Entwicklung als Aufklärung

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Entwicklung als Aufklärung
Aga Khan Entwicklungsnetzwerk
Konrad Melchers
Entwicklung als Aufklärung
Gespräch mit Prinz Karim Aga Khan IV.
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Unter dem Motto "united we care" erhielt am Tag der deut­
schen Einheit, 3, Oktober 2005, der Aga Khan in Berlin den
Quadriga-Preis verliehen, neben Helmut Kohl, Tim Berners­
Lee, dem Erfinder des World Wide Web und den irischen
"McCartney-Schwestern", deren Zivilcourage zur Waffennie­
derlegung in Nordirland führte, Laudator für den Aga Khan
war der afghanisehe Staatspräsident Hamid Karsai, der ihn als
"Humanisten, Friedensstifter, Demokraten, Philanthrop und
Botschafter zwischen den Kulturen" feierte, Am gleichen Tag
führte der Aga Khan ein Gespräch mit vier deutschen Journa­
listen, das die Grundlage des nachstehenden Beitrags bildet.
Schon am nächsten Tag überreichte ihm in Edinburg die frü­
here irische Staatspräsidentin und ehemalige UN-Kommissa­
rin für Menschenrechte, Mary Robinson, den nächsten Preis:
die "Andrew Carnegie Medal of Philanthropy".
'i' .­
Präsident Hamid Karzai überreicht dem Aga Khan den Quadriga-Preis
© AKDN
Zuerst stellt Seine Hoheit der kleinen Kaiser Franz zur Popularisierung des
Journalistenrunde selbst eine Frage: Fußballes in den USA angeheuert wur­
den. "Als Links-Füßler konnte ich mei­
Wie wird Deutschland mit dem instabi­
len Bundestagswahlergebnis fertig? ne Gegner überraschen und überspie­
Das ist für "uns" in krisengeplagten len", berichtet der heute Endsechziger.
Entwicklungsländern wichtig, meint er.
Eine solche Identitätsbekundung für
Transnational
den Süden gleich zu Anfang überrascht.
Unterscheidet sich der Aga Khan im Als Oberhaupt von rund 20 Millionen Is­
schlichten Straßenanzug doch kaum mailiten, die in 25 Ländern über den Glo­
von einem westlichen Geschäftsmann, bus verstreut leben - die meisten davon
mit seinem sanften Gesichtszug höch­
in den "Stan-Ländern", in Indien und
stens noch den schönen Künsten zuge­
dem Nahen Osten sowie Afrika -, gehört
neigt. In der Schweiz aufgewachsen der Aga Khan zu den Vorreitern transnationaler Identität in der glo­
und mit einem Harvard­
Studienabschluss lebt er
balisierten Welt. Es ist des­
Vorreiter
halb nicht verwunderlich,
in Frankreich und bewegt
transnationaler
dass fur ihn die islamischen
sich von der Regenbogen­
presse verfolgt unter den
Migranten die "Hauptbür­
Identität in der
Spitzen der transatlanti­
de bei der Entwicklung des
globalisierten
Wertesystems" in ihren
schen Gesellschaft mi t
Welt.
Herkunftsländern tragen.
weit verzweigten Ge­
schäftsinteressen - in
Hier macht sich der Glau­
Deutschland unter andebensführer
bemerkbar.
Werte und Wertesysteme sind fiir den di­
rem durch eine Beteiligung an der Luft­
hansa AG. Acht Mrd. Dollar schwer sei rekten Nachfahren des Propheten Mo­
sein Vermögen, wird geunkt. Aber hammed zentrale Begriffe.
weniger das Geld als seine Au­
thentizität, mit der er von den Ent­
Wer jetzt aber religiöse Erläuterungen
wicklungsländern sprechen kann, aus dem Koran erwartet, wird wieder
tragen
zum
Erfolg
seiner überrascht. Neben den Migranten und
Entwicklungsarbeit bei. Leute, die der Jugend verändern fUr den Aga Khan
in Harvard mit dem Aga Khan stu­
vor allem Wissenschaft und Forschung
dierten, preisen ihn auch als einen das Wertesystem, wenn sie sich an den
,jolly good fellow", der als ausge­
Bedürfnissen der Menschen orientie­
zeichneter Fußballspieler das Har­
ren. Doch das begliindet der 49. Imam
vard-Team an die Spitze der US­
der Schia Imami Ismaili dann theolo­
Liga schoss, lange bevor PeJe und gisch. Für eine Richtung im Islam sei
die göttliche Offenbarung mit dem Tod
des Propheten abgeschlossen. Die Is­
mailiten dagegen glaubten an die Not­
wendigkeit einer fortwährenden spiri­
tuellen und moralischen Anleitung der
Gemeinschaft durch weiterführende
Deutung und Befolgung der Botschaft
des Islam . Die Suche nach neuen Lö­ sungen für Probleme, die mit traditio­ nellen Methoden nicht gelöst werden können, würde den Muslimen die In­
spiration verleihen, eine wahrhaft mo­ derne und dynamische Gesellschaft zu entwerfen . Förderung des Verstandes
Wesentliche Bestandteile ihres Islam
seien deshalb die besondere Förderung
des Verstandes, das Vertrauen in die
Freiheit des menschlichen Willens und
das verantwortungsvolle persönliche
Gewissen des Menschen, seine Eigen­
verantwortung. Mit einem Wort: Auf­
klärung pur. Da wundert es nicht, wenn
Seine Hoheit ganz nebenbei erklärt,
dass einer seiner Vorfahren vor über
1000 Jahren die AI-Azhar Universität in
Kairo gegründet hat, die erste Univer­
sität in der Geschichte der Menschheit.
In dieser Tradition steht der Schwer­
punkt des Aga Khan Entwicklungs­
netzwerks (AKDN) bei der Förderung
vor allem der höheren Bildung. Stolz
berichtet der Prinz vom großen und
freiwilligen Engagement der jungen Is­
mailiten , ihr Wissen den Entwicklungs­
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Aga Khan Entwicklungsnetzwerk
ländern zu vennitteln. Zwei Universitä­
ten und mehrere wissenschaftliche
Akademien gehören zum Netzwerk.
ergänzende Begriffspaare. Und darin
liegt das Geheimnis seines märchen­
haften Erfolges.
Regierungsführung,
Zivi/gesellschaft, Pluralismus
Entwicklungsarbeit ohne Mission
Gleichzeitig plädiert der Imam für eine
strikte Trennung von Entwicklungsar­
Weitere zentrale Begriffe des Entwick­
lungsverständnisses des Aga Khan sind: beit und Mission. Das entscheidende
Regierungsftihrung, Zivilgesellschaft Kriterium müsse der Dienst an der Ge­
und Pluralismus. Besorgt zeigt er sich sellschaft seih. Militante islamistische
über ein massives, weit verbreitetes Organisationen machen ihm da keine
Missverständnis, wie Regierung funk­
großen Sorgen. Die Menschen würden
letztlich danach urteilen, was für sie mit
tioniert und funktionieren soll. Der Se­
kundarschulunterricht in Afrika sehe welchen Ergebnissen geleistet würde.
dieses Thema nicht vor. Absolventen Es könne zehn bis 20 Jalu·e dauern, bis
afrikanischer Sekundarschulen sei die ihnen das deutlich werde, früher oder
Verfassung ihres Staats unbekannt. später würde sich das aber klären. Als
Deshalb engagiert sich AKDN auch bei Beispiel nennt er nördliche Provinzen
den Medien und hat vor allem in Ost­
in Pakistan, in denen "gewisse Par­
afrika ein bedeutendes Medienimpe­
teien" die Kontrolle übernommen hät­
ten. Bei den jüngsten Wahlen habe sich
rium aufgebaut, das 72 Prozent der Le­
serschaft erreicht. Noch beliebter sind aber schon gezeigt, was die Bevölke­
rung von ihnen inzwi­
die Hörfunk- und Fern­
schen
denke. Als 49.
sehsender. Aber es ist
Kultu/~ Religion
Imam hat er einen gro­
nicht einfach, Journalis­
und Wirtschaft sind
ßen Zeithorizont, den
ten zu finden, bedauert
für den Aga Khan
sich in der immer rascher
Seine Hoheit, die über
nicht Gegensätze,
drehenden Medienwelt
politische Fragen und
kaum ein anderer noch
Optionen, über die Ver­
sondern sich
vorsteHen kann.
fassung sowie wirtschaft­
ergänzende
liche oder medizinische
Begriffspaare.
Enttäuscht ist der Aga
und wissenschaftliche Fragen wie die Stamm­ Khan von der Weltbank.
Es habe Treffen gegeben,
zeilenforschung fundiert schreiben könnten. Die Wissensgrund­ die Zusammenarbeit von religiösen
lage sei "fragil". Erschwerend komme Entwicklungsorganisationen beim Auf­
hinzu, dass die lokalen Universitäten bau von ZiviJgesellschaften mit der
nicht geeignet seien, diese Wissensba­ Weltbank zu beraten; Jim Wolfensohn
habe sich interessiert gezeigt. Das The­
sis zu erweitern. ma Mission sei überhaupt nicht ange­
Hier erklärt dieser so westlich erschei­ sprochen worden . Die Verantwortung
nende Religionsführer westliche Ein­ gegenüber der Zivilgesellschaft sei von
flüsse zum Problem. Viele Journalisten allen Religionsgruppen weit über die
seien im Westen ausgebildet, würden monotheistischen und abrahamistischen
nicht darauf achten, welche Themen für Gemeinschaften hinaus anerkannt wor­
Afrika relevant sind. Das zeige sich den. Dann habe aber die Weltbank
auch bei der Kultur, die vernachlässigt plötzlich erklärt, Projekte von religiö­
werde. Es gebe in Afrika zum Beispiel sen Entwicklungsorganisationen seien
kaum eine Nichtregierungsorganisa­ nicht "bankfähig" ("bankable"). So sei
tion, die sich um die Bewahrung und der Dialog ergebnislos wieder zu­
Förderung der Kultur, um Museen und sammenge brochen.
Archive kümmere. Dabei sei Kultur ein wichtiger Faktor der wirtschaftlichen Die Zusammenarbeit mit staatlichen
in
Entwicklung. Nicht nur der prestige­ Entwicklungsagenturen . wie
trächtige Architekturpreis , den der Aga Deutschland mit der KfW und der GTZ
Khan gestiftet hat, demonstriert sein gibt es schon länger und auch mit
Engagement. Herausragend ist auch der christlichen Hilfswerken . Bezeichnen­
von der Kulturstiftung geschaffene AI­
derweise begann das erste Projekt mit
Azhar Park in Kairo oder die Renovie­ der katholischen Kirche in Portugal. In­
rung des Mausoleums und Gartens des zwischen wird auch in der nördlichsten
ersten Moguls von Kabul. Kultur, Reli­ Provinz von Mosambik vor allem in der
gion und Wirtschaft sind für den Aga Armutsbekämpfung kooperiert. Dabei
Khan nicht Gegensätze, sondern sich konzentriert sich das AKDN auf die pe­
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riurbanen Siedlungen verelendeter
Landflüchtlinge. Auch eine neue katho­
lische Universität interessiert das
AKDN.
Ursachen des Terrorismus
Sind Annut oder verfehlte Politiken die
Hauptursachen für den heutigen TelTo­
rismus? Trotz aller Vorsicht, die der Aga
Khan in politischen Fragen walten lässt,
tendiert er zu einer eindeutigen Antwort.
Zwar gebe es immer vielfältige Ursa­
chen, aber darunter seien als EinzeIur­
sache ungelöste politische Probleme am
wichtigsten. Wären die politischen Ur­
sachen der heutigen Konflikte früher
und entschiedener angegangen worden,
würde die Welt anders aussehen.
Armut ist eine zusätzliche und ver­
schärfende Ursache für Konflikte und
Terrorismus, meint der Aga Khan.
Wenn Familien zur Überzeugung ge­
langen, dass sie für Dekaden oder gar
Generationen nicht aus dem Zustand
der Trostlosigkeit herausfinden, wäh­
rend andere weiter kommen, dann ent­
steht eine neue Dimension des Pro­
blems. Isolation ist ein besonders hei­
kles Thema. Bei vielen Konflikten spie­
le sie eine wichtige Rolle, so würde
zum Beispiel von Armutstaschen ge­
sprochen. Dennoch seien die politi­
schen Ursachen zentral. Das zeige sich
auch in Nordirland und Spanien.
Ärgerlich findet der Aga Khan die
Oberflächlichkeit, mit der in der jü­
disch-christlichen Welt der Islam beur­
teilt werde, die Ignoranz gegenüber 1,4
Mrd. Menschen dieser Erde sei er­
schreckend. Der Islam lehre Terro­
rismus genauso wenig wie der Katholi­
zismus oder der Hinduismus und alle
anderen Religionen. Auch hier komme
zu den politischen Ursachen die religi­
öse Dimension hinzu. So habe zum
Beispiel im Nahen Osten 1917 bei der
Auflösung des Osmanischen Reichs die
Religion keine Rolle gespielt. Auch der
Kaschmir-Konflikt sei ein Trennungs­
prozess, den die ehemalige Kolo­
nialmacht nicht gelöst habe . Ein
Teil der Bevölkerung befinde sich
nicht dort, wo sie sein will. Das ha­
be nichts mit Religion zu tun. Und
als Quintessenz unterstreicht der
Aga Khan nochmals: Die politi­
schen Führer und das internationa­
le System, die Weltgemeinschaft
müssen sich sehr viel entschiede­
ner um die Lösung der politischen
Probleme bemühen.