Ich überbringe Euch heute Morgen Grüße von meiner Familie und

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Ich überbringe Euch heute Morgen Grüße von meiner Familie und
Ich überbringe Euch heute Morgen Grüße von meiner Familie und meiner Heimatgemeinde, Davids
United Church of Christ in Canal Winchester im US-Bundesstaat Ohio. Außerdem Grüße von
meiner Dienststelle, den United Church Homes. Das ist eine Gesundheits- und Pflegeeinrichtung
der United Church of Christ, die etwa 1000 kranke Senioren durch Pflegeangebote und 2000 arme
Senioren mit bezahlbarem Wohnraum unterstützt. Darüber hinaus bringe ich Euch Grüße von der
Ohio Conference der United Church of Christ, die gemeinsam mit der Indiana-Kentucky-Konferenz
seit 23 Jahren die Ehre und das Vergnügen hat, in einer Kirchengemeinschaft mit der Kirche hier in
Westfalen verbunden zu sein. Außerdem bringe ich die Grüße der United Church of Christ und
unserer nationalen Arbeitsgruppe der United Church of Christ und der Union Evangelischer
Kirchen. Nach so vielen Jahren, in denen ich von Wittgenstein gehört habe, ist es gut, dieses schöne
Fleckchen Westfalen jetzt selbst einmal zu sehen.
In dem vergangenen Monat haben wir in den Vereinigten Staaten uns an Martin Luther Kings Rede
„I Have a Dream“ - auf Deutsch: Ich habe einen Traum - erinnert. Es ist nur ein bisschen länger als
50 Jahre her, dass er diesen Traum mit denen teilte, die sich in Washington versammelt hatten. Der
Kongressabgeordnete John Lewis ist der einzige überlebende Redner dieser Veranstaltung in 1963.
Lewis war damals 23 Jahre alt, seine Rede war die radikalste. Ältere, weisere Führer halfen ihm,
seine Worte zu mäßigen, um den Präsidenten nicht zu beleidigen. Zwei Jahre später marschierte er
vor der Menge, um die Brücke in Selma, Alabama zu überqueren und der erste Polizei-Schlagstock
traf seinen Kopf. Die Attacke der Polizei auf die Marschierer war brutal. Präsident Johnson sah das
am Fernsehen wie so viele andere auf der ganzen Welt. Dieses Ereignis half dem Präsidenten, sein
neues Wahlrechtsgesetz voranzubringen.
Am Tag bevor Barack Obama 2009 den Amtseid ablegte, sagte Lewis zu einem Besucher des
Kongress-Bürogebäudes: „Barack Obama ist derjenige am Ende der Brücke in Selma.“ Beim
Mittagessen nach dem Amtseid bat Lewis den neuen Präsidenten, ein Erinnerungsfoto zu signieren.
Und Obama der erste afro-amerikanische Präsident schrieb auf das Bild: „Because of You, John“.
Wegen dir, John.
In den vergangenen Wochen der Erinnerung an das historische Ereignis in Washington gab es viele
Gedanken zu dem, was wir schon alles erreicht haben, aber auch Nachdenklichkeit, wie weit wir
noch zu gehen haben. Der Traum, den Martin Luther King 1963 hatte, ist heute näher an der
Realität - und dennoch ist immer noch viel zu tun.
Der Weltkirchenrat sagt in einem 2011 veröffentlichten Dokument zum Gerechten Frieden:
„Unser Zuhause ist nicht das, was es sein könnte und sein wird. Während das Leben in Gottes
Hand unzerstörbar ist, herrscht doch noch kein Friede. Die Fürstentümer und Gewalten sind zwar
nicht souverän, feiern aber noch ihre Siege, und wir bleiben rastlos und zerrissen, bis Friede
herrscht. Darum gehört es notgedrungen zu unserem Aufbau des Friedens, dass wir kritisieren,
anprangern, für andere eintreten und Widerstand leisten, so wie wir auch verkündigen,
ermächtigen, trösten, versöhnen und heilen. Friedenstifter werden ihre Stimme in Ablehnung und
Unterstützung erheben, niederreißen und aufbauen, klagen und feiern, trauern und froh sein. Bis
unsere Sehnsucht ihren Halt findet in der Vollendung aller Dinge in Gott, wird die Friedensarbeit
weitergehen als ein Aufflackern der uns zugesagten Gnade.“
Unser Zuhause ist nicht das, was es sein könnte und sein wird. Also, was haben wir zu tun? Wir
müssen den Mut haben, zu kritisieren, anzuprangern, für andere einzutreten und Widerstand zu
leisten, zu verkündigen, zu ermächtigen, zu trösten, zu versöhnen, zu heilen, die Stimme in
Ablehnung und Unterstützung zu erheben, niederzureißen und aufzubauen, zu klagen und zu feiern,
zu trauern und froh zu sein.
Wenn ich an das Zeugnis derer denke, die zusammen am Mittagstisch saßen und über die Brücke
gingen als mein Land um Bürgerrechte kämpfte und wenn ich an die Geschichte derjenigen erinnert
werde, die gewaltlos gegen die Apartheid in Südafrika kämpften, ist es leicht, deren Mut zu sehen.
Mut gab ihnen die Kraft zu kritisieren, für andere einzutreten, zu widerstehen und zu ermächtigen.
Mut widerspricht und Mut baut auf. Vor jeder Tat, vor jedem Wort war erst einmal Mut, sogar wenn
man nur träumen konnte, was einmal Realität werden sollte.
Wie würdet Ihr definieren, was Mut ist? Ist es die Fähigkeit, eine Waffe zu benutzen oder die
Fähigkeit, gewaltlos Ungerechtigkeit zu begegnen? Oder ist es eine persönliche Sache, so schwierig
und manchmal zerstörerisch wie die Überwindung einer Abhängigkeit? Vielleicht bedeutet es, Ihr
Kind jetzt einen kleinen Fehler machen zu lassen, damit es wieder aufsteht und für das nächste Mal
daraus lernt. Vielleicht hat Mut immer damit etwas zu tun, einfach die richtige Sache zu machen,
auch wenn man nicht weiß, was das nach sich zieht.
Harper Lee ließ 1957 in ihrem Buch „To Kill a Mockingbird“ - zu Deutsch: Wer die Nachtigall stört
- die Romanfigur Atticus Fink zu ihren Kindern sagen:
„Ich wollte, dass ihr seht, was echter Mut ist, nicht dass ihr denkt, dass Mut ein Mann mit einer
Pistole in der Hand ist. Mut ist, wenn du von Anfang weißt, dass du geschlagen bist und trotzdem
beginnst und bis zum bitteren Ende durchhältst.“
Im heutigen Brief von Apostel Paulus an seinen Freund Philemon, ermutigt er seinen Freund zum
Mut-Haben. Paulus appelliert an Philemon, das Richtige zu tun, auch wenn das Philemons Ruf und
Rang gefährdet. Paulus bittet seinen Freund, dem Sklaven Onesimus zu verzeihen, der weggelaufen
ist und gestohlen hat. Paul bittet Philemon, Onesimus wieder in seinem Haushalt willkommen zu
heißen. Dafür ist Vergebung nötig. Dafür ist es nötig, dass Philemon seinen anhaltenden Ärger
vergisst und den Dieb nicht als schuldigen Sklaven, nicht als das Eigentum, das er ist, empfängt,
sondern als Bruder in Christus.
Für viele von uns im 21. Jahrhundert ist es eine Beschwernis, dass Paulus diese Möglichkeit nicht
nutzt, sich ganz von der Sklaverei zu distanzieren. Paulus hat zu diesem Zeitpunkt nicht die Vision
oder den Mut, radikal vorzuschlagen, die damals gültige kulturelle Norm zu ändern. Obwohl
Onesimus praktisch weiter ein Sklave von Philemon ist, soll sich die Beziehung der Männer ändern,
weil sie beide im Haushalt Christi leben. Nur so weit kann Paulus gehen.
Paulus erinnert Philemon daran, dass er als sein früherer Lehrer so kühn sein könnte, die neue
Haltung aus Respekt einzufordern, damit das was getan werden müsse, getan werde. Stattdessen
schlägt er Philemon vor, bittet er ihn, ermutigt er ihn, das Richtige zu tun - auf der Basis der
Nächstenliebe. Paulus will Philemon nicht seinen eigenen Willen aufzwingen, stattdessen drängt er
Philemon, Onesimus so willkommen zu heißen wie er Paulus selbst begrüßen würde. Paulus weiß,
dass Mut etwas ist, das aus den eigenen Überzeugungen entstehen muss. Mut muss im eigenen
Herzen geboren werden. Mut ist es, der uns allen erlaubt, das Richtige zu tun.
Aber wie erkennen wir, wann wir sozialen Normen, kulturellen Erwartungen, die uns umgeben,
entgegen treten müssen? Wann finden wir uns in Situationen, in denen wir, wie Philemon, soziale
Beschädigungen unter Kollegen riskieren, um das Richtige zu tun. Und wann sind wir wie Paulus
und scheitern, weil wir die soziale Praxis, die nichts mit der Vision von Gottes Reich zu tun hat,
nicht in Frage stellen?
Meine Familie hatte die Ehre und das Vergnügen, an der Kirchengemeinschaft zwischen der United
Church of Christ und der Union Evangelischer Kirchen in den vergangenen 22 Jahren teilzuhaben.
Mein Vater war ein UCC-Pastor, der sich in der Ohio-Conference-Arbeitsgruppe engagierte. Seine
Gemeinde hatte eine Partnerschaft mit der Kirche in Isselhorst. Unsere Gemeinde in Canal
Winchester begann eine Partnerschaft mit der Noah-Kirchengemeinde Dortmund vor acht Jahren.
Was ist das mehr als eine Reisemöglichkeit, fragen die Leute. Weshalb muss man sich die Mühe
einer Partnerschaft mit Menschen in einem Land machen, wo die Kirche längst besteht? Was kann
man da Gutes tun? Es ist doch viel prestige-trächtiger, wenn deine Kirchengruppe in einem armen
Land in Zentralamerika oder in Afrika unterwegs war, zurückkommt und davon erzählt, wie eine
Schule gebaut wurde oder moderne Medikamente in ein Land ohne Gesundheitssystem gebracht
wurden. Warum Deutschland?
In der Partnerschaft zwischen unseren Kirchen ist es ein zentrales Moment, dass unsere Verbindung
wie die zwischen Paulus und Philemon eine Verbindung unter Gleichen ist. Wir schauen einander
nicht aus Mitleid an und müssen nicht befürchten, dass der Andere unser Geld braucht. Wir
engagieren uns nicht in dieser Gemeinschaft, um uns gut fühlen zu können, weil wir für jemand
anderen etwas tun.
Stattdessen können wir zusammen Gottesdienst feiern und erkennen, dass wir eine gemeinsame
Geschichte haben und gemeinsame kulturelle Verbindungen. Wir können Seite an Seite arbeiten und
Dinge ansprechen ohne zu fordern, ohne zu befehlen. Da wir unsere Partnerschaft auf dem
Fundament unseres Glaubens bauen, können wir uns umdrehen und in unseren jeweiligen
Zusammenhängen die Möglichkeiten sehen, wo wir uns mutige Liebe zunutze machen können.
Ein Beispiel. Es war mitten in einer Bibelarbeit vor ein paar Jahren mit einigen Frauen in Bielefeld,
als mich die entscheidende Erkenntnis traf: Aufgrund der Finanzierung unserer Kirchen in den USA
eröffnet jedes Programm, jedes neue Mitglied die Aussicht auf zusätzliches Einkommen, um die
Arbeit der Kirche zu unterstützen. Ich weiß nicht, ob ich das in der Kürze der Zeit verständlich
erklären kann, aber diese kleine Einsicht rüttelte mich radikal wach: Was ist die Motivation hinter
solcher finanziellen Unterstützung? In Bezug auf die amerikanische Kirche heißt das, unser Mut,
Nächstenliebe zu praktizieren, kann leicht dadurch gefährdet werden, dass das jemandem nicht
passt und dieser dann aufhört, die Kirche finanziell zu unterstützen. Wenn diese Angst uns
untergräbt, der gläubigen Sache der Liebe zu dienen, bin ich dann wirklich auf der Spur Christi?
Wie viele der Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen, basieren darauf, dass wir in unseren
eigenen Kulturen leben? Bestimmt es meine Art, Dinge zu tun und zu denken, Situationen
einzuschätzen, dass ich aus den Vereinigen Staaten bin? Und bei Euch, weil Ihr aus Deutschland
seid? Und wie sehen diese Entscheidungen im Vergleich mit denen aus, die wir als Christen treffen?
Und wie oft kollidieren diese beiden Einflüsse bei uns, die wir in relativer Behaglichkeit leben, die
wir mit relativer Leichtigkeit die Bedürfnisse unserer Familie erfüllen. Wir, die wir heute wissen,
dass Sklaverei falsch ist. Wir, die wir den Traum von der Gleichberechtigung der Rassen kennen.
Wir können dankbar sein, dass wir in unseren Zeiten leben und nicht in den vergangenen, jetzt, wo
die Diskriminierung und Gewalt gegen die, die anders sind als wir, hinter uns liegen. Das ist doch
so? Oder was ist noch zu tun?
Als Amerikanerin bin ich mir traurig der Kriege bewusst, die mein Land im vergangenen Jahrzehnt
angefangen und unterstützt hat. Ich ringe in dem Wissen, dass wir gerade in dieser Woche wieder
über gewalttätige Interventionen nachdenken. Es gibt immer noch viel zu viele Beispiele dafür, dass
Minderheiten im alltäglichen Leben Diskriminierungen erfahren müssen. Und wie oft verdränge ich
den Gedanken, dass meine Art zu leben zur Zerstörung unseres Planeten beiträgt, weil ich die
Entscheidungen treffe, die in meiner Kultur üblich sind. Ist dieser Traum vom Friede Gottes so
unerreichbar, dass alle meine Anstrengungen sowieso keinen Sinn machen?
Ich finde dadurch Stärke und Ermutigung, dass man unterschiedliche Entscheidungen treffen kann
und wenn ich in Gesprächen mit Euch, Brüdern und Schwestern im Glauben, erkenne, dass Ihr auf
dieselben Fragen andere Antworten findet. Es gibt vieles, das wir voneinander lernen können, wenn
wir beginnen, unseren kulturellen Kontext und unseren theologischen Auftrag auseinander zu
dividieren, um den Mut zu finden, der sagt, dass die Liebe für uns das Maß aller Dinge sein muss.
Reverend Kate Huey, eine Theologin der UCC denkt so darüber nach:
„Wenn uns so etwas überhaupt noch unangenehm ist, mag dieses Unwohlsein gerade unsere
eigene Assimilierung anzeigen und wie sehr wir vergessen haben, dass wir einem Lehrer folgen, der
uns lehrte, unsere Feinde zu lieben, die andere Wange hinzuhalten, das Leben für die Brüder zu
lassen? Ein Lehrer, der erkannte, wie schwierig es ist für einen Reichen ist, in den Himmel zu
kommen und der die ernsthaft Religiösen ermutigte, „verkaufe alles, was du hast, und gib's den
Armen“? Wir haben uns irgendwie mit anderen Werten eingerichtet, selbst wenn wir behaupten,
Jesus zu folgen. Wie viele von uns Christen finden einen Weg, wer weiß wie viele Widersprüche zu
Jesu Lehren zu rechtfertigen?“
Es hat viele Gespräche in meinem Erleben der Kirchengemeinschaft gegeben, in denen ich dankbar
wahrnahm, nicht allein zu sein. Es ist wertvoll zu wissen, dass es außerhalb meiner Kultur andere
Christen gibt, die mit ähnlichen Dingen ringen, und die unterschiedlichen Herangehensweisen zu
sehen, um sich den gleichen Realitäten anzunähern. Ob es um Erziehungsprobleme geht oder um
Frustrationen aufgrund der Worte und Taten von Regierungen, schon das gemeinsame DarüberReden spendet Trost. Wenn man mit den lebenswichtigsten Themen ringt, ist es hilfreich, Andere an
der Seite zu haben, die im selben Glauben an die menschgewordene Liebe verwurzelt sind.
Wenn wir uns zusammensetzen und Brot brechen, dann teilen wir damit das, was uns den Mut
nährt, den wir brauchen, um uns in der Welt einzubringen. Wenn wir, Glieder des Leibs Christi, nur
durch unterschiedliche Staatsangehörigkeiten getrennt, miteinander Gottesdienst feiern und beten,
und die Dinge eingestehen, deren Tun uns getrennt hat von Gott, voneinander, von der Schöpfung,
dann verwurzeln wir uns selbst in dem Boden der Liebe, aus dem der Mut wächst.
Hoffentlich müsse weder Sie noch ich in nächster Zeit den Mut aufbringen, bei einem gewaltfreien
Protest unsere eigene Gesundheit zu riskieren. Es wäre schön, wenn wir uns ganz einfach glücklich
lebend um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern könnten und unsere Wege gehen könnten.
Doch die Realität und die Geschichte lassen Anderes erwarten. Egal, ob in unseren Familien oder in
unseren Gemeinden, es wird zweifelsohne Zeiten geben, um anzuprangern oder zu widerstehen, um
zu stärken oder sogar um das zu heilen, was die Glieder im Leib Christi trennt. Wir dürfen uns
selbst nicht denken lassen, dass nie wieder eine Zeit kommt, in der die Liebe sich zu Wort meldet,
einreißt, klagt und sich freut.
„Bis unsere Sehnsucht ihren Halt findet in der Vollendung aller Dinge in Gott, wird die
Friedensarbeit weitergehen als ein Aufflackern der uns zugesagten Gnade.“
Möge der Mut der Liebe uns verbinden, damit wir in unserer Zeit das Couragierte und Liebevolle
tun. Und möge der Mut durch das Geschenk der Kirchengemeinschaft gestärkt werden, indem wir
uns vereinen in unserem Sehnen nach Gottes Gemeinschaft im Frieden. Denn das wird die Gnade
nicht nur aufflackern lassen, sondern in der Welt erstrahlen.
Ich danke für Euer Zeugnis und Euer Dasein in diesem Winkel von Gottes wunderschöner
Schöpfung. Mut und Liebe mögen Euch begleiten - jetzt und immer. Amen.