Vortrag

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Vortrag
Andrea Roedig - Erschöpfter Feminismus
Vortrag am 2. 3. 2012 beim VFQ, Linz
Einstieg: Schlagabtausch Alice Schwarzer/ Verona Feldbusch:
http://www.youtube.com/watch?v=qsDmGWpyLxM
Hier sehen wir oberste aller Frauenrechtlerinnen – in einem sehr legendären Schlagabtausch
mit dem Model Verona Feldbusch (heute Poth) aus dem Jahr 2001. Und ich kann ihnen
sagen, wenn jemand nicht erschöpft ist vom Feminismus, dann ist es Alice Schwarzer. Sie
kämpft seit 40 Jahren mit immer denselben Parolen, immer denselben Inhalten. Sie hat ihren
Satus als eine Ikone des Feminismus und Trägerin hoher Orden (u.a. ordre pour le merite/
Bundesverdienstkreuz) auch deshalb erhalten können, weil sie ihre Positionen nie verändert
hat und beharrlich an denselben Thesen festhält (und zum Teil auch zu Recht). Wenn man
sich Alice Schwarzer aber ansieht, dann muss man (ohne ihr zu nahe zu treten zu wollen)
sagen: es wäre gut, ein bisschen mehr erschöpft zu sein.
Der Schlagabtausch Feldbusch gegen Schwarzer markierte definitiv eine Zeitenwende. Dem
einhelligen Urteil nach war nämlich Feldbusch an Punkten klar überlegen und spätestens seit
dieser Sendung kann der alte Feminismus, für den Schwarzer ja steht, gegen den neuen
nicht mehr gewinnen.
(Es ist eigenartig: In regelmäßigen Abständen wiederholt sich das Spiel mit jeweils großem
Medieninteresse, sei es in Form von Schwarzer contra Alphamädchen oder Schwarzer
gegen Familienministerin Kristina Schröder, Schwarzer gegen Charlotte Roche. Solche
Inszenierungen wirken wie ein genau abgestecktes Ritual, als müsse die deutsche
Öffentlichkeit sich in gewissen Abständen noch einmal vergewissern, dass der EmanzenFeminismus wirklich tot sei. )
Warum ist das so? Gelten die alten Weisheiten des Feminismus nicht mehr? Und wenn ja:
warum nicht? Was hat sich verändert? Schauen wir uns das einmal näher an.
Worum geht eigentlich die Auseinandersetzung zwischen Schwarzer und Feldbusch?
Der Vorwurf der Jüngeren ist in den meisten Fällen so etwas wie „fehlende Sexyness“/
fehlende Lockerheit des alten Feminismus. Dabei ist es ja allerdings nicht so, dass der alte
Feminismus „keinen Sex“ wollte, er wollte anderen Sex. Und zwar radikal. Alice Schwarzers
Engagement stammt aus einer Zeit, in der die Frauenbewegung so sexuell war, wie man es
sich heute überhaupt nicht mehr träumen lassen könnte. Es war die Zeit, in der die
Aktionskünstlerin Valie Export sich breitbeinig mit Maschinengewehr und entblößtem
Geschlecht in „Panikhosen“ präsentierte oder mit dem legendären „Tapp und Tast Kino“
männliche Passanten aufforderte, ihr öffentlich an die Brüste zu fassen. Es war die Zeit, in
der so etwas wie „Vagina Paintings“ entstanden. Auch Schwarzers Klassiker „Der kleine
Unterschied“ ist durch und durch sexuell. (Das Buch lebt von expliziten Beschreibungen wie
und wann der Penis eindringt, welche Unlust er verursacht und welche Lust die Klitoris.) Und
es steht dort der denkwürdige Satz, dass „die Sexualität der Angelpunkt der Frauenfrage“
sei. Dieser Satz klingt heute sehr fremd.
Man hat nicht zu Unrecht den Eindruck, dass der alte Feminismus viel radikaler war, er war
von einer Unbedingtheit und Kraft, die heute offenbar gar nicht mehr möglich ist. Ich würde
die Verschiebungen, die da stattgefunden haben, unter vier Schlagworte fassen, die vier
großen A's sozusagen, nämlich:
Aufklärung, Ausdifferenzierung, Artifizialisierung und Angst .
Zur Aufklärung/Angleichung der Rechte:
Die Radikalität der "alten", der so genannten zweiten Frauenbewegung lässt sich unter
anderem aus der Zeit der 1960er Jahre erklären. Die Aktionen der Frauen fanden in dieser
einzigartigen Phase statt, in der eine sexuelle Liberalisierung gerade einsetzte und auf eine
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äußerlich prüde und innerlich sexistische Gesellschaft stieß. Sex (und damit Geschlecht)
wurde zum Kampfmittel. Man konnte noch mit der öffentlichen Darstellung von Nacktheit
schocken, daher zogen die Studentinnen zum Protest ihre T-Shirts aus. Vielleicht war
„Nacktheit“ damals die passende Metapher für eine Befreiung auch vom langen
Nachkriegsschweigen. Heute funktioniert das nicht mehr. (Wenn Valie Export jetzt mit ihren
Panikhosen durch die Straßen ginge, würde man sie für höchstens verrückt halten. Man
würde nicht wissen, wogegen sich ihre Anklage denn richtet? Was will die Frau?)
Es hat sich gesellschaftlich wirklich einiges getan, viele der Forderungen der zweiten
Frauenbewegung sind eingelöst. Und es hat es hat Aufklärung stattgefunden: Die
Frauenbewegung führte zum Wissen vor allem über die Funktionsweisen weiblicher
Sexualität. Sie hat sich als eigenständige Form der Lust neben der männlichen etablieren
können. Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch konstatiert, dass in puncto Beischlaf
heute eher Frauen bestimmten, wo es lang geht. Und es gibt dieses nette Zitat der
berufstätigen Mutter, Super-Mom Kate Reddy: "Früher hatten die Frauen Zeit, echte Kuchen
zu backen und mussten Orgasmen vortäuschen. Heute schaffen wir das mit den Orgasmen,
aber beim Kuchenbacken müssen wir tricksen." ("Women used to have time to make mince
pies and had to fake Orgasms," "Now we can manage the orgasms, but we have to fake the
mince pies."; Allison Pearson: "I Don't Know How She Does It,")
Diese gestiegene Macht der weiblichen Sexualität gilt natürlich nicht unumschränkt und
überall. Denn in der Praxis bestehen, wie wir wissen, Prostitution, sexuelle Gewalt,
Ausbeutung und Abhängigkeit trotzdem fort.
Ausdifferenzierung:
Der zweite Punkt ist Ausdifferenzierung: Was die möglichen Lebensstile und Rollenmuster
angeht, ist die westliche Gesellschaft auf beinahe unvorstellbare Weise liberal geworden. Es
gibt für Frauen und Männer verschiedenste mögliche Lebensentwürfe: Frauen können
Familien haben, oder allein leben (ohne als alte Jungfer zu gelten), können berufstätig sein
oder nicht, sie können in der 2. oder 3. oder in wilder Ehe leben, Männer können zu Hause
bleiben, im Haushalt helfen: Auch wenn sie es meist nicht tun – Hausmann sein ist nicht
mehr undenkbar und so "kastrierend", wie das in den 1960ern noch gewesen wäre.
Ein wichtiger Faktor in dieser Entwicklung war nicht nur die Politik, sondern die Logik des
Konsums, die sich wenig um Inhalte und noch weniger um Moral schert. Die Kaufkraft wurde
zum dominanten Gesellschaftsfaktor, und das hat sich für etliche Gruppen, allen voran
Frauen und Homosexuelle, durchaus befreiend ausgewirkt. Es ist (in gewissem Rahmen
natürlich) heute möglich, verschiedene Stile von Männlichkeit und Weiblichkeit zu leben und
ausgefallene Familienmodelle zu entwerfen. Homosexualität steht kaum mehr unter
öffentlichem Tabu und genießt Rechtsschutz. Das war 1970 gar nicht denkbar.
Artifizialisierung:
Der dritte Punkt ist der interessanteste: Ich nenne ihn „Artifizialisierung“, man könnte auch
von „neuer Künstlichkeit“/ „Leichtigkeit“ / „Verflüssigung“ / „Ironisierung“ sprechen:
Was die feministischen Aktionen der 1970er und frühen 1980er Jahre so mächtig macht, ist
ihr Glaube an die Wahrheit des nackten Körpers. Die Geschlechterdifferenz galt als eine
eindeutige und vornehmlich körperliche Tatsache, weswegen es nur logisch war, von der
Penetration direkt aufs Patriarchat zu schließen. Am Körper – als einem Wahrheitsinstrument
– wurde daher auch der Protest ausagiert.
Dieses naive Vertrauen in die natürliche Essenz des Geschlechts ist der Frauenbewegung –
und der ganzen Gesellschaft – spätestens seit Mitte der 1980er Jahre gründlich verloren
gegangen. Sie wissen das: auch die feministische Theorie hat sich vor allem durch die Ideen
Judith Butlers Anfang der 1990er Jahre grundsätzlich verändert. Heute sehen wir Geschlecht
und Sex nicht mehr als biologisches Schicksal, sondern als eine kulturelle Performance, die
gegebenenfalls durch Parodie und Persiflage auszuhebeln ist. Daher traut sich keine
Feministin mehr, die Große Mutter oder das Matriarchat als Utopie anzurufen.
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Stattdessen versuchen nun Heerscharen von engagierten Kulturwissenschaftler/innen zu
ergründen, ob die Serie „Sex and the City“ nun ironisch subversiv sei oder doch nur alte
Rollenklischees zementiere – der Unterschied ist nämlich nicht mehr so einfach
auszumachen, und im Zweifel stimmt genau beides. Wo sich nicht so einfach sagen lässt,
was Maskerade ist und was nicht, hat der Rigorismus keinen Platz mehr.
Die Lage ist also komplexer geworden, das Denken verspielter und der Sex lustiger – er wird
zur Komödie. Wo sich nicht so einfach sagen lässt, was Maskerade ist und was nicht, hat der
Rigorismus keinen Platz mehr. Auch Verona Feldbuschs Aufschrei „ ich bin doch ein
Weibchen“, besagt genau, dass sie keinen Unterschied zwischen Sein und Schein mehr
sieht. „Ich nehme Männer ernst“, ist ein Satz Alice Schwarzers in der Talkshow. „Vielleicht zu
ernst“, entgegnet Feldbusch und hat das Lachen auf ihrer Seite.
Dieser Verlust an Ernsthaftigkeit gilt überdies auch für die Beurteilung von Sexismus. In ihrer
interessanten Studie „Gender and the Media“ zeigt Rosalind Gill, wie mittlerweile die
Werbung auf feministischen Protest reagiert und ihn aufnimmt. Heute erscheinen die Frauen
in der Werbung nicht mehr als passive Objekte sondern als aktive und mächtige
verführerische Akteurinnen. Sexistisch ist das weiterhin (Gill spricht von Retro-Sexismus)
aber die Bedeutung und auch die Einschätzung von Sexismus ist eine andere geworden. –
Auch Verona Feldbusch fühlt sich ja ganz als Herrin ihres Dekolletes: Das ist richtig und
falsch zugleich, Rosalind Gill würde sagen: Subjekt zu sein ist die Art und Weise, sich heute
zum Objekt zu machen („shift from sexual objectification to sexual subjectification“) und
sagt: „Subjectification is just how we do objectification today“.).
Alles ist leichter, flüssiger, und dieser Dispersionsprozess hat auch die feministische Kritik
ergriffen. Generell hat sich das kräftige Lila in Rosa aufgelöst. Es herrscht die Lust an einer
frechen Weiblichkeit. Die neuen Feministinnen fordern ihr Recht auf Lust, gleichzeitig werden
aber die Geschlechterbilder von Mann und Frau nachhaltig bejaht.
(Die Forderungen nach „radical sexual politics“, radikaler alternativen Formen der Sexualität
kommen innerhalb des Feminismus gar nicht mehr vor – sie wanderten in die Queer-und
Gender Studies ab; hier sind die Begriffe "Zweigeschlechtlichkeit" und
"Zwangsheterosexualität" an die Stelle des alten "Patriarchats" getreten.)
Angst:
Und nun noch zum letzten Punkt: Angst. Im Jahr 2008 forderten die Publikationen „Wir
Alphamädchen“ und „Neue deutsche Mädchen“ einen definitiven Generationenwechsel in
Sachen Feminismus. In den „Alphamädchen“ geht es viel um Sex und um die alten Themen:
Kondom statt Pille, Abtreibungsrecht, Schönheitszwang. Die Autorinnen arbeiten sich am
alten Emanzen-Schreckbild ab und betonen, dass der runderneuerte Feminismus
gemeinsam mit den Männern arbeite, dass er sexy sei und schön mache. Zentrale Begriffe
im Text sind Spaß und „Knallersex“. Aus dem Buch „Neue deutsche Mädchen“ spricht
dagegen eher die Melancholie gegenwärtiger Liebesbeziehungen. Die sind zwar halbwegs
gleichberechtigt, doch sie gehen daran zugrunde, dass keiner der Partner nachgeben oder
ein Verlierer sein darf.
Ich würde die These aufstellen, dass zwischen 1970 und dem Beginn des 21. Jahrhunderts
im Feminismus Ernst und Spiel die Positionen getauscht haben. Was früher streng
gehandhabt wurde: die große Empörung übers Patriarchat, ist einem Spiel gewichen, denn
die Dinge sind komplex geworden und passen nicht mehr in die klare Logik von
Unterdrückung und Aufbegehren. Dafür ist aber, was früher spielerisch und experimentell
war, heute sehr ernst: Vorbei ist es nämlich mit einer bestimmten Form beherzter
Libertinage. Der alte Feminismus hatte keine Angst wirklich gegen Männer zu sein, er hatte
keine Angst, hässlich zu wirken, er machte sich weniger Sorgen um beruflichen Erfolg und
fürchtete sich offenbar nicht so sehr vor Geschlechtskrankheiten, wie das heute die
Alphamädchen tun. Heute nimmt man den Sex und auch die Männer nicht mehr so ernst,
dafür aber die Gefahr des sozialen Abstiegs, der Erfolglosigkeit, des Alters und der
Krankheit. Es gibt auch eine ungeheure Angst davor, sich als Opfer zu deklarieren, ein
Verlierer im Spiel um den Erfolg zu sein.
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Ich glaube dass er alte Feminismus sich in seinen Kämpfen erschöpft hat und der neue
Feminismus Gefahr läuft, sich schon im Ansatz an seinen Ängsten zu erschöpfen. Auch das
mag einem Wandel der Zeiten geschuldet sein: Wir leben nicht mehr in einer
Disziplinargesellschaft, sondern in einer Leistungsgesellschaft, in der wir alle zu perfekt
laufenden Maschinen der Selbstführung und Selbstausbeutung geworden sind (das
Individuum ist heute ein Unternehmer seiner selbst). Der gerade sehr angesagte Autor
Byung Chul Han hat in seinem Buch "Die Müdigkeitsgesellschaft" die These aufgestellt, dass
Erschöpfung genau das Motiv/Paradigma einer solchen Leistungsgesellschaft ist. Wir
reagieren nicht mehr mit Kampf und Ausgrenzung (wie das die Reaktion in der
Disziplinargesellschaft war), sondern mit "Schaffens- und Könnensmüdigkeit." – "Die
Disziplinargesellschaft ist noch vom Nein beherrscht", scheibt Han, "Ihre Negativität erzeugt
Verrückte und Verbrecher. Die Leistungsgesellschaft bringt dagegen Versager und
Depressive hervor." (18).
Schluss:
Ich habe immer das Gefühl, dass sich alter und neuer Feminismus bewusst missverstehen.
Irgendetwas ist schief an der Kommunikation, es ist, als tanzten die Kontrahentinnen um
einen blinden Fleck, den beide Seiten nicht benennen wollen. (Dieser blinde Fleck, die
Ausblendung hält sie als Kontrahentinnen am Laufen). Die Jungen missverstehen die alte
Radikalität, von der sie etwas lernen könnten, und die Alten missverstehen die neue
Softness, die aber auch ein adäquater Ausdruck neuer Verhältnisse ist.
Ich möchte zum Schluss – ganz unabhängig von Byung chul Han - eine Lanze für die
Erschöpfung brechen. Erschöpfung ist nichts Schönes. Es klingt nach verlorenem Kampf und
Resignation – gleichzeitig zwingt Erschöpfung aber auch zum Atemholen und zu
Nachdenklichkeit. Denn nachdenken müssen wir, weil der alte Feminismus nicht mehr ganz
passt - der neue aber erst recht nicht.
Und ich möchte für mehr Mut plädieren. Die gegenwärtige Welt ist nämlich beides, sie ist
liberaler und prüder geworden, homosexualisierter und heterosexueller, offener und
konventioneller. Die Geschlechterarrangements sind offen und unter der Hand doch starr
geblieben. Ein Rückblick auf alte feministische Aktionen, die in ihrer ungewaschenen
Radikalität heute fast erschreckend wirken, kann das zumindest sichtbar machen.
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