Geometrische Bestimmung der horizontalen und vertikalen

Transcription

Geometrische Bestimmung der horizontalen und vertikalen
Geometrische Bestimmung der horizontalen und vertikalen
Führungsschiene am Drehrestaurant des Münchner Olympiaturms
Institut für Geodäsie, GIS und Landmanagement,
Lehrstuhl für Geodäsie
Arcisstr. 21, 80290 München
Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Th. Wunderlich
von
Dipl.-Ing. Werner Stempfhuber
September 2003
Technischer Report Nr. 1
Geometrische Bestimmung der horizontalen und vertikalen
Führungsschiene am Drehrestaurant des Münchner Olympiaturms
von
Dipl.-Ing. Werner Stempfhuber
Lehrstuhl für Geodäsie,
Institut für Geodäsie, GIS und Landmanagement
(Sept. 2003)
1. Einleitung
Im August 2002 trat die Olympiapark GmbH mit den Aufgaben an den Lehrstuhl für Geodäsie der TU München (LfG) heran, die geometrische Form der horizontalen und vertikalen
Führungsschienen des Drehrestaurants zu bestimmen und die kinematische Prüfung der
Rundlaufqualität am Münchner Olympiaturm durchzuführen. Nach den ersten Besprechungen wurde klar, dass sowohl GPS-Messungen als auch terrestrische Messungen mit einem
zielverfolgenden Servotachymeter (Instrumentenstandpunkt am Olympiaberg) die Genauigkeitsanforderungen
nicht erfüllen können. Die Befestigung und Sicherung
von GPS-Antennen und Reflektoren an der Außenfassade des Drehrestaurants stellten zusätzliche Probleme dar. Nach einigen Besichtigungen, Simulationsrechnungen, Testmessungen und Softwareanpassungen konnte am 08.10.2002 ein Angebot vorgelegt
werden, basierend auf einer Netzmessung unterhalb
des Drehrestaurants in zwei engen Wartungsschächten
(Breite ca. 60, Höhe ca. 85 cm, siehe Abb. 1). Mit dem
Auftrag vom 17.02.2003 (Bestellschein Nr. 30863) und
der zusätzlichen Leistung vom 03.03.2003 (Bestellschein Nr. 31120) zur Bestimmung des Höhenverlaufs
der beiden horizontalen Laufschienen konnten die notwendigen Arbeiten am LfG vorbereitet werden.
Abb. 1 Schacht unter der Plattform des Drehrestaurants
1
2. Planung, Vorarbeiten und Zeitplan der Messungen
-
03. 09. 2002 erste Besprechung zwischen der Olympiapark GmbH und dem LfG
bzgl. der Messaufgabe,
-
08. 10. 2002 Angebot des LfG,
-
17. 02. 2003 Auftrag der Olympiapark GmbH zur Durchführung der Messungen,
-
26. u. 27.02
-
03. 03. 2002 zusätzlicher Auftrag zur Bestimmung des Höhenverlaufs der beiden
horizontalen Laufschienen,
-
12. - 13. 03.
Testmessungen mit dem Tachymeter und dem Nivel20,
-
17. - 19. 03.
Netz- und Einzelpunktaufnahme mit Auswertung,
Vermarkung der Polygonpunkte und der Messpunkte an der Laufschiene sowie erste Testmessungen,
17.03.03 - Kombinierte Satz- (von PP1-PP6) und Einzelpunktaufnahme (P1-P59)
von 4:00-11:45 Uhr,
18.03.03 - kombinierte Satz- (von PP7-PP12) und Einzelpunktaufnahme (P60P125) von 6:00-11:45 Uhr,
19.03.03 – Nachmessung PP13
-
25. 03. 2003 visuelle Kontrolle der Einzelpunkte, und Distomessungen
von 12:00 – 13:00 Uhr
-
10. 04. 2003 1. Ergebnispräsentation des LfG (Zwischenbericht),
-
12. u. 14. 05. Distomessungen zur Bestimmung der radialen Abstände
12.05.03 Distomessungen von 10:00 - 12:00 Uhr,
14.05.03 Distomessungen von 13:10 – 19:50 Uhr
und
-
21. 05. 2003 Abschlusspräsentation aller Messergebnisse.
2
3. Ergebnisse aus den Voruntersuchungen und Simulationsrechnungen
Nach der genauen Betrachtung aller möglichen Sichtverbindungen unterhalb des Drehrestaurants wurde ein Netzplan mit zwölf Instrumentenstandpunkten definiert. Aufbauend auf
den Simulationsberechnungen mit dem geodätischen Ausgleichungsprogramm PANDA (Programm zur Ausgleichung von geodätischen Netzen und zur DeformationsAnalyse) und der
Berücksichtigung der Zielweiten, der Redundanz, der Zentrierungs- und Messgenauigkeit
konnte eine Messunsicherheit von 1σ besser ± 2 mm zur Bestimmung der Geometrie erwartet werden. Bei der Simulationsrechnung mit PANDA wird eine Netzübersicht mit allen Beobachtungen erzeugt (siehe Abb. 1).
ca. 130 Einzelpunkte im
Abstand von etwa 0,5 m
~ 26 m
12 Instrumentenstandpunkte
Abb. 1 Ergebnis der Simulationsrechnung mit PANDA
3
Des Weiteren wurden Testmessungen mit dem Neigungsmesser Nivel20 (Inv.-Nr. TUM
IV/10/53) der Fa. Leica Geosystems und dem reflektorlosen Entfernungsmesser DISTO Pro
4a (Inv.-Nr. TUM III/18/58) - ebenfalls von der Fa. Leica - durchgeführt. Da die Turmneigung
und –schwingung die Richtungs- und Zenitwinkelmessungen erheblich beeinflussen, musste
ein angepasstes und automatisiertes „on-board“-Messprogramm auf der Basis von GeoBasic
für den Leica Präzisionstachymeter TCRA1101plus (Inv.-Nr. TUM III/18/56) erstellt werden.
Untersuchungen ergaben, dass der im TCRA1101plus integrierte Kompensator alle Turmbewegungen berücksichtigt. Außerdem mussten von der Werkstatt des LfG Spezialstative
und Prismaaufhängungen angefertigt werden. Die nachfolgenden Bilder der Abbildung 2 zeigen die einzelnen Messinstrumente (mit dem Zubehör), die zur Bestimmung der Geometrie
der horizontalen und vertikalen Führungsschienen am Drehrestaurant des Olympiaturms
eingesetzt wurden.
Fernziel bei der Netzmessung
Prismaaufhängung für
Instrumentenstativ
die Einzelpunktbestimmung
Distomessungen
Neigungsmessung mit dem Nivel20
Abb. 2 Messinstrumente mit den Sonderanfertigungen zur Bestimmung der Geometrie und der Rundlaufqualität
4
4. Messungen
4.1 Netzmessung und Einzelpunktbestimmung
Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, wurde zunächst ein Ringpolygon mit 12 Instrumentenstandpunkten gemessen. Die mit Polygonnägeln dauerhaft vermarkten Punkte enthalten eine eindeutige Nummerierung von PP1 – PP12 und sind koordinatenmäßig exakt bestimmt. Der Ergebnisplot zeigt das Netzbild mit allen redundanten Beobachtungen sowie die Fehlerellipsen
nach der freien Ausgleichung mit PANDA. Der erste und letzte Einzelpunkt jedes Instrumentenstandpunktes wurde zur Stabilisierung in die Ausgleichung einbezogen. Die Fehlerellipsen der doppelt beobachteten Einzelpunkte sind natürlich wegen der geringeren Anzahl
der Beobachtungen um etwa den Faktor zwei größer.
Bodenvermarkung
der Polygonpunkte
Punktmarkierung
an der vertikalen
Führungsschiene
Abb. 3 Fehlerellipsen mit allen Beobachtungen nach der Ausgleichung des Ringpolygons
Vertikale Führungsschiene
Die Aufnahme der 125 Einzelpunkte (vermarkt durch Körnungen in einem Abstand von etwa
0,5 m) an der Vertikalschiene ergibt den geometrischen Verlauf der Führungsschiene des
Drehrestaurants. In Abbildung 4 werden die radialen Abstände zu einem ausgleichenden
(best-fit) Kreis dargestellt. Die einzelnen Punkte wurden anschließend optisch kontrolliert.
Die jeweiligen Dellen und Erhebungen der Führungsschiene können dabei eindeutig den
5
Messergebnissen zugeordnet werden. Dies wird in der Aufstellung unter Abbildung 5 aufgelistet.
Abb. 4 radiale Abstände zu einem ausgleichenden Sollkreis (best fit) entsprechend der Punktnummerierung
Pktnr. 12,13
Pktnr. 14
Pktnr. 15, 15b
Pktnr. 18
Pktnr. 25
Pktnr. 35, 36
Pktnr. 46
Pktnr. 47
Pktnr. 81
Pktnr. 100
Pktnr. 112, 113
Pktnr. 120, 121
Pktnr. 125
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- relativ gerader Schienenverlauf
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- Delle sichtbar
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- Delle sichtbar
- Erhebung sichtbar
- leichte Delle sichtbar
- leichte Erhebung sichtbar
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- Schiene hebt sich von Beton (Spalt)
- deutliche Delle sichtbar (siehe Abb.)
Abb. 5 optische Kontrolle der Einzelpunkte
Horizontale Führungsschiene
Gemäß der Auftragserweiterung vom 03.03.2003 (Bestellschein Nr. 31120) wurde zusätzlich
zur Bestimmung der Geometrie der vertikalen Führungsschiene für das Drehrestaurant der
Verlauf bzw. die absolute Raumlage der beiden horizontalen Führungsschienen gemessen.
Das Prisma wurde dabei oberhalb jeder zweiten Verschraubung (vgl. Abb. 6 oben links) ohne Vermarkung des Punktes angemessen (Aufsatz des Reflektors auf die Schiene, siehe
Abb. 6 oben rechts). Die Punktbezeichnung wurde nach der Skizze (Abb. 6 unten) definiert
und unterhalb der Schraube auf den Betonsockel positioniert.
6
Außenmauer R=13.08 m
Nummerierung
Innen und Außen
Außenkranz
R = 12.5 m
Innenkranz
Innenmauer
Pktnr. 501
Einstiegstür
Pktnr. 801
Einstiegstür
Abb. 6 Punktanordnung und Nummerierung an den horizontalen Führungsschienen
Das Ergebnis dieser Messung stellt die absolute Horizontierung der beiden Laufschienen
dar. Durch die Verwendung des Kompensators wurden die Turmbewegungen während der
Messung automatisch korrigiert. Die nachfolgende Abbildung 7 stellt die Raumlage der beiden Laufschienen grafisch dar. Sie veranschaulicht außerdem, dass die Schräglagen des Innen- und Außenkranzes nahezu identisch sind. Die einzelnen Abweichungen des jeweiligen
Messpunktes zum ausgleichenden Polynom sind zum einen durch die Messunsicherheit begründet, zum anderen existieren sichtbare Vertiefungen von einigen Millimetern an den beiden Schienen. Somit ergibt sich bei einem Umlauf eine eindeutige „Berg- und Talfahrt“ der
einzelnen Laufwägen.
7
Neigung der Plattform
atan(0,006 m/12,5 m) = 0.030 gon
Ost
West
Abb. 7 Ergebnis der Messung zur Bestimmung der absoluten Raumlage der beiden horizontalen Laufschienen
4.2 Neigungsmessung
Eigenfrequenz
Zur Berücksichtigung der Turmschwankung, der Beeinflussung aus der unterschiedlichen
Erwärmung durch die Sonneneinstrahlung und der Turmeigenfrequenz wurden Neigungsmessungen mit dem Leica Nivel20 und dem Kompensator des Präzisionstachymeters aufgezeichnet. Die Auswertung zur Bestimmung der Eigenfrequenz des Olympiaturms ergab einen
Wert von etwa 5,8 Hz als Mittelwert. Die Auswirkung einer Neigungsänderung von 0.01 gon
auf einer Höhe von 180 m ergibt eine Auslenkung des Turms von 2,8 cm.
Abb. 8 Untersuchung der Turmfrequenz
8
Turmneigung
In Abhängigkeit der Sonneneinstrahlung wurden Auslenkungen des Turms von ca. 8 cm im
Bezug zu den Wetterdaten vom 19. und 25.03.03 festgestellt (Wetterdaten auf der CD). Die
grafisch dargestellte Auswertung vom 25.03.03 zeigt gegen Ende der Messung zusätzlich
eine Windanregung des Turms (Bestätigung durch die Auswertung der meteorologischen
Daten). Auf der Telekomplattform wurden GPS-Messungen für wissenschaftliche Fragestellungen durchgeführt. Die Auswertungen der GPS-Messungen bestätigen die Ergebnisse
der Neigungsmessung.
Anordnung der Neigungsmessung
GPS-Messung auf der Telekomplattform
N
Y Längs
Richtung
~ 315°
X Quer
Turmschaft
Abb. 9 Messungen zur Bestimmung der Turmneigung durch die Sonneneinstrahlung
9
4.3 Distanzmessung
Um das Verhalten des Drehrestaurants bezogen auf die Führungsschiene zur untersuchen,
wurden während der Drehbewegung Distanzmessungen mit einem Laserdistanzmesser
durchgeführt. Unter Beachtung verschiedener Einflussparameter kann dieser Handdistometer (Leica Disto Pro4a mit einer statischen Messgenauigkeit von ± 1,5 mm) für kinematische
Anwendungen eingesetzt werden. Die grafische Darstellung einer Messreihe veranschaulicht
eindeutig den Zusammenhang der Ergebnisse aus der statischen Geometriebestimmung mit
den kinematischen Distanzmessungen radial zur Führungsschiene. Zu berücksichtigen ist
des Weiteren der Einfluss der Blattfederung während der Drehbewegung durch die seitlichen
Führungswägen (siehe Abb. 6 oben rechts).
Abb. 10 Ergebnis einer Messung zur Untersuchung der Drehbewegung aus den radialen Abstandsmessungen
Durch die Überlagerung einzelner Umlaufmessungen (Drehgeschwindigkeitsstufe 2, Dauer
eines Umlaufes etwa 50 min) konnten die Rohmessungen (Abb. 11 links) und die gefilterten
Beobachtungen (Abb. 11 rechts) gegenseitig kontrolliert werden. Die Abweichungen einzelner gefilterter Beobachtungsreihen liegt im 1/10 Millimeterbereich.
Abb. 11 Vergleichbarkeit der Ergebnisse zur kinematischen Distanzmessung
10
Unter Berücksichtigung aller Einflussgrößen konnten zur Bestimmung der Führungsgenauigkeit des Drehrestaurants am Münchner Olympiaturm sowohl statische als auch kinematische
Messungen mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich durchgeführt werden. Abbildung 10
bestätigt die Richtigkeit der Messung an der vertikalen Führungsschiene durch zwei unterschiedliche Messverfahren mittels gegenseitiger Kontrolle. Die in der Planungsphase diskutierten Einflussgrößen wie Turmschwankungen und –neigungen könnten während der
Messung ausreichend minimiert werden. Somit konnte eine Abweichung von einem ausgleichenden Sollkreis der Führungsschiene von max. ± 6 mm festgestellt werden (vgl. Abb.
4). Die Messungen zur Bestimmung der Horizontierung der beiden Laufschienen ergaben
einen Neigungsunterschied von 1,2 cm in Ost-Westrichtung (vgl. Abb. 7).
Am Projekt waren beteiligt:
- Prof. Dr.-Ing. Th. Wunderlich,
- Dipl.-Ing. W. Stempfhuber,
- Dipl.-Ing. P. Wasmeier,
- Dipl.-Ing. (FH) S. Zinsberger und
- Werkstattmeister H. Schreyer
11