PDF-Version - Imre Kertész Kolleg

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Freispruch für die kroatischen Generäle
Ante Gotovina und Mladen Markač
Autorin: Dr. Ljiljana Radonic
Abstract
Ende 2012 wurden Ante Gotovina und Mladen Markač vom Haager Berufungsgericht
freigesprochen, das damit langjährige Haftstrafen aus der ersten Instanz aufhob. In Kroatien
begrüßten das 96 Prozent der Bevölkerung und 100 000 Fans hießen die beiden Generäle am
Zagreber Hauptplatz willkommen. Die Staatsspitze und die Medien waren sich weitgehend
einig, dass damit die Operation „Sturm“ zur Befreiung der Krajina und der „Heimatländische
Krieg“ (1991-1995) an sich reingewaschen wurden, auch wenn Premier und Präsident
betonten, dass von „Einzelnen“ begangene Verbrechen noch geahndet werden müssen. In
Serbien löste das Urteil hingegen Empörung aus. In der Berichterstattung dominierte erneut
der Vorwurf, das ICTY habe damit seinen Charakter als politisches Tribunal bestätigt – eine
Einschätzung, die auch die ehemalige Haager Chefanklägerin, Carla del Ponte, teilt. Opfer
kamen in der Diskussion kaum zu Wort. Ante Gotovina schlug hingegen überraschend
versöhnliche Töne an, was ihn für viele enttäuschte Veteranen in die Nähe eines Verräters
rückte.
Am 16. November 2012 hob der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige
Jugoslawien (ICTY) die erstinstanzliche Verurteilung General Ante Gotovinas zu 24 Jahren
Haft im Berufungsverfahren auf. Außer dem Befehlshaber, der für die Rückeroberung der
Zur Autorin: Ljiljana Radonic ist seit März 2013 APART-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften und arbeitet am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an einem
Habilitationsprojekt zum Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen. Sie wurde 2009 an der
Universität Wien mit einer Arbeit über den Krieg um die versöhnende Erinnerung Vergangenheitspolitische Diskurse in Kroatien zwischen historischem Revisionismus und europäischen
Standards promoviert, für die sie 2012 mit dem Michael Mitterauer-Preis für Gesellschafts-, Kultur- und
Wirtschaftsgeschichte in Wien ausgezeichnet wurde. Zu ihren zahlreichen Publikationen gehören u.a. die
Monographie Krieg um die Erinnerung - Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und
europäischen Standards, Frankfurt am Main 2012; Ante in Kroatien und Europa - Ein verworrener
Freispruch, in: sans phrase 2/2013 und Der erste postsozialistische Prozess gegen einen Kriegsverbrecher
aus dem Zweiten Weltkrieg - Kroatien als Beispiel vorbildlicher Aufarbeitung? in: Österreichische
Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2012.
2
seit 1991 unter serbischer Kontrolle befindlichen Krajina im August 1995 verantwortlich war,
wurde auch der Chef der Sonderpolizei und stellvertretende kroatische Innenminister,
General Mladen Markač, freigesprochen. Damit verurteilte das Haager Tribunal keinen
Kroaten für auf kroatischem Territorium begangene Verbrechen. 1 Die vierjährige Flucht des
nunmehr freigesprochenen Gotovina hatte Kroatiens EU-Beitritt entscheidend verzögert, da
die damalige Chefanklägerin Carla del Ponte der kroatischen Regierung vorwarf, die
Festnahme des vorgeblich in Kroatien befindlichen Generals nicht mit allen Mitteln zu
unterstützen. Ende 2012 begrüßten laut Umfragen über 96 Prozent der kroatischen
Bevölkerung den Freispruch 2 und bis zu 100.000 Begeisterte 3 feierten die Helden des damit
als „reingewaschen“ geltenden Heimatländischen Krieges (Domovinski rat, wie der von 19911995 dauernde Krieg in Kroatien genannt wird) nach ihrer Ankunft in Kroatien am Hauptplatz
von Zagreb.
Damit ist achtzehn Jahre nach der Operation „Sturm“ (Oluja), bei der laut Angaben des
Helsinki-Menschenrechtskomitees 4 über 600 SerbInnen ermordet, 22.000 serbische Häuser
angezündet wurden und über 150.000 SerbInnen aus dem Land geflohen sind, noch kein
Militär- oder Sonderpolizeiangehöriger für Kriegsverbrechen vor Gericht zur Verantwortung
gezogen worden – auch wenn gegenwärtig mehrere Prozesse in Kroatien anhängig sind,
etwa jener für sechs in Grubori Ende August 1995 ermordeten ZivilistInnen. 5 Sehr wohl
wurden jedoch kroatienweit 2.380 Personen wegen anderer Verbrechen wie Mord,
Vergewaltigung, schwerem Diebstahl und Brandstiftung im Zuge der Operation verurteilt.6 In
Den Haag wurden hingegen bisher sechs Serben wegen in Kroatien begangener Verbrechen
verurteilt, zwei wurden freigesprochen und drei Angeklagte sind während des Prozesses
verstorben, der prominenteste unter ihnen Slobodan Milošević. Für in der Krajina begangene
Verbrechen, vor allem im Zuge der grausamen und blutigen Vertreibung aller nichtserbischen BewohnerInnen im Zuge ihrer Errichtung 1991, wurde Milan Martić, der
ehemalige Polizeichef Knins und späterer Außen- und Verteidigungsminister sowie
zeitweiliger Präsident der „Serbischen Republik Krajina“ (RSK) wegen Mord, Folter,
Verfolgung und Vertreibung zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der Bürgermeister der KrajinaCitation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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Hauptstadt und später ebenfalls Präsident und Außenminister, sowie Premier der RSK, Milan
Babić, erhängte sich 2006 während seiner dreizehnjährigen Haftstrafe, nachdem er sich der
Verbrechen gegen die Menschheit schuldig bekannt hatte und als „Insider“ gegen Milošević
und andere serbische Angeklagte hätte aussagen sollen. Goran Hadžić, ebenfalls zeitweiliger
Präsident der RSK, und zwei Mitglieder der Sondereinsatztruppe der Staatsicherheit im
serbischen, damals jugoslawischen Innenministerium, stehen Mitte März 2013 noch vor
Gericht.
Wer ist Ante Gotovina?
Keine Kroatien-bezogene Anklage erregte bislang so viel internationale Aufmerksamkeit wie
jene gegen Ante Gotovina, der zwischen der Anklageerhebung 2001 und seiner Festnahme in
Teneriffa 2005 das größte Hindernis für die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit
Kroatien war. Der Fischersohn Ante Gotovina hatte in den 1970er Jahren Jugoslawien
verlassen und war mit 17 Jahren der französischen Fremdenlegion beigetreten. 1991 kam er
– inzwischen mit französischer Staatsbürgerschaft – in das nunmehr unabhängige Kroatien
zurück und trat der Volksgarde bei.7 In der Operation Oluja war er Kommandant des Sektors
Süd und wurde nach der Rückeroberung der Krajina Befehlshaber der Kroatischen und der
Bosnisch-Kroatischen Armee. Nach dem Tod von Präsident Franjo Tuđman (1922 – 1999)
und dem Wahlsieg seines Nachfolgers, Stjepan Mesić, und der sozialdemokratisch
angeführten Koalition unter Ivica Račan im Jahr 2000, trat Gotovina als einer der
Unterzeichner des „Briefes der 12 Generäle“ 8 in Erscheinung. Ausgelöst durch die
Verhaftung von fünf mutmaßlichen Verantwortlichen für Morde an SerbInnen 1991 in
Gospić kritisieren die Generäle die „immer weiter verbreitete Kriminalisierung des
Heimatländischen Krieges, sowie die Beleidigung und Geringschätzung“ der kroatischen
Armee:
„Wir halten es für unzulässig und unehrenhaft, über die Verteidiger und Invaliden des
Heimatländischen Krieges nur im Zusammenhang mit der Handvoll derjenigen zu sprechen, die sich
an seiner Reinheit versündigt oder gegen Gesetze verstoßen haben, während zugleich alles Positive
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4
und Großartige verschwiegen wird, an dem die überwältigende Mehrheit der Söhne Kroatiens
mitgewirkt hat.“
9
Wegen des Briefes, in dem die kroatische Führung dazu aufgerufen wurde, die Ehre und
Würde der kroatischen Offiziere und Soldaten zu verteidigen, wurden die sechs noch aktiven
Generäle am Tag darauf von Präsident Mesić frühzeitig pensioniert, da es Militärangehörigen
in Kroatien verboten ist, sich mit politischen Bekundungen an die Öffentlichkeit zu wenden.
Wenige Monate nach dem Ende der zehnjährigen Regierungszeit des autoritär regierenden
Präsidenten Franjo Tuđman und seiner Partei HDZ (Hrvatska demokratska zajednica), drohte
der öffentliche Protest der Helden des Heimatländischen Krieges die als „Verräter“,
„Bolschewisten“ und un-kroatisch stilisierte Regierung zu destabilisieren. 10 Seit Ende März
2013 ist bekannt, wie sich Gotovina seine Zukunft in Freiheit vorstellt: er wird in Dalmatien
Thunfische züchten.11
Der Gerichtsprozess am ICTY
Die mit Ante Gotovina angeklagten Generäle Ivan Čermak und Mladen Markač stellten sich
2004 nach der ICTY-Anklageerhebung freiwillig. Čermak, Garnisonskommandant von Knin
während der Operation Sturm, wurde durch das erstinstanzliche Urteil 2011 freigesprochen.
Markač und Gotovina wurden hingegen des „joint criminal enterprise“ zum Zwecke der
dauerhaften Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus der Krajina für schuldig befunden.
Beide hatten laut erstinstanzlichem Urteil die Operation beim Treffen aller Verantwortlichen
auf der Insel Brijuni wenige Tage zuvor geplant und vorbereitet, den illegalen Beschuss von
Städten in der Krajina befehligt und keine hinreichenden Maßnahmen unternommen, um
Verbrechen gegen die serbische Bevölkerung zu unterbinden und zu bestrafen. Sie wurden
am 15. April 2011 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Vertreibung, Deportation,
Mord und inhumane Behandlung) sowie wegen Raub und Zerstörung öffentlichen und
privaten Eigentums zu 18 bzw. 24 Jahren Haft verurteilt.12
Eineinhalb Jahre später, am 16. November 2012 sprach das Berufungsgericht die beiden
Generäle vom Vorwurf des „joint criminal enterprise“ frei. Die erste Instanz hatte laut dem
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neuen Urteil nicht begründen können, wie sie aus der Analyse der Verhältnisse beim
Beschuss von gewissen Stellungen aus für alle vier Krajina-Städte den gleichen 200-MeterStandard definieren konnte: Das Gericht hatte alle Granateinschläge, die mehr als 200 Meter
von legitimen militärischen Zielen entfernt Zerstörungen angerichtet hatten, für illegal
erklärt, diesen Standard jedoch nicht hinreichend begründet. 13 Zu dieser einvernehmlichen
Einschätzung kamen alle fünf Berufungsrichter. Drei der fünf Richter kamen ferner zu dem
Schluss, der durch diese Regel als illegal bestimmte Beschuss sei die Kernbegründung für die
Existenz eines „joint criminal enterprise“ gewesen und ohne diesen Teil des Urteils sei die
Verschwörung zur Vertreibung der serbischen Bevölkerung nicht mehr beweisbar. Sie gingen
daraufhin der Frage nach, ob bei Wegfall dieses Anklagepunktes die beiden Beschuldigten
für alternative Verbrechen haftbar gemacht werden könnten und kamen zu dem Schluss, das
sei nicht möglich, da sich die Schreiben der Anklage nur in Fußnoten dieser Frage zugewandt
hätten, die erste Instanz ihr zu wenig nachgegangen sei und die Berufungsinstanz keine Fülle
neuer Beweise suchen könne, weil die Angeklagten dagegen keine Berufungsmöglichkeit
mehr hätten. Also wurden die hohen Strafen gänzlich aufgehoben und die Angeklagten mit
sofortiger Wirkung entlassen. Im neuen Urteil wird die erste Instanz in einem relativ
harschen Tonfall als völlig irregeleitet dargestellt, ihr Urteil als nicht im geringsten
nachvollziehbar und gänzlich fragwürdig. Ferner beurteilen zwei der fünf Berufungsrichter
die Mehrheitsentscheidung ihrer Kollegen, gegen die sie gestimmt hatten, als „fatalen
Fehler“, mit der sie „fundamental nicht übereinstimmen“, da das Urteil „jedem
Gerechtigkeitssinn widerspricht“.14 Ein derartig willkürlich erscheinendes Urteil war offenbar
nicht geeignet, die selbstkritische Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen in den
Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens anzustoßen, wie im folgenden Überblick
über die Debatten zu zeigen sein wird.
Ante Gotovinas versöhnliche Töne
Während ganz Kroatien – wenn man den Umfragen Glauben schenken darf – jubelte, spielte
der als Held gefeierte Gotovina nach seiner Freilassung eine überraschende Rolle. Der
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weniger prominente General Markač sagte vor 100.000 Anhängern auf dem Zagreber
Hauptplatz, er habe die Heimat immer im Herzen getragen, „und die Heimat, das seid Ihr“.15
Er zeigte sich froh darüber, dass nun jeder Kroate im Ausland werde sagen können, „wir“
hätten die Heimat – wie er zweimal wiederholte – „ohne den geringsten Schandfleck“
befreit. Gotovina hingegen schlug ganz andere Töne an. Nüchtern stellte er fest, der Krieg sei
vorbei, nun müsse man sich der Zukunft zuwenden, und zwar „alle gemeinsam“. Und er
bedankte sich unerwartet bei dem (sozialdemokratischen) Präsidenten und beim Premier
sowie
den
Verteidigungs-,
Justiz-
und
Außenministern
der
neuen
Mitte-Links-
Regierungskoalition, die von seinen Anhängern oftmals als „Verräter“ gebrandmarkt worden
waren. Dies trug ihm am Tag seiner Ankunft aus Den Haag Pfiffe und Buh-Rufe seiner
tendenziell rechts der politischen Mitte angesiedelten Anhänger ein. Das erste Interview16
gab er wenige Tage später einer Belgrader Zeitung. Im Telefon-Mitschnitt kann man hören,
wie er den vertriebenen Serben ausrichten lässt, sie sollen nach Kroatien zurückzukehren,
denn Kroatien sei „ebenso ihre Heimat, wie sie auch meine ist.“ Auf die Aufforderung der
Journalistin, er möge sie explizit zur Rückkehr einladen, antwortet Gotovina: „Wie kann ich
jemanden einladen, zu seinem Haus zurückzukehren? Das ist ihr Haus. … Das ist nicht mehr
meines als ihres. Diejenigen, die hier ein Haus haben und zurückkommen wollen, brauche
ich nicht einzuladen. Sie sollten zurückkommen.“ 17 Auf die Frage, ob er den Institutionen
raten werde, die während der Operation begangenen Verbrechen zu verfolgen, erwiderte
Gotovina, wer sei er, den Institutionen zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu erledigen hätten. Er
sei „ein gewöhnlicher Bürger Kroatiens, wie jeder andere, sei er Ungar, Italiener, Russe,
Serbe oder Deutscher, das ist ihre Heimat genauso wie meine.“ 18 Bei einer Ansprache in
Zadar sorgte er ferner für Verwunderung, weil er vor allem betonte, die Stadt sei von
Bürgern unterschiedlicher Nationalität verteidigt worden.19
Bei der Rückkehr nach Pakoštane, dem dalmatinischen Ort an der kroatischen Küste, in dem
er aufgewachsen war, riefen 30.000 Einheimische und Gäste „Ante, Ante, Ante“ und er
antwortete nach elfjähriger Abwesenheit, endlich habe er den Weg nach Hause gefunden, er
sei glücklich, seine Freunde sollten sich freuen, das sei der Abend ihres Sieges. Er bedankte
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sich bei den Anwesenden für die ihm erwiesene „christliche Liebe“ und bat sie: „Diese
christliche Liebe, die wir gezeigt haben, sollten wir nun weiter verbreiten, um morgen zu
sehen, dass jeder Mensch hier in unserer Heimat glücklich lebt und sich glücklich fühlt.“20
Außerdem zog es Gotovina im Gegensatz zu Markač vor, in den Marien-Wallfahrtsort Maria
Bistrica zu fahren, anstatt der Gedenkveranstaltung für den Kampf um die ostkroatische
Stadt Vukovar 1991 beizuwohnen. 21
Gotovinas zurückhaltende Auftritte nach der siebenjährigen Haft sorgten bei seinen
Anhängern für heftige Irritationen. Schließlich standen seit 2001 in vielen Dörfern vor allem
entlang der dalmatinischen Küste Schilder mit seinem Konterfei, auf denen stand, Gotovina
sei ein „Held, kein Verbrecher“, immer wieder auch um den Hinweis ergänzt, Präsident
Mesić und Premier Račan seien Verräter, weil sie mit dem Tribunal zusammenarbeiteten und
im Falle Mesićs mehrfach dort ausgesagt hatten. Die Zeitung Hrvatski list 22 aus Zadar titelt
„Das Volk fragt sich: Ist das unser Gotovina?“ und der Chefredakteur antwortet, er spreche
eher wie „ein religiöser Missionar, ein NGO-Aktivist oder ein übernationaler Pazifist“. 23 Der
radikal-nationalistische und Serbenfeindliche Sänger Marko Perković alias „Thompson“ 24
(der zwar immer wieder bestreitet, mit einem Ustaša-Lied über das KZ Jasenovac die dort
ermordeten Opfer verhöhnt zu haben, wovon aber immer neue Video-Aufnahmen
auftauchen) interpretierte bei einem Konzert zu Ehren der Freilassung in Split, Gotovina
habe „nicht gemeint, dass er den kroatischen Institutionen glaubt, er fühlt so wie wir“ und
schloss mit den Worten: „man muss mit den Verrätern abrechnen“ 25. Die Vereinigung
„Stopp der Verfolgung der Verteidiger Kroatiens“ bezichtigte Gotovina gar des Verrates,
denn „auch wenn es von Ante kommt, es ist zu viel!“ Ante sei nicht bereit, mit ihnen den
(kompromisslosen, durch und durch kroatischen) Staat zu schaffen, für den sie gekämpft
hätten, während jetzt das Volk in Müllcontainern wühle, um zu überleben, und das „im
Schatten der Schwulen und Lesben, die Schulter an Schulter mit den Vertretern der aktuellen
Regierung durch Kroatien paradieren.“ 26
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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Die Reaktionen der kroatischen Staatsführung
Ebendiese Vertreter der aktuellen Regierung schlossen sich nicht nur der Christopher Street
Day-Parade Zagreb Pride nach dem Angriff auf die Split Pride 27 an der dalmatinischen Küste
an, worauf der obige Kommentar anspielt, sondern reagierten auch zurückhaltend auf den
Freispruch der Generäle. Der Tenor lautete, Gotovinas Freispruch sei wichtig für Kroatien, da
er nicht als Sündenbock für einzelne wirkliche Kriegsverbrecher herhalten dürfe.
Regierungschef Zoran Milanović erinnerte zunächst daran, das Urteil sei mit einer bloß
knappen Mehrheit zustande gekommen, was zeige, wie schmal der Grat zwischen Recht und
Unrecht sei. „Offensichtlich standen zwei unschuldige Menschen vor Gericht, was nicht
heißen soll, der Krieg sei nicht blutig gewesen und es seien keine Fehler gemacht worden,
aber dafür ist der Staat verantwortlich, und nicht Gotovina und Markač.“ 28 Präsident
Josipović betonte, es sei wichtig, vor Gericht festzustellen, dass es keine kriminelle
Vereinigung gegeben habe. 29 Dennoch seien Verbrechen begangen worden, die man nicht
vertuschen dürfe und als Rechtsstaat müsse man die Verantwortlichen dafür bestrafen, egal,
ob es sich um Kroaten, Serben, Chinesen oder irgendjemand anderen handle.30 Diese
Aussage ist ambivalent, denn einerseits macht sie deutlich, dass der Verweis auf die
serbischen Verbrechen bei der Diskussion der kroatischen nicht fehlen darf, andererseits
ließe sie sich auch als Ruf nach einer universalistischen Rechtsprechung verstehen, für die es
irrelevant ist, ob die mutmaßlichen KriegsverbrecherInnen dem eigenen Kollektiv angehören
oder nicht. Josipović betont ferner: Für Morde, zerstörte und angezündete Dörfer, geraubtes
Eigentum und andere Verbrechen an „unseren serbischen Mitbürgern“ müssten die
verantwortlichen Einzelnen zur Rechenschaft gezogen werden. Auf die Andeutung des
Jutarnji list 31, man könne nun ohne Hypothek und ohne den Schandfleck einer kriminellen
Vereinigung der EU beitreten, betont Josipović, das verpflichte aber zum Ausbau des
Rechtsstaates, zum Schutz der Minderheiten- und Menschenrechte und zu einer regionalen
und europäischen Politik der Versöhnung. Er schließt jedoch mit den Worten, das befreie
nun auch Franjo Tuđman, der in jener Zeit eine große Rolle gespielt habe, von der politischen
Hypothek. 32
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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Der ehemalige Präsident Mesić, der im Jahr 2000 die Generäle wegen ihres offenen Briefes
in Pension geschickt, in Den Haag ausgesagt und sich während seiner Präsidentschaft für die
Verfolgung von Kriegsverbrechen eingesetzt hatte 33, stellt im Gegensatz zu seinem
Nachfolger klar, man dürfe angesichts der Urteile keinesfalls Tuđmans Politik amnestieren.
Er wunderte sich auch über jene katholischen Geistlichen, die meinten, die Kirche und ihre
Gebete von der Urteilsverkündigung hätten zur Freilassung beigetragen: Wie könnten ihre
Gebete den gewünschten Effekt gehabt haben, wenn das Urteil eineinhalb Monate vor der
Verkündung verfasst worden war, fragte er sich. „Und wenn wir schon die Richter
durchzählen wollen, für den Freispruch votierten ein Jude, ein Türke und ein Protestant,
während zwei Katholiken für eine Strafe waren. Ich weiß nicht, offenbar gab es ein Problem
in der Leitung.“ 34 In Bezug auf die heftigen serbischen Reaktionen auf den Freispruch fügte
Mesić an, Serbien habe „im Gegensatz zu Deutschland keine Katharsis“ erlebt: Deutschland
sei ein Musterbeispiel für „sehr strenge Strafen für neonazistische Ausfälle, für Demokratie
und Hingabe für den europäischen Einigungsprozess“, während man in Serbien Milošević
weniger für die Absicht verurteile, die Grenzen Serbiens auszudehnen, als vielmehr dafür,
damit nicht erfolgreich gewesen zu sein – und zugleich den Tschetnik-Führer Draža
Mihailović zum Antifaschisten erkläre.
Serbische Reaktionen und die ehemalige ICTY-Chefanklägerin
Die Staatspitze Serbiens reagierte auf den Freispruch mit der Einfrierung der
bevorstehenden Übergabe von Beweismaterial an das Tribunal und die allgemeine
Zusammenarbeit wurde auf ein rein technisches Level heruntergestuft. Der serbische
Premier Ivica Dačić sagte, das Urteil „bestätigt die Behauptungen jener, die sagen, das
Haager Tribunal sei kein Gericht, sondern erfüllt im Vorhinein auferlegte politische
Aufgaben.“ 35 „Es ist klar, dass das Tribunal keine juristische, sondern eine politische
Entscheidung gefällt hat. Das trägt nicht zur Stabilisierung der Lage in der Region bei. Dieser
Spruch der Richter wird alte Wunden wieder aufreißen“ 36, erklärte der serbische Präsident
Tomislav Nikolić und fuhr fort, das Urteil rücke SerbInnen in Kroatien in die Position der
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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Schuldigen, obwohl sie gerade in der Krajina Opfer des größten Pogroms nach dem Zweiten
Weltkrieg geworden seien. 37 In serbischen Medien verlief also der öffentliche Diskurs – wie
in Kroatien – entlang bereits bekannter Opfernarrative. Ferner wurden die Euphorie der
kroatischen Bevölkerung nach dem Freispruch und die Tatsache betont, dass Kroatien sofort
ein Flugzeug und zwei Minister geschickt habe, um die ehemaligen Generäle aus Den Haag
abzuholen. 38
Während die Medien wochenlang voll von Reaktionen kroatischer und serbischer
PolitikerInnen waren, finden sich darin kaum Reaktionen der Opfer der Operation Sturm.
Rade Matijaš aus Knin fühlt sich „furchtbar und elend“,
„(…) angespuckt von der ganzen Welt und der internationalen Öffentlichkeit, vermittelt über das Haager
Tribunal. Wir Krajiner sprechen seit heute Morgen untereinander: ‚Habe ich wirklich meine eigenen
Nachbarn und Freund ermordet, habe ich wirklich mein Haus angezündet und bin dann davon spaziert,
nach Serbien und ins Exil gegangen, weil das schön ist‘. Die Fragen sind schrecklich, unlösbar, und es gibt
keine Antwort. Also werden wir am Sonntag das einzige tun, was wir tun können, eine Kerze anzünden,
und zu Gott beten, denn sonst bleibt uns niemand mehr.“
39
Die damalige Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, betonte gegenüber der
Belgrader Zeitung Blic 40, sie sei „voller Solidarität mit den serbischen Opfern, an denen
Verbrechen begangen wurden.“ Sie beschreibt den Freispruch als „ungerecht“, sie sei
„schockiert“, „sehr überrascht“ und „bestürzt“. Über die Gründe für den Freispruch
spekulierte sie, dass statt Beweisen „Politik, Lobbying-Gelder oder etwas anderes eine Rolle“
gespielt haben könnten. Das wird im kroatischen Novi list sehr kritisch beurteilt: Del Ponte
trage
„(…) mit Sicherheit die größte Verantwortung für den katastrophalen Misserfolg der Haager Ankläger,
die gerade dank ihrer Megalomanie und ihres Politisierens die Opfer während und nach der Operation
Sturm vernachlässigten und im Stich ließen und stattdessen einem imaginären, vom verstorbenen
Franjo Tuđman angeführten ‚joint criminal enterprise‘ hinterherjagten und nicht den Verantwortlichen
für die realen und konkreten Verbrechen (…) Den Aspekt der Verantwortung Gotovinas und Markačs als
Befehlshaber hat die Anklage nicht einmal zu beweisen versucht, sicher, die Haager Richter würden ihre
Megalomanie schlucken. Doch das ist nicht geschehen.“
41
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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11
Zivilgesellschaftliche Gegenstimmen
Natürlich gab es sowohl in Kroatien als auch in Serbien renommierte KritikerInnen der in den
beiden Ländern vorherrschenden nationalistischen Diskurse, die größtenteils bereits seit den
1990er Jahren in bürgerrechtlichen Initiativen, kritischen Zeitschriften und Ähnlichem gegen
die euphorische Heldenverehrung und die Opfererzählungen anschreiben. Exemplarisch für
andere Institutionen wird hier die im Medienportal der Bürgervereinigung Peščanik aus
Belgrad stattgefundene Diskussion zum Fall Gotovina 42 umrissen, da sich darin kritische
Stimmen sowohl aus Kroatien als auch aus Serbien zum Freispruch der Generäle finden. Die
AutorInnen diagnostizieren übereinstimmend, dass das Urteil negative Folgen für das
Zusammenleben und die nachbarstaatlichen Beziehungen haben wird und schätzen den
kroatischen Gewinner-Nationalismus als „giftiger“ als den serbischen Verliererdiskurs ein.
Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass sich die aus Serbien stammenden AutorInnen
nicht nur kritisch mit dem Mechanismus der Selbstviktimisierung der serbischen Gesellschaft
auseinandersetzen und dass der Juraprofessor Marko Milanović dem eigenen Kollektiv
gegenüber selbstkritisch diagnostiziert, die serbischen Anführer seien die größten
Verbrecher in den Kriegen der 1990er gewesen. 43 Darüber hinaus betont der Anwalt Bogdan
Ivanišević, wie kompliziert der Fall sei:
„Diejenigen, die davon überzeugt sind, dass die serbischen Zivilisten Opfer einer Vertreibung
wurden, sollten sich dessen bewusst sein, dass die überwiegende Mehrzahl der Serben weggegangen
ist, bevor es zu physischem Kontakt welcher Art auch immer zwischen ihnen und der kroatischen
Armee und Polizei gekommen ist. Darin unterscheidet sich dieser Fall von zahlreichen anderen
Fällen, in denen sich das ICTY mit verbrecherischer Zwangsumsiedlung und Deportation befasst
hat.“
44
Was vielfach als kroatische Abwehrstrategie verworfen wird, wird hier als realer und
wichtiger Sachverhalt gegenüber vereinfachenden Erzählungen festgehalten.
Bei den Beiträgen aus Kroatien sticht jener des ehemaligen Feral Tribune-Redakteurs Viktor
Ivančić hervor, der die Unerträglichkeit der kroatischen Siegeseuphorie in bekannt
satirischer Weise thematisiert, die einen buchstäblich sein Verzweifeln an der
vorherrschenden Stimmung spüren lässt. Neben unzähligen Heldenstilisierungen wie der
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
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Gotovinaposter-Beilage in Jutarnji list spricht Ivančić vor allem die Brandmarkung jener, die
auf der Notwendigkeit weiterer Prozesse beharren, als Verräter an – etwa Milorad Pupovac
und Zoran Pusić. 45 Letzterer Präsident des Bürgerkomitees für Menschenrechte betont
ebenso wie der Präsident des Helsinki-Menschenrechtskomitees Žarko Puhovski, dass in
Kroatien in Bezug auf den Gotovina-Prozess eine fatale Mischung aus Triumpfgehabe und
Verschwörungstheorie vorherrsche. Pusić kritisiert unter dem Titel „Wie verhindern, dass
uns das Urteil zu neuen Konflikten verurteilt“ insbesondere, dass ein Parlamentsvertreter
nach dem Freispruch gefordert habe, zwei weitere Gerichtsprozesse gegen Kriegsverbrecher
zu annullieren bzw. einzustellen. Kroatische Politiker müssten nun vielmehr im Sinne der
Wiedergutmachung initiativ werden, rational und mit Empathie handeln, denn auf
serbischer Seite führe die Implikation, dass es im Wesentlichen kein Verbrechen gegeben
habe, zu Frustration, die in Hass übergehen könne. Das Handeln des offiziellen Kroatien sei
nun entscheidend für die zukünftigen Beziehungen zwischen Kroaten und Serben. 46 Einig
sind sich die AutorInnen aus beiden Ländern darin, dass der Freispruch zu einer weiteren
Marginalisierung jener Stimmen führen wird, die sich für eine schonungslose Aufklärung und
Aufarbeitung aller begangenen Verbrechen ohne Rücksicht auf „patriotische“ Gefühle
einsetzen.
Von Heldenfeiern und ungeklärten Verbrechen
Trotz all dieser unterschiedlichen Bewertungen wurde Gotovina in einigen kroatischen
Städten zum Ehrenbürger erklärt. Den Anfang machte Split, wo Gotovina Befehlshaber war,
dann kamen Zadar, Osijek (zusammen mit Markač) und Dubrovnik. Auf der anderen Seite
führte
der
bereits
zur
erstinstanzlichen
Urteilsverkündung
von
kroatischen
Bürgerrechtsorganisationen 2011 veröffentlichte dringende Appell an die kroatische Justiz,
die Verbrechen im Zuge und unmittelbar nach der Operation Sturm nicht ungestraft zu
lassen, bisher – bei noch laufenden Prozessen – zu keinem Ergebnis: Ungesühnt blieb etwa
der Mord an mindestens zehn Männern und Frauen im Alter von rund 80 Jahren in Golubić
bei Knin am 6. August 1995; der Angriff auf eine Flüchtlingskolonne am 7./8. August, bei dem
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455
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einige Dutzend vorwiegend sehr alte Männer und Frauen auf Traktoranhängern durch
Schüsse aus dem Wald oder Granaten ermordet wurden; neun am 12. August in Komić bei
Korenica ermordete Zivilisten, unter ihnen eine 74-jährige bei lebendigem Leibe in ihrem
Haus verbrannte Frau; sieben am 27. August in Kistanje ermordete Zivilisten (die 1996
erhobene Anklage wurde aus Mangel an Beweisen zur erneuten Untersuchung gegen
Unbekannte zurückgestellt, seit März 2012 läuft ein neuer Prozess gegen fünf Angeklagte)
oder neun in Varivode am 28. September Ermordete im Alter zwischen 60 und 85 Jahren
(sechs Polizisten wurden freigesprochen, die Untersuchung gegen unbekannt damit neu
eingeleitet – zehn Jahre nach dem Freispruch noch ohne neue Erkenntnisse). 47
Seit Ende 2011 ist in Kroatien eine sozialdemokratisch angeführte Koalition an der
Regierung, welche die seit 1990 fast 48 ungebrochen regierende „Kroatische Demokratische
Gemeinschaft“ (HDZ) ablöste. In den 1990ern hatten Präsident Frano Tuđmans aktive
Unterstützung der Anschlussbestrebungen des kroatischen Teils Bosnien-Herzegowinas an
das
„Mutterland“
und
der
Revisionismus
in
Bezug
auf
das
kroatische
NS-
Kollaborationsregime der Ustaša das Land international isoliert. 49 Premier Ivo Sanader hatte
seit seinem Amtsantritt 2003 zwar einen klaren Europakurs verfolgt, aber die Feinbilder aus
dem Zweiten Weltkrieg reaktiviert, als er 2005 mehrfach „die Serben“ implizit als die neuen
Faschisten im Krieg der 1990er Jahre und Kroatien als den neuen Juden“ bezeichnete. 50 Die
neue Vize-Regierungschefin, Außenministerin und Chef-Verhandlerin des kroatischen EUBeitritts, Vesna Pusić, war hingegen bereits Mitte der 1990er Jahre eine ausgewiesene
Kritikerin der Bosnien-, aber auch der Geschichtspolitik der HDZ 51, als die kroatische
Öffentlichkeit von pluralistischen Debatten noch weit entfernt war. Es wird sich zeigen, ob
einerseits die Beteuerungen eingelöst werden, alles zu unternehmen, um die ‚wirklichen‘
Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Auf der anderen Seite
zeigen die Protestdemonstrationen mit über 20.000 TeilnehmerInnen in der 1991
weitgehend zerstörten Stadt Vukovar gegen die Wiedereinführung der kyrillischen Schrift als
zweite Amtsschrift in Orten mit mehr als einem Drittel serbischer Bevölkerung, wie stark die
Tagespolitik nach wie vor mit der Vergangenheit verbunden ist. Denn das sei „nicht das,
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wofür wir gekämpft haben und gestorben sind“ 52, so der Präsident einer Vereinigung der
Verteidiger Vukovars.
General Mirko Norac wurde 2005 an Kroatien überstellt und 2008 in Zagreb für 1991 an SerbInnen in Gospić begangene
Verbrechen zu sieben Jahren Haft verurteilt.
2
Novi list, 18.11.2012.
3
Slobodna Dalmacija, 16.11.2012,
http://www.slobodnadalmacija.hr/Hrvatska/tabid/66/articleType/ArticleView/articleId/193880/Default.aspx
4
http://hho.hr/wp-content/uploads/2012/11/Izjava-br-8-2011-.pdf
5
http://www.documenta.hr/en/crime-in-grubori.html
6
Večernji list, 27.11.2012, http://www.vecernji.hr/vijesti/zbog-zlocina-tijekom-oluje-nakon-nje-osudeno-2380-osoba-clanak479955
7
Nach einer steilen Militärkarriere in Kroatien und der „Kroatischen Militärverteidigung” (HVO) in Bosnien-Herzegowina
befehligte er mehrere wichtige Kriegsoperationen und wurde Befehlshaber des Militärdistrikts Split.
8
http://hr.wikisource.org/wiki/Otvoreno_pismo_dvanaestorice_hrvatskih_ratnih_zapovjednika_hrvatskoj_javnosti. Diese und
alle folgenden Übersetzungen stammen von der Autorin, L.R.
9
http://hr.wikisource.org/wiki/Otvoreno_pismo_dvanaestorice_hrvatskih_ratnih_zapovjednika_hrvatskoj_javnosti
10
Vier der zwölf Generäle fanden sich später vor dem Haager Tribunal wieder, Norac wurde in Zagreb verurteilt und Janko
Bobetko starb, ohne nach Den Haag ausgeliefert worden zu sein, die sozialdemokratische Regierung von Račan verweigerte
2002 seine Auslieferung. Bobetko hatte 1993 eine Militäroperation befehligt, bei der rund 100 SerbInnen ermordet wurden.
11
http://www.slobodnadalmacija.hr/Zadar/tabid/73/articleType/ArticleView/articleId/205721/Default.aspx
12
http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol1.pdf,
http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol2.pdf
13
http://www.icty.org/x/cases/gotovina/acjug/en/121116_judgement.pdf
14
http://www.icty.org/x/cases/gotovina/acjug/en/121116_judgement.pdf
15
http://www.youtube.com/watch?v=UUEsVYJzJWk
16
http://www.kurir-info.rs/gotovina-ekskluzivno-srbi-vratite-se-u-hrvatsku-clanak-515720
17
Ebd.
18
Ebd.
19
Novi list, 30.11.2012.
20
Novi list, 21.11.2012.
21
Novi list, 30.11.2012. Schon als General war Gotovina als religiöser Mensch bekannt. So tauchte bei seinem Prozess ein
Video vom 6. August 1995 auf, als die kroatische Armee unter seiner Führung Knin eingenommen hatte. Bevor er die
Befehlsgewalt an (den 2011 durch die erste Instanz freigesprochenen) Ivan Čermak übergibt, schreit Gotovina darin seine
untergebenen Offiziere an, wie es denn möglich sei, dass um 17 Uhr der Präsident nach Knin komme, aber die Feuerwehr
und zivile Sicherheitskräfte noch nicht hier wären, noch kein Kreuz im Saal hinge und Barbaren und Vandalen ihr Unwesen
trieben, die nur wegen Kriegsbeute Krieg führten und ihren Sold in Form von Kriegsbeute erhielten
(http://www.antegotovina.com/default.aspx?clanak=2424).
22
http://hic.hr/hrvatski-list01.htm
23
Zit. nach Novi list, 8.12.2012.
24
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/pop/marko-perkovic-der-hass-saenger-1492143.html
25
http://www.dalmacijanews.com/Vijesti/View/tabid/74/ID/104616/Vatromet-u-Splitu-Jesu-li-ovo-prekobrojni-topnickiudari-FOTO.aspx
26
http://www.politikaplus.com/novost/68647/zvonimir-trusic-optuzio-generala-ante-gotovina-nas-je-izdao
27
http://www.taz.de/!94963/
28
Novi list, 24.11.2012.
29
Jutarnji list, 16.11.2012, http://www.jutarnji.hr/ivo-josipovic--ovom-presudom-na-domovinski-rat-napokon-je-stavljenatocka--/1066858/
30
Novi list, 24.11.2012.
31
http://www.jutarnji.hr/
32
Jutarnji list, 16.11.2012, http://www.jutarnji.hr/ivo-josipovic--ovom-presudom-na-domovinski-rat-napokon-je-stavljenatocka--/1066858/
33
Mesić besuchte 2003 als erstes Staatsoberhaupt die KZ-Gedenkstätte Jasenovac und betonte die Notwendigkeit einer
Aufarbeitung der Verbrechen aus beiden Kriegen: „Jetzt leben wir endlich in unserem kroatischen Staat, der frei und
demokratisch ist. Wir haben ihn in einem aufgezwungenen, brutalen Krieg verteidigt. Die Idee eines eigenen Staates ist groß.
1
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455
Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and
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Aber es gibt keine Idee, die die Ermordung Unschuldiger, um präzise zu sein – eine Politik der Ermordung Unschuldiger –
rechtfertigen könnte. Das ist unwürdig und unzulässig. Heute und hier in Jasenovac will ich als Präsident der Republik
Kroatien mein tiefes Bedauern wegen all der unschuldigen Opfer aussprechen, die von jenen ermordet wurden, die die Idee
des kroatischen Staates als Deckmantel für Morde, Raub und Verfolgung missbraucht haben, egal wann und in welchem
Kontext. […] Wir wissen, was passiert ist, wir verschließen die Augen nicht vor der Wahrheit, sind bereit, uns den Tatsachen
zu stellen. Wir vergessen nicht und werden nicht zulassen, dass es sich wiederholt. Das kroatische Volk darf keine Geisel
jener sein, die mit ihren Verbrechen seinen Namen beschmutzt haben. Wenn wir den Verbrechern die Flucht in die
Anonymität erlauben oder sogar ermöglichen, wird die Hypothek des Verbrechens auf das ganze Volk übergehen. Das darf
nicht passieren. Das darf weder jenen gelingen, die uns überzeugen wollten, dass die Mehrheit des kroatischen Volkes das
Ustascha-Regime unterstützt hat, was historisch nicht stimmt, noch jenen, die mit dem Schleier eines erzwungenen,
aufgesetzten Vergessens versuchen, die auf kroatischer Seite im Heimatländischen Krieg begangenen Verbrechen zu
verdecken.“ Novi list, 12.05.2003
34
Novi list, 25.11.2012, http://www.novilist.hr/Vijesti/Hrvatska/Stjepan-Mesic-Gotovina-nikada-ne-bi-zavrsio-u-Haagu-damu-je-HDZ-dozvolio-razgovor-s-istraziteljima.
35
http://www.glas-javnosti.rs/clanak/politika/glas-javnosti-16-11-2012/ivica-dacic-u-pravu-su-kada-kazu-da-haski-tribunalnije-sud.
36
Der Spiegel, 16.11.2012, http://www.spiegel.de/politik/ausland/serben-entsetzt-ueber-freispruch-fuer-kroatischen-generalante-gotovina-a-867667.html
37
http://www.blic.rs/Vesti/Hronika/353340/SNS-Presudom-Gotovini-legalizovani-strasni-zlocini-Ljajic-Haski-tribunalizgubio-svaki-kredibilitet
38
http://www.alo.rs/vesti/aktuelno/haski-sud-220-000-srba-je-dobrovoljno-odselilo-iz-hrvatske-a-njih-1-960-su-se-samiubili-video/4438
39
http://www.slobodnaevropa.org/content/srbija-presuda-ne-donosi-pravdu-za-zrtve-oluje/24772774.html. Eine Reportage
über die Situation der Überlebenden und der in die Krajina Zurückgekehrten, über verlassene Dörfer und eine quälende
Erinnerungen stammt aus dem Sommer 2012 (http://www.lupiga.com/vijesti/index.php?id=7090).
40
http://www.blic.rs/
41
Novi list, 21.11.2012.
42
http://pescanik.net/2011/10/presuda-gotovini/
43
http://pescanik.net/2012/11/sta-je-pogresno-u-presudi-gotovini/
44
http://pescanik.net/2012/11/odluka-haga-nije-uverljiva/
45
http://pescanik.net/2012/11/dajte-mi-jos/
46
http://pescanik.net/2012/11/kako-izbjeci-da-nas-presuda-ne-osudi-na-sukob/
47
Nacional, 15.7.2011, http://www.nacional.hr/clanak/106293/ubojstva-civila-tijekom-i-nakon-oluje-barbarska-kronologijauzasa
48
Von 2000-2003 war ebenfalls eine sozialdemokratisch angeführte Koalition an der Regierung und leitete die
Demokratisierung Kroatiens und die Öffnung der Medienlandschaft nach der Ära des autoritär regierenden Präsidenten
Franjo Tuđman ein.
49
Vgl. Radonic, Ljiljana: Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und
europäischen Standards, Frankfurt/M. 2010.
50
So sagte er bei seinem Besuch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem: „Die Welt steht heute vor großen
Problemen, aber man darf auch die Aggression, die Kroatien erduldet hat, nicht vergessen, da auch wir Opfer eines so
schrecklichen Wahnsinns wurden, wie es der Nationalsozialismus und der Faschismus waren und wir, die Bürger Kroatiens,
wissen am besten, was es bedeutet, Aggression zu ertragen.“ (Vjesnik, 29.6.2005)
51
Vgl. Vesna Pusić: Demokracije i diktature. Politička tranzicija u Hrvatskoj i jugoistočnoj Europi. Zagreb 1998.
52
http://www.atvbl.com/novi-protest-u-vukovaru-zbog-cirilice
Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen
Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455
Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and
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