2014-03-02 Leseprobe Den Deutschen Jakobsweg erfahren

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2014-03-02 Leseprobe Den Deutschen Jakobsweg erfahren
Unverkäufliche Leseprobe
Titel : Den deutschen Jakobsweg erfahren
Mit dem Fahrrad unterwegs auf Wegen der
Jakobspilger
Verlag : ROWE Verlag, Inh. Ronald Weigerding
ISBN : 978-3-00-044350-3
Einband : Gebunden (Softcover)
Preisinfo : 11,95 Eur [D]
Preis inkl. MwSt
Preis ist offizieller VLB
Referenzpreis
Seiten / Umfang : 220 S. – 21,0 x 14,8 cm,
23 farbige und 11 s/w Abbildungen,
diverse Praxistipps und Tabellen,
Download-Bereich zum Buch via Internet
Veröffentlichung : 1. Auflage, Februar 2014
www.den-jakobsweg-erfahren.de
Ronald Weigerding
Den deutschen Jakobsweg
»erfahren«
Mit dem Fahrrad unterwegs
auf Wegen der Jakobspilger
ROWE Verlag
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Vorwort
„Schon wieder ein Buch über den Jakobsweg“, könnte sicherlich der
eine oder andere Leser denken. In der Tat sind zahlreiche Berichte im
Internet unter einschlägigen Suchbegriffen und Literatur zu diesem
Thema zu finden.
Beispielsweise von religiösen Pilgern, die Monate lang zu Fuß die
beschwerliche Berglandschaft durchwandert haben. Von sportiven
Wanderern, die in der Bezwingung der Wegstrecke eine körperliche
Herausforderung suchen. Von Pilgern, die über eine Pilgerfahrt
schwere persönliche Schicksalsschläge verarbeiten möchten. Oder
solche, die sich gemeinsam mit Gleichgesinnten auf den Weg machen
und den Erfahrungsaustausch in der Gruppe schätzen. Andere wieder
gehen allein, um eine Auseinandersetzung mit sich selbst zu führen.
Warum also zu den bereits vorhandenen Berichten, Kommentaren,
Büchern etc. ein weiteres Werk hinzufügen?
Erstens, weil für dieses Thema kein umfassendes Universalwerk
existiert, das die unterschiedlichen Fragen aller Pilgerinteressierten
beantworten könnte. Vielmehr muss sich der angehende Pilger vieler
Informationsquellen bedienen, um sich – teilweise auch mühevoll - die
benötigten Antworten zusammenzutragen. Auch ich habe diverse
Wochen im Internet recherchiert und Informationen aus zahlreichen
Quellen gesammelt. Auch mehrere Bücher habe ich zu dem Thema
gelesen. Aus den vielen Einzelinformationen und den unterschiedlichen
Blickwinkeln der Autoren habe ich mir ein eigenes Bild und eine
Gesamtübersicht verschafft. Das half mir, meine eigene Entscheidung
zu festigen und meine Pilgerfahrt entsprechend vorzubereiten.
Zweitens existierte zum Zeitpunkt meiner Recherche schlicht kein
umfassender Internetbericht oder ein entsprechendes Buch, in dem die
von mir gewählten deutschen Wegstrecken beschrieben wurden.
Entweder sind nur wenige Radpilger in Deutschland unterwegs, oder
sie sind nicht so schreibfreudig wie die Pilger des spanischen Jakobsweges. So entstand die Idee, meinen ohnehin vorgesehenen Reisebericht auf ein Buch auszuweiten, in dem die recherchierten
Informationen und die gewonnenen Erfahrungen gebündelt sind. Das
Buch soll insbesondere Radpilgern als Informationsquelle dienen. Da
diese Pilgerfahrt gleichzeitig unsere erste längere Fahrradreise ist, sind
auch allgemeine Erfahrungen und Erkenntnisse zu Radreisen wieder-
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gegeben. Als besonderes Bonbon habe ich mir die Mühe gemacht, die
von mir erstellten Listen in elektronischer Form über einen DownloadBereich zum Buch bereitzustellen. Damit sparen Sie sich die Mühe der
Erstellung und können die Inhalte leicht an Ihre eigenen Bedürfnisse
anpassen.
Logischerweise ist die Vorbereitung und Durchführung der Pilgerfahrt
an unserem persönlichen Bedarf ausgerichtet. Ich habe unsere
Vorbereitungsschritte begründet und alternative Entscheidungsmöglichkeiten beschrieben, so dass auch Pilgerinteressierte mit
anderen Schwerpunkten ihren Wert daraus ziehen können.
Sollten Sie noch unentschlossen sein, erhalten Sie über dieses Buch
einen ausführlichen Eindruck, was Sie auf einer Pilgerfahrt erwartet.
Haben Sie sich bereits entschieden, eine Pilgerfahrt zu machen,
bekommen Sie ergänzende Tipps und Anregungen für Ihre eigene
Vorbereitung und Durchführung. Sind Sie erfahrener Radreisender,
ähneln sich vermutlich viele unserer Gedanken, Empfindungen und
Erfahrungen. Oder sie sind sogar gleich.
Das Buch habe ich begleitend zu den Reiseaktivitäten geschrieben. Das
heißt, die Buchteile Vorbereitung, Durchführung und Rückblick sind
nacheinander entstanden. Im Abschnitt Rückblick bekommen Sie eine
ehrliche Aussage über die Praxistauglichkeit unserer Ausrüstung.
Übrigens, wenn ich in meinem Buch aus Vereinfachungsgründen die
Formulierung „der Pilger“ verwende, soll es keine Reduzierung auf das
männliche Geschlecht sein. Alle Inhalte gelten selbstverständlich im
gleichen Maße auch für Pilgerinnen.
An dieser Stelle bedanke ich mich bei allen Beteiligten, die dieses Buch
ermöglicht haben. Insbesondere bedanke ich mich bei unserer
Freundin Selma und meiner Schwägerin Claudia, die sich als
Korrektorinnen betätig haben. Und bei Frau Steger [1] und Herrn
Schäfer [5] für die freundliche Bereitstellung ihrer Informationen.
Viel Spaß beim Lesen
wünscht Ihnen
Ronald Weigerding
Alveslohe, 28.01.2014
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[Auszug 1 aus Teil I – Vorbereitung]
Teil I - Vorbereitung
I-1 Pilgern
Z
u Beginn stellt sich für viele Interessierte die Frage: Was
unterscheidet einen Wanderer von einem Pilger? Grundsätzlich
ist Pilgern religiös motiviert. Der Pilger verspricht sich von
seiner entbehrungsreichen Pilgerfahrt in der Regel die
Erlangung des Ablasses und damit meist die Vergebung seiner Sünden.
Dafür nehmen sie häufig bewusst Entbehrungen und Strapazen auf
sich. Doch bereits im Mittelalter gab es diverse weltliche Beweggründe,
eine Pilgerfahrt anzutreten, dazu später mehr. Dass auch heute
durchaus weltliche Gründe Menschen zum Pilgern bewegen, zeigt
bereits der erhebliche Anstieg der Pilger nach der Veröffentlichung des
Buchs von Hape Kerkeling [6]. Danach scheint Pilgern „in“ zu sein.
Offensichtlich wählen viele Reisende bewusst einen Pilgerweg, obwohl
sie eine Wanderung natürlich auch auf anderen Wegen durchführen
könnten. Für diese Menschen ist es vermutlich inspirierender Gedanke,
sich auf einen Weg zu begeben, den bereits seit Jahrhunderten
zahlreiche Pilger unter beschwerlichen Bedingungen gegangen sind.
Möglicherweise gibt das dem heutigen Wanderer ein Gefühl der
Verbundenheit und Stärke, dass auch sie diese Wegstrecke schaffen und
ihr gesetztes Ziel erreichen können. Abgesehen von der religiösen
Motivation sind Pilger beispielsweise auch unterwegs, um sich einer
körperlichen Herausforderung zu stellen, wegen ihrer Naturverbundenheit, um Abenteuer zu erleben, um Kontakte zu Gleichgesinnten zu
knüpfen, aus kulturellem Interesse heraus oder zur Selbstfindung.
Einer Besinnungsreise zu sich selbst kann auch wieder religiös
motiviert sein, wenn sich der Pilger mit Fragen nach seinem Glauben,
der Suche nach Gott und nach Spiritualität auseinandersetzt.
Bei meiner Recherche stieß ich auf einen Vortragstext von Karl-Josef
Schäfer [5], der eine gute Einführung zum Pilgern ist. In dem
Vortragstext erläutert er unterhaltsam und detailreich die historischen
Hintergründe. Abschließend regt er zu einer Idee für das heutige
Jakobspilgern an. Auf der Grundlage des Vortragstextes wurden die
folgenden Fragen rund um das Pilgern beantwortet.
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Wie kam es zu dem Mythos um das Grab des heiligen Jakobus?
Nach der Apostelgeschichte, gehörte Jakobus zu den ersten berufenen
Jüngern, den 12 Aposteln. Die erstberufenen Jünger nehmen im Neuen
Testament eine besondere Rolle ein. Den Zusatz "der Ältere" (d.Ä.)
gaben ihm spätere Generationen, um ihn von anderen Jüngern, die
ebenfalls den verbreiteten Namen Jakobus trugen, unterscheiden zu
können. Hingerichtet wurde Jakobus schließlich mit dem Schwert auf
Veranlassung von König Herodes.
Alle weiteren Informationen können nur den Legenden entnommen
werden. Danach wurde nach der Hinrichtung von Jakobus der
Leichnam per Schiff nach Galicien transportiert. Von dort soll der
Leichnam ins Landesinnere gebracht und begraben worden sein. Das
Grab geriet vorerst in Vergessenheit. Wiedergefunden wurde das
verloren geglaubte Grab durch eine Lichterscheinung des Eremiten
Pelayo. Der zuständige Bischof ordnete daraufhin den Bau einer
Kapelle an.
Durch
machtpolitische
und
wirtschaftliche
Interessen
der
Herrschenden des Mittelalters wurde das Apostelgrab zum dritten
Hauptpilgerziel neben Jerusalem und Rom für die Christenheit
entwickelt. Der Apostel Jakobus, der der Legende nach auch Märtyrer
und Maurentöter gewesen sein soll, wurde zur Identifikationsgestalt der
damaligen Zeit. Gleichzeitig nutzten die christlichen Königreiche
Spaniens die Gelegenheit, die entvölkerten Landschaften besonders
entlang des sich langsam entwickelnden Weges von den Pyrenäen bis
nach Santiago de Compostela neu zu besiedeln. Insbesondere in
Frankreich wurden den Ansiedlern entlang des Pilgerweges besondere
Privilegien eingeräumt. Noch heute heißt dieser Hauptjakobsweg
"Camino Frances".
Nachdem sich auch die Kirche im Besonderen für den Apostel Jakobus
ausgesprochen hatte, hatten sich viele aus der Bevölkerung aufgemacht,
um am Grab in Santiago de Compostela den heiligen Jakobus um
Beistand bei Christus zu bitten. Im Laufe der Geschichte ließen die
Gegebenheiten die Pilgerzahlen mal sinken, mal steigen. Jedoch hörte
der Pilgerstrom niemals ganz auf. 1879 wurden die verschollen
geglaubten Gebeine des Apostels wiedergefunden. Der Papst bestätigte
deren Echtheit und löste damit eine neue Pilgerwelle aus.
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Ein christliches Hauptpilgerziel ist der Petersdom in Rom
Was trieb den mittelalterlichen Pilger auf den Jakobsweg?
Die Hauptmotive, sich auf eine Pilgerfahrt nach Santiago de
Compostela zu begeben, waren spirituellen Gründe. Häufig sollte die
Erlangung des Ablasses und damit die Sündenvergebung erreicht
werden. Auch Buß- und Betfahrten wurden unternommen. Entweder
um sich bei dem Heiligen für die Heilung oder Errettung zu bedanken,
oder um für entsprechende Unterstützung zur Heilung oder Errettung
zu bitten. Auch konnte die Kirche Pilgerfahrten anordnen, zum Beispiel
als Buße für eine schwere Sünde. Selbst als Sühne für schwere
Verbrechen konnte die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
auferlegt werden. Aber es gab damals auch ganz weltliche Motive. Bei
vielen Adligen soll es schlicht die Abenteuerlust gewesen sein. Sie
beteiligten sich auf dem Weg an kriegerischen Auseinandersetzungen.
Andere Adlige hingegen waren mehr darauf bedacht, in Orten, in denen
sie verweilten, ihren Namen und/oder ihr Wappen zu hinterlassen.
Auch diente die Pilgerfahrt als Vorwand, um sich für eine gewisse Zeit
im Ausland aufzuhalten und dabei Land und Leute kennenzulernen.
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Wird jedem Pilger Ablass für die Reise nach Santiago de Compostela
gegeben?
Nur im Heiligen Jahr kann der Pilger einen vollkommenen Ablass
erhalten und unter bestimmten Voraussetzungen die Vergebung aller
Sünden erreichen. Außerhalb der Heiligen Jahre ist mit der Reise kein
Sündenerlass verbunden, sondern bei ausgestellter Pilgerurkunde
lediglich der Nachweis, dass sie unternommen wurde. Heilige Jahre
finden in Santiago de Compostela immer dann statt, wenn der
Jakobustag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Das letzte Heilige Jahr
war 2010.
Welcher Jakobsweg ist der „Richtige“?
Grundsätzlich gibt es den „richtigen“ Jakobsweg nicht. Es existiert zwar
ein Hauptverkehrsweg, der sogenannte „Camino Frances“, der sich von
den Pyrenäen bis zum Jakobusgrab erstreckt. Doch wird ein Spanier
nach dem Jakobsweg gefragt, dann antwortet er, der Weg beginne vor
der eigenen Haustür. Ergänzend sei erwähnt: Die Mitgliedstaaten der
EU haben sich darauf verständigt, dass nur der nordspanische
Hauptverkehrsweg offiziell die Bezeichnung „Jakobsweg“ (span.
„Camino de Santiago“) tragen darf. Alle anderen Routen sind dagegen
„Wege der Jakobspilger“. Nach dieser Definition gibt es in Deutschland
offiziell keine „Jakobswege“, sondern nur „Wege der Jakobspilger“, die
als Zubringerpfade zum Camino de Santiago dienen. Haben Sie bitte
dafür Verständnis, dass ich in meinem Buch auf diese feinsinnige
Unterscheidung verzichte und aus pragmatischen Gründen die
Bezeichnung „Jakobsweg“ auch für deutsche Wegstrecken verwende.
Welchem Wandel unterliegt das Jakobspilgern?
Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Schäfer an, dass die
Bedeutung des Jakobspilgers sich wandelt. Während sich der Pilger
ursprünglich auf eine Wallfahrt (Wallfahrt = göttliche Kraft an einem
Ort besonders stark) gemacht hat, begibt sich der heutige Pilger in der
Regel auf eine Pilgerfahrt (Pilgerfahrt = der Weg ist das Ziel). Damit
tritt das Ziel „Santiago de Compostela“ in den Hintergrund. Das religiös
motivierte Pilgern könnte heutzutage als konsequente Nachfolge Jesu
Christi verstanden werden. Unterwegs zu sein, ohne feste Bleibe, ohne
Besitz und als Fremder.
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Laufen, um einen Weg zu Gott zu finden
Laufen, um den christlichen Glauben zu festigen
Laufen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen
Laufen, um zu entschleunigen
Laufen, um Zeit für sich zu haben
Laufen aber auch, um sich „einfach“ fortzubewegen
Geringes Budget, einfaches Leben, auskommen mit dem Nötigsten
Doch unabhängig davon, was letztendlich Ihre persönliche Motivation
ist, sich auf eine Pilgerreise zu begeben. Wenn Ihr Entschluss gefasst
ist, müssen Sie sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie soll meine
individuelle Pilgerreise gestaltet sein? Es gilt zu überlegen, wann Sie
konkret mit Ihrer Pilgerreise beginnen wollen, und ob Sie den Weg
allein oder in Begleitung gehen wollen. Möglicherweise ist Ihnen der
gemeinsame Austausch mit einem Weggefährten oder in der Gruppe
während der Pilgerreise wichtig. Aber auch das Gegenteil kann der Fall
sein, dass Sie die Reise bewusst allein unternehmen wollen. Eine
Pilgerreise können Sie individuell nach Ihren eigenen Bedürfnissen
ausrichten. Alternativ kann die Reise auch über einen Veranstalter
organisiert stattfinden, der Ihnen durch Ausarbeiten der Route, das
Buchen von Unterkünften und gegebenenfalls den Transport Ihres
Gepäcks Erleichterung verschaffen kann. Überlegen Sie sich, wie Ihre
körperliche Verfassung ist, und welche maximalen Tagesetappen Sie
sich zumuten können. Bedenken Sie, dass Sie auf der Pilgertour nicht
von Etappenziel zu Etappenziel hetzen sollten. Die Empfindungen und
Erfahrungen auf dem Weg sollten das eigentliche Ziel sein, und nicht
die möglichst schnelle Überwindung einer Distanz zwischen zwei
Wegpunkten. Das bewusste Erleben des Weges, das gelegentliche
Innehalten, um auch die Umgebung links und rechts des Weges
wahrnehmen zu können. Die regelmäßige Pause, um seinen Gedanken
nachzugehen. Das Gespräch mit einem Weggefährten oder das
Einkehren in eine Kirche zum Gebet. All das braucht eine angemessene
Zeit.
Machen Sie sich vor der Reise bewusst, ob Sie Ihren Körper noch
entsprechend trainieren müssen. Eine Pilgerreise ist kein Spaziergang.
Das gilt auch für die Reise mit dem Fahrrad. Nicht selten wird der
Reisende an die Grenze seiner physischen oder psychischen Belastung
gebracht.
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Anlässlich meines sich anbahnenden fünfzigsten Lebensjahres hatte ich
für mich entschieden, mich auf einen Jakobsweg zu begeben. Eine
Pilgertour hat für mich den Reiz, sich auf ein einziges Ziel zu
konzentrieren zu dürfen. Dabei möchte ich meinen Reisekomfort
bewusst reduzieren und auf typische Annehmlichkeiten einer
klassischen Urlaubsreise verzichten. Das gilt sowohl für das
Fortkommen auf meiner Wegstrecke als auch für die Wahl meiner
Unterkünfte. Ich möchte meinen Blick auf das Wesentliche, nämlich
den Weg selbst, richten und mir die Zeit nehmen, die vielen, kleinen
Ereignisse während der Reise wahrnehmen zu können. Bei der
Etappenplanung räume ich mir ausreichend Zeit ein, damit ich die
vorgenommene Wegstrecke auch mit meiner körperlichen Leistungsfähigkeit bewältigen kann. Mein Wunsch ist es, dass sich unter diesen
Bedingungen für den Körper ein Rhythmus einstellt, der den Pilgerweg
zu einer meditativen Erfahrung für den Geist werden lässt. Das soll mir
ausreichend Raum und Zeit verschaffen. Zeit für Gedanken, Zeit für
Besinnung …
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[Auszug 2 aus Teil I – Vorbereitung]
I-5 Infoquellen, Landkarten, Reiseführer
D
ie gute Nachricht ist: Über das Pilgern im Allgemeinen und das
Pilgern auf dem spanischen Camino im Besonderen sind im
Internet sehr viele Informationen zu bekommen. Die
Informationen einschlägiger Internetseiten werden zudem
aktuell gehalten. Ausgewählte Links habe ich auf meiner Internetseite
bereitgestellt. Unter der Nutzung einschlägiger Suchmaschinen stehen
Ihnen Hintergrundinformationen, individuelle Erlebnisberichte, Reiseangebote, Dialoge in Portalen etc., zur Verfügung, mit denen Sie sich
gut auf das Thema einstimmen können. Einige Buchtipps können Sie
auch dem Literatur- und Webadressen-Verzeichnis im Anhang
entnehmen (III-1). Wem die vielen Texte und Fotos nicht reichen, der
kann darüber hinaus Clips und sogar ganze Filme auf einschlägigen
Videoportalen,
wie
zum
Beispiel
www.youtube.de
oder
www.myvideo.de, im Internet kostenlos ansehen.
Die schlechte Nachricht ist: Ein Großteil der verfügbaren
Informationen bezieht sich auf spanische Pilgerwege. Die können gut
für den Aufbau von Hintergrundwissen genutzt werden. Zum Zeitpunkt
meiner Recherche existieren hingegen nur wenige Internetseiten und
Bücher über deutsche Jakobswege, und über Pilgerfahrten mit dem
Fahrrad sogar keine. Das Gute an dieser Tatsache ist: Sie dürfen die
deutschen Wege noch ein Stück weit mehr auf eigene Faust entdecken.
Vom Streckenverlauf, über die Unterkünfte bis hin zu den Sehenswürdigkeiten muss der Pilger mehr Eigeninitiative und Aufmerksamkeit aufbringen. Er muss auch experimentierfreudiger sein. Da wird
sicher gelegentlich unser gewünschtes Vorgehen in einer Sackgasse
enden, dann müssen wir uns eben eine neue Lösung suchen und es
nochmals probieren. Etwas Literatur wird natürlich auch für die
deutschen Wege angeboten. Aber bereits eine halbwegs aktuelle und
genaue Landkarte, in der die deutschen Jakobswege abgebildet sind, ist
- zumindest zum Zeitpunkt meiner Recherche - nicht zu beschaffen.
Informationen und Erlebnisberichte von Radpilgern haben einen
gewissen Seltenheitswert. Ob unser Vorhaben, den original Fußpilgerweg mit Fahrrädern zu befahren, tatsächlich realisierbar ist, ob und
welche Wegstellen wir besser über Ausweichstecken umfahren sollten,
kann nicht durchgängig vor Reiseantritt abgeklärt werden. Das macht
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natürlich auch gleichzeitig den Reiz dieser Pilgerfahrt aus. Denn seien
wir ehrlich: Das Risiko besteht meist lediglich darin, dass eine etwas
längere Wegstrecke zu fahren ist, um an das gewünschte Ziel zu
gelangen. Das Risiko gehen wir gern ein.
Bei der Recherche zu deutschen Pilgerwegen bin ich auf die sehr
informative Internetseite von Beate Steger [1] gestoßen. Auf der
Internetseite erhält der Besucher auf einer Übersichtskarte einen
Überblick über die Vielzahl der deutschen Pilgerwege. Von der
Übersichtskarte kann über Verlinkung auf die weitere Detailinformationen zur jeweiligen Wegstrecke verzweigt werden. Dort wird
neben Buchtipps, Kontaktadressen etc. auch kostenfrei eine gpx-Datei
zum Download angeboten. Damit kann elektronisch gestützt eine
Navigation auf dem jeweiligen Jakobsweg erfolgen. Frau Steger bietet
auch eine interessante DVD auf Ihrer Internetseite zum Kauf an [1], die
erste Eindrücke der deutschen Jakobswege vermittelt.
Landkarten in Papierform
Nachdem wir auf Fahrradtouren gute Praxiserfahrungen mit
Navigationsgeräten gesammelt haben, werden wir uns auch auf der
Pilgerfahrt vorwiegend auf eine elektronische Wegführung stützen.
Eine Landkarte nehme wir zwar auch auf den Weg, jedoch
hauptsächlich um uns gelegentlich eine Übersicht über den aktuellen
Standort oder den Verlauf der nächsten Streckenkilometer zu
verschaffen. Natürlich muss die Karte auch für die Bewertung von
Ausweichstrecken herhalten. Gern hätten wir dafür Karten mit
eingezeichneten Pilgerstrecken genutzt. Doch die Käuferkritiken der
wenigen, verfügbaren Karten waren bezüglich Aktualität und
Genauigkeit derart vernichtend, dass wir lieber darauf verzichtet haben.
Ich empfehle eine Karte mit hoher Auflösung, das heißt mindestens im
Maßstab 1:300 000, damit eine ausreichende Detailtiefe erreicht wird.
Praxistipp
Meine Empfehlung sind Kartenblättersätze, dann brauchen Sie nur
die benötigten Kartenblätter mit sich führen. Das reduziert Ihr
Gepäckgewicht. Beispielsweise hat die ADAC Straßenkarte
Deutschland (Maßstab 1:200.000) eine kompakte Darstellung auf
10 Doppelblättern. Ein Nachteil dieser Karte: Die Reißfestigkeit der
Kartenblätter könnte besser sein.
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Landkarten in elektronischer Form
Die Entwicklung der letzten Jahre hat zu einer hohen Verbreitung von
Smartphones und Tablet-PC’s geführt. Ich gehe davon aus, dass ein Teil
der Pilger bewusst keine elektronischen Geräte mitführen und auf eine
Gerätenavigation verzichten wollen. Dafür habe ich Verständnis. Für
die anderen Pilger gilt: Diese Geräte können auch gut für die Anzeige
von elektronischen Landkarten genutzt werden. Insbesondere wer sich
bereits ein Gerät beschafft hat oder kurz vor der Beschaffung eines
Gerätes steht, wird wohl überlegen, ob er es mit auf die Pilgerfahrt
nimmt.
Elektronische Kartenanzeige der App „MapsWithMe“
Auf der Tour setzte ich sowohl ein Smartphone als auch einen TabletPC mit 7 Zoll Display ein. Beide Geräte sind mit Android-Betriebssystem ausgestattet. Dadurch verfügen beide Geräte obligatorisch über
die App „Google Maps“. Besteht bei jedem Zugriff eine funktionsfähige
Internetverbindung (zum Beispiel per integriertem UMTS-Modem),
dann bietet „Google Maps“ ein großes Angebot an Kartenmaterial.
Doch auf abgelegenen Landschaftsabschnitten müssen wir davon
ausgehen, dass es gelegentlich keine Internetverbindung gibt. Eine
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Navigationsfunktion ist in der App ebenfalls integriert. Die liefert aber
nur durchschnittliche Ergebnisse. Zudem belastet die „online“Navigation das bei einer Flatrate obligatorische Kontingent für schnelle
Datenübertragung, denn die Kartendaten werden kontinuierlich
nachgeladen.
Flexibler ist die Android-App „OruxMaps“. Mit dieser App können Sie
zusätzlich auch auf gespeicherte Karten („offline“-Betrieb) zugreifen. Je
nach Detailtiefe der Karte (Zoomfaktor) wird ein guter Informationsumfang geboten. Etwas umständlich ist die Zusammenstellung der
Landkarten-„Kacheln“ über eine Windows-Software. Dafür sind
Software und Karten des OpenStreetMaps-Projektes kostenlos.
Praxistipp
Um sich eine Übersicht über die aktuelle Umgebung zu verschaffen,
ist eine komplette Deutschlandkarte ideal. Meine Empfehlung ist die
Android-App „MapsWithMe“. Das deutsche Kartenmaterial kann
gebietsweise heruntergeladen werden und steht dann „offline“ zur
Verfügung. Es basiert auf dem Straßennetz. Das hilft beim Fahren auf
Fuß- und Radwegen zwar nur begrenzt, aber es enthält zahlreiche
Angaben zu Restaurants, Hotels, Post, Krankenhäusern etc.. Die
aktuelle Position auf der Karte kann mittels GPS-Empfänger im Gerät
schnell bestimmt werden, das ist in fremder Umgebung ein Vorteil.
Die Basisversion der App ist kostenlos. Die Bezahlversion „Pro“ bietet
eine zusätzliche Suchfunktionen und erweiterte Detailinformationen.
Reiseführer
Auf der besagten Internetseite von Beate Steger [1] gibt es zu fast allen
Wegstrecken einen oder mehrere Literaturvorschläge. Diese enthalten
laut Inhaltsangabe nützliche Strecken- und Hintergrundinformationen
für den jeweiligen Jakobsweg. Das Format ist allerdings für Fußpilger
ausgelegt. Für die von mir ausgesuchte, relativ lange Wegstrecke
existiert leider kein brauchbarer Reiseführer im Buchformat. Somit
habe ich mich entschlossen, die Beschreibung und Informationen zu
meinen Tagesetappen allein auf die Erkenntnisse meiner Internetrecherche zu stützen.
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[Auszug 3 aus Teil II – Erlebnisbericht]
II-06 Reisetag Nr. 6 – Vörden
Wetter
Tagestemperatur
Etappenlänge
Höhenmeter
(Anstieg)
8 °C
44,2 km
439 m
Streckenprofil
Streckenverlauf
Asphalt, Sand,
Waldboden
Vechta – Vörden
Unterkunft
Adresse
Radpilgertauglichkeit
Hotel "Zum Hollotal"
Am Hollo 20, 49434 Neuenkirchen-Vörden
Heute beginnen wir unseren Tag um 7:30 Uhr. Unsere Satteltaschen
sind wieder schnell reisefertig gepackt. Vom reichhaltigen und
vielseitigen Frühstücksbuffet verführt, lassen wir heute ein
ausgedehntes Frühstück schmecken und genießen die Zeit. Derweil fällt
mir einen Tisch weiter ein ungleiches Pärchen auf. Sie waren bereits im
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Frühstücksraum, als wir eintraten. Er ist im Business Style gekleidet,
dunkelhäutig, ein gepflegtes Äußeres und mittleren Alters. Sie ist
ebenfalls geschäftsmäßig gekleidet, vermutlich deutscher Herkunft und
noch relativ jung. Ich schätze ihr Alter auf 25 Jahre. Hören kann ich nur
Gesprächsfragmente, die sind in englischer Sprache. Er stellt ihr viele
Fragen und gibt viele Anweisungen. Sie hört ihm aufmerksam zu,
macht sich viele Notizen und versucht seinen Worten zu folgen und
seine Fragen zu beantworten. Keine leichte Aufgabe, auch wenn sie sich
sichtbar Mühe gibt, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Zum Frühstücken
kommen beide nur wenig, das Gespräch hält sie davon ab. Es ist
interessant, diese Situation mit einer gewissen Distanz und Gelassenheit zu betrachten. Es ist eine Situation, die mich an meinen eigenen
Berufsalltag erinnert. Ich empfinde uns gerade privilegiert, weil uns
unsere Pilgerfahrt erlaubt, ausgiebig Zeit für Pausen einzusetzen. Es ist
schön, dass wir dies auch praktizieren. Sind wir bereit, die Pausen mit
einer gewissen Muße zu verbringen, dann öffnen wir uns, auch kleine
Details wahrzunehmen. Das Geschäftsleben ist schon hektisch, stelle
ich am Beispiel des beobachteten Pärchens fest. Konzentriert auf die
anstehenden Aufgaben wird die Umwelt nur auf das notwendige Maß
reduziert wahrgenommen. Auf diese Weise wird die zur Verfügung
stehende Arbeitszeit effizient genutzt. Wahr ist aber auch, dass wir
dabei viele Dinge des Alltags nicht sehen bzw. nicht sehen wollen, weil
wir sie wirksam ausblenden. Während ich so vor mich hin sinniere,
bricht das Paar abrupt auf, nachdem er einen Blick auf seine
Armbanduhr geworfen hat und verlässt den Raum. Nun wird es auch
für uns Zeit, befinden wir.
Petra macht sich wieder allein auf den Weg, um in der naheliegenden
Einkaufspassage Shampoo und ABC-Pflaster für ihren Rücken zu
besorgen. Derweil befreie ich die Ketten, die Schaltwerke und die
Umwerfer unserer Fahrräder vom oberflächlichen Schmutz.
Anschließend öle ich die Bauteile großzügig ein. Jetzt laufen beide
Antriebe wieder nahezu geräuschlos. So soll es sein. Auf dem
Hotelzimmer angekommen, schreibe ich am Schreibtisch noch schnell
meine Notizen zum Vortag. Dann trifft auch Petra wieder vom
Einkaufen ein. Wenig später brechen wir auf. Ich checke bei einem
jungen, wortkargen Rezeptionisten aus. Wir fahren die bepackten
Räder aus der Tiefgarage. Am oberen Ende der Garagenausfahrt
angekommen, mache ich noch ein paar Fotos vom Hotel. Jetzt entdecke
ich auch die gestern noch vermisste Tapas-Bar in einem Nebengebäude.
Kein Wunder, dass sie uns gestern nicht aufgefallen war. Die
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Einrichtung hat eine sehr zurückhaltende Beschilderung, die sie als Bar
kenntlich macht.
Die Landschaft auf unserer heutigen Fahrt ist der des Vortages sehr
ähnlich. Wir fahren wieder über Feld- und Waldwege durch das
mittlerweile hügelige Gebiet. Dann kommt der erste, größere Hügel,
den wir über einen langgestreckten, durch die Natur geführten Weg
hinauffahren müssen. Auf dieser Distanz hilft kein anfänglicher
Schwung. Der Hügel muss Kilometer für Kilometer mit körperlichem
Einsatz erklommen werden. Oben angekommen, verrät uns ein Schild,
dass wir uns auf dem Kokenberg befinden. Von jetzt ab führt der Weg
in umgekehrter Weise vom Hügel herunter. Wir müssen die ganze
Abfahrt in kurzen Intervallen kräftig bremsen. Durch das starke Gefälle
nehmen wir sonst stetig an Geschwindigkeit zu und fahren viel zu
schnell. Dieser Hügel war der Auftakt für eine Vielzahl ähnlicher Hügel,
die auf unserem weiteren Weg noch folgen werden.
Unser Pfad verläuft über das Südlohner Moor. Hier durfte ich zum
ersten Mal eine Torfbahn im praktischen Einsatz sehen und ich bin
begeistert. Diese gibt es auch bei uns in Schleswig-Holstein. Nur sind
wir meist am Wochenende in diesen Gegenden unterwegs. Und damit
auch außerhalb der Arbeitszeit, so dass die Bahnen außer Betrieb sind.
Die vielen Waggons sind voll mit Torfstücken beladen und werden von
einer kleinen Lokomotive gezogen. Der Zug fährt auf dem buckligen,
schmalen Gleis mit gemächlicher Geschwindigkeit zur Aufbereitungsanlage. Die befindet sich auf einem nicht allzu weit entfernten, recht
großem Gelände. Dort werden bereits die vollen Waggons einer zweiten
Bahn entladen. Die niedliche Lokomotive sieht aus, als wäre sie einer
Märchenbahn für Kinder vom Rummelplatz entnommen worden.
Vermutlich hat das Miniaturformat der Bahn seine Gründe. Ich könnte
mir vorstellen, dass sich das kleine Schmalspurgleis leichter und
schneller zu anderen Moorgebieten verlegen lässt, als die großen
Bahnschwellen und Gleise im Format der Bundesbahn. Die kleine
Lokomotive mit ihrem kurzen Radstand ist wendiger und leichter als
eine große Rangierlokomotive. Das gleiche gilt für die kleinen Waggons.
Da können die Kurven auch in kleinen Radien verlaufen. Und es
braucht es keinen besonders belastbaren Untergrund.
Auch heute sind wieder viele der zu befahrenen Waldwege durch
nächtliche Regenschauer aufgeweicht. Wie an den vorherigen Tagen,
begegnen wir auch heute keinen Fahrrad- oder Fußpilgern. Selbst
andere Radreisende sind nur sehr selten zu sehen. Ehrlicherweise lädt
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das Wetter dazu auch wirklich nicht ein. Auf den ersten zwei Dritteln
unserer Tagesstrecke haben wir durch den nächtlichen Regen eine
Temperatur von nur 7 Grad Celsius. Da entwickelt der Körper einfach
nicht seine optimale Leistungsfähigkeit, und es ist anstrengend. Auch
im späteren Tagesverlauf steigt die Temperatur nur minimal an. Zur
niedrigen Temperatur gesellen sich nach ca. 25 km gefahrener Strecke
noch die zuvor beschriebenen Hügel dazu. Deren Steigungen sind jetzt
noch zusätzlich zu erbringen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
Positiv ist zu vermerken, dass es auf den ersten zwei Dritteln der
Strecke nicht regnete. Nach den Erfahrungen der letzten Tage haben
wir damit schon viel gewonnen. Weiterhin dürfen wir auch heute
wieder durch eine schöne Naturlandschaft fahren, das motiviert uns
natürlich. In der Nähe des St. Anna Stifts fallen uns diverse Kreuze und
Kapellen am Wegesrand auf, die aufwendig mit blühenden, gepflegten
Büschen geschmückt wurden.
Kapelle am Wegesrand
Dafür werden die Wegmarkierungen für Pilger seltener und tauchen
nur noch sporadisch auf. Mein Antrieb macht beim Treten KnackLeseprobe - 19 / 22
geräusche. Offensichtlich machen sich unter Belastung letzte
Verschmutzungsreste an der Kette und den Zahnrädern bemerkbar.
Lose sind die Bauteile nicht und im lastfreien Zustand laufen sie auch
geräuscharm. Oberflächliches Reinigen und Ölen ist wohlmöglich nicht
ganz ausreichend. Der Techniker in mir beschließt, erst einmal
weiterzufahren und das weitere Verhalten zu beobachten. Mit etwas
Glück beseitigt sich das Geräusch wieder von selbst.
Unsere Besinnungspause machen wir in Lohne in der ersten, geöffneten
Bäckereifiliale, die Außengestühl zum Verweilen anbot. Wir bestellen
jeder einen Becher Kaffee und ein Stück gedeckten Apfelkuchen. Ich
gönne mir noch eine kleine Flasche Cola. Für die erhalte ich auch
prompt den ermahnenden Hinweis, dass ich sie auf keinen Fall auf dem
Außengestühl trinken dürfte. Die sei schließlich nur für den „außer
Hausverkauf“ vorgesehen. Eine gewissenhafte Verkäuferin beugt einem
möglichen Übel eben rechtzeitig vor und redet den Kunden gleich ins
Gewissen. Stammkunden schafft sie auf diese Art aber auch nicht
unbedingt. Nachdem wir den Kuchen probiert haben, wird uns klar: Sie
kann Ansprüche stellen, denn der Kuchen ist ein Gedicht. So machen
wir eine Ausnahme und kaufen noch eine Nussecke. Anfangs dachten
wir noch, die können wir später verspeisen. Doch nachdem wir sie
probiert hatten, wurden wir schwach und haben sie ebenfalls sofort
gegessen. Lohne selbst wirkt wie eine Geisterstadt. Bis auf die wenigen
meist mit dem Auto anfahrenden Kunden dieser Bäckereifiliale, ist
keine Menschenseele zu sehen. Weder in den Häusern noch in den
Straßen zeigt sich ein Anwohner. Während wir unter der Markise
verweilen und entspannen, fängt es wieder leicht an zu regnen.
„Dann fahren wir eben bei Regen“, sagen wir uns und beenden unsere
Pause. Auch die weitere Strecke ist landschaftlich attraktiv. Die
Steigungen nehmen teilweise erheblich zu. Insbesondere bei den
Waldwegen hat der Regen seine Spuren hinterlassen und sie schwer
passierbar gemacht. In einem Waldabschnitt zwingen uns steile
Weganstiege gleich mehrmals zum Absteigen und Schieben unserer
Räder. Die Steigungen sind aber auch zu Fuß nicht leicht zu erklimmen.
Schon gar nicht, wenn man ein ca. 30 Kilo schweres Fahrrad mit
Gepäck hinaufschieben muss. Der eisige Regen verstärkt sich. Er zehrt
an unseren Kräften und auch an unserer Stimmung. Den nächsten
Waldabschnitt umfahren wir, als wir auf dem schmalen Weg in den
Wald hinein bereits große Pfützen sehen. Wir befürchten, dass größere
Abschnitte bereits nicht mehr mit dem Rad befahren werden könnten,
und wir sie schieben müssten. Als wir diesen Streckenabschnitt
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geschafft haben, machen wir Pause in einem Wartehäuschen für Busse.
Wir beschließen, die Fahrt für heute zu beenden und ein Hotel in
nächster Nähe zu buchen. Hoffentlich ist morgen die Wettersituation
etwas besser. Nach meiner Recherche mit den Hotel-Apps zeigt sich ein
überschaubares Angebot: Nur ein Hotel wird uns in Neuhausen-Vörden
in 7 km Entfernung angezeigt. Das nächste Hotel in Bramsche ist
bereits 22 km entfernt und damit keine Alternative. Weitere Suchen
über unser Kartenmaterial oder über das Internet ersparen wir uns und
buchen das Hotel in Vörden. Jetzt gilt es, die 7 km Entfernung zügig zu
fahren, um ein wärmendes Duschbad nehmen zu können. Denn trotz
unserer Langfinger-Handschuhe und Regengamschen, die uns
wenigstens etwas wärmen, frieren wir an Finger und Zehen.
Das Hotel liegt auf einem Hügel und verlangt von uns noch einen
letzten Kraftakt, um hinaufzukommen. Als wir uns nähern, sehen wir
durch die Fenster ein gut besetztes Restaurant. Ein älterer Herr begrüßt
uns vor dem Haus, als ich unsere Gepäcktaschen von den Rädern
nehme und sie anschließend im Vorraum des Hotels deponiere. Wenig
später gibt er sich als Hotelbetreiber zu erkennen. Wir bringen unsere
Räder in einen großen, vorderseitig offenen Schuppen hinter dem Haus
unter. Hier sind die Räder zwar nur über das Fahrradschloss gesichert.
Aber in diesem Schuppen stehen sie zusammen mit zahlreichen, teuren
Gartenmaschinen und anderen Fahrrädern. Offensichtlich sind Diebstähle in dieser Gegend kein Thema. Im Hotel gibt uns eine freundliche
Bedienung unseren Zimmerschlüssel und ist sehr hilfsbereit. Sogar
zusätzliche Handtücher zum Trocknen werden uns angeboten. Das
Zimmer ist relativ klein, aber warm und gemütlich. Nach dem Duschen
haben wir wieder einige Kleidungsstücke gewaschen und zum Trocknen
aufgehängt. Zum Glück können wir auch hier die Heizkörpertemperatur etwas hochstellen, damit wieder alles schnell trocknet.
Für Fahrradreisende bekommen bestimmte Zimmerausstattungen eine
besondere Bedeutung. So sind zum schnellen Trocknen unserer
Kleidungsstücke konventionelle, unverkleidete Zimmerheizkörper mit
individuell einstellbarer Temperatur ein echter Vorteil. Noch toller ist
ein Handtuchtrockner im Bad, dann können diverse Kleidungsstücke
gestaffelt zum Trocknen abgelegt werden und die erhöhte Raumtemperatur wirkt sich nur auf das Badezimmer aus. Mit dieser
Ausstattung ist ein schnelles Trocknen von Funktionswäsche über
Nacht kein Problem. Aber auch Trocknen von Schuhen oder
Handschuhen ist so leicht möglich. Allein die Möglichkeit, seine
Kleidung reinigen und trocknen zu können und sich selbst mit einem
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heißen Duschbad wieder aufwärmen zu dürfen, macht die schwierigen
Wetterbedingungen erst erträglich. Ein Schreckensbild hinterlässt bei
mir die Vorstellung, wir hätten statt der Hotelunterkünfte mit einem
Zelt im Regen campen müssen.
Nun können wir zum Essen gehen. Als wir das Restaurant betreten,
sind noch immer mehrere Tische besetzt. Die umfangreiche Karte bietet
gut bürgerliche, deutsche Küche. Wir bestellen beide ein Spargelgericht
bei dem netten Betreiber, der auch für die Restaurantbedienung
zuständig ist. Die Portionen sind reichhaltig und das Essen ist
geschmacklich gut. Laut Petra, die bereits gestern ein Spargelgericht
hatte, erreicht es nicht ganz die Qualität des gestrigen Restaurants. Das
ist aber ehrlicherweise eine Nebensache. Wir haben großen Appetit.
Nicht zuletzt deshalb schmeckt es uns sehr gut, und wir genießen zum
Essen einen Weißwein. Wir kommen mit dem Betreiber ins Gespräch
und erzählen ihm unser Vorhaben. Auch er ist überrascht, dass wir uns
trotz des schlechten Wetters auf den Weg gemacht und uns unter
diesen Bedingungen eine so eine große Strecke vorgenommen haben.
Bezogen auf unsere Reisezeit ist es aber eher eine geringe als eine große
Streckenleistung. Fahrradreisende im Allgemeinen und Radpilger im
Besonderen sind hier offensichtlich selten. Das gilt übrigens für viele
der von uns gebuchten Hotels. Sie liegen auch alle nicht an einer
bekannten Fahrradreiseroute, die für Gäste sorgen könnte. Nach
unserem Essen regnet es noch immer und für morgen ist ebenfalls
regnerisches Wetter angekündigt. Das dürfte den original Pilgerweg
erheblich aufweichen und schwer passierbar machen, vielleicht sogar
unpassierbar. Deshalb entscheiden wir uns noch am heutigen Abend,
morgen nur über Straßen und Radwege zu den nächsten Orten unserer
Pilgerroute zu fahren. Dadurch erhoffen wir uns, die Strecke von
planmäßigen 64 auf 43 km kürzen zu können, die uns das
Navigationsgerät anzeigt. Auch diese Streckenleistung ist im Regen
bereits eine Herausforderung. Sollten wir unser Ziel erreichen, würden
wir bezogen auf die zu fahrende Gesamtstrecke wieder mit der
Etappenplanung übereinstimmen. Im Anschluss wollen wir wieder die
geplante Pilgerroute fortsetzen.
Einsicht des Tages:
Eine Pilgerfahrt ist kein Spaziergang
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