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Das war spitze! Jüdisches in der deutschen Fernsehunterhaltung Seit gut 60 Jahren können wir im Fernsehen einen tagtäglich ablaufenden Bilderreigen erleben. Diese Ausstellung möchte das Fernsehprogramm einmal genauer unter die Lupe nehmen. Der Blickwinkel ist dabei ein ganz konkreter: Es gilt, das „Jüdische“ in der deutschen Fernsehunterhaltung herauszufiltern und genauer anzusehen. Jedoch: Was ist das „Jüdische“? Wie lässt es sich erfassen und betrachten? Insgesamt zehn Stationen laden Sie zu einer mentalitätsgeschichtlichen Reise durch die deutsche Fernsehunterhaltung ein. Dabei können Sie mehr über die Lebens- und Wirkungsgeschichte bekannter Persönlichkeiten der Medienöffentlichkeit erfahren. Allen voran wird Hans Rosenthal – der Titelgeber dieser Ausstellung – fernab seines Das war spitze!-Sprungs genauer vorgestellt. Sie können sich auch auf eine Spurensuche nach der jüdischen Thematik in zwei Filmen der Krimireihe Tatort begeben und verfolgen, wie die Serie Lindenstraße in ihrer 25-jährigen Geschichte „Jüdisches“ in die Handlungsabläufe eingebettet hat. Und nicht zuletzt zeigt der Blick hinter die Kamera – auf Casting und Ausstattung –, welche filmischen Strategien bei der fiktiven Darstellung jüdischer Figuren und Themen eingesetzt werden. Es ist eine Annäherung über das Kulissenhafte, das die filmische Arbeit immer begleitet. Dabei sind die ausgewählten Fernsehausschnitte als Eröffnungsszenen – establishing shots – zu verstehen, die Zwischentöne beinhalten, in denen das „Jüdische“ scheinbar beiläufig, aber doch konkret wahrnehmbar verhandelt wird. Die zehn Stationen Station 01_Aufblende: Spaß muss sein! Die erste Station der Ausstellung setzt sich mit dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Fernsehapparat und Zuschauer auseinander. Seit 1960 versuchen die Rundfunkanstalten, den Austausch mit ihren Zuschauern zu verbessern. Zuschaueranrufe und Briefe werden gesammelt und ausgewertet, um das Sehverhalten zu dokumentieren. Die hier ausgestellten Anrufprotokolle des ZDF können als Kommentare der Fernsehunterhaltung aus den vergangenen 40 Jahren gelesen werden. Trotz ihrer Vielzahl verbindet die Anrufprotokolle vor allem eines: Fremdenfeindliches und Antisemitisches stehen oft unvermittelt neben Gratulationen, Kleidungs- und Ernährungstipps sowie Einladungen zu Kaffee und Kuchen für die Fernsehschaffenden. Den Zuschauerstimmen wird in dieser Station eine Auswahl an Fernsehausschnitten gegenübergestellt. Denn obwohl das Fernsehschauen meist als passive Tätigkeit verstanden wird, „sprechen" Zuschauer und Fernsehbilder doch immer auch „miteinander". Nur dass der eine den anderen dabei in der Regel nicht hören kann. Station 02_Zuschreibungen und Aneignungen: Ein mediales Rollenspiel Die Installation rund um die Fernsehcouch aus der Sendung Friedman stellt die Bedeutung von Rollenzuschreibungen in der deutschen Medienöffentlichkeit zur Diskussion. Rollen sind immer Konstrukte und beruhen auf dem Wunsch nach eindeutigen Zuordnungen. Michel Friedman wird mit seinen kritischen Analysen gesellschaftspolitischer Themen oftmals als „Störenfried“ wahrgenommen. An seiner Person scheiden sich die Geister, nicht zuletzt weil er Formen der Selbstinszenierung wählt, die irritieren. Von vielen Zuschauern wird Michel Friedman von vornherein nur eine Rolle zugeschrieben: die des „Juden“. Das hat für sein Wirken als politischer Journalist im Fernsehen weitreichende Folgen. Als „öffentlicher Jude“ agiert er in einem zugeschriebenen Rahmen, und sein Auftreten wird in irgendeiner Form immer mit seiner jüdischen Identität in Zusammenhang gebracht. Die Installation mit kurzen Ausschnitten aus Michel Friedmans Talkshow unterbricht den unablässig ablaufenden Reigen der festgezurrten Zuschreibungen und zeigt bewusst keine fertige Interpretation. Station 03_Allein und mit allen: Hans Rosenthal Hans Rosenthal (1925–1987) ist vielen bis heute als Showmaster des ZDF bekannt – sein Das war spitze!-Sprung aus Dalli-Dalli machte ihn zur Ikone der Fernsehunterhaltung. Als Regisseur und Spielmeister des RIAS Berlin prägte er die Nachkriegsunterhaltung – als führendes Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war er gesellschaftspolitisch engagiert. 1980 wandte sich Rosenthal mit seiner Autobiografie Zwei Leben in Deutschland an ein breites Publikum. 1987 wurde er unter großer gesellschaftlicher Anteilnahme als deutsch-jüdische Integrationsfigur beerdigt. Hans Rosenthals Geschichte ist der Weg eines Überlebenden im Mainstream der Gesellschaft der Bundesrepublik. Diesen Weg zeichnet diese Ausstellungsstation nach. Sie zeigt, wie aus dem Radiounterhalter der Nachkriegszeit eine Fernsehikone und aus dem Spielmeister um 1980 ein Zeitzeuge wurde. Rosenthals Beispiel lässt erahnen, dass auch die Gesellschaft in dieser Zeit einen Weg zurückgelegt hat. Vor dem Hintergrund sich wandelnder gesellschaftlicher Sagbarkeitsregeln veränderte sich die Kommunikation über Rosenthals jüdische Identität. Immer wieder zeigen sich die Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor denen er stand. Station 04_Einer der Ersten im Bayerischen Rundfunk: Fritz Benscher Fritz Benscher (1904–1970) war Reporter, Regisseur und Kabarettist. In Hamburg geboren, sammelte er in den 1920er Jahren in Hamburg und Berlin erste Erfahrungen auf der Theaterbühne. Ab 1933 erhielt Benscher wegen seiner jüdischen Herkunft Auftrittsverbot. Zunächst fand er Beschäftigung als Schauspieler und Kabarettist beim Jüdischen Kulturbund in Berlin. 1943 wurde er nach Theresienstadt und von dort aus nach Auschwitz deportiert. Seine Befreiung erlebte er in Kaufering, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Nach dem Krieg versuchte Benscher, den Faden seines früheren Lebens aufzunehmen, und wurde 1945 erster Sprecher und kurz darauf Sendeleiter bei Radio München (ab 1949 Bayerischer Rundfunk). 1955 entwickelte Benscher die erste Autofahrersendung im Rundfunk Nimm's Gas weg! – Musik und Plaudereien für Autofahrer. Dem Fernsehpublikum wurde er vor allem mit der seit 1958 laufenden Quizshow Tick-Tack-Quiz im Bayerischen Rundfunk bekannt. Benschers jüdische Herkunft spielte in seinen Sendungen und Auftritten vordergründig keine Rolle. Er setzte auf kurzweiligen Zeitvertreib. Aber er war auch ein Provokateur und übersprang Konventionen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, oftmals auch über den Umweg ins Lächerliche. Schaut man sich diesen heute fast vergessenen Pionier der Rundfunkunterhaltung genauer an und hört seinen Wortspielereien zu, findet man zwischen den Bildern und Dialogen kurze Augenblicke und Einstellungen, die die Fallhöhe dieses Menschen zeigen. Seine besondere Sprachmelodie und ironische Distanz, mit der Benscher sich selbst und seine Umwelt beleuchtet, lassen erkennen, auf welch dünnem Eis er sich in der post-nationalsozialistischen Öffentlichkeit bewegte. Station 05_Hinter den Kulissen: Casting und Ausstattung Die Frage der Authentizität steht im Raum: Wie kann mit filmischen Mitteln eine Wirklichkeit abgebildet werden, die mit der Realität im Moment des Filmens nur bedingt übereinstimmt? Worauf greifen Filmschaffende zurück? Welche Requisiten, Kostüme, Masken stehen ihnen zur Verfügung? Jeder Gegenstand wird recherchiert, fachliche Beratung wird hinzugezogen, bis zur kleinsten Nebenrolle werden langwierige Castings angesetzt. Die Wirklichkeit soll nachgebildet werden, und die hier gezeigten Fotografien und Fernsehausschnitte greifen diesen Anspruch auf und hinterfragen ihn. Die Fotografin Sibylle Baier begibt sich mit ihren Bildern auf die Suche nach „jüdischen“ Requisiten in der Kostüm- und Maskenabteilung und dem Ausstattungsfundus im Studio Babelsberg in Potsdam. Es ist ein Fundus mit mehr als einer Million Requisiten und über 25.000 Kostümen und für sich betrachtet eine imposante Kulisse der Zeitgeschichte. Durch die Linse der Fotografin wird die kleinteilige Welt einer nachgebildeten Wirklichkeit offengelegt. Die Bilder dokumentieren, wie sich Filmschaffende der Herausforderung stellen, Klischees und Stereotypen, die immer Teil der filmischen Arbeit sind, zu versachlichen und zu kategorisieren, um sich ihrer bei der Arbeit bedienen zu können. Die zwei Filme Gebürtig (2001, nach einer literarischen Vorlage von Robert Schindel) und Bronsteins Kinder (1990, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker) greifen das Thema Filmcasting auf. In den hier gezeigten Ausschnitten werden „jüdische Rollen“ gecastet. Beide Filme halten darin der Filmindustrie und ihrer Abziehbild-Mentalität einen Spiegel vor. Station 06_Stolpersteine in der Lindenstraße Seit 25 Jahren wird in der Serie Lindenstraße die deutsche Kollektivseele unter die Lupe genommen. Es geht um das Leben und den Alltag der Bewohner einer fiktiven Münchner Straße. Die Handlung dreht sich – wie in fast jeder Soap – um Intrigen, Ehebruch, um Liebesglück und Liebesleid. Die Besonderheit dieser Serie aber ist ihr Umgang mit der Wirklichkeit: Zwar ist die Lindenstraße ein fiktiver Ort, doch der Spiegel, den sie uns vorhält, ist real. Im Fokus stehen aktuelle gesellschaftspolitische Themen. In der Lindenstraße sind bisher zwei jüdisch besetzte Figuren aufgetreten. Enrico Pavarotti, der italienische Pizzabäcker der Lindenstraße, erzählt 1990 über mehrere Folgen hinweg von seinen traumatischen Erlebnissen im Konzentrationslager Auschwitz, in das er als italienischer Jude inhaftiert war. Seine „nicht-jüdische“ Umwelt reagiert bestürzt. Der Ruf nach Aufarbeitung der deutschen NSVergangenheit wird laut. Im Dezember 2010 betritt dann Frau Rosenberg für wenige Szenen den Bürgersteig der Lindenstraße: Sie erzählt über ihre Kindheit im Viertel und davon, wie sie als Jüdin in den 1930er Jahren noch aus Deutschland fliehen konnte, während ihre gesamte Familie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Mutter Beimer begegnet ihr zufällig auf der Straße und nimmt dies zum Anlass, sich für die Verlegung der Stolpersteine in München stark zu machen. In beiden Fällen wird das „Jüdische“ in Form zweier Shoah-Überlebender verhandelt. Doch ihr „Jüdischsein“ dient in erster Linie als Impuls für eigenverantwortliches Handeln ihrer „nicht-jüdischen“ Umwelt. Eine Vertiefung in komplexere Zusammenhänge kann dabei – auch wegen der kaum zu überblickenden Erzählstränge dieser Langzeitserie – nicht gelingen. Station 07_Tatort und andere Indizien Noch deutlicher als andere Sendeformate verweist der Kriminalfilm auf kulturell geprägte Denkweisen und gesellschaftliche Diskurse. Die ARD-Sendereihe Tatort holt seit über 40 Jahren fast jeden Sonntagabend ein Millionenpublikum vor den Fernseher. Das Ermittlerduo, das sich 90 Minuten lang in einem bestimmten Norm- und Wertesystem bewegt, nimmt darin für die Zuschauer eine Stellvertreterposition ein. In jüngerer Vergangenheit haben zwei Filme der Tatort-Reihe explizit im „jüdischen Umfeld“ gespielt: Schimanski: Das Geheimnis des Golem (2004) und Der Schächter (2003). In beiden Fällen ermitteln die Kommissare in der ihnen unbekannten Welt der jüdischen Orthodoxie und nehmen die Zuschauer mit in diese ihnen „fremde Welt“. Die hier gezeigten Filmszenen und Objekte stellen einen fiktiven Tatort nach. Zur Diskussion stehen hier nicht die Tat, das Opfer oder der mögliche Täter. Vielmehr wird die Frage verhandelt, wie im Laufe der Fall-Lösung die Ermittler und damit auch die Zuschauer Indizien sammeln und Vermutungen anstellen. Die Filmszenen machen deutlich, dass trotz der Aufklärung des Verbrechens viele Verdächtigungen ungeklärt im Raum bleiben. Station 08_...sonst ein netter Mensch: Über Österreichisch-Jüdisches Diese Station blickt nun über die Grenze: auf Österreich und seine Medienöffentlichkeit. Es geht um die Verhandlung des „Jüdischen“ in der österreichischen Fernsehunterhaltung. Nach 1945 kehrten zahlreiche Künstler jüdischer Herkunft aus ihrem gezwungenen Exil nach Wien zurück, und das kulturelle Leben dieser Stadt nahm recht schnell wieder Fahrt auf. Unterhaltungskünstler jüdischer Herkunft waren in der Nachkriegszeit vor die Aufgabe gestellt, ihre Rollen in der Öffentlichkeit auszubalancieren: Dabei versprach die von vielen zugewiesene Rolle des „Rückkehrers“ zunächst einmal künstlerische Freiheiten. Auf der anderen Seite waren und blieben sie damit in der post-nationalsozialistischen Gesellschaft in einer Außenseiterrolle verhaftet. Durch die Gegenüberstellung von Fernsehausschnitten und Marionetten des Künstlers Arminio Rothstein werden die zugewiesenen Rollentypen in der österreichischen Medienöffentlichkeit exemplarisch beleuchtet. Dabei verschiebt sich die Grenze zwischen Betrachtung und Teilhabe: Wer schaut hier auf wen und warum? Welcher Diskurs wird angedeutet? Welchen Platz nehmen jüdische Unterhaltungskünstler in der österreichischen Medienlandschaft dabei ein und welche Bereiche bleiben ihnen gerade wegen ihrer jüdischen Herkunft und Lebensgeschichte verwehrt? Station 09_Heiter bis meschugge: Israelische Medienstars im deutschen Fernsehen Im Radio und Fernsehen der 1960er Jahren besang man die heile Welt. Man tat dies gerne auf Deutsch, wenngleich auffallend viele ausländische Interpreten unter den Stars dieser Zeit zu finden sind. Gesang mit exotischem Akzent war gern gesehen und versprach vielen Musikerinnen und Musikern Erfolg über ihre Bühnenauftritte hinaus. Unter diesen ersten Musik- und Medienstars in Deutschland, die das neue Medium Fernsehen für sich zu nutzen wussten, waren auch israelische Künstlerinnen und Künstler – wie das Gesangsduo Esther und Abi Ofarim und Daliah Lavi. Die Ofarims feierten ihre größten Erfolge in den 1960er Jahren in Deutschland. Daliah Lavi wurde 1970 mit deutschsprachigen Liedern als Schlagersängerin bekannt. Für diese israelischen Schlagerstars waren die Regeln in der noch jungen Unterhaltungsbranche klar definiert: Das „Exotische“ musste besonders betont werden. Stellungnahmen zum Weltfrieden oder zur politischen Situation in Nahost gehörten zum guten Ton. „Jüdisches“ und „Israelisches“ wurden in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Die Grenzen zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“, auch dem „Jüdischen“, schienen damit für das Fernsehpublikum eindeutig geklärt. Station 10_Abblende: Lachen auf der Couch Es gibt ihn also doch, den gelösteren, leichtfüßigeren Umgang mit jüdischen Themen in der deutschen Fernsehunterhaltung. Zwischen den Zeilen steckt dann das Eigentliche. Da gibt es beiläufige Dialoge, Nebenhandlungen, Zuspitzungen ins Komische. Jedoch: Auch unter dem Schleier der Komik können sich Stereotype verbergen. Deshalb geht es in dieser Station auch darum, auf versteckte Wertigkeiten zu achten. Die Frage „Wer lacht wann, warum und über wen?“ ist entscheidend. Wenn es im Film keinen einzigen Moment gibt, an dem die Komik bricht und die Zuschauer im Lachen innehalten müssen, dann kann sich die Grenze zwischen Mit- und Auslachen schnell verschieben. Entscheidend ist, wer den Witz als Witz wahrnimmt. Erkennt die Figur im Film das Potential des Witzes nicht und bleibt es deshalb nur den Zuschauern überlassen zu lachen, dann bleibt der Witz ein äußerer, der nicht von der Figur selbst, sondern auf ihre Kosten gemacht wird. Diese letzte Station in der Ausstellung zeigt also einige Fernsehausschnitte, die das Lachen rund um das „Jüdische" verhandeln. Wir laden Sie ein, einige der unzähligen Nuancen, die das Lachen dabei haben kann, zu studieren. Sie können es sich bis zum nächsten Witz auf der Couch bequem machen und in der ausliegenden Zeitung mehr über Stimmungsbilder, Schlagzeilen und Bildkompositionen rund um das öffentliche Bild des „Jüdischen" in den Medien erfahren.