Sie versammelt in zwei Bänden jeweils Quellen
der Jahre 1534-1541 (Schmitt, Gold) bzw. 1545-ca. 1550
(Schmitt, Tocuyo). Ein dritter Band, der den Zeitraum 15161534 abdecken soll, steht noch aus (letzte Ankündigung 2003
bei Schmitt, Camerarius 315). Wo nicht anders angegeben,
folge ich bei Zitaten der Edition. – Die erhaltenen Briefe er­
scheinen bei Schmitt, Gold 89-91 (Nr. 2), 92-97 (Nr. 3), 97104 (Nr. 4), 128-135 (Nr. 8) sowie 136-140 (Nr. 9). Anders
als in der Edition angegeben, sind die Originale inzwischen
Depositum des SAB, Sig. D 1072 [freundlicher Hinweis von
Friedrich Karl Freiherrn von Hutten].
10 Vgl. etwa Schmitt, Gold 97, die Empfängervermerke, die
Rückschlüsse auf Stationen und Dauer (fünf Monate) der
Übermittlung zulassen.
11 Diese ‚Antiquarisierung‘ würde einen Wandel gegenüber
der u. a. von Sittig, Kommunität 250, skizzierten adligen
Archiv­praxis andeuten, die gerade handschriftliche Archiva­
lien bzw. deren Rezeption und ‚Mutation‘ mit Bedeutung für
die adlige Gemeinschaft auflädt. – Den Fund der Kopien im
StAL, Bestand Gemmingen, teilt Schmitt, Camerarius 314
[Anm. 41], mit.
12 Vorlage waren eine oder mehrere Abschriften, die Ulhart
durch einen anonym bleibenden Gönner, „so an Röm(ischen)
Kün(igs) Maie(stät) hofe nit geringen beuelch hat“, zuge­
spielt. Zitate: ebd. LIr. Vgl. auch Einleitung und Edition bei
Schmitt, Gold 47-89. Der Anhang schließt mit der summari­
schen Unterzeichnung durch „Cansalue Ferando von Ouido“
(ebd. LVIIv); damit gemeint ist Gonzalo Fernández de Ovie­
do y Valdés. Von dessen Hand scheint der letzte Text der
Sammlung zu stammen, so dass Datierung und Unterschrift
hier pars pro toto übernommen wurden. Zu seiner speziel­
len Rolle für die Historiographie der Neuen Welt vgl. Myers,
Scharlau.
13 Vgl. zu Cortés: Pagden xxxix-xlv, zu Pizarro: Varón Ga­
bai 7-10.
14 Der Erfolg lässt sich an der Biographie des Vaters, Bern­
hard von Hutten, ablesen: Hanna 468-471.
15 Hutten nimmt im Schreiben an Zimmermann vom 30. Ok­
tober 1538 Bezug auf dessen Mitteilung, „die Obritschanerin
wolle auff ain indianischen Man warten“ (ebd., 104). Gemeint
ist Magdalena von Obritschan, von der drei Briefe an Hut­
ten bekannt, bislang allerdings unpubliziert sind; dazu ebd.
165-167. Nach Schmitt, Camerarius 311 [Anm. 30], ist ihr
letztes Schreiben vom März 1534 aufbewahrt im StAWÜ,
Ortenburg-Archiv Birkenfeld, Fasz. 41.
16 Hier im Bericht über fliegende Fische.
17Für die „Historia general“ Oviedos hält Scharlau 6364, fest: „Sein Ziel ist nicht einfach die Bestandsaufnah­
me der neuen Gegebenheiten, sondern die Beschreibung
der Gegebenheiten als ‚neue‘.“ Als Vergleichspunkte aus
dem deutschsprachigen ritteradligen Milieu ist etwa an den
Pilgerbericht Arnolds von Harff (1499) oder die autobiogra­
phischen Schriften Sigmunds von Herberstein (ab 1545) zu
denken; u. a. befasse ich mich mit beiden Autoren in meiner
Dissertation. Eine ähnliche Zusammenschau bietet Hutten
ansatzweise im Brief, der direkt nach der Rückkehr vom ers­
ten Feldzug (1535-1538) entstanden ist (Schmitt, Gold 97104), sowie noch ausführlicher in einem allerdings nur se­
kundär überlieferten Schreiben vom 20. Oktober 1538 (ebd.
105-123, zugleich fast identisch mit der „Newen Zeytung“,
ebd. 51-77). Es wurde vermutet (ebd. 50, Schmitt, Camerarius 323), hier seien ein Tagebuch oder Expeditionsbericht
verarbeitet, was sich aber nicht positiv belegen lässt.
18 Fehlstellen im Original sind in [hier: eckigen] Klammern
nach der Transkription von Meusel durch den Editor ergänzt.
19 SAB, Sig. D 1072, 3; ein Blatt (49 cm x 35 cm) à vier
Seiten (mittig gefaltet, Vorder- und Rückseite beschrieben),
hier beginnend mit der ersten Textseite (rechte Blatthälfte) in
laufender Zählung r1, v1, v2, r2. Edition: Schmitt, Gold 92-97;
Zitate folgen hier dem Original.
20 Im Original r1: „febrarj[!]“ wird gestrichen und darüber
zu „janůary“ gebessert, ebenso „refier“ zu „gegent“. Eine
syntaktisch notwendige Korrektur ist das am Rand ergänzte
„den wegk zemachen“; Schmitt, Gold 92-93.
21 In der Transkription (Umbrüche sind durch / angezeigt,
Trugzeichen durch || und Fehlstellen im Original durch [ ] ):
„qf||a gq||x dwfa gantz ezdwmxoqfa vlo||odx|| nq||z / mq||fay
wdzahoxdm v||qd ygf||a gqy||adz bdz||x / b||dahoxdm a||hdx
wm||[x] mlfa ad[o]x“. Der Schlüssel lautet (geheim zu klar):
a=h, b=g, d=e, e=f, f=c, g=b, h=a, l=o, m=n, o=l, q=i, u=w,
w=u, x=t(d), y=s(z), z=r. „gantz“ ist in Klarschrift eingefügt,
daher hier kursiv gesetzt.
22 Diese Stellen sind nur indirekt durch Meusel überliefert;
vgl. Schmitt, Gold 134, 141, und 144; direkte Ansprache der
Mutter: 127-128.
23 Die Adresse erscheint direkt unter der Nachschrift und ist
teilweise verblasst.
24 In der Edition Schmitt, Gold 97.
25 Carolin Pecho verdanke ich wertvolle Anregungen zur
Rolle der Geheimschrift, die sie an überraschend ähnlichen
Konstellationen in dynastischen Konflikten der Habsburger
untersucht hat.
26 Die Ausschnitte aus dem Brief Moritz’ von Hutten sind
lediglich als Zitat in der Antwort des Bruders vom 16. Januar
1540 erhalten.
27Schon 1535 ist für Hutten die Rede vom schnellen
Reichtum ein Witz: „Ich darff nit schreiben, was gutter Hoff­
nung vns die geben, ßo das Land nit wissen, dan wo es nit
geriet, wer spotlich.“ (Schmitt, Gold 94).
28 Synoptische Analysen für Antike und Frühe Neuzeit
bieten Scholz, Beck. Dafür ist auch der ästhetische Begriff
der aemulatio vorgeschlagen worden, für den Adel etwa
von Sittig, Grammatik. Hierher gehören darüber hinaus die
Beobachtungen von Goodman 149-167, der zufolge die Re­
chenschaftsberichte des Hernán Cortés nach dem Vorbild
höfischer Ritterromane geformt sind.
29 Aus dem Schreiben an Philipp II. von Spanien (1561), zi­
tiert nach Galster 846: „[…] pasé el mar Océano, á las partes
del Pirú, por valer más con la lanza en la mano, y por cumplir
con la deuda que debe todo hombre de bien“.
30 SAB, Sig. D 1072, 9; ein Blatt (46 cm x 33 cm) in der
Aufteilung wie D 1072, 3 (s. Anm. 18). Edition: Schmitt, Gold
136-140, hier 137.
31 „[…] wir leben hie frölich, dan das Land erforderts,
kain schweren Muet ze haben, [die anders leben,] werden
kranck.“ (Schmitt, Gold 95) – Vor allem im Bericht über seine
erste Entrada hebt Hutten wiederholt die Unzuverlässigkeit,
ja Meutereien seiner Mitstreiter hervor (ebd. 98, 102), er­
scheint dadurch selbst natürlich in positivem Licht (ebd. 104).
helden. heroes. héros.
Neue Welten, alte Helden?
Die Chance, ein Goldreich zu entdecken, schätzt Hutten
pragmatisch ein: „In summa man versicht sich in drey oder
vier iaren, was gůts in terra firma ist sol aůffgedeckt werden.“
(D 1072, 9 r2).
32 In der Edition Schmitt, Gold 137.
33 In der Edition Schmitt, Gold 139. Ganz ähnlich die Argu­
mentation schon im vorangegangenen Brief, wo Hutten im
Bezug auf die Karriere des Bruders zugesteht: „was Muehe,
Arbait [vnd Kosten dar]auff gangen, ist alles wol angelegt.“
(ebd. 131).
34 Ich beziehe mich auf Von den Hoff u. a. 8, wonach „he­
roische Eigenschaften“ u. a. als „agonale, außeralltägliche,
oftmals transgressive eigene Leistungen“ zu verstehen sind.
So scheint Huttens Ausprägung ritterlicher Ehrvorstellungen
hinreichend abgegrenzt „von anderen Formen des Exzep­
tionellen wie dem Übermenschlich-Herausragenden oder
Nur-Vorbildlichen, dem Göttlichen, Heiligen oder allgemein
Bewunderten“ (ebd.).
35 In der Edition Schmitt, Gold 137.
36 Exemplarisch Jendorff; grundsätzliche und auf die
Ritterschaft(en) übertragbare Überlegungen bei Asch 9:
„Furthermore, institutions such as forms of government or
religious communities like to appeal to heroes as founding
figures in the past, but consider them and their personal
charisma as dangerous in the present and therefore reject
them.“
Literatur
Asch, Ronald G. „The hero in the Early Modern period and
beyond: An elusive cultural construct and an indispensable
focus of social identity?“ helden. heroes. héros. Sonderheft
01/2014: 5-14.
Beck, Hans, Peter Scholz und Uwe Walter, Hg. Die Macht
der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚edler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit.
München: Oldenbourg, 2008.
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Galster, Ingrid. Aguirre oder Die Willkür der Nachwelt.
Die Rebellion des baskischen Konquistadors Lope de
Aguir­r­e in Historiographie und Geschichtsfiktion (15611992). Frankfurt am Main: Vervuert 1996.
Goodman, Jennifer R. Chivalry and Exploration, 1298-1630.
Woodbridge 1998.
37 Als „Abwicklung der Konkursmasse“ beschreibt Denzer
21, den Prozess; explizit zu Hutten ebd. 168-190.
Hanna, Georg-Wilhelm. „Die Ritteradeligen von Hutten, ihre
soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten
Reiches.“ Diss. Bamberg. 2006. 18. November 2014 <http://
www.opus-bayern.de/uni-bamberg/volltexte/2006/105/pdf/
Hutten.pdf> [publiziert u. d. T.: Ministerialität, Macht und
Mediatisierung. Die Ritteradeligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten
Reiches. Hanau: Hanauer Geschichtsverein, 2007].
38 Vgl. zu dem Verfahren Schmitt, Tocuyo, insbesondere
die Eingaben und Korrespondenz Moritz’ von Hutten in der
Sache: 136-149.
---. „Hutten, Adelsfamilie.“ Historisches Lexikon Bayerns. 18.
November 2014 <http://www.historisches-lexikon-bayerns.
de/artikel/artikel_45739>.
39 Vgl. die Inschrift Anm. 4.
Hurwit, Jeffrey M. „The problem with Dexileos: Heroic and
other nudities in Greek art.“ American Journal of Archaeology 111 (2007): 35-60.
Ungedruckte Quellen
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Rezeption der Causa Barthold von Wintzingerode. Mün­
chen: Oldenbourg, 2012.
Ferdinandi Cortesii Von dem Newen Hispanien […]. Augs­
burg: Philipp Ulhart, 1550 [= VD16 ZV 3908].
SAB, Sig. D 1072, 3 [Schreiben Philipps von Hutten. Coro:
23.02.1535].
SAB, Sig. D 1072, 9 [Schreiben Philipps von Hutten. Coro:
06.12.1540].
Gedruckte Quellen
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wordenen Handschrift.“ Historisch-litterarisches Magazin.
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1785: 51-117.
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Mexico. New Haven: Yale UP, 1986. ND New Haven: Yale
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Schmitt, Eberhard, und Friedrich Karl von Hutten, Hg. Das
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(ND Berlin: Berlin, 1999).
Schmitt, Eberhard, und Götz Simmer, Hg. Tod am Tocuyo.
Die Suche nach den Hintergründen der Ermordung Philipps
von Hutten 1541-1550. Berlin: Berlin, 1999.
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Post. Kryptologie und Steganographie der diplomatischen
Korrespondenz europäischer Höfe während der Frühen
Neuzeit. Hg. Anne-Simone Rous und Martin Mulsow [im
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Scharlau, Birgit: „Tiger-Semantik: Gonzalo Fernández de
Oviedo und die Sprachprobleme in Las Indias.“ Iberoamericana 18 (1983): 51-68.
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helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/03
17
Christina Posselt-Kuhli
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen
Krieg und Frieden
Ein herrscherliches Tugendexempel im Deutschland des 17. Jahrhunderts
Kunst und Heldentum – eine
semantische und ikonographische
Bestimmung
„Herrschertum und Kunstpflege, politische und
künstlerische Aussage, gehören in der Barockzeit eng zusammen. Sie bedingen sich in einer
bis dahin unbekannten Intensität.“ (Klessmann
147) Diese oft und zu Recht wiederholte Bemerkung soll in diesem Beitrag anhand eines
spezifischen Heldenmodells überprüft und in
ihrer Bedeutung, Konstruktion und Inszenierung
analysiert werden. Das semantisch wie bildlich
im 17. Jahrhundert ausgestaltete Modell des
‚Kunsthelden‘ soll dabei in seiner Geltung für
die Herrschaftsauffassung nach dem Dreißig­
jährigen Krieg betrachtet werden.1 Zudem soll
den rezeptionsästhetischen Qualitäten und da­
mit der Rückwirkung künstlerischer Formulierungen des herrscherlichen Habitus auf den
Herrscher und dessen Rolle Aufmerksamkeit
geschenkt werden.2
Dass Kunst und Heldentum in eine Beziehung
zueinander treten konnten, bedurfte einer grundlegenden Wandlung des Status der Kunst. Durch
die Aufwertung der Künste im 15. und 16. Jahrhundert – vom niederen Stand des Handwerks
zu einem Teil der ‚artes ­liberales‘ – erlangten
die bildenden Künste allmählich den Rang, den
die Geschichtsschreibung bereits einnahm. So
wurde die Kunst legitimierter Teil des Herrscherlobes. Sie hatte dadurch Anteil an der Formung
von „Historie als ein[em] Bild der Helden, die Geschichte machten“ (Mai u. a. 12). Ikonographisch
treffen die Sphären von Kunst, Geschichtsschreibung und Herrschaft in der Ableitung eines
historiographischen Motivs aufeinander. Chronos, der mit Sichel und Stundenglas bewehrte
Gott der Zeit, erscheint im 17. Jahrhundert nicht
mehr [nur] in seiner zerstörerischen Dimension.
Er wird im Gegenteil zum Helfer der Historia,
‚gezähmt‘ durch Tugend und Weisheit (Kintzinger 26).3 In Verbindung mit Historia führt er die
helden. heroes. héros.
Wahrheit herbei, wozu er häufig Münzen und
Statuen präsentiert als historische Artefakte, an
denen Geschichte und ihre Lehren abzulesen
sind.4 Der [auch bildlich] inszenierte Topos, nach
dem die Wahrheit oder die Zeit durch Chronos
ans Licht kommt [bildlich geschieht dies, indem
Chronos die Personifikation der Veritas emporhebt],5 wird im Barock zuweilen durch die Herrscherfigur adaptiert.6 Dabei ist es nicht mehr die
Wahrheit, die – nun durch den Potentaten – erhoben wird, sondern es sind die Künste. Augustus gleich lässt der Herrscher dadurch ein neues
Zeitalter anbrechen.7 Bildlich wurde diese Vorstellung etwa in Nicolas Loirs Gemälde Der Fortschritt der Künste unter der Regentschaft Louis
XIV umgesetzt, in dem Chronos den Schleier
lüftet, der die Künste (Bildhauerei und Malerei)
verdeckt, in Anlehnung an die Sentenz ‚veritas
filia temporis‘. Sie neigen sich hin zum König,
dessen Bildnis von Minerva und Fama empor
gehalten wird.8 Der Blick der Künste, die ihren
Förderer erkennen, dank dessen sie nun in neuem Licht erstrahlen, wird von Louis XIV auf den
Betrachter gelenkt, der somit in das Geschehen
einbezogen ist und wie die Künste „aufgeklärt“
wird.
Dass dieses neue Zeitalter vor allem durch
Frieden gekennzeichnet ist, der die Künste erblühen lässt, wird weithin in Text und Bild propagiert. Welche Rolle der Herrscher dabei einnimmt – nämlich als siegreicher Militärführer, als
Friedensbringer und Kulturförderer – wird in einer
bedeutenden Schrift des 17. Jahrhunderts ausführlich thematisiert. Es handelt sich um die enzyklopädisch angelegte Kunsttheorie Joachim von
Sandrarts. Die in drei Folio-Bänden 1675, 1679
und 1680 erschienene Schrift des Malers, Kupferstechers und Gelehrten Sandrart, die reich mit
zum Teil ganzseitigen Kupferstichen geschmückt
ist, macht den Zusammenhang zwischen Kunstförderung und heldenhafter Stilisierung von
Herrschern in besonderer Weise deutlich. Die
semantische Bestimmung des Kunsthelden wird
bereits in der Widmung des zweiten Hauptteils
Christina Posselt-Kuhli
18
von 1679 auf Friedrich Wilhelm von Brandenburg übertragen, den Sandrart als ‚Kunsthelden‘ tituliert (Sandrart 1679, Widmung [I] 647).
Diese Bezeichnung wird jedoch erst durch ein
Spannungsverhältnis zum Ausdruck gebracht.
In einer metaphernreichen Anrede von Fama
wird der Große Kurfürst nämlich zunächst als
‚Teutscher Martis‘ bezeichnet (ebd. [II] 646). Zur
Unterstützung dieses Vergleichs wird die Genealogie bemüht, denn gleichwie Fama „unter
Dero Glorwürdigsten Vorfahren einen Achillem
fande / Dessen Durchleuchtigster Waffen Glantz
den Ruhm aller Helden seiner Zeit“ verdecke,
habe Friedrich Wilhelm eben dies in seiner Zeit
vermocht.9 Doch durch die Besichtigung seiner
Kunstkammer und aufgrund des großen Kunstverstands des Kurfürsten, der seiner Waffenkunde nicht nachstehe, habe sich Fama für einen
anderen Helden-Namen entschieden: „Kame
sie sofort auf den Schluß / daß Deroselben der
Ehren Name eines Teutschen Föbus oder Apollo
bäßer anstehen würde“ (ebd. [II] 647).
Göttervergleiche wie hier mit Apoll sind durchaus keine Seltenheit im 17. Jahrhundert. Das
Wortfeld des Kunsthelden in den panegyrischen
und erzieherischen Schriften des 17. Jahrhunderts umspannt die antike Mythologie – insbesondere Vorbilder wie Herkules [in seiner Rolle
als ‚musagetes‘] haben dabei Konjunktur – sowie antike Herrscher wie Augustus oder Alexan­
der den Großen. Mit diesen Vergleichen wird
auch in Fürstenspiegeln und in staatstheore­
tischen Schriften auf die Leistungen des Herrschers für das Gemeinwohl und als Friedensstifter verwiesen. Eine Gruppe, die dieses Ideal
besonders propagierte, war die Fruchtbringende
Gesellschaft, die größte deutsche Sprachgesellschaft des 17. Jahrhunderts, der auch Joachim
von Sandrart und der Große Kurfürst angehörten.10 Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, in Zeiten
des Dreißigjährigen Krieges dem Niedergang
der deutschen Kultur durch die Pflege und Kodifizierung der deutschen Sprache entgegenzuwirken. Es galt, die Sprache in ihrer Bedeutung
als ‚teutsche Heldensprache‘ [so der Begriff bei
Johann Rist, Georg Philipp Harsdörffer, Kaspar
Stiler oder Johann Heinrich Schill]11 wieder rein
von Einflüssen fremder Sprachen zu neuer Blüte
zu verhelfen. Sprachförderung, so glaubte man,
ginge zudem mit einer Verbesserung der Sitten
einher. Demzufolge konnte auch der Kunst liebende Mäzen seine Tugendhaftigkeit als Herrscher unter Beweis stellen, indem er durch seine
Kulturförderung das sittliche Niveau hob und die
Friedensliebe stärkte. Innerhalb der Teutschen
Academie lässt sich ein enges Zusammenspiel
von semantischer und bildlicher Ausgestaltung
des Kunsthelden-Themas ausmachen. Die Bezeichnung einzelner Fürsten als Kunstheld, die
Sandrart auch im Kontext der Beschreibungen
diverser fürstlicher Kunstsammlungen [darunter
der Brüsseler Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms, der kurpfälzischen Herrscher Karl I., Karl
Ludwig und Karl II. sowie der Grafen Otto Gall,
Georg Augustin und Rudolph Wilhelm aus dem
Geschlecht der von Stubenberg12] verwendet,
wird visuell durch die Kupferstiche der Teutschen
Academie unterstrichen. Hier ist auf den Zweiten
Titelkupfer der Iconologia deorum zu verweisen.13 [Abb. 1] Sandrarts Beschreibung folgend
handelt es sich um den Zug der Helden [gemeint
sind damit die Mitglieder der Fruchtbringenden
Gesellschaft] zum Thron. Er wird rechts angeführt von den drei Oberhäuptern [Ludwig von Anhalt-Köthen, Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar
und August von Sachsen-Weißenfels] sowie den
drei kurfürstlichen Mitgliedern [Georg Wilhelm,
Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Johann
Georg II. von Sachsen]. Es folgen die ‚Gesellschafter‘ in streng hierarchischer Rangfolge von
Herzögen, Markgrafen, Landgrafen, Pfalzgrafen,
Fürsten, Grafen und Freiherren, dann Adelige
und Gelehrte.14 Dabei erscheint diese von Merkur angeführte Gesellschaft „mit alt-Römischer
Helden-Rüstung gewaffnet / und hielte jeder
eine­n Palmen-Zweig“ (Sandrart 1680, Iconologia
deorum [IX] 1321). Der Anteil der Fruchtbringer
und ihr Selbstverständnis als ‚Heldenmacher‘
geht in diesem Heldenzug bildlich und durch die
namentliche Nennung mit den herrscherlichen
Helden, die ihnen voranschreiten, sinnfällig zusammen. Ergänzend zum Kupferstich verhandelt die Textpassage des ‚Ehren-Preis‘ in einer
Prosa-Ekloge die Verherrlichung der Fruchtbringenden Gesellschaft als ‚teutscher Parnass‘
unter dem Schutz Minervas, Apolls und der Musen und stellt dabei die einzelnen Mitglieder der
Sprachgesellschaft mit ihren Werken und ihrem
Wirken vor.15 Von der Muse Thalia wird Herzog
August von Sachsen-Weißenfels in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Widmungen der
Teutschen Academie als ‚Kunst-Held‘ tituliert,
der von Apollo mit seinen ‚Gunst-stralen‘ beleuchtet werde (ebd. [X] 1322).
Der Große Kurfürst als Beschützer
der Künste – das Ideal von ‚arma et
litterae‘
In einer vergleichbaren Ikonographie erscheint
der Große Kurfürst als Beschützer der Künste
in dem 1682 von Michael Willmann geschaffenen Gemälde.16 [Abb. 2] Die Rolle Friedrich Wilhelms, seine Platzierung im Zentrum der Komposition sowie die Rahmung durch mythologische
Figuren hat Willmann im Entstehungsprozess
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
des Bildes deutlich verstärkt, was sich an zwei
überlieferten Zeichnungen nachvollziehen lässt,
die dem Gemälde vorausgingen. Im ersten Entwurf ist der thronende Kurfürst noch ganz an
den linken Bildrand gerückt, mit dem Marschallstab in der Rechten und den zumeist als neun
Musen gedeuteten Figuren noch ‚in cumulo‘ repräsentiert.17 Die Figur der Pax, erkennbar am
Palmzweig und personifiziert durch Dorothea
von Holstein-Glücksburg, der zweiten Gemahlin des Kurfürsten, fällt in der Gemäldefassung
weg. Ebenso die weibliche Figur neben Friedrich
Wilhelm, die aufgrund einer gewissen Porträt­
ähnlichkeit mit der ersten Gemahlin des Kurfürsten, Luise Henriette von Oranien, identifiziert
wird. Die Einbindung in einen politisch-familiären
Kontext wird somit zurückgenommen, der Kurfürst als zentrale Gestalt repräsentiert allein die
weltliche Sphäre, gleichsam als Summe und
Ausgangspunkt seiner Herrschaft. Die Attribute
Buch und Feder treten deutlicher hervor, wobei
Letztere schließlich wie ein Zepter eingesetzt
wird.18 Das Gemälde greift damit das Motiv von
‚arma et litterae‘ auf, ein für die Herrscherrepräsentation grundlegendes und in vielfältigen
Formen überliefertes Thema, das sich auch im
Ausspruch des ‚ex utroque Caesar‘ emblematisch verdichtete und zur vorbildlichen Devise
neuzeitlicher Fürsten wurde (Buck 62).19 Cesare
Ripa benutzt das Bild für seine Erläuterung der
‚Auttorità o Potesta‘ [Autorität, Macht] [Abb. 3]:
der Personifikation sind zur Seite ihres Thrones
Bücher und Waffen beigegeben, die Erklärung
endet mit Verweis auf Ciceros Sentenz „cedant
armatogae“ [„die Waffen sollen der Toga weichen“, Ripa 34-36]. Auch ‚Merito‘ [Verdienst] hat
die Doppelbedeutung von Krieg und Studium
bzw. Literatur (Ripa 313-315), was einerseits
der gerüstete rechte Arm und andererseits das
Buch in der Linken der Emblemfigur symbolisieren.20 [Abb. 4] Die Symbolfigur, ein mit Lorbeer bekrönter Mann, steht auf einem Felsen,
um den steinigen Weg der Tugend anzuzeigen,
den schon Herkules gewählt hat und „dessen
allseits bekannte Mühen es verdienen, unter die
würdigsten Taten des Helden gezählt zu werden“ (Ripa 315).21 Beide Personifikationen sind
reich gewandet, um die besondere Disposition
der Fürsten für Ruhm und Tugend anzuzeigen.
Durch den bereits erwähnten Aufstieg der Künste und die Etablierung der Kunstpatronage als
fürstliche Tugend bekommt der Begriff der ­‚artes‘
neben den ‚litterae‘ besondere Bedeutung. In
das Beziehungsgeflecht von Krieg, Frieden und
Kulturförderung [bisher emblematisch meist vertreten durch die ‚litterae‘] treten die bildenden
Künste. Entsprechend stellt Gabriel Rollenhagen in seinem Emblem zu ‚Arte et Marte‘ Minerva
helden. heroes. héros.
gleichberechtigt neben Mars (Rollenhagen
Nr. 68). Blickt man in dieser Entwicklung zurück,
galt Minerva bis zu Cesare Ripa in der Allegorie
und Emblematik als Sinnbild für Weisheit und
war Herrschern wie Feldherren zugeordnet. Um
1600 tritt sie dann deutlich diversifizierter auf:
mit dem Frieden wird ihr eine ganz bestimmte
‚virtus‘ zugeordnet und in der Schutzherrschaft
für die Kunst erscheint sie als Ergänzung bzw.
Gegenbild zu Mars wie bei Rollenhagen (Pfeiff
60-72). Bei Ripa wird Minerva explizit als Friedensgöttin genannt [als Erfinderin des Lorbeers].
Als Personifikation von Herrschertugenden tritt
Minerva zudem häufig in Darstellungen als Erzieherin junger Fürsten auf,22 was ebenfalls in
einem Sinnbild Ripas emblematisch gefasst ist:
Die Personifikation der Nobiltà wird als Frau mit
Lanze und einer Minerva-Statuette dargestellt,
um anzuzeigen, dass man Adel gleichermaßen
durch Ruhm, Wissenschaften oder Waffen erlangen könne (Ripa 359-360), deren aller Schutzgöttin Minerva ist.23
Auch der durch ‚arma et litterae‘ erlangte
Ruhm des Großen Kurfürsten weist diese Konnotationen von Minerva auf. In dem panegyrischen,
von Charles De Hayes ins Deutsche übersetzten
Werk von Jacques Abbadie Hochverdienter Helden Lorber […] aus dem Jahre 1685 wird neben
dem auf Größe, Ruhm, Kriegsmut und Tapferkeit gegründeten Heldendiskurs Minerva in ihrer
doppelten Konnotation als Göttin der Kriegsführung und Beschützerin der Künste zum Sinnbild
des ‚neuen Achill‘ Friedrich Wilhelm.24 Nachdem
die Siege errungen und damit die notwendigen
Bedingungen für den Frieden und die Entfaltung
der Künste geschaffen sind, fördert der Kurfürst
die Kunst und damit die Sitten:
Wie / siehet man nicht täglich die edlen
Künste und Wissenschafften unter Seiner
so rühmlichen Schutz= und Schirmleistung immer höher empor sich schwingen /
und die vormals unnanehmliche und rohe
Art der Gemühter dieser Lande zahm und
geschmeidig werden! (De Hayes 22)
Dem Topos von ‚arma et litterae‘ folgend wird
er dafür gerühmt, „die Waffen / Wissenschaften
und Freyen künste so genau mit einander zu verbinden“ (De Hayes 24). Dem dichterischen Lob
kann auch Sandrart nochmals zur Seite gestellt
werden: in den Passagen der Teutschen Academie, in denen der Autor diverse europäische
Kunstsammlungen beschreibt, wird die Kunsthelden-Titulierung des Großen Kurfürsten weiter
kontextualisiert. Zur Berliner Kunstkammer heißt
es, Charles Patin folgend:25
19
Christina Posselt-Kuhli
20
Es ist auch sonst alles / was in Tugend
oder Kunst bestehet/ daselbst im höchsten Grad wol eingerichtet: Dann / unangesehen Ihr Churfürstl. Durchl. die Regirung
und Conservation Ihrer Lande und Leute /
und darum viele hohe Sorgfalten obligen/
haben Sie doch nicht unterlassen / Ihr heroisches Gemüte iezuweilen mit dieser
tugendhafften Ergetzlichkeit zu erfreuen.
(Sandrart 1679, Skulptur II 965)
Die Aussage ist klar: Das Gemeinwohl, zu dem
auch die Kunstförderung zählt, braucht einen
starken Herrscher. Nach dem Dreißigjährigen
Krieg implizieren solche komplementären Auffassungen von Herrschaft in Deutschland auch
den Kampf gegen ‚Invidia‘ und ‚Ignorantia‘ sowie
gegen erneute Kriegshandlungen.26
Der Große Kurfürst ist keineswegs der einzige Herrscher, dessen Kunstsinnigkeit Sandrar­t
heroisiert. In der Erklärung zu dem bereits erwähnten Zweiten Titelkupfer der Iconologia
­deorum (TA 1680) – der erstmals ins Deutsche
übersetzten Götterlehre des Vincenzo Cartari – wird Friedrich I., zu der Zeit noch Kurprinz,
ebenfalls in das Beziehungsgeflecht von ‚Arte‘
und ‚Marte‘ gewoben:
Wie haben Sie / durch Heldenmäßige
tugendhafte Führung der Waffen / den
Ruhm Dero Glorwürdigsten Vorfahren /
nicht nur erreichet / sondern auch übertroffen: also daß die Namen Achilles, Hector, Alcibiades viel zu wenig / Dieselbe zu
beehren / und Sie billig der selbste Teutsche Mars genennet werden. Gleichwol
ließen Sie hierbey / nach Anzeig Dero ersteren würdigsten Namens / erscheinen /
daß Sie um den Frieden gekrieget / und
also zugleich ein rechter Friderich seyen:
indem Sie / was Sie durch Waffen erobert
/ dem Frieden wieder zur Beute hingegeben. (Sandrart 1680, Iconologia deorum
[II] 1306).
Damit ist der für den Frieden kämpfende Kriegsheld angesprochen. Doch Sandrarts eigentliche
Widmung gilt dem im Folgenden als Kunstför­
derer charakterisierten Kurprinzen:
E. ChurPrinzl. Durchl. sind ein Erbe / nicht
nur der HochVätterlichen Dapferkeit / sondern auch Dero Liebe zu den Künsten. Sie
sind der aufgehende Föbus von Teutschland. darum erkühne ich / dieses Buch
/ das von KunstSachen / wiewol nicht
künstlich / handelt / in den Schein Dero
aufsteigenden Strahlen zu legen: ob es /
also Gnad-beleuchtet / etwas schöner erscheinen möchte. (Ebd. [II] 1306)27
Aus diesen und noch vielen weiteren Textstellen
der Teutschen Academie wird ersichtlich, dass
sich nach Sandrarts Überzeugung in der Kunstförderung gleichsam die Krönung und Vollkommenheit herrscherlicher Qualitäten manifestiert.
Umgekehrt schafft das somit begründete Abhängigkeitsverhältnis von Herrschaft und Künsten
die Voraussetzung für die Heroisierung des Herrschers als Kunstheld. Sandrarts Beschreibungen der Kunstkammern und der mäzenatischen
Förderung, die die Herrscher den Künstlern
angedeihen lassen, zeugen vom Bewusstsein,
dass Kunst[förderung] ihre Helden braucht.
Auch Willmanns Komposition setzt sich mit
dieser Thematik auseinander, was nicht zuletzt durch die Zentrierung des Kurfürsten und
die allegorische Aufladung ersichtlich wird, die
Willmann in der zweiten Zeichnung [Abb. 5] vollzieht und die im Gemälde bis auf wenige kleine
Änderungen beibehalten werden.28 Besonders
auffällig ist dies in der Figurengruppe links mit
Apoll, Herkules und Minerva. Ihre Kämpfe gegen die Barbarei, die Kriegshydra und den Neid
ergänzen die Huldigungsszene durch die Personifikationen der Künste, der Malerei, Architektur und Bildhauerei, die durch ihre Attribute
[Pinsel, Palette, Zirkel und eine Herkules-Statue]
gekennzeichnet sind. Die historische Figur des
Kurfürsten, in zeitgenössisch herrscherlichem
Ornat mit Harnisch und Hermelinmantel und mit
porträthaften Zügen, wird durch die Götter sowie
den himmlischen Ruhm Famas heroisiert, sie
begleiten als segensreiche Kräfte seine Herrschaft.29 Der Glanz tugendhaften Handelns des
Großen Kurfürsten wird in der Verherrlichung
seiner Kunst fördernden Taten durch die Künste
zurückgeworfen. Seine Kunstförderung wird als
Tugend inszeniert [wofür ihm Fama den Ruhm
verkündet] und von den Künsten, die in ihrem
Tun innehalten, zugleich reflektiert und festgehalten. Das Gemälde setzt sich somit bildimmanent mit der Beziehung von Kunstförderung
und Heroisierung durch Kunst mit künstlerischen
Mitteln auseinander. Frieden, Wohlstand und
Kulturpflege werden mit der Herrscherrepräsentation verbunden und als Ziel und Ausgangspunkt bekundet. Historisch kann das Gemälde
auf die Zeit nach dem Frieden von St. Germain
1678 und einer Phase friedlicher Herrschaft
in Brandenburg-Preußen bezogen werden
(Lossow 58-59). Militärische Stärke kommt nur
noch sublimiert in den neben dem Kurfürsten auf
eine­m Tisch abgelegten Attributen der ‚summa
potestas‘, Zepter und Krone, zum Ausdruck. Der
Akzent des Bildes liegt jedoch vielmehr auf dem
Frieden und seinen Auswirkungen: die Künste
und ‚Abundantia‘ mit dem Füllhorn können sich
unter der Regierung des weisen und friedliebenden Herrschers entfalten.
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
Diese Inszenierung lässt sich mit der realen Kulturpolitik des Großen Kurfürsten durchaus in Einklang bringen. Bereits in der frühen Forschung
erscheint Friedrich Wilhelm als der Erste, der in
der Mark Brandenburg die Kunstförderung systematisch betrieb und eigentlich begründete,
den Künstlern Weiterbildung im Ausland angedeihen ließ und auch bei der Erziehung seiner
Kinder auf künstlerische Akzente Wert legte
(Galland 71-72). Eine Einschätzung, die sich
gut mit den zeitgenössischen Panegyriken verträgt, und auch weiterhin in der Forschung [mit
unterschiedlicher Akzentuierung] akzeptiert ist.
Allerdings gelang es „dem Kurfürsten nur, relativ
bescheidene Talente nach Berlin zu verpflichten“
(Börsch-Supan 34). Neben dem kriegerischen
Image wurde zunehmend auch der durch den
Sieg erlangte Frieden ein wichtiges ergänzendes Thema der Repräsentation. Insofern dient
auch die Darstellung als Friedensfürst durch
die Verbindung mit den Künsten wie wir sie bei
Willmann umgesetzt sehen, der Legitimation.
Auch im kurfürstlichen Appartement im Berliner
Schloss wird der Große Kurfürst, der als Mäzen
von Kunst und Wissenschaften seine herrscherliche Tugend unter Beweis stellt, veranschaulicht:30 Nicht der kriegerische Fürst, sondern der
siegreiche Friedensfürst wird allegorisch wie
politisch inszeniert.31 Im Alabastersaal wird der
Akzent auf eine Ausbalancierung von ‚arte et
marte‘ mit antiken Allegorien der Herrschertugenden gesetzt, und der Herrscher zum einen
als Kriegsheld, zum anderen als Friedensfürst
dargestellt: Friedrich Wilhelm bringt mit Pax und
Minerva die Waffen in den Tempel des Mars und
die Kriegsbeute in den Tempel der Musen, er tritt
als Förderer von Ackerbau, Viehzucht, Handel
und Verkehr auf, und ihm wird als fürstlichem
Bauherrn gehuldigt (Wiesinger 119-120).
Sammeln als agonale Tat – Erz­
herzog Leopold Wilhelm und das
Theatrum pictorium
Das Bild des ‚Kunsthelden‘ wird jedoch nicht nur
durch die Tugend irenischer Herrschaft konstituiert, auch die Sammlung wird als wichtiger Faktor bildwürdig. Leopold Wilhelm, der mit geist­
lichen Würden betraute jüngere Bruder Kaiser
Ferdinands III., bis 1646 Oberbefehlshaber der
kaiserlichen Armee, wusste seine Kunstsammlung, die er während seiner Zeit als Statthalter
der Niederlande in Brüssel (1647-1656) aufgebaut hatte, in diesem Sinne zu inszenieren.
Eine Verknüpfung von Sammlung, Kennerschaft
und Herrscherrepräsentation, mit der Intention
der Verbreitung, bietet der graphisch illustrierte
helden. heroes. héros.
Sammlungskatalog, das sogenannte Galeriewerk. Ein sehr prominentes Beispiel dieser Gattung ist das Theatrum pictorium, 1660 in Brüssel auf Latein und Flämisch, später in weiteren
Ausgaben erschienen.32 Es gilt als „der erste gedruckte und bebilderte Katalog einer Gemälde­
sammlung in Europa“ (Thomas 57) und zeigt in
243 Kupferstichen [bzw. Radierungen] die italienischen Gemälde der erzherzoglichen Sammlung. Mit dreizehn Giorgione, siebenundvierzig
Tizian, vierzehn Veronese, dreizehn Tintoretto
und vierundzwanzig Palma Vecchio zugeschriebenen Werken sind hauptsächlich venezianische
Künstler vertreten. Da ein guter Teil von Leopold
Wilhelms Sammlung aus den Versteigerungen
des Bildbesitzes englischer Adeliger stammt, die
unter Oliver Cromwell vertrieben bzw. hingerichtet wurden [besonders prominent die Sammlung
des Herzogs von Hamilton], musste sich der Erzherzog auf dem sich bereits etablierten Kunstmarkt gegen konkurrierende Kunstliebhaber
und -sammler durchsetzen. Auch Kriegsbeute
gelangte nicht selten in fürstliche Sammlungen.
Betrachtet man das Sammeln unter diesem Aspekt, so bedarf es dabei auch der Tatkraft und
Entschlossenheit, zuweilen auch des Kriegsgeschicks, mithin agonalen Eigenschaften, die
nicht nur herrscherlichem Handeln angemessen
sind, sondern auch in den Qualitätskatalog eines
Helden passen.
Ein möglicher Anlass für die Erstellung des
Katalogs mag der 1656 erfolgte Abtransport
der Bilder aus Brüssel über Passau nach Wien
gewesen sein, als Leopold Wilhelm von seiner
Statthalterschaft zurücktrat.33 David Teniers d. J.
fertigte deshalb parallel zu einem in dieser Zeit
abgefassten Inventar [1647/1659] kleine Reproduktionen der Gemälde in Öl an [sog. ‚modelli‘
oder ‚pasticci‘], – in Abweichung vom üblichen
Verfahren, bei dem eine Zeichnung zur Vorbereitung eines Stiches verwendet wird.34 Das
Frontispiz des Theatrum pictorium zeigt die mäzenatischen Taten Leopold Wilhelms in allegorischer Form und kennzeichnet damit den Helden
als Kunsthelden. [Abb. 6] Im Zentrum steht das
durch diverse Gemälde und Drucke bekannte
Porträt des Erzherzogs als Bildnismedaillon. Es
wird von einem Blumen sprießenden Ährenkranz
gerahmt, in dem links ein Gewehr und der Kommandostab stecken und rechts eine Palette mit
Malerstab hängt – die harmonische Verbindung
von ‚arte et marte‘. Leopold Wilhelms Motto
­‚Fortiter et Suaviter‘ [‚tapfer und milde‘] zieht sich
als Band durch den Kranz. Das Medaillon steht
auf einem zweigeschossigen Sockel, einem
Symbol der Festigkeit und Unerschütterlichkeit
– ein vielsagendes Motiv im Kontext eines gegen Konkurrenz beharrlichen Kunstsammlers.
Der untere Teil des Sockels ist zu einem Podest
21
Christina Posselt-Kuhli
22
erweitert, auf dem Minerva mit dem Gorgoneion
gerüstet zur Rechten des Erzherzogs steht. Der
Sockel trägt eine Inschrift mit der Widmung des
­Amphitheatrum picturarum35 an den Erzherzog
sowie die Datierung 1658. Minervas Blick richtet sich auf einen geflügelten Putto, vor dem ein
Gemälde steht: die Violante von Tizian [früher
Palma Vecchio zugeschrieben].36 Ihr Zeigefinger
weist auf einen anderen Putto, der von rechts
heranschwebt und ein weiteres Gemälde trägt,
das er in die Galerie von Porträts im Hintergrund
einzureihen trachtet. Somit entspinnt sich zwischen Minerva und den beiden Putten ein innerbildlicher Dialog darüber, welche Bilder es wert
sind, in eine erzherzogliche Galerie integriert zu
werden. Die gezeigten – und somit als herausragend gekennzeichneten – Gemälde fungieren
als Pars pro Toto der gesamten Sammlung, die
mit der Weisheit Minervas und der Kennerschaft
Leopold Wilhelms zusammengetragen wurde.
Ein dritter geflügelter Putto präsentiert das Bild
des sogenannten Bravo von Tizian [ehemals
Giorgione zugeschrieben].37 Aufgeschlagene
Bücher unterschiedlichen Formats, darunter ein
Notenbuch und ein Skizzenbuch, ein Blatt aus
eine­r Münzsammlung sowie zwei Nägel zum Aufhängen der Bilder, runden die Hinweise auf die
Sammlung ab. Die Szenerie wird hinterfangen
von einer Nischenarchitektur mit fünf Pilastern,
die von Porträtbüsten gekrönt werden. Damit erfolgt die Glorifizierung des Erzherzogs nicht nur
auf allegorischer Ebene, sondern sie reiht ihn
auch in die Tradition antiker Gelehrsamkeit ein.
So war es noch im 17. Jahrhundert üblich, Bibliotheken nach antikem Vorbild mit Büsten berühmter Philosophen und Autoren zu schmücken,
eine seit der frühen Neuzeit etablierte eigene
Reihe großer Männer, die den Kanon von Herrschern und Kriegern erweiterte. Eine spezifische
Reihe berühmter Männer entwickelte sich auch
im Deutschland des 17. Jahrhunderts im Kontext
der bereits erwähnten Sprachgesellschaften. Die
etymologische Ableitung der deutschen Sprache
von den Hebräern an Ascenas – Noahs Urenkel – und über die Griechen ins Lateinische wird
häufig begleitet von einer genealogischen Abfolge, bei der die jeweiligen in den panegyrischen
Schriften geehrten Fürsten passenderweise von
Ascenas, Alexander dem Großen, Augustus, Karl
dem Großen oder Karl V. abstammen.38 Entsprechende Darstellungen [vornehmlich auf Frontispizen] zeigen diese Filiation in einer Art Heldensaal oder Heldengalerie.39 Nicht selten wird das
Motiv des Parnass als heroisches Symbol ausgestaltet, der ebenso wie der Heldensaal zudem
in der [Buch-]Graphik eine Entsprechung hat.
Die Form der Ruhmes­halle mit genealogischer
Rahmung konnte auch im Kontext der Sprachgesellschaften eingesetzt werden. Als Adaption
herrscherlichen Mäzenatentums präsentiert sich
die Fruchtbringende Gesellschaft in Karl Gustav von Hilles Text Der Teutsche Palmenbaum
von 1647 als Statuen in den Nischen eines Pan­
theons. [Abb. 7] In genea­logischer Ableitung
reihen sich Ascenas – von Sigmund von Birken
in seinem Chur und Fürstlichen Sächsischen
Helden-Saal […], [Nürnberg 1687] als ‚Urvater
der Deutschen‘ beschrieben –, Karl der Große,
Rudolph I. und drei Mitgliede­r der Sprachgesellschaft, nämlich Friedrich Wilhelm von Brandenburg, ‚der Befreiende‘ [= Herzog August von
Braunschweig-Lüneburg] und ‚der Nehrende‘
[= Fürst Ludwig zu Anhalt] aneinander, wie die
Beschriftung angibt. Sie alle sind als Herrscher,
teils in Phantasierüstung, mit Herrscherinsignien und in verlebendigter Pose dargestellt. Im
Zentrum steht eine weibliche Figur mit einem
Ährenkranz auf dem Haupt. In der rechten Hand
präsentiert sie ein geöffnetes Buch und einen
mit Federn geschmückten Helm, in der linken
das Wappen mit dem Palmenbaum. Am oberen Ende dieses Wappens sprießt ein geöffneter Granatapfel. Zwei angeschnittene Palmen
schließen die Darstellung auf beiden Seiten ab.
Bei der Erklärung der Impresen der Mitglieder
der Fruchtbringenden Gesellschaft heißt es bei
Hille:
Der Vielgekornte [= Dietrich von dem Werder, CP-K]. Ein aufgeborstener Granat­
apfel. Abkülend stärket. – Der vielgekornet
heißt / führt die Granatenkron; / Ihr Pupurkörner Saft abkülend stärkt die Glieder: /
Jens deut die dapfre Faust / den Krieg=
und Siegeslohn / Und dieses seine Kunst
der Teutschen HeldenLieder. (Hille 183)
Das Frontispiz des Theatrum pictorium vermittelt ebenfalls eine Heldenrolle mit dem Bild eines
Kunst liebenden Herrschers, dessen Kunstverstand seine Sammlung zu qualitätvoller Auserlesenheit erhebt. Sein tugendhafter Eifer, den
er mit heroischer Stärke gegen Widerstände
und Konkurrenz einsetzt, gilt ebenso der Kunst
wie seiner eigenen Repräsentation. Das Medium seiner Sammelleidenschaft entspricht dem
seiner Memoria.40 Nimmt man Sandrarts Aussagen und die anderer Zeitgenossen ernst und
bedenkt man das System von kultureller Repräsentation und Zeremoniell, so erblicken wir
in der Inszenierung Leopold Wilhelms mehr als
eine politische und militärische Kompensation,
die er zweifellos auf kulturellem Gebiet fand.41
Sammeln wird als agonale Kulturtat konstruiert,
die auch als solche wahrgenommen und in Bild
und Text vermittelt wurde. Zwar sammeln im 17.
Jahrhundert längst auch vermehrt Adelige und
Bürger [auch hiervon zeugt Sandrarts Teutsche
Academie ausführlich], doch das Monopol der
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
heroischen Darstellung liegt bei den Fürsten.
Diese unterschied­lichen Modi [oder ‚Stilhöhen‘]
der Repräsentation herausragender Sammlungen soll an einem abschließenden Beispiel deutlich gemacht werden.
Als ein besonders bekannter Vertreter repräsentiert etwa Thomas Howard, der 21. Earl
of Arundel, die Gruppe von [Hoch]adeligen, die
sich auf dem Feld des kulturellen Mäzenatentums verdient machte und zur Ausstattung ihrer
Palais wie zur Erinnerung an ihre Taten Kunst
kaufte bzw. in Auftrag gab und sich ausländische
Kunstmärkte durch Mittelsmänner erschloss.42
Arundel nutzte ganz gezielt das Sammeln für
seine Selbstdarstellung.43 Auf Geheiß seiner
Gattin Alathea Talbot wurde Franciscus Junius’
De pictura veterum 1638 ins Englische übersetzt, dessen Widmung den englischen König
Charles I. adressiert:
Let me pass over in silence [such as I may
be silent about what here matters most]
Your great zeal in propagating the liberal
arts. Under this resplendent banner, as
under a benign star, Your Illustrious Majesty, having established the blessings of
peace throughout the realm, now happily also has dispersed the darkness of an
earlier age. (Junius 318)44 […] Wherever
we look, You are restoring, preserving,
advancing, and bringing together the arts,
and are the sole bestower of happiness,
the measure of justice, and the very model
of the best of princes. (Junius 319)
Auch den Triumphgedanken und das Motiv von
‚arma et litterae‘ spricht Junius an: „Under so
great a Maecenas painting triumphs and will
be triumphant in the future. For who will dare
despise what he sees Your Majesty hold dear?“
(­Junius 321) Junius, Arundels Bibliothekar, gibt
wohl auch mit einem weiteren Ausspruch die
Meinung Arundels wieder: „The arts inclined
men to peace, consecrated the memory of the
great, and showed virtue as the pattern of the
glorious life.“ (Vickers 7)
Dieses Lob der Kunstförderung kann Arundel auch auf sich beziehen. In der Antike sah er
ein [moralisches] Vorbild für seine eigene Zeit
und die zeitgenössische Kunstproduktion als
„relevant to the needs of Jacobean England“
(­Howarth 24). Arundel war darüber hinaus bestrebt, seine eigene aristokratische Position und
die des alten Adels insgesamt gegen den aufsteigenden neuen Adel am Hof der Stuart zu verteidigen. So setzte er auch das Kunstsammeln
in seinen politischen Bestrebungen ein, das sich
mit aristokratischen Werten ebenso vertrug wie
mit seiner auch an der Antike geschulten Erziehung – und damit dem Ideal des Cortegiano bzw.
helden. heroes. héros.
Henry Peachams The Compleat Gentleman
[1622/1634] entsprach. Letzterer konzentrierte
sich vor allem auf die Vorbildlichkeit von [auch
antiken] Kunstwerken, die ein gebildeter Adeliger
kennen sollte (Fatticcioni 24-25).45 Eine bildliche
Inszenierung dieser Strategie zeigt das Porträt
Arundels von Daniel Mytens. [Abb. 8] Der Earl ist
vor seiner Skulpturengalerie so inszeniert, dass
das Trompe-l’œil einen Verlebendigungseffekt
der Venus pudica-Statue durch Arundels Zeigestock hervorruft und – allgemeiner gefasst – für
die Wiedererweckung der Antike durch Arundel
steht.46 Dabei befanden sich jedoch [noch] nicht
alle im Gemälde gezeigten Statuen in Arundels
Besitz, so dass die bildliche Aussage auch einen
Anspruch vermittelt und auf die Bereitschaft zum
potentiell konkurrierenden Kunsterwerb verweist.47
Das Profil des Kunsthelden
Der semantischen Fülle des Heldenbegriffs
im 17. Jahrhundert kann durch die Gestalt des
Kunsthelden in Panegyrik und bildlichen Darstellungen ein spezielles Profil gegeben werden.
Der ‚Kunst-Held‘ kann sich dank des anerkannten ‚symbolischen Kapitals‘ der Kulturpflege im
Deutschland des 17. Jahrhunderts in den Reigen der heroischen Modelle einreihen. Die Einbindung in die bzw. Verbindung mit der göttlichen
und mythologischen Sphäre heben den Herrscher als Machtfigur heraus. Dominante Formen
der Repräsentation wie die Apotheose des Herrschers durch die Künste, das Rollenporträt als
Herkules musagetes, Apoll oder Augustus, und
weitere Bildformeln, die eine Bildpolitik bzw. das
Bekenntnis – ob nun wahr oder idealisiert – zur
Kunst vermitteln, werden dabei variantenreich
eingesetzt. Nur einzelne bildliche und sprachliche Mittel konnten in diesem Beitrag skizziert
werden. Mit der dominanten Gestalt der Minerva werden die Eigenschaften eines Friedensfürsten und Kriegshelden, aber auch die eines
Beschützers der Künste als notwendige, sich
ergänzende Komponenten fürstlicher Politik vorgeführt. Die bildlichen Formeln zeitgenössischer
Herrscherrepräsentation – göttergleiche Inszenierung, Platzierung auf dem Parnass, Symbolik
des Glanzes durch Aureolen [auch dies eine in
diesem Rahmen nicht darzustellende Fülle] – erhalten durch den Bezug zu den Künsten eine
spezifische Ausprägung, die ihre Analogien in
den literarischen Zeugnissen der Zeit hat.
1 Der Aufsatz behandelt einen Teil eines größeren Forschungsprojektes unter dem Titel „Kunst-Held versus
Kriegs-Held. Heroisierung durch Kunst im Kontext von
Krieg und Frieden in der Frühen Neuzeit“ innerhalb des
23
Christina Posselt-Kuhli
24
DFG-geförderten SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Konjunkturen und Transformationen von der Antike
bis zur Moderne“ an der Universität Freiburg.
2 Zu diesem Ansatz grundsätzlich Oevermann, Ulrich.
„Für ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage.“ Die
Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage (Wissenskultur
und gesellschaftlicher Wandel, 20). Hg. Ulrich Oevermann
u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007: 13-23.
3 Da Chronos häufig gefesselt, am Boden liegend oder
schlafend gezeigt wird, lässt dieses Motiv zuweilen die gefahrvolle Kraft Chronos’ noch durchscheinen bzw. seine Zähmung so bedeutsam werden.
4 Im 18. Jahrhundert lässt sich dies auch an einigen genealogischen Werken ablesen, vgl. etwa die Titelblätter zu
Banduri, Anselmo. Imperium orientale sive antiquitates Constantinopolitanae. Bd. I. Paris: Jean Baptiste Coignard, 1711;
Herrgott, Marquard. Genealogia diplomatica Augustae gentis Habsburgicae, Bd. I. Wien: Kaliwoda, 1737 oder Leibniz,
Gottfried Wilhelm und Christian Ludwig Scheidt. Origines
Guelficae, Bd. I. Göttingen: Orphanotropheum Moringense,
1750.
5 Der Sentenz „veritas filia temporis“, die in Aulus Gellius’
Noctes Atticae (12.11.7) belegt ist, liegt die Vorstellung zugrunde, dass es eine Wahrheit gibt, die [ergänzend zu anderen frühneuzeitlichen Auffassungen] verborgen liegt und
sich nicht selbst enthüllt, sondern ans Licht gebracht werden
muss.
6 Vgl. hierzu Hoberg, die in ihrer Dissertation das in der
französischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zutage
tretende historische Bewusstsein im Kontext von Kunst­
theorie und -historiographie gewinnbringend analysiert (Hoberg 20-32).
7 Für das Zeitalter Louis’ XIV erzeugt das Bild des Goldenen Zeitalters in der Wiedererweckung der Künste damit
einen „spezifischen Epochenbegriff“ (Hoberg 7).
8 Öl auf Leinwand, 141 x 185,5 cm, 1666, Versailles,
Musée National du Château.
9 Möglicherweise ist hiermit nicht eine allgemeine genealogische Ableitung vom griechischen Heros gemeint, sondern
ein Verweis auf einen Vorfahren des Großen Kurfürsten, Albrecht Achilles (1470-1486). Dieser erhielt seinen Beinamen
von Enea Silvio Piccolomini, vgl. Neugebauer, Wolfgang. Die
Hohenzollern, Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740. Stuttgart u. a.: Kohlhammer, 1996:
58.
10 Zur Fruchtbringenden Gesellschaft vgl. neben der kri­
tischen Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten
(Reihe I), Dokumente und Darstellungen (Reihe II) im Auftrag
der Herzog-August-Bibliothek, Hg. Martin Bircher und Klaus
Conermann seit 1991 und dem von Martin Bircher besorgten
Ausstellungskatalog Im Garten der Palme: Kleinodien aus
dem unbekannten Barock. Die Fruchtbringende Gesellschaft
und ihre Zeit. Berlin: Akademie-Verlag, 1992 die Einzel­
untersuchungen von Herz, Andreas. „Aufrichtigkeit, Vertrauen, Frieden: eine historische Spurensuche im Umkreis der
‚Fruchtbringenden Gesellschaft‘“. Euphorion 105 (2011):
317-359; Herz, Andreas und Ball, Gabriele. „Friedenssehnsucht und Spracharbeit. Die Fruchtbringende Gesellschaft
1637-1638.“ Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17 (2008): 47-84 sowie Herz, Andreas. „Der edle
Palmenbaum und die kritische Mühle. Die Fruchtbringende
Gesellschaft als Netzwerk höfisch-adeliger Wissenskultur
der frühen Neuzeit.“ Denkströme. Journal der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften 2 (2009). 27. April 2014
<http://denkstroeme.de/heft-2/s_152-191_herz>.
11 Sigmund von Birken auf Georg Neumark in Der
Neu=Sprossende Teutsche Palmbaum […]. Nürnberg: Hoffman, 1668: VIII, b 6[r]; Hille, Karl Gustav von. Der Teutsche
Palmbaum. […]. Nürnberg: Endter, 1647: 14; Zesen, Philipp
von. Das Hochdeutsche Helikonische Rosenthal […]. Amsterdam: Konrad, 1669: 47; Gutachten des Ezzenden (= Rudolph von Dietrichstein) 1647, abgedruckt in Krause, Gottlieb. Der Fruchtbringenden Gesellschaft ältester Ertzschrein.
Briefe, Devisen und anderweitige Schriftstücke. Urkundlicher
Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprachgesellschaften
im 17. Jahrhundert. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1855.
Hildesheim: Olms, 1973: 94-97; Harsdörffer, Georg Philipp.
Poetischer Trichter. […]. Durch ein Mitglied der hochlöb­
lichen Fruchtbringenden Gesellschaft. Zum zweiten Mal aufgelegt und an vielen Orten vermehret. Nürnberg: Wolfgang
Endter, 1648-1653, Erster Theil, 1650 (Erstausgabe 1647):
123-137ff. [Anhang: Unvergreifliches Bedencken von der
Rechtschreibung und Schriftscheidung unserer Teutschen
Heldensprache]; vgl. dazu Stoll, Christoph. Sprachgesellschaften im Deutschland des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen,
Deutschgesinnte Genossenschaft, Hirten- und Blumenorden
an der Pegnitz, Elbschwanenorden. München: List, 1973 sowie grundlegend Engels, Heinz. Die Sprachgesellschaften
des 17. Jahrhunderts (= Beiträge zur deutschen Philologie,
54). Gießen: Schmitz, 1983.
Zur semantischen Bestimmung des „Kunsthelden“ vgl. auch
den Aufsatz: Posselt-Kuhli, Christina. „Der „Kunstheld“: eine
semantische Spurensuche in Panegyriken des 17. Jahrhunderts.“ Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 35.1(2014):
41-67.
12 Dass nicht ausschließlich herrscherliche Sammlungen
berücksichtigt wurden, zeigt, dass die Bedeutung der Kunstförderung als heroische Tat ebenfalls in das soziale Selbstverständnis adeliger Gruppen einfließt, die im Ruhmerwerb
durch Kunst eine konsensträchtige Herrschaftsstrategie zur
Verfügung haben, mithilfe derer man auch die eigene Moral
und Tugend hervorheben kann.
13 Vgl. dazu Schreurs, Anna. „Apoll und der Zodiacus: Die
Fruchtbringende Gesellschaft zieht auf den Parnass. Anmerkungen zum Frontispiz von Sandrarts Iconologia Deorum.“
Zentren und Wirkungsräume der Antikerezeption. Zur Bedeutung von Raum und Kommunikation für die neuzeitliche
Transformation der griechisch-römischen Antike, Akten der
Tagung zu Ehren von Henning Wrede an der Humboldt-Universität Berlin, Februar 2005. Hg. Kathrin Schade u. a. Münster: Scriptorium, 2007: 151-158.
14 Vgl. Sandrart 1680, Iconologia Deorum, Eigene Benamung der Mitglieder des Palmenordens [I]. 21. Juni 2014
<http://ta.sandrart.net/-text-1307> und Sandrart 1680, Iconologia Deorum, Ehren-Preiß [XI], 21. Juni 2014 <http://
ta.sandrart.net/-text-1323>.
15 Diese Passage der Teutschen Academie dürfte von
Martin Limburger verfasst worden sein. Der unter dem
Dichternamen Myrtillus schreibende Lyriker war Nachfolger
Sigmund von Birkens im Pegnesischen Blumenorden. Vgl.
Laufhütte, Hartmut. „Sigmund von Birken und Joachim von
Sandrarts Teutsche Academie.“ Aus aller Herren Länder. Die
Künstler der ‚Teutschen Academie‘ von Joachim von Sandrart (Frankfurt am Main, 09.12.-11.12.2010), erscheint 2014,
zitiert nach der Manuskriptfassung: 1-30, 18; Stauffer, Hermann. Sigmund von Birken (1626-1681). Morphologie seines
Werks. Tübingen: Niemeyer, 2007, Bd. II: 1073-1075.
16 Öl auf Leinwand, 162 x 200 cm, 1682, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.
17 Pinselzeichnung auf schwarzer Kreide, 635 x 689 mm,
aus drei Blättern zusammengeklebt, Braunschweig, Herzog
Anton Ulrich-Museum, vgl. Lossow, Hubert. Michael Willmann (1630-1706), Meister der Barockmalerei. Würzburg:
Bergstadtverlag, Korn, 1994: B 22.
18 Vgl. Sandrarts panegyrische Charakterisierung des
Herrschaftsstils Kurfürst Karls II. von der Pfalz: „Dieses
Hoch-Fürstliche Chur-Haus war iederzeit / wie gesagt / aller Studien und Tugenden Nähr-Mutter / und gewohnt / nach
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
Hinlegung der schweren Regiments- Verrichtung sich mit
dergleichen kunstreichen Ubungen zu ergetzen / und zu einer Zeit den Scepter in der einen / die Feder in der andern
Hand zu führen. Und solcher lobreichen Fusstapfen folgen
mercklich nach Se. Durchl. der Chur-Prinz CAROLUS, von
Dero hoher Tugend und Verstand viel zu sagen wäre“ (Sandrart 1679, II (Skulptur): 76. 21. Juni 2014 <http://ta.sandrart.
net/-text-967>).
19 Vgl. auch Kantorowiscz, Ernst H. „The Sovereignity of
the Artist. A Note on Legal Maxims and Renaissance Theories of Art.“ De artibus opuscula XL. Essays in honor of Erwin
Panofsky. Hg. Millard Meiss. New York: University Press,
1961, Bd. I: 267-279 und Clements, Robert J. Picta Poesis.
Literary and Humanistic Theory in Renaissance Emblem
Books (= Temi et testi, 6). Rom: Storia e Letteratura, 1960:
135-149.
20 „L’vno dell’attione di guerra, & l’altro dello studio, & opere
delle lettere“.
21 „Così celebri sue fatiche meritò d’esser numerato fra più
degni Heroi“.
22 Vergleiche das Titelblatt zu Diego de Saavedra Fajardos
Idea de un Príncipe político cristiano representada en cien
empresas [München 1640], die beiden Darstellungen Allegorie auf die Geburt Prinz Frederik Hendrik von Oranien [1650]
sowie die Erziehung des Prinzen [1649] im Oranjezaal des
Huis ten Bosch in Den Haag oder die retrospektive Allegorie auf die Erziehung des Kurfürsten Johann Wilhelm von
der Pfalz in einem Gemälde von Giovanni Antonio Pellegrini
[1713-15, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen]; siehe dazu Pfeiff 110-115. Als komplementäre weise
Ratgeberin neben Mars tritt Minerva auch in der Verherrlichung des jungen Kurprinzen Josef Ferdinand von Bayern,
einem Kupferstich von Melchior Küsel, auf. Mit Kriegsgeräten, Waffen und Karten ‚dienen‘ die beiden Götter dem
Prinzen, der in einem mit Lorbeer umrahmten Medaillonporträt unterhalb einer triumphbogenähnlichen Architektur
glorifiziert ist; vgl. Österreichische Nationalbibliothek, Inv.-Nr.
PORT_00050782_01.
23 „Dimostrano, che per la fama, ò delle scienze, ò dell’armi,
la nobiltà si acquista“.
24 „Minervæ mit den Degen in der Faust den Feind auß
Seinen Landen jagende / mit der andern aber die schüchternen und Vertriebenen Musen biß in Seinen Hochfürstl.
Pallast begleitende / in Marmel gebildet / künstlich geschildert / zu sehen ist“ [Hochverdienter Helden Lorber: Siegsund Ehrenpalmen, welche von der Fama dem Churfürsten
Friedrich Wilhelm zu bereitet. Berlin: Rupert Völker, 1685:
24]. Benutzt wurde das digitalisierte Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden mit der Signatur Hist. Boruss. 409. 21. Juni 2014
<urn:nbn:de:bsz:14-db-id3628959298>.
25 Die Beschreibung der Kunstsammlungen, die Sandrart
nicht selbst besucht hat, entnimmt er wie er selbst angibt
den Relations Historiques et curieuses de voyages en Allemagne, Angleterre, Hollande, Bohême, Suisse [...]. Lyon:
Claude Muguet, 1676 des Kunst- und Antiquitätenhändlers
Charles Patin.
26 Hoberg leitet die Herrscher-Chronos-Ikonographie auch
vom kunsttheoretischen Thema der Verleumdung des Apelles ab, das dadurch auch eine politische Dimension annimmt.
27 Sandrart 1680, Iconologia Deorum [II]. 27. April 2014
<http://ta.sandrart.net/-text-1306>.
28 Federzeichnung auf blauem Papier, 304 x 370 mm,
Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, vgl. Lossow
B 23.
29 Zur Heroisierung unter dem Aspekt der imitatio heroica, d. h. der Angleichung an Helden oder Götter, vgl. auch
den Beitrag der Autorin: „Ars et maiestas – Formen der imitatio heroica im barocken Herrscherbildnis“, in dem auch
helden. heroes. héros.
Willmanns Gemälde untersucht wird (erscheint im Tagungsband Heinzer, Felix u.a. Hg. Imitatio heroica: Heldenangleichung im Bildnis von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Würzburg: Ergon, 2015).
30 Dazu Wiesinger, Lieselotte. Das Berliner Schloss. Von
der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989: 107-111; Kühn,
M. Preußische Schlösser in der Zeit vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm IV. Berlin: Verwaltung d. Staatl.
Schlösser u. Gärten, 1936.
31 „Gegen Ende seiner langen Regierungszeit wünschte sich der Kurfürst in der Rolle eines siegreichen Fürsten
zu sehen, der sich als Mäzen und Wohltäter seiner Territorien hervortat.“ Vgl. Hahn, Peter-Michael. „Dynastische
Selbstdarstellung und Militärmacht. Kriegerische Symbolik
als höfische Zeichensprache in Brandenburg-Preußen im
17. Jahrhundert.“ Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit.
Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische
Welt. Hg. Ronald G. Asch. München: Fink, 2001: 115-138,
hier 126, Anm. 34).
32 Die Editio princeps zudem auf Französisch und Spanisch. Zum Theatrum pictorium vgl. Klinge, Margret. „David
Teniers d. J. – Theatrum pictorium.“ Krijg en kunst. Leopold
Willem (1614-1662), Habsburger, landvoogd en kunstverzamelaar. Hg. Jozef Mertens u. a. Ausst.-Kat. Landcommanderij Alden Biesen. Bilzen: Alden Biesen Kasteel, 2003:
101-108. Insgesamt sind fünf Editionen bekannt: 1660, 1673,
1684, ca. 1700 und 1755 (Klinge 32). Zum Theatrum pictorium vgl. auch Bähr, Astrid. Repräsentieren, bewahren,
belehren: Galeriewerke (1660 - 1800). Von der Darstellung
herrschaftlicher Gemäldesammlungen zum populären Bildband (= Studien zur Kunstgeschichte, 178). Hildesheim u.
a.: Olms, 2009: 23-42 und David Teniers and the theatre of
painting, Ausst.-Kat. Courtauld Institute of Art Gallery, Somerset House, London, 19.10.2006-21.01.2007. Hg. Ernst
Vegelin van Claerbergen. London: Courtauld Institute of Art
Gallery, 2006.
33 Zum Schwerpunkt der Sammlung und ihrer Repräsentation sowie den Kriterien der Auswahl für die Publikation siehe
Thomas 74-75.
34 Ein ähnliches Verfahren ist für Antonis van Dycks Iconographia überliefert, die modelli sind hier jedoch als Grisaillen
ausgeführt, vgl. Klinge 26.
35 SERENISS. PRINCIPI / LEOPOLDO GVILLIEL: / Archi­
duci Austr. etc. / Dno. suo clement: / HOC AMPHITHEA­
TRVM / PICTVRARVM / ex suæ Serent: archetypis / delinea­
tum sua manu / dedicauit / Ao. MDXLVIII.
36 Sie galt lange als Geliebte Tizians, als ursprünglicher
Besitzer des Bildes ist Alfonso d’Este [vermutlich Alfonso I.,
1476-1534] belegt, der sowohl militärischen als auch mäzenatischen Ruhm genoss; vgl. Pokorny-Waitzer, Elisabeth.
„Dokumente zu einer Violante von Tizian.“ Jahrbuch des
Kunsthistorischen Museums Wien 12 (2010): 125-127.
37 In der Sammlung Hamilton erscheint das Bild im Inventar
von 1638 als Gemälde Tizians, in den Inventaren von Leopold Wilhelm 1649 [„Un Brave qui va assasiner un homme“]
und 1659 wird dann Giorgione zum Künstler erklärt, vgl.
Lauber, Rosella. „‚Il vero oracolo di Vinegia tutta‘: il Bravo
di Tiziano e Giovanni Antonio Venier, muovendo l’animo al
‚firmamentum‘.“ Studi tizianeschi 2 (2004): 11-30, 17. Die
dargestellten Lusius und Trebonius stehen als ‚exemplum
virtutis‘ für Gerechtigkeit, Ehre und Eloquenz.
38 Zwar wurde im 17. Jahrhundert vermehrt auf durch
Quellen abgesicherte Genealogien Wert gelegt, aber die alten Abstammungsthesen wurden weiterhin verwendet und
behielten zum Teil wohl auch ihre Glaubwürdigkeit in der
zeitgenössischen Rezeption, vgl. Rohmer, Ernst. „Die Hirten in der Grotte. Zur Funktion genealogischen Wissens in
den Schriften des Sigmund von Birken.“ der Franken Rom.
25
Christina Posselt-Kuhli
26
Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hg. John Roger Paas. Wiesbaden: Harrassowitz,
1995: 276-288, 279.
39 Vgl. etwa das Thesenblatt mit der von Wolfgang Kilian
gestochenen Allegorie, die einen österreichischen Fürsten
als Apoll auf dem Pegasus vor dem Parnass mit Musen
und einer Reihe ganzfiguriger Porträts österreichischer
Universitätsgründer zeigt (Michels, Anette. Philosophie und
Herrscherlob: Anfänge und Entwicklung des süddeutschen
Thesenblattes im Werk des Augsburger Kupferstechers
Wolfgang Kilian [1581 - 1663]. 2 Bde. Münster: Lit, 1987:
346-349); die von Johann Ludwig Schönleben verfasste Dissertatio Polemica De Prima Origine Augustissimae Domus
Habspurgo-Austriacae […] 1680 zeigt die im Text dargelegte genealogische Ableitung der Habsburger auch bildlich im
Kupfertitel mit Statuen der Regenten aus dem Hause Habsburg von Rudolf I. bis Leopold I., dem das Werk gewidmet ist.
40 Pierre LeMoyne verwendet für das Frontispiz seiner Gallerie des femmes fortes [Paris 1647], gestochen von Charles
Audran, zwar eine ähnliche Komposition: die Infantin Anna
von Österreich steht mit Ruhmespalme und Lorbeerkranz
gekrönt auf einem Podest mit der auf den Titel des Werks
verweisenden Inschrift, umgeben von herrscherlichen Tugenden wie Abundantia und Magnificentia. Das Postament
wird hinterfangen von einer Nischenarchitektur mit allegorischen Statuen. Doch wird Anna, der das Werk gewidmet ist,
nicht als Kunstheldin gefeiert, sondern als eine der in LeMoynes Schrift beschriebenen starken Frauen und damit als Tugendheldin. Diese Konstellation macht LeMoyne in seiner
panegyrischen Epistel auf die Königin mit der Erklärung des
Frontispizes deutlich. Dennoch nutzte auch die französische
Regentin nach dem Tod Ludwigs XIII. [1643] Kunstwerke
für die Manifestation ihres politischen Anspruchs. Vgl. dazu
Baumgärtl, Bettina und Neysters, Silvia Hg. Die Galerie der
starken Frauen – La Galerie des Femmes Fortes. Regentinnen, Amazonen, Salondamen. Ausst.-Kat. Kunstmuseum
Düsseldorf. München u. a.: Klinkhardt & Biermann, 1995.
41 Bereits für François I lässt sich durch den Erwerb von
vielen qualitativ hochwertigen Antiken, Gemälden und Skulpturen in Italien ab 1528 und der Einladung Michelangelos
1529 nach Frankreich von dem Versuch sprechen, „den im
Damenfrieden ausgesprochenen Verzicht auf seine territorialen Ansprüche in Italien durch einen gezielten Kunstraub
zu kompensieren“ (Tauber, Christine. „Der Künstler als Höfling: Rosso Fiorentinos Bild ‚Moses verteidigt die Töchter
des Jethro‘ als Allegorie einer gelungenen Patronagebeziehung.“ Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst.
Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage
(= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 20). Hg.
Ulrich Oevermann u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007:
127-150, 128).
42 Zu Praxis und Status adeligen Sammelns vgl. auch die
ausführliche Studie von Polleroß, Friedrich. Die Kunst der
Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters
Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653-1703). Petersberg:
Imhof, 2010.
43 Zu Arundels Sammlung mit ihren Beständen an Gemälden [1655 Inventar: 248 sakrale Stücke, 185 Porträts,
57 mythologische Bilder, 48 Landschaften, 20 Allegorien,
7 Stillleben, 3 Historienbilder], Graphiken und Zeichnungen siehe Jaffé, David. The Earl and Countess of Arundel.
Renaissance Collectors. Ausst.-Kat. J. Paul Getty Museum
Malibu. London: Apollo Magazine, 1995; Cesareo, Antonello.
„‚His House was resplendent with wonderful paintings and
fine ancient statues.‘ Nuova luce sulla collezione Arundel
da un inventario inedito.“ Da razionalismo al rinascimento:
per i quaranta anni di studi di Silvia Danesi Squarzina. Hg.
M. Giulia Aurigemma. Rom: Campisano, 2001: 378-384;
Angelicoussis, Elizabeth. „The collection of classical sculptures of the Earl of Arundel, ‚Father of Vertu in England‘.“
Journal of the history of collections 16 (2004): 143-159 sowie
die Studien von Howarth, David. Patronage and collecting in
the seven­teenth century. Thomas Howard Earl of Arundel.
Oxford: Ashmolean Museum, Univ. of Oxford, 1985; Ders.
„The Arundel collection. Collecting and patronage in England in the reigns of Philip III and Philip IV.“ The sale of the
century. Artistic relations between Spain and Great Britain,
1604-1655. Ausst.-Kat. Museo Nacional del Prado, 13.03.02.06.2002. Hg. Jonathan Brown und John Elliott. New Haven: Yale Univ. Press u. a., 2002: 69-86; Ders. „A question of
attribution. Art agents and the shaping of Arundel collection.“
Your humble servant. Agents in early modern Europe. Hg.
Hans Cools u. a. Hilversum: Verloren, 2006: 17-28. 44 „Junius’ Dedication for the First Edition, De Pictura Veterum.“, enthalten in Junius, Franciscus. The Painting of
the Ancients / De pictura veterum. According to the English translation [1638] (= California studies in the history of
art, 22). Hg. Keith Aldrich. Berkeley u. a.: Univ. of California
Press, 1991: 318.
45 Peacham widmete seinen Compleat Gentleman Lord
Arundels Sohn und bezeichnet William Howard selbst in seinem Tagebuch 1622 als großen ‚virtuoso‘; vgl. The Diary of
John Evelyn, Bd. 3: Kalendarium, 1650-1672. Hg. E. S. de
Beer. Oxford: Clarendon Press, 1955: 326 [19. Juni 1662].
46 Zu diesem Bild existiert noch ein Pendant, dass seine
Frau Alatheia Talbot vor der Flucht einer Bildergalerie zeigt
[Öl auf Leinwand, 1616, Arundel Castle].
47 Vgl. Gilman, Ernest B. Recollecting the Arundel Circle.
Discovering the Past, Recovering the Future (= Literature
and the Visual Arts. New Foundation 16). Bern u. a.: Lang,
2002: 36; zur Sammlung siehe auch Jaffé, David. „The Earl
and Countess of Arundel: Renaissance Collectors.“ Apollo
1996: 1-37.
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Ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier,
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1647 (= Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden, Bd. II. Hg. Martin Bircher). Reprographischer Nachdruck. München: A. Francke, 1970.
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Studien zur Ikonographie des Chronos in der französischen
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Klessmann, Rüdiger. „Anton Ulrich als Kunstsammler.“ Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. Leben und Regieren
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Braunschweig. Hg. Rüdiger Klessmann. Braunschweig:
Herzog Anton Ulrich-Museum, 1983: 147-152.
Lossow, Hubert. Michael Willmann (1630 - 1706), Meister
der Barockmalerei. Würzburg: Bergstadtverlag, Korn, 1994.
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päische Historienmalerei von Rubens bis Manet, Ausst.Kat. Wallraf-Richartz-Museum Köln u. a., Mailand u. a.:
Electa, 1988.
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
Pfeiff, Ruprecht. Minerva in der Sphäre des Herrscherbildes
von der Antike bis zur Französischen Revolution (= Bonner
Studien zur Kunstgeschichte, 1). Münster: Lit, 1990 (zugl.
Diss. Phil. Univ. Bonn 1989).
Ripa, Cesare. Iconologia overo descrittione di diverse imagini cavate dall’ antichità, e di propria inventione. Rom: Lepido Feay, 1603.
Rollenhagen, Gabriel. Nucleus emblematum selectissimorum […]. Köln: Crispin de Passe, 1611.
Sandrart, Joachim von. Teutsche Academie der Bau-, Bildund Mahlerey-Künste, 3 Bde. Nürnberg 1675-1680, zit.
nach der wissenschaftlich kommentierten Online-Edition.
Hg. Thomas Kirchner u. a., 2008-2012. 21. Juni 2014
<http://ta.sandrart.net/de/>.
Thomas, Petra. „Der Katalog im Bild – das Bild im Katalog.
Anmerkungen zur Präsentation einer Gemäldesammlung
in Bildern von David Teniers d. J.“ Forschung 107 (2004):
57-84.
helden. heroes. héros.
27
Christina Posselt-Kuhli
28
Abbildungen
Abb. 1: Joachim von Sandrart, Teutsche Academie,
2. Titelkupfer Iconologia deorum
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
29
Abb. 2: Michael Willmann, Allegorie auf den Großen Kurfürsten
als Beschützer der Künste, Öl auf Leinwand, 162 x 200 cm, 1682,
Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
helden. heroes. héros.
Christina Posselt-Kuhli
30
Abb. 3: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Auttorità o Potesta
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
31
Abb. 4: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Merito
helden. heroes. héros.
Christina Posselt-Kuhli
32
Abb. 5: Michael Willmann, 2. Entwurf zur Allegorie auf den Großen Kurfürsten,
Federzeichnung auf blauem Papier, 304 x 377 mm, Braunschweig, HAUM
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
33
Abb. 6: David Teniers, Theatrum pictorium,
Frontispiz, Kupferstich, 1658
helden. heroes. héros.
Christina Posselt-Kuhli
34
Abb. 7: Karl Gustav von Hille,
Der Teutsche Palmbaum, 1647
Abb. 8: Daniel Mytens, Thomas Howard, Second Earl of Arundel and Surrey,
Öl auf Leinwand, 207 x 127 cm, 1618, London, National Portrait Gallery
helden. heroes. héros.
Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Joachim von Sandrart, Teutsche Academie, 2. Titelkupfer Iconologia deorum, Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg, CC BY-SA 3.0 DE.
Abb. 2: Michael Willmann, Allegorie auf den Großen Kurfürsten als Beschützer der Künste, Öl auf Leinwand,
162 x 200 cm, 1682, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Nachweis: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Fotograf: Jörg P. Anders.
Abb. 3: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Auttorità
o Potesta, Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg,
CC BY-SA 3.0 DE.
Abb. 4: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Merito,
Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg, CC BY-SA
3.0 DE.
Abb. 5: Michael Willmann, 2. Entwurf zur Allegorie auf den
Großen Kurfürsten, Federzeichnung auf blauem Papier,
304 x 377 mm, 1682, Braunschweig, HAUM, Nachweis:
Wagner, Franz, Hg. Michael Willmann: Studien zu seinem
Werk. Salzburg: Verlag des Salzburger Barockmuseums,
1994, S. 12, Abb. 4.
Abb. 6: David Teniers, Theatrum pictorium, Frontispiz, Kupferstich, 1658, Nachweis: van Claerbergen, Ernst Vegelin,
Hg. David Teniers and the Theatre of Painting, London,
2006, Fig. 24.
Abb. 7: Karl Gustav von Hille, Der Teutsche Palmbaum,
1647, Nachweis: © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: 166.13 Eth [http://diglib.hab.de/drucke/16613-eth/start.htm?image=00009]; CC BY-SA 3.0 DE (Abruf:
16.12.2014).
Abb. 8: Daniel Mytens, Thomas Howard, Second Earl of
Arundel and Surrey, Öl auf Leinwand, 207 x 127 cm, 1618,
London, National Portrait Gallery, Nachweis: © National
Portrait Gallery, London.
helden. heroes. héros.
35
36
helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/04
37
Isabelle Chariatte
Transfigurations du héros dans la culture
mondaine du siècle classique :
Madeleine de Scudéry, La Rochefoucauld, le chevalier de Méré
Introduction
N’est-ce pas une tentative paradoxale de chercher des traces d’héroïsme dans la culture mondaine puisqu’au XVIIe siècle le héros est avant
tout associé à une éthique de la gloire construite
sur sa mise en scène brillante ? Celle-ci s’oppose à l’ethos d’humilité recherché par la culture
mondaine qui s’appuie sur le naturel de l’honnête homme et sur le refus même de mettre en
évidence le moi.1 D’une part, le théâtre cornélien chante le héros assumant, dans sa générosité, les impulsions de l’âme et sacrifiant, dans
son élan vers la gloire, affectivité et sensibilité.2
D’autre part, dans la culture mondaine, l’honnête
homme refuse l’extraordinaire, s’adonne à un
travail subtil pour parfaire son apparence et recherche une symbiose avec son entourage. Ce
modèle atteint la perfection par un art de vivre :
il maîtrise les codes subtils de la civilité, en particulier la conversation comme expression d’une
sensibilité envers l’autre dans l’espace social.3
La réalité sociohistorique du XVIIe siècle dés­
amorce néanmoins ce paradoxe, car les grands
salons – berceaux de la sociabilité – accueillent
leurs invités, issus de l’ancienne noblesse attachée à un modèle de civilité construit sur les
valeurs héroïques comme l’honneur, la gloire, le
mérite et le courage. Pensons au Grand Condé,
à La Rochefoucauld ou à la Grande Demoiselle
et à Mme de Longueville qui, en participant
tous activement aux combats de la Fronde, incarnent d’une certaine façon l’adhésion à l’idéal
héro­ïque. Cependant, ils cultivent aussi assidument la sociabilité dans les salons. L’ancienne
nob­lesse adhère au nouveau modèle de civilité
fondé sur l’urbanité, développée par Guez de
Balzac, et sur l’honnêteté, considérée comme
la continuation des modèles étrangers, à l’instar
de celui de la cour de Ferrare, du Courtisan de
Baldassare Castiglione ou de L’oráculo manual
de Baldasar Gracián.4 Le héros guerrier se civilise en honnête homme lorsqu’il paraît dans
les espaces mondains. Mais en raison à la fois
helden. heroes. héros.
de la défaite de la Fronde et de l’établissement
progressif d’une politique absolutiste qui soumet
l’ancienne aristocratie au nouveau pouvoir royal
centraliste, le modèle héroïque ne peut être perpétué que s’il est délogé de sa réalité historique
et transposé à la sphère littéraire. Une fois que
le glas a sonné pour la conception sociopolitique
du héros, un véritable engouement littéraire pour
les mises en scène de personnages héroïques
se manifeste dans les milieux mondains. Dans
ces lieux de première réception littéraire, Cor­
neille lit ses pièces avant de les représenter.5
Le cercle de Mme de Rambouillet est une scène
importante pour la querelle du Cid.6 Les romans
scudériens qui chantent aussi bien l’héroïsme
que la sociabilité sont très en vogue parmi les
mondains,7 qui aiment à se reconnaître dans les
rôles extraordinaires que retracent d’eux les portraits à clé. Dans sa correspondance avec Mme
de Sévigné, Bussy-Rabutin appelle sa maî­tresse
« Chimène » [il s’agit de Mme de Montglas] et
l’associe ainsi à l’héroïne du Cid tout en s’attribuant indirectement le rôle de Rodrigue (Sévigné
I, 24, 29, 211). Cette correspondance foisonne
par ailleurs de citations, tirées des tragédies
de Corneille, qui apportent un commentaire sur
telle ou telle situation, souvent sans aucune relation avec le fait divers rapporté (p. ex. Sévigné
I, 142, 165). L’identification à des personnages
courageux et hors-norme dans les romans ainsi que l’imbrication de vers tirés de tragédies
dans les discours mondains retracent le portrait
d’une noblesse qui se projette dans un univers
romanesque peuplé de héros, de chevaliers ou
de nymphes (Génétiot, Vincent Voiture 257). Le
côtoiement de l’héroïsme et de la mondanité,
deux modèles de civilité apparemment si opposés dans leurs valeurs et dans leur rhétorique,
appelle ainsi à s’interroger sur les liens entre le
héros traditionnel et la culture mondaine. Les
valeurs héroïques usuelles entretiennent-elles
avec les valeurs civiles des rapports de présence, de rupture ou de continuation ? L’idéal
héroïque laisse-t-il des traces dans l’idéal mon-
Isabelle Chariatte
38
dain ? Le héros sera-t-il sacrifié en faveur de
l’honnête homme ? Par le biais de trois textes,
Clélie de Madeleine de Scudéry, les Maximes
de La Rochefoucauld et Des Agréments du chevalier de Méré, il sera possible d’interroger les
enjeux des valeurs héroïques dans la fabrication
d’un idéal mondain.
Héroïsme et sociabilité : deux
modèles de civilité incompatibles ?
L’idéal héroïque de la première moitié du XVIIe
siècle est construit sur une longue tradition dont
les étapes les plus significatives sont constituées
par le modèle aristotélicien du Magnanime, élaboré dans l’Éthique à Nicomaque,8 ensuite par
la définition de la ‘grandeur’ développée par les
moralistes romains et enfin par le modèle chrétien médiéval du chevalier. Sous Louis XIII, et
particulièrement dans le théâtre de Corneille,
l’idéal héroïque s’exprime par l’éthique de la
gloire, qui s’oppose à la sévérité néostoïcienne.9
Le héros manifeste une énergie individuelle
qui exalte le moi. La confiance dans les forces
et dans les passions humaines le conduit à se
battre pour servir l’honneur et la gloire jusqu’au
sacrifice de soi en faveur de la collectivité. Par
ailleurs, le héros se réclame des moyens rhétoriques de l’orateur, de sa mise en scène par
la parole et de la déclamation. Cette rhétorique
s’inscrit dans la tradition jésuite de la chaire ainsi
que dans celle de l’éloquence du barreau.
Dans cette même première moitié du XVIIe
siècle, qui chante l’héroïsme et les valeurs qui
l’accompagnent d’honneur, de gloire et de grandeur, s’instaure en France un nouveau modèle
de civilité. Celui-ci prend naissance et se déploie
dans les salons, appelés à l’époque « ruelles »
et organisés autour de dames, dont nous sont
restés en particulier les noms de Mme de Rambouillet, de Mlle de Montpensier, de Mme de La
Sablière, de Mme de Sablé ou de Mme de Lafayette. En accueillant les Grands de l’époque, le
premier salon, celui de la marquise de Rambouillet et de sa fille, absorbe le modèle de civilisation
héroïque, mais le civilise grâce au contact avec
une nouvelle esthétique élaborée par les gens
de lettres, tels Guez de Balzac, Vincent Voiture,
Gilles Ménage, Georges et Madeleine de Scudéry ou Mme de Sévigné, qui participent tous
au développement de l’esthétique classique.10
Le nouveau canon à la mode est désormais imprégné d’un art de vivre marqué de réciprocité,
d’égalité, de respect, mais aussi de naturel, de
sensibilité, de douceur, de gaieté et d’enjouement. Ces cercles privés cherchent à créer un
bonheur social reposant sur la conversation
capable de véhiculer toutes les valeurs cultivées
dans les salons. Marquée par la présence civilisatrice des femmes,11 la rhétorique mondaine
refuse le pathos du héros traditionnel et tend au
but unique et suprême – celui d’être agréable. Il
faut savoir plaire, bien sûr à la dame qui reçoit,
mais aussi à tout le cercle. L’art de la conversation s’inscrit alors dans la tradition rhétorique
de l’aptum et du decorum, notions cicéroniennes
déjà retravaillées dans les traités de civilité italiens et espagnols et qui s’ancrent par la suite
dans la conception de l’honnête homme en
France.
A partir de cet aperçu, on serait enclin à déduire que ces deux modèles de civilité s’excluent
sur tous les plans. L’héroïsme place au centre de
son éthique de la gloire des valeurs « mâles »,12
inscrites dans la tradition chevaleresque, féo­
dale et guerrière, tandis que la culture mondaine
se fonde sur la sociabilité, traditionnellement
liée au « féminin ». L’éclat du héros se heurte
à l’idée de l’harmonie sociale recherchée par
l’honnête homme « qui ne se pique de rien »
(La Rochefoucauld max. 203). Les moyens rhétoriques opposent la déclamation héroïque à la
finesse mondaine. Le héros et l’honnête homme
semblent donc profondément incompatibles de
par leur nature, leur mise en scène du moi et leur
rhétorique. Or, de la même façon que ces deux
conceptions de l’être humain coexistent dans
la réalité sociohistorique, qu’elles se côtoient,
se fréquentent et sont incarnées dans certains
personnages historiques, elles sont travaillées,
repensées et interrogées par la littérature de la
seconde moitié du XVIIe siècle.
Les romans de Madeleine de
Scudéry : alliance de l’héroïsme
et de la sociabilité
Les romans scudériens [Madeleine de Scudéry 1607-1701] forment une étape déterminante
expliquant les imbrications de la culture héro­
ïque et mondaine. Si les plus longs romans de
la littérature française Artamène ou Le Grand
Cyrus et Clélie13 chantent des personnages
dont les prouesses prouvent le courage illimité
et inimitable dans des combats extraordinaires
admirés par tous, ces textes absorbent aussi le
modèle de civilité des salons, ce qui se reflète
dans les longs passages de conversations proposant des analyses subtiles des passions et
des actions humaines. Ils composent donc une
symbiose parfaite des deux modèles – héroïque
et mondain. D’une part, ils traduisent de façon
idéalisée la réalité sociopolitique de l’époque,
des années 1640-1660 environ, marquée par
helden. heroes. héros.
Transfigurations du héros
l’élan de l’ancienne noblesse encore attachée
aux valeurs de l’honneur, de la gloire et de la
générosité et qu’elle défend une dernière fois
lors de la Fronde. D’autre part, ces romans annoncent la nouvelle réalité socioculturelle des
salons fondée sur le raffinement et la subtilité.
Cependant, dans ces romans, ces deux univers
ne font pas que se juxtaposer, car les héros en
incarnent une réelle symbiose, en entrelaçant la
grandeur héroïque aux valeurs sensibles. Alors
que le héros cornélien doit sacrifier sensibilité et
affectivité à la gloire, le héros scudérien touche
à son accomplissement à condition qu’il les assimile ; l’héroïsme mâle est conjugué à la douceur
féminine. Ceci est valable pour les personnages
et masculins et féminins qui témoignent de leur
nature extraordinaire à la fois par leurs actions
héroïques et par leur maîtrise de la conversation. Le portrait d’Aronce, brossé dans Clélie,
propose la définition d’un « homme accompli »
(Scudéry vol. 1, 71) :
[...] Premièrement Aronce a infiniment de
l’esprit ; il l’a grand, ferme, agréable, et
naturel tout ensemble [...]. Pour du cœur,
Aronce en a autant qu’on peut en avoir
[…] celui qui pardonne aux faibles et qui
tient autant de la générosité que de ce
qu’on appelle précisément courage et valeur. De plus, Aronce a l’âme tendre, et le
cœur sensible ; il aime ses amis comme
lui-même ; il les sert avec ardeur [...]. Il a
de la douceur, de la bonté, et un charme
inexplicable dans sa conversa­tion, qui le
rend maître du coeur de tous ceux qui
l’approchent ; et pour le définir en peu de
mots, Aronce pourrait être admirablement
honnête homme, de quelque condition
qu’il fût né, car il a toutes les vertus qu’on
pourrait désirer en tous les hommes.
(Scudéry vol. 1, 71-72)
La perfection du protagoniste de Clélie provient
précisément du rapprochement des valeurs héroïques et sensibles et ceci dans toutes les dimensions de l’être humain. Son esprit évoque
d’une part les qualités héroïques [« grand,
ferme »], d’autre part, il rappelle les valeurs clés
de l’espace mondain [« agréable et naturel »].
Son cœur est habité par le courage,14 mais il est
aussi sensible et enclin à l’amour, à la compassion et à l’amitié. Enfin, le héros scudérien maîtrise parfaitement l’art de la conversation qui le
porte à la perfection et à un statut d’« homme
accompli ».
Pour assurer un effet de miroir, Madeleine
de Scudéry ne manque pas de retracer aussi le
portait de Clélie comme femme accomplie, en
travaillant néanmoins par un biais différent l’alliance des valeurs héroïques et sensibles :
helden. heroes. héros.
Mais Madame, je suis contraint d’avouer
que je n’ai jamais rien vu de plus beau que
Clélie ; car imaginez-vous qu’elle n’a pas
seulement tout ce qui fait la grande beauté, c’est-à-dire les cheveux blonds, les
yeux brillants, le tour du visage agréable,
la bouche bien faite, les dents belles, le
teint admirable, les mains merveilleuses,
et la physionomie spirituelle, mais qu’elle
a encore tous les charmes de la beauté.
Car elle a l’air galant et modeste ; elle a la
mine haute et douce ; et il ne lui manque
rien de tout ce qui peut imprimer du respect et donner de l’amour à tous ceux qui
la voient. Mais ce qui la rend encore plus
aimable, c’est qu’elle a autant d’esprit
que de beauté. Sa vertu, quoiqu’extrême,
n’a pourtant rien d’altier ni de rude ; au
contraire il y a quelque chose de si aisé,
et de si galant dans sa conversation,
qu’on est charmé d’être auprès d’elle ;
car encore que Clélie ait l’âme ferme, et
hardie, et qu’elle l’ait beaucoup au-dessus
de son sexe, elle a pourtant une douceur
si engageante, qu’on ne peut lui résister ;
et cette grandeur d’âme qui lui fait mépriser les plus grands périls, quand elle s’en
voit menacée, n’empêche pas qu’elle n’ait
même une certaine modestie craintive sur
le visage, qui sert encore à la rendre plus
aimable. Cependant quoiqu’elle n’ait rien
de fier ni de superbe dans la mine, elle
a pourtant l’air noble, la grâce assurée,
et l’action fort belle et fort libre. (Scudéry,
Clélie I, 107-108)
Comme c’était le cas pour Aronce, le but du
portrait de Clélie est de souligner sa perfection.
Conforme au code traditionnel, celle-ci se désign­e par la beauté qui s’adapte cependant aux
normes précieuses ; en d’autres termes, Madeleine de Scudéry brosse un portrait qui n’en est
pas un, puisque tous les adjectifs r­ es­tent imprécis projetant une image de la beauté féminine,
qui reste insaisissable mais idéale. Ensuite, l’auteure procède à une définition de l’excellence de
Clélie dans les dimensions de l’esprit, du cœur
et de l’âme tout en associant systématiquement
les valeurs héroïques aux valeurs mondaines.
Attardons-nous un moment sur les adjectifs caractérisant la protagoniste. « Elle a l’air galant et
modeste » ; « la mine haute et douce » ; « [elle
imprime] du respect et [donne] de l’amour » ;
elle a « l’âme ferme et hardie » tout en ayant
« une douceur si engageante, qu’on ne peut lui
résister ». Sa « grandeur d’âme » lui permet d’affronter les plus grands périls tout en ayant « une
certaine modestie craintive sur le visage ».
Madeleine de Scudéry associe ici les opposés pour assurer la perfection de Clélie.
Alors que dans le portrait d’Aronce, les valeurs
des deux univers – héroïque et sensible – se
39
Isabelle Chariatte
40
complètent par juxtaposition, l’association des
deux systèmes de valeurs, dans l’exemple féminin, permet de définir le juste milieu et d’écarter
toute éventuelle connotation négative. L’héroïne
scudérienne est galante et modeste, car si elle
n’était que galante, elle pourrait être coquette,
alors que l’association à la modestie garantit à la
galanterie sa pureté. Si elle était uniquement modeste, on pourrait la considérer comme une personne retirée, timide et faible, tandis que le rapprochement à la galanterie, donc à son antipode,
la rend parfaite. Les autres couples d’épithètes
opposés fonctionnent tous de la même manière :
être à la fois haute et douce, inspirer du respect
et de l’amour, avoir de la grandeur d’âme et de
la modestie craintive. Cet assemblage de qualités opposées excluant toute déviation définit la
perfection de Clélie. Madeleine de Scudéry recourt aussi aux conceptions traditionnellement
mâles et féminines, puisque le courage est associé d’abord aux hommes, comme l’indique
« l’âme ferme est hardie [qui] est [...] beaucoup
au-dessus de son sexe ». L’auteur adopte ainsi
deux types de procédés différents pour exposer
l’achèvement de ses personnages masculins ou
féminins. Si, dans l’univers scudérien, le héros
réunit en lui les qualités à la fois héroïques et
sensibles pour en démontrer leur complémentarité, l’héroïne fait preuve d’une symbiose des
opposés annonçant sa perfection qui repose sur
la pureté des valeurs dont tout excès corrosif est
écarté.
Au lieu d’opposer l’héroïque au mondain,
Madeleine de Scudéry les conjugue. Les valeurs
attribuées traditionnellement à l’univers mâle
et féminin se complètent désormais de sorte à
conférer aux personnages une dimension parfaite (Chariatte 132-140). Le roman scudérien
joue ainsi un rôle capital dans le rapprochement
de la culture héroïque et mondaine, puisque,
grâce à sa dimension fictive, il n’en montre pas
une image paradoxale, mais idéale, projetant un
nouveau modèle de civilité : héroïsme et sensibilité ne sont plus des forces antagonistes, mais
se complètent pour représenter des exem­ples
d’êtres humains parfaits et accomplis qui, toujours dans la tradition du héros, gagnent l’admiration de tous.
Madeleine de Scudéry tente ainsi de faire
une synthèse entre un ancien modèle de civilité fondé sur les valeurs féodales et un nouveau
construit sur les valeurs mondaines, tels le naturel, la bienséance, la sensibilité, la conversation, l’honnêteté. Dans la période de transition
avant l’affirmation du règne absolutiste de Louis
XIV, ce modèle romanesque connaît beaucoup
de succès. Avec la mise en place du règne du
roi Soleil qui asservit de plus en plus l’ancienne
noblesse et instaure une véritable culture de
courtisans, le projet de civilité lancé par le biais
des romans de Madeleine de Scudéry passe cependant rapidement de mode.
Les Maximes de La Rochefoucauld :
critique de l’héroïsme dans l’espace
mondain
Malgré l’appartenance de La Rochefoucauld à
l’ancienne noblesse [il est duc et pair de France]
et son passé de frondeur, représenté dans ses
Mémoires par une mise en scène excessive de
l’héroïsme, les Maximes s’inscrivent dans une
entreprise moraliste. L’auteur ne chante ni l’héroïsme ni la sociabilité, mais pose un regard désabusé sur la société contemporaine qu’il considère mue par l’amour-propre, la fortune et les
humeurs. Dans ses 504 maximes, publiées entre
1665 et 1678, La Rochefoucauld se montre très
critique à propos de tout système de valeurs,
et particulièrement à propos de celui lié à l’ancien idéal héroïque.15 C’est pourquoi Bénichou
associe de façon très judicieuse la morale des
Maximes de La Rochefoucauld à la « démolition
du héros », démolition qu’il explique principalement par la progression de l’augustinisme dans
la seconde moitié du XVIIe siècle. Effectivement,
dans les Maximes, bien souvent, la gloire est
réduite à une expression de l’amour-propre qui
abaisse autrui pour mieux enfler le moi. Le courage n’est en réalité que vanité, honte ou désir
de rendre la vie commode et agréable.16 La générosité comme principe même du héros a perdu sa signification et est réduite à une ambition
déguisée. « Ce qui paraît générosité n’est souvent qu’une ambition déguisée qui méprise de
petits intérêts, pour aller à de plus grands. » (La
Rochefoucauld max. 246) Alors que certaines
maximes confirment effectivement une vision
dépréciative de l’idéal héroïque, d’autres en reconnaissent la validité.
L’intrépidité est une force extraordinaire de
l’âme qui l’élève au-dessus des troubles,
des désordres et des émotions que la
vue des grands périls pourraient exciter
en elle ; et c’est par cette force que les
héros se maintiennent en un état paisible,
et conservent l’usage libre de leur raison
dans les accidents les plus surprenants et
les plus terribles. (La Rochefoucauld max.
217)
Il serait donc erroné de conclure que La Rochefoucauld réduit tout principe héroïque à l’amourpropre. L’œuvre discontinue des Maximes
ré­clame une lecture nuancée qui exclut la démolition radicale du héros. D’ailleurs, parmi toutes
helden. heroes. héros.
Transfigurations du héros
les maximes consacrées aux valeurs héroïques,
La Rochefoucauld oscille souvent entr­e une définition positive et négative. L’ambition peut être
dégradée à un « effet[s] de l’humeur et des passions, et de jalousie » (La Rochefoucauld max.
7) ou valorisée en tant qu’« activité et ardeur de
l’âme » (La Rochefoucauld max. 293).
La peinture dialectique des valeurs héroïques
permet au moraliste d’en faire un déplacement passionnant, qu’il est possible d’illustrer à
l’exemple de la gloire. Profondément dépréciée
dans les Maximes, la gloire semble n’exprimer
plus qu’un besoin égoïste. Le plus souvent, elle
est dénoncée comme finalité intéressée d’une
action, surtout dans le milieu social :
Rien n’est moins sincère que la manière
de demander et de donner des conseils.
Celui qui en demande paraît avoir une déférence respectueuse pour les sentiments
de son ami, bien qu’il ne pense qu’à lui
faire approuver les siens, et à le rendre garant de sa conduite. Et celui qui conseille
paie la confiance qu’on lui témoigne d’un
zèle ardent et désintéressé, quoiqu’il ne
cherche le plus souvent dans les conseils
qu’il donne que son propre intérêt ou sa
gloire. (La Rochefoucauld max.116)
La gloire, comme toute autre expression héro­
ïque, est contraire à la sociabilité qui recherche
l’échange réciproque de la parole et une harmonie sociale construite sur un pied égalitaire.
Incompatible avec la sociabilité, la gloire ainsi
que toutes les valeurs héroïques sont dénoncées dans l’espace de l’échange civil. Toutefois,
le moraliste procède à une réorientation extraordinaire : « Il est aussi honnête d’être glorieux
avec soi-même qu’il est ridicule de l’être avec les
autres. » (La Rochefoucauld max. 307)
Pour La Rochefoucauld, les valeurs héro­
ïques ne peuvent subsister dans l’espace social
que si elles sont intériorisées. Seulement sous
cette forme-là, la gloire ne se confond pas à
l’élan individuel cherchant à éblouir les autres
et réclamant l’admiration de tous. Elle se transforme alors en un sentiment de grandeur intérieure qui confère une valeur morale à l’honnête
homme. Dans ce sens, le processus d’intériorisation correspond aussi à une « purification »
des pas­sions. Alors que les romans scudériens
chantent des protagonistes à la fois héroïques
et sensibles admirés par tous, l’honnête homme
de La Rochefoucauld intériorise les valeurs héroïques17 – tout comme d’ailleurs les valeurs
sensibles (Chariatte 152-166). La perfection de
l’être humain semble encore être construite sur
la coprésence de ces valeurs antinomiques qui,
comme déjà pour le roman scudérien, ne s’excluent pas, mais qui, dans la perspective de La
helden. heroes. héros.
Rochefoucauld, sont absorbées par l’intériorité
et donc transfigurées afin de conférer une grandeur morale et une connaissance subtile de la
sociabilité. L’homme accompli n’est pas décoré
du « masque » de l’honnêteté, comme le suggère Starobinski, mais il intègre et transcende
les qualités liées au courage pour se parfaire et
devenir tout à la fois acteur et spectateur de ses
qualités sur la scène mondaine. Le combat héroïque s’est entièrement déplacé du champ de
bataille vers l’intériorité où il est glorieux d’éradiquer les obstacles empêchant l’honnêteté de
s’exprimer pleinement.
L’absorption des valeurs héroïques dans l’intériorité procède à une époque qui se détache
du modèle héroïque. Ces années correspondent
à la fin de la morale néostoïcienne et de l’idéal
aristotélicien du Magnanime, à l’échec de la
Fronde – à laquelle La Rochefoucauld a participé, à la progression de l’augustinisme dans le
monde et surtout à l’affirmation de l’absolutisme
sous le règne de Louis XIV. Si tous ces facteurs
socioculturels récusent l’héroïsme comme modèle de civilité, celui-ci se déplace entièrement
vers l’intériorité où il est redéfini afin de perpétuer
une grandeur morale à l’être humain – précisément dans la configuration de l’honnête homme.
Des Agréments du chevalier de
Méré : refus ou transfiguration du
modèle héroïque ?
Le chevalier de Méré construit son modèle de
civilité sur l’honnêteté à partir de l’espace de
sociabilité marqué par la présence des dames.
En ouverture Des Agréments [1676], Méré dédie
son texte à Madame de ***18, chante sa beauté
et l’associe aux muses qui inspirent les poètes
et qui savent parfaire les deux dimensions essentielles de l’être humain – le cœur et l’esprit.
(Méré, Des Agréments 9) Cette entrée dans le
texte le place d’emblée sous l’empire féminin,
d’une part en récupérant la tradition courtoise de
la dame qui inspire le chevalier ou le troubadour,
d’autre part, en évoquant la conception mythologique des grâces qui donnent le souffle créateur
aux poètes. Le théoricien Des Agréments place
ainsi son propos sous l’égide de l’esthétique, de
l’inspiration et de la dame, donc de l’univers féminin – trois dimensions qui toutes sont fondamentales pour la formation de l’honnête homme.
Dans Des Agréments, Méré érige en maxime
capitale du savoir-vivre mondain la qualité de
plaire dans le monde, d’inspiration néoplatoni­
cienne et déjà travaillée dans L’Astrée.19 Les
agréments sont l’expression d’une quête d’un
idéal dans l’espace social et civil – aussi bien
41
Isabelle Chariatte
42
pour l’homme que pour la femme. Pour Méré,
l’être humain touche à son accomplissement
et atteint sa perfection en société grâce à un
travail sur lui-même qui consiste à polir, entre
autres, les qualités du cœur et de l’esprit pour se
rendre agré­able aux autres. Les agréments s’apprennent en fréquentant le monde, mais leurs
moyens d’expression sont si subtils que seul le
discernement, appelé « bon goût », permet de les
percevoir et d’en être touché. Quelles sont alors
les aménités qui décorent l’honnête homme ?
Les façons de faire pour plaire ne suive­nt pas de
règ­les fixes, mais sont l’expression d’un discernement subtil suggérant comment se comporter
dans quelle situation. On plaît lorsque le corps et
l’esprit agissent de concert et expriment le naturel, la joie et la confiance. Cette conception des
agréments rappelle le decorum de Cicéron (De
Officiis I, 35). L’honnête homme refuse tout ce
qui est artificiel, superficiel ou hypocrite et agit
conformément à sa nature, soumise à un travail imperceptible. Il en résulte le naturel, le bon
air et l’humeur enjouée qui ne font qu’insinuer
la perfection de l’honnête homme. La quête du
juste milieu réclame une certaine modération,
mais n’exclut pas la surprise ni l’excellence. Au
contraire, les talents accompagnés d’une adroit­e
connaissance rendent l’honnête homme plaisant. Son mérite, sa grandeur et son excellence
ne le décorent pas de façon éclatante, car ce qui
éblouit est considéré comme superficiel et faux :
« Ce qui plaît consiste en des choses presque
imperceptibles. » (Méré, Des Agréments 14) Et
ce n’est qu’« à la seconde vue » que la qualité de l’honnête homme transparaît et peut être
pleinement appréciée. Quelle place peut alors
encore prendre le héros qui construit son rayonnement sur la gloire, la grandeur et la générosité
du moi ? Le modèle héroïque peut-il coexister à
celui de l’honnête homme, doit-il être intériorisé
ou transfiguré ? Doit-il être sacrifié au profit de
l’harmonie sociale ?
A première vue, Méré semble récuser très
nettement la conception traditionnelle du héros :
Le caractère héroïque n’est pas fait pour
plaire, au moins comme on le représente
ordinairement. ‹ Ma vertu pour le moin­s ne
m’abandonne [trahira] pas. › [Cinna, I, 4].
Il faut bien que cela se devine, et que le
procédé le donne à connaître. Mais ce
n’est pas le moyen de faire aimer sa vertu,
ni même de persuader qu’on a du mérite,
que d’en parler si ouvertement. (Méré,
Des Agréments 15)
Méré rejette la démarche cornélienne qui fait déclamer au héros, par le biais de la grande rhétorique, sa nature glorieuse ; ceci va entièrement à
l’encontre de l’honnête homme. La mise en va-
leur du moi est fortement honnie dans l’espace
civil où il faut, à partir de l’aptum, s’effacer, ne se
piquer de rien ni affirmer sa grandeur. La grande
éloquence fait place au style de la mediocritas,
propre à l’espace de politesse. Alors que, sur la
scène cornélienne, le héros chante sa gloire et
en fait preuve par ses actions brillantes, sur la
scène mondaine, l’honnête homme exprime sa
perfection par le biais de la gentillesse, de la
délicatesse et de la création d’un espace libre
de réciprocité dans lequel l’excellence n’est jamais éclatante. Elle peut au contraire être perçue à l’aide du bon goût qui donne le discernement pour les qualités élevées, mais discrètes
de l’honnête homme – « un brillant sans éclat »
d’après Vanhouck. Tout ce qui éblouit et réclame
de l’admiration est considéré par Méré comme
faux et illusoire. C’est uniquement l’expression
discrète de son excellence qui rend l’honnête
homme plus aimable et qui lui confère du mérite.
Celui-ci n’est plus construit sur les codes militaires des actions valeureuses et honorables,
mais transposé à la sociabilité. La notion de grandeur – telle qu’affichée par le héros cornélien –
est, elle aussi, entièrement civilisée, c’est-à-dire
qu’elle définit celui qui maîtrise parfaitement les
codes de politesse et qui sait plaire. C’est ainsi
que Méré récupère les notions de grandeur, de
mérite et de perfection qui qualifient traditionnellement le héros et qu’il les transpose à l’univers
de la sociabilité.
Toutefois, l’attitude critique de Méré face au
héros se limite à sa mise en scène et à sa rhétorique. Dans la Conversation 6, le théoricien
de l’honnêteté souligne l’importance de la gloire
dans la construction des héros et des rois. « La
gloire est le plus beau de leur bien et leur principal intérêt. Tous les héros et tous les grands
hommes s’y sont dévoués. » (Méré, Conversations 80) Pour aller à la gloire et récolter l’honneur, ils expriment avec discernement leur grandeur d’âme et leur mépris de la mort. César est
cité en exemple : « César avait toujours la gloire
devant les yeux qui lui faisait prendre le parti le
plus héroïque. » (Méré, Conversations 91-92)
Alors que ces réflexions pourraient faire croire
que Méré accepte, dans le contexte politique ou
militaire, pleinement le modèle héroïque traditionnel dont le principe même est la gloire, cette
conversation avance une série d’arguments associant les qualités héroïques aux plaisirs de la
vie en société, « comme de nous entretenir librement avec les personnes que nous aimons, et de
pouvoir disputer de certains avantages où la fortune et la grandeur n’ont point de part. [...] Il faut
avoir de la complaisance en galant homme pour
rendre la vie agréable. » (Méré, Conversations
84) Méré entremêle ainsi les qualités civiles de la
galanterie aux qualités héroïques et les conjugue
helden. heroes. héros.
Transfigurations du héros
adroi­tement, car seules les qualités de l’esprit et
de l’enjouement confèrent la véritable grandeur
et le véritable bonheur aux princes et aux héros.
« Je trouve bien plus beau ce je ne sais quoi
de civil et de majestueux tout ensemble qui fait
sentir avec plaisir que de certains princes sont
les maîtres : plus ils s’approchent, plus on se recule et surtout les honnêtes gens qui n’abusent
jamais de rien. » (Méré, Conversations 85) Méré
fait remonter ce modèle de sociabilité à L’Astrée,
et cite la maxime « ‘Aime si tu veux être aimé’ »
(Méré, Conversations 86) qui, bien qu’elle soit
adaptée ici au texte de d’Urfé, est tirée de Sénèque, Lettres à Lucilius, 9, 6.20 C’est en récupérant le modèle de l’amour néo-platonicien de
d’Urfé que Méré peut justifier le passage du mérite construit sur les actions héroïques au mérite
fondé sur l’amour défini ici comme lien social :
« L’on élève ou l’on abaisse le mérite selon qu’on
aime ou qu’on hait les gens. » (Méré, Conversations 86) Dans sa description de César, Méré
va jusqu’à le décorer de qualités civiles qui, à
elles seules, expliqueraient le succès de ses
campagnes. Il s’avère ainsi que même dans le
cas de personnages militaires comme César, ce
ne sont en fin de compte que les qualités civiles
qui contribuent à la perfection et à l’excellence
du héros, même dans ses actions militaires et
valeureuses.21
Quoique le héros cornélien soit banni de
l’univers de sociabilité, en raison de l’éclat de
sa mise en scène et de sa rhétorique contraire
à celle de l’honnête homme, Méré reconnaît
néanmoins que, dans l’espace de la guerre et
de la politique, la gloire et le mérite doivent impérativement être complétés par des qualités sociables afin d’éviter toute forme de barbarie. Cet
exemple démontre clairement que Méré érige
les qualités sociables en principe suprême de sa
conception de l’être humain, même de celle du
héros, sans lesquelles l’homme ne peut accéder
à sa perfection ni dans l’univers héroïque ni dans
l’univers mondain.
C’est ainsi que Méré redéfinit dans l’espace
mondain les notions attribuées traditionnellement au héros. Pour l’honnête homme, la vraie
grandeur ne procède pas de « la fortune », mais
elle « vient du cœur et de l’esprit » et s’exprime
dans « l’air noble » (Méré, Des Agréments 2021). Considérée comme la qualité héroïque par
excellence depuis Aristote, la grandeur est, d’une
part, intériorisée dans l’humilité du cœur, d’autre
part, elle est civilisée et s’exprime par l’esprit enjoué qui doit plaire. L’esprit fin, la modestie et la
gentillesse apparaissent sans éclat dans la mine
et dans l’union heureuse des actions du corps et
de l’esprit. En vertu de vouloir plaire, l’honnête
homme est décoré d’une « humeur enjouée »
exprimant une « grande confiance », ornement
helden. heroes. héros.
refusant catégoriquement l’admiration. « Un
honnête homme doit vivre à peu près comme un
grand prince qui se rencontre en un pays étranger sans sujets et sans suite, et que la fortune
réduit à se conduire comme un honnête particulier. » (Méré, Des Agréments 21)
Enfin, pour illustrer sa définition de la grandeur, Méré fait une comparaison entre deux
palais royaux : « Le Louvre est plus grand que
Versailles, mais Versailles est plus beau, plus
noble, et plus agréable que le Louvre, et même
il sent plus cette véritable grandeur qui plaît aux
personnes de bon goût. » (Méré, Des Agréments 22) La vraie grandeur n’est donc ni celle
qui paraît à première vue ni celle qui correspond
à des critères politiques, mais elle est celle qui
confère au bâtiment une valeur esthétique, et
donc supérieure, comme en témoignent les adjectifs comparatifs « plus beau, plus noble et
plus agréable ». La véritable grandeur ne peut
être saisie que si l’on est doté du « bon goût »,
c’est-à-dire d’une perception esthétique qui se
situe au-delà des catégories de l’entendement et
qui procure une vision plus subtile de la réalité.22
Dans la suite de cette réflexion, ni la grandeur du
Louvre ni celle de Versailles ne sont associées à
leur valeur politique, car cette dimension s’avère
être entièrement contraire à la sociabilité : « Le
commandement des inférieurs sent plus l’esclavage arrogant que le maître absolu, car il n’a rien
de civil ni de noble. » (Méré, Des Agréments 22)
En introduisant le terme « esclavage arrogant »,
Méré procède à un renversement extraordinaire
de la notion héroïque de la grandeur, qui désormais n’est plus liée à la noblesse ni à l’exercice
du pouvoir politique, mais au contraire elle est
entièrement et uniquement rattachée à la civilité.
Le héros traditionnel associé historiquement à
l’aristocratie et à la gouvernance s’exprime, chez
Méré, par le biais de l’espace d’intériorité et de
civilité. Les notions de grandeur, de noblesse et
de mérite sont alors redéfinies comme capacité
à plaire dans le monde. L’éclat du héros qui se
perçoit à première vue est considéré, dans l’espace mondain, comme obstacle au vrai « bon
air », qui est plus caché et qui n’est perceptible
qu’à un deuxième regard – soulignons-le, uniquement pour ceux qui ont le goût fait.
Si le héros se met au service de la collectivité
politique pour combattre au nom de l’honneur et
de la gloire, l’honnête homme sert la collectivité civile en plaisant, assurant ainsi la cohésion
sociale. Il ne s’agit pas d’un sentiment égoïste,
issu de l’amour-propre, comme diraient les jansénistes de l’époque, mais d’un élan vers l’autre
dans le but de garantir le bonheur social. Le regard admiratif des autres qui confirme au héros
son statut extraordinaire n’est plus recherché.
Le combat héroïque s’est non seulement inté-
43
Isabelle Chariatte
44
riorisé [comme chez La Rochefoucauld], mais il
s’est aussi esthétisé, puisqu’il s’agit pour Méré
de polir toutes les aspérités de sorte que l’individu se fonde parmi les honnêtes gens et qu’il
contribue à la progression de la collectivité vers
un idéal de perfection. L’honnête homme combat
les obstacles qui se trouvent en lui. Il se parfait à
la fois par son contact avec le monde et par son
regard autoréflexif et autocritique. « Que si le
premier [des moyens] réussit mal, on a recours
à un autre, et par la suite de réflexions et à force
de se corriger on se rend honnête homme, et par
conséquent agréable. » (Méré, Des Agréments
22-23) L’honnêteté de Méré est donc un idéal
vers lequel on aspire par le moyen déterminant
qui est celui de plaire.
Enfin, pour se rendre agréable, il faut suivre
la bienséance, la vraie, celle qui vient du cœur
et de l’esprit, et non pas de la fortune. Son expression est l’humilité dont le modèle est donné
par l’enseignement du Christ (Méré, Des Agréments 28-29). Méré transforme alors les agréments d’un principe de civilité au principe même
de l’humanité tenant compte de sa dimension
spirituelle. « [...] c’est un péché que de déplaire
[...] Car il me semble presque impossible d’aimer ce qui déplaît. » (Méré, Des Agréments 29)
Le message chrétien de l’amour du prochain est
réinterprété en fonction des agréments comme
premier principe de l’être humain. Tout en avançant, de façon presque polémique, une solution
purement mondaine dans le débat janséniste
autour de la grâce divine, Méré érige les agréments en facteurs primordiaux et déterminants
pour le salut de l’humanité :
Quand je pense que le Seigneur aime celui-ci et qu’il hait celui-là sans qu’on sache
pourquoi, j’en trouve point d’autre raison
qu’un fonds d’Agréments qu’il voit dans
l’un et qu’il ne trouve pas dans l’autre, et
je suis persuadé que le meilleur moyen, et
peut-être le seul pour se sauver c’est celui
de plaire. (Méré, Des Agréments 29)
D’après ce passage, l’amour de Dieu est sensible à celui qui sait plaire. C’est ainsi que les
agréments sont mis sur un pied d’égalité avec
l’amour chrétien. Par cette absorption du modèle chrétien dans celui de l’honnêteté fondée
sur les agréments, Méré fait passer la concep­
tion de l’honnête homme d’une dimension laïque
et profane à un message spirituel et moral, car
« Il ne faut qu’un honnête homme pour inspirer
les bonnes mœurs au plus méchant peuple de
la terre, et pour donner envie à tous ceux d’une
cour sauvage et grossière, d’être honnêtes
gens : ce que je dis d’un honnête homme, se
doit aussi d’une honnête femme. » (Méré, Des
Agréments 31) Le salut du monde passe par les
agréments présents chez les honnêtes gens qui
de par leur état de perfection suscitent chez les
autres le désir de se parfaire et d’imiter les qualités des honnêtes gens. Tous ces attributs que
Méré reconnaît à l’honnête homme sont effectivement les signes de l’accomplissement d’un
être humain. Son excellence sert-elle de point de
référence et d’exemple à suivre pour les autres ?
Ou cette perfection se communique-t-elle aux
autres par la grâce et l’air de l’honnête homme ?
S’agit-il d’un modèle ou s’agit-il d’une source
d’inspiration qui entraîne les autres vers la perfection ? Méré semble adopter les deux points
de vue : l’honnête homme est acheminé vers le
perfectionnement de sa nature qui représente
une entreprise à vie, d’autre part, une fois que
l’honnête homme ou l’honnête femme a atteint
un degré d’excellence, celle-ci rayonne sur les
autres afin de les « sauver », comme le dit Méré.
L’honnête homme se confond ici avec un autre
modèle de perfection, qui est celui du saint. La
civilité va alors pour Méré jusqu’à absorber les
dimensions laïque et spirituelle. C’est dans cet
espace que l’être humain travaille à son perfectionnement en transcendant toutes les catégories dans le seul but d’exprimer sa complétude
pour lui et pour les autres.
Conclusion
Le parcours du héros scudérien à l’honnête
homme de Méré a permis d’articuler les liens
entre héroïsme et honnêteté dans la culture
mondaine du siècle classique et d’en définir les
enjeux pour la création de l’idéal de l’honnête
homme. Ces trois textes représentent trois cas
de figure qui se complètent mutuellement. Dans
les romans de Madeleine de Scudéry, l’univers
héroïque est juxtaposé à l’univers mondain sur
un pied d’égalité et ce n’est que cette associa­
tion, voire cette conjugaison des deux univers qui
confère aux protagonistes leur statut de héros et
d’héroïnes. Madeleine de Scudéry célèbre ainsi
un modèle de civilité qui vise à la complétude
de l’être humain grâce à la complémentarité des
pôles opposés. Ces forces antagonistes ne se
combattent plus ou ne forment plus d’obstacles
à surmonter, comme c’est le cas dans le théâtre
cornélien, mais elles s’associent sous forme de
symbiose. Héroïsme et culture mondaine sont
entrelacés afin de célébrer un nouveau modèle
de civilité vers le milieu du XVIIe siècle, au moment où les anciennes valeurs féodales et héroïques cèdent peu à peu leur place aux valeurs
courtisanes dans la réalité sociopolitique. Dans
ce sens, les romans de Madeleine de Scudéry peuvent être considérés comme célébration
helden. heroes. héros.
Transfigurations du héros
romanesque et idéalisante du modèle de civilité
lancé par les salons. Ils reflètent le goût mondain
de la part de l’ancienne noblesse pour une mise
en scène héroïque et romanesque de la réalité
tout en suggérant la perpétuation de l’héroïsme
dans un nouveau modèle de civilité que les
Grands incarnent.
Pour le moraliste La Rochefoucauld, les valeurs héroïques ont certes leur validité dans
l’univers héroïque, mais sont incompatibles avec
l’espace de civilité. Elles ne peuvent subsister
que si elles sont transposées à l’intériorité de
l’être humain. On ne peut être glorieux qu’avec
soi-même, en d’autres termes, le mérite ne dépend pas de la reconnaissance que l’on reçoit,
mais il exprime les valeurs de sincérité et d’intégrité morale. Pour La Rochefoucauld, seule l’intériorisation et l’épuration de l’héroïsme confère
à l’honnête homme un statut supérieur dans la
culture mondaine.
Enfin, tout comme La Rochefoucauld, le
chevalier de Méré rejette l’air héroïque dans la
culture mondaine, car il se heurte profondément
aux agréments et au bon goût. La mise en scène
du héros déplaît profondément à l’honnête
homme imprégné de naturel. Néanmoins, nous
retrouvons chez Méré les termes de grandeur,
de mérite, d’honneur et de noblesse qui ne sont
pas seulement intériorisés, comme chez La Rochefoucauld, mais dont la définition est profondément esthétisée et civilisée dans le but de plaire.
C’est la grande maxime de l’honnête homme.
En passant par la synthèse de l’héroïque et du
mondain incarnée dans les protagonistes scudériens, puis chez La Rochefoucauld par la critique
de l’héroïsme dans l’espace mondain où il ne
peut subsister que sous forme intériorisée, nous
avons enfin pu considérer chez Méré que les
notions traditionnellement héroïques de grandeur, de mérite et de noblesse sont entièrement
esthétisées jusqu’à faire coïncider l’idéal de sociabilité avec le message chrétien et à conférer
une dimension spirituelle à l’honnêteté. La civilité permet ainsi que les modèles du héros et
du saint fusionnent, en soulignant leur caractère
« héroïque » qui les rapproche et dont le but est
d’être au service de l’émancipation de la collectivité.
En analysant l’élan vers l’accomplissement
de l’être humain dans des contextes socioculturels aussi différents que le milieu du XVIIe siècle,
qui annonce la fin de l’époque féodale, et la seconde moitié du siècle, qui célèbre l’établissement de la société de cour, nous avons constaté que certaines valeurs héroïques, comme la
grandeur, le mérite et l’honneur, sont maintenues, mais redéfinies et profondément réorientées d’abord vers l’intériorité, puis vers la civilité,
pour qu’elles soient adaptées à leur milieu. Le
helden. heroes. héros.
modèle héroïque semble rester sous-jacent à la
culture mondaine, mais de manière transfigurée.
La perfection du héros construite sur la gloire
éclatante est transférée à l’excellence de l’honnête homme qui ne se perçoit que subtilement,
mais qui entraine définitivement les autres vers
l’idéal d’honnêteté. Toujours selon Méré, ce modèle de civilité ne demeure pas dans l’univers
confiné de quelques happy few, au contraire,
l’honnêteté agit sur tout­e l’humanité et contient
le pouvoir de la perfectionner.
L’honnête homme peut ainsi être considéré
comme une projection idéale d’une transfiguration silencieuse du héros par le processus de
civilisation. Dans une forme intériorisée, esthétisée et civilisée, les traits du héros traditionnel,
notamment ceux de grandeur, de gloire et de
mérite, décorent toujours l’honnête homme –
« héros mondain ». Ce glissement de sens rappelle la qualité d’absorption propre à la culture
mondaine, car bien qu’elle paraisse entièrement
opposée aux valeurs et aux représentations traditionnelles de l’esprit héroïque, elle les récupère
tout en leur attribuant une nouvelle définition.
Toute époque réclame ainsi ses héros pourvus
de grandeur, de noblesse et de mérite. Qu’on
parle d’admiration ou d’agréments, de gloire ou
de naturel – il s’avère qu’à tous les âges, la quête
d’un idéal de perfection permet d’interroger si ce
n’est de faire avancer l’histoire culturelle de l’humanité.
1 Cette opposition de deux modèles de civilité s’exprime
de façon pertinente dans le langage d’Alceste et de Philinte
du Misanthrope acte I, scène 1. Alceste défend les valeurs
morales par le biais d’un vocabulaire héroïque, alors que
Philinte incarne l’homme de sociabilité – l’honnête homme
faisant primer la civilité sur la sincérité d’Alceste qui sacrifie
les bienséances.
2 Sur le héros cornélien, voir les études de Fumaroli, Doubrovsky, Kruse, Rohou.
3 La notion d’honnête homme évolue au cours du XVIIe
siècle, comme en témoignent les définitions avancées par
Faret, Madeleine de Scudéry, La Rochefoucauld, Pierre Nicole ou par le chevalier de Méré. Nous retiendrons ici celle
du chevalier de Méré, qui propose la définition la plus subtile
de l’honnêteté. Sur l’honnêteté, voir en particulier les études
d’Oskar Roth et d’Emmanuel Bury.
4 Voir les études de Bury et de Steigerwald.
5 Voir la correspondance de Mme de Sévigné.
6 Voir Bury.
7 La correspondance de Mme de La Fayette nous apprend
que chaque nouveau tome des romans de Madeleine de
Scudéry est attendu avec impatience.
8 Sur le modèle aristotélicien de la magnanimité, voir Fumaroli 323-349.
9 Voir Levi chap. 7.
10 Sur l’importance des salons pour l’établissement de l’esthétique classique, voir les études de Génétiot, Viala et Steigerwald.
45
Isabelle Chariatte
46
11 Nous adhérons ici à l’idée de la fonction civilisatrice des
femmes dans les salons, telle que développée par Timmermanns.
12 La proposition de Douvrovsky de valeurs « mâles »
nous paraît particulièrement pertinente dans une perspective « gender ». Le héros mâle s’oppose ainsi au caractère
féminin qui s’exprime dans les valeurs et la rhétorique des
salons.
13 Sur les romans scudériens, consulter les études de Baader, Denis, Morlet-Chantalat et Penzkofer.
e
14 Ou la valeur, comme on disait au XVII siècle.
15 Voir La Rochefoucauld max. 1, max. 15, max. 16, max.
63, max. 116, max. 150, max. 198, max. 213-221, max. 233,
max. 244, max. 246, max. 248, max. 266, max. 268, max.
280, max. 285, max. 293, max. 308, max. 365, max. 490.
16 Par exemple, La Rochefoucauld max. 220 : « La vanité,
la honte, et surtout le tempérament, font souvent la valeur
des hommes, et la vertu des femmes. » Voir aussi La Rochefoucauld max. 213.
17 Au sujet de la gloire et de l’héroïsme chez La Rochefoucauld, voir Roth 304, Kruse 61-80, Chariatte 152-158.
18 On suppose qu’il s’agit de Madame la Maréchale de Clérambault, voir Méré 9, n. 1.
19Dans la théorie néoplatonicienne de l’amour, l’union
avec l’autre passe par le renoncement total de soi dans le
but de plaire. « Puis qu’on ne se rend parfaitement honneste
homme que quand on a dessein de plaire, & ce dessein de
plaire ne peut venir que d’un fort grand attachement, ou du
desir de le persuader. » D’Urfé, L’Astrée. 31 juillet 2014.
<http://www.astree.paris-sorbonne.fr/Astree_1678.php>
20 Cette maxime de Sénèque sera reprise dans La Sylvanire ou la Morte-vive de d’Urfé, acte I, scène 1, v. 224 [« Il
faut aimer si l’on veut être aimé. »].
21 Cette même hiérarchie des valeurs, selon laquelle les
valeurs sociables procurent aux valeurs héroïques leur véritable grandeur, est exprimée dans l’oraison funèbre prononcée par Bossuet pour le Grand Condé le 2 mars 1687. Les
qualités extraordinaires de son courage sont ancrées dans la
bonté chrétienne qui les « [aide] à se communiquer davan­
tage ». Les « douceurs de la société », le « plus grand bien
de la vie humaine », sont assurées grâce à « sa conversation
[qui] était un charme » et à l’amitié qu’il place au premier
rang. Bossuet 200-201.
22 Dans son article, Dens développe l’idée du goût comme
faculté critique dont est doté l’honnête homme.
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47
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Christina Posselt-Kuhli – Jakob Willis
« La voilà, cette main, qui se met en chaleur »
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard am
Beispiel des Gedichts La Gloire du Val-de-Grâce
1. Einleitung
Das für Molières Gedicht La Gloire du Val-deGrâce (1669) titelgebende Fresko in der Kirche
Val-de-Grâce in Paris, von Pierre Mignard unter
Rückbezug auf die barocken römischen Kuppelausmalungen von Correggio, Lanfranco und
Pietro da Cortona zwischen 1663 und 1666 geschaffen1 und von Charles Perrault noch Jahre
später als „plus grand morceau de peinture à
fresque qui soit dans l’Europe“ (Perrault 476) bezeichnet,2 öffnet dem Betrachter den Blick zum
Himmel [Abb. 1]. In konzentrischen Kreisen sind
Gruppen von Heiligen, Märtyrern, Aposteln und
Propheten als Gefolge der zentralen Figuren am
höchsten Punkt der Kuppel angeordnet. Dort
gipfelt der himmlische Reigen in der Dreifaltigkeit (Christus und Gottvater, zwischen ihnen in
einer Lichtgloriole die Taube des Heiligen Geistes), an die Anne d’Autriche ihren Wunsch adressiert: die Geburt eines Thronfolgers für das
französische Königreich. Die Stifterin,3 deren
Rolle durch das Kirchenmodell in ihren Händen
kenntlich gemacht ist, wird durch die räumliche
Teilhabe an der göttlichen Sphäre besonders
hervorgehoben.4 In dreifacher Rolle wird sie
als Königin, als Königinmutter und als Regentin figuriert.5 Nicht nur der ‚très chrétien Roi‘ von
Gottes Gnaden – hier Saint Louis (Louis IX), der
Anne gegenüber platziert ist und wie diese den
bourbonischen Königsmantel trägt (Germann
52-53) –, auch die Königin wird damit in Gottes
Nähe gerückt: umarmt von der Heiligen Anna
kniet sie in anbetender Haltung, in ihrer Pose
und Gestik damit ähnlich der über ihr auf einer Wolkenbank sitzenden Maria. Die von den
Benediktinerinnen von Val-de-Grâce verehrte
Jungfrau Maria wird so mit dem Mutterwunsch
bzw. dem Muttersein der Königin in Verbindung
gebracht (1638 wird Louis XIV geboren; bei der
Weihe der Kirche im Jahre 1665 ist er bereits
27 Jahre alt). Außerdem drückt die Komposition
die göttliche Begünstigung ihrer Herrschaft aus.
Die in der Kuppel noch als Wunsch dargestellte,
helden. heroes. héros.
zu Beginn der Arbeit am Fresko aber bereits
historischer Fakt gewordene Geburt des lange
ersehnten Sohnes, der der königlichen Dynastie
den Fortbestand sichert, wird so als Zeichen des
göttlichen Beistands inszeniert.
Auf diese Ausgangssituation nimmt auch ein
paratextuelles Element von Molières Gedicht
Bezug: In der Vignette zu Beginn des Textes
wird eine Malerwerkstatt gezeigt und damit auf
die handwerklichen wie wissenschaftlichen Bedingungen der Produktion von Kunstwerken verwiesen [Abb. 2] – ebenso wie die anderen Kupferstiche wurde die Vignette von Mignard selbst
entworfen und von François Chaveau gestochen
und somit bewusst eingeschrieben in das Spiel
von Text und Bild, das Molière innerhalb seines Gedichtes entwirft, wie noch zu zeigen sein
wird. Diese Szene ist auf der gleichen Textseite
mit dem Auftrag und der Stifterin in Bezug gesetzt – in der Initiale ‚D‘ des Gedichts erscheint
Anne d’Autriche, die in einem Hermelinmantel
vor einer Art Altar kniet, auf dem eine Krone und
ein Buch abgelegt sind. Sie hält auch hier ein
Kirchenmodell, die Repräsentation von Val-deGrâce, in Händen und blickt nach oben ins göttliche Licht.
Das Gedicht, das Molière 1669 auf das Fres­
ko seines engen Freundes Mignard verfasste,6
fügt sich in die Reihe der Lobgesänge ein, die
Zeitgenossen wie Perrault auf das Gemälde anstimmten. Es betont die enge Verbindung von
Dichtung und Malerei, die in der Tradition des ‚ut
pictura poiesis‘ als Schwesternkünste bezeichnet werden, und wird, so die These, vor dem Hintergrund einer komplexen literatur- und kunstpolitischen Entstehungssituation zu einem Medium
der Heroisierung von Maler und Autor. Während
Mignard in seinem Kuppelfresko die Herrscherin
Anne d’Autriche durch die Nähe zur Sphäre des
Göttlichen indirekt divinisiert, stilisiert Mo­
lière
in seinem Gedicht Mignard zum Künstlerhelden und schafft es, durch die Heroisierung des
Freundes auch die eigene Kunst aufzuwerten.
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
50
Im Folgenden wird in einem ersten Schritt eine
Heuristik entwickelt, die es erlaubt, Strategien der
Heroisierung in unterschiedlichen Medien nachzuvollziehen, bevor in einem zweiten Schritt das
Gedicht unter Berücksichtigung seiner kunst­
theoretischen und kunstpolitischen Kontexte
eine eingehende Analyse erfährt. Neben den
literarischen und kunsttheoretischen Diskursen
sollen dabei auch die bislang kaum beachteten
Kupferstiche der beiden ersten Editionen des
Gedichts in die Interpretation der intermedial
gestalteten heroischen Motive einbezogen werden.7
2. Intermediale Heroisierungs­
strategien – einige theoretische
Überlegungen
Heroisierungen, so lässt sich zeit- und kultur­
übergreifend sagen, sind kommunikativ-mediale
Strategien und Verfahren, durch die eine Figur
als Heros, d. h. als Held oder Heldin, gekennzeichnet wird. Möchte man, was bislang kaum
systematisch geschehen ist,8 derlei Prozesse
genauer beschreiben, sollte erst einmal geklärt
werden, was man unter einem Held, einer Heldin bzw. einer heroischen Figur versteht.
Bei einem Helden handelt sich um eine meist
maskuline Figur, die durch außergewöhnlich
mutige Taten dazu beiträgt, das je nach kulturellem Kontext und Wertesystem anders definierte
‚Gute‘ unter großem persönlichen Einsatz zu
erkämpfen oder zu verteidigen. Neben Göttern
gehören Helden dabei zum unverzichtbaren
imaginativen Personal aller Kulturen von der
Antike bis zur Gegenwart, wobei mit Blick auf
das Heldenpantheon der christlich-abendländischen Kulturgeschichte festgestellt werden
kann, dass darin fiktiv-mythologische Figuren
wie Achill, Perseus und Herkules neben historischen Persönlichkeiten wie Alexander dem
Großen, Luther und Napoleon stehen. Helden,
so ist einzuschränken, sind immer nur Helden
für und innerhalb einer bestimmten sozialen
Gruppe. Für diese erfüllen sie als Projektionsund Identifikationsfiguren soziale, politische und
ethisch-moralische Funktionen.
Grundsätzlich müssen zwei unterschiedliche
Verwendungsweisen des Begriffs ‚Held‘ voneinander abgegrenzt werden: Der ursprüngliche
semantische Bereich bezieht sich auf den altgriechischen Begriff des Heros (ἥρως) im Sinne
eines Kriegers oder Halbgottes und meint jene
außergewöhnlich tapferen Figuren wie Perseus,
Hektor und Achill. Der später hinzugekommene
Bereich, der außerhalb des Untersuchungshorizonts dieser Analyse liegt, bezeichnet die
handlungstragende Figur eines literarischen
oder kinematografischen Werkes, ab einem
bestimmten Zeitpunkt auch unabhängig davon,
ob diese Hauptfigur noch heroische Züge im ursprünglichen Sinne trägt.9 Zum Zwecke einer systematischen Minimaldefinition, die freilich nicht
über den Status einer Heuristik hinauskommt,
ließen sich die ‚heroischen Helden‘, um die es
dieser Untersuchung geht, durch die allesamt
notwendigen, für sich aber nicht hinreichenden
Attribute ‚Autonomie‘, ‚Transgressivität‘, ‚Agonalität‘ und ‚Charisma‘ charakterisieren.10 Der Held
oder die Heldin ist eine Figur, deren Exzeptionalität sich als Schnittmenge eben jener Eigenschaften konstituiert.
Heroisierungen sind vor diesem Hintergrund
Verfahren, durch die einer Figur heroische Attribute zugeschrieben werden. Diese „vollziehen
und stabilisieren sich […] in sozialen und kommunikativen Prozessen, die medialer Präsentation bedürfen und affektiv wie normativ aufgeladen sind“ (von den Hoff u. a. 8). Neben den
produzierenden Akteuren, wie etwa Dichtern,
Malern oder, seit der Moderne, Journalisten, sind
an Prozessen der Heroisierung immer auch verschiedene Publika beteiligt, die eine bestimmte
Figur, so die Strategie denn Erfolg hat, als einen
Helden oder eine Heldin wahrnehmen und verehren. Die Konstruktionen und Inszenierungen
des Heroischen sind vielfältiger Art, so dass sie
an dieser Stelle nur kursorisch erwähnt werden
können:
Neben der einfachen Bezeichnung einer Figur als ‚Heros‘, ‚Held‘, ‚hero‘, ‚héros‘, ‚eroe‘ usw.,
die, sei es schriftlich oder mündlich, im Bereich
des Sprachlichen operiert, ist hier vor allem das
Einordnen in eine heroische Genea­logie zu nennen. Indem die betreffende Figur mit bereits
etablierten Helden des kulturellen Repertoires
verglichen wird, werden die (heroischen) Eigenschaften der Modellfigur auf sie übertragen. Die
Malerei kennt dabei Verfahren wie die bildliche
Amalgamierung von Modell und historischer
oder mythologischer Figur in der porträthaften
Angleichung des Herrschers an einen Helden
zum Zwecke der Sichtbarmachung von Tugenden und Qualitäten, die dem Helden eignen und
auf den Herrscher übertragen werden. Die Literatur kann ihrerseits auf Reihungen, Allegorien,
Symbole, Metaphern und Vergleiche zurückgreifen. Eines solchen Vergleichs bedient sich beispielsweise Jean Racine, wenn er in der épître
au Roi zu seiner Tragödie Alexandre le Grand
auf eine für die Zeit und die Textsorte paradigmatische Art und Weise formuliert:
Il faut auparavant m’essayer encore sur
quelques autres Héros de l’Antiquité: Et
je prévois qu’à mesure que je prendrai
de nouvelles forces, V. M. [Votre Majesté;
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
Anmerkung der Verfasser] se couvrira
Elle-même d’une gloire toute nouvelle;
que nous la reverrons peut-être, à la tête
d’une Armée, achever la Comparaison
qu’on peut faire d’Elle et d’Alexandre, et
ajouter le titre de Conquérant à celui du
plus sage Roi de la Terre. (Racine 124)
Zusätzlich zur Nennung und zur Einbettung
in eine heroische Genealogie seien noch zwei
weitere Verfahren genannt: die Hervorhebung
der Figur mittels räumlicher Positionierung und
Farbgebung sowie ihre Repräsentation durch
Symbole des Heroischen. Erstgenanntes Verfahren zielt darauf ab, den exzeptionellen Status
der zum Helden ernannten Figur auch sprachlich-medial auszudrücken und findet, oft im
Verbund mit anderen Heroisierungsverfahren,
medienübergreifend Anwendung. Besonders
häufig werden die Figuren durch ihre außergewöhnliche Größe gekennzeichnet, so etwa bei
verschiedenen Reiterstandbildern und anderen
monumentalen Heldenstatuen wie Michelangelos David11. Auch großformatige Gemälde wie
Poussins Raub der Sabinerinnen12 oder LeBruns
Einzug Alexanders in Babylon13 vermitteln den
exzeptionellen Status der heroisierten Figuren
durch die Dimension der Bildfiguren. Die Hervorhebung kann aber auch dadurch erfolgen, dass
die Helden durch eine Form des Glanzes als
‚Lichtfiguren‘, als Quelle oder Zentrum von Lichtstrahlen, inszeniert werden.14 Während dieser in
unterschiedlichen Medien Anwendung findende
Glanz des Helden als indexikalisches Zeichen
die sprachlich nicht fassbare auratische Präsenz
der heroischen Figur zum Ausdruck bringen soll
(Soeffner 55)15, zielen andere Verfahren der Repräsentation darauf ab, die Figur durch symbolische Zeichen als Held oder Heldin zu konstruieren. Diese letztgenannten Darstellungsverfahren
sind besonders in den bildenden Künsten weit
verbreitet, wo etwa die Nähe zum Göttlichen bzw.
zu den Göttern oder die Krönung durch Götter
oder Personifikationen und Allegorien wie Ruhm
und Fama den Heldenstatus in der Komposition
visualisieren.16 Auch nobilitierende Architektur­
elemente, Attribute wie das Löwenfell und die
Keule des Herkules, die auf Alexander den Großen verweisende Anastole römischer Porträts,17
die Schleuder Davids und der Lorbeerkranz
der siegreichen Heroen werden verwendet, um
Figuren symbolisch zu heroisieren.
Neben diesen Verfahren, die für sich in der
Forschung zum Teil bereits intensiv besprochen
wurden, müssen insbesondere auch jene Strategien zum Bereich der Heroisierung gerechnet
werden, durch die bestimmte Figuren mit den
oben genannten Attributen Autonomie, Transgressivität, Agonalität und Charisma, und oftmals
ohne die explizite Nennung der Bezeichnung
helden. heroes. héros.
‚Held‘ oder ‚Heldin‘, als exzeptionelle Figuren
des Heroischen dargestellt werden. Eine Reihe
dieser Strategien lassen sich auch in Molières
Enkomium beobachten.
3. Heroisierungsstrategien in
Molières Gedicht La Gloire du
Val-de-Grâce
Molières Langgedicht La Gloire du Val-de-Grâce
(1669) entsteht zu einer Zeit, als der Dramatiker,
seit 1665 Leiter der ‚Troupe du Roi‘ und damit
unter besonderer Protektion durch Louis XIV, mit
Stücken wie Le Misanthrope (1666), Amphytrion
(1668) und L’avare (1668) große Bühnenerfolge
feiert und, wenngleich nicht unumstritten, auf
dem Gipfel seines Ruhmes angelangt ist. Wenn
vor diesem Hintergrund die Hauptintention des
Werkes wohl darin zu sehen ist, dass Molière
sein Ansehen und seine Machtstellung dazu
nutzt, um einen guten Freund als Künstlerhelden zu stilisieren (und damit Mignards Erschaffung von Kunst als heroische Tat darzustellen)18,
geht es ihm zweifelsohne auch darum, eine vor
allem auf das Kolorit ausgerichtete Kunsttheorie
für sich zu nutzen [vgl. 3.3.1], die auf das eigene Theaterschaffen zurückverweist und somit
auch ihn selbst als Künstler heroisiert (Molière
1349).19
3.1. Formale und inhaltliche
Bestimmung
Das aus 366 sich paarweise reimenden Alexan­
dri­nern aufgebaute Gedicht ist in 15 Sinneinheiten unterteilt. In der ersten Einheit (V. 1-18)
wendet sich der Dichter bzw. seine lyrische
Sprecher­instanz an die Kirche Val-de-Grâce, deren Ruhm ihm Anlass für sein Werk ist bzw. deren
Ruhm er gewillt ist, durch das eigene Schaffen zu
mehren. Besonders das „chef-d’œuvre fameux“
(V. 14), Mignards Fresko, wird dabei schon zu
Beginn gepriesen und als „plus bel effet des
grands soins“ (V. 17) der Stifterin Anne d’Autriche
bezeichnet. Der zweite Abschnitt (V. 19-38) stellt
dann eine direkte Ansprache an Mignard dar, die
zum einen darauf abzielt, das Ingenium des Malers zu betonen („Toi qui, dans cette coupe à ton
vaste génie / Comme un ample théâtre, heureusement fournie“, V. 19-20) und zum anderen die
Frage aufwirft, welches geheime Wissen, welches Vermögen, ja welches „feu divin“ (V. 27) die
geniale Kunst möglich mache. „Dis nous“, fordert Molière, „quel est ce pouvoir, qu’au bout des
doigts tu portes“ (V. 27-31). Da der angesprochene
51
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
52
Maler jedoch stumm bleibt und sein wertvolles
Geheimnis nicht lüften möchte, wendet sich der
Poet im dritten Abschnitt (V. 39-50) dem Gemälde selbst zu, das als „école ouverte“ (V. 44) das
Schweigen bricht: „[T]on pinceau s’explique, et
trahit ton silence“ (V. 39).
Dieses Motiv nimmt auch die bereits erwähnte Vignette zu Beginn des Gedichts auf
[Abb. 2]. So wie Molière eine ‚Schule des Sehens‘ durch seine Beschreibung aller Bestandteile der Kunst nach zeitgenössischen kunsttheoretischen Vorstellungen eröffnet [vgl. 3.2.],
befinden sich die im Kupferstich gezeigten Putti
in der ‚Schule der Kunst‘, der Malerwerkstatt.
Auf die Inspiration der ‚arcanae‘ der Musen
folgt somit die praktische Bildproduktion. Unter
der Ägide Minervas, die als Büste auf einem
Sockel in der Mitte des Raumes wacht, üben sich
die Putti im Zeichnen (nach antiken Vorbildern,
als welche Minerva dargestellt ist), in der Perspektivlehre und im nächsten Schritt womöglich
auch dem dritten Teil der Malerei, der Farbe (der
Putto ganz links scheint Farbe anzureiben). Palette und Malerstab sowie Messinstrumente, ein
Globus und Bücher im Hintergrund verweisen
auf die Verbindung von Handwerk und Wissenschaft. Als intellektuelle Kunst der ‚imitatio‘ wird
die Malerei durch die beiden Masken am Kamin
ausgewiesen und damit ihre Fähigkeit, nachzuahmen und zu täuschen im Spiel von ‚imitatio‘
und ‚dissimulatio‘, alludiert.
Sehr ausführlich und mit Verweis auf eine
Vielzahl kunsttheoretischer Motive, die noch
genauer zu betrachten sein werden, wird in den
folgenden drei Abschnitten von Molières Gedicht
beschrieben, welche Prinzipien eines vollkommenen Kunstwerks das Fresko den interessierten Betrachter lehren kann: diese sind ‚invention‘
(V. 51-104), ‚dessein‘ (V. 105-152) und ‚couleur‘
(V. 153-186). Nachdem Molière in den drei langen Abschnitten somit die von Mignard wie von
kaum einem anderen Maler beherrschten Prinzipien der idealen Kunst expliziert und dem Leser dadurch vermeintlich auch den Schlüssel
zur Reproduktion des „éclatant morceau de savante peinture“ (V. 15) an die Hand geliefert hat,
betont der Verfasser im siebten Sinnabschnitt
(V. 187-206), dass ein geniales Kunstwerk wie
das Fres­ko Mignards selbst dann nicht nachgeahmt werden könne, wenn man, wie soeben von
Molière persönlich kundig durchexerziert, sein
Wesen bis ins letzte Detail beschreiben würde.
Der geniale Künstler verfüge über Talente, die
sich schlichtweg nicht erlernen ließen: „Il y faut
des talents que ton mérite joint; / Et ce sont des
secrets qui ne s’apprennent point“ (V. 194-195).
Im nun folgenden Passus wendet sich Molièr­e
an die Schwestern des Benediktinerordens der
Kirche Val-de-Grâce, die in hyperbolischer, leicht
zum Ironischen tendierender Art als „[p]urs es­
prits“ (V. 211) und „[b]eaux temples des vertus“
(V. 212) bezeichnet werden und unter­
streicht,
dass die Schwestern an dem Fresko spüren
könnten, wie sich die „ardeur de vos désirs“
(V. 221) verdopple. Nach diesem von sexuellen
Doppeldeutigkeiten geprägten Abschnitt,20 der
gerade auch im zeitlichen Kontext der seit dem
Stück Le Tartuffe anhaltenden klerikalen Kritik
als spielerische Provokation zu verstehen sein
dürfte, wendet sich Molière nun voller Dank an
Rom (V. 227-236), das nicht nur seit jeher Vorbild gewesen sei, sondern zudem auch ganz
entschieden mit dazu beigetragen habe, dass
Mignard während seines langen Aufenthalts dort
zu dem „grand homme“ wurde, der, „devenu tout
Romain“ (V. 234), nun Frankreich neuen Glanz
verleihe. In der darauf folgenden Sinneinheit
(V. 237-279) widmet sich der Dichter der Technik
der Freskomalerei und breitet ein Argument aus,
das deren Überlegenheit über die Ölmalerei verdeutlichen soll: Im Anschluss an die heroische
Darstellung des Freskomalers, dessen „main
prompte“ (V. 267) das „grand génie“ (V. 242) zeige, schildert der Verfasser in knappen Worten die
allgemeine Rezeption des Kuppelfreskos bei Hof
und in der Stadt (V. 280-289) und betont, dass
das Gemälde gerade auch deshalb auf großes
Wohlgefallen gestoßen sei, weil es als „belle inconnue“ (V. 282) eine Neuheit in Paris dargestellt
habe: „Jamais rien de pareil n’a paru dans ces
lieux“ (V. 281).21 Die beiden nächsten Abschnitte
handeln dann von der wohlwollenden Aufnahme
des Kunstwerks durch den König (V. 291-303)
und seinen Finanzminister und ‚Surintendant
des Bâtiments, Arts et Manufactures‘‚ JeanBaptiste Colbert (V. 304-312). Zum einen hebt
Molière bezüglich des Königbesuchs in formvollendeter panegyrischer Manier hervor, dass der
Verdienst des Werkes erst durch die „éclatante
visite“ (V. 292) des urteilskräftigen „roi judicieux“
(V. 301) und seine in zwei Worten vorgetragene „éloge glorieux“ (V. 302) hervorgetreten sei,
zum anderen schildert er, wie Colberts guter Geschmack „suit celui de son maître“ (V. 303) und
er folgerichtig „[a] senti même charme“ (V. 304).
Im daran anschließenden Abschnitt lässt Mo­
lière den Genius Mignards noch einmal in einer
eindringlichen Beschreibung aufblitzen, indem
er das Geschehen deiktisch vergegenwärtigt
und performativ nachvollziehbar macht (V. 313326). Als würde der Maler, einem Wunder gleich,
gerade vor seinen Augen agieren, heißt es: „La
voilà, cette main, qui se met en chaleur: / Elle
prend les pinceaux, trace, étend la couleur […]“
(V. 313-314). Nach dieser zweiten, in seiner rhetorischen Gestaltung im Vergleich zum Beginn
des Gedichts deutlich eindrücklicheren Glorifizierung des genialen Künstlers, wendet sich
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
Moliè­re im letzten Sinnabschnitt des Gedichts
noch einmal an Colbert, um diesen daran zu erinnern, dass geniales Künstler- und höfisches
Bittstellertum einander ausschließen („Qui se
donne à sa cour, se dérobe a son art“, (V. 346))
und dass er, auch im eigenen Interesse, nichts
unversucht lassen solle, um die wahre Kunst
und die wahren Künstler zu fördern: „C’est ains­i“,
so der mahnende Schlussgedanke, „que des
arts la renaissante gloire / De tes illustres soins
ornera la mémoire“ (V. 263-264). Die heroische
‚fama‘ der Mächtigen, daran lässt Molière keinen
Zweifel, hängt ganz entschieden von der medialen Konstruk­tionsleistung der Künstler ab. Nur
wenn Dichter, Maler und andere Kunstschaffende die Leistungen der Mächtigen – hier Colberts
und des Königs Engagement für die Künste – in
ihren Werken in zeitlose Formen brächten, so
will Molière verstanden werden, könnten diese
sich einen dauerhaften Ehrenplatz im kollektiven
Gedächtnis der Menschheit sichern.22 Dass damit auch der Künstler Anteil an der heroischen
‚memoria‘ hat, ist eine tradierte Vorstellung (man
denke beispielsweise nur an das berühmte Motiv des ‚aere perennius‘ bei Horaz), in die sich
Molière und über ihn auch Mignard als Künstlerhelden einschreiben.
3.2. Kunstpolitische Hintergründe
und intertextuelle Bezüge
Bevor es in der Folge darum geht, die unterschiedlichen Heroisierungsstrategien herauszuarbeiten, die Molière in seinem Lobgedicht auf
Mignards Kuppelfresko verfolgt, ist es nötig, die
kunstpolitischen Hintergründe und intertextuellen Bezüge der Werke zu erläutern, ohne die
Molières Gedicht nicht adäquat erfasst werden
kann. Gerade in einer Zeit wie der französischen
Klassik, in der die künstlerische Produktion sehr
stark im Zeichen von Politik und Ökonomie steht,
müssen Heroisierungen immer auch als Teil berufsfeldbezogener Strategien betrachtet werden.
Pierre Mignard, der über 20 Jahre in Rom gelebt und gearbeitet hat, kam 1655 nach Paris –
eine Stadt, die kunstpolitisch von der ‚Académie
Royale de Peinture et de Sculpture‘ beherrscht
wurde. Unter dem Vorsitz ihres Direktors
Charles LeBrun erarbeitete sie Grundlagen und
Regeln für die Malerei, die im absolutistischen
Frank­
reich hauptsächlich der Herrscherpanegyrik diente. Heroische Themen und ein klarer
Bildaufbau sollten das Bild eines tugendhaften
und im Kampf bewährten Louis XIV vermitteln. Der Figurenreichtum und der Akzent auf
die koloristische Lichtwirkung, die Mignard in
Anlehnung an die genannten italienischen Vorbilder einsetzt, scheinen dem akademischen
helden. heroes. héros.
Regelkanon jedoch nicht zu entsprechen. Tatsächlich stand Mignard in direkter Konkurrenz zu
LeBrun – beide bemühten sich um königliche Aufträge, darunter Porträts der königlichen Familie23
– und waren auch in Bezug auf die ‚Académie‘
Rivalen. Einen Eintritt in die Akademie verweigerte Mignard, der nicht unter die Ägide des sieben Jahre jüngeren LeBrun geraten wollte, bis
er schließlich 1690, nach dem Tod des ‚Premier
Peintre du Roi‘, selbst Direktor der ‚Académie‘
wurde. Die Rivalität der Künstler wurde jedoch
nicht nur auf dem Feld der Malerei ausgetragen,
sondern auch im institutionalisierten Kontext der
‚Académie‘, in dem sich in den 1660er Jahren
die Textgattungen Kunstkritik und -theorie eta­
blierten. Molière bezieht sich in seinem Gedicht
auf eine Reihe von Autoren und Schriften, die
auf kunsttheoretischem und ästhetischem Feld
miteinander rivalisierten, wobei der grundlegende Text für seine Argumente schon lange in
Charles-Alphonse Dufresnoys De arte ­graphica
erkannt worden ist. Der seit einem gemeinsamen Romaufenthalt mit Mignard befreundete
Künstler, der auch an der Kuppelausmalung von
Val-de-Grâce beteiligt war, verfasste zwischen
1635 und 1656 sein lateinisches Gedicht als
eine Art Theorie zur Malerei Mignards. Schließlich war es aber der Kunstschriftsteller Roger de
Piles, der 1668 – nach der Publikation des lateinischen Textes durch Mignard – unter dem Titel
L’Art de Peinture eine französische Übersetzung
veröffentlichte, die jedoch durch Änderungen im
Text, Anmerkungen und eine den Akademieforderungen nach allgemeingültigen Kunstregeln
entsprechende ‚table de préceptes‘ stärker zu
einem Reflex der aktuellen akademischen Kunst
geworden war. Diese fast noch druckfrische Stellungnahme zu den Aufgaben der französischen
Kunst war der Text, den Molière seinem Gedicht
zugrunde legte und damit sowohl den Diskurs
der ‚Académie‘ aufgriff als auch eine lobende
Beschreibung von Mignards künstlerischen Prinzipien realisierte.
3.3. Heroisierungsstrategien
Inwiefern in dieser Lobrede Heroisierungsverfahren zum Einsatz kommen, soll nun genauer
erörtert werden. Im Rückgriff auf die im theoretischen Teil formulierten Überlegungen lassen
sich im Zusammenwirken von Text und Grafik
insgesamt sechs verschiedene Strategien nachweisen, wobei die ersten fünf davon auf kunsttheoretische Argumente rekurrieren, die sechste
hingegen auch deutlich die formalen Attribute
des Heroischen betont.
53
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
54
3.3.1. Heroisierungsstrategie I
– das Kolorit
Molière hebt in Mignards Werk die ‚variété‘ und
Lebendigkeit hervor, beides Kategorien, die
eine lange Tradition in der italienisch geprägten
Kunsttheorie haben. Der Dreiklang von ‚invention‘, ‚dessein‘ und ‚couleur‘, wie er seit Leon
Battista Alberti, später von Paolo Pino und Lodovico Dolce in Anlehnung an Quintilians rhetorische Einteilungen etabliert wurde, hat immer
wieder unterschiedliche Gewichtungen erfahren.
Molière betont vor allem, dass das Kolorit, d. h.
die Auswahl, Harmonie, Schattierung und Zusammensetzung der Farben, in seiner Wirkung
den Effekt des ‚rilievo‘ hervorrufe (Dufresnoy
V. ­267-301, De Piles V. XXXI). Der dabei gezogene Vergleich mit den Bildhauern und der
Reliefwirkung von Skulpturen findet sich bereits
bei Baldassare Castiglione, Giorgio Vasari, Leo­
nardo da Vinci, Giovanni Battista Armenini bis
hin zu André Félibien. Der meisterhafte Einsatz
des ‚chiaroscuro‘, von Farbe, Licht und Schatten, wird somit zum einen in Konkurrenz zur
Gattung der Bildhauerei gesetzt, zum anderen
wird damit auch eine Richtung innerhalb der Malerei zur überlegenen Malweise erklärt. Molière
zufolge ist Mignards meisterhafter Umgang mit
dem Kolorit ein regelrechter „achèvement de
l’art“ (V. 160), der ihn Apelles, einem der großen Kunsthelden der Antike, ebenbürtig macht
(V. 156). Das martialische und pathetische Vokabular, das Molière verwendet, um den dynamischen Effekt des ‚­rilievo‘ zu beschreiben, rückt
die Kunst Mignards dann auch semantisch in die
Sphäre des Heroischen: „La fierté de l’obscur sur
la douceur du clair / Triomphant de la toile, en
tire avec puissance / Les figures que veut garder
sa résistance, / Et malgré tout l’effort qu’elle oppose à ses coups, / Les détache du fond, et les
amène à nous“ (V. 182-186). Wüsste man nicht,
dass der Dichter hier metaphorisch von einem
‚Kampf‘ der hellen und dunklen Farbeindrücke
spricht, könnte man angesichts der Begriffe von
‚fierté‘, ‚Triomphant‘, ‚puissance‘, ‚résistance‘,
‚effort‘ und ‚coup‘ meinen, man habe es mit der
Schilderung einer kriegerischen Auseinandersetzung zu tun.24
3.3.2. Heroisierungsstrategie II
– das Fresko
Ein weiteres malereispezifisches Argument für
die Heldenhaftigkeit Mignards bezieht sich auf
die Technik der Freskomalerei. Diese Technik,
in der Mignard arbeitet und damit, laut Mo­lière,
LeBrun übertrumpft, ist eine Malweise, die große
handwerkliche und geistige Kraft verlangt, erlaubt sie es doch nicht, einmal aufgetragene
Partien zu korrigieren: „Avec elle il n’est point de
retour à tenter; Et tout au premier coup se doit
exécuter“ (V. 261-262). Geistesgegenwärtigkeit,
Entscheidungsfreudigkeit und Handlungsbereitschaft, allesamt charakteristische Eigenschaften
heroischer Figuren, werden als Tugenden des
Freskomalers beschrieben. In der Beschreibung
Molières gleicht die so beschriebene Leistung
des Künstlerhelden, der den entscheidenden
Moment, den ‚Kairos‘, für sein Werk nutzt, einer regelrechten Heldentat: „[L]a fresque est
pressante, et veut sans complaisance / Qu’un
peintre s’accomode à son impatience; La traite à
sa manière, et d’un travail soudain / Saisisse le
moment, qu’elle donne à sa main“ (V. 255-258).
Schon Vasari hatte angesichts des hohen Tempos, das die Arbeit an einem Fresko erfordert,
die Qualität der ‚Männlichkeit‘ in die Malereitheorie eingeführt und auch Molière greift diesen Topos auf, wenn er von den „mâles appas“ (V. 274)
des Freskos spricht, das über die ansonsten
weit verbreitete Ölmalerei „emporte la victoire“
(V. 272). Die Ölmalerei, in der LeBrun gemeinhin
gepriesen wird, gerät somit als weiblich konnotierte Kunst in der Hierarchie der Bildkünste ins
Hintertreffen und wird in dem Gedicht alleine den
schwächlichen „peintres chancelants“ (V. 253)
anempfohlen. Im Fresko dagegen „se rencontre
unie / La pleine connaissance avec le grand génie“ (V. 263-264).
3.3.3. Heroisierungsstrategie III
– das Ingenium
Des Weiteren rühmt Molière die ideale „beauté parfaite“ (V. 111) des Kuppelfreskos – eine
vollkommene Schönheit, die sich in ihrer ästhetischen Ausgestaltung über das Naturvorbild
erhebe. Da die Natur nicht perfekt sei, könne
der Künstler das Vorbild absoluter Schönheit
nur aus vielen Beispielen nehmen und mit angemessener „varietà“ (V. 133) zusammenfügen,
um die Komposition so der idealen Gestalt anzunähern.25 Der „peintre commun“ (V. 135) dagegen, von dem Mignard als geniale Figur des
Exzeptionellen abgegrenzt wird, ergehe sich in
immer gleichen, das Auge ermüdenden Formen:
„De redites sans nombre il fatigue les yeux“
(V. 137). Zur Fähigkeit, das Beste aus der Natur auszuwählen, müsse aber auch noch das
Ingenium des Künstlers hinzutreten. Dieses sei
sowohl göttliche Kraft (furor divinus, „feu divin“
(V. 27)) als auch intellektuelle Qualität („nobles
pensées“ (V. 24))26 und würde nur wenigen Ausnahmegestalten zuteil. Das Ingenium, so hebt
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
Molière wiederholt hervor, habe man oder man
habe es nicht – es sei „pouvoir“ (V. 31), „largesse“ (V. 131), „présents du Ciel“ (V. 199) und
lasse sich nicht erlernen, so sehr man es auch
versuche. Noch lange bevor die Genieästhetik
im 18. und 19. Jahrhundert dominant werden
sollte, lässt sich in Molières Lobgedicht die Strategie erkennen, Mignard als „génie“ (V. 19, V. 62,
V. 242, V. 264, V. 305) bzw. als verdienstvollen
„grand homme“ (V. 234, V. 332, V. 341) und damit als Künstlerhelden zu glorifizieren.27 Indem
Molière Harmonie, Illusionismus und Grazie
sowie eine kohärente Bildganzheit in Mignards
Fresko lobt, zeichnet er den Künstler besonders
aus, und das bei gleichzeitiger Missachtung der
von LeBrun vorgegebenen Regel. Der ‚Premier
Peintre du Roi‘ plädierte nämlich für eine Zentralisierung der Bildelemente, d. h. die Ausrichtung
auf eine Haupthandlung mit überschaubarer Anzahl von Bildfiguren, die – in Übereinstimmung
mit Colberts Kulturprogramm – das Ideal der
auf den König als Zentrum ausgerichteten Politik mit ästhetischen Mitteln unterstützen sollte.28 Mignards Figurenstrudel entsprechen nicht
dieser Vorgabe der ‚Académie‘, die Hauptfigur
zu betonen. Dennoch erreicht auch er es, die
wichtigsten Figuren in ganzer Gestalt (d. h. nicht
verdeckt durch andere Figuren), in anatomischer
Korrektheit und als besonders schöne Erscheinungen darzustellen. Gemäß der italienischen
Kunsttheorie, die literarische, höfische und pikturale Diskurse einbezieht, soll der Maler dabei mit
Schnelligkeit und ‚sprezzatura‘ verfahren – dem
berühmten, mit Baldassare Castiglione und dem
idealen Auftreten des Hofmannes assoziierten
Begriff29 – und somit auch die schwierigen Partien seines Gemäldes so aussehen lassen, als
wären sie mit Leichtigkeit gefertigt.30 Mit dieser
ambivalenten Betonung der bei großem Einsatz
dennoch mühelos wirkenden Kunstfertigkeit
zeichnet Molière letztlich auch das Bild eines
Künstlers, das dem Ideal des ‚honnête homme‘
entspricht, wie es in Frankreich bereits in den
1630er Jahren an besonders prominenter Stelle von Nicolas Faret in seinem Buch L’Honnête
Homme ou l’art de plaire à la cour (1630) modelliert worden war.31 In der für Molières Gedicht
charakteristischen Verbindung von Kraft und
Leichtigkeit kommt damit eine Form von Heldentum zum Ausdruck, die im Einklang mit den
mondänen ästhetischen Idealen der zeitgenössischen Eliten zwischen ‚la cour‘ und ‚la ville‘
steht.32
helden. heroes. héros.
3.3.4. Heroisierungsstrategie IV
– die Geschichtskonstruktion
Molière folgt in seinem Gedicht der Geschichtskonstruktion eines dunklen und ungebildeten Mittelalters („fade goût des ornements gothiques“
(V. 84), „siècles ignorants“, (V. 85)), in dem die
Errungenschaften der Antike untergegangen
sind. Diese wurden erst mit der Frühen Neuzeit
wiederentdeckt und im Laufe der Zeit zu neuem
Glanz gebracht.33 Angesichts des Erstarkens
der französischen Kunst und Literatur im Barock
und in der Klassik teilen Molière und De Piles die
Überzeugung, dass man sich einem neuen Gipfel annähere.34 War es für Dufresnoy noch unvorstellbar, dass moderne Künstler wieder das
Niveau eines Zeuxis oder Apelles erreichen,35
sieht Molière in Mignard eine diesen antiken Vorbildern vergleichbare Künstlernatur. Als Apelles
ebenbürtiger Künstler wird er zur Gallionsfigur
seines Zeitalters erhoben und die etablierten
Kunsthelden Giulio Romano, Annibale Carracci,
Raffael und Michelangelo als „Mignards de leur
siècle“ (V. 277) bezeichnet.36 Damit wird also
nicht etwa Mignard zum neuen Raffael erklärt,
sondern vielmehr dieser qua anachronistischem
Umkehrschluss zu einer Präfiguration des französischen Barockmalers.
Neben Raffael (für die Invention), Michel­
angelo (Komposition, Form), Romano und Carracci führt Molière auch Correggio (Licht und
Schatten) und Tizian (Harmonie des Kolorits) als
weitere Vorläufer in der Genealogie heroischer
bzw. gottähnlicher Künstlernaturen an. Raffael
und Michelangelo wurden in der Kunstliteratur
häufig mit dem Epitheton ‚göttlich‘ hervorgehoben und auch Tizians Bezeichnung als „Diuu­s
appellatus“ (V. 534) wird in der von Molière
übernommenen Reihe bei Dufresnoy genannt.
Mignard wird als neuer Apelles in diese Folge
aufgenommen, die göttliche Qualität dabei aber
auf sein Werk bezogen: ebenso wie Zeuxis „fit
aller du pair avec le grand Apelle“ (V. 155), zeigt
sich auch Mignard dem antiken Vorbild durch
sein malerisches Talent als ebenbürtig.37 Wie
die italienisch konnotierte Technik des Freskos
wird Mignard in Molières Gedicht als „Romain“
(V. 234) bezeichnet und im zeitgenössischen
System kultureller Referenzen durch diese bedeutungsreiche Nennung auch in die Nähe
anderer römischer Heldenfiguren gerückt, die
– beispielsweise vermittelt über viel gespielte,
gelesene und diskutierte Dramen wie Corneilles
Horace (1641), Cinna ou la clémence d’Auguste
(1643), La mort de Pompée (1644), Sertorius
(1662) oder Othon (1665) – die Heldendiskurse
der Zeit stark prägten.38
55
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
56
3.3.5. Heroisierungsstrategie V
– der Kupferstich oder der
unsterbliche Ruhm
„La Peinture peignant d’aprés la Verité, qui lui
est montrée par le Tems”39 – die so von SimonPhilippe Mazières de Monville in dessen Biographie zu Pierre Mignard beschriebene Allegorie setzt einen programmatischen bildlichen
Schlusspunkt, der seit der mit Privilège versehenen Edition 1669 kontinuierlich Verwendung
findet und die literarischen Heroisierungsstrategien Molières durch weitere mediale Formen der
Hervorhebung ergänzt. Zu sehen ist in diesem
Kupferstich die in Rückenansicht gezeigte Personifikation der Malerei, die von Chronos auf
das Modell, die (nackte) Wahrheit, hingewiesen
wird [Abb. 3]. Neben den Kunstzitaten, die Mignard damit aufruft,40 spielt er mit Überlagerungen
mehrerer topischer Szenen. Eine Bedeutungsebene liegt in der Vorbildhaftigkeit der Naturschönheit, die in der Kunst als ideale Schönheit
zur Vollendung gebracht wird. Die Landschaft
im Hintergrund markiert dabei den Anteil der
Natur, die venusartige Wahrheit steht hingegen
auf gerastertem Boden, bereit, von der Malerei
auf der Leinwand festgehalten zu werden. Dass
Chronos und Wahrheit ein zusammengehöriges
Paar bilden, wird nicht nur durch dessen Gestik
und das Attribut der Sanduhr in den Händen der
Frau deutlich, ihre Verbindung erschließt sich
dem gelehrten Leser auch durch die ‚Veritas filia
Temporis‘-Allegorie (die Wahrheit als Tochter der
Zeit). Mit der Malerei erweitert sich das Schema
jedoch noch und alludiert die von Plinius berichtete Apelles-Kampaspe-Szene. Der antike
Maler, mit dem Molière Mignard im Gedicht vergleicht, genoss laut Plinius nicht nur das Privileg,
Alexander den Großen zu malen, er durfte auch
dessen Geliebte Kampaspe porträtieren. Bei einem Besuch in Apelles’ Atelier bemerkt Alexander, dass sich der Maler in sein schönes Modell
verliebt hat und überlässt ihm daraufhin großzügig seine Geliebte. Dieses Motiv, das die Beziehung zwischen Herrscher und Künstler und
ihre reziproke Rangsteigerung zum Thema hat,
dient zunächst der Heroisierung Mignards durch
den Vergleich mit dem exzeptionellen antiken
Künstler Apelles. Zudem wird Louis XIV durch
die Beziehung Künstler – Mäzen mit Alexander
und damit einem der profiliertesten Helden der
Tradition in Bezug gesetzt. Der König erscheint
als Chronos bzw. Saturn, d. h. allegorisiert in der
Gestalt eines Gottes, und übernimmt dessen Eigenschaft als Kunstförderer. Nicht die zerstörerische Zeit ist nämlich mit Chronos figuriert, sondern das Anbrechen einer neuen Zeit, in der die
Kunst zu neuer Blüte und neuem Glanz geführt
wird.41 Mit Saturn verbindet sich so eine positive Zeitvorstellung, die Lügen und Neid durch
ihre Entlarvung besiegt und die Wahrheit – die
in der Kunst und Wissenschaft liegt – ans Licht
bringt.42 Als die wahre Kunst gilt dabei Mignards
Malerei, sein Ingenium und sein Talent in allen
drei Teilen (Idee, Komposition/Zeichnung und
Kolorit), wie sie in den die Malerei flankierenden
Figuren personifiziert sind. Molières Geschichtskonstruktion vom dunklen Mittelalter und der neu
erstrahlenden Gegenwart geht völlig auf in der
Ikonographie des Chronos als Wiedererwecker
der Künste, die die Kunstförderung des Herrschers allegorisiert und im Kult um Louis XIV
gipfelt (Hoberg 6-7). Der unsterbliche Ruhm,
der Mignard zuteil wird und der ihn über Chronos erhebt, gründet sich auch auf Molières Text,
dessen letzte Zeilen auf der gleichen Seite wie
der Kupferstich abgedruckt sind. Somit sind es
zwei Kunstwerke bzw. Künste, die vor Chronos
bewahrt und von Louis XIV gefördert werden:
das Fresko Mignards und die Dichtung Molières.
3.3.6. Heroisierungsstrategie VI
– die formalen Attribute des
Heroischen
Neben diesen im weitesten Sinne kunsttheoretisch motivierten und begründeten Heroisierungsstrategien finden sich über den Text verteilt
auch Beispiele dafür, dass Mignard von Molière
noch auf einer anderen Abstraktionsebene mit
den vier oben genannten formalen Attributen des
Heroischen, namentlich Autonomie, Transgressivität, Agonalität und Charisma, als heroische
Figur gekennzeichnet wird.
Die Autonomie, d. h. die Handlungsmächtigkeit und die selbstbestimmte Tätigkeit Mignards,
wird immer wieder besonders betont: So wird
er beispielsweise als ein Maler beschrieben,
der das Fresko „traite à sa manière“ (V. 257)
und sich ganz seinen „emplois de feu“ (V. 348)
verschreibt. Während die gewöhnlichen Maler Techniken wie die Ölmalerei wählen, die es
ihnen erlauben, die zögerlich getroffenen Entscheidungen zu korrigieren, trägt Mignard mit
kräftigen und souveränen „coups de pinceau“
(V. 177) seine Farben auf die Kuppel der Kirche
Val-de-Grâce auf. In diesem Zusammenhang
wird die Tatkraft des heroischen Malers wiederholt auch metonymisch mit der erregten und
schnell agierenden Hand gleichgesetzt: Einmal
ist es die „main prompte à suivre un beau feu qui
la guide“ (V. 267), ein andermal ist es die „main,
qui se met en chaleur“ (V. 313).
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
Die Transgressivität, d. h. die Überschreitung
von Normen, der Bruch mit den Konventionen
und die Erschließung neuer Handlungsmuster
und Werte, wird Mignard von Molière ebenfalls
wiederholt zugeschrieben. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass er sich in allen Belangen vom „peintre commun“ (V. 135) abhebt
und als „grand peintre“ (V. 131) eine Stellung
außerhalb des Gewöhnlichen einnimmt. Das
Fresko mit seiner besonderen Betonung des
Kolorits, das – wie bereits oben ausführlich erläutert wurde – in Kontrast zum normativen Malereiprogramm der ‚Académie‘ stand, lässt Mignard als einen innovativen Künstler erscheinen,
der bewusst die Konfrontation mit der kunstpolitischen Obrigkeit sucht. Immer wieder hebt
Molière (aus kunsthistorischer Sicht zu Unrecht)
hervor, dass ein Fresko wie jenes Mignards ein
absolutes Novum darstelle („Cette belle peinture
inconnue en ces lieux“, (V. 238), „Jamais rien
de pareil n’a paru dans ces lieux“ (V. 281)), das
das Publikum überwältige und in seinen Bann
schlage: „Et la belle inconnue a frappé tous les
yeux“ (V. 282). Damit greift Molière eine wichtige
rezeptionsästhetische Beschreibungskategorie
auf: das Staunen, das sich in der überraschenden Erscheinung des Kunstwerks und der künstlerischen Fertigkeit begründet, wurde – häufig im
Vergleich mit der Dichtung – als bedeutungsvoller Affekt von Lomazzo, Armenini, Comanini und
Zuccari beschrieben.43
Die Agonalität Mignards, d. h. seine Kampfbereitschaft, sein leidenschaftlicher Einsatz
und seine Freude am Wettstreit, ist ein weiterer Punkt, der für die Heroisierung des Malers
in dem Gedicht von entscheidender Wichtigkeit ist. Zum einen ist in diesem Kontext immer
wieder die Rede von den gewaltigen „travaux“
(V. 37, V. 236, V. 331) und dem „effort“ (V. 41)
des Künstlers, der sich ganz in den Dienst seiner
Werke stellt. Und zum anderen stilisiert Mo­lière
die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Malstilen zu einem erbitterten Wettstreit, in dem Mignards Freskotechnik „[s]ur les
honneurs de l’autre emporte la victoire“ (V. 272).
Weiter oben konnte bereits gezeigt werden, dass
der Dichter mit Begriffen wie ‚fierté‘, ‚puissance‘,
‚résistance‘, ‚effort‘ und ‚coup‘ zudem systematisch auf eine kriegerisch-agonale Semantik zurückgreift.
Das Charisma schließlich, d. h. die göttliche
Begabung, die auratische Wirkung und die Anziehungskraft, die Mignard bzw. seinem Kunstwerk zugesprochen wird, ist ein letztes Attribut
des Heroischen, das von Molière im Verbund
mit den Kennzeichen Autonomie, Transgressivität und Agonalität verwendet wird, um seinen
Freund zum Künstlerhelden zu stilisieren. Indem
Mig­nard als genialer Künstler mit einer göttlichen
helden. heroes. héros.
„pouvoir“ (V. 31), mit Gaben, die als „largesse“
(V. 131) und „présents du Ciel“ (V. 199) bezeichnet werden, ausgestattet wird, hebt er sich als
ein auserwähltes Individuum von der Masse gewöhnlicher Künstler ab. Molière schwärmt, dass
seine Werke ein gewisser Zauber („merveille“,
(V. 204); „miracles“ (V. 286)) umspiele, der sich
als Phänomen des Inkommensurablen letztlich
allen rationalen Erklärungsversuchen entziehe.
Mignards Kunstwerke „font voir / Ce que l’esprit
de l’homme a peine à concevoir“ (V. 325-326).
Für die starke Anziehungskraft, die sie so auf die
Betrachter ausüben, findet sich gleich eine ganze Reihe von umschreibenden Begriffen. Einmal
ist die Rede von „charme“ (V. 29), ein andermal
von „force“ (V. 30) und nachdem es einmal heißt,
dass das Kunstwerk „[a]ttirera les pas des savants curieux“ (V. 206), gipfelt die Schilderung
der charismatischen Wirkung des Schöpfers und
seines Kunstwerks bezüglich der Höflinge in der
Feststellung, es habe „pour quelque temps fixé
l’inquiétude; / Arrêté leur esprit; attaché leurs regards“ (V. 288-289). Indem das Gemälde durch
sein „brillant de grandeur“ (V. 93), seinem Eindruck von Licht und Größe, gleich doppelt visuell
hervorsteche, ziehe es die Zuschauer in seinen
charismatischen Bann. Diese Wirkung ist auch
dem strahlenden Helden eigen.
4. Ut pictura poiesis
Molière widmet sich in seinem Gedicht aber
nicht nur lobend Mignard und seinem Werk, sondern, so die These, schafft es dabei auch auf
subtile Art und Weise, sich qua Fremdheroisierung selbst zu heroisieren. Bevor es in der Folge
darum geht, dies herauszuarbeiten, sei in aller
Kürze gezeigt, wie Molière sich unter Rückgriff
auf kunst- und literaturtheoretische Topoi als
sprachbegabter Kunstkenner inszeniert, der dadurch zwar noch kein Held, wohl aber eine bewundernswerte Ausnahmegestalt ist. Als solche
zeigt er sich letztlich selbst dem König ebenbürtig, wird dieser doch auch als ein Mann beschrieben, der mit einem „goût délicat des savantes
beautés (…) [d]écide sans erreur, et loue avec
prudence“ (V. 294-296).
4.1. Kunstkennerschaft
Die Beschreibung des Kuppelfreskos leitet Molière, wie bereits weiter oben gezeigt werden
konnte, als ‚Schule des Sehens‘ ein. In der paradoxen Definition des Kunstwerks als „école
ouverte“ (V. 44) und Mysterium, hält er nicht nur
das Talent des Künstlers hoch, das letztlich allen
57
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
58
Regeln enthoben ist, sondern erklärt sich auch
selbst zum Kunstkenner und -vermittler. Obwohl
Molière selbst kein Mitglied der Académie ist,
verfügt er doch über genügend theoretisches
Wissen, um sich in seinem Lobgedicht als fachkundiger ‚amateur‘ darzustellen, der darüber
hinaus das Vermögen besitzt, das Kunstwerk
durch seine Sprachfertigkeit blicklenkend dem
Betrachter näherzubringen.44
Der auf die Ars Poetica des Horaz zurückgehende Topos des ‚ut pictura poiesis‘, den Mo­lière
verwendet, um die Nähe der Künste Dichtung und
Malerei im Sinne eines Schwesternverhältnisses
(„la Poésie, et sa sœur la Peinture“, (V. 63)) zu
betonen, ist in den kunsttheoretischen Schriften
des 17. Jahrhunderts gängige Münze und überrascht deshalb kaum. Er findet sich in Molières
Text in einer Formulierung, die den von Plutarch
überlieferten Ausspruch des Simonides aufgreift, wonach die Malerei stumme Dichtung und
die Poesie sprechende Malerei sei: „ces deux
sœurs si pareilles/ Charment, l’une les yeux, et
l’autre les oreilles“ (V. 67-68). Auch mit dem Rat,
sich beim Malen nach den Gesten der Stummen
zu richten, pflegt Molière die kunsttheo­retische
Tradition (Alberti, Leo­
nardo).45 Die Beziehung
der Künste wurde dabei ob ihrer Kunstmittel und
Wirkung häufig auch als Paragone, als Wettbewerb und Rivalität dargestellt – ein Standpunkt,
der in Molières Umfeld unter anderem von
Claude Perrault, Sekretär der ‚Petite Académie‘46
und später auch Mitglied der ‚Académie Royale
de Peinture et de Sculpture‘ sowie Organisator
der ‚Conférences‘, vertreten wurde.47 Jean de La
Fontaine bringt diese rivalisierende Haltung zum
Ausdruck, wenn er, der Dichter, in seinem Fragment gebliebenen Langgedicht Le Songe de
Vaux von 1671 provokativ zuspitzt: „Enfin, j’imite
tout par mon savoir suprême; / je peins, quand
il me plaît, la peinture elle-même“ (La Fontaine
108). Für Molière sind Dichtung und Malerei jedoch gleichwertige Ausdrucksmittel, was nicht
zuletzt dadurch zu Tage tritt, dass er Metaphern
aus dem Bereich des Theaters verwendet, um
Mignards Fresko zu beschreiben. Wie bereits
René Bray, Emmanuelle Hénin und Jacqueline
Lichtenstein zeigen konnten, handelt es sich
bei Molières Bildbeschreibung aber interessanterweise nicht um eine traditionelle Ekphrasis
(„Le poème (…) ne décrit point l’œuvre qui lui
donne son titre.“ (Bray 194)), sondern vielmehr um
eine „théorie enveloppée de fiction dramatique“
(Hénin 34)48 bzw. eine „véritable théorie colorist­e
de la peinture“ (Molière 1349), die sowohl als
eine Apologie des Malstils Mignards als auch der
eigenen Dramenkunst verstanden werden kann.
Dieser freilich an keiner Stelle explizit gemachte Argumentationszusammenhang wird augenscheinlich, wenn man zum einen beachtet, wie
über den ganzen Text verteilt immer wieder eine
wesenhafte Nähe zwischen den beiden Künsten
betont wird, und zum anderen vergleicht, inwiefern die Charakterisierung der Kunst Mignards
auf Grundsätze der Poetologie Molières zurückzuführen ist.49 So wird die durch das Fresko
ausgestaltete Kuppel etwa als ein „ample thé­
âtre“ (V. 20) und ein „spectacle“ bezeichnet, in
dem die „première figure“ bzw. der „héros“ dem
„spectateur“ gegenüber als „plus beau personnage“ eine besondere „rôle“ (V. ­92-98) einnimmt.
Das Theater und die Malerei, das suggerieren
Molières Ausführungen, bedienen sich gleicher
oder doch zumindest ebenbürtiger Mittel, um
den „achèvement de l’art“ (V. 160) zu realisieren.
So sieht Molière – wie Hénin es ausdrückt – in
Mignards Freskomalerei den „reflet de sa propr­e
pratique“ (Hénin 41). Genau genommen ist es
der Autor, der die Qualitäten der Malerei beschreibt und damit seine eigenen Fähigkeiten an
den Endpunkt des Vergleichs setzt – es braucht
den Dichter und Kunstkenner Molière, um die
außergewöhnliche Qualität der Schöpfung Mignards zu verstehen und zu vermitteln.
4.2. Selbstheroisierung qua Fremd­
heroisierung
Über die größtenteils topische Engführung der
beiden Kunstformen hinaus lässt sich auch
nachweisen, dass die Heroisierung Mignards
eine Selbstheroisierung Molières impliziert.
Indem signifikante Parallelen in der Spezifik
der beiden künstlerischen Ansätze betont werden, treten beide als Künstlerhelden hervor.
Die lebhafte „diversité“ der Formen, Farben
und Figuren (V. 133), die das Fresko Mignards
wirklichkeitsgetreu erscheinen lässt, ist ein wesentliches Merkmal der großen Charakter- und
Sittenkomödien Molières. In diesen als „miroirs
publics“ (Molière 502-503)50 konzipierten Stücken werden repräsentative Figuren der Zeit
mit ihren Lastern und Schwächen dargestellt,
wobei großer Wert darauf gelegt wird, dass die
„peinture de leurs défauts“ (Molière 93)51 nicht
im rein Typenhaften verharrt, sondern die Vielfalt
der Charakterzüge individueller ‚personnages‘
erkennen lässt. In der Einleitung zur Neuauflage der Gesammelten Werke Molières heben
Georges Forestier und Claude Bourqui bezüglich dessen ‚programme de peinture de mœurs‘
in diesem Sinne auch hervor, dass sich Molière
als erster Komödiendichter seiner Zeit explizit
mit den verschiedenen Werten und Verhaltensweisen seines durchaus heterogenen Publikums
auseinandergesetzt habe: „Par rapport à celles
de ses prédecesseurs et de ces concurrents, les
comédies de Molière se singularisaient donc par
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
un degré absolument inédit d’intégration des valeurs du public“ (Molière, I, 30).
Auch schreibt Molière der Kunst Mignards
und seinem eigenen Theater eine ähnliche Wirkung zu. Mignards Fresko habe „touché de la
cour le beau monde savant“ und selbst auf die
weniger gebildeten Höflinge einen starken Effekt ausgeübt. Es habe „fixé l’inquiétude; / Arrêté
leur esprit; attaché leurs regards“ (V. 285-289).
In La critique de l’École des femmes expliziert
Uranie dem ganz ähnlich Molières Verständnis
der Komödie, wenn sie sagt: „Pour moi, quand
je vois une Comédie, je regarde seulement si
les choses me touchent“ (Molière, I, 507). Auch
wenn sich Molière in dem stark poetologisch geprägten Stück klar von der aristotelischen Poetik abgrenzt, unterstreicht er doch die affektive
Wirkung, die einen zentralen Wert der dramatischen Kunst ausmache. Steht bei Aristoteles mit
Blick auf die Tragödie die kathartische Wirkung
der Affekte ‚phobos‘ und ‚eleos‘ im Mittelpunkt,
so ließe sich Molières wirkungsästhetisches Programm freilich besser auf die Begriffe ‚toucher‘
und ‚plaire‘ zuspitzen – eine Wirkung, die sich
ihm zufolge auch bei der Betrachtung von Mig­
nards Fresko einstelle.
Dass sich Molière durch die Engführung der
besagten ästhetischen Gestaltungsprinzipien
implizit auch selbst heroisiert, wird besonders
dann deutlich, wenn man bedenkt, welcher Stellenwert der Fähigkeit zum schnellen Handeln in
der weiter oben analysierten Heroisierung Mig­
nards zukommt. Die „justesse rapide“ (V. 268),
mit der dieser seinem „travail soudain“ (V. 257)
im Fertigungsprozess des Freskos nachkommt,
lässt sich sehr gut auf Molières eigenen Schaffensprozess rückbeziehen. In dem selbstreferentiellen Einakter L’Impromptu de Versailles,
1663 uraufgeführt, aber erst 1682 posthum publiziert, lässt Molière seinen gleichnamigen Protagonisten ausdrücklich den Wert des schnellen
Arbeitens hervorheben:
Molière: Mon Dieu, Mademoiselle, les
Rois n’aiment rien tant qu’une prompte
obéissance […]. Ils veulent des plaisirs
qui ne se fassent point attendre […] et
lorsqu’ils nous ordonnent quelque chose,
c’est à nous à profiter vite de l’envie où
ils sont. Il vaut mieux s’acquitter mal de
ce qu’ils nous demandent, que de ne s’en
acquitter pas assez tôt; et si l’on a la honte
de n’avoir pas bien réussi, on a toujours la
gloire d’avoir obéi vite à leurs commandements. (Molière 823)
Gerade die von Louis XIV beauftragten Stücke
mussten oftmals unter erheblichem Zeitdruck
fertig gestellt werden und es überrascht nicht,
wenn Molière die exzeptionelle Fähigkeit, Werke
helden. heroes. héros.
schnell und kunstfertig auszuführen, an zentraler
Stelle erwähnt, um sich selbst qua Fremdheroisierung zu einem Helden der literarischen Kunst
zu stilisieren.
4.3. Die Künstler auf dem Parnass
Der dem Gedicht in der Edition von Le Petit
voran­gestellte Kupferstich Minerve conduisant
la Peinture sur le Parnasse [Abb. 4] greift die
Thematik der Selbstheroisierung qua Fremd­
heroisierung auf. Er zeigt, wie die Allegorie der
Malerei von Minerva, der Schutzgöttin der Malerei, auf den Parnass geführt wird, wo die Musen
zu Füßen ihres Gottes Apoll ruhen.52
Dieser, lorbeerbekrönt und mit seinem Attribut, der Leier, im Arm, kann durch Embleme des
Rahmens – eine weitere Leier, flankiert von zwei
Adlern – und der darüberstehenden strahlenden
Sonne mit Louis XIV assoziiert werden.53 Der
König bietet den Künsten und Wissenschaften
‚sicheres Asyl‘, sein politischer Erfolg wird mit
dem Aufstieg und der Entwicklung der französischen Künste als Zeichen seiner Macht parallelisiert: „et même à mesure que les Armes de
Sa Majesté faisoient de nouvelles conquêtes,
ils faisoient aussi de nouveaux progrez pour
rendre plus mémorable le règne de ce puissant
Mo­
narque“ (Félibien 7).54 Obwohl Apoll meist
deutlicher mit der Dichtung (etwa durch das
Attribut der Leier) als mit der Malerei assoziiert
wird, kann mit der Sonnenemblematik im Umfeld
Louis‘ auch auf die Bildende Kunst verwiesen
werden. Laut Perraults mythischer Schöpfungsgeschichte der Malerei ist es die Louis-Apoll repräsentierende Sonne, die „mit ihren Strahlen
jedem Ding seine Farben wie mit dem Pinsel“
(Brassat 360)55 verleiht. Der Herrscher erscheint
durch die Überblendung mit dem Musengott
Apoll selbst als heroischer ‚Schöpfer‘ – eine seit
der Renaissance gebräuchliche Bezeichnung
für Künstler, die ihre intellektuelle und geistige
Qualität betont. Dank der Förderung des schöpferisch-heroischen Königs Louis-Apoll wird die
Malerei in das Reich der Musen aufgenommen
und damit – ähnlich der Aufnahme von Helden in
den Götterhimmel Olymp – heroisiert.
Vermittelt über die Heroisierung der Malerei
wird in dem Kupferstich aber auch die Dichtung
ausgezeichnet: Durch das bekannte Wortspiel
von Apelles und Apollo, der in erster Linie der
Gott der Dichtkunst ist, wird der bereits im Gedicht mit dem Topos der Schwesternkünste realisierte Vergleich von Malerei und Dichtung aufgenommen. Es ist in einer weiteren Bezugsebene
nicht nur der Maler Mignard – vertreten durch die
Allegorie der Malerei –, sondern auch der Dichter
59
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
60
Molière auf dem Weg zum Parnass, zum Musengott Apoll. Dies wird nicht nur im Bild durch die
Zuständigkeitsbereiche von Minerva (Kunst) und
Apoll (Dichtung) inszeniert, sondern erschließt
sich auch durch den Umstand, dass der Kupferstich ein paratextuelles Element des Gedichtes
von Molière ist. Die Kunst und die Dichtung sind
über das Medium des Druckes damit auch auf
einer ganz konkreten, materialen Ebene mitei­
nander verbunden.
5. Fazit
Das Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce ist ein
herausragendes Beispiel intermedialer Heroisierungsstrategien. Vor dem Hintergrund einiger
allgemeiner theoretischer Überlegungen konnte das Enkomium mitsamt seiner Kupferstiche
gewinnbringend einer konkreten Modellanalyse
unterzogen werden. Dabei wurde gezeigt, inwiefern (künstlerisches) Heldentum mit sozialen
Funktionalisierungen wie auch mit Prozessen
der interpersonalen Zuschreibung und der medialen Kommunikation verbunden ist. Das Phänomen der Heroisierung konnte selbst wiederum
im Spannungsfeld von künstlerischer Praxis,
Kunsttheorie und professioneller Pragmatik verortet und am Analysegegenstand des Enkomiums nachgewiesen werden.
Die in Molières Lobgedicht angelegte Intermedialität ergibt sich nicht nur thematisch durch
die literarische Beschreibung eines Kunstwerks.
Durch den Topos des ‚ut pictura poiesis‘, den
Molière beziehungsreich ausgestaltet, setzt er
seinen Künstlerhelden Mignard mit sich selbst
als Heldenmacher in Beziehung. Das lebhafte
Kolorit, dem eine wesentliche Rolle im Zusammenhang diesr Argumentation zukommt, zeichnet Molière zufolge nicht nur Mignard gegenüber LeBrun aus, sondern wird zur Chiffre für
das eigene literarische Schaffen. Eine ähnliche
Parallelisierung verbindet die Technik der Freskomalerei mit Molières Produktionsweise: Beide
setzen einen schnell, entschlossen und beherzt
agierenden Künstler voraus, der sich damit als
heroische Figur des Außergewöhnlichen vom
‚artiste commun‘ abhebt.
Vor dem Hintergrund der virulenten Debatten
der ‚Académie‘ und dem sensiblen Verhältnis
zur kunstfördernden Obrigkeit stehen Künstler
wie Molière und Mignard unweigerlich in Konkurrenzen und Abhängigkeiten, die anhand der
besprochenen Heroisierungsstrategien letztlich auch als intermedialer Wettstreit und als
Überbietungsstrategie der ‚richtigen‘ Kunstmittel verstanden werden müssen. Durch die Heroisierung des Künstlers und seiner Kunst – in
diesem Fall direkt von Mignard und dem Fresko
in Val-de-Grâce, indirekt von Molière und seinem
dichterischen Schaffen – stehen sich zwei Medien jedoch nicht konkurrierend gegenüber, vielmehr gehen sie eine schwesterliche Beziehung
ein. Mit den Heroisierungsstrategien begegnen
Molière und Mignard, gewissermaßen vereint als
heroische Kampfgefährten, ihren Kritikern und
schlagen diese mit den Waffen ihrer künstlerischen Theorie und Praxis.
1 Der Illusionismus der figurenreichen Spiralstruktur, die
ein Abbild der göttlichen Unendlichkeit suggeriert, wurde zuerst 1530 in der Himmelfahrt Mariä im Dom zu Parma von
Correggio zelebriert. Auch Lanfranco in Sant’ Andrea della
Valle in Rom schuf ein ähnlich strukturiertes Kuppelfresko,
gefolgt von Cortonas Trinität 1647-51 und der Himmelfahrt
Mariä 1659-60 in der Chiesa Nova (Santa Maria in Vallicella).
2 Der Hinweis auf die Rezeption des Werkes, insbesondere auch bei Perrault, ist Jacqueline Lichtensteins Notice
in der Ausgabe der Bibliothèque de la Pléiade zu verdanken.
Vgl. dazu Molière 1347.
3 Die Abtei wurde 1621 von Anne d’Autriche gegründet.
Für den Bau der neuen Kirche von Val-de-Grâce legte Louis
XIV 1645 den Grundstein. Er wurde nach Plänen von François Mansart begonnen, nach einer Bauunterbrechung durch
die Fronde dann von Jacques Lemercier, Pierre Le Muet und
Gabriel Le Duc vollendet.
4 Dies ist der einzige Ort ihrer Darstellung als Ganzfigur,
im dekorativen Programm der Kirche ist die Königin sonst
vertreten durch Wappen oder Monogramm.
5 Vgl. dazu Germann, Jennifer. „The Val-de-Grâce as a
Portrait of Anne of Austria. Queen, Queen Regent, Queen
Mother.“ Architecture and the Politics of Gender in Early
Modern Europe. Hg. Helen Hills. Aldershot: Ashgate, 2003:
47-61 und Rotmil, Lisa A. „Understanding Piety and Religious Patronage. The Case of Anne of Austria and the Valde-Grâce.“ Art in Spain and the Hispanic World. Essays in
Honor of Jonathan Brown. Hg. Sarah Schroth. London: Holberton, 2010: 267-281.
6Das Privilège der ersten, bei Jean Ribou 1669 in Paris
erschienenen Ausgabe ist auf den 5.12.1668 datiert. Sehr
wahrscheinlich hat es unmittelbar davor aber bereits Lesungen Molières im Salon der Mlle de Bussy gegeben. Vgl. dazu
Molière 1346. Zur Freundschaft der beiden Künstler vgl. ebd.
und Bray 194.
7 Es kann vermutet werden, dass Molière selbst mit Mig­
nard, der die zeichnerischen Vorlagen schuf, über die Platzierung und Gestaltung der Kupferstiche übereinkam. Die
Illustration von gedruckten literarischen Werken war im
17. Jahrhundert üblich und wurde zunehmend als ergänzender und erklärender Buchschmuck verstanden. Zwar hatte
auch der Verleger ein kaufmännisches Interesse an der Ausgestaltung des Druckes, doch sind die Abbildungen in Molières Gedicht argumentativ so tiefgründig, wie es nur eine
Zusammenarbeit zwischen Autor und Künstler erlaubt. Der
ausführende Kupferstecher François Chauveau illustrierte einige Werke von Molière, La Fontaine und Racine (vgl.
Funke, Fritz. Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte
des Buches. 6. überarb. und ergänzte Aufl. München: Saur,
1999: 291).
8 In weiten Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften wird bislang oftmals mit Begriffen wie ‚Held‘, ‚heroisch‘ und ‚Heroisierung‘ sowie ihren jeweiligen Derivaten
operiert, ohne sie theoretisch und methodisch weiter einzugrenzen und in ihren jeweiligen sozialen, kulturellen und
medialen Konfigurationen zu verorten. Der Freiburger SFB
948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, in dessen
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
interdisziplinärem Kontext beide Autoren forschen, hat sich
diese fehlende historisch perspektivierte Analyse zum Ziel
gesetzt. Der vorliegende Beitrag widmet dem Phänomen der
Heroisierung zum einen eine dezidiert theoretische Aufmerksamkeit, vollzieht dieses zum anderen aber auch an der konkreten Auseinandersetzung mit schriftlichen und pikturalen
Zeugnissen nach.
9 In Frankreich vollzieht sich diese Weitung des Begriffs
héros etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Herbert Kolb
geht in einem insgesamt gut dokumentierten Aufsatz der
Kongruenz und Differenz der als „moralisch“ und „literarisch“
bezeichneten Heldenbegriffe nach, gibt allerdings einen falschen Erstbeleg für die Verwendungsweise von héros als
Hauptfigur an: Er führt ihn auf das Examen von Corneilles
Polyeucte zurück, übersieht dabei aber, dass dieses erst
der Edition von 1660 beigefügt wurde und nicht schon, wie
fälschlicherweise angenommen, der Erstausgabe von 1643.
Vgl. Kolb, Herbert. „Der Name des ‚Helden‘: Betrachtungen zur Geltung und Geschichte eines Wortes.“ Zeiten und
Formen in Sprache und Dichtung. Hg. Karl-Heinz Schirmer.
Wien: Böhlau, 1972: 384-406.
10 Die Begriffe werden unter 3.3.6. näher erläutert. Vgl.
dazu auch den Grundlagentext des Freiburger SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, in dem unter anderem
diese vier Attribute im Sinne einer Wittgenstein’schen ‚Familienähnlichkeit‘ zur heuristischen Bestimmung heroischer
Figuren angeführt werden: von den Hoff u. a. 8.
11Vgl. speziell für den Aspekt der Heroisierung Hans
W. Hubert zu Michelangelos David-Statue: Hubert, Hans
W. „Gestalten des Heroischen in den Florentiner DavidPlastiken.“ Heroen und Heroisierungen in der Renaissance
(Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung
28). Hg. Achim Aurnhammer u. a. Wiesbaden: Harrassowitz,
2013: 181-218.
12 Ca. 1637-38, Öl auf Leinwand, 159 x 206 cm, Paris,
Musée du Louvre; eine zweite Fassung in New York, Metropolitan Museum of Art.
13 1661-65, Öl auf Leinwand, 707 x 450 cm, Paris, Musée
du Louvre.
14 Der Frage nach den Formen auratischer Repräsentation
des Helden in Frankreich vom 17. bis zum 19. Jahrhundert
gehen Andreas Gelz und Jakob Willis in einem romanistischen Teilprojekt des SFB 948 nach.
15 Im Anschluss an Soeffners Überlegungen zum Heiligen
lässt sich zeigen, wie der Held über indexikalische Zeichen
wie den Glanz als reines Präsenzerlebnis und als ein inkommensurables Phänomen des Exzeptionellen konstruiert wird.
16 Heroisierung und Divinisierung verfügen somit über ein
vergleichbares Repertoire an Verfahren, weshalb beide,
nicht zuletzt auch durch den antiken Ursprung der Helden
als Halbgötter, nicht immer klar voneinander abzugrenzen
sind. Das Heroische kann ebenso im Zeichen des Religiösen
auftreten, wie das Religiöse im Zeichen des Heroischen, so
dass es beispielsweise auch schwierig bis unmöglich ist, ein
Phänomen wie den Glanz des Helden losgelöst von seinen
religiösen Implikationen zu betrachten.
17 Zur Imitation Alexanders des Großen im römischen Bildnis und der besonderen Rolle der Stilisierung der Haartracht
vgl. Fittschen, Klaus. „‚Barbaren-Köpfe‘: Zur Imitation Alexanders des Großen in der mittleren Kaiserzeit.“ The Greeks
Renaissance in the Roman Empire. Hg. Susan Walker u.
a. (Papers from the tenth British Museum Classical Colloquium). London: University of London Institute of Classical
Studies, 1989: 108-113.
18 Dass auch Künstler zum Helden stilisiert werden können, zeigt sich in diversen Formen der Fremd- und Selbstheroisierung: Michelangelo etwa ist der ‚göttliche‘ Künstler;
Rubens inszeniert sich als Malerfürst, dessen politisch und
intellektuell aufgeladene Werke sogar in diplomatischen
helden. heroes. héros.
Verhandlungen über Krieg und Frieden eingesetzt werden
(vgl. Jacob-Friesen, Holger. „Malender Philosoph, Gelehrter
Edelmann und Diplomat. Zu Rubens’ Selbstverständnis und
Selbstdarstellung.“ Peter Paul Rubens. Ausst.-Kat. Wuppertal 2012-2013. Hg. Gerhard Finckh u. a. Wuppertal: Von der
Heydt-Museum, 2012: 128-145); Poussin überwindet agonal
die Grenzziehungen französischer und italienischer Kunst
und damit nationale Schranken. Insbesondere die Literatur
und Biographik hat mit topischen Überhöhungsstrategien
regen Anteil an der Heroisierung von Künstlern (vgl. den
in Vorbereitung befindlichen Sammelband Helm, Katharina
u. a. Hg. Künstlerhelden? Heroisierung und mediale Inszenierung von Malern, Bildhauern und Architekten. Merzhausen: ad picturam, 2015).
19 Die Tatsache, dass sich Molière in der Entstehungszeit
des Gedichts trotz des allgemeinen Erfolgs auch mit der
teilweise sehr erbitterten Kritik an seinem bereits 1664 uraufgeführten, aber erst im Februar 1669 in einer deutlich
veränderten Version endgültig auf die Bühne gebrachten
Stück Tartuffe ou l’Imposteur auseinandersetzen musste,
legt ebenfalls nahe, dass er in dem Gedicht auch in eigener
Sache spricht. Vgl. dazu auch Hénin 44.
20Auch andere Begriffe aus dem Bereich des Leiden­
schaftlichen („brûlent“ (V. 220), „soupirs“ (V. 222), „embrasser“ (V. 223)) tragen an dieser Stelle mit dazu bei, leichte
Zweifel an der Stimmigkeit der Verbindung zwischen dem
sinnlichen Gemälde und seinem keuschen geistlichen Umfeld zu nähren.
21 Neu war die Technik des Freskos zwar in Frankreich
nicht, wie Molière behauptet, doch wurde mit Mignard ein
neuer Höhepunkt erreicht.
22 Aleida und Jan Assmann haben mehrfach auf die erinnerungsstabilisierende „Verbindung von Text und Name“ hingewiesen. Als klassisches Beispiel führen sie die „Sieges-,
Helden- und Preislieder der mündlichen Kultur“ an, doch
auch die schriftliche Herrscherpanegyrik soll der Sicherung
der ‚fama‘ dienen. Vgl. Assman, Aleida u. a. „Schrift und Gedächtnis.“ Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation I. Hg. Aleida Assmann u. a. München:
Fink, 1983: 265-284, hier 276-277.
23 Molière erwähnt in seinem Gedicht die Arbeiten Mig­
nards im Schloss von Saint-Cloud. Dort schuf der Künstler
in Stuck eingelassene Leinwandbilder für den Bruder des
Königs. Von der ausgestatteten Galerie d’Apollon mit dem
flankierenden Salon de Mars und dem Cabinet de Diane, die
1870 zerstört wurden, haben sich Zeichnungen, Kupferstiche, Tapisserien und Fotos erhalten. Vgl. Widauer, Heinz.
Die französischen Zeichnungen der Albertina. Vom Barock
bis zum beginnenden Rokoko (beschreibender Katalog der
Handzeichnungen in der Albertina, X). Hg. Klaus Albrecht
Schröder. Wien u. a.: Böhlau, 2004: 42-43.
24 Die Semantik findet sich in der Zeit beispielsweise in­
den heroischen Tragödien Pierre Corneilles. Seit seinem
epochemachenden Stück Le Cid (1637), das ein starkes
Individuum im Konflikt mit den moralischen Normen der
Gesellschaft und im Kampf gegen eine äußere Gefahr
des Landes glorifiziert, wurde Corneille im Frankreich des
17. Jahrhunderts als wichtigster Autor heroischer Stoffe
wahrgenommen. Ein wertvoller aktueller Überblick über zentrale Positionen der Corneille-Forschung bezüglich der Frage des Heldentums findet sich bei Dufour-Maître, Myriam.
Héros ou personnages? Le Personnel du théâtre de Pierre
Corneille. Mont-Saint-Aignan: Presses Univ. de Rouen et du
Havre, 2013: 7-17.
25 Für diesen Vorgang hat sich der Topos von Zeuxis und
den Jungfrauen von Kroton in der Kunstliteratur fest etabliert.
Plinius berichtet, wie Zeuxis die schönsten Jungfrauen der
Insel als Modelle für seine ideale Statue der Helena in seinem Atelier versammelte (Plinius. Naturalis Historia. XXXV:
64).
61
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
62
26„Geniumque scientia complet“ (V. 65); „Haud quiscumque uiris diuina haec munera dantur“ (V. 91); bei De Piles XIX. „Qu’il ne faut pas trop s’attacher à la nature, mais
l’accomoder à son génie“ (Dufresnoy 468-487). Die neoplatonische Auffassung des ‚furor divinus‘ als eine Inspiration,
die auch der Poesie zugrunde liegt, wurde von Lomazzo auf
die figurativen Künste ausgedehnt (Lomazzo, Gian Paolo.
Scritti sulle arti I. Hg. Roberto Paolo Ciardi. Florenz: Marchi
& Bertoldi, 1973: LXXVII).
27 Zur wechselvollen Geschichte der Konzepte von ‚génie‘
und ‚grand homme‘ sowie ihrer Interferenzen mit dem Konzept des Helden vgl. u. a. Gaehtgens, Thomas W. Hg. Le culte des grands hommes. Paris: Ed. de la Maison des Sciences
de l’Homme, 2009; Dufief, Pierre-Jean u. a. Hg. L’écrivain
et le grand homme. Genf: Droz, 2005; Minois, Georges. Le
culte des grands hommes. Des héros homériques au star
system. Paris: Audibert, 2005.
28Vgl. Held, Jutta. „Die Pariser ‚Académie Royale de
Peinture et de Sculpture‘ von ihrer Gründung bis zum Tode
Colberts.“ Europäische Sozietätsbewegungen und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen
Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hg.
Klaus Garber. Tübingen: Niermeyer, 1996, Bd. II: 1748-1779,
hier 1779.
29Hierzu Burke, Peter. The Fortunes of the ‚Courtier‘.
The European Reception of Castiglione’s Cortegiano. Cambridge: Polity Press, 1995.
30 Zum Zusammenhang von ‚ingenium‘, ‚imitatio‘, ‚aemu
latio‘, ‚sprezzatura‘ im Kontext von Begabung, Virtuosentum
und Genie vgl. Emison, Patricia A., Creating the ‚Divine‘ Artist. From Dante to Michelangelo (Cultures, Beliefs and Traditions, 19). Leiden u. a.: Brill Academic Pubs, 2004: 19-58 und
Krieger, Verena. Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer
– Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen. Köln: Deubner, 2007: 19-21 und 35-39.
31 In der Kunst wurde das Ideal der ‚sprezzatura‘ ausgehend von Baldassare Castigliones Ideal des Hofmannes
bereits im 16. Jahrhundert angestrebt. Insbesondere Raffael
wurde diese Qualität in seinen Werken häufig attestiert.
32Diese Form eines mondän-galanten Heroismus fand
ihren Niederschlag beispielsweise in der Gattung des ‚roma­n
héroïque‘, mit der Autoren und Autorinnen wie Gautier
de Costes de La Calprenède und Madelaine de Scudéry
zwischen 1630 und 1660 große Publikumserfolge erzielten. Vgl. zum Heroismus im heroisch-galanten Roman bei
Madelaine de Scudéry: Chariatte, Isabelle. La Rochefoucauld et la culture mondaine. Portraits du cœur de l’homme.
Paris: Classiques Garnier, 2011: 132-144.
33 Auch für Giorgio Vasari galten insbesondere die Goten in
dieser Vorstellung als barbarische Kunstbanausen. Während
er in ihrer Malerei nur „Hampelmänner und Plumpheiten“
sieht, erkennt er auch in der Architektur das Fehlen jeglicher Ordnung, Abmessung, Anmut, von ‚disegno‘ und Vernunft, „da jegliche Form und gute Praxis durch den Tod der
Künstler und die Beschädigung und Zerstörung der Werke
verlorengegangen war“ (Vasari, Giorgio. Kunstgeschichte
und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler. Neu übers. von Victoria Lorini.
Hg., eingeleitet und kommentiert Matteo Burioni u. a. Berlin:
Wagenbach, 2004: 64); vgl. auch Brandeis, Marcus. La maniera tedesca. Eine Studie zum historischen Verständnis der
Gotik im Italien der Renaissance in Geschichtsschreibung,
Kunsttheorie und Baupraxis. Weimar: VDG, 2002.
34 Vgl. dazu den Kommentar Dufresnoys 308-309.
35 „Nec qui Chromatices nobis hoc tempore partes / Re­
stituat, quales Zeuxis tractauerat olim, / Huius quando maga
uelut arte aequauit Apellam / […] meruitque coloribus altam/
Nominis aeterni famam toto orbe sonantem“ (V. 256-260);
„aussi ne voit-on personne qui rétablisse la ‚cromatique‘, et
qui la remette en vigueur au point que la porta Zeuxis […] et
qui sait si admirablement tromper la vue, il se rendit égal au
fameux Apelle […], et qui mérita pour toujours la réputation
qu’il s’est établie par tout le monde.“ (De Piles, zit. nach Dufresnoy 471-472).
36 Paul Mignard, der Neffe des Künstlers, lobt bezeichnenderweise in einer Ode auf LeBrun, die der Akademie gewidmet ist, den Rivalen seines Onkels als „l’Apelle de notre âge
par Apollon“, vgl. Mai 235.
37 Der erste Historiograph der Académie, Guillet de SaintGeorges, bestätigt diese Rezeption Mignards und nimmt
dabei auf Molière und LeBrun Bezug: „Hé quoi! disait-on à
Le Brun, croyez-vous que M. Mignard ait besoin d’un Molière pour publier que Jules, Annibal et Michel-Ange ont été
les Mignards de leur siècle? Ce qu’il a fait depuis la mort
de Molière confirme ce que cet auteur a dit de lui. On désire partout de ses ouvrages […]. Vos patrons mêmes en
veulent dans leurs cabinets. Il est estimé en France aussi
bien qu’ailleurs par tout ce qu’il y a de grand.“ (Zit. nach Fontaine, André. Académiciens d’autrefois. Le Brun – Mignard
– Les Champaigne – Bosse – Jaillot – Bourdon – Arcis – Paillet, etc. Paris: Laurens, 1914: 167).
38 Eingebettet in die auf kunstpolitischer Ebene geführte
‚Querelle des anciens et des modernes‘ konnte die Rivalität zwischen Mignard und LeBrun auch als nationale und
jeweils anders kulturhistorisch geprägte Konkurrenz verstanden werden. Dass zumindest mit dem Erfolg italienischer
Künstler in Frankreich eine Orientierung an Italien üblich war,
ist in prominentester Form an der sog. Ersten Schule von
Fontainebleau (1530-1570) ersichtlich: François I berief zur
Ausstattung des Schlosses vornehmlich italienische Künstler
(Rosso Fiorentino, Primaticcio, Nicolò ell’Abbate). Den Kulturtransfer, der dabei stattfand, versuchte Kardinal Mazarin
später zu intensivieren, doch brachten auch die aus seiner
Heimat importierten Kunstwerke ein ‚römisches Klima‘ nach
Paris. Sowohl die Gründung der französischen Akademie in
Rom als auch Dufresnoys Kompilation italienischer Theo­
rien für seinen Regelkodex französischer Malerei zeugen
schließlich von einer auch im 17. Jahrhundert noch gültigen
Italienorientierung.
39 Monville, Simon Philippe Mazière de. La Vie der Pierre
Mignard Premier Peintre du Roy, Par M. l’Abbé de Monville
avec Le Poëme de Moliere sur les Peintures du Val-deGrâce. Paris: J. Boudot u. a., 1730. Diese Biographie enthält
auch sieben Kupferstiche zur Beschreibung der Kuppel von
Val-de-Grâce. Das Fresko wurde also auch noch 35 Jahre
nach Mignards Tod als eines seiner Hauptwerke angesehen.
40 Die Figur des Chronos ist dem Herkules Farnese nachgebildet, Pictura erinnert an Michelangelos Sibyllen in der
Sixtinischen Kapelle und die allegorische weibliche Figur
konnte überzeugend mit Rubens’ Venus des Parisurteils
bzw. einer Venus von Hans Baldung Grien in Bezug gesetzt
werden, die sich ehemals im Besitz des Duc de Richelieu befand und in einem Kupferstich Verbreitung fand; vgl. Hoberg
90.
41 Zur gewandelten Bedeutung der Chronos-Ikonographie
in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts vgl. Hoberg
34.
42 Vgl. den Katalogbeitrag zu Nicolaes Verkolje: Schumacher, Andreas. „Die Künste und die Wissenschaften besiegen die Zeit.“ Mai u. a. Wettstreit der Künste. Malerei und
Skulptur von Dürer bis Daumier. Ausst.-Kat. Haus der Kunst
München u. a. Wolfratshausen: Ed. Minerva u. a., 2002: 274.
Auf die besondere Ikonographie des Chronos als Beschützer der Künste hat Anna Schreurs anhand des Gemäldes
Minerva und Saturn beschützen die Künste von Joachim von
Sandrart aufmerksam gemacht; vgl. Schreurs, Anna. „Der
‚Teutsche Apelles‘ malt die Götter Minerva und Saturn. Joachim von Sandrarts ikonographische Spielereien.“ Joachim
von Sandrart: ein europäischer Künstler und Theoretiker zwischen Italien und Deutschland. Hg. Sybille Ebert-Schifferer
u. a. München: Hirmer, 2009: 51-67.
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
43Vgl. Logemann, Cornelia. „Neugierde und Staunen.“
Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Idee, Methoden, Begriffe. Hg. Ulrich Pfisterer, 2. erw. und aktualisierte Auflage
Stuttgart u. a.: Metzler, 2011: 305-309.
44 Durch die Ausbildung der durch die Académie beförderten Laienkritik, so Félibien, hätten sich überhaupt erst sachverständige ‚amateurs‘ herausgebildet, die ein Kunstwerk
zu lesen verstünden: „En effet, l’academie estant remplie de
scavans hommes, il n’y a point de beautez dans un ouvrage
qu’on ne remarque ny aussi de deffauts pour petits qu’il soient qu’on ne fasse voir.“ (Germer 371).
45 Vgl. Dufresnoy V. 9-10, 12-13, 128.
46Die 1663 gegründete Petite Académie war in ihren
Anfangsjahren für alle künstlerischen Belange zuständig,
­
später konzentrierte sie sich auf die Arbeit an der Histoire
métallique, einer Vita Louis XIV in Medaillen. (Vgl. Jacquiot,
J. „Ce que l’Académie royale des inscriptions et médailles
a fait pour la ville de Lyon.“ Actes du congrès national des
sociétés savantes d’Archéologie. Paris: Impr. nat., 1965:
249-273, hier 263). Zur Position Perraults als Organisator
der Kunstpolitik zum Ruhme Louis XIV vgl. Mai 143.
47 Aus dieser Position adressiert Perrault sein Gedicht La
Peinture an LeBrun, den er darin zum vorbildlichen Maler stilisiert, dessen hierarchischen Status er damit unterstreicht
und dessen ästhetische Einstellungen er teilt. Deshalb wurde diese Schrift auch häufig als Gegenmodell zu Molières
Gedicht gesehen, da in beiden Publikationen die jeweiligen
künstlerischen Rivalen als Vorbilder präsentiert werden.
Doch wird bei Perrault Mignard gar nicht erwähnt. Vgl. dazu
Perrault, Charles. La Peinture. Hg. und kommentiert JeanLuc Gautier-Gentès. Genf: Droz, 1992: 162.
48 Die Autorin weist in ihrem Artikel auch darauf hin, dass
bereits Boileau das Gedicht als „traité complet de peinture“
bezeichnet haben soll. Vgl. dazu Hénin 30.
49 Emmanuelle Hénin hat diese These bereits überzeugend
vertreten und konnte zeigen, wie sich sowohl die comédieballet Le Sicilien von 1667 als auch das Gedicht La Gloire du
Val-de-Grâce als ein „clef de l’esthétique de Molière, formulée en termes picturaux“ (Hénin 43) verstehen lassen. René
Bray spricht sogar von einer umfassenden „conformité avec
la poétique classique“ (Bray 196) und nennt, ohne dies zufriedenstellend zu begründen, so unterschiedliche Autoren
wie Malherbe, Boileau und Corneille.
50 Uranie verwendet diesen Begriff in dem an poetologischen Selbstbezügen reichen Stück La critique de l’École
des femmes (1663).
51 Aus dem Vorwort zur Version des Tartuffe von 1669.
52 Die auf der Titelseite verwendete Graphik – ein von der
Sonne angestrahltes Kreuz mit Engelputten und der Inschrift
‚In hoc signo vinces‘ – bindet zwar den Sonnenkönig als
Autorität und Adressat ein. Tatsächlich handelt es sich bei
der Darstellung jedoch um das Druckersignet des Libraire
der Académie française und bezieht sich nicht inhaltlich auf
das Gedicht von Molière oder allegorische Darstellungen von
Mig­nard.
53Louis wurde als Mäzen sowohl mit Alexander dem
Großen verglichen als auch mit Apollo, so bei Martin de
Charmois, der Louis dafür lobt, Frankreich Ruhm und den
Künsten ihren ersten Rang unter den ‚artes liberales‘ verschafft und so Paris zum Parnass erhoben zu haben: „die
Acca­
demia als neuer Parnass der Künste und an seiner
Spitze Ludwig als Apollon Musagetes.“ Vgl. Frenssen, Birt­e.
„... des großen Alexanders weltliches Königsscepter mit
des Apelles Pinsel vereinigt“. Ikonographische Studien zur
‚Künstler- / Herrscher-Darstellung‘. Diss. Phil. Universität
Köln: 1995: 67.
54Félibien, André. „Conférences de l’académie royale
de l’année 1667.“ Paris 1669, zit. nach Fegers, Hans. Das
politische Bewusstsein in der französischen Kunstlehre des
helden. heroes. héros.
17. Jahrhunderts. Diss. Phil. Universität Heidelberg 1943: 7.
Dufresnoys Text endet mit dem Hinweis auf den gallischen
Herkules, der mit Feuer und Schwert den spanischen Löwen
bekämpft (V. 548-549). Die literarischen Taten des Kunstschriftstellers werden so mit den militärischen Heldentaten
des Königs (es ist unklar, ob hier Louis XIII oder Louis XIV
gemeint ist, vgl. Dufresnoy 398) verglichen, die in Rom ersonnenen Kunstprinzipien mit nordalpinen Herrschertugenden parallelisiert.
55 Parallèle des Anciens et des Modernes, zit. nach Brassat, Wolfgang. Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz.
Von Raffael bis Le Brun (Studien aus dem Warburg-Haus, 6).
Berlin: Akademie-Verlag, 2003: 360.
Literatur
Bray, René. „Les principes de l’art de Mignard confrontés
avec la poétique classique: le poème de Molière sur La
Gloire du Val-de-Grâce.“ Actes du cinquième Congrès international des langues et littératures modernes. Florenz:
Valmartina, 1955: 193-199.
De La Fontaine, Jean. Le Songe de Vaux. Hg. Eleanor Titcomb. Genf u. a.: Droz, 1967.
Dufresnoy, Charles-Alphonse. De arte graphica (Paris 1668).
Hg., übersetzt und kommentiert Christopher Allen u. a.
Genf: Droz, 2005.
Germer, Stefan. Kunst – Macht – Diskurs. Die intellektuelle
Karriere des André Félibien im Frankreich von Louis XIV.
München: Fink, 1997.
Hénin, Emmanuelle. „Du portrait à la fresque, ou du Sicilien
au Val-de-Grâce. Molière et la peinture.“ Œuvres et Critiques 29.1 (2004): 30-56.
Hoberg, Annegret. Zeit, Kunst und Geschichtsbewusstsein.
Studien zur Ikonographie des Chronos in der französischen
Kunst des 17. Jahrhunderts. Diss. Phil. Universität Tübingen 2007. Online-Ressource 3. April 2014 <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-32205.html>.
Mai, Werner Willi Ekkehard. Le portrait du roi. Staatsporträt
und Kunsttheorie in der Epoche Ludwigs XIV. Zur Gestaltikonographie des spätbarocken Herrscherporträts in Frankreich. Diss. Phil., Bonn: 1975.
Molière. Œuvres complètes. Hg. Georges Forestier. 2 Bde.,
Paris: Gallimard, 2010.
Perrault, Charles. Les Hommes illustres. Kommentierte Ausgabe. Hg. D. J. Culpin u. a. Tübingen: Narr, 2003.
Racine, Jean. Œuvres complètes. Hg. Georges Forestier.
Bd. 1, Paris: Gallimard, 1999.
Soeffner, Hans-Georg. „Symbolische Präsenz: unmittelbare
Vermittlung - zur Wirkung von Symbolen.“ Phänomenologie
und Soziologie: theoretische Positionen, aktuelle Problemfelder und empirische Umsetzungen. Hg. Jürgen Raab. Online-Publikation 2008. 3. April 2014 <http://nbn-resolving.
de/urn:nbn:de:bsz:352-129244>: 53-64.
von den Hoff, Ralf u. a. „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike
bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948.“ Hg. SFB 948. helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 1 (2013):
7-14. DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2013/01/03.
63
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
64
Abbildungen
Abb.1: Gottvater umgeben von Heiligen,
Märtyrern, Aposteln und Propheten
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
65
Abb. 2: Titelvignette und Initiale
helden. heroes. héros.
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
66
Abb. 3: Allegorie der Malerei
helden. heroes. héros.
Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard
67
Abb. 4: Minerva führt die Malerei auf den Parnass
helden. heroes. héros.
Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis
68
Abbildungsverzeichnis
Abb.1 [Gottvater umgeben von Heiligen, Märtyrern, Aposteln
und Propheten, Pierre Mignard, 1665, Paris, Val-de-Grâce,
Kuppelfresko, Nachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/
File:Mignard_Val_de_Gr%C3%A2ce.jpg
(Abruf: 03.09.2014)]
Abb. 2 [Titelvignette und Initiale, Molière, La gloire du
­Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 5, gestochen von
François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/
btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20du%20Val-degr%C3%A2ce.langDE
(Abruf: 03.09.2014)]
Abb. 3 [Allegorie der Malerei, Molière, La gloire du
­Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 26, Kupferstich von
François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/
btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20du%20Val-degr%C3%A2ce.langDE
(Abruf: 03.09.2014)]
Abb. 4 [Minerva führt die Malerei auf den Parnass, Molière,
La gloire du Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 3, Kupferstich von François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf.
fr/ark:/12148/btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20
du%20Val-de-gr%C3%A2ce.langDE
(Abruf: 03.09.2014)]
helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/06
69
Nikolas Immer – Maria Schultz
Lützows wildester Jäger
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert1
I. „Erinn’rung an die große Zeit“.
Die Profilierung eines Heldenbilds
Die Konstruktion nationaler Identitäten erfordert
verbindliche Vergangenheitsversionen. In Erinnerungsgemeinschaften, die auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entstehen, werden
über den Rekurs auf bestimmte Aspekte der
Vergangenheit kollektive Identitäten geschaffen.
Vor allem das Gedenken an Kriege, an militärische Führer sowie an gefallene Soldaten trägt
maßgeblich zur gesellschaftlichen Einheitsbildung bei. Die Konservierung, Formulierung und
Vermittlung von Erinnerungen erfolgt wiederum
durch diverse Medien, die einander affirmieren,
negieren oder relativieren können.2 Am Beispiel
des bekannten Dichters und Kriegsfreiwilligen
Carl Theodor Körner (1791-1813) sollen im Folgenden die Formierung, Tradierung und Modifizierung zentraler Heroisierungsformen während
des 19. und 20. Jahrhunderts untersucht werden. Dabei wird zum einen nach den politischen
Funktionalisierungen dieser Heldenbilder, zum
anderen nach ihren medienspezifischen Darstellungsqualitäten zu fragen sein. Schließlich sollen
auch die Transformationsprozesse berücksich­
tigt werden, die sich zwischen den einzelnen Erinnerungsmedien beobachten lassen.
Die Verehrung Körners setzte mit seinem
frühzeitigen Tod ein. Neben der dauerhaften Verankerung seiner Kampf- und Freiheitslieder im
kollektiven Gedächtnis etablierte sich schon bald
ein umfassender Erinnerungskult. Bedeutungstragende Lebensmomente des ‚Dichterhelden‘
Körner wurden in Romanen, Gemälden, Denkmälern oder Verfilmungen festgehalten.3 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begünstigten mehrere Faktoren die Heldenstilisierung Theodor
Körners. Wie René Schilling herausgearbeitet
hat, wurde Körner von der bürgerlichen Jugend
als Vorbild verehrt und sein früher Tod 1813 zum
Märtyrertod stilisiert.4 Die patriotische Lyrik aus
der Zeit der Napoleonischen Kriege, zu der auch
helden. heroes. héros.
die Gedichte Körners gehörten, war vermittels
Tagespresse und Einblattdrucke verhältnismäßig weit verbreitet. Auch mit seinem Drama Zriny
(1812) hatte der Dichter in Wien bereits einiges
Aufsehen erregt. Im Jahr 1814 erschien posthum
die von Körners Vater herausgegebene Sammlung Leyer und Schwerdt, die eine breitere Rezeption der Werke Körners ermöglichte und bis
zum Zweiten Weltkrieg immer neue Auflagen erlebte.5
Die zahlreichen Vertonungen von Körners
Dichtungen steigerten den Bekanntheitsgrad
seiner Werke. Wie Erhard Jöst dargelegt hat,
führte der Umstand, dass Körner den Tod für
das Vaterland wiederholt als heldenhafte Konsequenz patriotischen Handelns verklärt hatte und
schließlich bei einem Einsatz des Lützower Freikorps erschossen wurde, zu einer immanenten
Wort-Tat-Verknüpfung. Sie trug maßgeblich zur
positiven Bewertung und enormen Verbreitung
seiner Lyrik bei.6 Während gegen Ende des 19.
Jahrhunderts erneut die „Erinn’rung an die große
Zeit“ (Boxberger 4) der antinapoleonischen Kriege in einem Sonettenkranz auf Theodor Körner
beschworen wurde, akzentuierte der Literaturhistoriker Wilhelm Kosch noch in seiner Anthologie Deutsche Dichter vor und nach 1813 (1925)
das patriotische Mobilisierungspotential von Körners Dichtungen:
Theodor Körner kann literarisch freilich
nicht so hoch gewertet werden, wie er im
Andenken der patriotischen Jugend fortlebt. Die liebenswürdige Persönlichkeit
des im Felde gefallenen Heldenjünglings
verklärt seine Dichtungen heute noch.
Der Hauch seiner glühenden deutschnationalen Begeisterung erfaßt uns, wenn
das Lied von Lützows wilder verwegener
Jagd erklingt; stumm ergriffen lauschen
wir in Andacht seinem Gebet während
der Schlacht; mit ihm unterscheiden auch
wir zwischen Männern und Buben; das
Schwertlied, das er wenige Stunden vor
seinem Abschied vom Leben gedichtet
Nikolas Immer, Maria Schultz
70
hat, zündet immer wieder. Überhaupt sind
in seiner Sammlung Leier und Schwert,
in der er auch friedlichen Empfindungen
Ausdruck verleiht, diejenigen Lieder die
besten, die als Gelegenheitsgedichte
entstanden, unmittelbar ans Leben anknüpfen, wirklichen Vorgängen entquollen
sind. (Kosch VIII-IX)
Schließlich trug auch Körners Zugehörigkeit zum
Lützower Freikorps zur fortdauernden Erneuerung seines Andenkens bei. Das Freikorps war
bereits 1813 aufgrund seiner überregionalen Zusammensetzung in der Öffentlichkeit als „Symbol
der deutschen Einheit und Freiheit“ (Hagemann
408) verehrt worden. Ferner war die Verklärung
des Todes für das Vaterland sowohl als Teil des
zeitgenössischen patriotischen Diskurses als
auch nach 1815 von Bedeutung.7 Exemplarisch
schrieb Christoph August Tiedge in seinem Gedicht Körners Grab (1815): „Wo habt ihr meinen
Jüngling hin begraben? | bezeichnet mir zu seiner Gruft den Pfad! | Er schlaf’ im Nachhall seiner Liedergaben, | im Nachglanz seiner schönsten Heldentat!“ (zit. nach Wohlrabe I, 105)8 Mit
der „Gruft“ des Jünglings spielte Tiedge auf Körners Grab in Wöbbelin an, das sich im Laufe des
19. Jahrhunderts zu einem Wallfahrtsort entwickelte und bis ins 20. Jahrhundert hinein über
textliche und bildliche Darstellungen einen enormen Bedeutungszuwachs erfuhr.9
II. „Die großen Tage und Thaten von
1813“. Die Gedenkkultur der Gartenlaube
Was für die Erinnerungskultur im Allgemeinen
gilt, lässt sich auch in Hinblick auf die Heroisierung von Theodor Körner konstatieren: Jubiläumsjahre evozieren für historische Daten und
Personen besondere Aufmerksamkeit. Die Ereignisse der napoleonischen Zeit waren 1863,
zum 50. Todestag des Dichters und zum 50.
Jahrestag bedeutender Schlachten der Napoleonischen Kriege, allen voran der Völkerschlacht
bei Leipzig, bereits historisiert. Die Erinnerung
an Theodor Körner erlebte, wie sich anhand
unterschiedlicher Medien nachvollziehen lässt,
einen ersten Höhepunkt.10 Einen neuen Grad
der Verbreitung erreichte die 1853 gegründete
Zeitschrift Die Gartenlaube. Deren Herausgeber
nahmen als Publikum explizit die Familien ins
Visier und erzielten enorme Auflagen mit Kolportagevertrieb und moderater Preisgestaltung.
Die erfolgreiche Zeitschrift trug erheblich zur nationalen Identitätsstiftung bei, wie Birthe Förster
am Beispiel des Königin-Luise-Mythos herausgearbeitet hat. Sie schuf über die massenhafte
„Verbreitung und Dekodierung nationaler Symbole“ und bestimmter Narrative einen gemeinsamen „Kommunikationsraum“ (Förster 52-55).
Die Ereignisse des frühen 19. Jahrhunderts
waren wichtige Bezugspunkte für diese kollektive Selbstvergewisserung der bürgerlichen und
kleinbürgerlichen Leserschaft. Zu den prominenten historischen Personen gehörte auch Theodor Körner, der im Jahr 1863 anlässlich seines
50. Todestages besonders häufig in der Gartenlaube behandelt wurde.11 Die Heldenstilisierung
erfolgte auf unterschiedlichen Ebenen, wie im
Folgenden gezeigt werden soll.
Die politische Instrumentalisierung: Bereits
zwei Jahre vor dem Jubiläum von 1863 erschien
in der Gartenlaube ein anonymer Aufsatz über
Theodor Körners Tod und über den Ort, an dem
er gefallen war. Körner wird darin als unsterblicher Volksheld bezeichnet,12 dessen Todesumstände ebenso beschrieben werden wie die
Memorialkultur am Ort seines Todes.13 Adressat
dieser Schilderungen war die Jugend, die nach
Ansicht des Autors „vor allem die hohe ethische
und nationale Bedeutung einer solchen Erscheinung begreifen, achten und lieben lernen“ (Körners Todesstätte 790) sollte. Die bisher nicht erreichten Ziele der liberalen Bewegung sollte die
Jugend mit ihrer vorwärtstreibenden Kraft wie
zuvor der „Jüngling“ Körner erkämpfen.
René Schilling hat gezeigt, wie Körner als
bürgerlicher Heldenjüngling verklärt und für die
Vorstellungen vom Nationalstaat instrumentalisiert wurde.14 Dies geschah, wie auch weitere
Artikel in der Gartenlaube verdeutlichen, vor
dem Hintergrund der Enttäuschung der liberalen
Bewegung. So schrieb 1863 ein anonymer Redakteur der Zeitschrift über die Einsegnung des
Lützower Freikorps im schlesischen Rogau:
Einer ernsten, schönen Feier galt es, der
Einsegnung, der Todesweihe einer herrlichen Schaar von Jünglingen und Männern, welche entschlossen waren, Blut
und Leben dem Vaterlande zu opfern.
[…] Eine größere Idee lebte in ihnen.
Ein deutsches Freicorps wollten sie sein,
denn dem ganzen deutschen Vaterlande
galt ihr Blut und Leben. […] Fragen wir
jetzt nach fünfzig Jahren, welcher Lohn
ist dem Volke für die großen Tage und
Thaten von 1813 geworden? Wir müssen erröthen, wir haben nur die eine Antwort: sie sind ihm mit Undank gelohnt!
(Volksschwur 180, 182-183)
Weiterhin war im achten Heft der Gartenlaube
von 1863 zu lesen, dass Theodor Körner nicht
nur durch seine Gesänge, sondern auch durch
seine Tat „den wehrhaften Männern Deutschlands ein unsterbliches Beispiel“ (Körner’s Leier
116) hatte geben wollen. Dabei stellt der Autor
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
die Verknüpfung von Heldentum und Lyrik heraus: „Aber als Held und Dichter wollte er sterben,
noch hatte er Macht über seine Sinne und blutend entwarf er das herrliche Sonnet: Abschied
vom Leben.“ (Körner’s Leier 119) Wie auch in
anderen Körner-Artikeln zitiert der Verfasser
Passagen aus Körners Gedichten, teilweise sogar ganze Strophen. Neben den intertextuellen
Bezügen zu Körners populärer Lyrik wurden
auch bildliche Darstellungen in die Vergangenheitsdeutungen eingebunden. Die Artikel über
Körner verbreiteten beispielsweise Bilder von
den Körner-Gräbern in Wöbbelin, von Körners
Fahrt von Zschocher nach Leipzig, der Einsegnung des Lützower Freikorps in Rogau und dem
Tod des Dichters.15 Diese Darstellungen waren
in den folgenden Jahrzehnten fest mit der Heldenerzählung über Körner verknüpft.
Das fortgeschriebene Gedächtnis: Neben der
politischen Instrumentalisierung lässt sich der
Versuch ausmachen, die verschiedenen mündlichen, schriftlichen und materialen Erinnerungen an Körner zu erfassen und für die Zukunft
zu sichern.16 Im Jubiläumsjahr 1863 ging es in
der Gartenlaube um Körners Tod, um die Kennzeichnung seines Grabes durch Denkmäler und
um die Frage, welche Überreste die Zeiten überdauert haben. Im Mittelpunkt standen weniger
biografische Details oder die Bedeutung seiner
Lyrik, sondern vielmehr die Frage von Überlieferung und Augenzeugenschaft. Dadurch wurde
dem Leser suggeriert, Teil einer Gemeinschaft
zu sein, die sich kollektiv an Körner erinnert
und die materialen Überreste des toten Helden
ebenso zu bewahren versucht wie alle irgendwie
zugänglichen Informationen über dessen Leben.
Immer wieder zitieren die Autoren aus privaten,
bisher unveröffentlichten Erinnerungen von ‚Zeitgenossen‘ und beschreiben die Form der Überlieferung von Gegenständen aus Körners Besitz:
Wir können heute unseren Lesern die interessante Mittheilung machen, daß die
treue Pflegerin des muthigen Freiheitskämpfers jetzt noch und zwar in unserer
unmittelbaren Nähe, in dem benachbarten Dorfe Groß-Zschocher, lebt. […] Sie
gerieth nach dem Tode ihres wackeren
Mannes oft in große Bedrängnisse, aber
keine Noth konnte sie dazu bewegen,
den silbernen Becher, den ihr Körner
aus Dankbarkeit verehrte und den sie
jetzt noch besitzt, zu veräußern. Sie weiß
heute noch viel aus jener Zeit zu erzählen und erinnert sich aller Einzelheiten jener Begebenheit mit treuem Gedächtniß.
(Pflegerin 176)
Der Silberbecher, sein Schwert, seine Leier
oder das von Emma Körner geschaffene Bildnis
ihres Bruders aus dem Jahr 1813 erscheinen
helden. heroes. héros.
gleichsam als Reliquien. Ihre Bedeutungszuschreibungen sind Ausdruck einer Erinnerungspraxis in einer Zeit des Wandels vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, wo das
Ende der Zeitzeugenschaft für die Gesellschaft
absehbar ist. Etwas mehr als zehn Jahre später
entstand ein weiterer zentraler Ort des Heldengedenkens, welcher der Präsentation vieler der
in den Beiträgen erwähnten Körner-Besitztümer
diente und der bis zu seiner Zerstörung 1945
existierte: das Körner-Museum in Dresden. Mit
der Einweihung am 28. März 1875 sollte es sich
zu einem der wichtigsten Orte im Rahmen der
auf Körner bezogenen Erinnerungskultur entwickeln.17
III. Der „Wildeste beim Vordringen“.
Stilisierungstendenzen der KörnerBelletristik
Auch andere Publizisten der 1860er Jahre, wie
beispielsweise der Schriftsteller Heribert Rau,
zogen eine Verbindung zwischen dem Tod des
populären Dichters und den Forderungen der
Liberalen nach der Einheit und Freiheit Deutschlands. Sie spielten, für den zeitgenössischen
Leser verständlich, auf die gescheiterte Revolution von 1848/49 sowie auf das nicht eingelöste Verfassungsversprechen des preußischen
Königs an. Die oftmals massenhaft rezipierten
Geschichtsfiktionen transportierten demnach aktuelle politische Anliegen ihrer Autoren. Wie die
Forschungen zu literarischen Texten als Erinnerungsmedium gezeigt haben, führte die Lektüre
historischer Romane zur Konstituierung von Erinnerungsgemeinschaften. Die Texte boten ihren
Lesern Geschichtsbilder, Werte, Normen und
Identifikationsmuster an, die sie für sich erschließen konnten.18 Dabei stellten belletristische Werke über die Vergangenheit einen beliebten Lesestoff dar. Zwischen 1815 und 1945 wurden die
Revolutions- und Napoleonischen Kriege besonders oft in historischen Romanen thematisiert.19
In den Vergangenheitsfiktionen über diese Kriege finden sich immer wieder Verweise auf Theodor Körner: Zum einen tritt er als Nebenfigur der
Handlung auf, zum anderen enthalten die Werke
Zitate aus seiner Lyrik. Dass ein Autor Theodor
Körner zur Hauptfigur seines Romans erhob,
geschah allerdings erst verhältnismäßig spät.
Einen Anlass dafür bot, wie im Falle von Heribert
Raus ‚vaterländischem‘ Roman Theodor Körner
(1863), das 50. Jubiläum des Jahres 1813 bzw.
der 50. Todestag des Dichters.20 Die Aufmerksamkeit für diese Ereignisse wollte auch Robert Rösler nutzen, der unter dem Pseudonym
‚Julius Mühlfeld‘ ein Werk über Theodor Körner
71
Nikolas Immer, Maria Schultz
72
(1862) schrieb, das einander abwechselnde romanhafte und biografische Passagen enthält.
Beide Werke sind zeitlich schon so weit von den
geschilderten Ereignissen entfernt, dass sie nur
noch partiell auf das kommunikative Gedächtnis Bezug nehmen können. Bemerkenswert ist,
dass diese historische Relation Auswirkungen
auf die ästhetische Komposition hatte – etwa im
Hinblick auf die Einführung einer auktorialen Erzählerfigur, auf die Kennzeichnung der Quellen
sowie die Erwähnung anderer Erinnerungsmedien wie das Körner-Grabdenkmal in Wöbbelin.21
Rösler hatte sich bereits zuvor in seinem historischen Roman Gefangen und befreit (1860)
mit der napoleonischen Zeit befasst, wenngleich
mit mäßigem Erfolg. Seine „der Belehrung des
Volkes gewidmete“ Schrift über Theodor Körner
oder die späteren Werke über die preußische
Königin Luise und den Krieg von 1870/71, so
ein Rezensent Ende der 1880er Jahre, „erfüllen dagegen den Zweck, den sie verfolgen, und
sind deshalb auch in weite Kreise gedrungen“
(Brümmer 243). Rösler stilisiert Körner zu einem „Heldenjüngling“, der die Deutschen erst
„wieder groß“ gemacht habe (Rösler 4) und der
folglich ewig im Gedächtnis des Volkes weiterleben werde. Er beschreibt das Elternhaus, die
Kindheit und die Jugend des Dichters in Dresden und wechselt dann im dritten Kapitel über
Körners Zeit als Bergstudent in Freiberg in den
romanhaften Stil. In die auktoriale Erzählung fließen Dialoge sowie viele Zitate aus Körners Lyrik
oder seinen Briefen ein. Darüber hinaus werden
sogar Rezensionen seiner frühen Werke, die in
der Entstehungszeit des Romans oder wenige
Jahre zuvor publiziert worden waren, diskutiert.
Solche Einschübe nutzt Rösler, um Körner positive Eigenschaften, wie etwa Bescheidenheit,
zuzuschreiben.22 Schließlich muss Körner, der
Liebling der Frauen und der moralisch integre
Romanheld, in den Kampf ziehen. Das spätere Ableben des Protagonisten deutet der Autor
bereits frühzeitig durch ein Zitat aus einem Brief
an den Vater an. So ist in gesperrten Lettern zu
lesen: „Aber Vater, meine Meinung ist die: zum
Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist Keiner zu gut, wohl aber sind Viele
zu schlecht dazu!“ (Rösler 130) Demgegenüber
zeichnet der Autor ein Bild des preußischen Königs als Zauderer, der mit seiner Politik Körners
Engagement und das seiner Kameraden behindert habe. Die Fürsten der Rheinbundstaaten,
so Rösler, seien im Gegensatz zum Volk noch
auf Napoleons Seite gewesen und „bereit, die
Schmach Deutschlands mit dem Schwerte in der
Hand gegen deutsche Brüder zu vertheidigen.“
(Rösler 140) Das Handeln des Lützower Freikorps, das eine ausführliche Würdigung erfährt,
steht stellvertretend für die Opferbereitschaft des
Volkes. Der Dichter wird bei Rösler zum Inbegriff
des Freikorps: „Theodor Körner und die Lützower Freischaar sind von jetzt an unzertrennbar.
Die Interessen des Einen wurzeln in der Andern
und gestalten sich nach dem Befinden und Wirken derselben.“ (Rösler 185) Dennoch stellt der
Autor Unterschiede zwischen seiner Hauptfigur
und den anderen Freiwilligen heraus, die für seine Konstruktion des Helden nötig sind: Körner
gilt ihm als der geselligste, sozialste und patriotischste der Truppe, der noch dazu die augenblickliche Stimmung in Poesie zu überführen verstanden habe.23 Körners Gedicht Lützows wilde,
verwegene Jagd zitiert Rösler in seinem Kapitel
über die Lützower ebenso zur Gänze wie das
Bundeslied vor der Schlacht, das Körner inmitten seiner schlafenden Kameraden im Morgengrauen als Ergebnis seiner nächtlichen Gedanken gedichtet habe.24 Im Anschluss an die letzte
Strophe kommentiert der Autor: „Diese Körnersche Dichtung, welche so recht der Erguß eines
todesmuthigen Gemüthes dem Kampfe gegenüber genannt werden muß, ist eine der schönsten, welche wir von ihm besitzen.“ (Rösler 197)
Nur folgerichtig mag es dem Leser erscheinen,
dass Körner in Röslers Schilderung auch der
„Wildeste beim Vordringen“ war und sich „von
der Thatenlust hinreißen [ließ], ohne der eigenen
Klugheit und dem Rufe des Signalhorns Gehör
zu geben.“ (Rösler 241) So ereilte ihn dann auch
jener „Heldentod“, den der Autor im Gedächtnis
der Nation zu verankern beabsichtigte.
In den folgenden Jahren erschienen keine
belletristischen Werke über Theodor Körner,
auch wenn das Thema der antinapoleonischen
Kriege im Genre weiter präsent blieb. Nach der
Gründung des Deutschen Kaiserreiches ermöglichten die zunehmende Alphabetisierung und
die gesunkenen Kosten bei der Herstellung von
Druckerzeugnissen immer mehr Menschen die
Lektüre von Romanen. Die Jugendliteratur eroberte mit integrierten Buchillustrationen den
Markt. Neben dem Jahr 1813 avancierte auch
der historische Theodor Körner vielfach zum
Gegenstand dieser Bücher, die nicht zuletzt der
nationalen Mobilisierung der männlichen Jugend für zukünftige Kriege dienten.25 So erklärt
beispielsweise Anton Ohorn im Vorwort seiner
mehrfach aufgelegten geschichtlichen Erzählung Lützows wilde Jagd, in der Theodor Körner
als Nebenfigur auftritt:
Lützow’s wilde, verwegene Jagd ist unsterblich geworden, wie der Dichter, der
unter diesem Namen sie besungen hat,
und der in ihren Reihen bei Gadebusch
den Heldentod starb. […] Die Thätigkeit
des tapferen Häufleins bildet den geschichtlichen Hintergrund der vorliegenden Erzählung, die in ihren historischen
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
Momenten sich an die besten Quellen hält,
und die sich die Aufgabe gestellt hat, die
Begeisterung für das Vaterland im Herzen
des deutschen Volkes und besonders der
deutschen Jugend beleben und fördern zu
helfen. (Ohorn 3-4)26
Hatte schon das Jahr 1863 nachhaltig zur Aktualisierung des Gedenkens an die antinapoleonischen Kriege beigetragen, lässt sich mit
Blick auf die Hundertjahrfeiern des Jahres 1813
von einem Höhepunkt der zivilen und militärischen Erinnerungskultur und Gedenktradition
im Kaiserreich sprechen.27 Die Erinnerungen an
Theodor Körners Tod fügten sich in diese Entwicklung ein. Im Jubiläumsjahr 1913 erschienen
eine Vielzahl von Büchern und Gedenkschriften
über Körner, viele davon mit Illustrationen und
Abbildungen von Körner bzw. mit legendenhaft
stilisierten Szenen seines Lebens versehen. Die
stereotypen Narrative und Bilder wurden von
den Verfassern für unterschiedliche Leserkreise
aufbereitet. Die Kurzfassung dieser verbreiteten
Heldenerzählung ist bei Wilhelm Wohlrabe zu
finden:
Sein engeres Vaterland aufgebend, eine
glückverheißende Lebenslaufbahn abbrechend, von einer zärtlich geliebten Braut
sich losreißend, tritt Theodor Körner, der
frühere Bergstudent im Frühling des Erhebungsjahres in Lützows Freischar ein,
wird von seinen Kameraden zum Offizier
erwählt, beim Überfall des Korps am 17.
Juni in Kitzen schwer verwundet, kehrt,
kaum genesen, zur ‚wilden, verwegenen
Jagd‘ zurück, und wird einige Tage später
im Gefecht bei Gadebusch von Feindeskugel zu Tode getroffen. Im wörtlichsten
Sinne ist er ‚Held und Sänger‘ seiner Zeit
[…]. (Wohlrabe I, 53)28
Im Unterschied zu vielen anderen historischen
Personen der napoleonischen Zeit, sieht man
vom Kaiser der Franzosen ab, der hier eine Sonderstellung einnimmt, fällt in Hinblick auf Theo­
dor Körner eine politische Inanspruchnahme
für unterschiedliche Regionen auf: vom sächsischen Ort seiner Kindheit, über seine damalige
Wirkungsstätte am Theater in Wien, über die
preußische Provinz Schlesien, wo seine Einsegnung im Lützower Freikorps erfolgte, bis hin zum
in Mecklenburg gelegenen Ort seines Todes und
Grabdenkmals.29 In einer an die Bürger Wiens
adressierten Gedenkschrift von Richard Kralik
wird diese regionale Inanspruchnahme exemplarisch sichtbar:
Die patriotische Lyrik der Liederreihe Leyer und Schwert wurzelt noch im Boden von
Wien, wo Körner seine Braut zurückließ.
helden. heroes. héros.
[…] Die unvergänglichen Kriegslieder,
die Körner vor seinem frühen Heldentod
sang, sind in aller Munde […]. Mit Körner
war gleichzeitig Josef von Eichendorff aus
unserm Wien zum Befreiungskampf des
Jahres 1813 gezogen. Auch er hat die
Begeisterung für Deutschtum und Freiheit
mit der Liebe zu Österreich und Wien allzeit verbunden. (Kralik 93, 95)
In Wien fand sogar eine Theodor-Körner-Feier
vor dem ehemaligen Wohnhaus des Dichters
unter Beteiligung offizieller Vertreter der Stadt
statt, in der die Vaterlandsliebe als wichtiges
Vermächtnis Körners für die Jugend betont wurde. Der Vizebürgermeister beendete seine Rede
vor dem Körner-Haus schließlich mit deutlichen
Bezügen zur Gegenwart:
Wie vor 100 Jahren so ist auch heuer
die Kriegsfackel in Europa entfacht. Aber
welcher Gegensatz! Während damals Österreich genötigt war, mit eiserner Faust
einzugreifen, genießen wir heute dank der
Fürsorge unseres erhabenen Kaisers den
Frieden. (zit. nach Kralik 126)
Sowohl im Ersten Weltkrieg als auch in der Weimarer Republik blieben Theodor Körner und
seine pathetische, zur Tat auffordernde Lyrik
populär. Für die Propagierung eines übersteigerten Nationalismus und die Mobilisierung von
Kriegsfreiwilligen war der Rückgriff auf den gegen Franzosen kämpfenden Freiwilligen von
1813 bestens geeignet. Der Erste Weltkrieg
veränderte aber den Erfahrungshorizont der Leser belletristischer Werke über die nun hundert
Jahre zurückliegenden Napoleonischen Kriege.
Die Autoren dieser Bücher schrieben vor dem
Hintergrund ihrer Erlebnisse an Front oder ‚Heimatfront‘ unter gewandelten gesellschaftlichen
und politischen Bedingungen. So wurde nun
auch die Beteiligung von Frauen am Kampfgeschehen der Kriege zwischen 1792 und 1815
thematisiert, die zuvor nur eine marginale Rolle
gespielt hatte.30 Auch die Darstellung von Theo­
dor Körner veränderte sich im Hinblick auf die
Vorstellungen vom Tod und Charakter des Dichters, wie im Folgenden gezeigt wird.
Der Heldentod: Mit dem Rekurs auf Körner
und auf die ebenfalls im Lützower Freikorps unter dem Pseudonym ‚August Renz‘ kämpfende
‚Heldenjungfrau‘ Eleonore Prochaska machte
beispielsweise der Romanautor Hermann Stodte ein geschlechterübergreifendes Identifikationsangebot, das auch in anderen Erinnerungsmedien zu finden ist.31 In seinem Roman Das
preußische Mädchen (1932) schildert der Autor
zwar keine Begegnung zwischen den historischen Figuren, da es diese in der Vergangenheit nie gegeben hatte. Er spielt dafür aber mit
73
Nikolas Immer, Maria Schultz
74
der Möglichkeit, dass Eleonore Prochaska Körner im Rahmen der Einsegnung des Freikorps
in Schlesien 1813 gesehen haben könnte. Die
Einsegnung interpretiert Stodte als „Bruderkuss“
(Stodte 134), aus der eine „Todesgemeinschaft“
(Stodte 142) hervorgegangen sei. Körners Tod
fürs Vaterland avanciert folgerichtig in der Romanhandlung zum Vorbild für Prochaskas eigenes Ableben: „Wie herrlich mußte das Land sein,
für das ein Körner starb! […] Körner sollte vorangehen.“ (Stodte 142) Der Verfasser, dessen
Sohn im Ersten Weltkrieg gefallen war und dem
er den Roman postum widmete, sprach ihm zudem eine allgemeingültige, zeitenüberdauernde
Bedeutung zu:
Nur freiwilliges Opfer schuf aus Menschen
die höheren Wesen, die den Sinn des Lebens erfuhren und das Schicksal zu wenden vermochten. […] Tod war mehr als Leben. Sterben für das Herrlichste, für das
Volk und das Land und die Freiheit – das
war die Vollkommenheit, die den Menschen möglich war. (Stodte 143-144)
Die Führerfigur: Das Bild von Theodor Körner
als charismatischem Führer wurde zu Beginn
der 1930er Jahre in unterschiedlichen Medien
aufbereitet.32 Es fand seinen Ausdruck etwa in
Carl Boeses Filmbiografie Theodor Körner. Ein
deutsches Heldenleben (1932), aber auch auf
dem heroisierenden Cover von Rudolph Herzogs zeitgleich publiziertem Roman Horridoh
Lützow! [Abb. 1].33 Auch im historischen Roman
wurde dieses Heldenbild aufgegriffen, insbesondere von Richard Blasius. Dessen Roman Söhne der Heide (1941) unterscheidet sich durch
seinen parataktischen Stil und den wiederholten
Imperativen deutlich von der Gestaltung früherer Körner-Romane. Im zeittypischen Duktus
wird Körner von Blasius als Führer des Lützower
Freikorps gekennzeichnet:
Schweres Schicksal lag auf der sangesfrohen, liederreichen Schar, der ihr Dichter Theodor Körner mindestens ebenso
zur Volkstümlichkeit verhalf wie ihr Führer.
Theodor Körner!
Die Jäger zu Fuß drängten sich um ihn,
wenn er in ihre Nähe kam. Die Reiter hatten ihn ja immer. Seine Lieder erklangen
auf dem Marsche, am Wachtfeuer und im
Quartiere. (Blasius 208)
Blasius’ Deutung von Körner als charismatischem Führer erfährt nochmals eine Steigerung,
als dessen Ableben zum Heldentod verklärt wird:
Aber dann ein Tag der Trauer, des
Schmerzes!
Gadebusch!
Die Eiche zu Wöbbelin rauscht über dem
Grabe des deutschen Sängers ein wehmütiges und doch stolzes Lied von deutscher Treue, auf die der Heldentod sein
blutrotes Siegel gedrückt hatte. (Blasius
209)
Schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollten in der DDR erneut historische Erzählungen und Romane das ‚Heldentum‘ Körners verkünden. Ein weiteres Mal wurde die
Konstruktion des Helden mit einer spezifisch
politischen Ausdeutung verknüpft.34
IV. „Schwerterklingen und Eichenrauschen“. Die Körner-Porträts auf
Sammelbildern und Postkarten
Schon Erhard Jöst hat beiläufig darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere die His­
torienmalerei des 19. Jahrhunderts „zur heroisch-verklärten Ideologisierung“ (Jöst 313) von
Theodor Körners Vita beigetragen hat.35 Zu den
bekanntesten Darstellungen zählt Georg Friedrich Kerstings Gemälde Auf Vorposten (1815),
auf dem Ferdinand Hartmann, Theodor Körner
und Karl Friedrich Friesen zu sehen sind, die auf
einer Lichtung vor einer Eiche rasten.36 Sein als
vorbildhaft inszenierter Einsatz in den Freiheitskriegen wurde von Malern wie Otto Donner von
Richter, Richard Knötel oder Rudolf Trache im
Verlauf des 19. Jahrhunderts wiederholt ins Bild
gesetzt.37 Doch erst über die Reklamekunst, die
sich seit den 1880er Jahren auch in Deutschland durchzusetzen begann,38 wurde der ‚Dich­
terheld‘ Körner im kollektiven Gedächtnis visuell
verankert. Ungeachtet der unüberschaubaren
Vielzahl an Motiven bildete die Historien- und
Militärmalerei einen thematischen Schwerpunkt
der Reklame-Sammelbilder.39 So gab beispielsweise die Schokoladen-Firma ‚Stollwerck‘ seit
1897/98 mehrere Sammelalben heraus, deren
zehntes den Titel Helden-Album. Helden des
Geistes und vom Schwert (1908/09) trug.40 Unter
der Rubrik ‚Freiheitshelden‘ [Gruppe 446] findet
sich als dritte Abbildung auch Richard Knötels
Darstellung von Theodor Körner [Abb. 2], der
noch in weiteren Serien der Stollwerck-Alben
vorkommt.41 Im Begleittext zu Knötels Figurenbild wird Körner in der populären Doppelrolle von
‚Dichter‘ und ‚Held‘ gepriesen:
[…] Beim Vortrag eines seiner feurigsten Lieder, des todesfrohen Du Schwert
an meiner Linken! hat ihn der Künstler dargestellt. Es war das letzte Lied
das er, kurz vor seinem Tode, dichtete.
[…] In seinen Liedern, durch die es wie
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
Schwerterklingen und Eichenrauschen
tönt, lebt er ‚als Dichter und als Held‘ fort.
(Jussen 27909)42
Gewissermaßen als ‚Verbindungsmedium‘ von
bildungsbürgerlicher Gemäldekunst und alltagskultureller Reklamekunst begann sich gegen
Ende des 19. Jahrhunderts die Postkarte zu
etablieren, deren Hochphase in den 1890er Jahren einsetzte.43 Neben der Ausprägung diverser
Postkartenmotive wurde sie unter anderem für
propagandistische Zwecke eingesetzt, indem
Persönlichkeiten oder Ereignisse der deutschen
Vergangenheit gezielt stilisiert und mythisiert
wurden.44 Beispielsweise hat Otto May anhand
des preußischen Generals Gerhard von Scharnhorst demonstriert, wie genau sich dessen glorifizierter Lebenslauf anhand des Kommunikationsmediums ‚Postkarte‘ nachvollziehen lässt.45
Für Theodor Körner wiederum haben Jutta Assel
und Georg Jäger in drei Dokumentationen zusammengestellt, in welcher thematischen Vielfalt
Postkarten von dem ‚Dichterhelden‘ vor allem im
frühen 20. Jahrhundert produziert wurden.46 Auf
der Grundlage dieser Sammlungen sollen drei
repräsentative Erscheinungsformen der KörnerHeroisierung vorgestellt werden.
Der Kriegsgottesdienst: Auf der ersten Postkarte [Abb. 3] ist die Reproduktion eines von Osmar Schindler signierten und auf den 14. September 1914 datierten Gemäldes abgedruckt,
das die Inschrift trägt: „Vater ich rufe Dich“.47 Damit zitiert Schindler den Anfangs- und Schlussvers von Körners Gebet während der Schlacht,
dessen fünfte Strophe zusätzlich unterhalb der
Reproduktion wiedergegeben wird.48 In diesem
Sakralgedicht, das im Ersten Weltkrieg in den
Messen vor dem Abmarsch der Soldaten an
die Front gesungen wurde,49 inszeniert Körner
unter Rekurs auf die liturgischen Elemente der
Anrufung, Segnung und Preisung einen pathosgeladenen Kriegsgottesdienst. Dabei folgen aus
der Verpflichtung, das „Heiligste […] mit dem
Schwerte“ (SW I, 95) schützen zu wollen, sowohl
die unbedingte Subordination unter die göttliche
Führerschaft als auch die bereitwillige Hingabe
des eigenen Lebens. Schließlich mündet die militaristische Instrumentalisierung der Gebetsform
in die apotheotische Vereinigung von lyrischem
Sprecher und göttlicher Instanz: „Wenn mich
die Donner des Todes begrüßen, | Wenn meine
Adern geöffnet fließen: | Dir, mein Gott, dir ergeb’ ich mich!“ (SW I, 95) Körners repräsentative
Kommunikationssituation, in der ein sprechendes Ich die kollektive Kriegsbegeisterung stellvertretend exponiert, wird von Schindler auf den
Autor selbst übertragen. Auf seinem Gemälde
ist es Körner, der sein Schwert beherzt umklammert hält und mit seiner kraftvollen Haltung die
helden. heroes. héros.
lyrische Aussage unterstreicht. Die leichte Untersicht betont seine heroische Entschlossenheit,
während der in spannungsreichen Rosatönen
gehaltene Hintergrund sowohl das „Schlachtendonnerwetter“ (SW I, 94) als auch die affektive
Stimmung des Sprechers verbildlicht.50
Der Opfertod: Die zweite Postkarte [Abb. 4]
zeigt die Reproduktion eines Gemäldes von Otto
Heichert und ist mit der Überschrift „Körner’s
Abschied vom Leben“ sowie den Versen „Die
Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben“ bedruckt.51 Über den Titel wird explizit auf Körners
autobiografisches Sonett Abschied vom Leben
verwiesen, das er nach eigenen Angaben während seiner Verwundung in der Nacht vom 17.
zum 18. Juni 1813 gedichtet hat.52 Angesichts
des drohenden Todes erblickt der verletzte Sprecher erinnerungsgesättigte „gold’ne Bilder“ und
gelangt zu der beruhigenden Einsicht, dass die
im Herzen bewahrte „Freiheit“ (SW I, 101) den
Tod überdauern wird. Da diese Freiheit letztlich die Gestalt eines „lichten Seraph[s]“ (SW I,
101) annimmt, wird ersichtlich, dass auch diesem Gedicht ein indirektes, mit der patriotischen
Pflichterfüllung verklammertes Heilsversprechen
eingeschrieben ist. Am Ende erscheint der soldatische Opfertod als notwendige Bedingung
der paradiesischen Glückseligkeit. Heichert
hingegen verzichtet bei seiner Darstellung des
verwundeten Lützower Jägers sowohl auf die
kriegsreligiöse Aussagetendenz des Gedichts
als auch auf die Dramatisierung seiner Todeserwartung. Über die zitierten Verse wird die Aufmerksamkeit zwar auf die Kopfwunde des versehrten Dichters gelenkt, gleichzeitig aber wirkt
dieser in seiner an einen Baumstamm gelehnten
Haltung vergleichsweise entspannt. Nur der gen
Himmel gerichtete Blick deutet an, dass es sich
tatsächlich um „Körner’s Abschied vom Leben“
handelt.
Das Heldengedenken: Auf der dritten Postkarte [Abb. 5] ist das Chemnitzer Körner-Denkmal zu sehen, das zu den vielgestaltigen Erinnerungsorten gehört, die im Laufe des 19. und
20. Jahrhunderts in Form von Denkmälern, Gedenksteinen und Gedenkstätten geschaffen wurden.53 Nach der 1863 gepflanzten ‚Körner-Eiche‘
hatte der 1891 gegründete ‚Körner-Tisch‘ gegen
Ende des 19. Jahrhunderts genügend Geld gesammelt, um das Denkmal bei dem Dresdner
Bildhauer Heinrich Epler in Auftrag zu geben. In
Orientierung an dem Dresdner Körner-Standbild
von 1871 schuf Epler eine ca. drei Meter hohe
Bronzestatue, die am 18. Oktober 1901 auf dem
Körner-Platz in Chemnitz eingeweiht wurde und
die in selbstbewusster Haltung die linke Hand
mit einem geöffneten Buch nach vorn streckt.54
Dass es sich bei dem Buch um Körners berühmte Gedichtsammlung Leyer und Schwerdt (1814)
75
Nikolas Immer, Maria Schultz
76
handelt, verdeutlicht der Sockel des Standbilds,
auf dem das Frontispiz der Lyrikanthologie abgebildet ist. Damit präsentiert Epler den Dichter
als jenen „verweg’nen Zitherspieler“ (SW I, 59),
als der er sich in der Zueignung von Leyer und
Schwerdt seinen Lesern vorstellt. Die Postkarte
wiederum vergegenwärtigt Standbild und Sockel
in Form eines Buntdrucks, der im AnsichtskartenVerlag Ottmar Ziehers hergestellt wurde.55 Über
ihre Verweisfunktion wird die Postkarte schließlich als doppeltes Erinnerungsmedium kenntlich:
Zum einen wird mit der Person Körners an den
‚Dichterhelden‘ und sein literarisches Vermächtnis erinnert, zum anderen wird mit der Darstellung des Chemnitzer Denkmals seine eminente
Bedeutung für das nationale Bewusstsein unterstrichen.
V. „Frei – oder todt!“ Die filmische
Präsentation von Körners Vita
Mit der „Ablösung des patriotisch-wehrhaften Bürgerhelden durch den reichsnationalen
Kriegshelden“ (Schilling 171) vollzog sich zwischen 1891 und 1914 ein paradigmatischer
Wandel in der kollektiven Vorstellung von heroischer Männlichkeit. Wie bereits am Ende des
dritten Abschnitts ausgeführt, wurde Theodor
Körner im unmittelbaren Vorfeld des Ersten
Weltkriegs zu einer charismatischen Heldenfigur
mit vorbildhaften Qualitäten stilisiert.56 In diesem
Umfeld wachsender Körner-Begeisterung entstand die Filmbiografie Theodor Körner. Von der
Wiege bis zur Bahre [R: Franz Porten/Gerhard
Dammann, D 1912], die am 26. August 1912
erstmals gezeigt wurde.57 Franz Kafka, einer der
frühen Kinobesucher, notierte am 25. September
über eine Vorführung: „Kinematograph im Landestheater. […] Körners Leben. Die Pferde. Das
weiße Pferd. Der Pulverrauch. Lützows wilde
Jagd.“ (Kafka 211) Die von Kafka vermerkte Präsenz der Pferde legt bereits nahe, dass es sich
bei dem Historienfilm tatsächlich um ein „patriotisches Kolossal-Gemälde“ (zit. nach Nieberle
84) handelte, wie es im zugehörigen Werbetext
hieß. Doch trotz des hohen Aufgebots von 1.500
Darstellern fand die Filmbiografie in der zeitgenössischen Presse keinen Anklang:
Armer Theodor Körner! Die ganze lodernde Begeisterung des Heldenjünglings
in ein paar burschikosen und ein paar
Rührszenen abgetan. […] Man stelle sich
das vor: ein gewaltiger, welterschütternder Völkerkampf auf das Niveau einer
Dilettantenvorstellung in einem kleinstädtischen Kränzchen herabgezogen.
(Rennert 131)
Obwohl dieser Historienfilm das zeitgenössische
Bedürfnis nach filmästhetischer Begeisterung offenbar nur unzureichend zu stillen vermochte, ist
ihm „das heroische Narrativ des Nationalismus“
(Nieberle 86) inhärent, das ein unbestimmtes,
pauschal gegen ‚fremde‘ Unterdrücker gerichtetes Freiheitspathos zum Ausdruck bringt. Die
filmische Inszenierung Körners wird dabei dezidiert am medial vermittelten Dichtergedenken
ausgerichtet. So scheint beispielsweise die Konstellation der trauernden Lützower, die Körners
Leiche umstehen, der Figurenanordnung auf
Otto Donner von Richters Gemälde Die Lützower an der Leiche Körners nachempfunden.58
Die Popularität dieser Szene wurde zusätzlich
dadurch gesteigert, dass die 1898 gegründete ‚Deutsche Mutoscop- und Biograph-Gesellschaft‘ jenes Filmstill als Postkarte in Umlauf
brachte [Abb. 6].59
Während Franz Porten bereits vor dem Ers­
ten Weltkrieg Persönlichkeiten aus der preußischen Geschichte filmisch vergegenwärtigte,60
erlebte der Preußenfilm erst in den 1920er
und frühen 1930er Jahren seinen eigentlichen
Aufschwung.61 Am Beginn dieser Entwicklung
stand die vierteilige Filmbiografie über Friedrich den Großen [Fridericus Rex, R: Arzén von
Cserépy, D 1920-22], die mit ihrer „Fixierung auf
eine meist einsam entscheidende Führerfigur
genreprägend“ (Stiasny 272) wurde. Es folgten
Filmbiografien über Ferdinand von Schill [Die elf
Schillschen Offiziere, R: Rudolf Meinert, D 1926;
Neufassung als Tonfilm 1932], Johann David
Ludwig Yorck von Wartenburg [Yorck, R: Gustav
Ucicky, D 1931], Gebhard Leberecht von Blücher [Marschall Vorwärts, R: Heinz Paul, D 1932]
und schließlich auch über Theodor Körner. Der
zweite Körner-Film, der den Titel Lützows wilde
Jagd [R: Richard Oswald, D 1927] trägt, wurde
am 21. Februar 1927 in Berlin uraufgeführt.62
Doch obwohl die Mehrzahl der Preußenfilme
„demonstrative Exempel der patriotischen Ergriffenheit“ (Koller 167) lieferte, wurde Lützows wilde Jagd nur bedingt als Zeugnis des erstarkten
„Hurra-Patriotismus“ (Nieberle 90) gewertet, wie
eine zeitgenössische Rezension in der LichtbildBühne [1927] belegt. Diese Einschätzung dürfte
nicht zuletzt der melodramatischen Qualität dieses Historienfilms geschuldet sein, zumal in der
angeführten Rezension betont wurde, dass dessen „Hauptwert“ auf den „seelischen Konflikte[n]
der einzelnen Personen“ (zit. nach Nieberle 90)
liege.63
Am 4. Oktober 1932 wurde in Dresden unter dem Titel Theodor Körner. Ein deutsches
Heldenlied [R: Carl Boese, D 1932] schließlich
der dritte Körner-Film uraufgeführt, der im Gegensatz zu den zwei vorangehenden Stummfilmen zu den frühen deutschen Tonfilmen zählt.64
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
Bereits der Untertitel dieses ‚Gesinnungsfilms‘
weckte die Erwartung,65 eine heroisch stilisierte
Dichtervita geboten zu bekommen, wie sie auch
das Filmplakat verbildlichte [Abb. 7]. An zentraler Position ist ein Porträt des Protagonisten zu
sehen, der von dem erfolgreichen Kammersänger Willi Domgraf-Fassbaender gespielt wurde.
Das Porträt der Filmfigur wird von mehreren
martialischen Szenen gerahmt, die von Körners
kampferfülltem Leben zeugen. Die Filmbiografie
wiederum spannt einen zeitlichen Bogen von der
Jugend Körners bis zu seinem Tod bei Gadebusch. Dabei werden wiederholt Kernpassagen
aus seinen lyrischen Dichtungen eingeschaltet,
die entweder mit patriotischer Inbrunst rezitiert
oder chorisch in Liedform vorgetragen werden.
Körner erscheint in diesem Zusammenhang als
„orphische Gestalt propagandistischer Dichtung“
(Nieberle 91), was durch die Filmmusik unterstrichen wird, die Werner Schmidt-Boelcke in Anlehnung an bekannte Vertonungen von KörnerLiedern komponierte.66
Die politische Tendenz von Boeses Film­
biografie wird bereits in den ersten Sequenzen
sichtbar. Als sich zwei Passanten begegnen,
behauptet der erste: „wo drei Deutsche sind,
[…] sind drei Parteien“, woraufhin sein Begleiter entgegnet: „das nützt der Napoleon aus und
hetzt Deutsche gegen Deutsche“ (TK 00:04:5000:05:00). Es lässt sich nicht nur festhalten,
dass in der Aussage des ersten Sprechers ein
„antiparlamentarische[r] Grundtenor“ (Koller
161) aufscheint, sondern auch, dass der Hinweis auf Napoleon angesichts der zersplitterten
Parteienlandschaft der Weimarer Republik als
direkte Warnung vor einem potentiellen Aggressor verstanden werden kann.67 Die indirekt anvisierte Einheit der Deutschen findet dagegen im
kameradschaftlichen Kampfverband der Lützower Soldaten ihr positives Vorbild. Ferner wird
die französische Hegemonie in den Preußenfilmen wiederholt als ‚Joch‘ apostrophiert, womit
zugleich, wie Wolfgang Koller herausgestellt
hat, der Versailler Friedensvertrag von 1919 in
den Blick genommen ist.68 Angesichts dieses
politischen Bezugs erfüllt die Heroisierung Körners die Aufgabe, das Aufbegehren gegen das
‚Joch‘ der Fremdherrschaft als exemplarisch und
nachahmenswert darzustellen. Mit dieser Stilisierung Körners zu einem ‚Auserwählten‘ wird
zugleich der Führerkult des Nationalsozialismus
antizipiert, wie ihn Siegfried Kracauer in seiner
Deutung des Weimarer Kinos Von Caligari zu
Hitler (1947) beschrieben hat.69 Gleichwohl zeigt
Boese auch Körners menschliche Seite, indem
er dessen tragische Beziehung zu der österreichischen Schauspielerin Antonie Adamberger
herausstellt. So werden drei strukturgebende
Rollenbilder entfaltet, die sich allein schon aus
helden. heroes. héros.
biografischen Gründen wechselseitig durchdringen: der empfindsame Held, der patriotische
Dichter und der wagemutige Kämpfer.
Der empfindsame Held: Die Filmbiografie
setzt mit der Darstellung von Körners Studentenzeit ein, in der er sich als Mitglied des Leipziger
Korps ‚Thuringia‘ mit adligen Studenten duelliert.70 Im Anschluss an eine Mensur muss Körner
aus der Universitätsstadt fliehen. Unterwegs trifft
er auf die ihm noch unbekannte Antonie Adamberger, die ihn in ihrer Kutsche versteckt, so dass
er seinen Verfolgern entgehen kann.71 Als er sicheren Boden erreicht hat, verlässt er sein Versteck und wendet sich an seine Retterin: „Ich bin
ganz benommen. Ich weiß nicht, ist es von der
gewonnenen Freiheit oder von dem süßen Duft
meines Gefängnisses.“ (TK 00:11:35-00:11:41)
Charmant verbindet Körner den indirekten Dank
für seine Rettung mit einem Kompliment für die
hilfreiche Unbekannte. Ihre Identität wird allerdings schon bald gelüftet, da Körner ihr am
Wiener Hoftheater wiederbegegnet. Nach einer
raschen Annäherung ist er bereits zu ihrem Verlobten geworden, der ihr abends vor dem Fenster ein Liebeslied darbringt. Körner wird dabei
in halbnaher Einstellung und leichter Untersicht
gezeigt [Abb. 8], wie er die erste bis dritte Strophe des Gedichts Ständchen singt.72 Gegen
Ende seines Gesangs löst sich Antonie von ihrer
Freundin, um zu Körner zu eilen. Während der
Dichter noch die letzten Verse singt, beginnt Antonies Freundin zwei Verse aus Körners Trauerspiel Zriny zu lesen: „Da fliegt die Brandrakete in
die Stadt. | Das Feuer faßt, schon brennt’s an –“
(SW II, 190, Szene III/10; TK 00:24:34-00:24:38)
Mit dieser Resemantisierung wird nicht nur die
ursprüngliche Kriegsmetaphorik in eine Liebes­
metaphorik umcodiert, sondern auch die Kon­
stellation des Heldenpaares von Zriny und seiner
„Heldenbraut“ (SW II, 190, Szene III/10) Eva, die
sich trotz der fallenden Brandraketen in den Armen liegen, auf Körner und Antonie übertragen.
Auf diese Weise wird der empfindsame Lieb­
haber Körner zu einem heroischen Lieb­
haber
aufgewertet.
Als Körner jedoch vom Aufruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. zur Bildung
von freiwilligen Jäger-Detachements hört und
erfährt, dass fast das gesamte Leipziger Korps
Thuringia in das Lützower Freikorps eingetreten
sei,73 gerät Körner in den Konflikt zwischen Pflicht
und Neigung. Da er sich entschließt, seinem Vaterland zu dienen, muss er auf das Liebesglück
mit Antonie verzichten. Sowohl die sturmbewegte Gartenlandschaft als auch die spannungsreiche Filmmusik kehren seine starke emotionale
Bewegung hervor.74 Um die Dringlichkeit der
patriotischen Pflichterfüllung und die Bedeutungstiefe der Entscheidung zu unterstreichen,
77
Nikolas Immer, Maria Schultz
78
werden in kurzer Folge drei Blitze eingeblendet,
womit Boese auf das klassische Arsenal heroisch-erhabener Bildtopik zurückgreift. Während
Antonie ihren Geliebten zurückzuhalten versucht, bekräftigt dieser seine Standhaftigkeit mit
den ersten zwei Versen aus dem Gedicht Männer und Buben, die später an prominenter Stelle
in Veit Harlans Propagandafilm Kolberg [1945]
zitiert werden: „Das Volk steht auf, der Sturm
bricht los; | Wer legt noch die Hände feig in den
Schooß?“ (SW I, 109; TK 00:28:38-00:28:43)75
Körners Entschlossenheit wird währenddessen
durch ein Close-up akzentuiert [Abb. 9]: Sein
Blick schweift über Antonie hinweg und richtet
sich auf das imaginierte Ziel, in Kürze ein Mitglied von Lützows Freikorps zu werden.
Auf diese Abschiedsszene wird im Verlauf der
Filmhandlung noch zweimal rekurriert. Der erste
Rückbezug erfolgt, als sich Körner im Lützower
Lager mit dem Soldaten August Renz unterhält,
der sich später als die unter Pseudonym kämpfende ‚Heldenjungfrau‘ Eleonore Prochaska
entpuppt.76 Als sie auf ihre Liebesbeziehungen
zu sprechen kommen, wird erneut die Gartenszene eingeblendet, die in Körners Erinnerung
um einen Dialog erweitert wird. Am Ende formuliert Antonie den flehentlichen Appell: „Du – mit
deiner Freiheit, was geht denn dich das an? Du
bist doch ein Dichter.“ (TK 00:38:44-00:39:19)
Körner hingegen verdeutlicht mit seinem Engagement im Lützower Freikorps, dass sich der
Typus des Dichters durchaus produktiv mit dem
des Helden verbinden kann. Der zweite Rückbezug erfolgt, als sich Körner nach seiner schweren Verwundung bei seinen Eltern aufhält und
dort nochmals auf Antonie trifft. Als er sich entschließt, erneut zu Lützow zurückzukehren, wird
die erste Abschiedsszene strukturell aufgegriffen
und in der Bildsprache intensiviert. Denn während sich Körner vom Pferd zu Antonie hinabbeugt [Abb. 10], umarmt sie ihn eindringlich und
fleht schon beinahe kläglich: „Geh nicht von uns!
Bleib hier!“ (TK 01:02:04-01:02:06) Dass Körner
dennoch unbeirrt an seiner Pflichterfüllung festhält, verdeutlicht nicht nur seine Antwort, sondern auch die nachfolgende Kameraeinstellung
[Abb. 11]. Die Verwendung der Totalen hat den
Effekt, dass der in Rückenansicht davonreitende
Körner angesichts des großformatigen Himmelsausschnitts einsam und beinahe verloren wirkt.
Die inszenierte Vereinzelung des Helden veranschaulicht noch einmal deutlich, dass die heroische Bewährung das Opfer des Liebesglücks
erfordert.
Der patriotische Dichter: In dieser Rolle wird
Körner in die Filmbiografie eingeführt, da er
eingangs vor seinen Bundesbrüdern des Leipziger Korps Thuringia die siebente Strophe des
Gedichts Trost rezitiert: „Und noch regt sich mit
Adlers Schwung | Der vaterländ’sche Geist, |
Und noch lebt die Begeisterung, | Die alle Ketten
reißt. | Und wie wir hier zusammenstehn | In Lust
und Lied getaucht, | So wollen wir uns wieder
sehn, | Wenn’s von den Bergen raucht.“ (SW I,
79; TK 00:02:0300:02:22) Getragen von dieser
pathetisch exponierten ‚Begeisterung‘ stimmen
die Bundesbrüder sofort in das Bundeslied ein,
dessen letzte Strophe variierend gesungen
wird: „Ein festes Herz | In Lust und Schmerz, |
In Kampf und Noth, | Frei – oder todt!“ (SW I,
209; TK 00:02:55-00:03:10)77 Schließlich trägt
Körner die letzten vier Verse aus seinem Gedicht
Was uns bleibt vor: „Ob die Nacht die freud’ge
Jugend tödte, | Für den Willen giebt es keinen
Tod; | Und des Blutes deutsche Heldenröthe |
Jubelt von der Freiheit Morgenroth!“ (SW I, 108;
TK 00:03:37-00:03:49) Bereits diese Auszüge
umreißen schlagwortartig Körners dichtungspolitisches Programm: Der Gemeinschaftsbund,
den der „vaterländ’sche Geist“ stiftet, bildet die
Vorstufe für eine künftige Kriegsgemeinschaft.
Angesichts des Schematismus „Frei – oder todt“
erscheint die kommende heroische Bewährung
wie eine alternativlose Notwendigkeit. Dabei
wird die angestrebte Freiheit gezielt ideologisch
überhöht, indem das „Morgenroth“ den Anbruch
einer neuen Zeit metaphorisch ankündigt. Der
Freiheitsbegriff selbst bleibt jedoch weitgehend
unbestimmt und erweist sich daher als anschlussfähig für konkrete politische Funktionalisierungen.78
An späterer Stelle wird Körner als der schöpferische Dichter präsentiert, der an seinem Trauerspiel Zriny arbeitet. Sofort liest der hinzugetretene Intendant des Wiener Hoftheaters einige
Verse aus dem Reflexionsmonolog Zrinys vor:
„Ich fühl’ es klar, ich kämpfte nicht vergebens;
| Durch Todesnacht bricht ew’ges Morgenroth.
| Und muß ich hier mit meinem Blute zahlen, |
Ein Gott vergilt mit seines Lichtes Strahlen!“ (SW
II, 222, Szene V/2; TK 00:17:47-00:18:00) Der
ungarische Graf Nikolaus Zrínyi, der in Körners
Trauerspiel gegen den türkischen Kaiser Soliman zu Felde zieht, demonstriert mit seiner Niederlage, dass noch „der eigene Untergang [als]
ein moralischer Sieg“ (Luckscheiter 284) angesehen werden könne. Auch wenn der Intendant
von dieser Stoffwahl abrät,79 erweist sich der
‚Dichterheld‘ Zrínyi als zentrale Bezugsfigur für
Körner. Dabei zählt für den Dramatiker insbesondere die wirkungsästhetische Rezeptionskraft
seines Stücks: „Aufreizen soll es alle Deutschen
von Nord bis Süd! Einig zu sein, wenn es gilt, das
Vaterland zu befreien!“ (TK 00:18:19-00:18:24)
Körner erkennt seinen literarischen Werken folglich die konkret gesellschaftspolitische Funktion
zu, zum patriotischen Freiheitskampf aufzufordern. Diese Auffassung korrespondiert mit der
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
Einschätzung Lützows, der Körner an späterer
Stelle bescheinigt, seine „Freiheitslieder“ seien
seine „besten Werber“ (TK 00:30:55-00:30:59).
Um die Soldatengemeinschaft ideologisch zu
stabilisieren, wird schließlich das prominente
Freiheitslied Lützows wilde, verwegene Jagd gesungen, das zum „Marsch- und Schlachtlied der
kühnen Krieger“ (Film-Kurier [5]) avanciert.80
Der wagemutige Kämpfer: Dass Körner die
heroischen Ideale nicht nur dichterisch propagiert, sondern auch tatkräftig umzusetzen
versucht, betont er bereits mit seiner agitatorischen Rede, als er in Lützows Freikorps eintritt.
An seine künftigen Mitstreiter gewendet, fordert
er enthusiastisch: „Frisch auf, ihr Jäger! Frei
und flink, die Büchse von der Wand! Der Mutige bekämpft die Welt! Frisch auf den Feind!
Frisch in das Feld – fürs deutsche Vaterland!“
(TK 00:31:03-00:31:13) Auch wenn Körners Beteiligung an den Kampfhandlungen der Lützower
zunächst nicht eigens vorgeführt und er vielmehr
als treusorgender Kamerad am Krankenbett der
verwundeten Eleonore Prochaska gezeigt wird,
stellt er spätestens im Gefecht mit den französischen Truppen des Generals François FournierSarlovèse sein Kriegsheldentum unter Beweis.81
Nach einem schweren Säbelhieb sinkt er im
Gehölz bei Großzschocher zu Boden und erinnert mit der Körpergeste des sterbenden Helden
[Abb. 12] an Otto Heicherts Gemälde Körner’s
Abschied vom Leben [Abb. 4]. Ohne jedoch auf
Körners gleichnamiges Sonett einzugehen, folgt
filmintern die Überblendung zu Toni, die im Rahmen einer Theaterprobe eine Passage aus Zriny
rezitiert:
[…] wie er mir den […] Abschied
Mit dem gezognen Säbel zugewinkt –
Es ist der letzte Gruß, rief’s mir, der letzte!
Dort draußen lauert der Verrath auf ihn,
Dort draußen ist der Liebe Tod bereitet!
Da zuckt’ es mir versengend durch die
Brust,
Das Auge brach, des Herzens Pulse
stockten,
Wie Traum des Todes kam es über mich.
(SW II, 131, Szene II/1;
TK 00:53:09-00:53:45)
An dieser Stelle wird die von Körner stilisierte Heldenvita Zrinys am direktesten auf seine
eigene Lebenssituation projiziert. Auch wenn
Körner dank der Pflege Eleonore Prochaskas
schon bald wieder zu Kräften kommt, antizipiert
diese Todesvision bereits Körners nahenden
Untergang. Sein patriotisches Engagement wird
schließlich durch die stimmungsvolle Totenwache gewürdigt [Abb. 13], bei der die trauernden
Lützower eine Strophe aus Lützows wilder, verwegener Jagd singen.82 Diese Verklärung des
helden. heroes. héros.
abgeschiedenen Dichters wird nur noch durch
die Montage im zugehörigen Themenheft des
Illustrierten Film-Kuriers gesteigert [Abb. 14], die
den aufgebahrten Körner neben der trauernden
Eleonore Prochaska und den das Grab umstehenden Lützowern zeigt.
Dass Körners ideelles Vermächtnis auch in
Zukunft fortexistieren wird, bekräftigt Eleonore
Prochaska mit ihren Schlussworten: „Theodor
Körner ist nicht tot. Seine Lieder, die zur Freiheit riefen, werden immer leben.“ (TK 01:11:5601:12:02) Damit wird die bleibende Aktualität der
Befreiungslieder angesprochen, denen insbesondere 1932 die Aufgabe zukommt, den ‚vaterländischen Geist‘ zu mobilisieren.83 Im Vordergrund steht nicht ein historisch adäquates Bild
Körners, sondern das „spektakuläre Tableau“
(Nieberle 93), das den Freiheitsimpuls seiner
Heldenlieder und seines Heldendramas Zriny
popularisieren soll. Auch wenn die Realisierung
dieser wirkungsästhetischen Zielstellung allenfalls in begrenztem Rahmen gelang,84 wird der
Filmbiografie eine entscheidende Gedächtnisfunktion zugewiesen: Sie soll nachhaltig den patriotischen Gemeinsinn im kollektiven Bewusstsein aktualisieren.
VI. „Das Volk steht auf, der Sturm
bricht los“. Resümierender Blick auf
eine instrumentalisierte Heldenfigur
Nach seinem frühen Tod wurde der Dichter und
Kriegsfreiwillige Theodor Körner rasch zu einer kanonischen Heldenfigur aufgewertet. Im
19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er als bedeutende nationale Ikone über eine Vielzahl von Erinnerungsmedien
im kollektiven Gedächtnis verankert. Blieb sein
dichterisches Werk über etliche Neuauflagen
und Wiederabdrucke im öffentlichen Bewusstsein präsent, etablierten zunächst die Artikel der
Gartenlaube ein populäres Bild des ‚Dichterhelden‘ Körner. Wie in den historischen Romanen
des 19. Jahrhunderts wurde er wiederholt für die
Vorstellung von einem deutschen Nationalstaat
instrumentalisiert. Die Aufbereitung seiner Vita
im Rahmen geschichtlicher Romane diente primär der Identifikation mit dem heroischen Vorbild und sollte sekundär die männliche Jugend
mobilisieren. Während der Gedenkjahre 1863
und 1913 verdichteten sich die Schilderungen
seines Lebens zu einem typisierten Heldennarrativ, das beispielsweise Wilhelm Wohlrabe vergegenwärtigte. Gleichzeitig wurden die Gedenkschriften mit stilisierten Szenen aus Körners
Vita versehen, die ebenso wie die heroischen
Historiengemälde das allgemeine Bild prägten.
79
Nikolas Immer, Maria Schultz
80
Aus diesem Repertoire speisten sich wiederum
die Sammelbilder und Postkarten, die nicht nur
zur massenmedialen Verbreitung von KörnerMotiven beitrugen, sondern auch, wie im Falle
der Denkmal-Postkarten, den Erinnerungsbezug
intermedial erweiterten. Den Konvergenzpunkt
dieser Entwicklung bildeten schließlich die Filmbiografien Körners, in denen zentrale Narra­
tionsmuster aufgegriffen, prägnante Passagen
aus seinen Dichtungen zitiert sowie etablierte
Gedenkorte filmisch inszeniert wurden. Am profiliertesten gelang es Carl Boese, den prominenten Lützower Jäger als empfindsamen Helden,
patriotischen Dichter und wagemutigen Kämpfer
zu präsentieren.
Während im 19. Jahrhundert über Theodor Körner verstärkt an die nationale Hochzeit
der antinapoleonischen Kriege erinnert wurde,
intensivierte sich um 1913 und zu Beginn der
1930er Jahre die ideologische Vereinnahmung
des ‚Dichterhelden‘. Spätestens mit der Ausstellung Grossdeutschlands Freiheitskampf, die
die Staatlichen Museen Berlin als „eine Art von
Kriegsmaßnahme“ (Katalog 7) durchführten,
bekam die Instrumentalisierung Körners explizit
propagandistische Züge. Mit dem Porträt von
Dora Stock, der Erstausgabe von Leyer und
Schwerdt sowie mit Kerstings Gemälde Auf Vorposten wurden populäre Erinnerungsmedien zusammengetragen, um in nationalsozialistischer
Vereindeutigung die idealtypische „Verbindung
von Geist und Wehrwillen“ am Beispiel Körners
zu veranschaulichen (Katalog 146). Des Weiteren wurde die martialische Formel „Das Volk
steht auf, der Sturm bricht los“ (SW I, 109) aus
Körners Gedicht Männer und Buben öffentlichkeitswirksam in den ‚Durchhaltefilm‘ Kolberg
integriert. Schon am 18. Februar 1943 hatte
Joseph Goebbels diesen Vers in seiner Proklamation des ‚totalen Kriegs‘ aufgegriffen und
zu der ‚Parole‘ umgeformt: „Nun, Volk, steh auf
und Sturm, brich los!“ (Goebbels) Während die
staatliche Propaganda versuchte, eine Volksgemeinschaft heraufzubeschwören, über Selbstund Feindbilder eine gemeinsame Identität zu
konstruieren und vor allem nach den Rückschlägen im Krieg vermehrt die Kampfbereitschaft zu
fördern, wurde der Rekurs auf Theodor Körner
und die antinapoleonischen Kriege bemerkenswerterweise auch von der politischen Opposition
eingesetzt. So parallelisierte die Widerstandsgruppe ‚Die weiße Rose‘ den Kampf gegen die
NSDAP mit dem Freiheitskampf gegen Napoleon und bekräftigte ihren mobilisierenden Appell
mit einem Zitat aus Körners Soldatenlied Aufruf:
„Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen
rauchen“ (Scholl; SW I, 83).85 Mit dieser gegenläufigen Funktionalisierung hatte die ideologische Vereinnahmung des ‚Dichterhelden‘ ihren
vorläufigen Höhepunkt erreicht.86 Kaum noch
etwas erinnerte an den einstigen Sänger, dessen Lieder angeblich den Berlinerinnen so manchen „bodenlosen Wonneseufzer“ entlockt hatten (Heine II, 55).87 Theodor Körner war über die
mediale Aufbereitung vielmehr zu einer Projektionsfigur geworden, die den massenhaften Tod
für das Vaterland legitimieren sollte.
1 Körners Werke (1838) werden im Folgenden über die Sigle ‚SW‘, der Film Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932) über die Sigle ‚TK‘ zitiert. Vgl. das Literaturverzeichnis.
2 Vgl. Erll 165.
3 Vgl. Szépe 295-297.
4 Vgl. Schilling 133-158, 236-248, 271-286.
5 Vgl. Disselkamp.
6 Vgl. Jöst 319.
7 Vgl. Hagemann 340-350.
8 Vgl. auch Wohlrabe I, 106, mit Hinweisen auf die KörnerNekrologe von Friedrich Rückert und Emanuel Geibel.
9 Beispielsweise wurde im Dresdner Körner-Museum
Ernst Weickers Aquarell Theodor Körners Grab zu Wöbbelin
im Jahre 1813 gezeigt. Vgl. Gedenkbuch 44. Zu Abbildungen
der Grabstätte vgl. Kammerhoff 30, 32. Größere Verbreitung
fanden die Beschreibungen in der Gartenlaube (1861/1863)
und die Darstellung von Brasch.
10 Vgl. Schilling 126-168.
11 In 15 von 48 Ausgaben des Jahrgangs 1863 erschienen
Artikel über Körner.
12 Vgl. Körners Todesstätte 789.
13 Vom Denkmal bei Rosenberg wird sogar eine Abbildung
gezeigt.
14 Siehe Anm. 3.
15 Vgl. Heft 8, 12, 27 und 35 der Gartenlaube (1863).
16Vgl. vor allem Ackermann; Schröder; Körner’s Leier;
Körner’s Todesstätte; Festgräber; Körner-Gräber; Besuch
bei Körner’s Pflegerin.
17 Das Körner-Museum wurde von Emil Peschel, einem
der wichtigsten Körner-Biografen, im ehemaligen Dresdener
Wohnhaus der Familie Körner gegründet. Er sammelte die
Uniform und Waffen des Dichters und stellte dessen letztes,
blutgetränktes Tagebuch als Reliquie aus. Neben anderen
Bildern waren dort das Kreidebildnis von Emma Körner, das
während seines letzten Dresden-Aufenthalts 1813 entstanden war, sowie Otto Donner von Richters Gemälde Theodor
Körners Freunde, von dem gefallenen Waffengefährten in
Wöbbelin abschiednehmend zu sehen. Vgl. Körner-Museum; Gedenkbuch 9, 41-44, 51; Bauer 243-245. Fotografien
von Vitrinen mit Körner-Devotionalien aus dem 1945 zerstörten Dresdener Körner-Museum ebenso wie Reproduktionen
der genannten Bilder sind abgedruckt bei Kammerhoff.
18 Vgl. Erll 143-193.
19 Die quantitative Analyse hat ergeben, dass zwischen
1815 und 1945 im deutschsprachigen Raum über 560 Romane (Erstausgaben) zu diesem Thema von deutschen
Autoren erschienen, hinzu kamen Übersetzungen aus anderen Nationalliteraturen. Eine große Hilfe für die Ermittlung
historischer Romane zu den Kriegen zwischen 1792 und
1815 war die umfangreiche Datenbank, die im Rahmen des
Projektes ‚Historische Romane‘ an der Universität Innsbruck
aufgebaut wurde. Vgl. http://www.histrom.literatur.at; Zugriff:
03.08.2014.
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
20 Zur Analyse von Raus Roman vgl. Schultz 313-318.
46 Vgl. Assel/Jäger I, II, III.
21 Was die Kennzeichnung der Quellen betrifft, wurde explizit auf Gesamtausgaben der Werke Körners, auf historiografische Werke, auf Biografien, sowie auf publizierte Ego-Dokumente Bezug genommen. Zu den von Rau und Mühlfeld
zitierten Erinnerungsschriften vgl. Nissen. Zur Erwähnung
Wöbbelins vgl. Rau II, 396; Mühlfeld 4, 247-250.
47Zu Osmar Schindler vgl. Biedermann/Dehmer. Der
schma­
le Katalog enthält leider keine Informationen über
Schindlers Körner-Gemälde.
22 Vgl. Rösler 66-67.
24 Vgl. Rösler 195; SW I, 101-103, 91-94.
50 Die Rosafärbung des Hintergrunds erinnert überdies an
den rosafarbenen Schein, mit dem Friedrich Schillers Jungfrau von Orleans (1801) am Ende der Tragödie überwölbt
wird.
25 Das Lützower Freikorps und Theodor Körner behandeln
u. a. Grabi; Ohorn; Sommer.
51 Zu verschiedenen Varianten dieser Postkarte vgl. Assel/
Jäger I.
26 Ohorns geschichtliche Erzählung ist mit einigen Abbildungen versehen. Die Illustration der Aufbahrung Körners erinnert in ihrer Bildkomposition und -sprache an Otto Donner
von Richters Gemälde Die Lützower an der Leiche Körners
(1845). Vgl. Ohorn 139.
52 Der Untertitel des Sonetts lautet: „Als ich schwer verwundet und hülflos in einem Holze lag und zu sterben meinte“
(SW I, 101).
23 Vgl. Rösler 188-189.
27 Vgl. Meteling 295.
28 Im Kontext dieser Schilderung ist das Pastellporträt Körners von Emma Körner abgebildet. Ähnliche Deutungen wie
bei Wohlrabe finden sich auch in historischen Romanen. Vgl.
exemplarisch Grabein.
29 Vgl. Schubert; Gedenkbuch; Kralik. Theodor Körner wird
bei Fritz Löffler zum „Beitrag“ (Löffler 69) Sachsens an den
Erfolgen des Jahres 1813 stilisiert.
30 Vgl. May; Stodte; von der Vring.
31 Zu Eleonore Prochaska vgl. Bauer 70-75; Bastet/Götting-Nilius.
32 Vgl. Schilling 183-195, wo Schilling zahlreiche Artikel
ausgewertet hat, die anlässlich von Körners 100. Todestag
am 26. August 1913 erschienen waren. Die wachsende
Körner-Begeisterung erstreckte sich auch auf die Schulen,
wie Barbara Hanke exemplarisch nachgewiesen hat. Für das
Schuljahr 1914/15 lautete beispielsweise eine Themenstellung: „Was lehrt uns Theodor Körner für den gegenwärtigen
Krieg?“ (Hanke 52)
33 Auf Boeses Filmbiografie wird im fünften Abschnitt detailliert eingegangen. – Die Gestaltung des Buchcovers ist an
Richard Knötels Gemälde Theodor Körner liest seine Kriegslieder vor angelehnt. Vgl. Bauer 54. Einige Jahre später erschien ebenfalls zu Körner: Hofer.
34 Vgl. Püschel; Löwe; Völkel.
35 Jösts Argumentation zielt jedoch allein auf die Verklärung des „Dichterheldentodes“ (Jöst 313).
36 Zum Gehalt von Kerstings Gemälde vgl. Schäfer 190191.
48 Vgl. SW I, 94-95.
49 Vgl. Sauermann 273.
53 Zu den Körner-Gedenkstätten als Postkarten-Motive vgl.
Assel/Jäger II.
54 Vgl. Körner-Denkmal 90. Zum Körner-Standbild in Dresden vgl. Bauer 242.
55 Auf der Postkarte ist seitlich vermerkt: „Heliocolorkarte
von Ottmar Zieher, München“. Vgl. Kugler.
56 Siehe Anm. 31.
57 Vgl. Nieberle 83-89; Rother 63.
58 Zu dieser Parallele vgl. Nieberle 87, wo das Gemälde
Richters und das entsprechende Filmstill nebeneinander abgebildet sind. Eine farbige Reproduktion von Richters Gemälde bieten Assel/Jäger I. Dass die Figurenanordnung auf
Richters Gemälde ihrerseits der Konstellation auf JacquesLouis Davids Gemälde Der Ballhausschwur (1791) nachempfunden sei, hat Kirstin Anne Schäfer behauptet. Vgl.
Schäfer 191.
59 Ebenfalls abgebildet bei Jutta Assel und Georg Jäger,
ohne dass dort auf die Filmvorlage hingewiesen wird. Vgl.
Assel/Jäger I.
60 Neben Portens Körner-Film ist sein dreiteiliger Film von
der Königin Luise (1912/13) zu nennen.
61 Vgl. Koller 155, wo ein Diagramm zum „Verlauf der deutschen Spielfilmproduktion über die Revolutions- und Napoleonischen Kriege“ für die Zeit zwischen 1913 und 1945 abgebildet ist.
62 Vgl. Stiasny 294; Nieberle 89-91. Zu alternativen Filmtiteln, die direkt auf Körner Bezug nehmen, vgl. ebd. 89.
63 Andernorts wurde der Film allerdings als ‚kitschig‘ und
‚verlogen‘ abgelehnt. Vgl. Koller 169.
64 Vgl. Stiasny 295; Nieberle 91-95.
37 Zu den Körner-Gemälden Knötels und Traches vgl. Bauer 54-55.
65 Vgl. Koller 176.
38 Zu den Anfängen der Reklamekunst vgl. Lorenz 11.
67 Vgl. Nieberle 92.
39 Vgl. Lorenz 39; Breidenbach 214-215.
68 Vgl. Koller 153, 165-166.
40 Vgl. Epple 169.
69 Vgl. Nieberle 91; Stiasny 270. Im Gegensatz zur Konjunktur der Preußenfilme behauptet Kracauer, dass die antinapoleonischen Kriege „zur Zeit vom Aufstieg Hitlers etwas
abgelegen schienen“ und wertet Theodor Körner zu einer
„mittelmäßigen Filmbiographie“ (Kracauer 318, Anm. 24) ab.
41Vgl. Lorenz 120. Knötels Reklamebild ähnelt seinem
Gemälde Körner liest seine Kriegslieder vor. Vgl. Bauer
54. Weitere Körner-Reklamebilder von Knötel enthalten die
Stollwerck-Serien Deutschlands Freiheitssänger [Album 14,
Gruppe 526, Bild 4], Der Frühjahrs-Feldzug [Album 14, Gruppe 531, Bild 6] und Die Augustschlachten [Album 14, Gruppe
532, Bild 3].
42 Jussen 27909. Zu Körners Gedicht Du Schwert an meiner Linken! bzw. seinem Schwertlied vgl. SW I, 113-116.
66 Vgl. Bockstiegel 61.
70 Vgl. Jäger 378-379.
71 Diese frühe Begegnung zwischen Körner und Antonie
Adamberger ist frei erfunden.
44 Vgl. Faulstich 180.
72 Vgl. SW I, 312-313; TK 00:23:18-00:24:38. Von der ers­
ten Strophe werden nur die ersten vier und von der zweiten
Strophe nur die zweiten vier Verse gesungen. Die vierte Strophe fehlt ganz.
45 Vgl. May 2010.
73 Vgl. TK 00:27:06-00:27:17.
43 Vgl. Kotłowski 13.
helden. heroes. héros.
81
Nikolas Immer, Maria Schultz
82
74 Zu dieser Szene vgl. auch Horak 121-122.
75 Gegenüber der Textvorlage weicht der zweite Vers in der
Verfilmung minimal ab, in der Körner fragt: „Wer legt jetzt die
Hände noch streng in den Schoß?“ Zur Funktion des KörnerZitats in Kolberg vgl. Paret.
76 Siehe Anm. 30.
Anonym. „Ein Besuch bei Theodor Körner’s Pflegerin in
Groß-Zschocher“. Die Gartenlaube 12 (1863): 407-408. [Zitiert als: Besuch bei Körner’s Pflegerin]
Anonym. „Die Körner-Gräber und ihre alten Wächter“. Die
Gartenlaube 12 (1863): 420-423. [Zitiert als: Körner-Gräber]
77 In der zitierten Körner-Ausgabe findet sich das Gedicht
unter dem Titel Weinlied.
Anonym. „Die Wöbbeliner Festgräber“. Die Gartenlaube 12
(1863): 549-551. [Zitiert als: Festgräber]
78 Vgl. Weber 312.
Anonym. „Körner-Denkmal in Chemnitz.“ Die Kunst für Alle
17 (1902): 90. [Zitiert als: Körner-Denkmal]
79 Körner hatte dagegen für die Wahl dieses Stoffes viel
Zuspruch bekommen. Vgl. Luckscheiter 275.
80 Lützows wilde, verwegene Jagd wird von Körner am
nächtlichen Lager gesungen, während er von den Lützowern
chorisch begleitet wird. Vgl. TK 00:40:23-00:41:07. Der heroische Gesang wird abrupt von einem Gewehrschuss unterbrochen, der den Überfall durch eine feindliche Patrouille
anzeigt. Später übernimmt Friedrich Schillers Reiterlied die
gemeinschaftsstiftende Identifikationsfunktion für die Lützower. Vgl. TK 00:49:11-00:50:01. Zur Popularität von Schillers Reiterlied während der antinapoleonischen Kriege vgl.
Linder-Beroud 214.
81 Dabei werden die Spuren des heroischen Kampfes mit
der Semantik des Schreibens enggeführt, wenn Lützow mit
Blick auf Körners Narbe behauptet: „das ist eine Handschrift,
die wir nicht vergessen werden“ (TK 01:02:51-01:02:54). Vgl.
Nieberle 92.
82 Vgl. Nieberle 93.
83 Vgl. Koller 176.
84 Zumindest für den Körner-Film Lützows wilde Jagd hat
Sigrid Nieberle eine zeitgenössische Rezension in Der Bildwart ausfindig gemacht, in der es heißt: „Er [der Film] erzeugt
aber viel eher Erinnerungsbilder, als daß er zu Handlungen
veranlaßt“ (zit. nach Nieberle 91).
85 Zur Rhetorik der Widerstandsgruppe Schulze-Boyens/
Harnack und der ‚Inneren Front‘ vgl. Scheel.
86 Zur Stilisierung Körners zum ‚russophilen Volksbefreier‘
in der DDR-Zeit vgl. Szépe 301-302.
87 Im dritten von Heinrich Heines Briefen aus Berlin, der
auf den 7. Juni 1822 datiert ist, heißt es: „so steigt das Hochgefühl mancher Berlinerin, wenn sie ein Körnersches Lied
hört; sie legt die Hand graziöse auf den Busen, quietscht einen bodenlosen Wonneseufzer […] und spricht: ‚Ich bin eine
deutsche Jungfrau.‘“ (Heine II, 55)
Literatur
1813 bis 1815. Grossdeutschlands Freiheitskampf. Katalog
zur Ausstellung in der National-Galerie Berlin 1940. Berlin:
Preussische Druckerei, 1940. [Zitiert als: Katalog]
A. B. „Körner’s Leier und Schwert. Nach ungedruckten Privatmittheilungen zweier Zeitgenossen Körner’s“. Die Gartenlaube 12 (1863): 116-120. [Zitiert als: Körner’s Leier]
Ackermann. „Noch eine Erinnerung an Wöbbelin“. Die Gartenlaube 12 (1863): 489-491.
Anonym. „Theodor Körner’s Tod und Todesstätte“. Die Gartenlaube 10 (1861): 789-790. [Zitiert als: Körner’s Todesstätte]
Anonym. „Die Pflegerin Theodor Körner’s“. Die Gartenlaube
12 (1863): 176. [Zitiert als: Körner’s Pflegerin]
Anonym. „Ein Volksschwur.“ Die Gartenlaube 12 (1863):
180-184. [Zitiert als: Volksschwur]
Assel, Jutta, und Georg Jäger. „Körner-Motive auf Postkarten. Eine Dokumentation. Körner und die Lützower Jäger.“
Goethezeit-Portal, Stand: Januar 2014. Zugriff: 03.08.2014
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Assel, Jutta, und Georg Jäger. „Körner-Motive auf Postkarten. Eine Dokumentation. Bildnisse, Erinnerungsorte und
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helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
Abbildungen
85
Abb. 1: Herzog, Rudolf. Horridoh Lützow!
Der Roman eines Freischärlers (1932)
Abb. 2: [Richard Knötel:] Theodor Körner.
Stollwerck’s Sammel-Album 10 (1908/09)
helden. heroes. héros.
Nikolas Immer, Maria Schultz
86
Abb. 3: Postkarte. Recto: Bild: „Vater Ich Rufe Dich.
O. Schindler 18. Sept. 1914.“
Abb. 4: Postkarte. Recto: „Körner’s Abschied vom Leben |
Die Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben.“
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
87
Abb. 5: Postkarte.
Recto: „Chemnitz, Körnerdenkmal“.
Abb. 6: Postkarte. Recto: „An der Bahre Körners.“
Verso: „Gruß aus… Theodor Körner. Ein Heldenleben.“
helden. heroes. héros.
Nikolas Immer, Maria Schultz
88
Abb. 7: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844:
Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, Titelblatt.
Abb. 8: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Zweiter Akt, 00:24:02.
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
89
Abb. 9: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Zweiter Akt, 00:28:38.
Abb. 10: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Vierter Akt, 01:02:06.
helden. heroes. héros.
Nikolas Immer, Maria Schultz
90
Abb. 11: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Vierter Akt, 01:02:26.
Abb. 12: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Dritter Akt, 00:53:00.
helden. heroes. héros.
Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert
91
Abb. 13: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932),
Vierter Akt, 01:11:23.
Abb. 14: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844:
Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, [7], Bildausschnitt.
helden. heroes. héros.
Nikolas Immer, Maria Schultz
92
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Herzog, Rudolf. Horridoh Lützow! Der Roman eines
Freischärlers. Berlin: Vier Falken, 1932, Cover.
Abb. 2: [Richard Knötel:] Theodor Körner. Stollwerck’s
Sammel-Album 10 (1908/09), Serie „Freiheitshelden“, Bild
446/3. – Jussen 27908.
Abb. 3: Postkarte. Recto: Bild: „Vater Ich Rufe Dich. O.
Schindler 18. Sept. 1914.“ Bildunterschrift: „Vater, ich preise
Dich! | ’s ist ja kein Kampf für die Güter der Erde; | Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte; | Drum, fallend und
siegend, Preis’ ich dich, | Gott, dir ergeb’ ich mich! Theodor
Körner.“ Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle:
http://www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/displayimage.
php?pid=1387 &fullsize=1
Abb. 4: Postkarte. Recto: „Körner’s Abschied vom Leben
| Die Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben.“ Nicht
gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://
www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/displayimage.
php?pid=1380&fullsize=1
Abb. 5: Postkarte. Recto: „Chemnitz, Körnerdenkmal“. Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://www.
historisches-chemnitz.de/altchemnitz/denkmaeler/koernerdenkmal/koernerdenkmal3.jpg
Abb. 6: Postkarte. Recto: „An der Bahre Körners.“ Verso:
„Gruß aus… Theodor Körner. Ein Heldenleben. Deutsche
Mutoscop- und Biograph Gesellschaft. Verlag: E. Baumann,
Berlin SW. 61. Kaiser Friedrich-Platz 2.“ Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/bildende_kunst/ koerner/
luetzower_jaeger/Koerner_Bahre_Baumann__786x500_.
jpg
Abb. 7: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor
Körner. Ein deutsches Heldenleben, Titelblatt.
Abb. 8: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Zweiter Akt, 00:24:02.
Abb. 9: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Zweiter Akt, 00:28:38.
Abb. 10: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Vierter Akt, 01:02:06.
Abb. 11: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Vierter Akt, 01:02:26.
Abb. 12: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Dritter Akt, 00:53:00.
Abb. 13: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied
(1932), Vierter Akt, 01:11:23.
Abb. 14: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor
Körner. Ein deutsches Heldenleben, [7], Bildausschnitt.
helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/07
93
Robert Lukenda
Viva Garibaldi! – Heldentum und mediale
Inszenierung am Übergang zur politischen
Moderne
1. Einführung
Der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Ga­
ribaldi kann ohne Zweifel zum Kanon jener gro­
ßen Männer des 19. Jahrhunderts gerechnet
werden, die den Übergang in das Zeitalter der
politischen Moderne geprägt haben.
Der ‚Held zweier Welten‘, wie er aufgrund
seines kämpferischen Engagements gegen
absolutistische Herrschaftssysteme in Euro­
pa und Südamerika getauft wurde, erwarb sich
schon zu Lebzeiten den Status einer internatio­
nalen Berühmtheit. Wer war dieser Mann, der
als „first celebrity of the modern political age“
(Riall a) gefeiert wurde und über den die franzö­
sische Schriftstellerin George Sand im Mai 1860
schrieb:
Dieser Mann, der fast allein steht, ist ein
Mann des Wunders; er lässt Throne erzit­
tern, er ist die Oriflamme, das feuerfarbe­
ne, sternenübersäte Banner einer neuen
Ära. Ganz Europa richtet die Augen auf
ihn und erwacht jeden Morgen mit der
Frage, wo er ist und was er tags zuvor ge­
tan hat. (Sand 363-364)
Noch heute gilt der 1807 in Nizza geborene Ga­
ribaldi als militärischer Wegbereiter der italieni­
schen Einheit und bedeutendster Repräsentant
eines politischen Heldentums demokratischer
Prägung im 19. Jahrhundert. Für einen Mann von
bescheidener Herkunft war dies eine beachtliche
Karriere, zumal er Zeit seines Lebens kaum über
nennenswerte politische Macht verfügte (Riall a).
Garibaldi schaffte den Sprung aus der Anonymi­
tät auf die Bühne der großen Geschichte weitge­
hend aus eigener Kraft. Zwar hatte er durchaus
Fürsprecher, Gönner und Bewunderer, dennoch
war er mit seinen radikalen demokratischen An­
sichten, seiner unangepassten Lebensweise so­
wie seinem Hang zu militärischen Alleingängen
selbst in den Reihen der ideologisch bunt gefä­
cherten italienischen Nationalbewegung häufig
helden. heroes. héros.
isoliert. Zudem hatte er in seiner militärischen
Laufbahn mehr Niederlagen und Rückschläge
als Erfolge aufzuweisen.
Garibaldis Ruhm mit seinem politischen Idea­
lismus, seinen herausragenden Fähigkeiten als
militärischer Führer gepaart mit einem rhetori­
schen Talent zur politischen Mobilisierung von
Menschenmassen erklären zu wollen, würde je­
doch eindeutig zu kurz greifen. Im Rahmen einer
‚kulturalistischen‘ Geschichtsforschung, die in
den 1980er Jahren mit Konzepten wie Benedict
Andersons Imagined Communities, Eric Hobs­
bawms und Terence Rangers The Invention of
Tradition oder Pierre Noras lieux de mémoire
Kontur gewann, wurde der Blick zunehmend
für die imaginären und symbolischen Prozesse
geschärft, die das Zeitalter der Nationalstaatsbil­
dungen in und außerhalb Europas prägten. Vor
diesem Hintergrund lässt sich nicht zuletzt auch
die Popularität des italienischen Freiheitskämp­
fers als Ergebnis komplexer Mechanismen der
Traditionsstiftung begreifen, die zur Herausbil­
dung nationaler Freiheitsbewegungen und neu­
er patriotischer Ikonen führten. Der vorliegende
Artikel wird daher den Versuch unternehmen,
diesen Heldenkult in seinen Grundzügen – v. a.
im Kontext zeitgeschichtlicher Faktoren der kol­
lektiven Bewusstseinsbildung – zu rekonstruie­
ren und seine Entwicklung vor dem Hintergrund
geis­
tiger und medialer Prozesse zu beschrei­
ben.1
Aufgrund seiner herausragenden zeit­
geschichtlichen Bedeutung ist das Beispiel
Garibaldi nicht zuletzt dazu geeignet, zen­trale
Wesensmerkmale der Entstehung einer Hel­
denkonzeption zu beleuchten, die sich an der
Schwelle zur politischen Moderne herausgebil­
det hat. In dieser Hinsicht ist die Figur Garibaldi
sowohl ‚Objekt‘ einer zeitgeschichtlich motivier­
ten, politisch-kulturellen Dynamik – ein Produkt
politischer Ideale, kollektiver Sehnsüchte und
romantischer Narrative im Zeitalter der Natio­
nalstaatsbildung. Schriftsteller wie Victor Hugo
feierten ihn als Vorkämpfer für die Freiheit der
Robert Lukenda
94
Völker. Garibaldi inspirierte unzählige Literaten,
die seine Lebensgeschichte zum Abenteuerro­
man umschrieben und auf diesem Wege einen
Mythos schufen, in dem „fact and fiction, [...] no­
velistic fantasy and political truth“ (Riall b 162)
kaum mehr voneinander zu trennen waren. Der
Held Garibaldi ist zugleich jedoch auch aktives
‚Subjekt‘, das sich selbst gestaltet: In der Figur
des Revolutionärs affirmierte sich ein Helden­
tum, das sich als politisches, zugleich jedoch
in hohem Maße als ästhetisches und mediales
Projekt begreift: Von der Kleidung bis hin zum
Einsatz moderner Massenkommunikationsmittel
zog er sämtliche Register, um jenen CharismaEffekt zu erzielen, der darin besteht, „to interest
a certain number of people in the glitter of his
personality“ (Geertz 13). Er verfügte damit über
jene „puissance communicative“ (Balzac 167),
die der Erzähler in Balzacs Père Goriot den gro­
ßen Akteuren der Geschichte zuschrieb.
Garibaldis kometenhafter Aufstieg zur schil­
lernden Berühmtheit wird in der Summe also
durch eine Reihe zeitgeschichtlicher Faktoren
ermöglicht, die von Lucy Riall in einer Garibaldi
Formula zusammengefasst wurden:
Garibaldi’s fame was a media creation.
It was made possible by the expansion
in print culture and the increase in mass
literacy, and of a fit between the genres
of romantic popular fiction and the spread
of radical ideas. There was little that was
spontaneous about Garibaldi’s appeal or
its meaning, although its popular reception
took everyone by surprise. Rather, it was
the result of a deliberate political strat­egy
planned by the nationalist leader Giusep­
pe Mazzini, and implemented by him and
a group of talented publicists. Using both
the printed word and the image they set
out to promote Garibaldi as a real-life rad­
ical hero, and to identify him with the plot­
lines and themes of Italian romantic litera­
ture. (Riall a)2
Neben geistigen, kulturellen und narrativen As­
pekten bilden insbesondere massenmediale
Entwicklungen im 19. Jahrhundert eine Grund­
voraussetzung für die Popularität Garibaldis. In
Ermangelung politischer Gestaltungsmöglichkei­
ten nutzte er gezielt die neuen Errungenschaf­
ten des technologischen Fortschritts sowie auch
die zunehmende Bedeutung visueller Medien,
um sich und seine politischen Ziele ins rechte
Licht zu rücken: In der Zeit nach 1848 war der
‚Held zweier Welten‘ eine der meistporträtierten
Persönlichkeiten. Sein Konterfei zirkulierte in un­
zähligen Stichen, Lithografien und Fotografien.
Früh erkannte Garibaldi die Bedeutung der mo­
dernen Kriegsberichterstattung. Auf seinen mili­
tärischen Feldzügen ließ er sich daher bewusst
von Journalisten, Schriftstellern und Fotografen
begleiten. Diese sorgten dafür, dass seine Taten
ihren Weg von den Schlachtfeldern in die breite
Öffentlichkeit fanden. Auch trat er selbst immer
wieder als Akteur in Erscheinung, wenn es da­
rum ging, sein öffentliches Bild zu beeinflussen
und sein politisches Erbe zu verteidigen – unter
anderem mit einer Autobiographie und zwei Ro­
manen, die sich in ein kaum zu überblickendes
Feld biographischer Darstellungen einreihen, in
der Garibaldi zur mythisch-romantischen Ikone
der Zeitgeschichte verklärt wurde.
2. Zeitgeschichtliche Voraussetzungen
Als Zeitalter der politischen und kulturellen Na­
tionalstaatsbildung war das 19. Jahrhundert
europaweit eine Epoche des Personenkultes.
Insbesondere das postrevolutionäre Frankreich,
das in Sachen Erinnerungspolitik für aufstreben­
de Nationen wie Italien zum Vorbild avancierte,
prägte z. B. mit Ruhmeshallen wie dem Pariser
‚Panthéon‘ einen patriotischen Vergangenheits­
kult, dessen Kern das Gedenken an die ‚grands
hommes‘ des Vaterlandes bildete.3
Im Zeitalter des aufkeimenden nationalen Be­
wusstseins versuchten italienische Schriftsteller
wie Ugo Foscolo, die den Idealen der französi­
schen Revolution nahestanden, die Italiener für
ihre Historie zu sensibilisieren. Die Erinnerung
an die Helden der Vergangenheit wie Dante,
Machiavelli oder Giordano Bruno sollte der Be­
völkerung Handlungsvorbilder liefern, um die
einstige moralische und kulturelle Größe der Na­
tion zurückzuerlangen und die historische politi­
sche Zersplitterung des Heimatlandes zu über­
winden. Mit einer Vielzahl an Denkmälern und
öffentlichen Gedenkfeiern wurde der neue Kult
der ‚großen Männer‘ im entstehenden Gedächt­
nis der aufstrebenden Nation verankert. Orte
wie das vermeintliche Dante-Grab in Ravenna
oder die als nationale Ruhmeshalle verehrte Kir­
che Santa Croce in Florenz mit den sterblichen
Überresten Michelangelos und Galileis rückten
wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein.
Sie avancierten zu Pilgerstätten und Stationen
eines nationalen Erinnerungsparcours, auf dem
die Italiener im frühen 19. Jahrhundert ihre histo­
rische Größe ‚wiederentdecken‘ konnten.
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
2.1. Moderne Helden: ‚hommes
d’action‘, ‚hommes de guerre‘
Im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert vollzog
sich in Italien eine signifikante Transformation
des nationalen Heldenmodells: Die zunehmend
revolutionäre Stimmung spülte insbesondere im
Vorfeld des Ersten Unabhängigkeitskrieges von
1848/49 eine Reihe historischer Figuren ins öf­
fentliche Bewusstsein, die in der Geschichte
allenfalls Nebenrollen bekleidet hatten. Neue
Helden kamen plötzlich in Mode, die nicht mehr
in erster Linie Kulturikonen – Literaten (Dante),
Wissenschaftler (Galilei) oder Künstler (Michel­
angelo) –, sondern zumeist reine Kämpferty­
pen waren. Ritter und Heerführer wie Alberto
da Guis­sano – Kriegsheld in der Schlacht von
Legnano 1176, bei dem ein Bündnis oberitalieni­
scher Städte gegen Kaiser Friedrich Barbarossa
triumphierte – avancierten zu Vorbildern junger
patriotischer Generationen. Als vermeintliche
historische Vorkämpfer für Freiheit und Selbst­
bestimmung des italienischen Volkes fanden
sie Aufnahme in einen neuen Kanon von Nati­
onalhelden, der in den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts entstand und in der patrioti­
schen Literatur verbreitet wurde.4
Die Popularisierung des Modells der ‚großen
Männer‘ ließ sich zugleich in ein nationales Ge­
schichtsverständnis einbetten, das insbesonde­
re in Frankreich großen Einfluss entfaltete und
die Rolle des Individuums in der Geschichte
hinterfragte. Mit ihrem Ansatz, die prägenden
historischen Persönlichkeiten aus ihrem sozia­
len Kontext heraus verstehen zu wollen, sie als
Produkte von Kultur und Gesellschaft sichtbar zu
machen, vollzogen Historiker und Philosophen
wie Thierry, Michelet oder Comte eine Abkehr
vom bekannten Carlyle’schen Diktum, wonach
die historische Entwicklung auf dem Wirken gro­
ßer Männer beruht.5
Mit der „théorie de l’homme représentatif“
(Gérard 37) stellten sie die bekannten histo­
rischen Akteure in einen unmittelbaren, orga­
nisch-dynamischen Zusammenhang mit dem
Volk oder der Nation als den eigentlichen trei­
benden Kräften der Geschichte. Nicht zuletzt im
Geschichtsbild Michelets war damit letztendlich
eine begriffliche Präferenz für den Terminus des
Helden verbunden, die auf einer klaren Unter­
scheidung von ‚grand homme‘ und ‚héros‘ be­
ruhte:
[...] préférant le mot de héros pour sa conno­
tation épique, à celui de grand homme qui
désigne, pour lui, une autorité politique
ou institutionnelle extérieure à la vie du
peuple. Le héros […] n’est rien sans l’im­
pulsion populaire qui le porte. (Gérard 43)
helden. heroes. héros.
Der Held zeichnet sich hier v. a. dadurch aus,
dass er im Gegensatz zum ‚grand homme‘, der
vielfach allein und gegen die eigene Epoch­
e
handelt,6 an ihrer Spitze agiert und dabei in
exemplarischer Weise die kollektiven Sehnsüch­
te seiner Zeit verkörpert, wie Sand mit Blick auf
Helden wie Garibaldi betont:
Sie vereinigen die Seele einer Nation in
sich, und wenn man wohl darauf achten
will, dann wird man in diesem hier eine
Art Personifikation des wiedererstehen­
den Italiens mit seiner schmerzvollen Ver­
gangenheit, seinen bitteren Dramen [...]
sehen [...]. (Sand 363)
2.2. ‚Melodramatisierung‘ der
Öffentlichkeit: Medien des
kollektiven Bewusstseins
Da die Behörden zahlreicher Staaten auf der
italienischen Halbinsel zumeist versuchten, den
nationalen Diskurs im Zeitalter der Restauration
durch Zensur und Verfolgung zu unterdrücken,
verlagerte sich der patriotische Nationalkult weit­
gehend auf das Feld der Literatur und hier ins­
besondere auf die ‚neuen‘ Gattungen wie den
historischen Roman und das Melodrama, die in
Ermangelung anderer Medien und Institutionen
der kollektiven Bewusstseinsbildung zu Leitins­
tanzen einer politischen Identitätskonstruktion
avancierten. Mehr noch als andernorts stand die
nationale Geschichtsdebatte in Italien, wo die
Romantik mit einer zeitlichen Verzögerung ein­
setzte, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
weitgehend im Zeichen des historischen Ro­
mans. Autoren wie Massimo D’Azeglio setzten
diese Medien der massentauglichen Geschichts­
vermittlung gezielt dazu ein, ihrem Lesepublikum
die Ereignisse und Helden einer als national ge­
dachten Vergangenheit zu präsentieren. In die­
ser Zeit entstanden so eine Vielzahl historischer
Romane, Melodramen und auch Opern (z. B.
von Giuseppe Verdi), in denen angebliche Natio­
nalgeschichte oft zu trivialen, emotional jedoch
höchst eingängigen Plots verschmolzen wurde,
in denen italienische Helden gegen Fremdherr­
schaft aufbegehrten, dramatische Abenteuer
durchzustehen hatten und dabei die Ehre der
gesamten Nation verteidigten.7
Im Medium des historischen Romans als
massentauglicher „Form melodramatischer
Historiographie“ (Ihring 228) tritt der von Hay­
den White in Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe (1973)
festgestellte Wirkungszusammenhang von his­
torischer und narrativer Darstellung besonders
offenkundig zu Tage. Vergangenheit wird im
95
Robert Lukenda
96
Geschichtsroman nicht nur vermittelt, sondern
gleichsam als melodramatisches Erlebnis er­
zählt. Mit der Verdichtung des nationalen Frei­
heitskampfes auf einen Streit zwischen Gut und
Böse, seiner sakralen Überhöhung, die den Hel­
den zur hagiographischen Figur stilisiert, stellten
die in der italienischen Öffentlichkeit des frühen
19. Jahrhunderts omnipräsenten Medien und
Genres wie Melodrama, patriotische Oper oder
auch Historienmalerei zentrale Kategorien der
Realitätswahrnehmung zur Verfügung, die auch
im Garibaldi-Kult wirksam werden sollten. Sie
entfalteten gerade auch deshalb eine erhebliche
Breitenwirkung, weil sie ein gesellschaftliches
Bedürfnis nach emotional erfahrbarer und „ar­
chetypischer“ (Schwaderer 173) Historie befrie­
digten und heroische Gegenwelten zur bürgerli­
chen Realität des 19. Jahrhunderts schufen.8
Mit Blick auf Italien lässt sich von einer er­
heblichen ‚Melodramatisierung‘ der politischen
Kultur und Gesellschaft im fortgeschrittenen
19. Jahrhundert sprechen (Sorba 481-508). Eine
enge Verknüpfung von romantischen Narrativen,
Zeitgeist und revolutionärer Praxis wurde nicht
zuletzt dort offenkundig, wo sich eine Art patrio­
tischer Habitus herausbildete, der literarische
Plots gewissermaßen imitierte. Durch die Medi­
en der kollektiven Bewusstseinsbildung wurden
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht
nur Motivationen, sondern konkrete Handlungs­
motive tradiert: Zu jener Zeit entwickelte sich
beispielsweise die Praxis des Duells zwischen
jungen italienischen Patrioten und den Reprä­
sentanten der Okkupationsmächte in vielen
Teilen Italiens zu einer Hauptform des national
inspirierten, heroischen Widerstandes, der litera­
rische Vorbilder nachahmte (Banti 139-148).
Das Heroische dieser Akteure wurde dabei
häufig mit Hilfe eines Kunstgriffes, der sich im
Sinne Hobsbawms als Prozess der Traditions­
erfindung beschreiben lässt, in ein mythisches
Licht gerückt. Durch die Transposition religiöser
Sinnelemente in den nationalen Diskurs wur­
den die leidgeprüften Helden der Vergangenheit
und Gegenwart in der patriotischen Rhetorik zu
Märtyrern stilisiert. Die Verknüpfung von Ver­
gangenheit und christlicher Symbolik diente im
patriotischen Diskurs vor allem dazu, nationale
und religiöse Identifikation miteinander zu ver­
schmelzen und den neuen, quasi-sakralen Va­
terlandskult glaubhaft in Geschichte und Tradi­
tion zu verankern.9
In der Erinnerung kommt den für das Vater­
land gefallenen Helden dabei oft eine Stellver­
treterfunktion zu. Ob nun Jeanne d’Arc oder
Giordano Bruno – die Märtyrer der National­
geschichte sind oftmals zutiefst einsame oder
tragische Figuren, deren Tapferkeit oft auch auf
das abwesende kollektive Heldentum verweist.
Insofern präsentieren sie „[j]enseits von indivi­
dualpsychologischer Ambivalenz und defizitärer
Wirklichkeit [...] Archetypen heldenhafter Le­
bens- und Todesauffassung.“ (Christadler 201)10
Aus ihrer Perspektive lässt sich eine durch
Fremdherrschaft bestimmte Vergangenheit, in
der es kaum Beispiele für erfolgreiche Revolten
und Unabhängigkeitsbestrebungen gab, den­
noch als Heldengeschichte lesbar machen. Die
Märtyrer stehen für Leid und historische Konti­
nuität der Nation zugleich, da sie durch ihr Bei­
spiel signalisieren, dass nationale Werte selbst
in vermeintlich ‚unheroischen‘ Zeiten nie ganz
erloschen waren.
3. (Massen-)Mediale Kontexte
In seiner Studie zur Entstehung des Nationalis­
mus (Imagined communities: reflections on the
origin and spread of nationalism, 1983) hat Be­
nedict Anderson auf die Bedeutung des Buch­
drucks und des Kapitalismus für den historischen
Prozess der ‚Nationserfindung‘ verwiesen – Fak­
toren, die es Gesellschaften ermöglichten, sich
über bestehende geographische und soziale
Grenzen hinaus als ‚vorgestellte Gemeinschaf­
ten‘ zu begreifen und ein Bewusstsein kollektiver
Zugehörigkeit auszubilden.
Während die Romantik und die Medien der
Vergangenheitsbildung wesentliche kognitive,
narrative und kulturelle Voraussetzungen für den
Aufstieg der Nation, ihrer Symbole und Heldenfi­
guren schufen, eröffneten der wirtschaftliche, so­
ziale sowie auch der technologische Fortschritt
und die damit einhergehenden neuen Entwick­
lungen im Medienwesen der Heldeninszenie­
rung im anbrechenden Zeitalter der politischen
Moderne bis dato ungekannte Möglichkeiten.
Die zunehmende Technisierung des Druck­
wesens machte Literatur für breite Bevölkerungs­
schichten erschwinglich. Der Ausbau des Schul­
wesens trug zu einer signifikanten Erhöhung
der Alphabetisierung in Europa bei und führte
auch in Italien zu einer beachtlichen Ausweitung
des Lesepublikums. Prozesse wie Verstädte­
rung sowie eine maßgebliche Verbesserung der
Infra­struktur vereinfachten Vertrieb und Zirkula­
tion von Presseerzeugnissen. Neben Buch und
Zeitschrift etablierten sich moderne Formate wie
Illustrierte, Taschenbuch sowie neue Gattungen
wie der Feuilleton- oder Fortsetzungsroman,
die sich gezielt an ein Massenpublikum wand­
ten. Die Erfindung des Telegraphs erhöhte die
Aktualität von Informationen und ermöglichte es
Journalisten, zeitnah von den großen Ereignis­
sen und bedeutenden Schauplätzen rund um
den Globus zu berichten. Militärische Konflikte
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
wie der Krimkrieg avancierten zu regelrechten
medialen Events und Propagandaschlachten,
an denen eine breite internationale Öffentlichkeit
unmittelbar und auf vielfältige Weise – durch Te­
legraphie, Zeitung, offizielle Pressemitteilungen
etc. – partizipieren konnte. Ihre Protagonisten
wie Garibaldi wurden auf diese Weise zu Per­
sönlichkeiten der Zeitgeschichte, die man sowohl
in Rom, London als auch in New York kannte.11
Durch die Lithografie und insbesondere die Er­
findung der Fotografie drangen Ereignisse und
Helden zunehmend über bildliche Medien in das
kollektive Bewusstsein [s. auch Kap. 5]. Porträts
berühmter Persönlichkeiten wie Napoleon oder
Fotografien von zeitgenössischen Schlachten
wie jener von Solferino im Jahre 1859 erreichten
dabei auch jene sozialen Milieus, in denen der
Analphabetismus nach wie vor weit verbreitet
war. Die gesellschaftlichen Eliten, insbesondere
Napoleon und seine Nachfolger, verwendeten
den Journalismus und die modernen Massen­
medien dabei immer öfter auch als Propagandaund Herrschaftsinstrument.
Die zunehmende mediale Durchdringung der
Gesellschaft eröffnete jedoch nicht nur den herr­
schenden Klassen ungeahnte Möglichkeiten der
Selbstinszenierung. Sie schuf die Voraussetzun­
gen für den Aufstieg neuer Persönlichkeiten, die,
wie Garibaldi, kaum über politischen Rückhalt
und Machtmittel verfügten.
4. Garibaldi zwischen Wirklichkeit
und Fiktion: Strategien der
Mythisierung und Inszenierung
In Italien versuchten die intellektuellen Köpfe
der italienischen Nationalstaatsbewegung, die
im frühen 19. Jahrhundert zwar noch kaum über
politischen Einfluss, wohl jedoch über Drucker­
pressen verfügte, durch die Verbreitung von
Büchern, Zeitungen und Flugblättern aus dem
Untergrund heraus die restaurative Ordnung zu
destabilisieren und die Massen für ihre liberalen
Gesellschaftsziele zu gewinnen.
Nach Überzeugung der patriotischen Vor­
denker bedurfte es in dieser Hinsicht jedoch
weit mehr als medialer Propaganda, literarischer
Gedächtnisarbeit und agitatorischer Rhetorik.
Damit die patriotische Botschaft ihren Weg in
die Breite der Gesellschaft fand, musste sie mit
eindringlichen Symbolen und Ikonen verknüpft
werden, die geeignet waren, die nationale Sa­
che zu repräsentieren, ihr ein Gesicht zu geben,
zumal gerade im kulturell heterogenen Italien
zentrale kollektive Identitätsbausteine wie eine
gemeinsame (Hoch-)Sprache oder ein geteil­
tes Geschichtsbild nur einer kleinen Minderheit
helden. heroes. héros.
vertraut waren. Gesucht wurde eine charismati­
sche Identifikationsfigur für die breite Masse, ein
Held aus ihrer Mitte, der die Bevölkerung mobili­
sieren konnte.
Der Mann, der diese Kriterien erfüllte, war
Giuseppe Garibaldi, der 1848 nach langjährigem
Exil in Südamerika wieder die öffentliche Bühne
in Italien betrat. Von Mailand bis Palermo wur­
de die Halbinsel von Aufständen erschüttert, in
denen sich große Teile der Bevölkerung gegen
die restaurativen Monarchien auf italienischem
Boden erhoben. Garibaldi selbst war bei seiner
Rückkehr längst kein Unbekannter mehr. Aus
seiner Zeit in Südamerika eilte ihm ein gewisser
Ruf als tapferer Freiheitskämpfer voraus und die
führenden Köpfe der demokratischen National­
bewegung trugen ihres dazu bei, ihn zum neu­
en Hoffnungsträger der ‚Wiedergeburt‘ Italiens
zu stilisieren, indem sie schon im Vorfeld der
Revolution eine regelrechte internationale Me­
dienkampagne entfachten. Diese Kampagne,
die in der Betonung von Garibaldis militärischen
Fähigkeiten, seiner Tugendhaftigkeit und seines
außergewöhnlichen Mutes sowie auch seiner
charismatischen, virilen Ausstrahlung seman­
tisch ganz bewusst den Anschluss an die in der
Öffentlichkeit kursierenden Narrative und Hel­
denmuster der patriotisch-fiktionalen Literatur
suchte, hatte einen maßgeblichen Anteil daran,
dass Garibaldi in den Augen seiner Mitmen­
schen schon vor seiner Rückkehr nach Italien
eine mythisch-heroische Gestalt war und zur
Projektionsfläche für die Hoffnungen der Mas­
sen auf einen politischen Wandel avancierte.
Dass sich Garibaldi sofort in ein aussichtsloses
militärisches Unterfangen stürzte – die Vertei­
digung der revolutionären Römischen Republik
vor einer Übermacht französischer Truppen, die
den aus Rom geflohenen Papst wieder einset­
zen wollten – schien seinen Ruf als mutiger,
selbstloser Kämpfer zu bestätigen, der nach
dem Muster literarischer Helden der Vergangen­
heit handelt. Die Ereignisse um die Verteidigung
der Römischen Republik von 1849 konnten und
sollten dabei durchaus vor dem Hintergrund his­
torischer Romanplots interpretiert werden: So
wird in einem patriotischen Bestseller, Francesco
Domenico Guerrazzis Roman L’assedio di Firenze (1836), der die Belagerung von Florenz durch
die Truppen Karls V. im Jahre 1530 zum Thema
hat, die Funktion des obersten Verteidigers der
florentinischen Republik vom tapferen ‚condot­
tiere‘ und glühenden Patrioten Francesco Fer­
ruccio bekleidet. In den Augen seiner Zeitgenos­
sen erschien Garibaldi daher entsprechend oft
als Inkarnation des florentinischen Heerführers
Ferruccio (so z. B. in Abba 71).
97
Robert Lukenda
98
In der Zeit nach 1848/49, als die Erfahrungen des
revolutionären Doppeljahres in unzähligen Chro­
niken und Tagebüchern zu einer Art nationalem
Erweckungsmoment verarbeitet wurden – zum
ersten Mal hatten große Teile der italienischen
Bevölkerung wenn auch letztlich erfolglos gegen
Fremdherrschaft und restaurative Herrschafts­
politik rebelliert –, entzündete sich auch um die
Person Garibaldi ein regelrechtes mediales Feu­
erwerk, das den Verteidiger der Römischen Re­
publik zum lebenden Mythos transformierte. Mit
Beginn der 1850er Jahre wurde Garibaldis Vita
zu einem Narrativ, in dem die Grenzen zwischen
Realität und Fiktion zunehmend verschwammen.
Versteht man den Mythos einer gängigen
Definition Roland Barthes zufolge als Aussage
und Form (s. Barthes 193), deren innere Struk­
turmerkmale [Quelle, Autorschaft etc.] in den
Augen der Betrachter gleichsam verborgen, ja
geradezu aufgehoben scheinen, so kommt es
auch im Falle der medialen Darstellung Gari­
baldis zu einer organischen Verschmelzung von
Faktischem und Fiktionalem – eine Entwicklung,
die der italienische Freiheitskämpfer maßgeblich
selbst befeuerte und entschieden beeinflusste.
In die frühen 1850er fielen die Anfänge einer
Literatur über Garibaldi, die das wachsende Inte­
resse eines nationalen wie auch internationalen
Publikums an seiner Person bediente und ein
Hauptgrund für seinen enormen Popularitäts­
zuwachs nach der 1848er-Revolution gewesen
sein dürfte.
Mit dem Erscheinen der ersten, von Garibal­
di höchstpersönlich autorisierten Biographie aus
der Feder des italienischen Journalisten Giovan­
ni Battista Cuneo im Jahre 1850 wurde jenes
narrative Prinzip aus der Taufe gehoben, das
sich im weiteren Verlauf gewissermaßen ver­
selbständigte und Garibaldis Leben nach dem
Modell einer hagiographischen Erzählung als
Genese einer historisch-mythischen Ausnahme­
figur beschrieb. Im Bestreben, Garibaldis Vita als
idealisierte, exemplarische Heldengeschichte
sichtbar zu machen, reicherte Cuneo historisch
verbürgte Fakten mit fiktiven erzählerischen Ele­
menten eines historischen Abenteuerromans an
(vgl. Riall b 148-149 u. 162-163). Die Fiktiona­
lisierung von Garibaldis Leben nach dem Mus­
ter populärer Abenteuergeschichten, die dem
romantischen Zeitgeist entsprachen, folgte im
Grundsatz einem dramaturgischen Schema, das
Garibaldis Leben als verdichtete Abfolge von
Heldentaten, Abenteuern und Liebesgeschich­
ten erschienen ließ. Ein von Hippolyte Castille
verfasster Lebensbericht zeichnete Garibaldi vor
diesem Hintergrund als
a man of extraordinary bravery ... with a
handsome countenance, well-built, full of
strength and agility, imposing, proud and
theatrical ... of a few words and many ac­
tions, generous, tender ... [a] blond head,
calm, even languid, eyes ... His life is but a
series of adventures, travels, love-affairs,
and of great sword-fights, just like the nov­
els of Ariosto. (Garibaldi. Paris 1859, zit.
n. Riall b 195)
Castille erwähnt dabei jene Attribute und Ei­
genschaften des romantischen Helden, dessen
innere Werte [Tugendhaftigkeit, außergewöhnli­
che Tapferkeit, edles Gemüt] und kämpferische
Qualitäten sich in Verbindung mit seiner physi­
schen Attraktivität – einer virilen, jedoch zugleich
sanften Ausstrahlung – zu einem formelhaften
Muster verbanden, das schon im frühen 19. Jahr­
hundert zum gängigen Repertoire der fiktionalen
Historienliteratur zählte. In einem historischen
Roman D’Azeglios von 1833 wird Fieramosca,
ein im Zeitalter des nationalen Aufbruchs gefei­
erter ‚condottiere‘ aus dem frühen 16. Jahrhun­
dert, auf recht ähnliche Weise porträtiert:
Alle jedoch im Einklang lobten sein gu­
tes Gemüth, seine Tapferkeit, sein höf­
liches Benehmen [...] ‚Euch gefällt sein
Antlitz und wem würde es nicht gefallen?
Welchen Werth hat die Schönheit eines
Mannes? Aber wenn ihr das Gemüth des
Jünglings kennen würdet, dessen Edel­
sinn und großartiges Herz! Was er die
Waffen in der Hand wagte mit tollkühnem
Muthe [...]‘ (D’Azeglio 32)
Im Zuge jener Umschreibungsversuche, die sei­
ne Lebensgeschichte zum Mythos transformier­
ten, entwickelte sich Garibaldi Ende der 1850er
zum Gegenstand einer internationalen Unterhal­
tungsindustrie. Sein Leben wurde nicht nur zu
biographischen Heldensagen und Abenteuerro­
manen mit Bestsellerstatus verarbeitet, sondern
inspirierte Theaterstücke sowie auch unzählige
patriotische Gesänge und Volksdichtungen, die
den Mythos Garibaldi selbst in die entlegensten
Gebiete Italiens und Europas trugen (s. Riall b
151-154).
Der technologische Fortschritt und die damit
einhergehende mediale ‚Revolution‘, die eine
massenhafte Verbreitung von Porträts berühm­
ter Persönlichkeiten in Zeitungen, Illustrierten
oder auf Postkarten ermöglichten, hatten im fort­
geschrittenen 19. Jahrhundert großen Anteil an
der Entstehung einer bildlich dominierten Hel­
denkultur. Institutionen wie Museen, in denen
Geschichte ‚besichtigt‘ werden konnte, schufen
die Grundlagen für eine neuartige, visuell ge­
prägte Erinnerungskultur, die das Gedenken an
die ‚großen Männer‘ prägen sollte.
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
In seinem Buch Imageries hat Philippe Hamon
dargelegt, wie nicht nur der öffentliche Raum
durch bildliche Medien wie Fotografie und Rekla­
me, sondern auch die Literatur im 19. Jahrhun­
dert von einer visuell geprägten Kultur er­obert
wurde. In dieser Hinsicht zeugt nicht zuletzt die
biographische Literatur über Garibaldi vom Be­
mühen, „de transformer le corps en enseigne“
(Hamon 15), den Helden in seiner Körperlichkeit
strahlen zu lassen und sein Äußeres zur revolu­
tionären Marke zu stilisieren. Auf den Schlacht­
feldern der nationalen Revolution brillierte mit
den Worten Sands „ein Ritter der alten Zeit“,
der durch „edles Aussehen“ und die „hinreißen­
de [...] Kraft seines patriotischen Glaubens“ Be­
wunderung hervorrief – ein „Führer“ (Sand 361),
der tollkühn und gleichzeitig bescheiden wirkte,
dessen körperliche Markenzeichen [braunge­
brannter, durchtrainierter Körper, langes Haar,
Vollbart] in Kombination mit einem unkonventio­
nellen, schillernden Outfit [rotes Hemd, Poncho,
Filzhut...] ihm die Aufmerksamkeit und Bewun­
derung seiner Zeitgenossen sicherten:
Il [Garibaldi] était vraiment magnifique [...]
avec son chapeau de feutre écorné par
une balle, sa chemise rouge, son pantalon
gris traditionnel et son foulard noué autour
de son cou et faisant capuchon en arrière.
(Dumas 231)
Mit Garibaldi affirmierte sich eine unangepass­
te, freigeistige Lebensform, ein ‚Antiheldentum‘,
das nicht nur gängigen Biographien und Le­
bensmustern der großen Männer zuwiderlief,
sondern allgemein mit Stilnormen seiner Zeit
brach. Als „handsome human face of revolution“
(Riall a) eignete sich Garibaldi nicht nur als po­
puläres charismatisches Markenzeichen einer
aufstrebenden Nationalstaatsbewegung, die für
eine bessere Zukunft kämpfte, sondern zugleich
als attraktiver Gegenentwurf einer traditionellen
Machtelite – eine „poetische, mit dem Reize des
Unbekannten umkleidete Figur“, die, wie Sand
notierte, „in Frankreich alle Herzen und Phan­
tasien auf das Tiefste ein[nimmt].“ (Sand 361).
Zeitgenossen wie der Patriot Emilio Dandolo be­
schrieben Garibaldi als antibürgerlichen Helden,
dessen unkonventionelles Äußeres und extra­
vagantes Auftreten dem gängigen Habitus und
den Regeln des militärischen Apparates krass
zuwiderliefen, der jedoch gerade deshalb die
romantischen Phantasien seiner Zeitgenossen
zu beflügeln schien:
Garibaldi and his staff were dressed in
scarlet blouses, with hats of every possible
form, without distinctions of any kind, or
any pretension to military ornament. They
rode on American saddles, and seemed to
helden. heroes. héros.
pride themselves on their contempt for all
the observances most strictly enjoined on
regular troops. (Dandolo 204)
Sein persönliches Kleidungsmarkenzeichen,
das rote Hemd, wurde in der Folgezeit zum
Symbol einer patriotischen Generation zumeist
junger republikanischer Freiwilliger, die als
‚camicie rosse‘ [‚Rothemden‘] bzw. ‚garibaldini‘
an der Seite ihres Helden für den italienischen
Nationalstaat kämpften.
Aus seiner Zeit als Guerilla-Kämpfer in Süd­
amerika, um die sich schon vor seiner Rückkehr
nach Italien zahlreiche Abenteuergeschichten
und Mythen rankten, umgab Garibaldi eine Aura
des Geheimnisvollen, ein verführerisches Maß
an Exotik, das in der Literatur phantasiereich
ausgeschmückt wurde, zumal er entgegen pat­
riotisch-konservativen Vorstellungen in Südame­
rika eine brasilianisch-stämmige Frau namens
Anita geheiratet hatte, die ihn auf seinen militäri­
schen Abenteuern begleitete. In dieser Hinsicht
erwies sich Garibaldis Vita wie auch sein per­
sönlicher Lebens- und Kleidungsstil als geeig­
net, sowohl die patriotischen Hoffnungen seiner
Zeit als auch romantisch-bürgerliche Evasions­
vorstellungen, die nach Exotik und Überwindung
der stark reglementierten, engen Lebenswelt
strebten, in sich zu vereinen.
Die kursierenden literarischen Narrative und
Topoi, die Garibaldis transgressives Potential be­
tonen, wurden in den visuellen Medien zumeist
aufgenommen: So hat man den Helden häufig in
der auch literarisch gefeierten Pose des romanti­
schen, verwegenen Abenteurers mit wehendem
Haar, Vollbart und weitem, rotem Hemd, oft auch
mit Umhang dargestellt. Insbesondere seine lan­
ge Mähne und sein stattlicher Bart rückten Ga­
ribaldi im Verbund mit Charaktereigenschaften
wie Tapferkeit und Stärke ikonographisch in die
Nähe eines Löwen.12
Zahlreiche Stiche und Zeichnungen lassen
dabei eine symbolisch-mythische Überhöhung
erkennen. So zeigte eine zur heimlichen Ver­
breitung bestimmte, religiös verklärte Darstel­
lung aus den 1850er Jahren Garibaldi ebenfalls
mit langen Haaren und Vollbart in der markanten
Pose des Christus Pantokrator, der die rechte
Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger
zum Segensgruß erhoben hat (vgl. Riall b 150).
Als Produkt einer patriotischen Inszenierung, die
den Gedanken der nationalen ‚Wiederauferste­
hung‘ mit der heilsgeschichtlichen Lehre ver­
knüpft, wird Garibaldi hier im Stile eines Messias
porträtiert, der, so die dahinter stehende Bot­
schaft, von der Vorsehung dazu auserkoren wur­
de, die italienische Nation von ihrem historischen
Leid zu erlösen.13 Dieses Kanonisierungsmodell
entfaltete in der italienischen Öffentlichkeit eine
99
Robert Lukenda
100
erhebliche Wirkung, da es an literarisch-hagio­
graphische Heldennarrative, insbesondere des
historischen Romans, anknüpfen konnte, in de­
nen sich tapfere, edelmütige Helden, die in ihrer
Tugendhaftigkeit und ihrem Sendungsbewusst­
sein an christliche Heiligengestalten erinnern, für
die nationale Gemeinschaft aufopferten und da­
bei nicht selten den Märtyrertod starben.14 Tex­
te wie Sands Ode auf Garibaldi, die sein Leben
und Wirken im Stile hagiographischer Erzäh­
lungen beschreiben, belegen eine enge rheto­
rische und narrative Verknüpfung bildlicher und
literarisch-textueller Medien, die den Helden der
anbrechenden politischen Moderne als religiös
verklärte Erlöserfigur hervorbringen:
[...] ich war in diesen Tagen nicht erstaunt,
das Portrait Garibaldis bei den frommen
Bergbewohnern des Velay und der Ce­
vennen zu sehen. Dieser berühmte Aben­
teurer, den gewisse furchtsame Geister
sich unlängst noch als einen Banditen vor­
stellten, war da unter den Bildnissen der
Heiligen aufgestellt. Und warum nicht?
Warum sollte er nicht einen Platz unter
den Beschützern des armen Volkes fin­
den, er, der in Bezug auf sein italienisches
Volk der Gründer des neuen Glaubens
ist? Seht doch, ob sein Wort nicht dem der
ersten Christen ähnelt? In seinem Mun­
de liegen nicht politische Thesen, nicht
Theorien des materiellen Interesses. ‚Ich
bringe euch‘, sagt er, ‚Gefahr, Anstren­
gung und Tod. Ich will euch das Heil der
Seele und nicht die Ruhe es Körpers pre­
digen. Erhebt euch also und folgt mir!‘ So
sprach er zu den italienischen Landleuten,
und sie erheben sich und marschieren [...]
(Sand 357)
In seiner Rolle als vaterländischer Messias wirk­
te er umso natürlicher, zumal er für den Traum
eines geeinten Italien immer wieder schwere
Schicksalsschläge hinnehmen musste: Auf der
hektischen Flucht vor österreichischen Truppen
durch Mittelitalien starb seine schwangere Frau
an Entkräftung. Garibaldi selbst floh in ein neues
Exil nach Nordamerika. Seine Lebensgeschichte
bekam damit den Stempel der Leidensgeschich­
te aufgedrückt. Auch in diesem Punkt erschien
Garibaldis Leben seinen Zeitgenossen als
romantisch-tragisches Melodram:
Man weiß, dass er geliebt hat, dass er
eine Heldin zur Gefährtin hatte, und man
weiß, wie und wo er sie verlor. Jedenfalls
ist das, was man wirklich von ihm weiß,
mehr als hinreichend, um es als ein Le­
ben voll bewundernswürdiger Aufopfe­
rung, bitterer Schmerzen und erprobtem
Mute hoch zu schätzen. Das glorreiche
Gedicht seines Lebens hat auch seinen
Angst- und Schmerzgesang zur Vervoll­
ständigung; da liebt man den Helden und
weint mit ihm. (Sand 359)
5. Garibaldis mediales ‚selffashion­ing‘: Selbstvermarktung
und Autobio­graphie
Wie aus den bisherigen Kapiteln bereits hervor­
ging, lässt sich die Popularität Garibaldis als Er­
gebnis eines Diskurses sehen, in dem politische
Visionen und romantischer Zeitgeist, Realität
und Fiktion zu einer patriotischen Heldensaga
verwoben wurden. Er verdankte sein Image als
„picturesque outlaw“ (Riall b 154) dabei nicht
nur den zahlreichen politischen Weggefährten,
Biographen und Journalisten, die ihn zum Hoff­
nungsträger eines neuen Zeitalters stilisierten,
sondern wesentlich der Tatsache eines für die
damalige Zeit innovativen ‚self-fashioning‘, das
große Teile der Massenmedien nutzte und, an­
gefangen beim öffentlichkeitswirksamen Klei­
dungsstil bis zur sorgsamen Preisgabe intimer
Lebensdetails, auf eine gezielte Publicity-Kam­
pagne hinauslief.15
Zentrales Element dieser Strategie ist sicher­
lich seine Autobiographie, ein im 19. Jahrhundert
europaweit beliebtes, wenn nicht gar obligates
Medium der öffentlichen Selbstdarstellung, mit
dem sich Garibaldi auch national betrachtet in
eine Tradition illustrer Italiener des 18. bzw. frü­
hen 19. Jahrhunderts vom Schlage literarischer
Berühmtheiten wie Vittorio Alfieri einreihte. Als
Medium, das weniger der Überlieferung histori­
scher Fakten, sondern in erster Linie der rück­
blickenden Identitätskonstruktion verpflichtet ist,
zeugt der selbstverfasste Lebensbericht vom
Bestreben, der Öffentlichkeit ein spezifisches
Bild der eigenen Person zu vermitteln und sich
damit – im Stile Chateaubriands – ein selbstbe­
stimmtes Denkmal ‚outre-tombe‘ zu setzen.16 Auf
der Grundlage des Rousseau’schen Vorbildes,
der mit seinen Confessions den ersten Bestsel­
ler der modernen Autobiographie-Historie lande­
te, entwickelte sich die moderne Autobiographie
zum Medium der öffentlichen Selbstdarstellung,
in dem oft auch intimste Details aus dem Leben
preisgegeben wurden. Auf diese Weise entstand
eine bis dato ungekannte Nähe zwischen Held
und Rezipient, der durch die Lektüre nicht nur
unmittelbar an den Abenteuern, sondern auch
am Seelenleben des Helden teilhaben konnte
(Riall b 162).
Dieses Interesse an der Intimsphäre, das
von der biographischen Garibaldi-Literatur
mustergültig bedient und befeuert wurde,
war einerseits das Ergebnis einer entstehen­
den massenmedialen Unterhaltungsindustrie
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
romantisch-melodramatischer Prägung, folgte
aber andererseits zugleich auch einem sozi­
al- und kulturgeschichtlichen Impuls, der sich
auf die Beschäftigung mit den Protagonisten
der Geschichte auswirkte. Unter dem Einfluss
Miche­
lets, der französischen Realisten und
Positivisten bildete sich insbesondere in Frank­
reich zunehmend ein Interesse an der psycho­
logischen Porträtierung bedeutender Persön­
lichkeiten aus, das sich nicht mehr nur mit den
Taten, dem ‚génie‘ des ‚grand homme‘ zufrieden
gab. Um den Zeitgeist einer Epoche, ihre Kultur
und Sitten zu erfassen, müsse sich die Historio­
graphie, wie von den Goncourts gefordert, in
besonderer Weise auch der Intimität des Helden
widmen:
Les siècles qui ont précédé notre siècle
ne demandaient à l’historien que le per­
sonnage de l’homme, et le portrait de
son génie. L’homme d’État, l’homme de
guerre, le poëte [sic!], le peintre […]
étaient montrés seulement en leur rôle,
et comme en leur jour public, dans cette
oeuvre et cet effort dont hérite la postérité.
Le XIXe sièc­le demande l’homme qui était
cet homme d’État, cet homme de guerre,
ce poëte, ce peintre, ce grand homme de
science ou de métier. L’âme qui était en
cet acteur, le coeur qui a vécu derrière cet
esprit, il les exige et les réclame [...] (Gon­
court ii-iii)
Garibaldis Memorie wurden zwar erst 1872 offi­
ziell publiziert. Riall zufolge hatte Garibaldi Teile
seiner Autobiographie jedoch schon vor 1850
verfasst und gezielt Schriftstellern wie Alexandre
Dumas zugänglich gemacht, die sie oft mit ei­
genen Ergänzungen veröffentlichten (s. Riall b
154-161).17 Demnach schien er schon früh ein
Interesse an einer Verbreitung seiner Lebens­
geschichte gehabt zu haben und knüpfte daran
nicht zuletzt auch strategisch-politische Ziele.
Seine Bekanntheit sollte ihm dabei zugute kom­
men, internationale Unterstützung für die italie­
nische Sache zu erlangen, finanzielle Mittel und
logistische Hilfe für seine militärischen Kampag­
nen einzuwerben. Es liegt daher durchaus nahe,
dass die wesentlichen Narrative, die sich durch
die biographische Garibaldi-Literatur der 1850er
und 1860er ziehen, von ihm selbst stammen
bzw. auf der Grundlage seiner eigenen literari­
schen Lebensaufzeichnungen entstanden sind
(s. Riall b 154-161). Zumindest findet sich in sei­
nen Memoiren von 1872 jenes, in einer Vielzahl
von Biographien vorweggenommene erzähle­
rische Muster wieder, das in einer eingängigen
emotionalen Sprache das Wirken des Helden
auf der Bühne der großen Geschichte mit Schil­
derungen aus seinem Privat- und Gefühlsleben
kombinierte. Besonderen Wert legte er darauf,
helden. heroes. héros.
der Öffentlichkeit jenes Selbstbild des abenteu­
erlustigen und freiheitsliebenden Kämpfers, der
die Weite der argentinischen Pampas liebt und
die Annehmlichkeiten des bürgerlichen Lebens
verachtet, ins Bewusstsein zu rufen – ein hoch­
gradig romantisiertes Bild, das, wie zuvor bereits
geschildert, den Markenkern seiner Popularität
bildet und das er durch seinen aus südamerika­
nischen Zeiten nach Europa importierten Klei­
dungsstil mit Poncho und Sombrero auch äußer­
lich zur Schau stellte:
Während all dieser Stürme eines abenteu­
erlichen Lebens hab ich doch immer süße
Stunden, glückliche Augenblicke gehabt
[...]
Zu Pferde zog ich an der Spitze der we­
nigen Leute dahin, die von so vielen
Kämpfern übrig geblieben waren, welche
gerechterweise alle tapfer genannt zu
werden verdienten, und ich war stolz auf
die Überlebenden wie auf die Toten, ja
beinahe auf mich selbst. [...] Was wollte
ich mehr? Was kümmerte es mich, dass
ich wie jener griechische Philosoph nur
das noch besaß, was ich bei mir trug?
Dass ich einer armen Republik diente, die
keinen Menschen bezahlte und von der
ich, wenn sie reich gewesen wäre, nicht
einmal Gold angenommen haben würde?
Hatte ich nicht einen Säbel an meiner Sei­
te und einen Karabiner, der über dem Sat­
telknopfe lag? Hatte ich nicht Anita neben
mir, meinen Schatz, ein Herz, das ebenso
glühend für die Freiheit der Völker schlug
wie das meinige? Betrachtete sie den
Kampf nicht wie ein Vergnügen, wie eine
einfache Zerstreuung in diesem Leben im
Felde? Die Zukunft lachte mir heiter und
glückverheißend entgegen, und je wilder
und öder die amerikanischen Gefilde wa­
ren, die ich vor mir sah, desto köstlicher
und schöner erschienen sie mir. (Garibaldi
72-73)
Dem Bild des politisch-engagierten Helden, der
an der Spitze einer Massenbewegung steht, wird
ein Moment der selbstgewählten Isolation, einer
für seine Zeit keineswegs untypischen Zivilisati­
onsflucht im Stile des Rousseau’schen ‚Prome­
neur solitaire‘ hinzugefügt, das Garibaldi in re­
gelmäßigen Abständen fernab der Gesellschaft
auf der kleinen Insel Caprera vor der Küste Sar­
diniens kultivieren sollte, wo er nach dem Vorbild
des Cincinnatus bodenständigen Aktivitäten wie
der Landwirtschaft nachging, zugleich jedoch
neue militärische Abenteuer vorbereitete.18
101
Robert Lukenda
102
6. Viva Garibaldi!
Der ‚Zug der Tausend‘ von 1860, der die politi­
sche Einigung Italiens einleitete, bildete zweifel­
los den Höhepunkt der Garibaldi-Begeisterung
in und außerhalb Italiens.
Dieser war Ausdruck der oben skizzierten
neuen ‚medialen Kultur‘ in der Darstellung und
Inszenierung militärischer Konflikte, die den
Einsatz moderner Massenmedien und journa­
listischer Berichterstattung gewissermaßen als
Mittel der Kriegsführung begriff und in diesem
Zusammenhang bewusst auf eine Beeinflus­
sung der öffentlichen Meinung zielte. Dass ein
solch kühnes, schier aussichtslos anmutendes
Unterfangen, in dem eine Truppe von ursprüng­
lich wenig mehr als tausend Freiwilligen mit Ga­
ribaldi an der Spitze die Armee des Königreiches
Neapel herausforderte, letztendlich von Erfolg
gekrönt war, verdankte sich dabei auch der Tat­
sache, dass Journalisten, Schriftsteller und Fo­
tografen im Gefolge Garibaldis unmittelbar vom
Geschehen auf den Schlachtfeldern berichteten
und seine militärischen Glanzleistungen in der
europäischen Öffentlichkeit bekannt machten. Li­
terarische Berühmtheiten wie Alexandre Dumas
oder Victor Hugo trugen mit ihren Oden auf den
‚Befreier der Völker‘ dazu bei, dass der abseits
der Schlachtfelder tobende Propagandakrieg in
den Medien wesentlich zugunsten Garibaldis be­
einflusst wurde – ein nicht zu unterschätzender
Aspekt, zumal die dadurch entstandenen Sym­
pathien in Frankreich oder England der Unter­
nehmung Garibaldis lebenswichtige diplomati­
sche und logistische Schützenhilfe sicherten.
Noch vor ihrem offiziellen Erscheinen in Italien
wetteiferten Literaten um das Manuskript der
Memoiren Garibaldis und sorgten dafür, dass sie
in viele europäische Sprachen übersetzt wur­
den. Dumas beispielsweise engagierte sich nicht
nur diplomatisch und finanziell für den Freiheits­
helden; neben einer französischen Übersetzung
seiner Lebensaufzeichnungen verfasste er unter
anderem einen langen Reisebericht, der den
Eroberungszug durch Süditalien und die Begeg­
nungen des Schriftstellers mit dem italienischen
Revolutionär schilderte. Der Titel dieses Werkes
– Viva Garibaldi! – sagt vieles über jene Faszina­
tion aus, die Garibaldi auf die romantischen Au­
toren Europas ausübte. Er weckte in der liberal
gesinnten Öffentlichkeit auch deshalb Begeiste­
rung, weil er – gewissermaßen im Stile des spä­
teren Ché Guevara – als „Banner einer neuen
Ära“ (Sand 363) und damit als Hoffnungsträger
einer möglichen politisch-gesellschaftlichen Zei­
tenwende betrachtet wurde, der neben Ideen
wie Demokratie und Nation auch Utopien vertrat,
die in frühsozialistischen Ideen einer solidarischdemokratischen Weltgemeinschaft gipfelten. In
diesen Kontext gehört auch, dass sich Garibal­
di bisweilen im Stile eines Gaucho kleidete. Auf
diesem Weg gelang es ihm, eine transkulturel­
le Semantik um seine Person zu erzeugen und
sich damit auch äußerlich als Weltbürger zu prä­
sentieren.
7. Heldentum, ‚nation-building‘ und
Erinnerungskultur
In seiner Rolle als radikaler Demokrat wäre Ga­
ribaldi im Königreich Italien, das chronisch mit
sozialen Unruhen und politischer Instabilität zu
kämpfen hatte, kaum zu einem offiziellen Nati­
onalhelden avanciert, wenn es den staatlichen
Autoritäten nicht zumindest ansatzweise gelun­
gen wäre, den Revolutionär zu ‚zähmen‘ und in
eine monarchistische Geschichtskultur einzu­
gliedern. Eine gewisse Tendenz zur Entpolitisie­
rung der Figur Garibaldi hatte schon jene biogra­
phische Literatur erkennen lassen, die seit den
1850ern in Europa entstand. Oftmals fokussierte
sich die literarische Darstellung auf die ‚pittores­
ken‘ bzw. ‚romanesken‘ Qualitäten Garibaldis,
während seine politische Gesinnung und die da­
mit verbundene soziale Sprengkraft vielfach in
den Hintergrund gerieten (Riall b 201). Die Ge­
schichtspolitik des Königreiches verstärkte diese
Entwicklung und konnte sich dabei eine gewis­
se Ambivalenz des Mythos Garibaldi zunutze
machen. Garibaldi galt seinen Zeitgenossen
unbestritten als Ikone der demokratischen Nati­
onalstaatsbewegung, dennoch stellte seine Vita
auch genügend Ansatzpunkte bereit, die ihn als
Symbol der politischen Verhältnisse nach 1860
erscheinen lassen konnten. Diese Auffassung
bezog ihre Strahlkraft nicht nur aus der Tatsache,
dass er in der Zeit nach 1848/49 bisweilen sein
rotes Hemd gegen die Uniform eines piemonte­
sischen Generals getauscht hatte, sondern auch
maßgeblich aus einem Ereignis, das als ‚Treffen
von Teano‘ Eingang in das nationale Gedächtnis
fand: Nachdem Garibaldi Sizilien und Südita­
lien erobert hatte, übergab er im Oktober 1860
in der Nähe des Ortes Teano bei Neapel die
‚befreiten‘ Gebiete an Vittorio Emanuele II. und
sicherte dem zukünftigen König Italiens seine
Loyalität zu. Auch sein Telegramm, in dem er
sich während des Dritten Italienischen Unabhän­
gigkeitskrieges gegen Österreich 1866 mit dem
berühmt gewordenen ‚Obbedisco‘ [„Ich gehor­
che“] einem Befehl des Königs fügte, erwies sich
als geeignet, seine Treue zur Monarchie heraus­
zustreichen. Dies sicherte ihm einen Platz in den
Geschichts- und Schulbüchern des Königrei­
ches und machte ihn zum Symbol eines von der
Obrigkeit geförderten geistigen ‚nation-building‘,
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
das die breiten Massen zu loyalen Staatsbür­
gern erziehen sollte. Garibaldi selbst hatte mit
dieser ‚gemäßigten‘ Rolle seine Schwierigkei­
ten und schwankte nach 1860 vielfach zwischen
den Polen eines kurzzeitigen parlamentarischen
Abgeordneten und seiner temperamentvollen
Natur als Berufsrevolutionär, die immer wieder
aufflackerte und ihn zum Teil aus Protest gegen
die königliche Realpolitik zu neuen militärischen
Abenteuern trieb. So provozierte er regelmäßig
Konflikte zwischen seinen Anhängern und den
politischen Autoritäten, z. B., als er, mit dem Ziel,
die Herrschaft des Papstes in Rom zu beenden,
1862 an der Spitze einer kleinen Freiwilligenar­
mee in Kalabrien landete und im AspromonteGebirge von Truppen der königlichen Armee
verwundet wurde – ein Ereignis, das bis heute in
Form eines bekannten Volksliedes mit dem Titel
Garibaldi fu ferito... [„Garibaldi wurde verletzt...“]
überliefert ist. In seiner doppelten Rolle als
königs­treuer General und romantischer Outlaw
war Garibaldi daher sowohl ideeller Bestandteil
als auch Gegenentwurf des frisch geschaffenen
italienischen Staates.
Kontinuität und Ausstrahlung des Mythos
Garibaldi nach 1860 liegen dabei wesentlich in
der Tatsache begründet, dass sich dieser ein ei­
genes mediales Denkmal in Form einer Erinne­
rungsliteratur bzw. -kultur schuf. Es handelte sich
dabei um eine Fülle von Kriegstagebüchern, Me­
moiren und Dichtungen, die unter der Bezeich­
nung ‚letteratura garibaldina‘ eine eigene literari­
sche Gattung im ausgehenden 19. Jahrhundert
bildeten und die Verherrlichung von Garibaldis
Heldentaten zum Gegenstand hatten. Als media­
les Phänomen eines Heldenkultes zeugte diese
Literatur dabei nicht nur von der Kontinuität des
Mythos Garibaldi über den Tod des italienischen
Einheitshelden im Jahre 1882 hinaus. Sie war
in ihrer Qualität als nostalgischer Erinnerungs­
träger zugleich ein Beleg für den Vitalitätsverlust
der mit Garibaldi verknüpften, demokratischen
Version der nationalen Einigungsgeschichte, zu­
mal sie versuchte, der Umdeutung und Verein­
nahmung des Helden durch die offizielle monar­
chistische Geschichtspolitik entgegenzuwirken.
Wie viele Symbole, die mit der mythisch ver­
klärten, nationalen Einigungsgeschichte ver­
knüpft wurden, hatte auch Garibaldi im ausge­
henden 19. Jahrhundert jedoch einen schweren
Stand. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem
die Euphorie der Einigungskämpfe angesichts
politischer Instabilität sowie eines eklatanten
sozialen und wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälles
zunehmend einem Gefühl der Ernüchterung und
Desillusion wich, geriet die nationale Heldensa­
ga in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise. Angefan­
gen beim historischen Roman bis zum Melodram
erlebte jene romantisch-patriotische Literatur,
helden. heroes. héros.
in der die Heldentaten der italienischen Ver­
gangenheit und Gegenwart besungen wurden,
einen Niedergang. In den 1880er und 1890er
dominierte mit dem Verismus eine literarische
Strömung, die einen realistischen, dezidiert
antiheroischen Blick auf die italienische Gegen­
wart warf und das politische ‚Œuvre‘ der großen
Männer vom Schlage Garibaldis oder Cavours
kritisch hinterfragte. Entsprechend notierte der
‚garibaldino‘ Eugenio Checchi in seinen Me­
moiren: „Das garibaldinische Epos ist für immer
vorbei [...] Garibaldi gehört nun der Geschichte.“
(zit. nach Mutterle 1191, Ü. R. L.)
8. Nachleben
Auf der Grundlage einer nationalistischen Ideo­
logie, die im historischen Kontext des Ersten
Weltkriegs in vielen Staaten Europas heran­
reifte und – basierend auf einem ‚heroischen‘
Gedächtnis, das den vaterländischen Krieger
in den Mittelpunkt des nationalen Kultes rückte
(François 25), versuchte nicht zuletzt der italie­
nische Faschismus, das Gedenken um Garibaldi
für seine politischen Ziele zu vereinnahmen. Als
neues massentaugliches Medium der patrioti­
schen Vergangenheitsinszenierung erwies sich
dabei der Film. Von den 20ern bis in die frühen
40er entstanden so eine Reihe von Filmen wie
Alessandro Blasettis 1860 [1934], in denen eine
Heroisierung des Zeitalters der nationalen Ein­
heitsfindung betrieben wurde, die jedoch, einer
frühen neorealistischen Ästhetik und propagan­
distischen Gegenwartsstrategie folgend, weni­
ger dem Personenkult um Garibaldi verpflichtet
waren, als vielmehr eine Epoche und das ge­
samte italienische Volk als historischen Akteur
glorifizierten. Im Bestreben, sich auf der einen
Seite als Traditionsvollstrecker sowie auf der
anderen als innovative Kraft zu präsentieren, er­
fuhr jenes mit Garibaldi verknüpfte symbolische
Spektrum eine Umdeutung: so wurden aus den
Rothemden des späten 19. nun die faschisti­
schen Schwarzhemden des frühen 20. Jahr­
hunderts. Im zeitlichen Umfeld des Zweiten
Weltkriegs versuchte auch die kommunistisch
dominierte ‚Resistenza‘, durch den Rückgriff auf
das Symbol Garibaldi die Tradition der freiheit­
lichen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts
für sich zu reklamieren und dem Faschismus die
Deutungshoheit über die Vergangenheit streitig
zu machen.
Auch die nach 1946 ausgerufene italienische
Republik unternahm große Anstrengungen, in ei­
ner Art symbolischem Neuanfang auf der Basis
des Mythos vom antifaschistischen Widerstand
an die garibaldinischen Ideale anzuknüpfen.
103
Robert Lukenda
104
Der Kult um die ideellen Grundlagen der Nati­
on beschränkte sich jedoch weitgehend auf eine
kleine Elite und wurde in den Jahrzehnten nach
1945 immer mehr zum Symbol einer wachsen­
den Kluft zwischen politischem Establishment
und dem Rest der Gesellschaft. Dieser Umstand,
der auch das Gedenken an Garibaldi präg­
te, zeugte im Grundsatz von der Sinnkrise des
„heroischen“ oder „monumentalen“ Gedächt­
nisses, dessen „zentrale Figur [...] der Held und
Kämpfer war“ (François 25).19
In der jüngeren Vergangenheit haben die von
politischen Kontroversen überschatteten Fei­
erlichkeiten zum zweihundertsten Geburtstag
Garibaldis im Jahre 2007 wieder einmal die Fra­
gilität einer nationalen Erinnerungspraxis offen­
gelegt und eindrucksvoll gezeigt, dass es in der
italienischen Öffentlichkeit längst salonfähig ist,
„schlecht über Garibaldi zu sprechen“ (Isnenghi
3, Ü. R. L.). Für den Mythos Garibaldi bedeutet
dies eine erstaunliche Rückkehr zu seinen Wur­
zeln im Zeitalter der italienischen Nationalstaats­
bildung: für die einen Dämon und Freibeuter, für
die anderen Lichtgestalt und Freiheitsheld. In
jedem Fall aber eine historische Ausnahmefigur,
die ihren kometenhaften Aufstieg wesentlich ei­
ner entstehenden (massen-)medialen Kultur im
19. Jahrhundert verdankte. Mit den Mitteln der
Literatur, des Journalismus sowie den neuen
visuellen Medien wie Fotografie wurde ein hel­
denhaftes, exemplarisches Leben gestaltet, in
dem – typisch für das Zeitalter der großen na­
tionalstaatlichen Erzählungen – die Grenzen
zwischen romantischer Fiktion und historischer
Wirklichkeit verschwammen. „Mehr als je ist die­
ses abenteuerliche Leben fabelhaft geworden,
aber diese Fabel ist Geschichte.“ (Sand 363)
1 Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich aus
Gründen der Übersichtlichkeit weitgehend auf den französi­
schen und italienischen Kontext des 19. und 20. Jahrhun­
derts.
2 Als Standardwerk zum Garibaldi-Kult hat sich v. a. im
englischsprachigen Raum Riall b etabliert.
3 Zur Vorbildfunktion der ‚Gedächtnisnation‘ Frankreich
s. Nora 2207-2216.
4 Die Helden im Zeitalter der politischen Nationalstaatsbil­
dung sind demnach weniger ‚hommes de la pensée‘, son­
dern wie Garibaldi zuallererst ‚hommes d’action et de guerre‘
(vgl. Gérard 31-48). Vielfach hat man darin den Ausdruck
einer an die Macht gekommenen Bürgerlichkeit gesehen, die
ein neues, auf den Gedanken der Meritokratie gegründetes
Heldenmodell installierte, zumal alle, die sich dem nationa­
len Freiheitskampf anschlossen, hier eine Möglichkeit eröff­
net bekamen, unabhängig von Herkunft und Bildungsstand
selbst zu großen Italienern zu werden (s. Degl’Innocenti 2930).
5 Was nicht heißt, dass gewisse Aspekte der Heldenkon­
zeption Carlyles (On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History, London 1841) nicht auch im Kult um Garibaldi
wirksam waren, wie weiter unten noch zu sehen sein wird.
6 Obgleich natürlich Voltaire und Rousseau im 18. Jahr­
hundert ein gegensätzliches Bild des ‚grand homme‘ pflegen.
7 Zu den Narrativen und Topoi der patriotischen Literatur
s. Schwaderer 165-196. Die Konstruktion heroischer Ver­
gangenheitsversionen im Zeitalter der kulturellen National­
staatsbildung wird Erll zufolge in großem Maße von Texten
erbracht, die sich dem Genre der Populärliteratur zuordnen
lassen: „Historische Romane, wie Walter Scotts The Heart of
Midlothian [...] spielten und spielen bei der Konstitution kol­
lektiver Gedächtnisse eine wichtige Rolle. Sie vermitteln dem
Leser kollektive Identitäten, Geschichtsbilder, Werte und
Normen. Um der Rolle der Literatur im Prozess der Ausfor­
mung von Erinnerungskulturen Rechnung zu tragen, ist von
der nahe liegenden Vorstellung Abstand zu nehmen, nur so
genannte ‚hohe Literatur‘ werde mit Bezug auf das kulturelle
Gedächtnis gelesen. Gerade die Trivialliteratur bedient sich
symbolischer Ressourcen, die dem kulturellen Gedächtnis
zuzuordnen sind.“ (Erll 158)
8 So ist beispielsweise Stendhals Roman Le Rouge et le
Noir von der Gegensätzlichkeit zwischen einer als unhero­
isch empfundenen Gegenwart des frühen 19. Jahrhunderts
und der Sehnsucht nach heldenhafter Lebensgestaltung ge­
prägt (Schulz-Buschhaus 1-15). Die bewusstseinsprägende
Wirkung der literarisch-romantischen Geschichtsnarrationen
im jungen 19. Jahrhundert ist von Seiten jener Forschung,
die sich mit den kulturellen und imaginären Facetten von
Nationalismen beschäftigt, vielfach betont worden (s. etwa
Banti).
9 Zur Rolle der Literatur in einem solchen Prozess vgl.
Iser. Ihm zufolge konstituieren literarische Texte „eine uns
scheinbar vertraute Welt in einer von unseren Gewohnheiten
abweichenden Form“ (Iser 11). Durch ihre Bezugnahme auf
die (außerliterarische) Wirklichkeit, in der bereits Vorstellun­
gen von Identität und Vergangenheit existieren, sind solche
Texte in der Lage, glaubhaft die „ontologische Kluft zwischen
Fiktion und Realität“ (Erll 159) zu überwinden.
10 Wie Christadler hervorhebt, bedarf der „Nationalismus
als weltliche Religion [...] der Märtyrer, deren Opfertod seine
quasi-metaphysische Verbindlichkeit sichert. Die Niederlage
der Nation wird verklärt durch die Heldentaten ihrer ‚Söhne‘,
die verlorene Ehre durch den ‚Ruhm der Besiegten‘ wieder­
hergestellt.“ (Christadler 201)
11 Diesbezüglich weiterführend Riall b 128-163.
12 Riall zufolge ist der Löwe „a medieval symbol of resur­
rection and a modern euphemism for celebrity“. (Riall b 149)
13 Von der patriotischen Propaganda vielfach als ‚homme
providentiel‘ gefeiert, erschien Garibaldi in diesem Punkt als
Carlyle’scher Held – „un homme d’action guidé par une ins­
piration divine, une sorte de ‚miracle’ et non le produit fatal
de son temps“ (Gérard 40). Man beachte in diesem Zusam­
menhang die zahlreichen Hymnen, die Garibaldi als Heiligen
feiern bzw. seine angebliche Unverwundbarkeit besingen.
Z.B. Dall’Ongaro 285-287.
14 Es seien an dieser Stelle an die beiden historischen
Heldenfiguren Ferruccio und Fieramosca erinnert, die im
19. Jahrhundert Gegenstand zahlreicher patriotisch-hagio­
graphischer Heldenerzählungen waren. Vgl. diesbezüglich
etwa den historischen Roman Ettore Fieramosca (1833) von
Massimo D’Azeglio.
15 Für Degl’Innocenti 18 ist Garibaldi der Hauptgestalter
seines eigenen Mythos.
16 Zur Autobiographie als Medium des ‚self-fashioning‘ vgl.
die Anmerkungen Schlüters in Alfieri 517-551.
17 Mémoires de Garibaldi. Trad. sur le manuscrit original
par A. Dumas. Paris: Michel Lévy frères, 1860.
18 Man beachte die Parallele zur Vita Napoleons, der nach
Phasen des Exils immer wieder auf der politischen Bühne
auftauchen konnte.
helden. heroes. héros.
Viva Garibaldi!
19 Dieses wurde nach dem Holocaust weitgehend von einer
Erinnerungskultur abgelöst, die sich v. a. dem Gedenken an
die Opfer verschrieb (vgl. Müller 14).
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Kristina Offterdinger
„Stadt, die den Tod bezwang“
Leningrad als Heldenstadt in der medialen Vermittlung durch Reiseführer
Schwer geprüft war Leningrad im Zweiten
Weltkrieg. […] Unter dem feindlichen Beschuss hörten die Leningrader aber nicht
auf, für die Front zu arbeiten. Die Männer
gingen zum Landsturm. Ihre Arbeitsplätze
in den Betrieben, wo man Waffen und Munition herstellte, wurden von den Frauen
besetzt. 900 Tage hielt die Stadt heldenhaft durch. Der Feind konnte das ausgehungerte Leningrad nicht erobern. Im
Januar 1944 sprengten die sowjetischen
Truppen die Blockade und bereiteten den
Soldaten Hitlers eine schwere Niederlage.
Für die Tapferkeit seiner Verteidiger wurde Leningrad zur ‚Heldenstadt‘ erhoben.
(Presse-Agentur Novosti 90-91)
vorgenommene Untersuchung Leningrads als
Heldenstadt in der Darstellung von Reiseführern bietet somit einen Diskussionsbeitrag zum
Heldenbegriff und ermöglicht über das Medium
des Reiseführers einen erweiterten Einblick in
die topographisch manifestierte Erinnerungskultur einer Heldenstadt. Leningrad als Stadt stiftet
– ähnlich wie ein ‚traditioneller‘ Individualheld –
Identifikation und kann Teil des Symbolhaushaltes von Gesellschaften werden, unterliegt gleichzeitig aber einem historischen Wandel.5
Diese pathetisch gehaltene Äußerung aus einem sowjetischen, ins Deutsche übersetzten
Reiseführer der 1960er Jahre beschreibt die kollektiven Taten der Leningrader Bürger, welche
die fast dreijährige Blockade der Stadt durch die
Heeresgruppe Nord der Wehrmacht vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 überstanden und in der sowjetischen Darstellung schier
Übermenschliches vollbrachten. Leningrad wurde damit zur „Stadt, die den Tod bezwang“ (Bergschicker).1 Aufgeben war keine Option, denn die
Stadt sollte komplett zerstört, ausgehungert und
somit Teil des nationalsozialistischen Genozids
werden.2
Noch während des Zweiten Weltkrieges, am
1. Mai 1945, wurde Leningrad vom Obersten
Sowjet für den erfolgreichen Widerstand gegen
die Belagerung der Wehrmacht zur Heldenstadt
ernannt. Zeitgleich erhielten auch Sevastopol’,
Odessa und Stalingrad diesen Titel.3 Heldenstädte waren in der Sowjetunion der Nachkriegszeit omnipräsent, sei es in den Medien4
oder im Alltag auf Briefmarken, Postkarten und
Jubiläumsmünzen. Eine besondere mediale
Vermittlung des Heldenstadt-Titels stellen dabei
Reiseführer dar, denn sie besitzen einen inhärenten Objektivitätsanspruch und sollen ein breites Publikum ansprechen. Die in diesem Aufsatz
Eine Heldenstadt unterscheidet sich von einer
gewöhnlichen [sowjetischen] Stadt durch das
Attribut ‚Helden‘. Eine Heldenstadt muss also
etwas ‚Heldenhaftes‘ – etwas über die Normen
Herausragendes – vollbracht haben. Charakteristisch für eine Heldenstadt ist die Heroisierung
eines Kollektivs, meistens der Stadtbevölkerung
mit ihren sozialen Gruppen. Die Bewohner identifizieren sich mit ihrer Heldenstadt wie mit einem
Individualhelden, die Stadt wird anthropomorphisiert. Im sowjetischen Verständnis müssen
[Individual- oder Kollektiv-]Helden als säkulare
‚Beinahe-Heilige‘ im Einklang mit der Partei Widrigkeiten überwinden und eine Vorbildfunktion
für die Gesellschaft erfüllen. Widerstand und
Selbstaufopferung werden zu zentralen Leitmotiven, die auch medial vermittelt werden, denn,
um mit Maksim Gor’kij zu sprechen, „ein Held
sein zu wollen, heißt mehr Mensch sein zu wollen als man ist“ (Günther Held 71). Der sowjetische Held ist ein soziales Phänomen mit einer
pädagogischen Funktion für die Mitbürger. Ihn
unterscheidet von anderen Heldengestalten,
dass er keine vom Schicksal begünstigte Ausnahmegestalt darstellt, sondern allein durch Willensanstrengung Held geworden ist. Er ist also
wandelbar und reproduzierbar. Durch den Zweiten Weltkrieg kam der Topos des Kriegs- und
helden. heroes. héros.
Die Heldenstadt als Topos
Kristina Offterdinger
108
Opferhelden auf, der ideologisch auf die Soldaten wirkte, sie überzeugte und den Massenheroismus der Nachkriegszeit vorwegnahm. Die
alltägliche Präsenz des Heldenhaften machte
den Heroismus zum Lebensprinzip. Der Heldenmythos – sei es als politischer, Arbeiter-, Opferoder Kriegsheld – schafft klare Antagonismen
und wirkt auf die Normen der Gesellschaft. Aus
der großen Anzahl der sowjetischen Kriegshelden wurden beispielhafte Namen und Taten herausgegriffen und den Nachkriegsgenerationen
medial vermittelt. Besonders Selbst­opfer machten die Helden und ihre Taten in der Erinnerung
unsterblich. Der Heldenkult der Brežnev-Zeit
basierte auf einem abstrakten und utopischen
Menschenbild.6 Nicht mehr nur Einzelpersonen
mit ihren Leistungen in Industrie oder Krieg wurden zu Helden ernannt, wie das in den 1930er
Jahren noch üblich war.
In der schier inflationären Vergabe des Heldenstadt-Titels in der Nachkriegs-Sowjetunion
der 1960er bis 1980er Jahre spiegelt sich eine
historische Entwicklung wider. Die dreizehn Heldenstädte wurden Teil des integrativen ‚Symbolhaushaltes‘ der späten Sowjetunion. Der besondere Status der Heldenstädte im Vergleich
zu anderen sowjetischen Städten zeigt sich in
der Vergabe von Orden und verschiedenen Titeln. Dazu gehören der Leninorden [1946 verliehen an Leningrad], die Medaille Goldener Stern
[1965 verliehen an Leningrad], die mit dem Heldenstadt-Titel getragen wird, und eine Urkunde
des Obersten Sowjet. Zusätzlich wurde ein Obelisk in der Heldenstadt errichtet.7
Leningrad als Heldenstadt speist ihr singuläres Image aus ihrer Darstellung als Märtyrerstadt.
Die Blockade und das damit einhergehende moralische Opferpathos wurden Leningrads Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den übrigen
Heldenstädten der Sowjetunion. Im Sinne einer
‚imagined community‘ (Anderson) teilen sich die
‚blokadniki‘8 als Erlebnisgeneration kulturelle Mythen der Blockade, die häufig sakralisiert wird. In
ihrem Selbstbild sehen sich die ‚blokadniki‘ häufig als unschuldige Helden und gleichzeitig als
heroische Verteidiger. Die Bezeichnung ‚Leningrader‘ ist dadurch stark politisierend und wird
mit Stolz getragen.9 Im offiziellen sowjetischen
Geschichtsbild tritt die Bevölkerung als heldenhafter Verteidiger an der Leningrader Front oder
als Arbeiter in den Leningrader Fabriken auf. Mit
der kollektiven Heroisierung wurde versucht,
möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu integrieren. Die Blockade wurde neben der Oktoberrevolution zum zweiten ‚sozialistischen Gründungsmythos‘10 Leningrads. Der so geschaffene
‚Mythos Leningrad‘ grenzt sich also vom ‚Mythos
Petersburg‘ ab. Dieser ‚Mythos Petersburg‘ ist
ein literarischer Topos, welcher Petersburg als
künstliche, auf autokratischen Befehl hin errichtete Stadt beschreibt (Kirschenbaum Remembering 322). Durch die Blockade wurde die Einzigartigkeit der Stadt verstärkt, und ihre Würde
strahlte nicht nur auf ihre Besucher aus, sondern
integrierte auch die Neuankömmlinge. Die Blockade wurde zu einem Teil des gesamten sowjetischen Kriegsmythos, der sich auch in offiziellen
Erinnerungspraktiken, Feierlichkeiten und Publikationen manifestierte. Der Titel ‚Heldenstadt‘
kann als eine Art Neukreierung und Ablösung
der sozialistischen Stadt verstanden werden,
deren Idee in den 1970er Jahren immer utopischer und unerreichbarer wurde.11 Ihr Mythos ist
ein „Konglomerat aus Antifaschismus, Partisanenideologie und Pazifismus“ (Bohn Phänomen
151).
Die Reiseführer
Reiseführer können ‚Quellen‘ für die Wahrnehmung und mediale Vermittlung von Erinnerungsprozessen sein. Im Rahmen eines breiten
Medienbegriffs sind Reiseführer als Mittler von
Botschaften und Bildern zu sehen. Sie sind Mittler für Reisende und Touristen, die Empfänger
von Informationen sind. Sender dieser Informationen sind die Autoren, die je nach Auftraggeber,
Schwerpunkt des Reiseführers und Zielgruppe ein anderes Wahrnehmungsbild vermitteln.
Strukturell verbinden sie in ihrer Darstellung textuelle, bildliche und kartographische Elemente.
Weil Reiseführer ein breites Publikum ansprechen sollen, generieren sie einen inhärenten
Objektivitätsanspruch ihrer Aussagen. Sie sollen eine Auswahl verlässlicher Informationen für
Reisende bereitstellen, welche eine eigene Bewertung abnehmen kann. Von Interesse ist hier,
wie die Macher der Reiseführer das Heldenbild
rezipiert haben, was in Reiseführern überhaupt
von der Heldenstadt präsentiert wird, welche
Orte als ‚wichtig‘ und sehenswert eingestuft werden und welche nicht.
Bei den deutschsprachigen Reiseführern
liegen der Schweizer Nagels Reiseführer von
1966, ein ins Deutsche übersetzter Reiseführer
der sowjetischen Presse-Agentur Novosti und
die Reiseführer von Heiss und Bergschicker vor.
Letzterer ist ein Reiseführer aus der DDR, der
auch in der BRD verbreitet wurde. Er vermittelt
das sowjetische Helden-Narrativ (Ganzenmüller
Nebenkriegsschauplatz 7). Der Grieben-Reiseführer von 1976 ist ein Reiseführer für die gesamte Sowjetunion, in dem Leningrad nur ein
Teilkapitel gewidmet ist. Für 1974 findet sich
ein Reiseführer, der sich nur auf die Paläste der
Leningrader Umgebung bezieht und vor allem
kunsthistorisch orientiert ist (Kennett u. a.). In
helden. heroes. héros.
Leningrad als Heldenstadt
den 1980er Jahren sind eine weitere Ausgabe
des Grieben-Reiseführers und einige Exemplare, die sich als Stadt- oder Umgebungsreiseführer verstehen, erschienen. Dazu gehören zwei
Reiseführer von Kann, die aus dem Russischen
ins Deutsche bzw. Englische übersetzt wurden
und daher eigentlich auch der sowjetischen Seite zuzuordnen sind. Von sowjetischen Reiseführern wurde eine Anzahl verwendet, die mit der
der deutschen vergleichbar ist. Es gibt zwei Reiseführer aus den 1950er Jahren. Für die 1970er
Jahre finden sich zwei sowjetische Reiseführer,
welche die gesamte Stadt thematisieren und ein
eigener Reiseführer, der nur der ‚Doroga žizni‘
[Straße des Lebens] gewidmet ist. Ein Foto-Reiseführer und ein kunstgeschichtlich orientierter
Reiseführer liegen für die 1980er Jahre vor (Lopatina, Pavljučenko u. a., Rost, Vernadskij u. a.,
Serpokryl, Suknovalov, Alešina).
Spatial Turn und Erinnerungs­
kulturen
Die Identifikation von Bewohnern mit ihrer
Stadt erfolgt unter anderem über Denkmäler. Letztere veranschaulichen historische
Ereignisse im Leben einer Gemeinschaft,
wodurch sie gleichsam eine Brücke von
der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen. Die dabei transportierte Symbolik
stellt ein Bild der Geschichte dar, das die
aktuellen politischen Machtverhältnisse
widerspiegelt. Denkmäler sind damit Teil
des kulturellen Zeichensystems einer Gesellschaft […]. (Musekamp 175)
Bei der Untersuchung der präsentierten Orte
wird die räumliche Dimension der Stadt als eigene kulturelle Größe verstanden. Die Verräumlichung zeitlicher und sozialer Dimensionen, das
Verständnis von Raum – und besonders von
Städten – als Narrativ und als soziales Konstrukt
begünstigen die Untersuchung urbaner Kommunikationsmechanismen. Denkmäler bilden einen
Teil dieser Mechanismen (Piltz 75-102; Schlögel
Chronotop 32; Döring u. Thielmann 8). In den
Reiseführern werden die kulturellen Dimensionen und Narrative medial vermittelt. Besonders
Denkmäler sind spezifische Orte, an denen ein
Teil des kollektiven Gedächtnisses materialisiert
wird, sie sind ‚lieux de mémoire‘.12
Die besonders unter Brežnev betriebene Ritualisierung der Erinnerung und Sakralisierung
Leningrads als Heldenstadt zeigt sich in regelrechten ‚Heroisierungs-Itineraren‘. Medien, wie
hier am Beispiel der Reiseführer gezeigt werden
soll, können dabei als Erinnerungsträger dienen
und die kulturelle Bedeutung der Symbole an die
Nachwelt tradieren.13
helden. heroes. héros.
Die topographische Manifestation
der Erinnerung
In Leningrad gibt es viele Erinnerungsorte,
die mit der Geschichte der revolutionären
Bewegung in Russland, mit der Entstehung des ersten sozialistischen Staates
auf der Welt und mit dem Heroismus der
Leningrader in den Jahren des Großen
Vaterländischen Krieges verbunden sind.
(Rost 40-41)14
Die memoriale und topographische Manifestation der Heldenstadt spiegelt sich in symbolischen und konkreten ‚Heroisierungsorten‘ und
Denkmälern wider. Bevor konkrete Erinnerungsorte präsentiert werden, wird auf die Blockade
und den nach ihrer Durchbrechung eingeleiteten
Wiederaufbau Leningrads als symbolische, immaterielle Erinnerungsorte eingegangen. Dadurch hat sich Leningrad den Mythos als Märtyrerstadt und das Pathos des Sieges im Zweiten
Weltkrieg angeeignet. Geprägt war der Mythos
von den Themen Zerstörung und Wiederaufbau,
wobei Letzterer als heroischer und nach vorne,
in die Zukunft gerichteter Akt der Leningrader
Bevölkerung verstanden wurde. Dieses Erlebnis
und diese Erinnerungskonstruktion wirkten sich
identitätsstiftend aus.15
Als Partisanen oder im Aufbau von Straßenblockaden habe die ganze Bevölkerung Leningrads die Stadt verteidigt, so formuliert das ein
ins Englische übersetzter sowjetischer Reiseführer der 1980er Jahre: „Not only military troops
defended the city – at the call of the Communist
Party the entire population rose to the defence
of Leningrad.“ (Kann Leningrad 20) Die sowjetische Seite und die DDR pointieren stärker als
die deutschsprachigen Reiseführer aus der BRD
und der Schweiz den sowjetischen Widerstand
und die Leiden der Bevölkerung im Kontext der
Stadtkatastrophe (Ganzenmüller Nebenkriegsschauplatz 17-18):
Sechshundertzweiunddreißigtausend
Menschen verhungerten in der Stadt Leningrad […]. Sie waren ihren Martern erlegen, aber sie waren nicht schwach geworden. Den sicheren Untergang vor Augen,
waren sie den Verteidigern nicht in den Arm
gefallen, sondern hatten sie im Kampf bestärkt. Keine Armee der Welt […] hätte die
Stadt halten können, wenn ihre Bewohner
der Verzweiflung anheim gefallen wären.
Die sechshundertzweiunddreißigtausend
Männer, Frauen und Kinder aber starben
wie Soldaten, mit dem Gesicht zum Feind.
Ohne ihr stummes Opfer wäre Leningrad
gefallen. (Bergschicker 157)
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Kristina Offterdinger
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Die Ausmaße der Zerstörung finden auch Eingang in deutsche Reiseführer, die pathetisch den
Wiederaufbau der Leningrader hervorheben:16
Mit enormer Vitalität bauten die Leningrader nach der Blockade, die 650000
Einwohnern [sic!] das Leben kostete und
10000 Gebäude zerstörte und beschädigte, ihre Stadt wieder auf. Allein im Jahre
1944 wurden rund eine Million Quadratmeter Wohnfläche wiederhergestellt.
(Heiss 22)17
Von den Zerstörungen waren besonders Randgebiete, die am Frontverlauf lagen, betroffen. In
den Reiseführern wird der Wiederaufbau aber
nicht nur mit der Errichtung von Neubauvierteln
an der Peripherie, sondern primär mit der Restauration des historischen Zentrums verbunden
(Kusber 155, Gorys 234): „Nach Kriegsende
musste die grandiose Wiederherstellung der
zerstörten Architekturschätze in Angriff genommen werden.“ (Alešina XLV)18 Solche Aussagen
finden sich in deutschsprachigen und in sowjetischen Reiseführern. In sowjetischen Reiseführern dominiert häufig die Erzählung eines
linearen, fortschrittlichen Wiederaufbaus, wobei
die Leningrader Bevölkerung eine wichtige und
aktive Rolle spielt (Rost 21): „Indem sie sorgfältig das Beste aufbewahren, was die vorangegangenen Generationen geschaffen haben,
geben sich die Leningrader heute große Mühe,
dass die Stadt wächst, schöner und moderner
wird.“ (Rost 126-127)19 Der Wiederaufbau wird
besonders in den sowjetischen Reiseführern als
freiwilliger heroischer Akt der Stadtbevölkerung
dargestellt, die aus Liebe zu ihrer Stadt handelt,
denn die „sowjetischen Menschen sind stolz auf
die ruhmreiche Geschichte Leningrads“ (Vernadskij u. a. 5).20 Leningrad ist laut den sowjetischen Reiseführern der 1950er Jahre „eine der
wundervollsten Städte unserer großen sozialistischen Heimat“ (Vernadskij u. a. 5).21 Der Stadt
wird ferner eine weltgeschichtliche Bedeutung
zugeschrieben:
[Leningrad] ist eines der größeren und kulturellen Zentren unseres Landes, eine der
schönsten Städte der Welt, Wiege dreier
Revolutionen, in der vor 40 Jahren die
Große Sozialistische Oktoberrevolution
begann und siegte, die Stadt russischen
Ruhmes, Heldenstadt, Stadt wundervoller
Menschen, Stadt Lenins. Das ist Leningrad, das ist seine historische Vergangenheit. (Vernadskij u. a. 5)22
Sowohl die deutschsprachigen als auch die sow­
jetischen Reiseführer betonen ähnliche Aspekte:
Das in der Blockade erlittene Leid wird über die
kollektive Heroisierung der Stadt kompensiert
und mythisch verklärt. Die Reiseführer, auch die
deutschsprachigen, stehen hier in einer Linie mit
dem offiziellen sowjetischen Narrativ.
Pathetisch materialisiert und topographisch
festgehalten wird dieses Erlebnis in der Errichtung von Denkmälern und Denkmalkomplexen.
Der heldenhafte Kampf, die Stadt und der Topos als tragischer, aber ruhmreicher Ort spiegelt
sich in den im Folgenden näher beschriebenen
Erinnerungsorten wider: in den ‚Parki Pobedy‘
[Siegesparks], im ‚Piskarevskoe memorial’noe
kladbišče‘ [Piskarevskoe-Friedhof], im ‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ [Denkmal für die
Verteidiger Leningrads] und in der ‚Doroga žizni‘
[Straße des Lebens], die ein Teil des ‚Zelenyj
Pojas Slavy‘ [Grüner Gürtel des Ruhmes] ist
(Pavljučenko u. a. 5-8).
Die ‚Parki Pobedy‘ und der ‚Piska­
revskoe memorial’noe kladbišče‘
Architektonisch und stadtplanerisch bedeutsam waren […] die größeren Parkanlagen […] und die sozialistische Gedenk­
architektur, die immer dann eindrucksvoll
wurde, wenn sie mit der Erinnerung an die
Blockade und an den Zweiten Weltkrieg
verbunden wurde. (Kusber 156)
In der Nachkriegszeit wurde vor allem an den
Peripherien der Stadt der Bau von Denkmälern
und Erinnerungsorten vorangetrieben (Anan’ich
u. a. 265). In Leningrad gibt es zwei sogenannte
Siegesparks: den ‚Moskovskij Park Pobedy‘ am
‚Moskovskij Prospekt‘ in südlicher Ausfallrichtung und den ‚Primorskij Park Pobedy‘ in der
Nähe des Kirov-Stadions im Norden der Stadt.
Der ‚Moskovskij Park Pobedy‘ wurde „angelegt 1945 von der Leningrader Bevölkerung
aus Freude über das glückliche Ende des Krieges.“ (Gorys 326) Die Parkanlage scheint einem
Schweizer Reiseführer zufolge auf eine Initiative
der Leningrader Bevölkerung zurückzugehen
und thematisiert in ihrer architektonischen Ausstattung vor allem die Helden der Sowjetunion:
Den Eingang schmücken Propyläen mit
Flachreliefs in Bronze, die den Ingenieuren gewidmet sind. In der Hauptallee [Siegesallee] befindet sich die größte Fontäne
Leningrads mit einem Springstrahl von 11
m Höhe. Der Park ist mit Statuen der Helden der Sowjetunion ausgestattet. (Nagels Reiseführer 394)
Dem ‚Moskovskij Park Pobedy‘ kommt dabei
auch eine dezidiert lokale Funktion zu, denn
der Park, der unionsweit bekannte und lokale
Helden ‚beherbergt‘, wird damit eindeutig von
Leningradern für Leningrader kodiert, wie ein
helden. heroes. héros.
Leningrad als Heldenstadt
sowjetischer Reiseführer deutlich hervorhebt
und damit größeres Detailwissen vorlegt als der
eben zitierte Schweizer Reiseführer:
Im Herbst 1945 beschlossen die Leningrader, den Sieg im Großen Vaterländischen
Kriege durch die Anlage eines großartigen
Parks zu würdigen. Das Thema der architektonischen Gestaltung wurden Waffenund Arbeitssiege sowjetischer Menschen.
Man sieht dort Bronzebüsten von Leningradern, die zweimal den Ehrentitel ‚Held
der Sowjetunion‘ erhielten, ebenso eine
Büste des in Leningrad geborenen zweifachen ‚Helden der sozialistischen Arbeit‘
Alexej Kossygin. An den vom Springbrunnen ausgehenden Seitenalleen stehen
Denkmäler für die ‚Helden der Sowjetunion‘ Soja Kosmodemjanskaja und Alexander Matrossow. (Kann Umgebung 51)23
Dieser Park wurde in einem Stadtviertel errichtet, das unter großen Kriegszerstörungen
zu leiden hatte. Damit wurde also ein von den
Kriegsereignissen gezeichneter Ort ausgewählt.
Innerhalb der Parkanlage wurden alle Spuren
des Krieges beseitigt. Eine ehemalige Ziegelfabrik, die während der Blockade als Krematorium
diente, wurde abgerissen und Bombenkrater
wurden als Teiche aufgefüllt. Durch diese räumliche Umgestaltung sollten Elend und Leid des
Krieges vergessen gemacht und die Blockade
heroisch kommemoriert werden. Jüngere Generationen sollten ihre Freizeit im Park verbringen
(Kirschenbaum Remembering 320). Die vormalige Bedeutung des Ortes und seine Umgestaltung finden aber keinen Eingang in die westdeutschen Reiseführer, die stattdessen die idyllische
Ausgestaltung betonen:
Die Metrostation Park Pobedy befindet
sich nahe dem monumentalen Eingang
zum Moskauer Siegespark [Moskowskij
Park Pobedy], dessen breite Hauptallee,
flankiert von den Bronzebüsten Leningrader ‚Helden der Sowjetunion‘, schnurgerade durch den rund 50 ha großen Park
zieht. Zahlreiche Nebenwege schlängeln
sich malerisch um Teiche und Hügel.
(Gorys 324)
Eine etwas andere Funktion, die sich nicht auf
die Darstellung von Helden beschränkt, kommt
dem zweiten Siegespark in der Nähe des KirovStadions zu:
Hinter der Brücke führt die Riukhin-Straße
[uliza Riukhina] geradewegs zum MeerProspekt [Morskoj-Prospekt]. Hier erstreckt sich ein Park, dessen Hauptallee
den Meer-Prospekt fortsetzt. Der Park
wurde im Jahr 1945 angelegt; er erhielt
helden. heroes. héros.
den Namen Park des Sieges; der erste
Teil der Arbeiten war 1950 beendet. Am
Ende der langen Allee liegt das KirowStadion, das 1932 begonnen, jedoch
erst 1950 – infolge der Kriegsereignisse
– fertiggestellt wurde. […] Das weite freie
Gelände im Westen der Insel wurde zu
Sportanlagen umgewandelt. (Nagels Reiseführer 425)
Dieser Siegespark ist durch seine enge Verbindung mit dem Kirov-Stadion vielseitiger nutzbar.
Er steht in der Tradition der sowjetischen Kulturund Erholungsparks und ist als Freizeitangebot
der sowjetischen Regierung an ihre Bevölkerung
zu verstehen (Kitaev 299-302, Crowley u. a.).
Siegesparks bilden eine Variante der Memorialkomplexe. Die zwischen den 1950er und
1970er Jahren entstandenen, monumentalen
Memorialkomplexe besaßen oft ein Ewiges Feuer, Reliefs und einzelne Figurengruppen. In ihrer
Darstellung betonen sie die Heroisierung der Ereignisse und stellen Leiden meist im Bezug auf
den Sieg dar.
Eine der bedeutendsten Gedenkstätten Leningrads für die zivilen Opfer ist der ‚Piskarevskoe‘Friedhof, eine der Massenbegräbnisstätten während der Blockade. Der Friedhof ist als Motiv und
als Ort der zivilen Opfer zu sehen und wurde ab
1941 als solcher genutzt. Seit der Einweihung
als Memorialkomplex am 9. Mai 1960 brennt dort
eine Ewige Flamme, dominiert wird die Anlage
jedoch von dem bronzenen Denkmal der ‚Rodina Mat’‘ [‚Mutter Heimat‘] (Jahn 106, George
526).
Auf dem Piskarew-Friedhof wurden die
Toten beigesetzt, häufig in Massengräbern, auf denen nur Daten vermerkt sind:
1941, 1942, 1943, 1944 oder 1945. Hinter
der Statue ist auf Reliefs der Kampf der
Bevölkerung während der Belagerung
dargestellt, ebenfalls Szenen von der
heldenhaften Verteidigung. Die Fahnen
neigen sich zum Zeichen der Trauer, und
die Mauer trägt neben anderen Inschriften
auch die Worte: ‚Niemand und nichts ist
vergessen‘. (Nagels Reiseführer 335)
Der Friedhofs-Memorialkomplex besteht aus
zwei Museumspavillons und zeigt Reliefs mit
Kampf- und Verteidigungsszenen. Die Darstellungen tradieren die Opferbereitschaft der Leningrader für die kommenden Generationen. Hier
wird ein Erfolg der sowjetischen Erinnerungspolitik ersichtlich, die das kommunikative mit dem
kulturellen Gedächtnis verflochten hat. Zwar
wird in den Massengräbern das Kollektiv wertgeschätzt, gleichzeitig kann hier der Opfer aber
auch auf familiärer und privater Ebene gedacht
werden (Ganzenmüller Identitätsstiftung 277).
111
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Der Friedhof ist also ein Identifikationsangebot
an die Leningrader Bevölkerung, deren Opfer
und Leiden nachträglich heroisiert wurden. Er ist
eine Art Botschaft für die Nachwelt: „Ihnen, die
den Tod der Kapitulation vorzogen, widmeten die
Überlebenden dieses Denkmal. Es wurde am 9.
Mai 1960, dem 15. Jahrestag des Sieges über
Hitlerdeutschland, feierlich enthüllt“ (PresseAgentur Novosti 107). Hier dominiert eine Darstellung, der zufolge die Bevölkerung sich tapfer
für den Heldentod entschieden hätte.
Die memorialen Elemente des ‚Piskarevskoe‘Friedhofes reihen Leningrad in die sowjetische
Nachkriegs-Gedenkarchitektur ein:
Die Gestaltung dieses Friedhofs, der 1960
zum 15. Jahrestag der deutschen Kapitulation eröffnet wurde, zeigt aber zugleich,
dass Leningrad eine sozialistische Stadt
wie andere auch geworden war. Das
Schicksal der Blockade war einzigartig für
die Stadt, das Gedenken mit einer großen
Statue ‚Mutter Heimat‘ hatte sie jedoch mit
anderen Orten der Sowjetunion gemein.
(Kusber 156)
Der Friedhof kann mit dem ‚Mamaev kurgan‘ in
Stalingrad verglichen werden. Bei diesem steht
im Gegensatz zum ‚Piskarevskoe‘-Friedhof die
Heroisierung der Ereignisse im Vordergrund
und nicht die Trauer. Stalingrads monumentales Denkmal-Ensemble ist geprägt von einer
Soldatenheldenfigur und einer ‚Rodina Mat’‘
als sinnstiftendem Hintergrund. Diese hat ein
Schwert in der Hand und ruft zum Kampf auf.
Sie ist also nicht mit der trauernden Mutterfigur
im ‚Piskarevskoe‘-Friedhof zu vergleichen. Konzepte wie diese setzen Leningrad in eine Reihe
mit anderen sowjetischen Städten, demonstrieren aber gleichzeitig seine Individualität. In der
Figurensprache findet sich ein Rekurs auf die
Ewigkeit. Die ‚Rodina Mat’‘ auf dem Friedhof ist
ein Sinnbild des Lebens und repräsentiert die
Gegenwart.
Architektonisch bestehen Ähnlichkeiten zum
‚Marsovo Pole‘ [Marsfeld] und man knüpft damit
symbolisch an dessen Opfer-Narrativ an.24
Hinter wuchtigen Propyläen aus Dolomitgestein, deren Seitenpavillons eine Dokumentation der Blockade zeigen, öffnet
sich ein Platz, in dessen Mitte das Ewige Feuer lodert. Hier beginnt die Hauptallee, die an langen Reihen von Massengräbern mit den Jahreszahlen 1941,
1942, 1943 vorbeiführt. Gedämpfte Musik schwebt über den Gräbern. Am Ende
der Hauptallee erhebt sich das Ehrenmal:
In der Mitte steht auf hohem Sockel die
riesige Bronzeskulptur der Mutter Heimat.
(Gorys 326)
Der Friedhof ist somit ein städtisches Monument. Auch in den deutschen Reiseführern wird
der Friedhof zu den Sehenswürdigkeiten gezählt: „Die eindrucksvollste Gedenkstätte für die
Toten der 900tägigen Belagerung Leningrads im
Zweiten Weltkrieg, dem Großen Vaterländischen
Krieg, ist der Piskarjowskoe-Friedhof [...] im
Nordosten der Stadt.“ (Gorys 325) Der Schweizer Reiseführer sieht die ‚Rodina Mat’‘ als „symbolische Statue der tapferen und siegreichen
Stadt Leningrad“ (Nagels Reiseführer 335). Erkennbar wird aus diesem letzten Zitat, dass die
westdeutschen und der Schweizer Reiseführer
nicht immer den Symbolkanon der sowjetischen
Erinnerungskultur und deren Figuren kennen.
Zwar wird in den deutschsprachigen Reiseführern das Ereignis der Blockade betont und als
singuläres Leningrader Ereignis dargestellt, die
Heroisierung der Bevölkerung findet aber – verglichen mit den sowjetischen Reiseführern – in
einem geringeren Ausmaß statt und es wird keine ‚Memorialkette‘ zu anderen Erinnerungsorten
aufgebaut. In den sowjetischen Reiseführern ist
der ‚Piskarevskoe‘ neben dem ‚Serafimskoe‘Friedhof und dem ‚Zelenyj pojas Slavy‘ eine der
zentralen Sehenswürdigkeiten, die alle der Blockade gewidmet sind. Der Friedhof wird damit in
ein Narrativ eingebettet (Rusinova 338-342, Serpokryl 303-328, Alešina XLV).
Der ‚Pamjatnik Zaščitnikam Lenin­
grada‘, der ‚Zelenyj Pojas Slavy‘ und
die ‚Doroga žizni‘
Der am ‚Moskovskij Prospekt‘25 befindliche ‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ [Denkmal für die
Verteidiger Leningrads] wurde am 9. Mai 1975
auf der ‚Ploščad’ Pobedy‘ [Platz des Sieges]
eingeweiht und repräsentiert den Mythos der
Heldenstadt (Rusinova 348, Jahn 108). Dieses
Denkmal ist ein symbolisches Stadttor mit einem
Obelisk in der Mitte des Platzes. Dieser steht in
der Tradition antiker Siegessäulen und dient der
Herrschaftsrepräsentation. Der kreisförmige Wall
symbolisiert die Blockade und unter den Skulpturengruppen befindet sich ein 1979 eröffneter,
unterirdischer Gedenksaal (Rüthers 170-172).
Das Denkmal für die Verteidiger Leningrads ist
laut einem sowjetischen, ins Deutsche übersetzten Reiseführer von 1981 „eine der schönsten
Stätten Leningrads“ (Kann Umgebung 52).
Wie gigantische Propyläen erheben
sich an beiden Seiten zwei 22geschossige Häuser. Die Platzmitte schmückt
ein erhabenes Denkmal für die Helden
der Verteidigung Leningrads im Großen
helden. heroes. héros.
Leningrad als Heldenstadt
Vaterländischen Kriege [....]. Für dieses
Memorial haben sowjetische Menschen
über zwei Millionen Rubel gespendet, und
an seiner Schaffung haben Hunderttausende Leningrader und Gäste der Stadt
mitgearbeitet. Am 9. Mai 1975, dem dreißigsten Jahrestag des Sieges des Sowjetvolkes über Hitlerdeutschland, wurde das
Monument eingeweiht.
Das Denkmal ist dem Süden, den Stellen
der erbitterten Kämpfe um Leningrad, zugewandt. Auf Granitpostamenten stehen
die Bronzegestalten von Soldaten, Matrosen, Landwehrkämpfern und Frauen
– jenen Menschen, die die Stadt gegen
die faschistischen Landräuber verteidigt
haben. Das Kompositionszentrum bildet
ein 48 m hoher Granitobelisk mit den goldenen Jahreszahlen 1941-1945. Am Fuß
des Obelisken wachen zwei sieben Meter
hohe Statuen ‚Die Sieger‘: ein Arbeiter
und ein Soldat, Symbol der untrennbaren Verbundenheit der Sowjetarmee mit
dem Sowjetvolk. Granitstufen führen in
den Memorialsaal unter dem Denkmal,
wo in Bronze und Mosaik sowie durch Gedenkstücke des Krieges Heldentaten der
Verteidiger der Stadt vor Augen geführt
werden. Marschrouten des Gedenkens
ziehen sich über den Leningrader Boden,
durch alle Straßen der Stadt. Und sie alle
treffen sich hier, auf dem Platz am Moskowski-Prospekt, wo der Granitobelisk einen siegreichen Schlussakkord bildet und
die Schläge eines Metronoms durch die
Stille der Zeit klingen. (Kann Umgebung
52)
Das Denkmal ist in ein urbanes Umfeld eingebettet. Es ist umgeben von Wohnhäusern und
den Helden der Verteidigung Leningrads gewidmet. Die Realisierung des Denkmals scheint auf
finanzielle Initiative der städtischen Bevölkerung
und „Gäste[n] der Stadt“ zustande gekommen
zu sein. Das Denkmal ist in südliche Ausfallrichtung, in Richtung der Front bei den Pulkovo-Höhen in einer Art Verteidigungsposition,
ausgerichtet (Kann Umgebung 48-53). Konkret
benannte Verteidiger sind in dem Reiseführer
vor allem militärische Gruppen, unter dem mittlerweile veralteten Begriff ‚Landwehrkämpfer‘
wird eine Art Volkswehr [narodnoe opolčenie]
verstanden. Frauen bilden dabei eine Ausnahme
und sollen vermutlich die Gesamtheit der in der
Stadt Verbliebenen darstellen. Der Obelisk ist
das zentrale architektonische Element des Sieges, zu dessen Füßen sich die ‚Siegergruppen‘
befinden. Die Einheit des Sowjetvolkes – hier
symbolisiert von Arbeiter und Soldat – war einer der zentralen Integrationsmechanismen der
Brežnev-Ära für die sowjetische Gesellschaft.
Der zugehörige Memorialsaal hebt auch die
helden. heroes. héros.
Leiden des heldenhaften Standhaltens hervor. In
diesem Saal erklingen die Schläge eines Metronoms. Für die Zeitzeugen der Blockade war das
ein akustisches Signal, das ihren Blockadealltag
strukturierte: Im Leningrader Radio wurden Metronomschläge verwendet, um den Hörern zu
zeigen, dass das Radio noch auf Sendung war.
Oft wurde dieses akustische Signal auch eingesetzt, um Bombenangriffe anzukündigen.26 Die
akustische Präsenz des Metronoms im Memorialsaal ist nicht nur als Reminiszenz an die Erlebnisgeneration zu sehen, es schlägt medial auch
Brücken zu den jüngeren Generationen, denen
dieses Narrativ bekannt war. Die ‚Ploščad’ Pobedy‘ mit dem „überwältigenden ‚Monument für
die Verteidiger Leningrads‘“ (Gorys 325) wird
nicht nur bei Kann erwähnt, sondern auch in
dem deutschsprachigen Reiseführer von 1988,
der den unterirdischen Memorialsaal näher beschreibt:
Die Wände des unterirdischen Ausstellungsraumes schmücken zwei Mo­
sa­iken: ‚Blockade Leningrads‘, in düsteren Farben und fast erstarrten Formen,
und ‚Sieg‘, farbenfroh und beschwingt. In
dem Ausstellungsraum brennt das Ewige
Feuer in 900 Leuchtern, für jeden Tag der
Belagerung ein Licht. (Gorys 325)
Das Denkmal spielt für die Erinnerung an die
Leningrader Blockade eine zentrale Rolle: alle
Besuchsrouten treffen sich an der ‚Ploščad’ Pobedy‘. Hier zeigt sich eine deutliche Kongruenz
der Wahrnehmungen und Interpretationen der
Reiseführer. In der Schweiz, der BRD und in der
DDR scheint seit den 1960er Jahren niemand
von den für die Reiseführer Zuständigen an dieser hier präsentierten Darstellung gezweifelt zu
haben. Dieses Denkmal ist einer der zentralen
Erinnerungsorte des Memorialkomplexes ‚Zelenyj Pojas Slavy‘.27
Die 200 Kilometer lange Blockadelinie
markiert heute ein ‚Grüner Gürtel des
Ruhmes‘ mit 60 Denkmälern. Das größte
Ehrenmal schmückt den ‚Platz des Sieges‘. (Gorys 240)
An dem 200 km langen Memorialkomplex des
‚Zelenyj Pojas Slavy‘ finden sich unter anderem
42 Denkmäler und 5 Panzer. Der Komplex ist ein
Zeichen des Patriotismus, des Massenheroismus
und des Siegeswillens, der nicht nur von Veteranen besucht wird. Erste Monumente entstanden
schon 1944, es handelte sich vor allem um Gedenksteine an den Schlachtfeldern. Als Erinnerungsort wurde die Linie seit 1961 geplant, der
Baubeginn war 1965. Er beinhaltet verschiedene Besichtigungsrouten. Eine erste Route führt
am Blockadering entlang zum Memorialkomplex
113
Kristina Offterdinger
114
‚Kirovskij val‘. Weiterhin finden sich ein Obelisk
bei ‚Ligovo‘ und 900 Birken zur Erinnerung an
die 900 Tage währende Blockade. Die ‚Doroga
Žizni‘ hat eine eigene Route (Suknovalov 333348). Zentrales Element und Endpunkt dieses
‚Ruhmesitinerars‘ ist das eben beschriebene
Denkmal für die Verteidiger Leningrads auf dem
Platz des Sieges. Diese Gedenkstraße wird in
den deutschsprachigen und sowjetischen Reiseführern der 1970er und 1980er Jahre in einem
heroisierend-pathetischen Tonfall beschrieben.
Das vorne angeführte Zitat ist exemplarisch für
diese Äußerungen.
Ein wichtiger Erinnerungsort an dieser Gedenkroute ist die ‚Doroga žizni‘, ursprünglich eine
Militärstraße, die zur Versorgungs- und Evakuierungsstrecke der belagerten Stadt über den Ladogasee mit verschiedenen Stationen am Ufer
wurde (Clapperton 54-60). Scheinbar hat die Erinnerungskultur dort schier industrielle Ausmaße
erreicht. Gedenksteine und Denkmalensembles
finden sich an der Ufertrasse teilweise im Abstand von einem Kilometer. Der Gedächtnisort
selbst ist eigentlich eine kaum befahrene Landstraße, die zum Ladogasee führt, und eingebettet in eine natürliche Umgebung. Die Denkmäler
stellen eine Art „Interaktion zwischen Skulptur
und Natur“ (Ganzenmüller Doroga schisni 177)
dar, wie zum Beispiel das 1966 erbaute ‚Razorvannoe Kol’co‘ [Aufgerissener Ring], das aus
zwei Betonstelen besteht, die einen Halbkreis
mit einer Lücke in der Mitte bilden und den aufgebrochenen Blockadering symbolisieren. Diese
Gedenktrasse ist sowohl ein realer als auch ein
symbolischer Erinnerungsort. Hier begann die
Eisroute über den See und sie stellt symbolisch
den Ort des Aufbruchs der Belagerung durch die
Rote Armee dar. An diesem Erinnerungsort wird
fast nur aktiver Kriegshelden gedacht (Ganzenmüller Doroga schisni 176-178; Rusinova 344345).
Bei den an den Evakuierungen beteiligten
Ortschaften finden sich Tafeln mit Informationen sowie kleinere Museen. Ein Denkmal, bestehend aus mehreren etwa 5 Meter hohen
Eisenträgern, symbolisiert ein sowjetisches
Flugabwehrgeschütz. Es steht als Symbol für
die Gefahren, aber auch für die Wehrhaftigkeit
der aktiven Verteidiger. Der Denkmalkomplex
‚Blume des Lebens‘ erinnert an das Schicksal
der Kinder in der belagerten Stadt und kommemoriert als eines der wenigen Denkmäler die
Leningrader als passive, unschuldige Opfer. In
diesem Denkmalkomplex, im Denkmalensemble auf dem ‚Piskarevskoe‘-Friedhof sowie im
‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ zeigt sich
deutlich die topographische Manifestation des
kollektiven Gedächtnisses. Der Museumsführer
‚Muzej Doroga žizni‘ betont selbst die Trasse als
tragischen, aber ruhmreichen Ort, der den heldenhaften Kampf Leningrads versinnbildlicht.
Die ‚Doroga žizni‘ stellt die Leningrader partiell
als Opfer dar und wirkt dadurch bei der Bevölkerung in besonderer Weise identitätsstiftend,
zusätzlich zum Helden-Mythos (Rusinova 337;
Pavljučenko u. a. 5-8, Ganzenmüller Identitätsstiftung 282; Ganzenmüller Doroga schisni 181188).
Fazit
Leningrad wurde ähnlich wie Minsk und Stalingrad vom Zweiten Weltkrieg schwer getroffen
und zog danach seine Identität aus den Kriegsereignissen. Durch die zahlreichen Erinnerungsorte und den Heldenstadt-Titel wurde Leningrad
einerseits zu einer ‚typisch sowjetischen‘ Stadt
(Bohn Musterstadt 251-255; Bohn Minsk 319333, Arnold). Die Einzigartigkeit Leningrads
gegenüber anderen sowjetischen Städten liegt
andererseits in der erinnerungskulturellen Wahrnehmung als Ort der Oktoberrevolution und als
Stadt der Blockade. Der Leningrader Mythos
bricht nicht vollständig mit der Vergangenheit.
Dies spiegelt sich in der Wahrnehmung der sow­
jetischen und der deutschen Reiseführer: Diese
Untersuchung fokussiert die Darstellung der Erinnerungsorte der Nachkriegszeit. Ein Vergleich
der Kapitel der Reiseführer zu den ‚klassischen‘
und eher kunstgeschichtlich interessanten Sehenswürdigkeiten Petersburgs/Leningrads ist
hier in vollem Umfang nicht möglich. Es lässt
sich aber festhalten, dass in der inhaltlichen
Darstellung vor allem für die hier verwendeten
deutschsprachigen Reiseführer die historischen
Besichtigungsorte im Zentrum noch immer große touristische Bedeutung hatten und meist
deutlich ausführlicher beschrieben wurden als
die hier untersuchten Orte (Nagels Reiseführer
342-373 und 416-417; Rost 32-33 und 76-112;
Schlögel Terror 644; Kennett u. a. 74; Kann Umgebung 98; Presse-Agentur Novosti 99; Schilling
75). Die deutschsprachigen Reiseführer sprechen aber ebenfalls in einem oft heroisierend anmutenden Tonfall über die Kriegsereignisse der
Jahre 1941 bis 1944 und heben vor allem das
kollektive Heldentum der Bevölkerung hervor:
„Doch die Bevölkerung hielt der Blockade stand.
Ihre heroische Haltung brachte der Stadt den
Leninorden ein.“ (Nagels Reiseführer 335) Die
Blockade, der Zweite Weltkrieg und die Leiden
der Bevölkerung sind als Themen also nicht auf
die sowjetischen Reiseführer beschränkt.
Trotz des implizierten Objektivitätsan­
spruches der Reiseführer wird oft in den deutschsprachigen Bänden kritiklos die sowjetische
helden. heroes. héros.
Leningrad als Heldenstadt
Wahrnehmung übernommen. Aber es wird
bei den westdeutschen Exemplaren und dem
Schweizer Reiseführer im Gegensatz zu den
sowjetischen Beispielen und zum Reiseführer
aus der DDR keine Memorialkette zwischen den
Denkmalkomplexen aufgebaut. Es überwiegt bei
den westdeutschen und Schweizer Reiseführern
eine darstellende und keine wertende Sichtweise. Das Gros dieser Reiseführer wirkt meistens
rational und neutral formuliert, es überwiegt dabei eine beschreibende Sichtweise, die der Informationsvermittlung zu den entsprechenden Orten dient. Ausnahmen mit einem pathetischeren
Tonfall sind dabei die Reiseführer der PresseAgentur Novosti und von Bergschicker, die beide
auf Vorlagen aus der DDR und der Sowjetunion
zurückgehen. Das sowjetische Eigenverständnis
ist geprägt von dem Ereignis der Oktoberrevolution und dem ideologischen Selbstverständnis
als erstem sozialistischen Staat. Die sowjetischen Reiseführer verfolgen daher ein linear gehaltenes Narrativ, dessen zentrales Element die
Blockade und der Zweite Weltkrieg bilden. Das
sowjetische Narrativ für Leningrad ist durch die
Interpretation und Darstellung der Blockadeopfer als heldenhafte Verteidiger geprägt: „Indem
die Faschisten die Stadt umringten, verurteilten sie ihre Bewohner zum Hungertod. Aber die
900tägige Blockade demonstrierte die Größe
der Seele der Leningrader.“ (Rost 20)28
Denkmäler sind sowohl Botschaften an die
Nachwelt als auch Überreste der Vergangenheit.
Die sowjetische architektonische Erinnerungskultur zeigt sich in Parks, Nekropolen und Statuen, und wird so sakralisiert. Der Sieg im Großen
Vaterländischen Krieg, die Blockade und die damit einhergehende Heroisierung wurde als wichtigstes Ereignis der Zeitgeschichte verstanden.
Dies diente als Vehikel für Werte, ermöglichte
über die spätere Kodierung der Erinnerung und
die damit erfolgende Sinngebung der Ereignisse Identifikation und Integration und legitimierte
die sowjetische Herrschaftspraxis (Assmann 12,
Ferretti 45-49, Gudkov 60-64).
1 Zum (meist weniger heroischen) Alltag während der Blockade siehe Koval’chuk 7-24 und Piankevich 25-64.
2 Eine detaillierte Beschreibung zum Verlauf der Blockade
und der kollektiven Aktionen der Leningrader Bürger findet
sich bei Clapperton 50-52. Zemskov-Züge, Narrating 201.
3 Zwischen 1965 und 1985 bekamen Kiev, Moskau, Kerč’,
Novorossijsk, Minsk, Tula, Murmansk und Smolensk ebenfalls diesen Titel und Brest bekam den Titel ‚Heldenfestung‘
verliehen. Insgesamt handelt es sich um dreizehn Orte.
4 Zum Beispiel kommt den Heldenstädten bei der LiveÜbertragung der Siegesparade vom 9. Mai 1965 auf Radio
Majak eine besondere Funktion zu. In jeder Heldenstadt gibt
es eine eigene Parade, zu der im Radio live zugeschaltet
wird. Peredača s Krasnoj Ploščadi, posvjaščennaja 20-j
godovščine so dnja pobedy nad fašistskoj Germaniej 9 maja
1965 g., 1-123. GARF F. R 6903 op. 11 ed. chr. 947.
helden. heroes. héros.
5 Siehe von den Hoff u. a. Helden – Heroisierungen – Heroismen 7-14: https://www.sfb948.uni-freiburg.de/e-journal/
ausgaben/012013/helden.heroes.heros.2013-01
(zuletzt
auf­gerufen: 06.10.2014).
6 Siehe Günther Übermensch 92 und Arnold 8-10. Frevert
803-812. Zum sozialistischen Helden siehe Gries, Satjukow.
Karl D. Qualls zeigt das am Beispiel der Heldenstadt Sevastopol’. Qualls 132-136. Arnold 11-22, 44, 163-165, 313.
7 Dieser befindet sich, wie die Aufschrift Gorod-geroj, auf
der Ploščad’ Vosstanija vor dem Moskovskij vokzal. Weitere
Orden für Leningrad werden bei Lopatina 119 erwähnt.
8 Russischer Terminus für die Zeitzeugen und Überlebenden der Leningrader Blockade 1941-1944. Zur Historiografie
über die Leningrader Blockade siehe Lomagin 23-47. Lomagin betont dabei, dass die vor allem lokal in Leningrad
betriebene Historiografie den heroischen Aspekt der Blockade hervorhob, Hunger und Sterben der Bevölkerung aber
außer Acht ließ. Damit sollte das kollektive Gedächtnis der
Stadt neu geprägt werden. Ab den 1960er Jahren kam es
in der Historiografie zur Blockade zu einer Diskussion um
die genauen Opferzahlen. Diese Diskussion ist vergleichbar
mit jener zu den sowjetischen Opferzahlen im Zweiten Weltkrieg. Zur Quellenlage über die Leningrader Blockade siehe:
Zemskov-Züge, Leben 75-78. Diese offizielle sowjetische Erinnerungspolitik wurde auch auf die DDR übertragen, siehe
Ganzenmüller Nebenkriegsschauplatz 7 und 17.
9Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Das trifft vor allem
auf die ältere Bevölkerung Leningrads zu, die den Namen
Leningrad mit dem Blockade-Andenken verbinden. Clapperton 50, 59. Kirschenbaum Remembering 323. Lebina 407409.
10 ‚Mythos‘ wird hier als kurzes, dramatisiertes Narrativ verstanden, welches für die Vergangenheit sinnstiftend verwendet wird; siehe dazu Hynes 207.
11 Zur Situation der Rückkehrer und Migranten in das
Nachkriegs-Leningrad siehe White 1145-1161. Die Schaffung eines speziellen Bewusstseins erleichterte auch die
Integration ländlicher Migranten in die Stadt. Ganzenmüller
Identitätsstiftung 280. Zemskov-Züge, Narrating 200-202.
Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Siehe dazu auch Kusber 148 und Jahn 10.
12 Zu den aktuellen Tendenzen in der ErinnerungskulturForschung siehe Winter 363-397. Green 35-44. Zur Bedeutung des Zweiten Weltkrieges für die sowjetische Erinnerungskultur siehe Brunstedt 149-171. Das kollektive
Gedächtnis als umstrittenes Konzept thematisiert Lisa Kirschenbaum: Kirschenbaum Introduction 97-103.
13Zum Übergang vom kommunikativen zum kulturellen
Gedächtnis und zur ‚Floating Gap‘ zwischen den Generationen siehe Niethammer 25-50 und Arnold 23.
14 „В Ленинграде много памятных мест, связанных
с историей революционного движения в России, с
возниковением первого в мире социалистического
государства, с героизмом ленинградцев в годы Велокой
Отечественной войны.“ Rost 40-41.
15Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Siehe dazu auch
Kusber 148 und Jahn 10. Auch White kommt zu diesem
Ergebnis: White 1145-1161. Die individuellen (tragischen)
Erinnerungen der ‚blokadniki‘ fanden in den offiziellen sowjetischen Erzählkanon jedoch keinen Eingang. Siehe dazu
Sobolev 72-73.
16 Im Vergleich zu Stalingrad fielen die Zerstörungen in Leningrad etwas geringer aus. Siehe Kirschenbaum Remembering 314-319. Auch bei Stalingrad hatte der Wiederaufbau
eine heroische Komponente, siehe Arnold 233.
17 Aktuell wird aber vermutet, dass die Leningrader Blockade zwischen 700.000 und 800.000 Opfer forderte. Siehe
dazu Sobolev 82.
115
Kristina Offterdinger
116
18 „После окончания войны встала грандиозная задача
восстановления разрушенных шедевров зодчества.“
Alešina XLV.
Gorys, Erhard. Moskau und Leningrad. Kunst, Kultur und
Geschichte der beiden Metropolen, des ‚Goldenen Ringes‘
und Nowgorods. Köln: DuMont, 1988.
19 „Бережно сохроняя все лучшее, что было создано
предшествующими поколениями, ленинградцы сегодня
прилагают большие усилия для того, чтобы город рос,
хорошел, благоустраивался.“ Rost 126-127.
Grieben-Reiseführer. UdSSR-Reisen. Moskau, Leningrad,
Kiew, Krim, Schwarzmeerküste. Unionsrepubliken und
Landschaften. München: Thiemig, 1976.
20 „Советские люди гордятся героической историей
Ленинграда“, Vernadskij u. a. 5.
Grieben-Reiseführer. UdSSR-Reisen. Moskau – Leningrad –
Kiew, Baltikum, Schwarzmeerküste/Kaukasus, Sowjetisch
Mittelasien, Sibirien. München: Thiemig, 1985.
21 „одного из самых замечательных городов нашей
великой социалистической Родины“, Vernadskij u. a. 5.
Heiss, Karl William, Hg. Goldstadt-Reiseführer. Bd. 32: Leningrad. Pforzheim: Goldstadtverlag, 1963.
22 „Крупнейший и культурный центр страны, один из
красивейших городов мира, колыбель трех революций,
город, в котором 40 лет назад началась и победила
Великая Октябрьская социалистическая революция,
город русской славы, город-герой, город замечательных
людей, город Ленина – таков Ленинград, таково его
историческое прошлое.“ Vernadskij u. a. 5.
Kann, Pawel. Die Umgebung Leningrads. Reiseführer. Moskau: Progress, 1981.
23 Ähnliches findet sich auch bei Presse-Agentur Novosti
91.
24 Arnold 279-295. Auf dem Marsfeld, in der Nähe des Winterpalais, wurden ab 1920 die Opfer der Februarrevolution
bestattet. Es dient also in vieler Hinsicht der sowjetischen
Begräbniskultur als Vorbild.
25 Der ‚Moskovskij Prospekt‘ ist, wie der Name schon impliziert, die Ausfallstraße nach Südosten, Richtung Moskau.
Der Prospekt wurde in den 1930er Jahren als sozialistisches
Gegenstück zum ‚Nevskij Prospekt‘ in der Altstadt konzipiert
und sollte, wie aus den Stadtbauplänen hervorgeht, zu einem neuen sozialistischen Stadtzentrum werden. Bereits
Ende der 1930er Jahre wurden diese Pläne – hauptsächlich aus finanziellen Gründen – fallengelassen. Nur Einzelelemente, wie der ‚Dom sovetov‘ (Haus der Sowjets/Räte),
erinnern noch an die ursprünglich implizierte Bedeutung des
Prospekts.
26 Oft fiel – im Gegensatz zu der offiziellen sowjetischen
Darstellung – das Leningrader Radio aber auch tagelang
aus. Siehe Piankevich 28-30. Zum akustischen Erinnern an
die Blockade siehe Voronina u. a. 63-74.
27 Zur Rezeption der Blockade in der deutschen Historiografie siehe Hass 139-162.
28 „Фашисты, окружив город, обрекли его жителей
на голодную смерть. Но 900 дней блокады
продемонстрировали величие духа ленинградцев“. Rost
20.
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119
Ulrike Zimmermann
John Harrison (1693-1776) and the Heroics of
Longitude
1. A Symposium and a Rediscovery
When American journalist Dava Sobel attended
the Longitude Symposium of Harvard Univer­
sity at Cambridge, Massachusetts, in November
1993, she did not expect anything decisive to
come out of either the conference or her attend­
ance. “500 people from seventeen countries”
came together to hold “a conference about the
history of finding longitude at sea,” W. H. An­
drewes, curator of the scientific instruments col­
lec­tion at Harvard, notes in his introduction to
the conference proceedings (Andrewes, Intro­
duction 1). Despite the sizable number of par­
ticipants, the Longitude Symposium was at first
sight a convention of specialists sharing their
knowledge and discussing finer points of their
academic work, not a convention to arouse grea­t
public interest. This particular symposium, how­
ever, triggered a series of cultural products and
events which disseminated specialist knowledge
to many people who had not necessarily been
interested in the history of longitude before. Out
of the whole process emerged a new tale of her­
oism with an unlikely protagonist who is anything
but conventionally heroic, and who had been
dead for more than 200 years at the time of the
Longitude Symposium: John Harrison [16931776], the inventor of the first reliable marine
timekeeper.
Dava Sobel had been asked to write an art­
icle on the Longitude Symposium for the Harvard
Magazine. Although it became the cover story, it
did not receive much attention from its readers.1
But then Sobel was approached by the owner
of a publishing house, George Gibson of Walker
Books, who suggested she should turn her sub­
ject into a full-length book – which she duly did.
The rest is, as the saying goes, history: Sobel’s
first book Longitude: The True Story of a Lone
Genius Who Solved the Greatest Scientific Prob­
lem of His Time came out in 1995 to become a
helden. heroes. héros.
bestseller, and Dava Sobel embarked on a car­
eer as a well-known and respected author of
popular science books.2
Dava Sobel’s first subject already was his­
tory, albeit part of an unaccountably hidden or
at least underrated history. John Harrison was a
carpenter and self-taught clockmaker, who was
born in Yorkshire and spent his early life in Bar­
row-upon-Humber, North Lincolnshire. He would
prob­ably have spent his life in obscur­ity had he
not solved one of the major techno­logical prob­
lems of his time, the problem of how to determine
a ship’s east-west position, its longitude, at sea.
Harrison has a firm place in the his­tory of navi­
gation, and would have been known amongs­t
horologists, clock and watch makers, and nava­l
historians. The general pub­
lic, how­
ever, be­
came acquainted with John Harrison and his
major achievements through the publication of
Sobel’s Longitude. In its wake came more cul­
tural products dealing with John Harrison’s life
and work: Longitude was adapted as a TV mini
series and broadcast in 2000. The National Mari­
time Mu­seum in London produced a documen­
tary on Harrison and his timekeepers [which are
housed in the Royal Observatory] in 2001 and is
commemorating the tercentenary of the estab­
lishment of the Board of Longitude with a series
of exhibitions: Ships, Clocks & Stars: The Ques­t
for Longitude [July 2014-January 2015] and
Longitude Punk’d [April 2014-January 2015]. In
2006, John Harrison received a public memor­
ial in Westminster Abbey, which was unveiled by
Princ­e Philip. As it turns out, Harrison is enjoy­
ing a stellar career cen­turies after his death: He
developed from a specialist with an excellent
reputation and a place in the history of science,
whose contribution to modern-day navi­
gation
was spectacular, but who was known only to a
scientific community, to a public, even popular
character in the late 20th century. In the BBC pro­
gramme 100 Greatest Britons of 2002, Harrison
came out 39th (cf. The Top 100 Great Britons).
Ulrike Zimmermann
120
This case study will attempt to shed light on how
an unassuming eighteenth-century craftsman
has in the recent past become the central fig­
ure of a story of heroism, which unfolded across
a variety of media. It will be suggested that the
attribution of heroic characteristics made John
Harrison more easily accessible and also more
attractive to a wider audience. His heroic feat was
finding the solution to a highly specific prob­lem
of technology, which turned out to revo­lutionise
navigation and largely contributed to the creation
of the naval power Britain has been for centuries.
John Harrison’s life and work are not necessarily
the stuff heroes are made of, but on closer scru­
tiny contain elements which have the potential
for a remarkable narrative. The his­torical facts
known about him speak of an interesting person­
ality. Arguably, giving John Harrison an elevated,
potentially heroic status has elements of narra­
tive emplotment in the sens­e used by Hayden
White. It is suggested that with­out Dava Sobel’s
initial narrative approach, which earlier accounts
of Harrison lacked, his life and achievements
would not have gained such a strong appeal for
so many. As Dava Sobel may not have been the
first to discover this potential, but was certainly
the first to exploit it [in both the positive and the
negative sense of the word], her book will be the
focus of this analysis, including a close reading
of some of Sobel’s textual strat­egies. The John
Harrison phenomenon crosses a variety of text­
ual and visual media, moving into film and exhib­
itions, which will be taken into account as well.
2. John Harrison, Clockmaker
– A Brief Overview
John Harrison’s invention of the marine chro­
nometer with which it became possible to deter­
mine a ship’s longitude while at sea with a de­
gree of certainty, revolutionised navigation. As
the son of a carpenter, Harrison’s initial material
of choice was wood, and in fact, his first clocks –
hardly conceivable today – were wooden clocks.
As there was no community of clockmakers in
Barrow-upon-Humber, it is unknown how Harri­
son came into contact with this particular craft.
He was certainly a well-trained carpenter, but a
self-taught clockmaker. Initially, John Harrison
worked on his own. He must have been an ex­
tremely patient craftsman with touches of the
DIY tinkerer, who over his lifetime produced,
amongst other clocks, different marine chronom­
eters [now specified as H1 to H5], each more
advanced than its predecessors. On his way to
solving the longitude problem, he made inven­
tions which had a lasting impact on clockmaking:
the gridiron pendulum, welded together out of
different metals in order to compensate for tem­
perature changes; the bi-metallic strip, used in
clocks to similar effect, and the grasshopper es­
capement, an escapement with very low friction.
This list points to the fact that Harrison’s work
has specialist appeal at best, but not necessar­
ily heroic qualities. Despite his good results and
enormous skills, it took Harrison four decades to
convince the scientific community of the quality
and reliability of his clocks.3
In 1714, the British Parliament had, by pass­
ing the so-called Longitude Act, established
a Board of Longitude. A prize of £20,000 was
offered to anybody who would invent a practic­
able method of establishing longitude aboard
ship. The hopeless inaccuracy of current lon­
gitude determination had by this time, with the
expansion of the British Empire and the naval
requirements of war as well as trade, become
the bane of the naval community. In fact, the
Longitude Prize was largely the consequence of
the naval disaster off the Isles of Scilly in 1707,
when an estimated 2000 men drowned as Ad­
miral Sir Cloudesley Shovell4 and his fleet were
returning from action in the War of the Spanish
Succes­sion. Four ships from Shovell’s fleet ran
aground on rocks off the Isles of Scilly. Due to
bad weath­er and a miscalculation of the position
of the fleet, and despite all qualified, state-of-theart attempts at reckoning [Shovell had sensed
the danger and consulted all of his navigators]
the sailors had not realised how close they were
to the Isle of Scilly, but thought they were west
of the Ile d’Oussant [Brittany], which would have
meant a safe passage to the harbour of Ports­
mouth. Losing so many men and ships practical­
ly at Britain’s doorstep, in one of the worst naval
disasters in British history, apparently had polit­
icians finally springing into action. Andrew King
describes the dimensions of the problem and the
solution as follows:
The immense awards offered under the
Act are testimony to the urgency of the
problem. […] Under the terms of the Act,
in order to obtain the full £20,000 it was re­
quired that the method, whatever it might
be, must determine longitude to within a
distance of 30 miles during a voyage from
England to the West Indies. To achieve
this, a mechanical timekeeper would have
to be accurate to within a total of just two
minutes during the proposed six-week
trial. Every clockmaker knew that this was
impossible with the technology then avail­
able. (King 168)
helden. heroes. héros.
John Harrison and the Heroics of Longitude
It is unknown how and when John Harrison
heard about the Longitude Prize. He had started
out by making sophisticated wooden clocks and
then turned his creativity and skill towards a reli­
able marine timekeeper, an incredibly ambitious
project for a man of his background (see King)5.
After four decades of struggle and the devel­
opment of various types of timekeepers, which
were road-tested [or rather sea-tested] by the
Board of Longitude, it was only towards the end
of his long life that John Harrison finally achieve­d
recognition for his work. However, this happened
only after King George III interceded on Harri­
son’s behalf, having come to the conclusion that
the clockmaker had been treated unfairly by the
Board of Longitude. Members of the Board, above
all the Royal Astronomer Sir Nevil Maskelyne,
were highly sceptical towards Harrison’s clocks.
One of the main problems seems to have been
the question of reproducibility of the timekeep­
ers, as the longitude solution was required to be
practical. Behind the hesitation to give Harrison
the longitude award one need not necessarily im­
agine personal antagonism on Maskelyne’s part.
However, Maskelyne certainly was no support­
er of Harrison, as he favoured the competing
method of lunar distance measuring. It is also
striking that the timekeepers put on trial under his
aegis never seemed to perform satisfactorily.6 In
the end, Harrison did get financial remuneration,
but the prize itself was never officially awarded to
anybody. These are, in brief, the skeletal facts of
Harrison’s life and achievements.
3. Dava Sobel’s Longitude
Dava Sobel’s book on the longitude problem and
on John Harrison’s solution fleshes out thes­e
facts. It is a mixture of popular science and biog­
raphy, proceeding chronologically,7 from earl­
y
navigation to the mass production of marine
chronometers for the British Navy. The book
is framed by two personal experiences of So­
bel: opening with a memory of a toy she owned
and closing with her in the Royal Observatory,
finally face to face with Harrison’s clocks and
“re­duced […] to tears.” (Sobel, Longitude 174)
She clever­ly inscribes her own history into the
histories of Harrison and the longitude problem,
adding personal appeal to her book. Sobel offers
digestible and well-written explanations for the
technical problems behind the determination of
longitude and also includes navigational history.
Interest­ingly, John Harrison does not figure quite
as large­ly in the book as the spectacular sub­title
may lead readers to expect. The True Story of
a Lone Genius Who Solved the Greatest Scien­
tific Problem of His Time has all the popular
helden. heroes. héros.
trappings: It announces a true story, which has
a special appeal and also attracts readers who
want solid facts and steer clear of fiction. Harri­
son is described as a loner, a quality which will be
debated later in this case study, and as a genius.
The latter is an impressive attribute, raising him
above the average person and stirring curiosity.
This gives the longitude problem a superlative to
add to the spectacular promises of the title.
Sobel’s first chapter is accordingly designed
to draw the reader in, as she reminisces about
her fascination as a child with a beaded wire
ball which reminded her of the lines on a globe
(Sobel, Longitude 2). The chapter proceeds to
inform the reader about the problems of deter­
mining latitude and longitude when at sea, with
longitude being the far more complex problem,
as it requires a reliable time-keeping method.
“Any sailor worth his salt can gauge his latitude
well enough by the length of the day, or by the
height of the sun or known guide stars above the
horizon.” (Sobel, Longitude 4) Most of Sobel’s
landlubbing readers, including the writer of this
article, had probably never thought about the
var­ious degrees of complexity determining lati­
tude and longitude since their geography les­sons
at school. The idea of educating the readers as
well as entertaining them is palpable throughout
Sobel’s text. This is her concise description of
the problem, worth being quoted in full:
The measurement of longitude meridians,
in comparison, is tempered by time. To
learn one’s longitude at sea, one needs to
know what time it is aboard ship and also
the time of the home port or another place
of known longitude - at the very same mo­
ment. The two clock times enable the navi­
gator to convert the hour difference into a
geographical separation. Since the Earth
takes twenty-four hours to complete one
full revolution of three hundred sixty de­
grees, one hour marks one twenty-fourth
of a spin, or fifteen degrees. And so each
hour’s time difference between the ship
and the starting point marks a progress
of fifteen degrees of longitude to the east
or west. Every day at sea, when the navi­
gator resets his ship’s clock to local noon
when the sun reaches its highest point in
the sky, and then consults the home-port
clock, every hour’s discrepancy between
them translates into another fifteen de­
grees of longitude. (Sobel, Longitude 4-5)
Imagining the conditions aboard ship [the mo­
tion, the salty humidity, the changes in tem­
perature and pressure], it is easily conceivable
that clocks – a high-tech luxury good at the time
anyway – did not necessarily come to mind as a
solution to the determination of longitude. There
121
Ulrike Zimmermann
122
were several competing methods, with the lunar
distance method8 the most promising of them:
It was already being [more or less] success­fully
employed by navigators and endorsed by Sir
Isaac Newton (cf. Andrewes, Even Newton 190191). Newton retained his conviction that astro­
nomical reckoning, if only improved enough and
made less prone to error by better astronom­ical
tables and instruments (cf. Sobel, Longitude 60),
would be the ultimate solution to the longitude
problem. That he was proved wrong not by a fel­
low scientist but by John Harrison the carpen­
ter continues to astonish after centuries. Sobel
picks up on this in her book: “Newton died in
1727, and therefore did not live to see the great
longitude prize awarded at last, four decades
later, to the self-educated maker of an oversized
pocket-watch.” (Sobel, Longitude 60)9 She is
certainly giving her readers a sense of the pro­
portions here: John Harrison’s personality is in­
deed somewhat anti-climactic in relation to his
achievements.
In the early eighteenth century, an alterna­
tive to the dominant lunar distance method,
propound­ed by a self-taught craftsman from the
country, would conceivably be difficult to push
to the fore­front. This situation is the basis for
a very unusual story, though not necessarily a
hero­ic one. John Harrison is an unlikely hero.
Interestingly, there is one instance before So­
bel in which Harrison is at least named a hero,
if not necessarily set up as one: In 1976, on the
occasion of the bicentenary of Harrison’s death,
Michael Langley calls him “the hero of longitude”
in History Today. In keeping with the magazine’s
general style, stressing information value over
entertainment, but still making specialist ­top­ics
accessible to a general, interested public, Lang­
ley’s article is unspectacular in its tone, not ne­
cessarily honouring the promise of its title. How­
ever, Langley does think that John Harrison has
not been appreciated enough by posterity. He
sees Harrison’s training as a carpenter rather as
an advantage, as he would have been aware of
the properties of wood and possibly also metal
under various conditions (Langley 821). On a
more general level, Andrewes as well argues
that Harrison’s position as a self-taught outsider
of horology might actually have been an advan­
tage, as he would have been able to approach
the longitude problem with a fresh and unbiased
mind:
This is a sensational, melodramatic narrative
with semantic choices which would be equally
suitable for a pirate story. It is interesting that So­
bel lays open her methods and disingenuously
reveals her strategy of heroisation to the reader:
“A story that hails a hero must also hiss at a vil­
lain – in this case, the Reverend Nevil Maskelyne
[…]. In all fairness, Maskelyne is more an anti­
hero than a villain, probably more hardheaded
than hardhearted.” (Sobel, Longitude 111) The
traditional play of protagonist versus antagonist
is at work here, and Sobel does her best to en­
hance it. Despite her disclaimer, she proceeds to
cast Maskelyne in the role of the villain, provid­
ing readers with information bound to establish
emotional barriers between themselves and the
character of Maskelyne.
Solutions to problems do not always come
from expected sources, but from unknown
individuals in remote areas who, being
imbue­d with a passion and determin­ation
to succeed, can approach the problem
with­out the restricted vision that traditional
Maskelyne was born on October 5, 1732.
This made him about forty years young­
er than John Harrison, although he never
seemed to have been young. […] Family
letters refer to his older brothers, William
and Edmund, as ‘Billy’ and ‘Mun,’ and call
his younger sister, Margaret, ‘Peggy,’ but
academic thought can sometimes impose
on novel ideas. (Andrewes, Introduction 5)
What was, according to Sobel, a difficult start
to Harrison’s career, can hence be read as an
advantage for him. In the last paragraph of his
article, Langley suggests that Harrison’s contri­
bution to British culture is underrated at the time
of writing, the 1970s.
To associate John Harrison with the size
and ubiquity of the British Empire, and
therefore of our culture and influence, may
be an extravagant thought; but it would
not be difficult to develop such a case and
so raise him from his relative obscurity on
this, the two hundredth anniversary of his
death. (Langley 823)
After Langley’s text, it would take almost twenty
years more until John Harrison finally achieved
heroic dimensions at Dava Sobel’s hands. Sobel
is a master of superlatives and striking imagery,
with which she manages to convey her enthusi­
asm for her subject. Harrison’s difficult path to
success reads like the following in Longitude:
Harrison, a man of simple birth and high
intelligence, crossed swords with the lead­
ing lights of his day. He made a special
enemy of the Reverend Nevil Maskelyne,
the fifth astronomer royal, who contest­
ed his claim to the coveted prize money,
and whose tactics at certain junctures can
only be described as foul play. (Sobel,
­Longitude 8-9)
helden. heroes. héros.
John Harrison and the Heroics of Longitude
Nevil was always and only Nevil. Unlike
John Harrison, who had no formal educa­
tion, Nevil Maskelyne attended Westmin­
ster School and Cambridge University.
(Sobel, Longitude 112-113)
Is this hinting at an emotionally cold and nar­
row-minded personality? Dava Sobel’s choice of
words certainly produces the impression.10
Harrison’s skill and patience enabled him to
prevail in the end against all technological and
human odds.
Perfection of the two methods [lunar dis­
tance and timekeeping] blazed parallel
trails of development down the decades
from the 1730s to the 1760s. Harrison, ever
the loner, pursued his own quiet course
through a maze of clockwork machinery,
while his opponents, the professors of as­
tronomy and mathematics, promised the
moon to merchants, mariners, and Parlia­
ment. (Sobel, Longitude 89)
This is the image of an underdog fighting the
academic establishment. In fact, Harrison was
not quite as alone as Sobel represents him here.
He worked initially with his brother, later with
his son, and he gained a formidable mentor in
George Graham [who also gave him a loan to
actually build the clock] after he had developed
the design for H1 (see King 182-183, Taylor and
Wolfendale 57). Graham was one of the lead­
ing makers of scientific instruments at the time.
Sobel herself notes that “[t]he Royal Society […]
rallied behind Harrison all through these trying
years. His friend George Graham and other ad­
miring members of the society insisted that Har­
rison leave his workbench long enough to accept
the Copley Gold Medal on November 30, 1749.”
(Sobel, Longitude 101) John Harrison’s skills
never failed to impress those he met, although
it is maybe natural that highly qualified crafts­
men could recognise his achievements more
easily than scientists.11 The report by Taylor and
Wolfendale recounting Harrison’s achievements
on the occasion of the public memorial in 2006
claims him for the Royal Society, stressing the
Society’s role in his appreciation even in the title:
John Harrison: Clockmaker and Copley Medal­
ist. A Public Memorial at Last. It can be read as
an attempt to write him back into the Society’s
history – now that Harrison has heroic status,
he becomes a contested figure once more, this
time in a different way: various communities
make their claims upon the hero and his deeds.
The ‘lone genius’ was part of professional com­
munities and took inspiration from them dur­
ing his lifetime. Apart from his interactions with
the Roya­l Society, Harrison profited from fellow
craftsmen in London. While H 3, which took him
helden. heroes. héros.
19 years to build, still has the size and shape of
its predecessors – sizable and rather unwieldy
sea clocks – H 4 is an entirely different matter: it
is a watch.12 This is largely due to the influence of
a gifted clockmaker, John Jefferys, a member of
the Worshipful Company of Clockmakers.
In 1753, Jefferys made Harrison a pocket
watch for his personal use. He obvious­
ly followed Harrison’s design specifica­
tions, for Jefferys fitted the watch with a
tiny bi-metallic strip to keep it beating true,
come heat or cold. […] Some horologists
consider the Jefferys timepiece the first true
precision watch. (Sobel, Longitude 105)
This is once again an instance in which Harrison,
although depicted as stubborn and single-mind­
ed, was willing to collaborate if the situation re­
quired it and was not hesitant to learn, and to
expand his skills. With Jefferys and his expert­
ise, he had struck gold, as Sobel notes. “This
watch proved to be remarkably dependable.
Harrison’s descendants recall that it was always
in his pocket. It occupied his mind, too, shrink­
ing his visio­n of the sea clock.” (Sobel, Longi­
tude 105). The results of this thought process is
H 4, which looks like a large pocket watch and
bears no outward resemblance to H 1-3. This is
the timekeeper which finally fulfilled the require­
ments, performing well on a trip to Jamaica and
back in 1762. The moment of suspense in the
charting of John Harrison’s path to heroic fame,
how­ever, is largely due to the hesitant members
of the Longitude Board, above all Maskelyne,
who had become Astronomer Royal in 1765.
Maskelyne turned out to be, “[…] as Harrison no
doubt predicted, his nemesis […].” (Sobel, Lon­
gitude 129) The Board demanded Harrison give
up H4 for extensive testing and explain its com­
plete design, and the manufacture of two copies,
and they also requisitioned all the preceding sea
clocks. “Imagine Harrison’s reaction when he
learned that his treasure, H-4, having lan­guished
many months in a lonely tower at the Admiralty,
had been delivered into the hands of his arch­
enemy.” (Sobel, Longitude 135-136) Maskelyne
was now chiefly responsible for all tests, and it is
part of the appeal of the story of antagonism that
Harrison’s watches never seemed to perform
well at his hands. Dava Sobel calls her relevant
chapter Trial by Fire and Water, echoing medi­
eval ordeals as well as Mozart’s Magic Flute, thus
semantically investing the clocks, their invent­
or, and their detractor with mystical properties.
Nonetheless, James Cook, having successfully
completed his second voyage with sauerkraut
against scurvy and K-1, a copy of H-4 by Larcum
Kendall, was satisfied with Harrison’s product. At
79, with the help of his son, Harrison managed
123
Ulrike Zimmermann
124
to interest King George III in his matter, and he
finally received £8,750. This is the conclusion of
Sobel’s brief biography at the beginning of Longi­
tude: “An aged, exhausted Harrison, taken under
the wing of King George III, ultimately claimed
his rightful monetary reward in 1773 – after forty
struggling years of political intrigue, international
warfare, academic back­biting, scientific revolu­
tion, and economic upheav­al.” (Sobel, Longitude
9-10)
The satisfaction at John Harrison’s ground­
breaking invention being recognised at last is
palpable and conveys itself to the reader. In the
long process towards a solution to the longitude
problem, there was much suffering, which So­
bel’s narrative keeps insisting on. The victims of
the Isles of Scilly disaster become “two thousand
martyrs to the cause,” (Sobel, Longitude 16) and
of course John Harrison himself “held martyr
status among clockmakers” by the time he died
(Sobel, Longitude 152). Longitude makes use of
imagery setting the good against the evil force­s,
and John Harrison’s patient struggles take on
a quasi-religious quality, although instances in
which Sobel employs openly religious diction
are rare. It speaks to Sobel’s gift as a writer that
she introduces her book with a brief life of Harri­
son and still manages to hold readers’ interest in
him and the longitude problem. In the final parts
of Longitude, she traces the way to mass pro­
duction of marine timekeepers and their rapid
spread within the naval community in the dec­
ades after Harrison’s death. Almost as an aside,
she finally states that “[i]ndeed, some modern
horologists claim that Harrison’s work facilitated
England’s mastery over the oceans, and there­
by led to the creation of the British Empire – for
it was by dint of the chronometer that Britannia
ruled the waves.” (Sobel, Longitude 152-153)
Less nonchalantly, both Langley and Bailey end
their essays noting that John Harrison contri­bu­
ted significantly to colonial expansion, and An­
drewes puts the driving forces in a nutshell in his
introduction to the Longitude Symposium: “Had
power and profit not been found in exploration,
colonization, and trade, finding longitude might
never have been regarded as a serious prob­
lem.” (Andrewes, Introduction 2) Here, the topic
is no longer mechanical finesse or astronomy,
but the question of who rules the world: the na­
tive turf of heroes.13
Sobel’s narrativisation of John Harrison’s life
in connection with the longitude problem is the
starting point of his achievement of heroic sta­
tus and popular appeal. Sobel manages to bring
out the spectacular and unusual about her sub­
ject, and she seems to find the right language
to make his specialist project accessible and
understandable. The language of her book is
eminently readable. Although she writes non-fic­
tion, she leans towards imbuing her topic with
mythical elem­ents, making Harrison the protag­
onist in epic battles against the elements and his
detractors. Longitude has been an overwhelm­
ing success, probably surprising its author most
of all. It was translated into more than twenty
languages and frequently reprinted, before a 10th
anniversary issue with an introduction by Neil
Armstrong was published. There is also an illus­
trated edition co-authored with W. J. H. Andrew­
es (cf. Sobel, Official Bio).
4. After Sobel’s Longitude:
A Harrison Trend
From then on, the John Harrison phenomenon
snowballed. As early as 1998, a ‘Nova’ episode
with the title Lost at Sea: The Search for Longi­
tude was aired in the U.S. It is explicitly based
on Sobel’s bestseller, mixing modern-day recre­
ations of historical navigation, statements from
Sobel and nautical experts, and enacted scenes
from Harrison’s life. The programme’s Harrison
voices contempt for the academic community he
is up against and suggests that the astro­nomers
on the Longitude Board, accustomed to stel­
lar tables for reckoning, were frightened by his
mech­anics.
In a four-part TV mini series, which was
broadcast in the UK and the U.S., Granada Pro­
ductions adapted Sobel’s book in 2000, with
Jeremy Irons and Michael Gambon in starring
roles. Irons plays Rupert T. Gould, a British
naval officer who in the 1920s restored Harri­
son’s timekeepers and by virtue of this work be­
came one of the most important horologists. He
is briefly mentioned in Sobel’s Longitude, when
the reader all of a sudden gets the sense that
history might be repeating itself.
Gould, a man of great sensitivity, was
so appalled by this pitiful neglect that he
sought permission to restore all four (the
three clocks and the Watch) to working
order. He offered to do the work, which
took him twelve years, without pay, and
despite the fact that he had no horological
training. (Sobel, Longitude 170-171)
Once again, an unlikely protagonist appears
on the scene of naval timekeeping and fights
against all odds for the mission he has on his
mind. While Gould appears to have been a very
different character from Harrison, they share
a sense of commitment and a tenacity which
marks them both as somewhat out of the ordin­
ary.14 When Sobel remarks that “[t]ragic events
helden. heroes. héros.
John Harrison and the Heroics of Longitude
in Gould’s own life inured him to the difficulty of
the job he had volunteered for,” (Sobel, Longi­
tude 171) the potential for drama once again
be­
comes apparent. The TV programme partly
capitalises on this, but does not become quite
as melodramatic as may have been expected. It
narrates two convincingly interwoven tales: John
Harrison’s life is remembered, in parts even
staged as a dream, by Rupert T. Gould when
he is in the process of restoring and protecting
the timekeepers. Gould’s unstable mental con­
dition – he suffered from depression and several
nervous breakdowns – is linked with the night­
mare of Harrison’s struggle and futile attempts
to convince the Board. While always sympathet­
ic, Michael Gambon’s Harrison has touches of
the fanatic, which is for instance conveyed when
his son William, at 40, suggests that Harrison
always was more emotionally bound-up in his
clocks than in his children (Longitude, 00:01:11).
The journey to recognition by the Board of Lon­
gitude becomes, for Harrison, also a journey to­
wards a better understanding with his grown-up
son late in life, thus adding human interest to the
story. The film effortlessly intertwines the two time
periods: a good example is Gould’s desperate
race to save the clocks when they are moved out
of London in preparation for the Second World
War, and Harrison’s equally desperate, though
more resigned, dismantling of H 4 to prove its
quality to the Board (Longitude, 01:17), which
are set in parallel. With all his shortcomings, the
film’s Harrison is the epitome of a scientist, pre­
senting the Board with an even better idea for
a clock balance after they have just decided to
postpone the decision yet another time (Longi­
tude, 00:01:39). Gould is recognised not simply
as a man of many arcane interests, but also as
the first to make John Harrison known once more
to a wider audience. “Harrison was a real life for­
gotten hero, rediscovered by Rupert Gould and
made famous by Dava Sobel”, director Charles
Sturridge is quoted on the DVD blurb.
In 2001, the National Maritime Museum
brought out a DVD documentary on John Har­
rison’s timekeepers. The focus of this product is
on the technical and scientific side; however, it
also includes enacted scenes, and it has foot­
age of the timekeepers running in close-up. The
sheer beauty of the clocks ‘in action’ is fascinat­
ing even to a lay audience.
Finally, in 2006, a memorial stone for John
Harrison was revealed in Westminster Abbey.
In a rather whimsical but very suitable design, a
bi-metallic strip runs through his name, and the
longitude of the stone is given.15 His symbolic
arrival in the Abbey [Harrison is buried in Hamp­
stead] marks the rise of his position within British
helden. heroes. héros.
memory culture. Dava Sobel recounts how she
was approached by a descendant of Harrison
about supporting a petition to commemorate
Harrison in Westminster Abbey after the publi­
cation of her book in Britain (Sobel, Longitude,
Appendix 8-9; Sobel, Road to the Abbey). In the
course of her efforts, she awakened the interest
of Sir Arnold Wolfendale, the 14th Astronomer
Royal, who gave momentum to the project. In
Taylor and Wolfendale’s report in the Notes and
Records of the Royal Society, they concede that
it was Sobel’s Longitude which had made John
Harrison famous more than 200 years after his
death (53), although they firmly locate his work
in the context of the Royal Society.16
As mentioned above, the National Maritime
Museum has two special exhibitions to honour
the Longitude Board, John Harrison, and his
achievements. It may be questionable whether
Harrison would have approved of being cele­
brated along with the Board, with whose mem­
bers he had so many difficulties. Ships, Clocks
& Stars: The Quest for Longitude relates the lon­
gitude problem and celebrates the beauty and
sophistication of the timekeepers.17 The exhib­
ition trailer is dramatic and abounds with super­
latives, even surpassing Sobel’s style (cf. Ships,
Clocks & Stars website). The trailer begins with
an enumeration of the ‘greatest minds’, placing
Harrison in a line with Galileo Galilei and Isaac
Newton. The images are largely dark, first show­
ing a starry sky, then an animated sequence of
a ship at night on a stormy ocean, with the inset
text “Lost, no way home, risking ships, risking
lives.”18 The same image of a threateningly dark
and empty sea, in a sparsely lighted room, on a
huge screen, is the first to greet visitors of the ex­
hibition. To this visitor, this initial stress on effects
seemed somewhat too much, particularly be­
cause the exhibition as a whole is well-made and
entertaining, but moves away from spectacu­lar
heroics, emphasising the scientific community
and the many serious efforts at determining lon­
gitude.
The accompanying catalogue to the exhib­
ition provides a wealth of information and is
richly illustrated. The texts seem to indicate a
conscious effort on the curators’ part to present
a complete picture, and to write John Harrison
back into the community. He is given due import­
ance, but he is not cast in a heroic mould. Dunn
and Higgitt attempt to convey a balanced view
on events and explicitly include the difficulties
the Longitude Board would have faced in its de­
cisions regarding Harrison, leaving the question
open.
125
Ulrike Zimmermann
126
The question remains: were the Com­
missioners acting unfairly, being overconscien­tious or doing their public duty?
Was the ‘Harrison method’ that was on
trial simply a single timekeeper that
prove­d capable of doing the job, or was it
the means of making a successful mar­ine
timekeeper? If the latter, success could
only be proved by making more of them.
(Dunn and Higgitt 122)19
Nonetheless, Ships, Clocks & Stars is indebted to
the heroic narrative around John Harrison, which
played a decisive role in bringing the science of
longitude to the fore. It is doubtful whether the
science of longitude would have awakened quite
as much interest without Sobel preparing the
ground earlier on.
The exhibition Longitude Punk’d is located
at the Royal Observatory, the usual place of the
timekeepers. This exhibition is largely informed
by the aesthetics of longitude and its apparatus­
es, and the steampunk movement.
On display will be opulent and ornate ap­
parel inspired by the night sky including
gowns, headdresses, and a reimagining
of Astronomer Royal Nevil Maskelyne’s
noted silk observing suit; outlandish con­
traptions purporting to solve the longitude
problem; and fanciful submissions and
whimsical illustrations presented to the
Board of Longitude. (Finch-Boyer)
While Ships, Clocks & Stars aims to make the
history of longitude determination accessible
and understandable to the general public, Lon­
gitude Punk’d takes an artistic viewpoint, with
John Harrison’s history serving as a springboard
for an exploration of the visual language of eight­
eenth-century science and narrates the deter­
mination of longitude as alternate history.
5. Conclusions
At present, John Harrison is certainly a wellknown ‘Great Briton’ and no longer consigned
to a historical niche for specialists. Dava Sobel,
inspired by the Longitude Symposium, picked
up on Harrison’s qualities in a way that great­
ly appealed to her readership. Her Longitude is
a judicious mixture of drama and scientific fact,
weaving a narrative of excitement and antagon­
ism, but also of patience and persistence with
regard to John Harrison. In the contribution by
Alistair Cooke to the Longitude Symposium,
Harrison becomes a role model for scientists in
a nostalgic reminiscence of one of the greatest
British scientists ever:
What strikes me […] is that he possessed
an eighteenth- and nineteenth-century gift
which I believe in this century we have
lost. A gift that every scientist and novelist
and historian and many statesmen of the
eighteenth and nineteenth century had: a
gift of industry, of industriousness, of re­
garding 24 hours a day as little enough
time in which to live a life and pursue your
interests. I think of Darwin, going down
to the seashore – any seashore at hand
– for 41 years, with a broken teacup (he
had no grant from a national science foun­
dation) and scooping up sand and algae
and brooding over them. And at the end of
those 41 years, feeling confident enough
to publish the Origin of Species. (Cooke
18)
John Harrison not only was a self-made man, but
also has the attraction of the underdog without
politics and infrastructure to support him, who
comes to very late fame indeed. Although he did
by no means work alone, and although Sobel’s
book includes this fact, her emphasis is on Harri­
son the lone struggler. That his heroics consisted
of technical and mechanical detail could – and
originally did – make it difficult to cast him as a
hero. This difficulty is overcome in several ways:
Harrison can be seen as an early ‘nerd hero’ and
an obsessive, initially even amateur, tinkerer.
Moreover, all current cultural products manage
to emphasise the visual beauty of his clocks, and
they also seem to bring out the fascination for the
connection between micro- and macrocosm, and
for scale in general. What is so enthralling about
Harrison is, after all, the renewed realisation that
little things can rule the world. In Sobel’s words,
“[h]e wrested the world’s whereabouts from the
stars, and locked the secret in a pocket watch.”
(Sobel, Longitude 175) Without tinkering and
some people’s eye for detail, major explor­ations
like those of James Cook would have been im­
possible. The sense that small-scale technical in­
novations often herald paradigm shifts in every­
day life is very much alive in our contemporary
world – which may also account for the Harrison
boom.20 On a different level, Sobel’s phrasing
also reminds us of Harrison’s potentially arcane,
almost esoteric knowledge: the discoverer of se­
crets becomes the dealer in secrets – although
in this case the ‘secrets’ are facts of mechanics
and secrets only to a lay audience.
A hero needs a community of admirers. In the
specialists’ world of horology and navigational
history, Harrison has always had that. In his time,
we can assume that he was highly respected
amongst clockmakers, but his group of support­
ers was neither large nor influential enough to
sway the Board for a very long time. In the end,
it needed the one most powerful supporter, King
helden. heroes. héros.
John Harrison and the Heroics of Longitude
George III. In the 21st century, readers, film audi­
ences, and museum visitors share a fascination
for Harrison. Probably his name and work are
now known to more people than they ever were
in his lifetime. Straddling the boundaries of elite
scientific culture, John Harrison is at present
moving towards a place in common knowledge,
approaching popular culture,21 as shown, for ex­
ample, by the extensive Harrison merchandise
on sale in the National Maritime Museum. After
his rediscovery, Harrison was first made access­
ible and then marketable.22
The creation of a hero narrative is a contest­
ed space, and as he becomes more popular,
the question arises as to which sphere Harrison
actually belongs. Initially, in his time, Harrison
was firmly located with scientists: astronomers
and horologists. Then, with its reproducibility and
availability for all navigators, and its rapid spread,
his technology became in a way a common pos­
session. The Longitude Symposium of 1993, an
academic event, retrieved John Harrison’s name
for a journalist, who would become a writer of
popular books. It is striking that the authors of all
the Harrison products in this study concede from
the start that it was Sobel who brought him back
into the limelight. There are, however, academ­
ics who are highly critical of Sobel’s and similar
projects. An entertaining case in point is Miller’s
The ‘Sobel Effect’, subtitled The Amazing Tale of
How Multitudes of Popular Writers Pinched All
the Best Stories in the History of Science and
Became Rich and Famous while Historians Lan­
guished in Accustomed Poverty and Obscurity,
and How this Transformed the World. A Reflec­
tion on a Publishing Phenomenon. Miller’s take
on the phenomenon is detailed and convincing;
nevertheless, this reader could not shed the im­
pression of simple professional jealousy at work
here, although Miller tries hard to overcome this
and to cast his essay as an intellectual mindgame.23 The history of science, after all, does not
have proprietors, and writers of popular books
tend to be better paid than academics. For pres­
ent purposes, it is interesting that Miller sees a
common denominator in Sobel-style books in
their reliance “on the trope of heroic discovery,”
and he then proceeds to isolate a number of sci­
entific “hero types.” (Miller 189-190) He seems
to take this as evidence for the lack of imagin­
ation on the part of the respective writers, while
it could point to their ingenuity: one of the best
ways to make scientific detail – bi-metallic strips
and grasshopper escapements – interesting to a
wider audience is to embed them in discourses
of the heroic.
Arguably, John Harrison is a very suitable Brit­
ish hero because, despite all the superlatives sur­
rounding him, he still stands for understatement.
helden. heroes. héros.
His heroics are understated [and underrated]
heroics. This, as Alistair Cook jokingly remarked
in his introductory speech to the Longitude Sym­
posium, seems to be the bane also of Harrison’s
afterlife:
But I find John Harrison to be a close com­
petitor [to Darwin] for tenacious scholarly
industry. He hears, when he’s 21, that the
government is offering a prize (the stupen­
dous amount of £20,000) for an accurate
marine timekeeper. ‘Promptly,’ it says in
my account, he settled to the problem and
solved it – promptly? – in 45 years. And,
promptly, the British government paid him
his prize – fourteen years later, when he
was 80! Well done! No wonder you’re
cele­brating his birth tonight, promptly 300
years after the event. (Cooke 18)
This is a humorous account, but it speaks for the
remarkable staying power of John Harrison, his
discovery, and his story through time. Discours­
es of the heroic are pertinent and potent in mak­
ing technological progress and scientific discov­
eries accessible and popular, and are hence a
force to be reckoned with in the dissemination of
knowledge.
1 For an interview with Dava Sobel on the inception of her
first book, see the 2008 Harper edition’s appendix: There
Were Only Small Plans. Travis Ellborough talks to Dava So­
bel 2-7.
2 Besides Longitude, Dava Sobel is the author of Galileo’s
Daughter [2000], The Planets [2005], and A More Perfect
Heaven [2011], and translator of the letters of Suor Maria
Celeste [Galilei] to her father.
3 See, for instance, the fact sheet by the Royal Naval Mu­
seum Library, “Biography: John Harrison.”
4 The spellings of the Admiral’s name vary. Numbers of
casualties are also uncertain, varying between 800 and 2000
seamen. For accounts of the Scilly disaster, see for instance
Lewis 2006, the information sheet of the Royal Naval Muse­
um Library, and of course Sobel’s Longitude 11-13. Note that
Sobel’s account is the most melodramatic of the three: She
includes the story of Sir Cloudesley’s murder as a fact. How­
ever, it was never proven that he was still alive when washed
on the shore and murdered by a local woman for a ring that
he wore.
5 King’s article includes biographical information on John
Harrison. The biography by Humphrey Quill [John Harrison:
The Man Who Found Longitude, 1966] is unfortunately out of
print.
6 For a neutral account of the negotiations between John
Harrison and the Board, and for the behaviour of the Royal
Astronomer Nevil Maskelyne, see, for example, Randall 247252, Langley 822, and Bailey 412-418.
7 However, Sobel provides a brief overview of Harrison’s
life in her first chapter, which makes her book less of a thriller
than it could have been, and gives it a more serious layout.
8 Essentially, the lunar distance method keeps time by
measuring the movement of the moon against the sun and
the stars; see Howse, and Sobel’s chapter 3.
127
Ulrike Zimmermann
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9 As already mentioned above, the Longitude Prize was
never awarded, as Sobel herself writes in her 13th chapter, cf.
Sobel, Longitude 149.
10 One could also speculate about the sounds of the two
men’s names, with the Latinate Maskelyne in opposition to
the plain English Harrison, and the associations evoked by
this. See The Internet Surname Database.
11 Taylor and Wolfendale also make note of Harrison’s
appreciation within the lofty circles of the Royal Society:
“Insofar as the Astronomers Royal were all Fellows of the
Royal Society and these office-holders were all in favour of
the ‘lunar method’, it might have been expected that the So­
ciety would be anti-Harrison. However, this was not the case.
Even the astronomers soon came to realize that they were
dealing with a brilliant man, albeit one who could be argu­
mentative and self-opinionated […].” (57)
Works Cited
Andrewes, William J. H. “Even Newton Could Be Wrong: The
Story of Harrison’s First Three Sea Clocks.” The Quest for
Longitude. The Proceedings of the Longitude Symposium,
Harvard University, Cambridge, Massachusetts, November
4-6, 1993. Ed. William J. H. Andrewes. Cambridge, Mass.:
Collection of Historical Scientific Instruments, 1996: 189234.
---. “Introduction.” The Quest for Longitude. 1-9.
Asch, Ronald G. “The Hero in the Early Modern Period and
Beyond: An Elusive Cultural Construct and an Indispens­
able Focus of Social Identity?” helden. heroes. héros.
E-Journal on Cultures of the Heroic. Special Issue: Lan­
guages and Functions of the Heroic. 1 (2014): 5-12. DOI
10.6094/helden.heroes.heros./2014/QM/02
12 For a concise comparison of H1-H4, see the page by the
National Maritime Museum, John Harrison and the Longitude
Problem.
Bailey, John F. “Longitude and the Sea Clock.” History Today
20. 6 (1970): 410-418.
13 For an account of how advanced scientific knowledge
made British colonial expansion possible, and of the impor­
tant role the makers of precision instruments played at the
time, see Drayton.
Betts, Jonathan. “John Harrison (1693-1776) and Lt. Cdr
Rupert T. Gould R. N. (1890-1948).” 14 July 2014 <http://
www.rmg.co.uk/sites/default/files/media/pdf/Gould-Harri­
son-longitude-JBetts.pdf>
14 For a concise biography of Gould, see Betts.
“Biography: John Harrison. John Harrison and the Finding
of Longitude.” Royal Naval Museum Library. 2004. 14 July
2014.
<http://www.royalnavalmuseum.org/info_sheets_
john_harrison.htm>
15 See “History: John Harrison” on the Westminster Abbey
site.
16 Harrison had declined to become a Fellow; see Taylor
and Wolfendale 59.
17 In late May 2014, the timekeepers had been relocated
in preparation for the special exhibition and could be seen in
an ignominious and rather cramped position in a display right
next to the National Maritime Museum’s shop. In the current
special exhibition, they are not quite as central as one might
have expected but share pride of place with a great number
of other artefacts.
18 See http://www.rmg.co.uk/whats-on/events/shipsclocks-stars
19 Dunn and Higgitt include Daval Sobel in their sugges­
tions for further reading, stating that she narrates “from John
Harrison’s perspective.” (Dunn and Higgit 244)
20 Asch speaks about “cycles of hero worship and of the
rejection of the heroic, a sort of continuous boom and bust of
heroic values and patterns of behaviour” (Asch 8), which may
also be a suitable image in Harrison’s case.
21 On popular culture and its blurred boundaries, see Sto­
rey.
22 The Longitude Problem returns to the scientific commu­
nity once more in 2014. There is a new Longitude Prize of
£10 million, “to help solve one of the greatest issues of our
time,“ expressly addressing amateur scientists. Longitude
has now become a synonym for a near-insoluble problem
of science. See http://www.longitudeprize.org/ Boyd Tonkin
comments critically on the phenomenon in The Independent
and, while calling Harrison “the perfect hero for our time”
(Tonkin 2014) because he was self-taught, urges a more sol­
id foundation for the dissemination of scientific knowledge,
and a more solid funding for the educational system. Tonkin
rightly emphasises that the Harrisons of this world are the
exception.
23 In a similar vein, Matthews analyses Sobel’s book and
its effect, stating that his own scholarly monograph on sci­
ence education “enjoyed about one-thousandth of the sales
of Longitude” (1). Looking at the factors for Sobel’s success,
he also names Harrison an “unlikely hero” (2) and takes
issue with her hyperbolic subtitle. His (somewhat unsurpris­
ing) conclusion is that academic history and popular history
are different genres, which, however, might mutually profit
from the other’s strategies in presenting their subjects.
“Biography: Cloudesley Shovell.” Royal Naval Museum Li­
brary. 2007. 14 July 2014. < http://www.royalnavalmuseum.
org/info_sheets_cloudesley_shovell.htm>
Cooke, Alistair. “La Salle: When Ignorance Was Death.” The
Quest for Longitude. The Proceedings of the Longitude
Symposium, Harvard University, Cambridge, Massachu­
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Drayton, Richard. “Knowledge and Empire.” The Oxford His­
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Howse, Derek. “The Lunar-Distance Method of Measuring
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the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge,
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Barton upon Humber; Lincolnshire’: The Wooden Clocks,
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the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge,
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131
Reinhard Nachtigal
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?
Der russische Feldherr Alexander Suworow als Kristallisationsfigur eines neuen
Nationalmythos. Zu den neuen Biographien von Wjatscheslaw Lopatin und
Arsenij Samostjanow
Die Biographik zum russischen Feldherrn und
Generalissimus Alexander Suworow [17301800] hat in Russland eine lange Tradition. Sie
beginnt schon zu seinen Lebzeiten mit Aufzeichnungen seines deutschen Sekretärs Friedrich
Anthing [erschienen auf Russisch in drei Teile­n,
St. Petersburg 1799-1800]1, setzt sich nach
seine­m Tod mit der anekdotischen Biographie
von Jegor B. Fuchs [russ. Fuks] aus dem Jahr­e
1811 fort und findet ihren ersten Höhepunkt mit
einer zweibändigen Geschichte russischer Feldmarschälle und Generalissimi des hochrangigen Staatsbeamten Dmitrij Bantyš-Kamenskij
[1840] sowie der ersten reinen Suworow-Biographie von Nikolaj Polewoj [1796-1846] im Jahre
1843.2 Suworows Siegeszug in der russischen
Geschichts­schreibung fand in der ersten Jahrhunderthälfte nach seinem Tod statt, trotz Napoleons Russlandfeldzug und den anschließenden
Befreiungskriegen, die in Russland bis heute
‚Vaterländischer Krieg‘ genannt werden. In ihm
erwuchsen neue Helden, die zeitweise Suworows Ruhm verdeckten. Das bewirkte qualitative
und Tendenz-Verschiebungen, denn Suworow
war nicht wie Kutusow ein Verteidiger des angegriffenen Vaterlands, sondern ein Eroberer
und ‚Mehrer des Reiches‘, ein Exponent der
russischen Expansion. Im Laufe der Jahrzehnte
bis zum Ende des Zarenreichs 1917 wurde er in
diesem Sinne und im Unterschied zu Kutusow
zunehmend eine nationalpatriotische ‚russische‘
Heldenfigur, während er bis in die Zeit der Befreiungskriege noch eine gesamteuropäische
Erscheinung gewesen war, deren Leistung auch
das europäische Ausland würdigte. Im turbulenten 20. Jahrhundert erlebte seine Heroisierung
dann die größten Konjunkturausschläge, von
völligem Verschweigen bis etwa 1938, über den
Höhepunkt unter Stalin und der Rücknahme in
der späteren Sowjetzeit – aus Rücksicht auf
‚Bruderstaaten‘ wie Polen.
Ab den 1970er Jahren, zu einer Zeit, als sich
im Westen kaum noch jemand seiner erinnerte,
verschwand Suworow auch weitgehend aus der
helden. heroes. héros.
russischen Öffentlichkeit.3 Das zweihundertste
Jubiläum seines Alpenzugs vom Spätsommer
1799 brachte dann auch im Westen einige wenige Publikationen hervor, als bedeutendste eine
kommentierte Kartensammlung des Alpenzugs
von Bellinzona nach Lindau, eine großzügige Schweizer-russische Koproduktion mit dem
Russischen Militärhistorischen Staatsarchiv in
Moskau. Diese verfolgt aber weder heroisierende Tendenzen noch interessiert sie sich für den
unmittelbar voraufgegangenen sieg- und ruhmreichen Italienfeldzug vom Sommer 1799. In
Moskau erschien unter der Herausgeberschaft
von Generalleutnant Wladimir AntonowitschSolotarjow und mit staatlicher Förderung zum
200jährigen Jubiläum ein umfängliches, reich
bebildertes ‚Monographie-Album‘, das schon im
Titel den Begriff ‚Ruhm‘ führt.4 Wie weit es mit
einer für russische Verhältnisse eher mittleren
Auflagenzahl von 3.200 in der Russischen Föde­
ration verbreitet ist, lässt sich schwer abschätzen. Verbreiteter scheinen dünnere Publika­
tionen in Form von Broschüren zu sein, die seit
den späten 1990er Jahren veröffentlicht werden.
Das unterstreicht die Bedeutung neuerer bio­
graphischer Werke zu einem politisch relativ unverfänglichen Nationalhelden.
Seit 2000, wohl nicht zufällig mit der Ernennung Wladimir Putins zum Nachfolger des russischen Präsidenten Boris Jelzin, erscheinen
zunehmend Publikationen, die Suworow zum
Gegenstand haben: als historische Figur, als
Romanheld, in Verklärung als Dichter, Heiliger,
Engel, Prophet, Erzengel [russ. archistratig/
архистратиг, griech. άρχιστράτηγος als Bei­
name des Erzengels Michael in seiner Funktion als Anführer der himmlischen Heerscharen],
schließlich als Genie. Hier zeichnet sich eine
Verwandlung der inzwischen multifunktionalen
Heldenfigur ab, und zwar nur in Russland, während ausländische Beiträge entweder rein biographisch-historisch oder ‚alpinistisch‘ orientiert
sind.
Reinhard Nachtigal
132
Dieser auffallenden Metamorphose nachzugehen und ihre Ursachen und Trends vor dem
Hintergrund eines in Russland lange etablierten Suworow-Bildes aufzuspüren, versucht der
vorliegende Literaturbericht, der anhand der
Suworow-Heroisierung zu weiteren Schlüssen
gelangt, die für einen Bedarf an Nationalmythen
und -helden im heutigen Russland zu sprechen
scheinen.
In der Sowjetzeit war Suworow vor allem
durch den historischen Roman von Leontij Rakowskij [1896-1979, Schriftsteller des sozialistischen Realismus] eine populäre Figur.5 Dessen
Werk, das seit 1938 [formelle Erstauflage 1941]
durch mehrere und vor allem hohe Auflagen im
ganzen Sowjetstaat verbreitet war, beruht auf
zahlreichen Anekdoten und Legenden, die seit
den Lebzeiten Suworows gesammelt und veröffentlicht wurden. Allerdings liegt der Akzent in
diesem Roman nicht auf dem nationalen, russischen Heroismus, sondern ist imperial bestimmt,
wie es für das seit 1940/45 expandierende Sowjetreich gut passte.
Ähnliches gilt für den vielschreibenden Autor Sergej T. Grigorjew [1875-1953], dessen
historische Erzählung Suworow 1939 erstmals
aufgelegt wurde und bis 2012 noch höhere Auflagenzahlen als Rakowskij erreichte, allerdings
mit einer deutlichen Abflachung in der späten
Sowjetzeit und den 1990er Jahren. Für eine
kürzere Suworow-Erzählung, Fähnrich zur See
Suworow (russ.: Mičman Suvorov), die sich auf
eine Episode in Suworows Dienst als Festungsinspekteur auf der karelischen Landenge im
Jahre 1791 bezieht, ließ sich nur eine Auflage
aus dem Jahre 1945 feststellen. Aber auch sie
hat zum Anekdotenreichtum und zur Legendenbildung um Suworow beigetragen, was im Laufe
des 20. Jahrhunderts zur sagenhaften Vielfältigkeit und großer Ausdeutungsmöglichkeit bei der
Figuration dieses Helden führte, an deren Ende
nun der mythische Topos eines unerklärlichen
Wunders steht.6
Beide Schriftsteller veröffentlichten seit den
frühen 1940er Jahren Erzählungen und Romane
auch über andere heroisch-nationale Figuren der
russischen Geschichte, etwa den Feldmarschall
Kutusow [1745-1813] und Admiral Uschakow
[1744-1817]. Bemerkenswert scheint hier, dass
beide Autoren sich fast ausschließlich historischer Helden der älteren russischen Geschichte
[18. und 19. Jahrhundert] bedienen, ganz selten
solcher des Zweiten Weltkriegs [in Russland
bis heute: ‚Großer Vaterländischer Krieg‘] oder
der Bürgerkriegszeit, die in den 1920er Jahren
und nach 1945 im Bewusstsein der Sowjetbürger eine Rolle spielten. Auch Persönlichkeiten
der ältesten russischen Geschichte, von Alex­
ander Newskij bis Peter dem Großen, kommen
selten vor. Alle diese Heldenfiguren wurden
aber übernational, imperial gedeutet und dienten vor allem als Anschauungsobjekte und Vorbilder für die ‚reifere Schuljugend‘. Gleichzeitig,
so bislang der Eindruck, scheint die Dominanz
der seit 1940 über Jahrzehnte erfolgenden belletristischen Bearbeitung des Suworow-Themas
dafür gesorgt zu haben, dass eine historisch
[-kritische] Ausein­
andersetzung, freilich unter
ideologischen Prämissen, mit der Heldenfigur,
ihrer militärischen Leistung, ihrem militärtheoretischen Schaffen und Suworows sogenannter
Pädagogik nur im Schatten vegetierte.
Neben wenigen wissenschaftlichen Studien
zu Suworow, vor allem aus der späteren Sowjetzeit, haben sich die älteren Suworow-Biographien der Zarenzeit und historische Betrachtungen bis heute kaum durchsetzen können: In
Fortsetzung sowjetischer Tradition wird die Figur
im postsowjetischen Russland Putins überhöht
und entrückt. Allerdings mit einigen neuartigen
Besonderheiten. Die zeitgenössischen, z. T.
jüngeren Biographen lehnen sich nicht an die
belletristischen Werke ihrer Vorgänger an, sondern an historische Autoritäten der Zarenzeit
wie Alex­ander Petruschewskij [1826-1904], allerdings ohne dies immer deutlich zu machen.
Ihre wissenschaftlich gekleideten Studien dienen dabei klar der Schaffung eines national-russischen Heldenmythos, in dem Suworow in einer
Weise an die vorderste Stelle gerückt wird, wie
es nicht einmal in der Sowjetzeit üblich war. Im
Jahre 2012, und auch danach, standen der Vaterländische Krieg 1812/13 und Kutusow auf der
Agenda der russischen Historiker und des nationalen Gedenkens, wie man an dem Angebot in
den Buchläden ablesen konnte.7 Schon in den
1990er Jahren, als sich der Rezensent mehrfach
zu Forschungen in Russland befand, spürte man
das Bedürfnis nach einer Neu-Vergegenwärtigung der älteren russischen Geschichte vom
18. Jahrhundert bis zum Ende des Zarentums.
Dies schlug sich nieder in Publikationen zur Zarenarmee, Militärgeschichte, zu Katastrophen,
Intrigen und Verschwörungen etc., aber auch in
der Begeisterung für Uniformen und Orden. Suworow erschien darunter kaum, selten allerdings
auch andere russische Militärhelden, doch fällt
die militärische Ausrichtung des Interesses auf.
Im Unterschied zum Vaterländischen Krieg
von 1812 und Kutusow liegt nun aber im Falle
Suworows kein Jubiläum vor. Das zweihundertjährige Jubiläum des Italienfeldzugs und der
Alpenüberquerung, die Suworows Ruhm wesentlich ausmach[t]en, war 1999 in Russland
verschlafen worden.8 So wurde in Russland beklagt, dass in jenem Jahr wohl ein neuer russischer Spielfilm zum Pugatschow-Aufstand entstand, Suworow aber vergessen worden war.
helden. heroes. héros.
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?
Allerdings brachte die Bank von Russland zwei
Gedenkmünzen zum 200. Todesjahr Suworows
heraus. Der jüngste Suworow-Kenner, Arsenij
Samostjanow [geb. 1978], veröffentlichte seine
erste Suworow-Publikation im Jahr 2000, seine
größeren Arbeiten zu diesem Helden erschienen
erst danach.
Doch wenden wir uns zunächst einem älteren
Suworow-Biographen zu, Wjatscheslaw Lopatin
[geb. ca. 1937], der sein Leben lang zu Suworow und der Zeit Katharinas II. von Russland
[1729-1796, regierte 1762-1796] geforscht hat.
Von ihm liegen als solide Beiträge zum Zeitrahmen und den historischen Personen vor: ein
Quellenband von 1986 mit Suworows Briefen,
der Schriftverkehr Potemkins mit der ihm 1774
heimlich angetrauten Zarin Katharina, erschienen 19979, und eine biographische Studie von
1992 zum vermeintlichen Gegensatz zwischen
Potemkin10 und Suworow, bezogen auf die Jahre
von 1773 bis 1791. Hier wie in seiner Biographie
von 2012 zeigt Lopatin auf, dass die Rivalität
zwischen dem älteren Suworow und dem ihm
vorgesetzten, neun Jahre jüngeren Favoriten
der Kaiserin nicht sehr tiefgründig und nur punktuell war. Sein durch ausgiebige Archivstudien
begründeter Befund lautet, dass es zwei Themen gab, die gegen Ende von Potemkins Leben
eine Trübung des Verhältnisses der beiden sehr
unterschiedlichen Feldherren bewirkten. Im Übrigen habe sich Suworow stets loyal und partnerschaftlich seinem Oberkommandierenden,
seit 1784 faktisch auch russischer Kriegsminister, untergeordnet. Zum einen habe Potemkin,
der bei der Zarin schon zugunsten eines jüngeren Favoriten, dem Grafen Platon Subow, in Ungnade gefallen war, Suworow die Auszeichnung
mit einer Ehrenmedaille nach der Einnahme der
stark befestigten türkischen Festung Ismail 1790
geneidet, auf der der Feldherr mit herakleischen
Attributen wie dem Löwenfell im Profil dargestellt
ist. Potemkin selbst hatte zuvor drei solcher Medaillen nach eigenen Siegen erhalten. Das zweite Thema hängt mit der Familie Subow zusammen, aus der der Bräutigam der von Suworow
über alles geliebten Tochter Natalija, von ihm
zärtlich ‚Suworotschka‘ genannt, stammte. Hier
wurde der Feldherr quasi in Sippenhaft genommen, denn Potemkin stand den Subows feindlich
gegenüber.
Lopatin veröffentlichte 2001 eine auf Archivdokumenten und Anekdoten beruhende Biographie Suworows, die hier aber nicht Gegenstand
ist, weil in seine Biographie von 2012 alle vorherigen Studien eingegangen sind. Gleiches gilt für
seine Potemkin-Biographie aus dem Jahr 2004,
die in derselben Reihe wie seine Suworow-Biographie von 2012 erschienen ist. Schließlich hat
er sich auch über das Verhältnis Napoleons zu
helden. heroes. héros.
seinem Marschall Berthier geäußert, worüber
1992 eine 32seitige, selbständige Publikation
entstand.
Lopatins lebenslange Forschungen lassen
sich mit zwei Motiven hinlänglich charakterisieren. Das eine war schon Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung, der vermeintliche
Gegensatz zwischen Suworow und Potemkin,
eine Behauptung, die Lopatin glaubhaft relativieren kann und als Entfremdung in Potemkins
letzten Lebensjahren darstellt. Das zweite Motiv greift hingegen Heroisierungsprozesse auf.
Es betrifft die häufige Zurücksetzung Suworows
und die Herabwürdigung seiner militärischen
Leistungen, die ein ehrgeiziger Feldherr wie Suworow nur schwer verwinden konnte. Obwohl
aus angesehener, adeliger Familie stammend,
stieg er nach langjährigem Militärdienst als Unteroffizier verspätet zum Stabsoffizier auf. Auch
nach seinen Siegen wurde er bei Beförderungen
und Auszeichnungen immer wieder übergangen,
während dem Hofe nahestehende Günstlinge
ohne größere Verdienste rasch in Generalsränge aufrückten, mitunter ohne wirklich Schlachten
gesehen oder geschlagen zu haben. Vergleicht
man das Ordens- und Auszeichnungswesen
der Zarenzeit mit dem der Sowjet- und der postsowjetischen Zeit, so wird diese fortgesetzte
‚Schmähung‘ auch nachvollziehbar. Wurde Potemkin, der heute unter den russischen Heroen
kaum in Erscheinung tritt, schon mit 45 Jahren
Feldmarschall, so erhielt Suworow diesen Rang
erst mit 64 Jahren und eigentlich vier Jahre zu
spät, als es seine Siege von 1788/89 und 1790
hätten erwarten lassen. Suworow ‚rächte‘ sich
mit einer zunehmenden ‚Schrulligkeit‘ in einer
angenommenen Rolle als Sonderling.
Zurücksetzung, Ehrverletzung, nicht ausreichende Anerkennung seiner Verdienste und
eine Lebensweise, die als besonders asketisch,
schlicht und soldatisch hervorgehoben wird, genügen Lopatin, um die historische Figur zum
Heros zu stilisieren. Tragik und Viktimisierung
eines aufrechten, edlen und soliden Helden
ohne Tadel – für Lopatin sind dies ausreichende
Merkmale, um aus Suworow die herausragende
Gestalt eines nationalrussischen Mythos zu kreieren. Mehr aber auch nicht.
Viel weiter geht der zweite Autor, Arsenij Samostjanow, der einer Generation angehört, die in
den Jahren von Russlands Niedergang während
der 1990er Jahre sozialisiert wurde. Seine Karriere als Geisteswissenschaftler begann er um
2000 mit ersten Publikationen, darunter seine
erste zu Suworow. Ihm näherte er sich als Literaturwissenschaftler, wenngleich er vorrangig
mit historischen Werken hervortritt. Mittlerweile
hat er in kürzester Zeit mehr über Suworow publiziert, als jeder andere russische Autor.11
133
Reinhard Nachtigal
134
Eine erste umfassendere Biographie, aber
bereits mit klarer Deutung, ist seine 2006 erschienene Monographie zum 275. Geburtstag
Suworows.12 Zurückschauend von der jüngsten
Biographie seines Helden auf die Publikation
des Jahres 2006 kann diese als Kurzfassung gesehen werden. Allerdings steht hier die Rezeption der Figur im Vordergrund: in der russischen
Literatur und Kultur seit dem 19. Jahrhundert [50
Seiten], in den künstlerischen Medien von Theater und Film [30 Seiten], schließlich mythologisierende Prozesse [50 Seiten]. Die Zeitgenossenschaft von Suworow und Derschawin [russ.
Deržavin]13 als kongeniale, „große Nachbarschaft in der russischen Kultur“ (Zamost’janov
Suvorov byl neob’’jasnimym čudom 123-159)
und das Urteil von Freunden und Feinden über
Suworow machen ebenfalls zentrale Teile des
Werks aus.
Zwei Jahre später erschien eine noch ausgreifendere Biographie, in der Suworows militärische Leistung behandelt und überhöht wird,
Alexander Suworow, Gott des Krieges. Auch die
‚Erkenntnisse‘ dieser Studie gingen in das nachfolgend besprochene Hauptwerk Samostjanows
ein.
Ein wichtiger Meilenstein in Samostjanows
Annäherung an seine(n) Helden ist die 2010 veröffentlichte Studie zur ‚Russischen Heroik‘, also
dem heroischen Thema und heroisierenden Werk
in der russischen Literatur.14 In einem chronologischen Durchlauf von der alten Rus‘ über das petrinisch-katharinäische Zeitalter und Puschkin bis
zur von ihm für unerlässlich gehaltenen Heroik
in Schulbüchern des heutigen Russlands kommt
er zum Schluss, dass die/eine Gesellschaft nicht
ohne Helden auskommt.15 Samostjanows Heroismus leitet sich von einem göttlichen Funken ab
und ist geistig-beseelt, die Heldentat selbst ist
ganz kriegerisch-militärisch definiert und erfüllt
eine erzieherisch-aufklärerische Funktion.16 Der
russische Heroismus ist ihm zufolge klar national
und patriotisch (Zamost’janov Russkaja geroika
16), daneben auch kirchlich-religiös. Damit unterscheidet er sich deutlich vom sowjetischen
Heroismus-Verständnis, wenngleich die sowjetische Gesellschaftsideologie teilweise religiösen Status erreichte. Samostjanows russischer
Heroismus ist nationalpatriotisch, mythologisch,
legendär.
Seine Ausführungen kreisen hier von der ersten bis zur letzten Seite immer wieder um Suworow, der für ihn einen idealen Helden darstellt:
ganz gleich, ob er über die Helden der altrussischen Bylinen17 schreibt [russ. ‚bogatyr‘], über
historische Führer des russischen Mittelalters
oder der Sowjetzeit. Somit ist seine Geschichte
der russischen Heroik in weiten Teilen tatsächlich eine Heroisierung Suworows.
Als weiteres, letztlich nichts Neues bietendes
Werk ist die 2012 publizierte [und 2013 neu aufgelegte] kleinere Publikation zur Wunderhaftigkeit Suworows anzusehen.18 Ein Novum ist hier
allenfalls die religiöse Kategorie des Wunders,
des Unerklärlichen. Dies war bei der Wiederentdeckung des Helden Suworow in der Stalinzeit
nicht denkbar, die positivistische Ideologie des
atheistischen Staats kannte keine Wunder, sondern nur deterministische Gesetzmäßigkeit.
Es ist nun fraglich, ob man Samostjanows
eigenem Hintergrund Beachtung schenken oder
seine auf Suworow bezogenen Werke für sich
sprechen lassen sollte,19 denn sie zielen in eine
andere Richtung als Lopatins Forschung, wie
Samostjanow schon in der Einleitung seines
Hauptwerks, Genie des Krieges, betont. Sein
Held ist seinem „glücklichen, starken, geduldigen, sanften und weisen“ Vaterland treu und
Ausdruck des russischen Nationalcharakters,
während Russlands Feinde das Land bevorzugt
schwach, betrügerisch, aggressiv und grausam
sähen. Nach dieser ja nicht unrichtigen Einstimmung konstatiert er, dass Suworow eine „wahrhaft nationale Heldenlegende“ sei (Zamost’janov
Genij vojny 5-8 (Vorwort).). Dazu passt die Auffassung von seiner Biographie als einer Erzählung, einem Narrativ, was den Leser zur Frage
führt: Handelt es sich um eine wissenschaftliche [bzw. historische, wenn auch nicht kritische]
Studie oder um historische Fiktion, um Legendenbildung? Der Leser mag dies am Ende der
Lektüre selbst entscheiden, wobei ihm auffallen
wird, dass eine etwa fünfseitige, alphabetisch
ungeordnete ‚Kurze Bibliographie‘ im Anhang
den ganzen Apparat des Werks darstellt und
nichtrussische Literatur keine Berücksichtigung
fand. Nach weiteren heroisierenden Zuschreibungen und Überhöhungen [„erster Degen des
Reiches“, „Vater des Vaterlandes“, „verabscheut
Gewalt zur Disziplinierung der Soldaten“, (ebd.
10-11)] konstruiert der Verfasser einen essentiellen Gegensatz zwischen Russland bzw. allem
Russischen und dem Deutschen/Preußischen.
Da hierzu auch Österreicher und Baltendeutsche
gezählt werden, kann man in Samostjanows Sinne den für das 18. Jahrhundert unklaren Begriff
„Deutschland“ ignorieren. Baltendeutsche Offiziere, die seit Katharina der Großen ver­stärkt
in russischen Dienst traten, auch weil sie als
Fachleute gebraucht wurden, sind für ihn gegenüber Soldaten tendenziell grausam und als Offiziere unfähig. Russisches Militär und Taktik sind
stumpfsinnigem preußischen Drill überlegen,
während die preußischen Strategen weder den
Bajonettangriff noch rasche Manöver beherrschen. Der somit konstruierte Gegensatz bleibt
Tenor in Samostjanows Deutung der Geschichte, nicht nur in seinen auf Suworow bezogenen
helden. heroes. héros.
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?
Werken. Ein weiteres Stereotyp wird ebenfalls
früh eingeführt: Suworow kämpfte immer gegen
eine Übermacht, doch hatten seine Truppen in
aller Regel bedeutend weniger Verluste als der
Gegner,20 bei dem es sich allerdings meist um
Türken oder Polen handelte, deren Armeen weniger modern als die russische waren. Schließlich
war auch die von Peter dem Großen geschaffene Artillerie eine von allen Gegnern Russlands
gefürchtete Waffe. So hatten russische Artilleristen in der Zarenzeit einen höheren Rang als ihre
Kameraden der Linieninfanterie.
Auch ehrverletzende Zurücksetzung wie
ausbleibende Auszeichnung, Beförderung und
Geringschätzung bzw. Verringerung der Verdienste Suworows in den Berichten an die Zarin sind bei Samostjanow wichtige Motive, die
den Weg zur Heroisierung ebnen. Da Suworow
schon nach einem frühen Sieg 1773 in Russland
berühmt gewesen sei, habe ihn sein Vorgesetzter Rumjanzew 1774 nicht zur Niederschlagung
des Pugatschow-Aufstands abkommandiert, um
der – auch gegenüber dem Ausland – peinlichen
Angelegenheit keine zu große Aufmerksamkeit
zukommen zu lassen, was übrigens auch Lopatin berichtet. So kam Suworow verspätet in das
Aufstandsgebiet, er konnte den bereits gefangenen Rebellenführer in Empfang nehmen und
im Käfig weiter nach Moskau schicken, danach
bekämpfte er die Reste der Aufstandsbewegung
östlich der Wolga. Bei seinen darauf folgenden
Kriegszügen verfängt sich der Autor in pazifistisch-humanitäre Zuschreibungen der russischen Expansion, für deren Exponent er Suworow richtigerweise hält:21 Nicht nur in Bezug auf
die Katharinenzeit sieht er aber alle russischen
Gebietserwerbungen als Folge russischer Verteidigungsakte, nie habe das Land wie die Kolonialmacht England fremde Völker unterdrückt.
Kausal wird daraus geschlossen, dass die kleinen Völker im russischen Staatsverband deswegen auch bis heute ihre Eigenart bewahrt hätten.
Immerhin: Suworow ist für ihn klar der Repräsentant eines territorialen Imperialismus [„imperialistischer Suworow“ (z.B. Zamost’janov Genij
vojny 127)]. Schon vor seinem Sieg bei Kinburn
1788 und den Siegen in Rumänien [Focşani,
Rymnic] 1789 sei Suworow für Europa ein russischer Held gewesen. Habe er schon nach der
Niederschlagung des Pugatschow-Aufstands
1775 eine Zurücksetzung durch die Zarin erfahren, so erwartete ihn eine solche auch nach den
neuen Siegen, da die Beförderung zum Feldmarschall ausblieb. Auch dass er im Oktober 1789
zum russischen Grafen ‚von Rymnik‘ [russ.: graf
Rymnikskij] und zum Grafen des Heiligen Römischen Reiches erhoben wurde, habe den ehrgeizigen Feldherrn nicht entschädigen können. Im
privaten Schriftverkehr nannte er sich seitdem
helden. heroes. héros.
und bis zur Erhebung in den Fürstenstand ‚Graf
zweier Reiche‘ [‚graf dwuch imperij‘].
Der Sieg über die türkische Festung Ismail
am Kilia-Arm der Donau-Mündung im Dezember
1790 brachte zwar den Durchbruch seines Ruhmes und seiner Heroisierung: Die Zarin stiftete
eine Goldmedaille, auf der er mit dem Löwenfell
abgebildet ist; russische Odendichter wie Jermil Kostrow [1750-1796], Gabriel Derschawin
[1743-1816]22 und die jung verstorbene Maria
Pospelowa [1780-1805] besangen den siegreichen Feldherrn. Aber wieder blieb die Beförderung des 1786 zum General en chef aufgerückten Helden aus, vielmehr fühlte er sich auf
seinem neuen Posten im Norden Russlands
und am Schwarzen Meer abgeschoben. Eine
weitere Zurücksetzung bedeutete in dieser Zeit,
dass die Feierlichkeiten zum Sieg über die Türken im gerade fertig gestellten Taurischen Palais
zu Petersburg über Wochen pompös begangen
wurden, während der Feldherr des Sieges in der
russischen Provinz schmorte.
Zwischen 1791 und 1794 war Russland an
keinem Krieg beteiligt, allerdings wurde 1793
die zweite Teilung Polens zwischen Preußen
und Russland vollzogen. Dies führte mittelbar
zu Unruhen in Polen, die im April 1794 in den
Kościuszko-Aufstand mündeten. Polnische Milizen überfielen die russischen Besatzungen u. a.
in Warschau, und wieder war Suworows Stunde gekommen. Im Oktober nahm er mit seinen
Truppen die östlich der Weichsel gelegene Warschauer Vorstadt Praga ein, wobei es ihm nicht
gelang, die Disziplin seiner Truppen aufrechtzuerhalten, die mordend und Brände legend
über die Weichsel nach Warschau zu gelangen
trachteten. Samostjanow verschweigt das nicht
und nennt die Zahl von 20.000 toten Zivilisten
mit dem Hinweis, dass in der Sowjetzeit diese
Episode übergangen wurde und in Verfilmungen
ein Problem darstellte, das man durch Weglassen löste. Aber Ende 1794 habe die Situation in
Polen derjenigen in der Ukraine im Jahre 2013
geähnelt: eine lächerliche Maidan-Bewegung
schürte gleichermaßen religiösen und ethnischen Hass, Jakobinismus und Revolution hätten gedroht (vgl. Zamost’janov Genij vojny 224).
Mit Bedauern stellt er fest, dass Suworow spätestens seitdem in Westeuropa als Schlächter
und Barbar gesehen werde. Dieses Bild wurde
fast dreißig Jahre nach dem Ereignis in George
Gordon Lord Byrons satirischem Epos Don Juan
aufgegriffen. Darin ist Suworow nicht nur ganz
unheroisch dargestellt, sondern die dort geschilderte Eroberung Ismails 1790 wird zum Anlass
einer „ätzenden Demaskierung von Krieg und
Heroismus“ genommen (Kindlers Literatur Lexikon 2815).
135
Reinhard Nachtigal
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Samostjanow bedauert diese „völlig falsche Einschätzung“ seines Helden und stellt dem nun
entgegen, dass Suworow als besonders mild
gegen die Besiegten geschildert wird und mit
seinen Gefangenen „anders als Napoleon und
die Briten in Indien“ verfuhr (Zamost’janov Genij vojny 116-117). Demnach war Suworow sogar der zitierten Meinung, die Polen liebten ihre
russischen ‚Befreier‘, während sie die ebenfalls
in Warschau einmarschierten Deutschen [recte:
Preußen] von ganzem Herzen hassten. Dass
Preußen an der dritten Teilung Polens 1795
Anteil hatte, hielt Suworow schließlich für ungerechtfertigt, weil Preußen sich militärisch wenig
engagiert hatte, vielleicht aber auch, weil Preußens Ruf wegen der Vorgänge bei Warschau
kaum Schaden litt, anders als der Ruf Russlands. Hier scheinen sich langfristige russische
Selbstzuschreibungen bis ins 18. Jahrhundert
zurückverfolgen zu lassen, so seltsam oder abwegig sie auch scheinen mögen.
Nach dem Tod Katharinas im November 1796
brach für Suworow eine schwere Zeit an, da er
im Gegensatz zum Preußenbewunderer Paul I.
[regierte 1796 bis 1801] die Preußen unverhohlen hasste. Er fiel in Ungnade, ersuchte und erhielt seine Entlassung, wurde aber im Mai 1797
auf eines seiner Güter verbannt, wo er fast zwei
Jahre unter Polizeiaufsicht stand. Hier greift wieder das Motiv der unverdienten Zurücksetzung:
Nicht nur wird er in der Verbannung von einem
russischen Gericht zur Unterhaltszahlung an seine untreue Gattin verurteilt, von der er seit 1779
getrennt, aber nicht geschieden, lebte. Den im
Feldzug von 1794 geschädigten polnischen Adligen wurde Wiedergutmachung von russischer
Seite zugestanden, für die Suworow post festum persönlich aufkommen sollte. Auch habe
die Weltöffentlichkeit die Ungnade gegenüber
Suworow negativ aufgenommen, während er in
der Verbannung von Spionen und Zuträgern, darunter seinem deutschen Sekretär Jegor Fuchs,
umgeben gewesen sei. In dieser Zeit öffentlicher
Demütigung haben offenbar Suworows Schrullen und Eigenheiten zugenommen, aber ebenso
die Anekdoten und Legenden über ihn. An anderer Stelle führt der Autor den Begriff von „staatlicher Undankbarkeit“ gegen den Feldherrn ein,
die dieser mit Schrulligkeit beantwortet habe
(Zamost’janov Genij vojny 440-441: bei dem russischen Wort ‚čudakovatost’‘ handelt es sich um
einen exklusiv literatursprachlichen Begriff im
Sinne von ‚Merkwürdigkeit‘, ‚Eigenart‘; das Wort
für ‚Absonderlichkeit‘ ist ‚čudačestvo‘).
Doch noch 1798 entwirft er einen Kriegsplan
gegen das revolutionäre Frankreich und sagt voraus, dass sich Preußen Frankreich unterwerfen
wird. Als er im März 1799 vom Zaren aus seiner
Verbannung geholt und mit dem Oberbefehl über
die im Zweiten Koalitionskrieg verbündeten russisch-österreichischen Truppen nach Wien geschickt wird, erwarten ihn neben seinen ruhmbegründenden Schlachten in Oberitalien von April
bis August wiederum Behinderung von höherer
Stelle, Intrigen und Beschränkungen verschiedenster Art, die vor allem vom österreichischen
Staatskanzler Baron Franz Thugut [1736-1818]
und dem von ihm beherrschten Wiener Hofkriegsrat ausgingen.
Den von Wien ausgehenden Intrigen, von
denen sich Kaiser Franz II. [1768-1835] vereinnahmen ließ, und dem Samostjanow zufolge an
Feigheit und Verrat grenzenden Verhalten des
Befehlshabers der österreichischen Truppen,
Erzherzog Karl [1771-1847], sei das Misslingen
eines durchschlagenden, endgültigen Erfolgs
Suworows gegen die Revolutionstruppen zuzuschreiben, da er vom Zaren, der von den österreichischen Verbündeten zutiefst enttäuscht war,
zurückberufen wurde. Die tieferen historischen
Zusammenhänge werden nicht nur hier vom Autor kaum richtig erfasst. Unzweifelhaft sind aber
Suworows Italienfeldzug und die Alpenüberquerung während der ersten Schneefälle im Gebirge im September 1799 eine militärische Leistung
gewesen. Der Alpenzug, auf dem fast ständig
gegen französische Truppen gekämpft wurde,
die die Ausgänge in die Zentralschweiz [Raum
Vierwaldstätter See – Zürich] versperrten, während man Alpenpässe unter widrigsten Umständen überwand, gehört zu Suworows unbestreitbarem Verdienst, der allerdings ein gutes Drittel
seiner Truppe hinwegraffte. Der Rest langte Mitte Oktober 1799 in heruntergekommenem Zustand in Chur an.
War er nach Abschluss der Kämpfe in Oberitalien im August vom Zaren zum italischen Fürsten erhoben worden, winkte ihm im Oktober
1799 der Titel eines Generalissimus, der bisher
in Russland nur an drei Feldherren vergeben
worden war, einem davon faktisch nur ehrenhalber [Herzog Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbüttel, 1714-1774].23
Suworows Genialität unterstreicht der Autor
mit dessen Absicht, die Kampfhandlungen von
Oberitalien nach Frankreich hinein und bis nach
Paris zu tragen, ein Plan, den auch die österreichische Generalität – möglicherweise unabhängig von Suworow – entwickelte. Nach dem
folgenden Zerwürfnis mit Wien tragen nach Samostjanow nicht nur die österreichische Armee,
sondern vor allem deren Befehlshaber, Michael
Baron Melas [1729-1806] und Erzherzog Karl
die Verantwortung dafür, dass der Nachschub
ausblieb, beim Rückzug falsch aufgeklärt und
schließlich ein russisches Korps im Raum Aargau/Zürich im Stich gelassen wurde. Österreichische Wortbrüchigkeit, Verrat, ja auch Falschheit
helden. heroes. héros.
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?
und Unzuverlässigkeit der ‚Geschichte der Kampagne von 1799‘ des Erzherzogs Karl bestimmen die russische Sicht des Autors, der damit
seinen Helden wiederum als Opfer äußerer Widrigkeiten zeigt und so erhöht.
Die negative Darstellung des Erzherzogs, die
dieser nicht verdient, weil auch er nur Spielball
des Wiener Hofes war und selbst von seinem älteren Bruder, Kaiser Franz II. [I.] nicht unterstützt
wurde, ist in militärgeschichtlicher Hinsicht unberechtigt. Dass ein anderer österreichischer Feldherr besser davonkommt, lässt sich wiederum
mit Suworows ‚heroischer Genialität‘ begründen.
Friedrich Josua Prinz von Sachsen-CoburgSaalfeld [1737-1815] wurde als Befehlshaber
der verbündeten österreichischen Truppen im
Koalitionskrieg gegen die Türken 1789 [Schlacht
bei Rymnic] zum kaiserlichen Feldmarschall befördert – auch das eine verletzende Zurücksetzung Suworows, der erst fünf Jahre später, im
November 1794, diesen Rang erhielt. Suworows
Verhältnis zum Prinzen war nach Samostjanow
stets ein gutes, weil dieser, ohne militärische
Originalität, aber mit der Bereitschaft, sich dem
genialeren Suworow unterzuordnen, immer ein
williger Partner gewesen sei.
Die letzten Lebensmonate Suworows, der
über Augsburg, Prag und Krakau nach Russland
zurückkehrte, schildert Samostjanow als einen
triumphalen Siegeszug. In Prag jubelten ihm
die tschechischen [sic: nicht die ‚böhmischen‘,
(Zamost’janov Genij vojny 399 u. 401.)] Eliten
zu, und der Autor, der nun patriotische Vergleiche mit seiner eigenen Gegenwart anstellt, in der
Russland vom Ausland nicht verstanden, sondern kritisiert und verleumdet würde [gemeint ist
z. B. die westliche Kritik an der pompösen Feier
zum 60. Jahrestags des Sieges über Deutschland im Mai 2005], lobt Suworows philosophische Urteilskraft: „Die Legende [R. N.: Suworow]
bedarf keines dokumentarischen Beleges“ (ebd.
407).
Im gleichen Atemzug werden verschiedene
Widrigkeiten aufgezählt, die zumindest geeignet
waren, den Helden zu hindern oder zu verleumden: der deutsche Spion Fuchs in Suworows
Umgebung, der Neid des Zaren auf seine Siege, dessen Weigerung, den Helden am Hofe zu
empfangen, schließlich Suworows ‚würdelose‘
Bestattung im Mai 1800 unter den ehrabschneidenden Auspizien eines Feldmarschalls anstelle
denen eines Generalissimus.24
Der gut einhundertseitige Abspann des Buches zu Suworows Nachleben beschwört noch
einmal das Heroische im Allgemeinen mit Bezug auf den speziellen Fall Suworow. In einer
spitzfindigen Unterscheidung zwischen dem
englisch-französischen ‚national‘, das keine ethnische Zuschreibung enthält, sondern sich auf
helden. heroes. héros.
die Staatlichkeit bezieht, und dem russischen
‚narod, narodnyj‘ [‚Volk‘ und als Adjektiv für
‚Volks-…‘, etwa Volkslied], das aber auch nicht
ethnisch bezogen ist, sondern auf die ‚Volksmasse‘ im Sinne von ‚einfachem Volk‘, wird Suworow zum allgemeinen Volkshelden und ‚genialen Sonderling‘ erhoben (Zamost’janov Genij
vojny 416). Das war er zuvor nie gewesen. Dazu
gehört auch die eher dilettantische Beziehung
Suworows zur Kunst und Dichtung [Suworow
verfasste auch selbst Gedichte], zu mytholo­
gischen Heldenliedern und antiken Helden. Anders als mit der komplexen Geschichte Europas
im späten 18. Jahrhundert betritt Samostjanow
insbesondere mit der russischen Heldenmythologie wieder vertrautes Gebiet, doch dürfte er mit
der Ansicht falsch liegen, Suworows Name sei in
Russlands ‚Vaterländischen Kriegen‘ von ‚1806,
1812 und 1941‘25 ein heroischer Topos gewesen.
Das lässt sich für die Zeit der Befreiungskriege
nicht so deutlich behaupten, und wieweit die Suworow-Tradition 1941-1945 in der Roten Armee
verwurzelt war bzw. wurde, wäre ebenfalls noch
zu untersuchen: Die Soldatenlieder jener Zeit
geben darauf jedenfalls keine Hinweise.
In seinem nationalpatriotischen Schwang
findet der Autor zu bemerkenswerten apologetischen Verdikten, die nicht ohne Selbstmitleid
sind. So lesen wir nach der Feststellung, dass
die Generäle der heutigen russischen Armee im
vergangenen Jahrzehnt die russische Militärgeschichte zu einer ‚tragischen‘ gemacht hätten,
den Satz: Der feindselige und kritische Blick auf
Suworow erkläre viel zum Verhältnis der Suworow-Legende und der ‚russisch-sowjetischen
Kultur‘ (ebd. 461).
Die Besprechung von Dichtungen auf Suworow seit dem Ersten Weltkrieg, nach 1918 vor
allem von antibolschewistischen Exil-Russen im
Ausland, ‚Weißen‘, betrieben, dient Samostjanow eigentlich nur zur Konstruktion einer synkretistisch-integrativen postsowjetischen Reichs­
identität, die über gegensätzlichen politischen
Anschauungen einem neuen Patriotismus, im
Idealfall sogar einem Nationalmythos, dienen
soll (Zamost’janov Genij vojny 470-486). Und
hier berührt er sich wiederum mit den zeitgenössischen russischen, historisierenden und heroisierenden Schöpfern einer solchen integrativen
nationalen Identität, an der seit einigen Jahren
gearbeitet wird: Die Familie des von den Bolschewiki ermordeten Zaren sei ebenso heilig wie
der in den stalinistischen Säuberungen hingerichtete Parteikader oder die NKWD-Schergen
[Tenor: „Auch Lenin gehört zur russischen Geschichte“ (ebd. 486-496)].26 Postmodernismus
und jegliche Deheroisierung lehnt der zweifelhafte Suworow-Forscher ab.
137
Reinhard Nachtigal
138
Fast versöhnlich endet Samostjanows eindimensionale Betrachtung mit der richtigen Feststellung, dass Suworows heroischer Ruhm im langen 19. Jahrhundert und noch bis zur Revolution
1917 nachlebte. Dies hat allerdings auch damit
zu tun, dass – nicht nur russische – Maler des
Realismus historische Motive und Schlachten
der Zarenarmee bevorzugt auswählten, allerdings gelegentlich auch mit kritischem Unterton,
was der weiteren Interpretation bedarf.27 Dabei
ist Suworow sogar ein Objekt internationalen
Interesses geblieben, denn die Maler kamen
aus Frankreich, Deutschland, England und Italien (Zamost’janov Genij vojny 491-496). In der
russischen bildenden Kunst ist er sogar seit den
1980er Jahren wieder ein Thema: als Bronzedenkmal oder in der Malerei.
Samostjanows Suworow-Deutungen sind vor
dem Hintergrund eines von der Regierung Putins
verordneten Patriotismus zu sehen. Seit 2001
wurden Gesetze und Anweisungen zur ‚patriotischen Erziehung‘ erlassen, die in der freien Welt
unbegreiflich sind und wundersames Erstaunen
hervorrufen. Am 16. Februar 2001 wurde die
Konzeption zur patriotischen Erziehung erlassen, am 5. Oktober 2010 ein Staatsprogramm
der ‚Patriotischen Erziehung der Bürger der Russischen Föderation für 2011 bis 2015‘.28 Dazwischen wurde 2009 sogar eine Zensurbehörde
gegründet, die Verfälschungen der russischen
Geschichte verhindern sollte.29 Russischer Patriotismus, so lernt man aus staatsnahen Publikationen, beruht auf dem vorzugsweise ‚militärischen Heldentum‘ vergangener Generationen,
das im Wesentlichen um den Zweiten Weltkrieg
kreist. Suworow wird inzwischen sogar von der
russisch-orthodoxen Kirche sakralisiert.30
Wie sich dies zu den Bemühungen der letzten Jahre verhält, einen Sowjet-Mythos mit
russischem Patriotismus zu verbinden, bleibt
zumindest außerhalb Russlands fraglich. Von
staatlich-halbstaatlicher Seite gibt es seit gut
einem Jahrzehnt ein synkretistisches Angebot an die russländische Gesellschaft. Seriöse
russische Geschichtsforschung wird sich allerdings einer heroisierenden Geschichtsklitterung
schwerlich dienstbar machen.
Im Abgleich mit älteren Darstellungen scheint die
Suworow-Verehrung mit der jüngsten SuworowLiteratur einen neuen Höhepunkt zu erreichen.
Ein Boom der russischen Suworow-Publikationen lenkt seit einigen Jahren die Aufmerksamkeit auf den russischen Generalissimus. Neben
der eher herkömmlichen, klassischen Biographie
von Lopatin weisen die Bücher des jüngeren Samostjanow in eine andere, neue Richtung. Diese
wird bestimmt von einem regelrechten Bekenntnis zur russischen imperial-imperialistischen
Expansion, deren Exponent Suworow mit seinen
siegreichen Feldzügen war. Die dazugehörende
Epoche – von Peter dem Großen bis Katharina
der Großen, mit Blick auf die russische Expansion im 19. Jahrhundert auch dieses – wird als eine
ruhmreiche, heroische begriffen. Dass in dieser
Epoche Russland wohl tatsächlich eine zivilisatorische Mission, wenn auch vornehmlich in den
vom osmanischen Reich eroberten asiatischen
Gebieten erfüllte, interessiert Samostjanow nicht
weiter: Die ‚pazifistisch-humanitären‘ Folgen der
russischen Eroberungen bleiben nebulös, wohingegen Suworows Milde gegenüber dem besiegten Feind zuweilen zynisch, dessen angebliche
Liebe zu und Achtung vor dem Sieger Suworow
[oder auch vor Russland] unglaubwürdig scheinen. Im Zusammenhang mit den territorialen Eroberungen wäre darauf hinzuweisen, dass Gebietsgewinn im russischen historischen Denken
eine zuhöchst heroisch-ruhmreiche Note hat und
möglicherweise bis heute eine ‚conditio sine qua
non‘ für russische Staatlichkeit darstellt. Honi
soit qui pense du conflit en Ukraine.
Weiterhin betont Samostjanow mehr als seine Vorgänger die Opferrolle Suworows, auch sie
unbedingt ein heroisierendes Element der Figur.
Viktimisierung durch ungerechte Behandlung
trotz offensichtlich großer Verdienste – im Falle
Suworows wohl weniger Märtyrertum – ist eine
heroisierende Kategorie, die vor dem Hintergrund der russischen Geistesgeschichte weiter
ausgeleuchtet werden müsste.31 Die für russische Patrioten schmerzhafte Vorstellung, dass
auch das heutige Russland von seinen Nachbarn un- oder missverstanden ist und nur geliebt
und geachtet wird, wenn es schwach und zerstritten ist, verleiht der Sache einen patriotischen
Schub: Das Land, seine Gesellschaft, ‚narod‘
bedarf historischer Vorbilder, gerade wenn sie
ebenfalls unverstanden und missachtet waren,
aber trotzdem dem Vaterland treu dienten und
seinen Bestand mehrten. So erweist sich Suworow in einer eher traurig anmutenden Tradition
heute noch als zentrale, hoch heroisch konnotierte Integrationsfigur für alles Russische, ganz
gleich unter welchen Umständen und in welchen
Bereichen es sich artikuliert. Dass der Person
dabei kaum historische Gerechtigkeit widerfährt,
steht für die Macher eines neuen Nationalmythos
auf einem anderen Blatt. Es bleibt abzuwarten,
ob das aus vergangenen, friedlosen Jahrhunderten stammende Denken von den russischen
Adressaten aufgenommen wird, die nun über ein
Jahrzehnt dem neurussischen, heroisierenden
Patriotismus ausgesetzt sind.
1 Englische, deutsche und französische Übersetzungen
folgten zum Teil unter anderem Titel umgehend 1799 bis
1802.
helden. heroes. héros.
Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?
2 Ein Jahr vor Polewojs Tod 1845 erschien von ihm eine
Geschichte russischer Feldherren von Peter dem Großen bis
Zar Nikolaus I., die aber bis auf den heutigen Tag keine große Verbreitung gefunden hat, möglicherweise weil sie von
der Geschichte Bantyš-Kamenskijs verdrängt wurde. Erst
1997 und 2006 erschienen Neuauflagen. Polewojs Suworow-Biographie wurde bis 1890 sporadisch neu herausgebracht, dann, zur Hundertjahrfeier von Suworows Alpenzug
und Sterbejahr wieder häufiger, zuletzt 1914. In der gesamten Sowjetzeit findet sich keine Neuauflage. Die Lücke wurde
von anderen ausgefüllt. Vgl. nachfolgend zu Rakowskij und
Grigorjew.
3 Allerdings mit Ausnahme von Standbildern, die seit jener
Zeit vermehrt für Suworow aufgestellt wurden und werden,
nicht zuletzt in der Schweiz.
4
Antonovič-Zolotarev, Vladimir: Generalissimus A. V.
Suvorov: Veršiny Slavy. K 200-letiju švejcarskogo pochoda
A. V. Suvorova [A.W. Suworow: Die Gipfel des Ruhmes.
Zur 200jährigen Wiederkehr des Schweizer Feldzugs
A.V. Suvorovs]. Moskau: Pravitel’stvo Moskvy – Komitet
obščestvennych i mežregional’nych svjazej [Regierung von
Moskau, Komitee für gesellschaftliche und interregionale
Kontakte ], 1999. [471 S., Illustrationen]
5 Die Seite <http://www.hrono.ru/biograf/bio_r/rakovskili.
php> schreibt dazu: „[…] Roman Generalissimus Suworow,
der im Wesentlichen sein Hauptwerk darstellt. 1941 erscheint er als selbständige Ausgabe. Das Bild des Feldherrn
wurde durch die Zeit[umstände] notwendig. Dieser Figur [R.
N.: russ. ‚Bild‘] wandten sich S. T. Grigorjew […, 1940], I. W.
Bachterew und A. W. Rasumowskij […, 1939] , K. M. Simonow (Gedicht Suvorov, 1940], K. I. Fel’dman […, 1939] und
andere zu. Rakowskij gelang es, seine Nische in einer Reihe
zahlreicher Versuche belletristischer Lebensbeschreibungen
des russischen Heerführers zu finden.“
6 So der Titel von Samostjanows zweiter Suworow-Publikation von 2006.
7 Unter anderem einer dreibändigen Enzyklopädie,
die auch deshalb nützlich ist, weil in ihr russische Militärhelden wie andere historische Figuren aus der Zeit vor
und nach dem Vaterländischen Krieg angeführt werden:
Otečestvennaja vojna 1812 goda i osvoboditelʹnyj pochod
russkoj armii 1813-1814 godov: enciklopedija v trech tomach
[Der Vaterländische Krieg des Jahres 1812 und der Befreiungszug der russischen Armee 1813-1814: Enzyklopädie in
drei Bänden] Hg. V. M. Bezotosnyj u. a. (Gosudarstvennyj
Istoričeskij Muzej [Staatliches Historisches Museum]). Moskau: Verlag Rosspen, 2012.
8 Das ist auch ablesbar an den Neuauflagen älterer Suworow-Biographien und -Erzählungen. Wie Polewoj wurde
die zuletzt maßgebliche Biographie von Petruschewskij in
der Sowjetepoche nicht neu herausgegeben, erst 2005 und
2006 erschienen zwei Neuauflagen. Ähnlich verhält es sich
mit Petruschewskijs anderen Werken zur russischen Geschichte, von denen nur die Erzählungen der alten Zeit zur
Rus’, vom Beginn des Russischen Landes bis Peter dem
Großen [Rasskazy pro staroe vremja na Rusi, ot načala
Russkoj zemli do Petra Velikogo] seit 1993 wieder mehrfach
aufgelegt wurden. Nach dem Ende der Sowjetunion entstand
ein großer Bedarf an Literatur zur Zarenzeit, die in der Sowjetepoche marginalisiert bzw. den Fachhistorikern überlassen worden war. Der Bedarf wurde bedient mit einer Masse
von Neuauflagen, Reprint-Ausgaben sowie plagiierten und
zusammengefügten Mischformen.
9 Vgl. dazu die Rezension von Roderick E. McGrew in
Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 53 (2005), 594-595.
10 Im Deutschen hat sich diese Schreibweise und Aussprache etabliert, weshalb sie auch hier verwendet wird. Die korrekte russische Aussprache wäre in deutscher Transkription
‚Patjómkin‘.
helden. heroes. héros.
11 Eine neue Publikation Olympisches Hindernis: eine Generation von Siegern, Moskau 2014 [254 S.] ist eben erschienen und behandelt die Olympischen Spiele als friedlichen
‚Kampfplatz‘ im Kalten Krieg. Die kämpferische Auseinandersetzung mit ‚Russlands Feinden‘ ist also auch hier Thema.
Ganz in diesen Kanon passt auch seine jüngste Publikation,
die dem Rezensenten bei der Niederschrift noch nicht vorlag:
Zamost’janov, Arsenij. My russkie – vrag pered nami drožit!
[Wir sind Russen – der Feind zittert vor uns!]. Moskau: Eksmo-Jauza 2014. [445 S.] Der Buchtitel zitiert einen SuworowAusspruch, dürfte aber auf die Gegenwart bezogen sein.
12 Zamost’janov, Arsenij. Suvorov byl neob’’jasnimym
čudom. K 275-letiju so dnja roždenija A. V. Suvorova [Suworow war ein unerklärliches Wunder … Zum 275. Jahrestag
der Geburt Suworows]. Moskau: Lepta Kniga, 2006.
13 Zu diesem vgl. nachfolgend und Anm. 22.
14 Als ‚Heroik‘ bezeichnet Samostjanov jede literarische
Gattung, die das Heroische behandelt. Der im Russischen
rein literatursprachliche Begriff ‚geroika‘ ist eine Analogiebildung zu russ. ‚poetika‘, dt. ‚Poetik‘. Zamost’janov Russkaja
geroika 3 ff.
15 Ebd. 24. Im Russischen gibt es keine Artikel, so dass für
die deutsche Übersetzung drei Lesarten möglich sind: ‚Gesellschaft kommt nicht ohne Helden aus‘, ‚die Gesellschaft…‘
und ‚eine Gesellschaft…‘.
16 Helden sind für ihn im 18. Jahrhundert in Russland
außerdem durch Stoizismus, Aufopferung und Märtyrertum
konnotiert. In jenem Jahrhundert wird mit Peter dem Großen
und Suworow ein klassischer russischer Heroismus begründet, der neben dem der griechischen Antike angesiedelt ist.
17 Bylinen (russ. bylina – ‚Begebenheit‘): epische Heldenlieder der russischen Volksdichtung nach legendären oder
historischen Stoffen der russischen Geschichte.
18 Zamost’janov, Arsenij. Aleksandr Suvorov. I žizn‘ ego
polna čudes. [Alexander Suworow. Auch sein Leben ist voller
Wunder…] (Biblioteka semeijnogo čtenija). Moskau: Dimitrij i
Evdokija, 2012. Der Titel ist in der Bibliothek für Familienlektüre erschienen, richtet sich also in aufklärerischer Absicht
an ein breites Publikum.
19 Samostjanow ist durch seine Ausbildung Literaturwissenschaftler und nicht Historiker. Vgl. etwa seine patriotischen Gedichte in Junost‘ [Jugend] Nr. 8 (August 2008),
3-9 oder sein Graždanska molitva strany [Bürgergebet des
Landes] in ders. Zeitschrift Nr. 10 (Oktober 2008), 8-13, in
dem es u. a. um patriotische Erziehung in der Schule und um
nationale Helden geht.
20 Bei diesem auch noch in späteren Kriegen auf verschiedenen Seiten von Kriegsgegnern anzutreffenden Topos
enthalte ich mich einer Überprüfung. Die westliche Literatur
vermittelt allerdings ein anderes Bild von der russischen Armee: Sie war seit Peter dem Großen die größte stehende
Landarmee, die sich stets aus einem unerschöpflichen Menschenreservoir, bis 1861 leibeigene Bauern, bedienen konnte und auf Verluste weit weniger Rücksicht nehmen musste
als westeuropäische Armeen. Schließlich steht Samostjanows Behauptung in einem inneren Widerspruch zu der als
überlegen dargestellten Taktik Suworows.
21 Zamost’janov Genij vojny Suvorov 412: Hier lautet die
Formel „Held der russischen Expansion“.
22 Das sehr komplexe Verhältnis Suworows zu Russlands
bedeutendstem (höfischen) Odendichter, das wegen der
‚Heroik‘ wichtiges Thema für Samostjanow ist, muss noch
ausgeleuchtet werden. Zu Lebzeiten zog Suworow die Dichtung seines Verehrers Kostrow nicht zuletzt deshalb vor, weil
Derschawin in seiner länglichen Ode Auf die Erstürmung
Ismails zwar Katharina die Große besingt, aber Suworow
nicht einmal erwähnt. Womöglich spielt auch die Semantik
139
Reinhard Nachtigal
140
des Dichternamens für Samostjanow eine unausgesprochene Rolle, denn russ. ‚deržava‘, Adjektiv ‚deržavnyj‘, bedeutet
‚Macht, Staat‘.
23 Auch Erzherzog Karl erhielt 1806 den Titel eines Generalissimus, was wenig bekannt ist. In Russland hat sich nur
noch Stalin 1945 diesen Titel verliehen.
24 Ebd. 415. Einem Generalissimus hätten demnach Ehrerbietungen wie einem verstorbenen Zaren zugestanden.
Suworow hatte 1799 auch den Ehrentitel ‚Cousin des Königs
von Sardinien und Thronfolger‘ erhalten.
25 Den Ersten Weltkrieg, den man im Zarenrussland
1914/15 ebenfalls als ‚Vaterländischen Krieg‘ zu etikettieren
versuchte, lässt der Autor bezeichnenderweise aus, obwohl
bis 1917 an einer heroisierenden Suworow-Tradition gestrickt wurde, die Gegenstand einer eigenen Untersuchung
des Rezensenten ist.
26 Hier entwickelt Samostjanow krude geopolitische Vorstellungen von einem multiethnischen russischen Großreich,
die offenbar im Jahr 2014 zumindest teilweise verwirklicht
werden sollen.
27 Dies ist eigentlich ein neues Kapitel, das der Deheroisierung gewidmet sein müsste. Mit dem russischen Schlachtenmaler Wassilij Wereschtschagin (1842-1904) böte sich eine
solche Studie an.
28 Zitiert nach Gusenkova, Tamara S. „Patriotizm, globalizacija i nacional’noe gosudarstvo: vzaimodejstvie i
protivorečija“ [„Patriotismus, Globalisierung und Nationalstaat: Wechselbeziehungen und Widersprüche“]. Patriotizm kak ideologija vozroždenija Rossii. Sbornik statej
i dokladov [Patriotismus als Ideologie der Wiedergeburt
Russlands. Sammelband]. Moskau: Verlag Rossijskij institut strategičeskich issledovanij [Russländisches Institut für
strategische Forschungen], 2014: 15-28. Auf S. 27 liest man:
„Bleibt festzustellen, dass gegenwärtig als Grundlage für
den Stolz und als Quelle patriotischer Haltung die historische
Vergangenheit bleibt.“ Die Beiträge des Sammelbands sind
zu einer kohärenten, überzeugenden Definition von Patriotismus nicht in der Lage, vielmehr betonen sie dessen Wichtigkeit.
Zamost’janov, Arsenij. Velikij Suvorov i suvorovskij obraz v
otečestvennoj kul’ture [Der große Suworow und das suworowsche Muster in der vaterländischen [inländischen] Kultur]. Moskau: Era, 2000.
---. Suvorov byl neob’’jasnimym čudom … K 275-letiju so
dnja roždenija A. V. Suvorova [Suworow war ein unerklärliches Wunder … Zum 275. Jahrestag der Geburt Suworows]. Moskau: Lepta Kniga, 2006.
---. Aleksandr Suvorov Bog vojny [Alexander Suworow, Gott
des Krieges]. Moskau: Eksmo Jauza, 2008.
---. Russkaja geroika. Očerki iz istorii literatury. Učebnometodičeskie materialy dlja urokov i istorii [Russische Heroik. Anmerkungen zur Literaturgeschichte. Lehr-methodische Materialien für Unterricht und Geschichte] (Serija
‚Duchovno-svetskij put’‘). Moskau: ANO ‚Pereprava‘, 2010.
---. Aleksander Suvorov. I žizn’ ego polna čudes…[Alexander
Suworow. Auch sein Leben ist voller Wunder…] (Biblioteka
semeijnogo čtenija). Moskau: Dimitrij i Evdokija, 2012.
[Neuaufl. im gleichen Verlag 2013]
---. Genij Vojny Suvorov. ‚Nauka pobeždat’‘ [Das Genie des
Krieges Suworow. ‚Die Wissenschaft zu siegen‘] (Genii
vojny). Moskau: Jauza ‚Ėksmo‘ Moskau, 2013.
---. Olimpijskoe protivostojanie: pokolenie pobeditelej [Olympisches Hindernis: eine Generation von Siegern]. Moskau:
Algoritm, 2014.
29 Die ‚Kommission für Gegenmaßnahmen zu Versuchen
der Falsifizierung der Geschichte zum Schaden der Interessen Russlands‘ wurde im Mai 2009 durch Erlass des Präsidenten Medvedev gegründet und nach heftigen Diskussionen im Februar 2012 durch Präsidentenerlass außer Kraft
gesetzt,
vgl.<http://www.ru.wikipedia.org/wiki/Комиссия_
по_противодействию_попыткам_фальсификации_
истории_в_ущерб_интересам_России.html>
30 Seit 2005 wird an der Svjato-Tichonovskij gumanitarnyj universitet [Humanistische St. Tichon-Universität,
Moskau] Material gesammelt und erforscht, das Suworows
Kanonisierung ermöglichen soll, vgl. <http://ru.wikipedia.
org/?oldid=64674071>
31 Dazu als erste Anregung die psychoanalytische Studie
von Rancour-Laferriere, Daniel. The Slave Soul of Russia.
Moral Masochism and the Cult of Suffering. New York/London: 1995.
Literatur
Kindlers Literatur Lexikon, Bd. 2. Hg. Wolfgang von Einsiedel. Weinheim: Zweiburgen Verlag, 1986.
Lopatin, Vjačeslav. Suvorov [Suworow] (Žizn’ zamečatel’nych
ljudej, 1608. Serija biografij [Das Leben bemerkenswerter
Menschen. Biographische Serie]). Moskau: Molodaja Gvardija, 2012.
helden. heroes. héros.
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/11
Carolin Bahr
141
Heldenlose Oper?
Giacomo Meyerbeers Die Hugenotten, wiederbelebt und neu interpretiert am
Staatstheater Nürnberg
Opéra in fünf Akten, Libretto: Eugène Scribe
und Émile Deschamps, musikalische Leitung:
Guido Johannes Rumstadt, Inszenierung: Tobias Kratzer, Dramaturgie: Kai Weßler, Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor und Statisterie
des Staatstheaters Nürnberg und Chorgäste, in
französischer Sprache mit deutschen Übertiteln,
Premiere: 15. Juni 2014, besuchte Aufführung:
20. Juli 2014. Webseite.
Geburts- und Sterbejubiläen von Komponisten
werden häufig zum Anlass genommen, um ihrem Leben und Werk durch Aufführungen, Ausstellungen, Publikationen und wissenschaftliche
Veranstaltungen besondere Aufmerksamkeit zu
verleihen. Diese Praxis scheint, wie das Doppeljubiläum Verdi-Wagner 2013 zeigte, umso breitenwirksamer, je stärker die jeweiligen Jubilare
die Konzert- und Opernbühnen der Welt sowie
den wissenschaftlichen Diskurs ohnehin bereits
dominieren. Ein anderes und umso lobenswerteres Interesse verfolgen hingegen jene, die sich
in diesem Zusammenhang für eine Rückführung
in Vergessenheit geratener Komponisten in das
öffentliche Bewusstsein starkmachen. In dieser
Hinsicht gebührt dem Staatstheater Nürnberg
besondere Anerkennung, gehört es doch neben
der Deutschen Oper Berlin und dem Staatstheater Braunschweig zu den einzigen deutschen
Bühnen, die 2014 einen heute vergessenen,
aber im mittleren 19. Jahrhundert an Bedeutung und Popularität nahezu unübertroffenen
Opernkomponisten und Jubilar auf ihren Spielplan setzten: Giacomo Meyerbeer. Der Komponist, dessen 1836 in Paris uraufgeführte Oper
Les ­Hugue­nots das Publikum bald in Massen
in die europäischen Theaterhäuser zog und zu
den meistaufgeführten Werken des 19. Jahrhunderts zählte, ist zwar Gegenstand grundlegender
opernhistorischer Studien. Auf den Opernbühnen hingegen führt sein von der Gattung
der französischen Grand Opéra dominiertes
­Oeuvre, das theatrale Opulenz mit neuartigen
musikalischen und gesangsästhetischen Errun-
helden. heroes. héros.
genschaften sowie erschütternde politische und
religiöse Konflikte der realen Historie mit individuellen, tragischen Geschicken verknüpft, ein
Schattendasein. Der Komponist, dessen Werk in
den 1920er Jahren an Popularität einbüßte und
der von den Natio­nalsozialisten aufgrund seiner
jüdischen Abstammung auf den Index gesetzt
wurde, scheint bis heute im Gedächtnis des breiteren Opernpublikums kaum präsent.
Als Gründe dafür führen Meyerbeer-Skeptiker hartnäckig Argumente an, denen zufolge es
sich bei seiner Musik um eine heute nicht mehr
wirksame und thematisch nicht zündende, von
Effekten überladene Kunst handele, wobei sie
kritiklos Werturteile übernehmen, die bereits seit
Richard Wagners von antisemitischer Abneigung
gegen Meyerbeer getränktem Diktum der „Wirkung ohne Ursache“ virulent sind. Gegenteiliges
beweist allerdings die Nürnberger Inszenierung
von Les Huguenots (Die Hugenotten), die am
15. Juni 2014 Premiere feierte und auch in der
aktuellen Saison 2014/15 wiederaufgenommen
wurde. Denn der 2006 mit dem renommierten
„ring.award“ ausgezeichnete Schauspiel- und
Opernregisseur Tobias Kratzer inszeniert die
Oper, die die gewaltsame Auseinandersetzung
der Katholiken und Hugenotten im Umfeld der
so genannten Bartholomäusnacht im Jahre 1572
thematisiert, als ein Panoptikum von religiösem
Fanatismus, Gewalteskalation und Zerstörung
individueller Schicksale und führt so die Brisanz
des Stoffes für die Gegenwart unmissverständlich und publikumswirksam vor Augen. Dabei
geht es ihm keineswegs darum, das in der Oper
dargestellte Scheitern der Friedensbestrebungen der französischen Königin Marguerite de
Valois, die den hugenottischen Ritter Raoul mit
der katholischen Kardinalstochter Valentine zu
verkuppeln sucht, bevor Missverständnisse und
Intrigen zu einer Eskalation des Religionskonfliktes führen, als Täter-Opfer-Geschichte darzustellen. Vielmehr kleidet Kratzer die Geschichte
in eine Rahmenhandlung, in der das Bühnengeschehen als schöpferischer Akt einer zum Maler
Carolin Bahr
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umgedeuteten Nebenfigur der Oper, des Grafen
von Nevers, fungiert und in der die handelnden
Figuren nicht als aggressive Urheber des Geschehens, sondern als passive Leidtragende des
schicksalhaften Laufs der Geschichte dargestellt
werden. Die Intention des Malers, eine Allegorie des Friedens und Bilder der Versöhnung zu
entwerfen, entgleitet ihm im Prozess des Malens
zunehmend, indem die fortschreitende Handlung und Gewaltzunahme sein Werk und seine
Person zerstören. Er erkennt, dass die Kunst der
historisch realen Welt kein Idealbild entgegenzustellen, sondern lediglich deren Scheitern ästhetisch glaubwürdig nachzuzeichnen vermag.
Auch wenn diese Verdoppelung der Handlungsebenen als coup de théâtre Kratzers bei
einem selten inszenierten Werk wie diesem
nicht gerade nötig, um nicht zu sagen musikdramaturgisch nicht nachvollziehbar scheint (und
in einem Publikumsgespräch im Anschluss an
die Aufführung vom 20. Juli 2014 auch auf wenig Verständnis im Auditorium stieß), bringt es
doch eine moderne Lesart zum Ausdruck, die im
Werk durchaus angelegt ist: Die durch die Rahmenhandlung erzeugte Distanz zum Geschehen führt dem aufmerksamen Zuschauer umso
deutlicher vor Augen, wie stark Meyerbeer in
Les Huguenots auf die Moderne vorausweist, indem er das Verhältnis zwischen Individuum und
Gemeinschaft sowie die Bedrohung der in Form
von Chören omnipräsenten Masse für die Freiheit des Einzelnen durchdekliniert. Denn im Gegensatz zu den historiographischen Strömungen
des mittleren 19. Jahrhunderts ist Meyerbeers
Geschichtsbild nicht von der Idee großer Männer
und Taten geprägt, sondern von der Übermacht
des Schicksals für das einzelne Subjekt. So ist
der Held der Oper, der Hugenotte Raoul, eine
für die Interessen verschiedener Parteien eingenommene Person mit eingeschränktem Handlungsspielraum, der für die Friedensangebote
opportuner Katholiken ebenso instrumentalisiert
wird wie für die Kupplungsversuche der Königin.
Nur an wenigen, dafür aber dramaturgisch entscheidenden Stellen der Handlung wird er aktiv,
etwa wenn er das Heiratsangebot Valentines aufgrund eines Missverständnisses zurückweist und
so die Zuspitzung des Konflikts auslöst, wenn er
sich gegen die Liebe zu Valentine und für den
Kampf an der Seite der Hugenotten entscheidet
und wenn er sich im tragischen Finaltableau den
Katholiken als Hugenotte stellt und hingerichtet
wird. Seine prominente Stellung an den Schlüsselmomenten der Handlung kennzeichnet Raoul
dramaturgisch als den romantischen Helden par
excellence, der zwischen Aktivität und Passivität, zwischen Liebe und patriotischem Pflichtgefühl schwankt und schließlich scheitert.
Seine partielle Inaktivität leistet jedoch einem
Regiekonzept wie demjenigen Kratzers Vorschub, in dem die Konflikte nicht auf der schwachen Agency des Helden beruhen, sondern die
verschiedenen Handlungsebenen als gleichwertige, voneinander unabhängige Tableaus, eben
als Motive für die Zeichnungen des Malers dargestellt werden. So wird die Heldenrolle Raouls,
kostümiert mit Harnisch, Holzfällerhemd und
Nerdbrille, in Kratzers Inszenierung bereits optisch konterkariert, während Raoul in der dramaturgisch entscheidenden Verschwörungsszene
der Katholiken im vierten Akt entgegen der Regieanweisung szenisch nicht präsent ist, seine
große Kampfarie im fünften Akt ausfällt und seine
Heldentat am Ende dadurch zur Bedeutungslosigkeit verkommt, dass er erschossen wird, noch
bevor er sich den Feinden als Hugenotte preisgibt. Dass der Held Raoul dergestalt im Nebeneinander der Handlungen untergeht, begründet
der Dramaturg der Nürnberger Produktion, Kai
Weßler, mit der durchaus nicht abwegigen Annahme, dass das Personal von Les Huguenots
vielmehr aus passiven „Unhelden“ bestehe denn
aus Helden, weil die Dramaturgie der Oper nicht
auf die Herausstellung von Heldenfiguren und
-taten abziele. Dem könnte man allerdings dann
widersprechen, wenn man die Ohren spitzt für
die gesanglichen Höchstleistungen, die die Rolle
des Raoul dem Interpreten abverlangt und die in
Nürnberg von dem mit Starpotenzial ausgestatteten Tenor Uwe Stickert meisterhaft bewerkstelligt werden. Indem der Gesangspart des Raoul
in seinen zahlreichen Arien und Ensemblestücken höchste Virtuosität mit tiefster Ausdrucksfähigkeit, größte Flexibilität in hohen Tonlagen
mit stimmlicher Durchschlagskraft, Lyrisches mit
Dramatischem vereint, artikuliert sich das Heroische bei Raoul vielmehr in seiner vokalen Präsentation als in seinem dramaturgischen Handeln – und dies auf eine vor Meyerbeer nie zuvor
gehörte Art und Weise. Die Nürnberger Insze­
nierung von Les Huguenots lässt dergestalt nur
eines zu wünschen übrig: Der Entfaltung des
gesanglichen Potenzials der Meyerbeer’schen
Heldenfiguren muss genügend Raum geschaffen und die Bedeutung des Gesangs auf eine mit
der Dramaturgie der Handlung ebenbürtige Ebene gestellt werden, wenn die Musik Meyerbeers
die ihr gebührende Renaissance erfahren soll.
helden. heroes. héros.
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Impressum
helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen,
Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“
Ulrich Bröckling, Barbara Korte, Birgit Studt
Band 2.2 (2014)
Herausgeber:
Katharina Helm
Jakob Willis
Redaktion:
Carla Gebauer
Christiane Hadamitzky
Christiane Hansen
Gero Schreier
Jakob Willis
Lektorat:
Carmen Flum
Redaktionelle Mitarbeit:
Magdalena Gybas
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