Standardisierungs-Kooperationen und Kartellrecht

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Standardisierungs-Kooperationen und Kartellrecht
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I. ABHANDLUNGEN
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IV. Zusammenfassung
Die Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den sechs Organleiheländern beschränken sich auf die Exekutive. Rechtswegverändernd können sie weder nach §§ 106 EnWG, 92 Abs. 2 GWB noch nach dem Verfassungsrecht wirken.
Um den Rechtsweg bei Beschwerden gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur in Organleihesachen zum OLG Düsseldorf zu begründen, müssen Staatsverträge zwischen dem jeweiligen Bundesland und dem Land Nordrhein-Westfalen
abgeschlossen werden.
Den Rechtsweg gegen Verwaltungsakte der Bundesnetzagentur in Organleihesachen zu dem Oberlandesgericht Düsseldorf aus der Wortauslegung des § 75
Abs. 4 Satz 1 EnWG in Verbindung mit den Verwaltungsabkommen abzuleiten,
verstöût gegen § 106 Abs. 2 EnWG und verletzt den Verfassungsgrundsatz, dass
Rechtswegänderungen nur durch formelles Gesetz angeordnet werden dürfen; andernfalls sind die Verfahrensgrundrechte auf den gesetzlichen Richter nach
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie der einschlägigen Landesverfassungen verletzt.
Ausschlieûlich zuständig sind die Kartellsenate des Kammergerichts bzw. der
Oberlandesgerichte Bremen, Celle, Jena, Rostock und Schleswig.
Die Wahrung dieser einfachrechtlichen und verfassungsrechtlich unverzichtbaren Grundsätze haben vorrangig die ¹Entleiherª-Länder zu achten und sie im
Länderausschuss 67) oder notfalls mit den Mitteln der Fachaufsicht durchzusetzen.
67) § 60a EnWG.
Michael Walther / Ulrich Baumgartner, München
Standardisierungs-Kooperationen und Kartellrecht
Eine Betrachtung aus europäischer und U.S.-amerikanischer Sicht
Kooperationen zwischen Wettbewerbern zur Schaffung eines technischen Standards werfen eine Vielzahl von Fragen an der Schnittstelle von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht auf. Die Zusammenarbeit von Konkurrenten führt unweigerlich zu einem Weniger an Wettbewerb. Unter welchen Umständen überwiegen dennoch die gesamtwirtschaftlichen Vorteile einer solchen Kooperation? Wie muss die
Kooperation ausgestaltet sein? In welchem Umfang kann den Mitgliedern einer
Standardisierungs-Kooperation die Kontrolle über das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit überlassen werden? Muss die Kooperation selbst vor Missbrauch durch einzelne Mitglieder geschützt werden?
In der rechtlichen Diskussion in Europa führen diese Fragen eher ein Schattendasein. Anders in den USA; dort gilt ¹Standard Settingª als ¹one of the hottest
things goingª 1). Hier hat zuletzt auch der Rambus-Fall völlig neue Gefahren aufgezeigt, denen sich die Teilnehmer an einer solchen Kooperation gegenüber sehen können, wenn nämlich ein Konsorte ¹auf eigene Rechnungª arbeitet, sich das
Entwicklungsergebnis zu Eigen macht und von den ehemaligen Partnern hohe Lizenzgebühren fordert 2).
Michael Walther ist Partner, Dr. Ulrich Baumgartner, LL.M., ist Senior Associate im Münchener Büro von Gibson,
Dunn & Crutcher LLP.
1) So Wolfram, ¹Can you hear us now?ª ± Did the Rambus decision fall on deaf ears?, GCR Dez. 2006/Jan. 2007,
S. 36 ff.
2) Dazu näher unten, IV.2.
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Walther / Baumgartner: Standardisierungskooperation
muss jeder Konsorte in der Lage sein, den gemeinsam entwickelten Standard unabhängig von den anderen Konsorten zu vermarkten, sprich: an Dritte zu lizenzieren. Dies wird häufig die Nutzung von IP erforderlich machen, das andere Konsorten ihrerseits dem Konsortium lizenziert haben. Somit fordert die Kommission implizit selbst, dass sämtliche derartige Lizenzen über den Abschluss der gemeinsamen F&E-Arbeiten hinaus erteilt werden 54). Es ist davon auszugehen, dass dies
ebenso 55) für die Lizenz eines ausgeschiedenen Konsorten gelten dürfte oder sogar
gelten muss, zumindest dann, wenn das zugrundeliegende Patent Eingang in den
Standardisierungsprozess gefunden hat.
IV. Behördliche Entscheidungspraxis in Deutschland
Angesichts der nur sehr vereinzelten Stellungnahmen der EU-Kommission zu
den Voraussetzungen der kartellrechtlichen Zulässigkeit von StandardisierungsKonsortien verwundert es nicht, dass das Bundeskartellamt 56) oder deutsche Gerichte hierzu nur wenig beizutragen hatten 57).
Es finden sich in erster Linie eher allgemein gehaltene Aussagen zur Zulässigkeit
von ¹einfachenª F&E-Kooperationen, denen das Bundeskartellamt ebenso wie die
Kommission grundsätzlich positiv gegenüber steht 58). Dies gilt in entsprechender
Anwendung des Arbeitsgemeinschaftsgedankens 59) umso mehr, wenn die beteiligten Unternehmen sich ansonsten in dem betreffenden Bereich überhaupt nicht
engagieren würden, etwa aufgrund des wirtschaftlichen Risikos oder sonstigen
Problemen einer alleinigen Realisierung 60).
V. Standard Setting in den USA
Eine ungleich gröûere Rolle spielen Standardisierungs-Kooperationen in der Entscheidungspraxis der US-amerikanischen Behörden und Gerichte 61). Es existiert
eine gefestigte Rechtsprechung zur Frage ihrer Vereinbarkeit mit Sections 1 und 2
Sherman Act.
1. Kartellrechtliche Zulässigkeit
Standardisierungs-Kooperationen werden in den USA grundsätzlich als wettbewerbsfördernd betrachtet 62). Nach den Antitrust Guidelines for Collaboration
54) So auch Wiedemann, Kommentar zu den Gruppenfreistellungsverordnungen des EWG-Kartellrechts, Bd. I,
Art. 5 GVO 418/85, Rdn. 6 f. zur damaligen GVO für F&E-Vereinbarungen; da die aktuelle GVO F&E insgesamt einen weiteren Spielraum eröffnet, kann die alte VO 418/85 durchaus noch herangezogen werden
unter der Prämisse, dass das, was unter der alten VO möglich war, erst recht auch unter der aktuellen VO
zulässig sein muss.
55) Oder sogar erst recht.
56) Der ehemalige Präsident des BKartA, Ulf Böge, begnügte sich in einer Rede im Jahre 2002 mit dem Hinweis
auf das Spannungsverhältnis zwischen Systemwettbewerb und Standardisierung, welches stets eine Einzelfallabwägung erforderlich mache, vgl. Böge, Elektronische Marktplätze und Kartellrecht, Vortrag beim 9. St.
Gallener Int. Kartellrechtsforum am 26.04.2002 (http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/
020426StGallen.pdf).
57) Abgesehen von der m. E. bereits überholten Stellungnahme der Monopolkommission, a.a.O. (Fn. 3) finden
sich meist nur knappe und oft ebenfalls betagte Darstellungen in der Literatur, vgl. etwa Gleiss/Hirsch,
a.a.O. (Fn. 17).
58) Vgl. etwa TB 1983/84, S. 5, 13; hierzu auch Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 1 Rdn. 372.
59) Eingehend hierzu Bunte, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9.
Aufl., Bd. 1, Rdn. 307 ff.
60) Schroeder, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 8 Rdn. 111.
61) Einen guten Einblick vermitteln die online verfügbaren Aufsätze von Shapiro, Setting Compatibility Standards ± Cooperation or Collusion, <http://faculty.haas.berkeley.edu/shapiro/standards.pdf> and Shapiro,
Navigating the Patent Thicket: Cross Licenses, Patent Pools, and Standard Setting,
<http://faculty.haas.berkeley.edu/shapiro/thicket.pdf> sowie die Übersicht von Gellhorn, Standard Setting
<http://www.ftc.gov/opp/intellect/020418gellhorn.pdf>.
62) Diese Wertung liegt auch dem National Cooperative Research and Production Act zugrunde, der die Anwendung der Antitrust-Vorschriften auf F&E-Kooperationen modifiziert, vgl. Mestmäcker/Schweitzer, a.a.O. (Fn.
14), Rdn. 50 f.
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Among Competitors 63) bestimmt sich die Zulässigkeit solcher Kooperationen
nicht nach den Marktanteilen der beteiligten Unternehmen; vielmehr werden ±
stark vereinfacht ± F&E-Kooperationen dann als unbedenklich eingestuft, wenn
auf dem relevanten Forschungsmarkt insgesamt mindestens vier unabhängige
Wettbewerber tätig sind, die über die erforderlichen Ressourcen und auch Anreize zur Aufnahme der F&E-Tätigkeiten verfügen.
2. Der Rambus-Fall
Höchst umstritten ist dagegen in der kartellrechtlichen Diskussion in den USA
derzeit, unter welchen Voraussetzungen das Verhalten einzelner Konsorten den
positiven Effekt für den Wettbewerb und letztlich auch die Verbraucher, den ein
neuer Industriestandard für gewöhnlich mit sich bringt, unterminiert und ins Gegenteil verkehrt. Im Februar 2007 veröffentlichte die U.S.-Wettbewerbsbehörde
FTC ihre lang erwartete Entscheidung zu der Frage, inwieweit das einseitige Verhalten eines Konsorten dazu führen kann, dass sämtliche Vorteile der Zusammenarbeit nur einem Konsorten zugute kommen und diesem einen Wettbewerbsvorsprung bis hin zu einer Art Monopolstellung verschaffen 64).
Die Beschwerdegegnerin in diesem Fall, Rambus, Inc., hatte an einer Kooperation
verschiedener Wettbewerber teilgenommen, mit dem Ziel der Entwicklung eines
Industriestandards für Arbeitsspeicher von Computern (sog. ¹DRAMª). Gleichzeitig erweiterte Rambus den Schutzbereich seiner bereits bestehenden Patente dahingehend, dass diese auch das Entwicklungsergebnis des Konsortiums abdeckten, was Rambus den übrigen Konsorten entgegen den ausdrücklichen Vereinbarungen der Konsorten verschwieg. Nachdem Rambus das Konsortium dann
nach ca. 5 Jahren gemeinsamer Entwicklungsarbeit verlassen hatte und der von
dem Konsortium entwickelte Industriestandard weltweit implementiert worden
war, begann Rambus, seine Patente durchzusetzen und Lizenzforderungen an seine früheren Partner zu stellen 65).
Die FTC musste die Frage entscheiden, ob dieser Patent Ambush einen Verstoû gegen kartellrechtliche Vorschriften darstellt. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass
Rambus nur aufgrund einer betrügerischen Handlung in der Lage war, ein wichtiges Standardisierungsverfahren in seinem Sinne zu beeinflussen 66). Darin erblickte die FTC eine wettbewerbswidrige Behinderung der anderen an der Kooperation beteiligten Hersteller 67). Daher verpflichtete die FTC Rambus dazu, die
DRAM-Technologie an Dritte zu lizenzieren und setzte gleichzeitig Obergrenzen
für die Lizenzgebühren fest, die Rambus maximal für eine Dauer von drei Jahren
in Rechnung stellen darf. Gleichzeitig muss Rambus einen internen ComplianceBeauftragten einsetzen, der überwachen soll, dass Rambus tatsächlich alle Patente und Patentanmeldungen im Zusammenhang mit DRAM den anderen Konsorten gegenüber offenlegt 68).
63) Diese wurden im April 2000 von der US-amerikanischen Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC)
und dem Department of Justice veröffentlicht <http://www.ftc.gov/os/2000/04/ftcdojguidelines.pdf>.
64) Beschwerdeverfahren Rambus, Inc., FTC Docket No. 9302 (18.06.2002); ein ähnlicher Sachverhalt liegt
auch dem Verfahren Union Oil Company of California (Unlocal), FTC Docket No. 9305 (04.03.2003) zugrunde.
65) Eine knappe Zusammenfassung dieses Falles findet sich bei Immenga, Neues aus den USA: Kartellrechtliche Fallstricke bei der Standardsetzung!, GRUR 2007, 302 f. sowie bei Royall, a.a.O. (Fn. 11), S. 44.
66) Eine detaillierte und ständig aktualisierte Darstellung des bisherigen Verfahrensablaufes kann unter
http://www.ftc.gov/os/adjpro/d9302/index.htm abgerufen werden.
67) Eine durchaus kritische Würdigung dieser und in der Folgezeit ergangener Entscheidungen zum Thema findet sich bei Wolfram, a.a.O. (Fn. 1), S. 36 ff.
68) Unter ausdrücklichem Hinweis auf die im Rambus-Verfahren entwickelten Grundsätze hat es ein US-Bezirksgericht erst jüngst Qualcomm untersagt, dem Wettbewerber Broadcom unter Berufung auf eigene Patente die Herstellung und den Vertrieb von H.264 kompatiblen Produkten zu verbieten, vgl. Entscheidung
vom 06.08.2007, Civil No: 05-CV-1958-B(BLM). Anders die Entscheidung des US Bezirksgerichts in San Jose vom 25.09.2007 im Verfahren Hynex v. Rambus (00-cv-20905), das es vorerst abgelehnt hat, eine Verletzungsklage von Rambus gegen Hynix zu stoppen.
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Kirchhain: Innerstaatliche Vertriebsverträge
VI. Schlussbetrachtung
Es lässt sich festhalten, dass die EU-Kommission einer Kooperation verschiedener
Wettbewerber zur Schaffung eines Industriestandards grundsätzlich positiv gegenüber steht. Dies gilt zumindest dann, wenn der gemeinsam entwickelte Standard
ohne eine Bündelung der F&E-Anstrengungen nicht zu realisieren wäre. Voraussetzung ist jedoch stets, dass das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbs sichergestellt wird und jeglicher Eingriff in den Wettbewerb tatsächlich erforderlich ist,
um die Ziele der Kooperation zu erreichen (Prinzip der Unerlässlichkeit).
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so scheint die Kommission durchaus bereit
zu sein ± in den beschriebenen Grenzen ± Innovation und technischen Fortschritt
zu fördern und Standardisierungs-Kooperationen zwischen Konkurrenten zuzulassen. Ob und wann es insoweit zu einer Annäherung an die ungleich weiter entwickelte U.S.-amerikanische Entscheidungspraxis kommt, bleibt abzuwarten.
Simone Kirchhain, Düsseldorf
Die Gestaltung von innerstaatlich wirkenden Vertriebsverträgen nach der 7. GWB-Novelle
Die 7. GWB-Novelle hat zu einer Angleichung des deutschen an das europäische
Kartellrecht und zu einer Verschärfung der Kontrolle von Vertikalvereinbarungen
in Vertriebsverträgen geführt. Die damit einhergehenden Neuerungen sind von besonderer Bedeutung für Wettbewerbsbeschränkungen mit rein innerstaatlicher Wirkung. Dieser Aufsatz stellt die Konsequenzen der 7. GWB-Novelle für Gebietsbeschränkungen, Preisbindungen und Wettbewerbsverbote in Vertriebsverträgen
dar. Die Analyse ergibt, dass die Anwendung einiger Bestimmungen der für zwischenstaatliche Sachverhalte konzipierten Verordnung Nr. 2790/1999 (vGVO) auf
innerstaatliche Wettbewerbsbeschränkungen, wie beispielsweise die innerstaatlichen Gebiets- und Kundenbeschränkungen, nicht sachgerecht ist. Für diese Vertriebsklauseln wird aufgezeigt, inwieweit eine direkte Freistellung nach § 2 Abs. 1
GWB möglich ist. Zudem wird herausgearbeitet, in welchen Fällen eine geltungserhaltende Reduktion von Klauseln möglich ist und in welchen Fällen ein Neuabschluss des Vertrages erfolgen muss. Sofern Vertikalvereinbarungen nach der
früheren Rechtslage nichtig waren und nach der neuen Rechtslage zulässig sind,
wie die Höchstpreisbindungen, ist eine Neuvornahme des Vertrages erforderlich.
Im umgekehrten Fall, beispielsweise bei einigen Wettbewerbsverboten, kann in
Ausnahmefällen eine geltungserhaltende Reduktion möglich sein.
I. Einleitung
Die 7. GWB-Novelle hat zu einer Verschärfung der Kontrolle von Vertikalvereinbarungen in Vertriebsverträgen geführt 1). Nach der 7. GWB-Novelle ist bei zahlreichen Vertriebsverträgen eine Vertragsanpassung erforderlich, um einer Nichtigkeit der Klauseln entgegenzuwirken und um Buûgelder sowie eventuelle Schadensersatzansprüche zu vermeiden. In diesem Aufsatz soll praxisorientiert dargestellt werden, welche Konsequenz der neue rechtliche Rahmen für Gebietsbeschränkungen, Preisbindungen und Wettbewerbsverbote in Vertriebsverträgen
Dr. Simone Kirchhain arbeitet als Rechtsanwältin im Bereich Kartellrecht/Energierecht in der Sozietät Weite & Case
LLP, Düsseldorf.
1) Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BGBl. 2005 I, S. 2114
ff. Siehe auch die Sonderveröffentlichung von WuW zur 7. GWB-Novelle.