Briefing Paper: Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der

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Briefing Paper: Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der
Briefing Paper:
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der
Energiewende
Luca Bergamaschi, Ingrid Holmes und Sabrina Schulz
September 2013
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Die Energiewende muss vermehrt unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit von Investitionen diskutiert werden. Die langfristigen Ziele des ursprünglichen Energiekonzepts lassen sich durch eine stärkere Konzentration auf Energieeffizienz besser erreichen. Dabei handelt es sich um die Verringerung der Emission von Treibhausgasen (THG), die Reduktion der Primärenergie‐Nachfrage und mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Steigende Strom‐ und Heizkosten sind ein noch unterschätztes Problem für Deutschland. Im Jahr 2011 wurden 81,2 Milliarden Euro für Importe fossiler Brennstoffe ausgegeben. Dies entspricht 3,2 Prozent des deutschen BIP und einer Steigerung um 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2000. Aufgrund der globalen Zunahme der Nachfrage nach Energie, insbesondere Gas und Öl, aus Schwellen‐ und Entwicklungsländern wie vor allem China wird sich dieser Trend auf absehbare Zeit nicht umkehren. Die steigenden Kosten sind eine Belastung für die Wirtschaft – aber auch für Privathaushalte, die einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden müssen. In einer Umfrage in 15 europäischen Ländern aus dem Jahr 2011 kam Deutschland in Bezug auf den Anteil der Bevölkerung, der es sich nach eigenen Angaben nicht leisten kann, den eigenen Wohnraum angemessen zu heizen, auf den neunten Platz. Dies macht die erfolgreiche Umsetzung der Ziele des Energiekonzepts umso wichtiger. Analysen von E3G zeigen: Um die Stromkosten auf einem vertretbaren Niveau zu halten, ist erhöhte Energieeffizienz unverzichtbar – unabhängig davon, wie die Dekarbonisierung der deutschen Stromerzeugung erfolgt. Die Debatte um die Energiewende muss einen neuen Rahmen bekommen und sich u.a. darauf konzentrieren, wie Energieeffizienz dazu beitragen kann, die Energiewende im Strom‐ und Wärmesektor auf bezahlbare Weise umzusetzen. Dies würde gleichzeitig der Bevölkerung helfen, mit steigenden Strompreisen zurechtzukommen. 
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Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Steigende Strompreise sind nur ein Teil des Problems für Haushalte. Mehr als 70 Prozent der benötigten Energie wird aktuell für Wärme aufgewandt, für Strom nur 26 Prozent. Dadurch fallen 64 Prozent der jährlichen Energieausgaben von Haushalten für Heizung und warmes Wasser an, 13 Prozent für Kochen und 23 Prozent für Beleuchtung und andere elektrische Anwendungen. Ende 2012 wurden 18,9 Millionen Wohngebäude in Deutschland ‐ das sind 49 Prozent des Gesamtbestands – mit Erdgas beheizt, 12 Millionen mit Heizöl. Die verringerte Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe muss eine der wichtigsten Prioritäten für die Bundesegierung sein. Denn nur so werden Verbraucher vor den Risiken volatiler und steigender Preisen besser geschützt. Schiefergas wird derzeit weithin als „dritter Weg“ für den Start in die Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften zu bezahlbaren Kosten propagiert. Für Europa jedoch liegt darin nicht unbedingt eine billige Lösung. Detaillierte Analysen der Wirtschaftlichkeit der „Schiefergas‐Revolution“ in den USA zeigen: In Europa wird sie kaum zu wiederholen sein, weil es hier an der benötigten Infrastruktur ebenso fehlt wie am rechtlichen Rahmen in Form von Eigentumsrechten, um die Nachfrage zu stimulieren und Investitionen in Gang zu bringen. Zusätzlich sind die gesellschaftlichen und ökologischen Risiken noch nicht vollständig geklärt. Zudem sind die geologischen Verhältnisse hier weitaus weniger günstig und der Kontinent ist deutlich dichter bevölkert. Vor diesem Hintergrund wird eine erfolgreiche Realisierung der Energiewende eine stärkere Konzentration auf die Nachfrageseite erfordern, zum Beispiel im Bereich der Energieeffizienz im Gebäudesektor. Eine Priorisierung nachfrageseitiger Optionen wird nicht nur Treibhausgas‐Emissionen verringern; sie kann auch zu einer Senkung der Energiekosten führen, und zwar über die Verringerung des Energieverbrauchs in Wohngebäuden um mehr als 70 Prozent. Hinzu kommen eine Reihe von positiven Nebeneffekten für die deutsche Volkswirtschaft. Zu diesen zählen: die Vermeidung von Investitionen für konventionelle Stromerzeugung und Verteilnetze; Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen – 2011 haben von der KfW geförderte Energieeffizienz‐
Investitionen mehr als 250.000 Arbeitsplätze entstehen lassen; neue Steuerquellen für die öffentlichen Haushalte – das KfW‐Programm Energieeffizient Bauen und Sanieren hat im Jahr 2011 rund 3 Milliarden an Staatseinnahmen generiert; sowie Chancen für mehr Wirtschaftswachstum. Wenn die gesamte Bevölkerung in warmen, trockenen Gebäuden wohnen kann, verbessern sich zudem Gesundheits‐ und Lebensstandards. 2
1. Energietrends: Warum steigende Kosten jeden etwas angehen
Seit dem Jahr 2000 sind die Energiekosten für Haushalte stetig gestiegen. Der überwiegende Teil davon besteht aus Erdgas und Heizöl, wobei letzteres in 12 Millionen Haushalten zum Einsatz kommt. Der Preis für Heizöl hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als verdreifacht, der für Erdgas verdoppelt; der Strompreis stieg im selben Zeitraum um 75 Prozent (s. Abbildung 1). Dadurch müssen Haushalte Jahr für Jahr einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden. Insbesondere für Haushalte mit niedrigeren Einkommen ist das ein wachsendes Problem. In der aktuellsten dazu vorliegenden Studie aus dem Jahr 2008 wurden 13,8 Prozent der deutschen Haushalte als von „Energiearmut“ betroffen bezeichnet, weil sie mehr als 10 Prozent ihres Einkommens für Energie ausgeben.1 In einer aktuelleren Untersuchung aus Großbritannien, für die Daten in 15 Ländern erhoben wurden, stand Deutschland hinsichtlich des Bevölkerungsanteils, der sich nach eigenen Angaben ausreichendes Heizen nicht leisten kann, auf dem neunten Rang.2 Abbildung 1: Entwicklung der Energiepreise für private Haushalte
Quelle: BMWi (2013)3
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Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Deutscher Bundestag (2012), Energiearmut erkennen und Lösungen anbieten, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bärbel Höhn, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/10582 17. Wahlperiode 30.08.2012 2
Ziel des Berichtes war es, Großbritannien mit anderen europäischen Ländern zu vergleichen, die sowohl relativ wohlhabend sind als auch „volle“ Heizperioden aufweisen, in denen also üblicherweise den Winter über geheizt werden muss. Länder, die entweder signifikant weniger wohlhabend sind als Großbritannien und/oder ein warmes Klima haben, wurden also nicht berücksichtigt. Die Grundlage für die Auswahl von „wohlhabenden“ europäischen Ländern war der Legatum Prosperity Index 2012, betrachtet wurden nur Länder, deren Wohlstand nach diesem Index als „hoch“ eingruppiert wird. Die Grundlage für das Kriterium „volle Heizperiode“ bildete die Zahl der durchschnittlichen jährlichen Tage mit Heizbedarf in den einzelnen Ländern, ermittelt von Eurostat. Passende Grenzwerte für die Definition von Tagen mit Heizbedarf wurden, um anhand des Heizbedarf unterschiedliche Klimazonen zu definieren, zur Unterstützung des G8 Gleneagles Plan of Action for Climate Change entwickelt. Siehe dazu EBR und ACE (2013) The Cold Man of Europe, Energy Bill Revolution and Association for the Conservation of Energy, http://www.energybillrevolution.org/wp‐
content/uploads/2013/03/ACE‐and‐EBR‐fact‐file‐2013‐03‐Cold‐man‐of‐Europe.pdf 3
BMWi (2013), Energiedaten – ausgewählte Grafiken, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Energiedaten/gesamtausgabe.html 3
1a. Warum die Diskussion um die Energiewende im Stromsektor nicht ausreicht
Die Energiewende konzentriert sich derzeit auf die Dekarbonisierung der Stromproduktion. Daher konzentriert sich auch die öffentliche Debatte auf das Thema Strom. Die Industrie hat in dieser Diskussion eine starke Stimme. Die Folgen für Haushalte rücken erst langsam ins Zentrum der Aufmerksamkeit – für sie sind bereits steigende Stromkosten ein offensichtliches Problem, doch die Heizkosten sind ein ebenso großer Anlass zur Sorge. Denn Strom macht weniger als ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs von Haushalten aus (26 Prozent im Jahr 2011), der Rest (mehr als 70 Prozent) fällt für das Heizen von Wohnräumen an4. Abbildung 2 zeigt eine Aufschlüsselung der Energiekosten für deutsche Haushalte. Nach den aktuellsten vorliegenden Daten aus dem Jahr 2010 entfielen 64 Prozent ihrer jährlichen Energiekosten auf Heizung und warmes Wasser, 13 Prozent auf Kochen sowie 23 Prozent auf Beleuchtung und andere elektrische Anwendungen5. Die sozialen Folgen von steigenden Energiekosten müssen daher sehr viel stärker als bisher berücksichtigt werden. Die aktuelle Fokussierung auf Strom lässt zahlreiche Chancen außer Acht, den Klimaschutz und die zunehmenden Energiearmut parallel anzugehen. Abbildung 2: Energiekosten für private Haushalte in Milliarden Euro 1996-2011
nach Einsatzzweck
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Umweltbundesamt (2013), Energieverbrauch der privaten Haushalte, Deutscher Bundestag (2012), Energiearmut erkennen und Lösungen anbieten, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bärbel Höhn, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/10582 17. Wahlperiode 30.08.2012 6
BMWi (2013) Energie in Deutschland ‐ Trends und Hintergründe zur Energieversorgung, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, http://www.bmwi.de/Dateien/Energieportal/PDF/energie‐in‐
deutschland,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf 5
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Quelle: BMWi (2013)6
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1b. Sind Klimaschutz oder Energiekosten schuld an steigenden Strompreisen? Für einen deutschen Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden (kWh) haben sich die Strompreise seit 2002 um mehr als 30 Prozent erhöht. Abbildung 3: Entwicklung und Zusammensetzung der realen Stromkosten für
Haushalte (Cent/kWh in Preisen von 2011)
Quelle: DIW (2012)7
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K. Neuhoff, S. Bach, J. Diekmann, M. Beznoska und T. El‐Laboudy (2012), Steigende EEG‐Umlage: Unerwünschte Verteilungseffekte können vermindert werden, DIW Wochenbericht Nr. 41/2012 8
Die Welt (2012), Ökostrom belastet Verbraucher noch lange http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article111173925/Oekostrom‐belastet‐Verbraucher‐noch‐
lange.html; Spiegel Online (2013), Ökostrom kostet Verbraucher so viel wie nie, http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/erneuerbare‐energien‐oekostrom‐kostet‐verbraucher‐17‐milliarden‐
euro‐a‐876029.html 9
T. Traber, C. Kemfert, J. Diekmann (2011), German Electricity Prices: Only Modest Increase Due to Renewable Energy expected, DIW Berlin Weekly Report No. 6/2011. 10
Im Jahr 2012 waren 778 Unternehmen von der Umlage befreit, für 2013 haben rund 2000 Unternehmen eine Befreiung beantragt. Nach ersten Schätzungen bezahlen derzeit 1500 Unternehmen keinen Zuschlag für Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Presseberichte, laut denen „Ökostrom“ – also Strom aus erneuerbaren Quellen – die Hauptursache für steigende Energiepreise darstellt8, sind irreführend: Sie ignorieren den Einfluss von steigenden Preisen für fossile Brennstoffe, insbesondere Gas und Heizöl im Wärmesektor, ebenso wie die Tatsache, dass die Kosten für Stromerzeugung und Verteilung seit dem Jahr 2000 mindestens ebenso sehr zum Preisanstieg beigetragen haben wie die EEG‐Umlage (s. Abbildung 3). Im Jahr 2010 machte diese Umlage nur 8,8 Prozent der gesamten Stromkosten aus, auf Stromerzeugung und –verteilung entfielen 55 Prozent der Kosten9. Zudem sind die Kosten für die EEG‐Umlage ungleich verteilt. Energieintensive Branchen sind zwar große Stromkonsumenten, werden von der Umlage und zahlreichen anderen Entgelten aber ausgenommen. Diese Kosten werden von der Allgemeinheit getragen, wobei ein Großteil der Belastung in Form von höheren Stromkosten auf die Haushalte entfällt10. Im 5
Jahr 2012 belief sich die Gesamtheit aller Befreiungen für energieintensive Branchen auf rund 13 Milliarden Euro, 33 Prozent mehr als 200511. Der aktuelle Ansatz der Kostenverteilung hat perverse Anreize für Unternehmen geschaffen: In manchen Fällen lassen sie Maschinen das Wochenende über laufen, nur um die vom Gesetz für Befreiungen vorgesehenen Verbrauchswerte zu erreichen12. Dadurch steigen zum einen die THG‐
Emissionen, zum anderen ergeben sich weitere, unnötige Belastungen für alle anderen Verbraucher. Von steigenden Energiepreisen sind die ärmsten Teile der Gesellschaft selbstverständlich am stärksten betroffen. Von 2000 bis 2013 verzeichneten Haushalte in der niedrigsten Einkommensgruppe den höchsten relativen Anstieg ihrer Energiekosten; 2013 müssen die einkommensschwächsten 5 Prozent der Bevölkerung 6,1 Prozent ihres verfügbaren Einkommens allein für Strom aufwenden13. In diesem Jahr dürfte der Anstieg der Stromkosten gegenüber 2000 einen Wert von 38 Prozent erreichen14. Selbst wenn die Energiewende ausgesetzt werden würde, würde sich diese Entwicklung aufgrund der steigenden weltweiten Energienachfrage fortsetzen15. Die Schiefergas‐
Revolution in den USA bietet zwar eine kurzfristige Entlastung auf dem Energiemarkt , löst aber nicht die längerfristige Probleme der Energiesicherheit (dazu später mehr). Dies zeigt: die Dekarbonisierung des Energiesektors muss mit der Bereitstellung bezahlbarer Energie Hand in Hand gehen. Andernfalls werden die sozialen Belastungen untragbar werden. Aktuelle politische Maßnahmen müssen daher deutlich ausgebaut werden. Langfristige Szenarien im Auftrag des Bundesumweltministerium (BMU) zur Reduktion der THG‐
Emissionen um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 gehen davon aus, dass sich die Endnachfrage nach Strom bis 2030 um 10 Prozent gegenüber 2010 verringert (zentrales Szenario)16. Allein von 1990 bis 2010 ist die Nachfrage jedoch um 14 Prozent gestiegen; bei den privaten Haushalten betrug der Anstieg 17 Prozent. Es ist daher fraglich, ob die aktuellen Maßnahmen für eine Verringerung der Stromnachfrage ausreichen17. >
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Ökostrom. Siehe dazu Spiegel Online (2013), Milliardengeschenk: Regierung befreit 1550 Firmen von Energiewende‐Kosten, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/energiewende‐regierung‐befreit‐1550‐
firmen‐von‐kosten‐a‐874321.html 11
Küchler, S. (2013), Ausnahmeregelungen für die Industrie bei Energie‐und Strompreisen, Forum ökologisch‐
soziale Marktwirtschaft, abrufbar unter http://www.foes.de/pdf/2013‐09‐Industrieausnahmen‐2005‐2014.pdf 12
Bayerischer Rundfunk (2012), Öko‐Paradox: Geld sparen mit Stromverschwendung http://blog.br.de/quer/oko‐
paradox‐geld‐sparen‐mit‐stromverschwendung‐13092012.html 13
K. Neuhoff, S. Bach, J. Diekmann, M. Beznoska und T. El‐Laboudy (2012), Steigende EEG‐Umlage: Unerwünschte Verteilungseffekte können vermindert werden, DIW Wochenbericht Nr. 41/2012 14
Ibid. 15
US National Intelligence Council (2012), Global Trends 2030: Alternative Worlds, http://www.dni.gov/index.php/about/organization/national‐intelligence‐council‐global‐trends 16
J. Nitsch, T. Pregger, Y. Scholz, T. Naegler, D. Heide, D. L. de Tena, F. Trieb, K. Nienhaus (DLR), N. Gerhardt, T. Trost, A. von Oehsen, R. Schwinn, C. Pape, H. Hahn, M. Wickert, M. Sterner (IWES), B. Wenzel (IFNE) (2012), Long‐term scenarios and strategies for the deployment of renewable energies in Germany in view of European and global developments, Deutsches Zentrum für Luft‐ und Raumfahrt (DLR), Stuttgart, Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), Kassel, Ingenieurbüro für neue Energien (IFNE), Teltow. 17
AGEB (2013), Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2012, Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e. V. 6
1c. Was treibt die Heizkosten nach oben?
Der Heizungsverbrauch pro Quadratmeter ist in Deutschland in den letzten 15 Jahren zwar um 8 Prozent gesunken, doch insgesamt steigen die Heizkosten weiter an. Zwischen 1996 und 2010 sind die durchschnittlichen Heizkosten für Privathaushalte um mehr als 30 Prozent gestiegen (s. Abbildung 2)18. Dies ist hauptsächlich auf die Preisdynamik bei fossilen Brennstoffen zurückzuführen, die bei der Energiewende derzeit nicht berücksichtigt wird. Genau deswegen ist eine stärkere Konzentration auf Energieeffizienz sowie den Energiebedarf von Gebäuden erforderlich. Ende 2012 wurden in Deutschland 18,9 Millionen Wohngebäude (49 Prozent des Bestands) mit Erdgas beheizt19, Heizöl kam in rund 12 Millionen Häusern zum Einsatz20. In der Gesamtbetrachtung ist die Nachfrage nach Heizöl seit dem Jahr 2000 um 28 Prozent gesunken, nicht zuletzt weil es zum Teil durch Wärmepumpen, Fernwärme und einen Umstieg auf Gas ersetzt wurde21. Gas und Heizöl machten 2010 zusammen 60 Prozent der Endenergienachfrage deutscher Haushalte aus22. Deutschland ist mangels einheimischer Gas‐ und Ölvorkommen zur Deckung seines Wärmebedarfes daher weitgehend auf Importe angewiesen – im Jahr 2012 wurden 89 Prozent des verbrauchten Erdgases importiert 23. Der Preis für Heizöl hat sich wie erwähnt aufgrund steigender Nachfrage und höherer Kosten für die Förderung in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als verdreifacht (s. Abbildung 4)24. Die Verbesserung der Energieeffizienz im Gebäudebestand könnte deshalb die Risiken Deutschlands, die die volatilen Weltmarktpreise fossiler Brennstoffe mit sich bringen, deutlich verringern; gleichzeitig würde der Lebensstandard von Millionen Menschen verbessern. >
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Ibid. Ibid. 20
S. Bukold (2013), Verheizt? Heizöl im deutschen Wärmemarkt ‐ Preisrisiken und Alternativen, Kurzstudie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen 21
Bei neuen Heizungsanlagen ist Gas mit einem Marktanteil von 50 Prozent in 2012 weiterhin dominierend, s. ibid. 22
AGEB (2012), Auswertungstabellen zur Energiebilanz für die Bundesrepublik Deutschland 1990 bis 2011, Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e. V. 23
AGEB (2013), Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2012, Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e. V. 24
In den vergangenen zehn Jahren (2002‐2012) ist der Ölpreis von 25 US‐Dollar auf 110 US‐Dollar je Barrel gestiegen. Ursächlich dafür waren zunehmende Nachfrage aus Schwellenländern, steigende Kosten und Komplexität der Förderung, weil Exploration und Bohrungen in immer abgelegeneren und feindlicheren Gegenden stattfinden, sowie eine Änderung der Kostenstruktur für die Ölbranche aufgrund von höheren Gebühren für Bohrlizenzen. Die sieben weltweit wichtigsten internationalen Öl‐ und Gasunternehmen haben ihre Investitionen im vergangenen Jahrzehnt um 255 Prozent erhöht; 2011 lagen sie in der gesamten Ölbranche bei 550 Milliarden US‐Dollar. Trotz dieser Ausgaben konnten die großen Ölfirmen im Jahr 2012 jedoch nur 92 Prozent der geförderten Vorkommen durch Funde neuer Reserven ersetzen (s. S. Pfeifer und G. Chazan (2013), Energy: More buck, less bang, Financial Times http://www.ft.com/cms/s/0/022fa468‐a1c3‐11e2‐ad0c‐
00144feabdc0.html#ixzz2QW2jc7cw; M. T. Klare (2012), The race for what’s left – The global scramble for the world’s last resources, Metropolitan Books, New York City) 19
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
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Abbildung 4: Entwicklung der Importpreise für Öl, Gas und Kohle in
Deutschland
Die Importpreise für Öl (violette Linie) und Gas (gelbe Linie) sind in den vergangenen 15 Jahren dramatisch gestiegen – bei Öl um den Faktor 5, bei Gas um den Faktor 3. Wie die jüngere Vergangenheit zeigt, können scharf anziehende Ölpreise zu systemischen Schocks mit weit reichenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen führen, was zuletzt in den 1970er Jahren der Fall war. In diesem Zusammenhang ist wichtig: In Deutschland sind die Gaspreise an den Ölpreis gekoppelt. Wenn Öl teurer wird, geschieht also das Gleiche auch bei Gas25. Quelle: BMWi (2013) >
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Bei dieser so genannten „Indexierung“ wird der Gaspreis anhand des Wettbewerbs zwischen Erdgas und alternativen Energiequellen bestimmt. Im deutschen Markt für Heizstoffe ist der wichtigste Ersatz für Erdgas Heizöl, was es zum wichtigsten Bestimmungsfaktor für den Gaspreis macht. Siehe Frontier Economics/EWI (2010), Energiekosten in Deutschland – Entwicklungen, Ursachen und internationaler Vergleich, Endbericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 26
Siehe EBR und ACE (2013), Families and Fuel Poverty, Energy Bill Revolution and Association for the Conservation of Energy, http://www.energybillrevolution.org/wp‐content/uploads/2013/02/ACE‐and‐EBR‐fact‐
file‐2013‐02‐Families‐and‐fuel‐poverty‐final.pdf Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Prognosen über die Entwicklung von Öl‐ und Gaspreisen sind zwar schwierig, zukünftige Preisrückgänge bei fossilen Brennstoffen sind jedoch höchst unwahrscheinlich. Energiepolitische Experten nehmen oft an, Schiefergas biete eine attraktive und preisgünstige Alternative zu konventionellem Öl und Gas sowie zu erneuerbaren Energien. Grundlage dafür sind hauptsächlich Berichte über die „Schiefergas‐Revolution“ in den USA. Jedoch werden die Fakten hier oft falsch wiedergegeben, und es gibt großen Anlass zu Zweifeln daran, ob entsprechende Projekte auch in Europa wirtschaftlich attraktiv wären – selbst wenn es gelänge, Unterstützung für die Entwicklung einer solchen Branche in der EU zu gewinnen. Energieeffizienz dagegen bietet einen pragmatischen und realistischen Ansatz zur Verringerung der Energiekosten für Privathaushalte und die Volkswirtschaft als ganzes. Aus diesem Grund muss die Bundesregierung ambitioniertere Maßnahmen bei der Energieeffizienz mit höchster Priorität verfolgen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen Zugang zu bezahlbarem Strom und einer warmen Wohnung haben. Studien zeigen die negativen Auswirkungen unzureichend geheizter Wohnungen auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bewohner, insbesondere Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderungen26. Energiearmut ist in einer modernen, wohlhabenden Gesellschaft vollkommen inakzeptabel. 8
2. Die Energiewende zur Realität machen
2a. Technologische Optionen
Im Jahr 2010 stellte die Bundesregierung einen ehrgeizigen Plan vor: das Energiekonzept mit dem Ziel, Deutschland bis 2050 zu einer kohlenstoffarmen Volkswirtschaft zu machen. Im Einzelnen wurde festgelegt: THG‐Emissionen sollen im Vergleich zum Niveau von 1990 um 80 Prozent gesenkt werden; der Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen soll auf 80 Prozent steigen; der Primärenergieverbrauch soll gegenüber 2008 um 50 Prozent sinken, der Stromverbrauch um 25 Prozent27. Die Energiewende basiert auf diesem Energiekonzept. Nach dem Reaktorunfall von Fukushima wurde es im Jahr 2011 auf den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 ausgerichtet. Im März 2011 wurden die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet, und zusammen mit der Opposition beschloss die Bundesregierung, den Ausstieg zu beschleunigen28. Das Energiekonzept definiert also eine klare politische Richtung, enthält aber keinen breit angelegten strategischen Ansatz zur Umsetzung dieser Ziele. Es ist deshalb an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und die verfügbaren technologischen Optionen für die Zeit nach dem Atomausstieg – aber auch den Übergang – einer umfassenden strategischen Bewertung zu unterziehen. Das Ausmaß und die Dringlichkeit der anstehenden Investitionen machen einen Risikomanagement‐Ansatz geradezu notwendig. Hier sollte es um diejenigen technologischen und politischen Maßnahmen gehen, die das Risiko des Nichterreichens der ursprünglichen Energiekonzept‐Ziele minimieren bzw. die diese Ziele rechtzeitig und auf möglichst kostengünstige Weise erreichbar macht. Ohne ein strategisches Risikomanagement lässt sich die Dekarbonisierung der deutschen Energieinfrastruktur kaum rechtzeitig und auf sichere, bezahlbare Weise realisieren. 2b. Energieeffizienz als Schlüssel für Kosten-Management
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BMU (2011), The Federal Government's energy concept of 2010 and the transformation of the energy system of 2011, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 28
Ibid. 29
Für die vollständige Analyse einschließlich Risikomanagement bei der Dekarbonisierung des Stromsektors in Großbritannien und Polen siehe E3G (2013), Risk Managing European Power Sector Decarbonisation, Third Generation Environmentalism, http://www.e3g.org/showcase/risk‐managing‐power‐sector‐decarbonisation Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Eine aktuelle E3G‐Analyse zeigt: Entscheidend für die Verringerung der Kosten und Risiken der Energiewende ist eine Steuerung der Energienachfrage. In der Analyse wurden alternative Ansätze zur Dekarbonisierung des deutschen Energiesektors gemäß den Zielen des Energiekonzepts untersucht29. Ziel war es, die Art der Risiken von zwei konkurrierenden Ansätzen zu verstehen. Die Ansätze basieren auf zwei verschiedenen Szenarien: Das „Technology Support Scenario“ geht davon aus, dass es auch nach 2020 noch staatliche Unterstützung für erneuerbare Energien gibt; im „Carbon Price Scenario“ dagegen ist ein 9
variabler Preis für Kohlendioxid‐Emissionen der einzige Treiber der Dekarbonisierung . Es wird angenommen, dass staatliche die Unterstützung für erneuerbare Energien in 2015 ausläuft. Wie die Ergebnisse zeigen, ist die Stromnachfrage durchgängig der wichtigste Unsicherheitsfaktor – für die Entwicklung des Emissionspreises ebenso wie für die Kosten und Risiken bei der Umsetzung der politischen Ziele. Mehr Effizienz beim Stromverbrauch erweist sich also als entscheidender Faktor der Risiko‐Reduktion, weil so von vornherein weniger Investitionen getätigt werden müssen. Im Carbon Price Scenario werden zukünftige Entscheidungen ausschließlich von der Höhe des Preises für THG‐Emissionen beeinflusst. Geringe Anstrengungen bei der Energieeffizienz führen hier dazu, dass die Dekarbonisierungsziele nur über sehr hohe Emissionspreise rechtzeitig erreicht werden können (s. Abbildung 5). Im Jahr 2030 müsste der Preis zum Beispiel 100 Euro pro Tonne Kohlendioxid betragen. . Ohne den Einsatz von Carbon Capture and Storage (CCS), müsste der CO2‐Preis sogar auf 150 Euro pro Tonne CO2 steigen. Abbildung 5: Bandbreite des Preises für Kohlendioxid-Emissionen zur
Erreichung der Dekarbonisierungsziele bis 2030 in verschiedenen SzenarioAnnahmen
Quelle: E3G (2013) Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Wie Abbildung 6 zeigt, sind die Kosten der Dekarbonisierung der Strombranche sowohl im Carbon Price Scenario als auch im Technology Support Scenario ohne eine Steigerung der Energieeffizienz deutlich höher . Für beide Szenarien gilt ebenfalls: Der stärkste Kostenanstieg (um 18 Prozent im Carbon Price Scenario und um 11 Prozent im Technology Support Scenario) ergibt sich, wenn technologische Entwicklungen nicht zu mehr Energieeffizienz führen. 10
Abbildung 6: Kumulative Gesamtkosten für die Strombranche in Mrd. Euro, 20122030
Quelle: E3G (2013) Mit maximierter Energieeffizienz lassen sich die politisch gesetzten Ziele mit dem geringsten Kostenaufwand (in beiden Fällen 5 Prozent niedriger als unter den Basisannahmen) erreichen. Verstärkte Bemühungen um eine Verringerung der Energienachfrage würden die Kosten im Stromsektor also weniger anfällig für zukünftige Schocks und Unsicherheiten machen. Auch bei den Kosten für die Verbraucher gibt es erhebliche Risiken. Wie Abbildung 7 zeigt, wären die Großhandelskosten im Carbon Price Scenario im Jahr 2030 um 48 Prozent höher, wenn die Energieeffizienz nicht erhöht wird; dies entspricht kumulativen Zusatzkosten von mehr als 200 Milliarden Euro im Zeitraum 2012 bis 2030. Im Technology Support Scenario wären die Kosten um 20 Prozent höher, die kumulativen Zusatzkosten von 2012 bis 2030 würden sich auf fast 100 Milliarden Euro belaufen. Abbildung 7: Kumulative Großhandelskosten in Mrd. Euro, 2012 bis 2030 Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Quelle: E3G (2013) 11
Weil die Zukunft ungewiss ist, müssen die wichtigsten Risiken für effektive Dekarbonisierungs‐Strategien identifiziert und ein ebenso effektives Risikomanagement entwickelt werden. Wie die Analyse zeigt, ist die Verringerung der Energienachfrage unabhängig von den technischen Entwicklungen immer entscheidend für die Zielerreichung, aber auch für eine Begrenzung der Strompreiserhöhung. Nur so werden Verbraucher und Unternehmen bei der Energiewende an Bord bleiben. Verstärkte Maßnahmen für mehr Energieeffizienz können Preisrisiken verringern, die Systemstabilität erhöhen, angebotsseitigen Verzerrungen durch Kapazitätsmärkte entgegenwirken und die Chancen für die Umsetzung der Dekarbonisierungszieleerhöhen. 2c. Ist Schiefergas die Lösung für das Energieproblem?
Wie oben bereits angemerkt, gibt es mittlerweile eine Debatte in Europa, die Schiefergas als „dritten Weg“ für eine Dekarbonisierung zu vertretbaren Kosten anpreist. Auslöser dafür ist ein rapider Anstieg der Produktion von Schiefergas in Nordamerika in den vergangenen Jahren. Aktuell macht Schiefergas 40 Prozent der Erdgas‐Produktion in den USA aus. Eine nähere Beschäftigung mit den Schlagzeilen zu dem Thema lässt jedoch erkennen: Anders als oft behauptet, dürfte Schiefergas keineswegs der billige „dritte Weg“ für Europa sein. Ein unmittelbares Problem besteht darin, dass die Schiefergas‐Branche in hohem Maß von staatlichen Subventionen getragen wird30. Diese Subventionen ließen sich theoretisch mit der Schaffung von Arbeitsplätzen rechtfertigen. Jedoch gibt es keine Belege dafür, dass durch Schiefergas mehr Jobs entstehen, als es durch ähnliche Subventionsprogramme in anderen Teilen der Volkswirtschaft der Fall wäre31. Zudem kommen aktuell zwei Drittel des geförderten Schiefergases von nur drei Standorten, die inzwischen von steil abfallenden Förderraten und sinkender Wirtschaftlichkeit geprägt sind32. Im Jahr 2012 betrugen die Kapitalkosten für die Aufrechterhaltung der Produktion an mehr als 7000 Bohrlöchern in den USA 42 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der Gesamtwert des im selben Jahr geförderten Schiefergases betrug nur 32,5 Milliarden US‐Dollar33. Hinzu kommt ein problematisches Überangebot, das zu Preisen unterhalb des Produktionskostenniveaus geführt hat: Im Jahr 2011 war das Angebot an Erdgas in den USA viermal höher als die Nachfrage34. Exporte von Schiefergas in lukrativere Übersee‐Märkte 30
Schiefergas fördernde Unternehmen genießen erhebliche Steuererleichterungen durch den Clean Air Act, den Clean Water Act, den Clean Drinking Water Act sowie den Superfund Act, der das Entsorgen von gefährlichen Substanzen vorschreibt. Siehe Ellen Cantarow (2013), Fracking ourselves to death in Pennsylvania, grist Magazine http://grist.org/climate‐energy/fracking‐ourselves‐to‐death‐in‐pennsylvania/ 31
Insbesondere aus der Branche selbst gibt es laute Stimmen, die behaupten, Schiefergas führe zu enormen Mengen an neuen Arbeitsplätzen. Allerdings liegen diesen Werten oft unrealistisch hohe Multiplikatoren für indirekte Stellenschaffungen zugrunde. Daten vom US Bureau of Labor Statistics zeigen, dass direkte Jobs in Onshore‐ und Offshore Öl‐ und Gasförderung zusammen weniger als ein zwanzigstel Prozent des US‐
Arbeitsmarktes ausmachen. Siehe Deborah Rogers (2013), Shale and Wall Street: Was the decline in natural gas prices orchestrated?, Energy Policy Forum 32
J. David Hughes (2013), Drill, Baby, Drill – Can unconventional fuels usher in a new era of energy abundance?, Post Carbon Institute 33
Ibid. 34
Trotz zunehmend erschöpfter Reserven wurde die Produktion intensiv fortgesetzt, um die Ziele von Finanzanalysten für das Produktionswachstum zu erreichen und Schulden bedienen zu können. Dadurch kam es Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
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werden somit von der Notwendigkeit getrieben, die Kosten wieder hereinzuholen. Bis November 2012 hatte das US Department of Energy 18 Lizenzen für Schiefergas‐Exporte erteilt; für den Export bestimmtes Schiefergas machte 60 Prozent des aktuellen Gesamtverbrauchs an Erdgas in den USA aus35. Die Wirtschaftlichkeit von Schiefergas in Europa lässt sich auch aufgrund der ungünstigeren geologischen Bedingungen und der dichteren Besiedelung im Vergleich zu den USA in Zweifel ziehen. Europäische Schiefergas‐Bohrungen sind kleiner, müssen tiefer reichen und haben mit einem höheren Tonanteil im Erdboden zu kämpfen, der das nötige Fracking erschwert36. Dies war einer der Gründe dafür, warum die Exxon Mobil Corporation 2012 Schiefergas‐Bohrungen in Polen abbrach37. Im dicht besiedelten Europa werden Störungen durch Schiefergas‐Projekte zudem kaum auf Verständnis in der Bevölkerung stoßen38. In Großbritannien lösten Versuche, Schiefergas‐Bohrungen zu beginnen, vor kurzem energischen Widerstand von Bürgern vor Ort aus39. In Bulgarien entstand 2012 eine Massen‐
Protestbewegung, die zu einem Moratorium bei der Schiefergas‐Exploration führte40. Gelegentlich wird argumentiert, Schiefergas ermögliche es Deutschland, seine Energiesicherheit zu verbessern, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und technologische Forschung und Entwicklung anzuschieben41. Dies erscheint unwahrscheinlich. Neben Fragen in Bezug auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit nehmen soziale und ökologische Bedenken rasant zu42. Auch dies trägt zur öffentlichen Skepsis bei. >
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
zu einer Überproduktion von Erdgas, die zu Preisen unterhalb der Produktionskosten führte. Siehe Deborah Rogers (2013), Shale and Wall Street: Was the decline in natural gas prices orchestrated?, Energy Policy Forum 35
Ibid. 36
Paul Stevens (2012), Shale and a Renewed Dash for Gas in the UK?, Chatham House, http://www.chathamhouse.org/media/comment/view/187991 37
The Wall Street Journal (2012), Exxon Ends Drilling for Poland Shale Gas, http://online.wsj.com/article/SB10001424052702303836404577474532500852896.html 38
Paul Stevens (2012), Shale and a Renewed Dash for Gas in the UK?, Chatham House, http://www.chathamhouse.org/media/comment/view/187991 39
BBC (2013), Balcombe oil: Drill site fracking protests continue, http://www.bbc.co.uk/news/uk‐england‐sussex‐
23475958 40
Die bulgarische Regierung hatte dem US‐Unternehmen Chevron im Juni 2012 eine Genehmigung zur Erkundung von 4400 qkm um Novi Pazar erteilt. Im Januar 2013 widerrief das Parlament diese Genehmigung und beschloss wegen ökologischer Bedenken, Schiefergas‐Exploration zu verbieten; damit folgte Bulgarien Frankreich. Siehe Mirel Bran (2013), Bulgaria becomes second state to impose ban on shale‐gas exploration, The Guardian http://www.guardian.co.uk/world/2012/feb/14/bulgaria‐bans‐shale‐gas‐exploration 41
Wirtschaftswoche (2013), Oettinger: Deutschland soll Fracking erproben, http://www.wiwo.de/politik/deutschland/schiefergas‐foerderung‐oettinger‐deutschland‐soll‐fracking‐
erproben/8252290.html; BDI (2013), Fracking ‐ Stärkung für den Technologiestandort, http://www.bdi.eu/163_13067.htm; Reuters (2013), Industrie für Prüfung von Schiefergas‐Förderung in Deutschland, http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE91101H20130202 42
Richard Schiffman (2013), What the frack do we know? Not much, it turns out, grist Magazine, http://grist.org/climate‐energy/is‐your‐drinking‐water‐fracked‐who‐the‐hell‐knows/ 13
3. Blick nach vorn: Die Energiewende bezahlbar machen
Die größten Herausforderungen für die Umsetzung der Energiewende liegen im Zeitplan und bei den Kosten. Im Jahr 2012 meinte Bundesumweltminister Peter Altmaier, die Energiewende könne bis zum Jahr 2040 bis zu einer Billion Euro kosten43. Diese Zahl ist atemberaubend, lässt aber außer Acht, dass die Energiewende zugleich Einsparungen bringt, zum Beispiel weil die Importe von fossilen Brennstoffen zurückgehen werden. Im Jahr 2011 gab Deutschland 81,2 Milliarden Euro für importierte fossile Brennstoffe aus; das sind 20 Prozent mehr als 2010 und 50 Prozent mehr als 200044 und entspricht einem Anteil von 3,2 Prozent am deutschen BIP45. Einsparungen werden auch aufgrund von verstärkten Bemühungen im Bereich Energieeffizienz anfallen . Andere Schlagzeilen lauten „Ökostrom soll selbst 2050 noch nicht marktfähig sein“ oder „Kohle‐ und Gaskraftwerke müssen bleiben“46. In derartigen Berichten werden jedoch die Annahmen hinter solchen Zukunftsszenarien nicht kritisch hinterfragt; dadurch tragen sie zusätzlich zur Verwirrung bei. Die genannten Zahlen differenzieren auch nicht zwischen neuen Kosten und solchen, die ohnehin auf Deutschland zukämen, um alte Kapazitäten zur Stromerzeugung mit Kohle oder Kernbrennstoffen zu ersetzen, um das Stromnetz zu modernisieren und auszubauen sowie um fossile Brennstoffe zu importieren. Auch werden sinkende Kosten für neue Technologien vernachlässigt. So sind die Preise für Photovoltaik im Zeitraum 2008 bis 2011 um 50 Prozent zurückgegangen; bei Windkraft haben sich Verträge für Betrieb und Wartung aufgrund starken Wettbewerbs und verbesserter Turbinen im selben Zeitraum um durchschnittlich fast 40 Prozent verbilligt47. Die Zukunft ist ungewiss, und Entscheidungen zu konkreten Maßnahmen und Technologien sind abhängig vom politischen Willen. Vor diesem Hintergrund eignen sich spektakuläre Schätzungen nicht für eine ehrliche, auf Fakten basierte Debatte. >
43
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
FAZ (2013), Energiewende könnte bis zu einer Billion Euro kosten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/energiepolitik/umweltminister‐altmaier‐energiewende‐
koennte‐bis‐zu‐einer‐billion‐euro‐kosten‐12086525.html 44
UFE (2012), Jährliche Ausgaben Deutschlands für den Import fossiler Energieträger von 2000 bis 2011 und Prognosen bis 2050, http://www.unendlich‐viel‐
energie.de/uploads/media/Energieausgaben_Deutschland_aug12_linie.pdf 45
Destatis (2012), Bruttoinlandsprodukt 2011 für Deutschland, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2012/BIP2011/Pressebroschuere_BIP201
1.pdf?__blob=publicationFile 46
DENA (2012), Integration der erneuerbaren Energien in den deutsch‐europäischen Strommarkt, Deutsche Energie‐Agentur, http://www.dena.de/fileadmin/user_upload/Presse/Meldungen/2012/Endbericht_Integration_EE.pdf; Die Welt (2012), Ökostrom soll selbst 2050 noch nicht marktfähig sein, http://www.welt.de/wirtschaft/energie/article108744622/Oekostrom‐soll‐selbst‐2050‐noch‐nicht‐marktfaehig‐
sein.html; Handelsblatt (2012) Kohle‐ und Gaskraftwerke müssen bleiben, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/trotz‐energiewende‐kohle‐und‐gaskraftwerke‐muessen‐
bleiben‐/7041060.html 47
Bloomberg New Energy Finance (2012) Wind farm operation and maintenance costs plummet, Pressemitteilung 14
3a. Für bezahlbaren Strom sind Reformen auf der Nachfrageseite notwendig
Eine stärkere Betonung der Energieeffizienz wäre ein erster Schritt zu einer spürbaren Verringerung der Kosten für die Energiewende. Der politische Fokus in Deutschland richtet sich jedoch nach wie vor auf Lösungen für die Angebotsseite. Allerdings können nur durch die Einsparung von Strom und die Steuerung der Nachfrage echte Durchbrüche erzielt werden. >
48
Power Markets, Systems Benefits and Key Design Issues: Powerpoint presentation by Rich Cowart, Regulatory Assistance Project & Chris Neme, Energy Futures Group 49
E3G (2011), Driving lower energy bills and security of supply. siehe http://www.e3g.org/library/search&keywords=Driving+lower+energy+bills+and+security+of+supply/ 50
Agora (2013), Lastmanagement als Beitrag zur Deckung des Spitzenlastbedarfs in Süddeutschland, Agora Energiewende Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Entscheidend ist, dass die Energiewende den höchstmöglichen Gegenwert für Investitionen im gesamten deutschen Energiesystem erbringt. Die Zukunft der Stromversorgung sollte deshalb verstärkt unter den Aspekten Demand Response , Nachfrage‐Steuerung, und verteilter Erzeugung (nach den englischen Anfangsbuchstaben zusammen abgekürzt als D3) diskutiert werden. Bislang sind Programme für Nachfrage‐Steuerung und Demand Response auf einige wenige der größten Stromkunden in Industrie und Gewerbe beschränkt, und auch die Kapazität zur verteilten Erzeugung ist noch weit unter ihrem Potenzial. In mehreren US‐
Strommärkten dagegen spielen Ressourcen der Nachfrageseite bereits eine aktive Rolle mit belegbaren Erfolgen. D3‐Ressourcen im Kapazitätsmarkt von New England zum Beispiel, das sechs Bundesstaaten umfasst, bringen für die dortigen Verbraucher eine Ersparnis von 290 Millionen US‐Dollar pro Jahr48. In Großbritannien hat das Department of Energy and Climate Change (DECC) auf Verbraucher abzielende Pilotversuche mit Demand Response untersucht und dabei klare Vorteile identifiziert, u.a. um 7 bis 10 Prozent niedrigere Stromrechnungen. Nach einer Schätzung der britischen Energie‐Aufsichtsbehörde Ofgem könnte Demand Response im Verlauf des nächsten Jahrzehnts Einsparungen von bis zu 11,9 Milliarden britischen Pfund erbringen; diese setzen sich zusammen aus 1,5 bis 5,4 Milliarden Pfund an vermiedenen Großhandelskosten für Strom, 1,3 bis 5,4 Milliarden Pfund an vermiedenen Investitionskosten für neue Kraftwerke und 140 bis 280 Millionen Pfund an vermiedenen Investitionen in Stromnetze. Wenn rund ein Viertel der britischen Spitzennachfrage mittels dezentralisierter Erzeugung in lokalen Netzen gehalten würde, entspräche dies im selben Zeitraum wirtschaftlichen Vorteilen in Höhe von rund 13 Milliarden Pfund49. In Deutschland könnte die Steuerung der Nachfrageseite eine ähnliche Rolle spielen und damit die Möglichkeit schaffen, die Herausforderungen der THG‐Reduktion kosteneffektiv zu meistern und die Versorgungssicherheit zu verbessern. So ließe sich bei Industrieprozessen in Baden‐Württemberg und Bayern der Abruf von mehr als 1 Gigawatt der Stromnachfrage um 30 Minuten bis 2 Stunden verschieben50. Diese Flexibilität ist mit bereits heute verfügbaren Technologien und Steuersystemen erreichbar. Sie vermeidet Engpässe im Stromnetz und verringert den Bedarf an neuer Kapazität und Speichermöglichkeiten, indem sie eine effektive Steuerung und Verringerung der Nachfrage in kritischen Spitzenzeiten 15
ermöglicht. Pilotversuche mit speziellen Strompreisen für Spitzenzeiten in Kalifornien haben zu einer Reduktion der Nachfragespitzen um 27 bis 44 Prozent geführt, so dass hohe Kosten für teure Reserve‐Erzeugungskapazität umgangen werden können. Die Bundesregierung sollte deshalb die Nutzung von Chancen auf der Nachfrageseite weitaus stärker betonen. Die passende Form dafür wären Formen der Regulierung, die eine faire und gleichwertige Behandlung von Angebots‐, Infrastruktur‐ und Nachfrageangeboten gewährleisten. Dem ständigen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage kommt aufgrund des zunehmenden Anteils von erneuerbaren Energien immer größere Bedeutung für die Sicherstellung einer zuverlässigen Stromversorgung zu. Dafür werden Ressourcen mit hochgradig flexiblen Eigenschaften erforderlich sein, darunter Technologien für Demand Response. Denn diese bieten die gewünschten Merkmale Schnelligkeit, Dauerhaftigkeit Umkehrbarkeit sowie flexibles Hochfahren und die Fähigkeit zur Reaktion auf Laständerungen51. 3b. Schutz für die Verbraucher als Nebenprodukt der Energiewende
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51
RAP (2012), Beyond Capacity Markets: Delivering Capability Resources to Europe's Decarbonised Power System, Regulatory Assistance Project, http://www.raponline.org/featured‐work/beyond‐capacity‐markets‐delivering‐
capability‐resources‐to‐europes‐decarbonised‐power und RAP (2012), Making Germany’s “Energiewende” (Energy Transition) a Reality, Regulatory Assistance Project, http://www.raponline.org/featured‐work/making‐
germanys‐energiewende‐energy‐transition‐a 52
KfW‐Interview 53
Destatis (2013), Zensus 2011 – Gebäude und Wohnungen in Deutschland, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2013/Zensus2011/gwz_zensus2011.pdf?_
_blob=publicationFile Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Bei der Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden hat es in Deutschland einige Fortschritte gegeben: In den vergangenen 20 Jahren ist der Heizbedarf pro Quadratmeter um jährlich 1,5 Prozent gesunken. Das Effizienzhaus‐Programm der KfW gehört zu den weltweit besten Förderinitiativen zur Verbreitung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz bei Wohnraum. Von 2006 bis 2013 hat es bislang zur energetischen Sanierung von mehr als 3 Millionen Wohnhäusern in Deutschland geführt52. Allerdings ist gleichzeitig die im Durchschnitt bewohnte Quadratmeterzahl gestiegen (von 1990 bis 2011 um 27 Prozent), was die Effizienzsteigerung wieder aufwiegt und so die Energieeinsparungen durch bisherige politische Maßnahmen reduziert. Zudem ist das Ausmaß des Programms kaum ausreichend, denn es gibt in Deutschland mehr als 41 Millionen Wohnungen. Die bislang erreichte Sanierungsrate für ältere Gebäude (derzeit 430.000 pro Jahr) müsste also noch deutlich gesteigert werden53. Genau darin liegt eine der größten Herausforderungen für Deutschland – ebenso wie für andere europäische Staaten. 46 Prozent des deutschen Gebäudebestands wurden vor dem Jahr 1978 erbaut, also vor der ersten Wärmeschutzverordnung, die erstmals eine Isolierung von Gebäuden vorschrieb. Diese Zahl lässt vermuten, dass für die Mehrzahl der Häuser im Land noch Sanierungsbedarf besteht und dass dafür weit reichende Umbauten (die über kostengünstige Maßnahmen wie die Isolierung von Kellern und Dachböden hinausgehen) erforderlich sind. Aus diesem Grund bedarf es grundlegender Änderungen in der Art und 16
Weise, wie energieeffizientes Sanieren angegangen wird und wie mehr Akzeptanz für solche Maßnahmen in der Bevölkerung werden kann. Abbildung 10: Altersklassen des deutschen Gebäudebestands in Prozent
Quelle: S. Bukold (2013) Ein Projekt der Deutschen Energie‐Agentur aus dem Jahr 2013 zeigt jedoch, dass weitreichende Umbauten durchaus möglich und lohnenswert sind. Bei den 63 an dem Projekt beteiligten Wohngebäuden wurden Energieeinsparungen von durchschnittlich 76 Prozent erzielt54. Die Initiative Finanzforum Energieeffizienz in Gebäuden (effin) arbeitet bereits an einer Reihe von Mechanismen, die dazu beitragen sollen, dass sich Maßnahmen für mehr Gebäude‐Energieeffizienz leichter umsetzen und finanzieren lassen. Bei Workshops und Konferenzen kommen dazu führende Experten und Entscheidungsträger aus strategischem Produkt‐Management, Verkauf und Marketing sowie dem Immobiliensektor und der Finanzwelt zusammen. Ziel dieser Arbeit ist es, mit neuen Finanzierungsansätzen geschäftliche Potenziale freizulegen, Investitionen in Energieeffizienz anzuregen und das nötige Kapital zur Verfügung zu stellen. Zwischen Mitte und Ende 2014 soll dieser Prozess zu Empfehlungen für die Umsetzung und Verbreitung möglicher Maßnahmen führen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die folgenden drei Themenbereiche:  Schaffung von Nachfrage im großen Maßstab sowohl bei Eigentums‐ als auch bei Mietwohnungen. Hier geht es darum, die möglichen Rollen von finanziellen Anreizen, innovativen Finanzierungsmechanismen wie Finanzierung über die Stromrechnung, sowie regulatorischer Vorgaben zu betrachten. Verringerung von Transaktionskosten durch eine Optimierung der Kundenerfahrung. 
Sicherstellung einer ausbaufähigen Quelle für bezahlbare Kreditfinanzierungen, so dass nicht nur öffentliche Mittel zur Verfügung stehen Als Grund dafür, warum nicht mehr zur Förderung von Energieeffizienz in Gebäuden getan wird, wird häufig angeführt, dies sei „zu teuer“. Dies wirft ein Schlaglicht auf die Diskrepanz zwischen den klaren sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen von energetischen Sanierungen und den finanziellen und sonstige Belastungen, die dadurch auf die Verbraucher zukommen. Letztlich entscheiden letztere, ob sie ihr Einkommen und ihre Ersparnisse für mehr Energieeffizienz oder für andere Zwecke ausgeben wollen. Ebenso tragen sie weitere Kosten >
54
Der jährliche Energieverbrauch fiel von 223 auf 54 kWh pro Jahr. Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende

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wie den persönlichen Zeitaufwand, der für das Organisieren einer Finanzierung und die Realisierung einer energieeffizienten Sanierung erforderlich sind. Zugleich drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf: „Zu teuer im Vergleich zu was?“. Betrachtet man die umfassenden gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Vorteile von Energieeffizienz im Vergleich zu anderen Infrastruktur‐Investitionen wie etwa im Bereich Stromerzeugung, sieht Energieeffizienz schnell vergleichsweise billig aus. Aus diesem Grund sollte ihr eine höhere politische Priorität eigeräumt werden. Im Rahmen der Energiewende‐Debatte sollte sich die Politik verstärkt mit der Frage beschäftigen, wie sich die Spielregeln so gestalten lassen, dass Maßnahmen auf Nachfrage‐ wie Angebotsseite gleichermaßen Teil der Lösung für die Energiefrage in Deutschland sein können. 3c. Weitere politische Gründe für mehr Energieeffizienz
Die positiven sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Energieeffizienz sind überzeugend. Im Folgenden gehen wir auf die einzelnen Aspekte kurz ein. Verbindung zwischen Energieeffizienz und BIP. Energieeffizienz und die BIP‐Entwicklung hängen in zweierlei Hinsicht miteinander zusammen: zum einen über erhöhte Investitionen, zum anderen übersteigenden Konsum. Die Umsetzung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz steigert das Investitionsvolumen, das einen Teil des BIP darstellt. Zusätzlich kann das BIP bei verbesserter Energieeffizienz durch eine Erhöhung des Konsums steigen, was als „Rebound“‐Effekt55 bezeichnet wird. Nach Analysen der KfW könnten Investitionen in mehr Energieeffizienz das deutsche BIP bis 2050 um jährlich 0,4 Prozent höher ausfallen lassen56. Ähnlich hat die OECD berechnet, dass das BIP in der Europäischen Union 2035 um 0,7 Prozent höher sein könnte, wenn von der Internationalen Energieagentur (IEA) vorgeschlagene Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz in allen Branchen umgesetzt würden57. Und empirische Daten zeigen: Die Energieeffizienz‐Politik in Großbritannien hat von 2000 bis 2010 dazu geführt, dass das reale (also um Inflation bereinigte) BIP‐Wachstum pro Jahr um 0,1 Prozent höher war als in einem hypothetischen Referenzszenario ohne Maßnahmen zur Energieeffizienz58. Laut einer Studie ergaben sich 40 Prozent dieses >
55 Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Dieser Effekt lässt sich unterteilen in direkte, indirekte und die gesamte Volkswirtschaft betreffende Effekte. Zum direkten Rebound kommt es, wenn Verbesserungen der Energieeffizienz zu einer Verringerung der Preise für Energie führen, was einen Anreiz zu höherem Konsum darstellt und damit das BIP steigert. Indirekte Wirkungen gibt es, wenn Ersparnisse durch niedrigere Energiekosten für andere Güter und Dienstleistungen ausgegeben werden – dies führt zu einer Erhöhung des BIP, erfordert aber für die Produktion zusätzlichen Energieeinsatz. Die gesamte Volkswirtschaft betreffende Rebound‐Effekte treten auf, wenn die Energieeffizienz branchenübergreifend zunimmt. Dadurch steigt die Produktivität, das Preisniveau sinkt, und eine Zunahme der Gesamtnachfrage und damit des BIP wird angeregt. Vgl. T. B. Barker und T. Foxon (2008), The Macroeconomic Rebound Effect and the UK Economy, UKERC Research Report, www.ukerc.ac.uk/support/tiki‐
download_file.php?fileId=157 56
KfW (2013), Die energieeffiziente Sanierung lohnt sich ‐ Ein Gespräch mit KfW‐Chefvolkswirt Zeuner und KfW‐
Direktor Kalischer, KfW Bankengruppe 57
OECD (2013), Economic impact of IEA Efficiency World Scenario, Organisation for Economic Co‐operation and Development 58
T. B. Barker und T. Foxon (2008), The Macroeconomic Rebound Effect and the UK Economy, UKERC Research Report, www.ukerc.ac.uk/support/tiki‐download_file.php?fileId=157. Cambridge Econometrics hat für den Zeitraum 2000 bis 2010 ein hypothetisches Referenzszenario konstruiert. Dieses ließ die Auswirkungen von Energie‐ und Emissionseinsparungen aus Vereinbarungen zum Klimawandel aus diesem Zeitraum außer Acht, berücksichtigte aber die Folgen britischen Klimawandel‐Abgabe, der automatischen Erhöhung der 18
zusätzlichen BIP‐Anteils durch Investitionen und 60 Prozent durch den Rebound‐Effekt59. Wichtig in diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass der Rebound‐Effekt sich tendenziell negativ auf die Netto‐Emissionsverringerung auswirkt,. Schaffung von Arbeitsplätzen: Maßnahmen für mehr Energieeffizienz können überall dort ansetzen, wo bei Produktionsprozessen Energie gebraucht wird – etwa in großen Infrastruktur‐, Wohn‐ oder Gewerbegebäuden, in technischen Anlagen für Wohn‐ und Büroräume oder bei Transportmitteln für Logistikzwecke. Tendenziell erfolgt die Umsetzung von Maßnahmen zur Effizienzsteigerung durch lokale Anbieter für Ingenieursdienstleistungen, Bau oder Installation. Dadurch ergibt sich erhebliches und diversifiziertes Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen60. Die Entstehung eines neuen Sektors, der die Umsetzung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz übernimmt, schafft zugleich eine neue Quelle für Steuereinnahmen durch Lohn‐ und Gehaltssteuern sowie durch Steuern auf Unternehmensgewinne; hinzu kommt die indirekte Besteuerung über die Mehrwertsteuer zum Beispiel auf Bau‐ und Installationsleistungen. Insgesamt hat das KfW‐Programm Energieeffizient Bauen und Sanieren aus dem Jahr 2011 der öffentlichen Hand Zusatzeinnahmen von 3 Milliarden Euro eingebracht. Schätzungen, die auch nur zum Teil von der KfW finanzierte Investitionen und vermiedene Ausgaben für staatliche Leistungen bei Arbeitslosigkeit berücksichtigen, belaufen sich sogar auf 10 Milliarden Euro61. Im Jahr 2010 nahm die Bundesregierung für jeden Euro, der im Rahmen des KfW‐Effizienzhausprogramms ausgegeben wurde, vier bis fünf Euro an Steuern ein. Das Programm kam auf eine Rendite der getätigten Investitionen von 12,5 Prozent; dadurch war die KfW Bankengruppe in der Lage, den Zins für ihre Immobilienkredite mit 1 Prozent zu subventionieren62. Im Jahr 2011 wurden Neubau‐ und Sanierungsinvestitionen im Volumen von 8,9 Milliarden Euro komplett über KfW‐Mittel finanziert. Rechnet man auch von der KfW geförderte, aber nicht vollständig finanzierte Investitionen hinzu, ergibt sich mit 18,6 Milliarden Euro ein deutlich größerer Effekt. Insgesamt wurden durch KfW‐Finanzierungen (direkt und indirekt) >
Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
Mineralölsteuer bis 1999 und die Umsetzung des Ziels von 10 Prozent Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen bis 2010. Das Referenzszenario hat Ähnlichkeit mit dem Basisszenario, das im UK Climate Change Program aus dem Jahr 2010 verwendet wurde, wobei im Referenzszenario aber auch die Folgen der Programme zum Emissionshandel in Großbritannien und der EU enthalten sind. 59
Ibid. 60
In manchen Fällen sind Arbeitsplätze in Zusammenhang mit der Umsetzung von Energieeffizienz‐Maßnahmen arbeitsintensiver als andere, also weniger produktiv, so dass sich die Gesamtproduktion der Volkswirtschaft verringern kann. Jedoch geht es bei vielen Jobs in diesem Bereich um den Einsatz innovativer Technologien wie etwa solchen für Industrieprozesse, Fernheizung oder Gas‐ und Dampfkraftwerke, intelligente Stromzähler und intelligente Stromnetze, moderne Wärmepumpen, Technologien zur Laser‐Messung oder Infrarot‐Geräte zur Erfassung des Wärmeverlusts von Gebäuden. Diese erhöhen die Produktivität und sollten deshalb durch Investitionen in technische Innovationen unterstützt werden. 61
KfW (2013), Impact on Public Budgets of the KfW Promotional Programmes „Energy‐efficient Construction“, „Energy‐efficient Refurbishment“ and „Energy‐efficient Infrastructure“ in 2011, KfW Bankengruppe 62
KfW (2011), KfW Programmes: Energy‐efficient Construction and Refurbishment. Public Budgets Benefit up to Fivefold from “Promotional Euros”, KfW Bankengruppe, Pressemitteilung, https://www.kfw.de/KfW‐
Group/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen‐Details_10137.html 19
121.000 Arbeitsplätze geschaffen, unter Berücksichtigung der teilweisen Förderungen sogar 253.00063. Besserer Lebensstandard. Mehr Energieeffizienz, wo nötig flankiert durch Schulungen und Informationen über weitere Einsparmöglichkeiten, können die Höhe der Energiekosten für Haushalte stabilisieren oder sogar verringern. Dies führt zu mehr verfügbarem Einkommen, das wiederum einen höheren Lebensstandard ermöglicht – insbesondere bei Menschen, die sonst nicht genügend Geld für das Heizen ihres Wohnraums hätten. In einer Welt, in der Ressourcenknappheit und Preise für THG‐Emissionen die Energiekosten zukünftig in die Höhe treiben werden, kann Energieeffizienz als Gegengewicht dienen und so verhindern, dass steigende Preise zu mehr Armut führen. Energiearmut sollte direkt am Kern des Problems angegangen werden, nämlich durch eine Verringerung der Wärmeverluste von Wohnraum. Ansonsten wird in Zukunft eine zunehmende Zahl von Haushalten betroffen sein, was gesundheitliche Konsequenzen hat und dadurch indirekt auch volkswirtschaftlichen Schaden verursacht64. Ein weiteres Risiko zunehmender Energiearmut besteht darin, dass sie die Kosten für staatliche Sozialausgaben erhöht, weil betroffene Bevölkerungsgruppen unterstützt werden müssen. Großbritannien zum Beispiel gibt jeden Winter 1,5 Milliarden Euro für Brennstoffzuschläge aus, damit von Energiearmut betroffene oder gefährdete Gruppen ihre Energierechnungen bezahlen können. In Deutschland erhalten arme Haushalte bei extremen Temperaturen Zusatzzahlungen für ihre Energiekosten65. In Ungarn gab es bis 2009 ein ähnliches Hilfsprogramm66. Die spanische Regierung subventioniert Strom, um sicherzustellen, dass er für alle Konsumenten bezahlbar ist; dadurch hat sie bei den Energieversorgern jedoch Schulden von 15 Milliarden Euro angehäuft67. Derartige finanzielle Beihilfen sind stets nur eine vorübergehende und zunehmend wirkungslose Lösung. Effizienter wäre es, diese Mittel einzusetzen, um Energiearmut an der Wurzel zu bekämpfen: durch Verbesserungen der Energieeffizienz von Gebäuden. 63
KfW (2013), Impact on public budgets of the KfW promotional programmes „Energy‐efficient construction“, „Energy‐efficient refurbishment“ and „Energy‐efficient infrastructure“ in 2011, KfW Bankengruppe 64
M. Levine et al. (2007), Residential and commercial buildings, quoted in D. Arena et al. (2011:38), Employment Impacts of a Large‐Scale Deep Building Energy Retrofit Programme in Hungary, http://3csep.ceu.hu/sites/default/files/field_attachment/project/node‐6234/employment‐
impactsofenergyefficiencyretrofits.pdf 65
A. Power & M. Zulauf (2011), Cutting Carbon Costs: Learning from Germany’s Energy Saving Program, The Brookings Institute 66
D. Arena et al. (2010), Employment Impacts of a Large‐Scale Deep Building Energy Retrofit Programme in Hungary, Budapest: Central European University, http://3csep.ceu.hu/sites/default/ files/field_attachment/project/node‐6234/employment‐impactsofenergyefficiencyretrofits.pdf 67
S. Davies & I. Holmes (2011), European Perspectives on the Challenges of Financing Low Carbon Investment: Spain, http://www.e3g.org/docs/E3G_European_Perspectives_on_the_Challenges_of_Financing_Low_Carbon_Investm
ent_Estonia.pdf Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
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4. Schlussbemerkungen
Die öffentliche Diskussion über die Energiewende wird immer stärker zu einer Debatte darüber, wie viel wir für ökologische Fortschritte zu zahlen bereit sind; Kernkraft wird gegen Kohle ausgespielt. Doch es gibt noch einen anderen Weg, mit dem Problem der steigenden Kosten umzugehen: die politische Aufwertung und Förderung von Energieeffizienz und anderen nachfrageseitigen Optionen in der Energiewende. Energieeffizienz und nachfrageseitige Lösungen sind preisgünstiger als angebotsseitige Maßnahmen, aber ebenfalls nicht kostenlos. Um sie voranzubringen, sind stärkere Eingriffe der Regierung erforderlich. Diese könnten die Grundlage dafür schaffen, dass Effizienz und Nachfrage‐
Lösungen in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Verringerung von THG‐Emissionen spielen und den Primärenergieverbrauch sowie den Stromverbrauch verringern können. Besonders wichtig wird Energieeffizienz dafür sein, um die Unterstützung der Bevölkerung für die Energiewende zu sichern. 2012 bezeichneten 93 Prozent der Bevölkerung erneuerbare Energien als wichtig oder extrem wichtig für die Energiewende; zwei Drittel waren nach eigene Angaben bereit, dafür mehr Geld auszugeben68. Ein Drittel jedoch ist mindestens skeptisch, inwieweit den höheren Kosten tatsächlich Vorteile für die deutsche Volkswirtschaft gegenüber stehen. Eine stärkere Betonung der Energieeffizienz, getragen von entsprechenden Maßnahmen, kann diese beiden Positionen vereinen und für anhaltende öffentliche Unterstützung sorgen. Dafür muss die laufende Debatte jedoch so ausgeweitet werden, dass sie sich nicht mehr nur auf Strom bezieht, sondern auch Heizenergie umfasst. Die der Regierung zur Verfügung stehenden Optionen sollten sorgfältig überprüft werden. Entscheidend wird dabei sein, nachfrageseitige Optionen im Kontext von anderen denkbaren Infrastruktur‐Investitionen zu betrachten – und dafür zu sorgen, dass Maßnahmen auf Nachfrage‐ wie Angebotsseite gleichermaßen zum Teil der Lösung für das deutsche Energiesystem werden können. Nur auf diese Weise lässt sich eine gerechtere und wettbewerbsfähigere Gesellschaft erreichen – eine Gesellschaft, in der sich jeder genügend Strom und ein warmes Zuhause leisten kann. 68
Germanwatch (2012), Deutsche http://germanwatch.org/de/6224 bereit, für Energiewende höhere Kosten zu schultern Energieeffizienz als Erfolgsfaktor der Energiewende
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