Tagungsdokumentation - f-bb Forschungsinstitut Betriebliche Bildung
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Tagungsdokumentation - f-bb Forschungsinstitut Betriebliche Bildung
Dokumentation der TrialNet-Tagung „Inklusion im Mittelstand – Neue Chancen für junge Menschen mit Behinderung und Benachteiligung“ 15. Oktober 2014, Handelskammer Hamburg Moderation: Jörn Strahler-Pohl, NDR Inklusion in der beruflichen Bildung war das Thema der vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW), der Handelskammer Hamburg und dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) veranstalteten Fachtagung. Es diskutierten etwa 240 Vertreter aus Unternehmen, Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, der Bildungsverwaltung, von Berufsschulen und Bildungsdienstleistern, Kostenträgern, Kommunen, zuständigen Stellen und Universitäten. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Inklusion von Jugendlichen mit Teilhabeeinschränkungen bzw. Behinderungen im Dualen System der beruflichen Erstausbildung gelingen kann und welche Leistungen und Angebote dabei von den Einrichtungen mit rehabilitationsspezifischer Kompetenz und Erfahrung sowie von zuständigen Stellen erbracht werden und künftig werden müssen. In ihrem Grußwort sagte die Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg, Frau Dr. Dorothee Stapelfeldt, Hamburg habe sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, niemanden auf dem Weg zu Ausbildung und Beruf zurück zu lassen und allen jungen Menschen Angebote zu machen, damit sie den Schritt von der Schule ins Berufsleben erfolgreich bewältigen können. Gelingende Inklusion in der Berufsorientierung und Berufsausbildung sei gerade für Menschen mit Handicap von existenzieller Bedeutung. Auf einen uneingeschränkten Zugang zu einer Ausbildung haben alle Menschen einen Anspruch, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem religiösen Bekenntnis oder ihren geistigen oder körperlichen Fähigkeiten. Dieser Anspruch ist in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung verankert, die seit nunmehr fünf Jahren in Deutschland Rechtskraft hat. Doch die auf dem Papier beseitigten Barrieren bestünden oft noch in den Köpfen fort. Aber es gäbe bereits eine Reihe von vielversprechenden Ansätzen und Projekten, wie Inklusion gelingen könne, so zum Beispiel das vom Bun- 1 desministerium für Arbeit und Soziales geförderte Projekt TrialNet, das Bestandteil des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist, und das im Hamburger Institut für berufliche Bildung gestartete ESF-Projekt „dual und inklusiv“. Beide Projekte werden auf der Fachtagung vorgestellt und zeigen neue Wege auf. Sie können Antworten liefern auf die Fragen danach, welche Veränderungen die Inklusion didaktisch, institutionell und organisatorisch erfordert. Fritz Horst Melsheimer, der Präses der Handelskammer Hamburg, betonte in seinem Grußwort, dass die Wirtschaft von der Inklusion profitieren könne. Er verwies auf die hoheitliche Aufgabe der Berufsausbildung, die den Industrie- und Handelskammern übertragen worden sei, aber auch auf die Bedeutung der Inklusion als Chance, die Potenziale aller Menschen zu erschließen. Gerade hier in Hamburg seien der Senat, die Wirtschaft und die Institutionen nachhaltig darum bemüht, dass kein Jugendlicher verloren geht. Inklusion sei nicht nur eine sozialpolitische Aufgabe, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll und volkswirtschaftlich unbedingt notwendig. Anders sein und anders denken können bedeute oft auch, Innovation und Neues zu wagen. Zahlreiche Beispiele würden zeigen, dass Menschen mit Behinderung besonders motiviert seien und beweisen wollten, was in ihnen steckt. Inklusion müsse nicht nur in den Kindertagesstätten und der schulischen Bildung, sondern auch in der beruflichen Bildung realisiert werden. Die Handelskammer Hamburg und die ausbildenden Betriebe haben sich dazu entschieden, behinderte Jugendliche nicht überwiegend in den Fachpraktiker-Berufen, sondern in anerkannten Ausbildungsberufen auszubilden und behinderungsspezifische Sonderformen nur dort zu Hilfe zu nehmen, wo dies nicht gelingt. Inklusive Berufsausbildung – was heißt das und wo stehen wir? Prof. Dr. Eckart Severing, der Geschäftsführer des f-bb resümierte in seinem Vortrag, dass die Verwirklichung der Inklusion in den Schulen schon wesentlich besser umgesetzt sei als in der beruflichen Bildung, bei der immer noch Jugendliche mit und ohne Behinderung separiert würden. 50.000 Förderschülern, die jedes Jahr die Schulen verlassen, stehen nur 3.500 behinderte Jugendliche gegenüber, die einen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben. Die weit überwiegende Zahl der Jugendlichen mit Förderbedarf mündet in Berufsfördermaßnahmen oder außerbetriebliche Sondermaßnahmen und dabei oft in behinderungsspezifische Fachpraktiker-Ausbildungen. Die Ursachen dafür, dass Inklusion in der Berufsausbildung nur langsam vorankommt, sieht Prof. Severing in „mentalen Barrieren“ und in den hohen Leistungsanforderungen, die in der Vergangenheit entstanden. Jugendliche mit Behinderung wurden qua institutioneller Differenzierung in Sondereinrichtungen ausgegliedert, begründet mit dem Ideal der späteren Integration, das aber selten eingelöst wird. Zur Praxis der Separation gehöre das Ideal der Integration gleichsam „wie die Beichte zur Sünde“, so Prof. Severing. Die Berufsausbildung hat sich damit von Sonderfällen entlastet und muss sich nicht mehr auf die wachsende Heterogenität der Jugendlichen einlassen. Diese Heterogenität zu bewältigen wird nun zur Aufgabe, wenn nachkommende Jahrgänge demografisch weniger stark besetzt sind und zugleich immer mehr potentielle Bewer- 2 ber um eine Ausbildung an die Hochschulen verloren gehen. Das der Inklusion gewidmete Modellprojekt TrialNet verfolgte deshalb drei ehrgeizige Ziele: Erstens sollten mehr Betriebe für eine Ausbildung mit Behinderten gewonnen werden, und es sollten die Bedingungen erhoben werden, unter denen sie sich für eine Ausbildung von behinderten Menschen stärker öffnen. 400 Jugendliche wurden in TrialNet in 13 Berufen ausgebildet, und es konnten 264 Betriebe für die Ausbildung oder einer Mitwirkung daran gewonnen werden, von denen zwei Drittel vorher nicht mit der Ausbildung von besonders förderbedürftigen jungen Menschen befasst waren. Das Projekt liefert somit verlässliche Daten, so zeigt sich beispielsweise, dass Jugendliche eine umso höhere Chance haben, an der zweiten Schwelle, beim Übergang ins Berufsleben erfolgreich zu sein, je länger sie ihre Ausbildung im Betrieb absolviert haben. Zweitens war es ein Projektanliegen, das Prinzip „Alles oder Nichts“ in Bezug auf den Ausbildungsabschluss zu vermeiden. Bislang werden in den Berufsbildungswerken 50 % der Jugendlichen in den gesondert geregelten Berufen ausgebildet, obwohl sie laut Berufsbildungsgesetz die Ausnahme bleiben sollten. Es sei einem demokratischen Bildungssystem nicht würdig, bereits an der Eingangsschwelle zu sortieren, wem man einen regulären Berufsabschluss zutraut und wem nicht. Vielmehr sollte, wie sonst im Bildungssystem üblich, jeder alles versuchen können, am Ende wäre dann festzustellen, wie weit der Einzelne kommt. Durch die Unterteilung in Ausbildungsabschnitte, die jeweils mit Kompetenzprüfungen abgeschlossen werden, kann der Weg bis zum Ausbildungserfolg in kleineren Schritten gegangen werden, wodurch die Jugendlichen Erfolgserlebnisse erfahren und auch dann über auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Zertifikate verfügen, wenn sie die Ausbildung nicht erfolgreich abschließen. In Bayern und Rheinland-Pfalz werden diese einzelnen Ausbildungsabschnitte bereits durch die einzelne Kammern zertifiziert. Die zuständigen Stellen in den anderen Bundesländern sollten diesem Beispiel folgen. Als drittes Projektziel nannte Prof. Severing die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen, so dass Jugendliche, denen ein höherer Förderbedarf attestiert war, auch in Einrichtungen wechseln können, in denen die Förderung niedriger ist, wenn sich herausstellt, dass sie dafür geeignet sind, und umgekehrt Jugendliche, die mehr Förderung benötigen, in eine besondere Einrichtung wechseln. Letzteres ist noch am Wenigsten gelungen, aber das Projekt lieferte dazu eine wichtige Erkenntnis. Zwar sei die in Deutschland mit viel Aufwand aufgebaute Sonderwelt für viele behinderte Jugendliche notwendig, aber nicht für alle. Die in den besonderen Einrichtungen aufgebaute hohe Kompetenz müsse in den Betrieben genutzt werden, um dort mit reha-spezifischer Unterstützung auszubilden, dafür müssten geeignete Strukturen und Assistenzsysteme geschaffen werden. Es muss ein Optionsmodell realisiert werden, bei dem jeder junge Mensch, der das will und kann, im allgemeinen Ausbildungsmarkt ausgebildet wird und dafür Assistenzsysteme zur Verfügung stehen, die von den bisherigen Sondereinrichtungen erbracht werden, und für diejenigen Jugendlichen, die das nicht schaffen, muss eine Struktur aufrechterhalten werden, in der sie gesondert gefördert werden. Fachgespräch 1: Inklusion und Wirtschaft Philipp Hennerkes, Leiter Public Affairs der EDEKA AG, berichtete, dass bei EDEKA Menschen mit Behinderung prinzipiell die gleichen Chancen haben wie Menschen ohne Behinderung. Bei der Rekrutierung wird darauf geachtet, wo die jeweiligen Stärken des Bewerbers liegen und demnach entschieden, wo er am besten eingesetzt werden kann. Anschubfinanzierungen seien in diesem Zusammenhang hilfreich, jedoch spielt für Hennerkes die Praktikabilität eine wichtigere Rolle. So sind Assistenzsysteme ein entscheidender Faktor, um zusätzlichen Arbeitsaufwand für den Ar- 3 beitgeber zu ersparen. Alles Akademische und Bürokratische seien Hindernisse für den selbstständigen Kaufmann, der sich 50 und mehr Stunden in der Woche um seinen Markt kümmern muss. Die Gestaltung einer positiveren Haltung zur Inklusion ist laut Raimund Becker, dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, ein relevanter Ansatzpunkt. Potentiellen Arbeitgebern fehlt es häufig an Wissen darüber, welche Hilfen sie bei der Ausbildung behinderter Jugendlicher bekommen können. Das Projekt TrialNet setze hier an der richtigen Stelle an. Für die Bundesagentur ist wichtig, dass Inklusion als spannendes und fröhliches Thema mit vielen Chancen und positiven Aspekten angenommen wird. Hierbei zählt der Beitrag jedes Einzelnen, denn wenn alle Gesetze zu Inklusion positiv gelebt werden würden, gäbe es kaum noch Probleme. Im Wesentlichen kommt es also darauf an, engagierte Mitstreiter bezüglich des Themas Inklusion zu gewinnen. Der Fokus muss von den Risiken auf die Chancen verlegt werden. Insbesondere sei es von Bedeutung, inklusives Lernen bereits ab dem Kindergarten zu fördern und sich von einer rein integrativen Ausbildung hin zur kooperativen Ausbildung zu bewegen, bei der junge Menschen an die betriebliche Realität herangeführt werden. Wer in der Ausbildung bereits im Betrieb ist, für den ist anschließend die Chance der Übernahme höher. Auch sei die Veränderung des Bewusstseins durch eine Kampagne vonnöten, die Stereotype und Vorbehalte bei den Arbeitgebern abbauen könne. Ingrid Körner, Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, skizzierte in ihrem Statement das Projekt „Hamburger Budget für Arbeit“, welches Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung einstellen, direkt unterstützt. Im Mittelpunkt stehen hier Personen, deren Beschäftigungsort eine Werkstatt für behinderte Menschen ist. Viele dieser Personen haben sowohl die Fähigkeiten als auch die Motivation, am ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten. Die Idee des Projekts ist es deshalb, die Zahl der Personen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. Dazu bedarf es Unterstützungsleistungen wie beispielsweise einer Eingliederungshilfe oder einer Arbeitsassistenz. Nach Aussage von Frau Körner bekommen Arbeitgeber bis zu 70% der Lohnkosten erstattet bzw. als Zuschuss, wenn sie eine Person mit Behinderung einstellen. Als aktuellen Erfolg im Raum Hamburg nannte sie, dass im Jahr 2013 84 Personen aus einer Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln konnten. Richard Fischels, Unterabteilungsleiter beim Bundesarbeitsministerium, betonte die Wichtigkeit der Frage, wie Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt gelangen können, denn immerhin gehe es um 280.000 Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen untergebracht seien. Dennoch müsse es aber weiterhin die Werkstätten für Menschen mit Behinderung geben. Fraglich sei aber, ob alle, die sich jetzt dort befinden, in den Werkstätten sein müssten. Getan werden müsste etwas bei den Zugängen, bei den beruflichen Orientierungsverfahren, um alternative Wege aufzuzeigen. Die geplante Reform der Eingliederungshilfe sieht vor, sie aus dem Fürsorgesystem herauszulösen und als eigenständiges soziales Anspruchssystem zu etablieren, denn Fürsorge passe nicht mehr zum modernen Gedanken der Teilhabe. Es sei ein teilhabeorientiertes Recht zu entwickeln, das personenzentriert angelegt ist und mehr Selbstbestimmung gewährleistet. Dieses Bundesteilhabegesetz tangiert viele Interessen und muss im Konsens auch mit den Bundesländern ausgestaltet werden. Mit einer Aufstockung der vorhandenen Mittel dürfe aber dabei nicht gerechnet werden. Mit 4 Blick auf den gesamten Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben stellte Richard Fischels die Haltung der handelnden Akteure in den Mittelpunkt: Inklusion als gestaltungsmächtige Idee müsse „in die Köpfe der Menschen“. Auszubildende stellen sich vor Prisca Geiselhart & Madeleine Haubner, BBW Ravensburg. Frau Geiselhart absolvierte im BBW die Ausbildung zur Bürokauffrau, die gemäß dem TrialNet-Modell in einzelnen Modulen erfolgte und mit Kompetenzfeststellungen zu jedem Ausbildungsabschnitt begleitet wurde. Am Wichtigsten für ihre eigene Entwicklung beurteilte sie jedoch vor allem die Zuwendung und das Engagement ihrer Ausbilder beim Berufsbildungswerk und bei der McCormick Solar GmbH in Bad Saulgau, bei der sie ein ganzes Jahr ihrer Ausbildung in der betrieblichen Realität absolvieren konnte. Für ihre Betreuerin vom BBW Ravensburg, Frau Haubner, waren deshalb auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Betrieben die erfolgsentscheidenden Faktoren. Tobias Jahn & Kerstin Fennen, BBW Hannover. Herr Jahn absolviert einen Teil seiner Logistik-Ausbildung bei der Firma Heil & Sohn GmbH & Co. KG, einem Autoteile-Zulieferer. Er freut sich über die Anerkennung, die er dort erfährt. Frau Fennen schilderte den Ablauf der sogenannten verzahnten Ausbildung, bei der die Auszubildenden zunächst im Berufsbildungswerk sind und dort die Grundlagen ihres Ausbildungsberufs erwerben. Danach setzen sie ihre Ausbildung in Betrieben fort und lernen spezifische Anforderungen der Arbeitswelt kennen, unter anderem den höheren zeitlichen Druck und ein höheres Arbeitsvolumen. Husein Elezovic & Michael Klindworth, BBW Hamburg. Herr Elezovic erlernt den Beruf der Fachkraft im Gastgewerbe. Teile seiner Ausbildung lernt er in der Kantine von „Der Spiegel“ in Hamburg. Dort kann er alle Stationen eines regulären Restaurant-Betriebes kennenlernen, denn die Spiegel-Kantine bietet einen kompletten Service mit Bedienung und frischer Zubereitung aller Speisen. Sein Ausbilder, Herr Klindworth, unterstützt und begleitet ihn dabei. Er ist begeistert über die bewährte Zusammenarbeit mit vielen Hamburger Betrieben. Er macht immer wieder die Erfahrung, dass in den 5 Betrieben die Stärken der Auszubildenden geschätzt werden und ihre Beeinträchtigungen in den Hintergrund treten. Alle weiteren notwendigen Unterstützungsleistungen des Berufsbildungswerks werden auch in den betrieblichen Ausbildungsabschnitten durchgeführt und in die Wochenplanung integriert. Fachgespräch 2: Ausbildung in Kooperation mit Betrieben – Inklusion gelingt Prof. Dr. Wolfgang Seyd, emeritierter Professor der Universität Hamburg und Mitglied des Projektbeirats von TrialNet, beklagte den Mangel an belastbaren Zahlen über den Verbleib von Förderschülern und behinderten jungen Menschen. Er verwies darauf, dass Arbeitgeber vom behinderten Mitarbeiter oder Auszubildenden das Gleiche verlangten wie von allen anderen Arbeitnehmern. Die Vorstellung, dass Behinderte weniger leisteten, sei irreführend. Die Vorab-Einstufung durch die Arbeitsagentur in solche Auszubildenden, die eine normale Ausbildung schaffen, und andere, die sie nicht schaffen und deshalb in Fachpraktiker-Berufe einmünden sollen, sei in vielen Fällen unzutreffend. Ottmar Waterloo, der Leiter Produktmanagement Rehabilitation der Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz), benannte als Problem Jugendlicher mit Beeinträchtigung bei der Suche nach einer dualen Ausbildung deren Selbstbild, das durch eine schulische Sonderkarriere geprägt worden sei; sie wagten es nicht, direkt auf Betriebe zuzugehen. Die Unterstützung, die die Berufspädagogen des bfz sowohl für die Jugendlichen als auch für die Betriebe leisten, würde zur Lösung einer Reihe von Problemen beitragen. Die in TrialNet verwendeten Ausbildungsbausteine würden insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen als hilfreich, weil als strukturierendes Element wahrgenommen, und sie würden auch von den Auszubildenden selbst geschätzt als Feedback darüber, wo sie stehen. Ein wesentlicher Erfolg von TrialNet sei, dass man nun ein Stück weit weg von der „Null-oder-Eins-Welt“ gekommen wäre, und dass Behinderung zur Nebensache werde, wenn Unternehmen beraten und unterstützt werden. Dr. Lutz Galiläer, Projektleiter des Forschungsinstituts Berufliche Bildung (f-bb), berichtete von neuen Instrumenten, die im Projekt TrialNet entwickelt und erprobt wurden, um die Ausbildung der Zielgruppe flexibler und betriebsnäher zu gestalten. Dazu gehören Ausbildungsbausteine, Kompetenzfeststellungen und deren Zertifizierung, über deren Leistung und Beschaffenheit das Projekt Erkenntnisse gewinnen konnte. Wichtig waren auch die gewonnenen Erkenntnisse darüber, wie Betriebe angesprochen werden können und was sie brauchen, um eine Ausbildung behinderter Jugendlicher leisten zu können. Von den beteiligten Betrieben waren mehr als 60 % neu akquiriert. 16 % der in TrialNet ausgebildeten Jugendlichen haben die Ausbildung vorzeitig beendet, damit deutlich weniger als in der gesamten dualen Ausbildung (24 %). TrialNet hat einen Beitrag dazu geleistet, dass Inklusion da angekommen ist, wo diese Idee hingehört, nämlich bei den zuständigen Stellen, bei den Betrieben und in der Fachöffentlichkeit. 6 Für Michael Breitsameter, den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW), war es eine wichtige Erfahrung des Projekts, zu erkennen, für welchen Jugendlichen mit seiner jeweils individuellen Teilhabeeinschränkung welcher Lernort der geeignete ist. Es gäbe nicht eine Lösung, sondern die existierende Heterogenität der Jugendlichen mit Teilhabeeinschränkungen erfordere ganz verschiedene, oftmals sehr individuelle Lösungen für den einzelnen jungen Menschen. Die bereits in der „Verzahnten Ausbildung“ (VAmB) begonnene Auslagerung von Teilen der Ausbildung in Betriebe wurde in TrialNet erfolgreich fortgesetzt. Dafür sind Ausbildungsbausteine hilfreich, um dem Betrieb verbindlich mitzuteilen, welche Inhalte aus dem Ausbildungsrahmenplan vermittelt werden sollen. In den Betrieben müssen zukünftig Assistenzsysteme etabliert werden, damit dort die Ausbildung behinderter Jugendlicher gelingt. Skeptisch sieht Herr Breitsamter weiterhin die Zertifizierung von Teilleistungen; seiner Einschätzung nach wäre es ausreichend, wenn die Berufsbildungswerke selbst den Stand der Kompetenzen erheben und bestätigen. TrialNet habe aus seiner Sicht bewirkt, dass die in der Reha-Welt Tätigen mehr kooperieren und gemeinsam an Lösungsstrategien arbeiten. Forum 1: Inklusion im Mittelstand – Erfahrungen und Perspektiven Moderation: Prof. Dr. Mathilde Niehaus, Universität zu Köln Inklusion ist auch zu einem wichtigen Thema für die Wirtschaft geworden. Während große Unternehmen die Themen Behinderung und Diversity in ihren Corporate Social Responsibility-Programmen schon bearbeiten, stellt sich die Frage, wie kleine und mittelständische Unternehmen für Inklusion gewonnen werden können. Die in einigen Regionen und Branchen bereits spürbaren Schwierigkeiten bei der Sicherung des Fachkräftebedarfs bieten dafür aktuell einen geeigneten Ansatzpunkt. Inputs: Philipp Hennerkes, EDEKA AG Joyce Müller-Harms, Nordmetall e.V. Praxisbeispiele: Petia Stolpe, FAW Bielefeld und P. Klapper, JBB – Jugendgästehaus und Bildungszentrum Bielefeld Madeleine Haubner, BBW Ravensburg und Thomas Hoyer, dwp eG Ravensburg 7 Michael Klindworth, BBW Hamburg und Sven Krüger, DER SPIEGEL Dieses Forum begann mit einer Bestandsaufnahme darüber, inwieweit die Herausforderung und Chance Inklusion bereits im Mittelstand präsent ist und welche Ansätze es gibt. Philipp Hennerkes erläuterte die Ausbildungssituation bei der EDEKA AG und die Herausforderungen, welche die demografische Entwicklung dabei mit sich bringt. Er wies zunächst auf eine Besonderheit der EDEKA AG hin, dass diese nämlich im Kern aus über 4.000 selbständigen Kaufleuten besteht, die u. a. auf dem Gebiet des Personalmanagements autonom und bezogen auf die örtlichen Bedingungen agieren. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Auszubildende zu finden wird aber zunehmend schwerer: Die sinkende Zahl der Schulabgänger, der Trend zum Studium und das Image des Einzelhandels spielen dabei eine Rolle. Neben der Ausbildung in Teilzeit und von älteren Auszubildenden („Seniorenausbildung“) sowie von Jugendlichen aus EULändern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit ist auch die Beschäftigung und Ausbildung von Menschen mit Handicap ein Weg der EDEKA AG zur Nachwuchsgewinnung in demografisch schwieriger werdenden Zeiten. Die Märkte kooperieren dabei mit Einrichtungen der Beruflichen Rehabilitation (z. B. BBW) oder Bildungsdienstleistern. Die Erfahrungen mit der Zielgruppe sind überwiegend positiv. Die Jugendlichen sind sehr loyal und identifizieren sich stark mit dem Ausbildungsbetrieb und dem Kollegenteam. Ihr Engagement und ihre Einsatzbereitschaft können Einschränkungen z. B. bei den kognitiven Leistungen in der Regel mehr als ausgleichen. Im Umgang mit Kunden und Kollegen erfahren junge Menschen nach oft schwieriger Schulkarriere erstmalig wieder echte Erfolgserlebnisse. Da es in den Märkten keine „geschützten Räume gibt“, müssen sich die Jugendlichen täglich neu bewähren – für die meisten ist das eine Herausforderung, an der sie wachsen. Gegenüber ihren Mitgliedern argumentiert die Unternehmensleitung nutzerbezogen: Darzustellen sei eine echte Win-Win-Situation für den Kandidaten und das Unternehmen. Der Unternehmer gewinnt einen fleißigen, loyalen und kompetenten Mitarbeiter und bietet einen (sicheren) Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Damit Inklusion auch in den mitteständischen EDEKA-Märken ankommen und gelebt werden kann, bedarf es weiterer Rahmenbedingungen: • • Unterstützende Netzwerke auf lokaler Ebene: Die Verantwortlichen in den Märkten müssen durch unterstützende Begleitung im Umfeld unbürokratisch unterstützt werden. Bekenntnisse von oben, der Unternehmensleitung, helfen nur bedingt: Die Bereitschaft zum Engagement muss vor allem bei den Verantwortlichen vor Ort geweckt werden. Dort wird sowohl über das „ob“ als auch das „wie“ der Ausbildung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf entschieden. Joyce Müller-Harms vom Arbeitgeberverband NORDMETALL, einem Zusammenschluss von 250 Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie aus den nördlichen Bundesländern, differenzierte in ihrem Beitrag zwischen Inklusion als sozialem Leitziel und Inklusion als Forderung nach dem Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung. Während die Idee der umfassenden sozialen Teilhabe, u. a. verwirklicht durch individualisierte Förderung, uneingeschränkt zu begrüßen sei, stelle sich bei der Öffnung des Mittelstands für Inklusion immer auch die Frage nach dem Passungsverhältnis. D. h. nach dem Verhältnis zwischen den Wünschen, Neigungen, Fähigkeiten des Individuums auf der einen Seite und den Anforderungen der Tätigkeiten und des Betriebs auf der anderen Seite. Gegenwärtig sei Inklusion kein „Kernthema“ für den Mittelstand der Metall- und Elektroindustrie, nicht zuletzt wohl auch, weil der Bewerbermangel bisher in der Branche abhängig von Region und Größe des Unternehmens in unterschiedlicher Intensität spürbar ist. Gleichwohl gibt es Aktivitäten des Verbandes, die auf förderbedürftige Jugendliche abzielen, z. B. das Projekt „NordChance“. Dabei geht es um Öffnung der Ausbildung für schwächere Jugendliche, die über eine bis zu fünf Monate dauernde Orientierung und daran anschließende Einstiegsqualifizierung Zugang zu betrieblicher Ausbildung erhalten sowie vor und während der Ausbildung begleitet werden. Wie das Thema Inklusion bei mittelständischen Betrieben ankommt, hängt auch vom Erfolg solcher Vorhaben mit ihren guten Beispielen ab. 8 Über Fälle gelungener Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderung in bzw. zusammen mit mittelständischen Betrieben aus dem Projekt TrialNet und aus Hamburg ging es bei den Praxisbeispielen. Madeleine Haubner vom BBW Ravensburg und Thomas Hoyer, dwp eG Ravensburg, berichteten von ihren guten Kooperationserfahrungen. Bei der Firma "dritte welt partner" setzen immer wieder Jugendliche aus dem BBW für mehrere Monate ihre Ausbildung fort, und von Fall zu Fall werden diese nach der Abschluss der Ausbildung auch von der Firma anschließend übernommen. Wichtig sei dabei, dass das Team sensibilisiert ist und die Jugendlichen Gelegenheit bekommen, in den betrieblichen Alltag und den Kollegenkreis hineinzuwachsen. Petia Stolpe, FAW Bielefeld, und Pascal Klapper, JBB - Jugendgästehaus und Bildungszentrum Bielefeld gGmbH arbeiten schon länger im Rahmen der kooperativen Ausbildungsform zusammen, d. h. die Jugendlichen der FAW sind von Anfang bis zu drei Tage in der Woche im JBB. Das Beispiel zeigte, wie wichtig das persönliche Engagement von betrieblichen Ausbildern ist. Herrn Klapper verfolgt konsequent das Ziel, auch schwierigere Jugendliche nicht nur zum Abschluss zu führen, sondern sie vor allem zu „richtigen“ Köchen zu formen. Während Sven Krüger, DER SPIEGEL (Kantine), von ähnlichen Erfahrungen und Vorsätzen geprägt ist, erläuterte Michael Klindworth, BBW Hamburg, die Ansprüche und Erwartungen von Firmen, die Teile der Ausbildung von Jugendlichen aus dem BBW Hamburg übernehmen. Es gebe Hemmschwellen zu überwinden und soziales Engagement spiele sicher eine Rolle, allerdings wünschen sich Betriebe häufig einfach Mitarbeiter, die engagiert sind. Wenn Reha-Einrichtungen mit ihren Jugendlichen daraufhin arbeiteten, dieses Bedürfnis zu bedienen, komme Inklusion voran. Forum 2: Gemeinsam stark – Kooperationen zwischen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, Betrieben und Berufsschulen Moderation: Rainer Lentz (BAG BBW) & Gerlinde Dubb (BBW Abensberg) Auch wenn der Inklusionsgedanke auf eine Ausbildung im Regelsystem abzielt, können nicht alle Jugendlichen mit Behinderung in Betrieben ausgebildet werden. Ein Lösungsansatz besteht in der Kooperation von Betrieben mit Reha-Einrichtungen, bei Praktika und längeren Phasen der fachpraktischen Ausbildung sowie in einer engen Vernetzung mit dem Lernort Berufsschule. In diesem Forum wurden positive Beispiele dieser Zusammenarbeit präsentiert und mit Experten diskutiert, welcher Entwicklungsbedarf besteht und welche Rahmenbedingungen zu verbessern sind. Inputs: Marlies Tröder / Harald Sturm, Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) Lothar Baumüller, BAW Mittelfranken Gerlinde Dubb, BBW Abensberg 9 Praxisbeispiele: Praxisbeispiel Bildungsträger-Betrieb: Evelin Jahner, bfz Ravensburg / P. Schwärzler und Marion Stehmer, Bäckerei Mayer, Allgäu Praxisbeispiele BBW-Betrieb: Kerstin Fennen, BBW Hannover / Sebastian Hahn, LYRECO Deutschland GmbH Frau Unsinn, Veganz Hamburg Vorgestellt wurden zwei Praxisbeispiele aus dem Projekt TrialNet und eines aus Hamburg. Evelin Jahner vom bfz Ravensburg berichtete von einer Auszubildenden, die ihre Ausbildung zur Verkäuferin dank intensiver Unterstützung durch den Bildungsträger bei der Bäckerei Mayer in Ravensburg absolvieren konnte und erfolgreich abschloss. Sie wurde anschließend vom Betrieb in eine Anstellung übernommen. Ihre Ausbilderin, Marion Stehmer, die die Bäckerei-Filiale in Ravensburg leitet, war anfangs sehr skeptisch, ob die Auszubildende die Ausbildung durchhalten und die Prüfung bestehen würde. Die IHK-Prüfung schaffte sie nur, weil das bfz mit der IHK Weingarten einen besonderen Nachteilsausgleich für das Mädchen aushandeln konnte. Es wurde ein gesonderter Prüfungsausschuss für beeinträchtigte Jugendliche gebildet. Dalida Khemici, eine Lehrerin des bfz Ravensburg und zugleich Prüfungsausschussmitglied, hatte an der Prüfung mitgewirkt. Sie erklärte, dass benachteiligte Jugendliche oft mit einer Standard-Prüfungssituation überfordert sind und deshalb nicht in der Lage, ihr vorhandenes Wissen zu aktivieren. Erforderlich seien bei Benachteiligten andere Fragetechniken und mehr Geduld bei den Antworten, dann seien Prüfungsergebnisse möglich, die teilweise sogar über denen der nicht beeinträchtigten Jugendlichen lägen. Aus Hannover berichtete Kerstin Fennen, die im dortigen Berufsbildungswerk als Berufspädagogin für die Ausbildung in den Logistik-Berufen zuständig ist, von der Kooperation mit der Firma A.-W. Heil & Sohn GmbH & Co. KG in Hannover. Dort hatte ein Auszubildender des Berufsbildungswerkes die Möglichkeit, einen größeren Anteil seiner Ausbildung nicht wie sonst üblich nur im Berufsbildungswerk, sondern direkt im Betrieb zu absolvieren. Eine Besonderheit bildete die Kooperation des BBW Hannover mit der Firma Lyreco. Dabei ging es nach Einschätzung von Frau Fennen nicht nur um das Kennenlernen der Praxis, sondern es handelte sich bei diesem Praxiseinsatz in hohem Maße auch um eine sozialpädagogische Intervention. Der Jugendliche erwarb im Betrieb, relativ „geschützt“ in einem kleinen Team, wichtige Sozialkompetenzen und entwickelte das erforderliche Selbstbewusstsein, um letztlich eine Festanstellung bei der Firma erhalten zu können. Gerlinde Dubb vom Berufsbildungswerk Abensberg legte in ihrem Vortrag dar, warum diese Kooperation für die Auszubildenden so wichtig ist: Sie lernen in einem realen Arbeitsumfeld an modernsten Anlagen und mit Quantitäten, wie sie in aller Regel im Berufsbildungswerk nicht simuliert werden können. Deshalb kooperiert das Berufsbildungswerk Abensberg im Projekt TrialNet mit Audi in Ingolstadt und mit der Firma Ceva Logistics, wo regelmäßig mehrere Auszubildende des BBW unter Realbedingungen arbeiten und lernen. Lothar Baumüller, der Leiter des BAW Mittelfranken, verwies auf die besondere Sozialisationsfunktion der Betriebe, die bei lernbehinderten Jugendlichen eine nachhaltige Wirkung zeige: „Ein angemessenes Sozialverhalten entscheidet mehr über den Erfolg der Integration als kognitive Leistungen.“, so Herr Baumüller. Das dritte Bespiel einer inklusiven Ausbildung betraf die erfolgreiche Kooperation zwischen dem Berufsbildungswerk Hamburg und dem Unternehmen „Veganz“. Die Inhaberin des Handelsunternehmens für vegane Produkte, Frau Unsinn, bot einer jungen Auszubildenden des BBW Hamburg, die selbst vegan lebt, erst ein zwölfmonatiges Praktikum, das dann in eine reguläre Ausbildung überführt werden konnte. Marlies Tröder und Harald Sturm, beide vom Hamburger Institut für Berufliche Bildung, berichteten vom neuen Modellprojekt „dual & inklusiv“, das als ein vom Europäischen Sozialfonds gefördertes Projekt auf den drei Ebenen „Berufliche Orientierung“, „Berufsvorbereitung“ und „Ausbildung/Qualifizierung“ ansetzt, um 10 modellhaft für Hamburg die Inklusion beeinträchtigter Jugendlicher bei der Ausbildung im Dualen System zu erproben. Forum 3: Mit Erfolg zum Berufsabschluss – Ausbildungsbausteine, Kompetenzfeststellungen, Nachteilsausgleich Moderation: Dr. Matthias Kohl (f-bb) Jugendliche, die ihre Ausbildung ab- oder länger unterbrechen, nicht unversorgt zu lassen, ist ein wichtiges Ziel sowohl im Hinblick auf Inklusion wie auf die Sicherung des Fachkräftenachwuchses. Gleiches gilt für die Forderung nach einfacheren Möglichkeiten des Zugangs zu betrieblicher Ausbildung für benachteiligte und behinderte Jugendliche. Neue Instrumente wie Ausbildungsbausteine und handlungsorientierte Verfahren der Feststellung von Lernergebnissen – idealerweise auf der Basis des DQR – bieten dafür Lösungen. Im Forum wurde diskutiert, welche Möglichkeiten es gibt, behinderten und benachteiligten Jugendlichen den oft steinigen Weg zum beruflichen Abschluss zu erleichtern und dabei auf individuelle Besonderheiten einzugehen. Im Mittelpunkt standen dabei die Fragen, wie erworbene Kompetenzen zertifiziert, anerkannt und ggf. auch angerechnet werden können, welche Erfahrungen es mit dem gesetzlich verankerten Nachteilsausgleich gibt und welche Herausforderungen die verschiedenen Lernorte sowie die zuständigen Stellen dabei jeweils zu bewältigen haben. Inputs/Gesprächsrunde: Dr. Josef Amann, IHK für München und Oberbayern Margot Baur, ADD Rheinland-Pfalz Armin Grams, Handelskammer Hamburg Praxisbeispiele: Gabriele Backes, BBW Bitburg Susan Schneider, bfz München Beatrix Jost, Prüfungsteilnehmerin Handelskammer Hamburg Zum Einstieg in das Forum berichteten Dr. Josef Amann, Leiter des Bereichs Berufsbildung der IHK für München und Oberbayern und Susan Schneider, Seminarleiterin der Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) München, über ihre Kooperation bei der Umsetzung der Kompetenzfeststellungen im Rahmen des Projekts TrialNet und bewerteten die gesammelten Erfahrungen. Herr Amann beschrieb zunächst, welche Qualitätsstandards an Kompetenzfeststellungen zur Zertifizierung von Ausbildungsbausteinen angelegt werden und verdeutlichte die Aufgabenteilung zwischen bfz und IHK : Während bfz zusammen mit den betrieblichen Ausbildern für die Konzipierung der komplexen Arbeitsaufgaben und die Durchführung der 11 Kompetenzfeststellungen zuständig war, übernahm die Kammer Aufgaben der Qualitätssicherung (Prüfung der entwickelten komplexen Aufgaben) und zertifizierte die Ergebnisse der Kompetenzfeststellung. Frau Schneider erläuterte anschließend am Beispiel einer Teilqualifizierung im Berufsbild Bürokaufmann/-frau Vorgehensweise und Herausforderungen bei der Entwicklung einer komplexen Arbeitsaufgabe für die Kompetenzfeststellung. Beide zogen anschließend ein positives Fazit: Sowohl für behinderte Jugendliche als auch für Betriebe bieten einheitliche Teilqualifikationen mit qualitätsgesicherten Kompetenzfeststellungen und Zertifikaten einen Mehrwert, vor allem in den Fällen, in denen ein Bestehen der IHK-Abschlussprüfung unsicher bzw. unwahrscheinlich ist. Im Anschluss an diesen Part beschrieb Margot Baur von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Rheinland-Pfalz als zuständiger Stelle für die Berufe der Hauswirtschaft mit Gabriele Backes vom Europäischen Berufsbildungswerk Bitburg, wie im Rahmen des Projekt TrialNet hauswirtschaftliche Berufe in Teilqualifikationen untergliedert und unter Einbezug des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) lernergebnisorientierte Prüfungsaufgaben entwickelt und entsprechende Kompetenzen mit Verweis auf die jeweiligen Niveaustufen des DQR zertifiziert wurden. Im Rahmen der anschließenden Diskussion stellte Frau Baur außerdem die Chancen von Teilqualifikationen in Bezug auf die Anrechnung von Vorerfahrungen, die Förderung der Durchlässigkeit und die europaweite Verwertbarkeit heraus. Welche Möglichkeiten der gesetzlich verankerte Nachteilsausgleich bietet, um behinderten Jugendlichen den Weg zum Berufsabschluss zu erleichtern, erläuterte anschließend Armin Grams, Geschäftsführer der Handelskammer Hamburg. Er umriss den gesetzlichen Rahmen und verdeutlichte dessen Potenziale zur Anpassung der Kammerprüfungen an die jeweiligen individuellen Erfordernisse. Im Gegensatz zu exklusiven "Behindertenregelungen" nach § 66 Berufsbildungsgesetz habe sich die Handelskammer Hamburg beim Thema Inklusion für den Weg des Nachteilsausgleiches entschieden. Frau Beatrix Jost, eine stark sehbehinderte Mitarbeiterin der netbank AG, berichtete anschließend, wie der Nachteilsausgleich bei ihren Ausbildungs- und Fortbildungsprüfungen umgesetzt wurde. 12 Podiumsdiskussion: Inklusion und Wirtschaft – Eine Zwischenbilanz nach fünf Jahren UNKonvention Christina Ramb, Abteilungsleiterin Arbeitsmarkt der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wies darauf hin, dass eine kompetente Begleitung für Unternehmen notwendig ist, um Jugendliche mit Behinderung auszubilden, und weiterer Druck auf die Betriebe durch Erhöhung der Ausgleichsabgabe oder der Beschäftigungsquote sei auf jeden Fall kontraproduktiv. Der Bewusstseinswandel in der Wirtschaft, dass Behinderung nicht mit Leistungsminderung gleichzusetzen ist, ist entscheidend. Die Ansicht, dass Behinderung Leistungsminderung bedeutet, ist der falsche Ansatzpunkt. Das Projekt „Inklusion gelingt“ soll hier noch mehr Aufklärungsarbeit leisten. Unterstützte Beschäftigung, Nachbetreuung und feste Ansprechpartner nennt Frau Ramb als relevante Leistungen für Unternehmen im Hinblick auf das Gelingen von Inklusion. Als bisherigen Erfolg bezüglich Inklusion berichtete Rainer Schulz, Geschäftsführer des Hamburger Instituts für berufliche Bildung, dass Menschen mit Behinderung mittlerweile nicht stärker ausgegrenzt werden als andere. Noch nicht verwirklicht sieht er jedoch die Ausrichtung der Inklusionsdebatte auf Berufsbildung, in der die Struktur noch nicht auf Inklusion angelegt sei. Die Hinführung zur Ausbildung, die Ausbildung selbst und der Übergang in die Beschäftigung müssen wie bei Jugendlichen ohne Beeinträchtigung angelegt sein. Denn wenn behinderte Jugendliche betrieblich ausgebildet werden, ist es später leichter für sie, auf dem Arbeitsmarkt zurechtzukommen. Schulz verwies auf das Projekt TrialNet, das hier richtig ansetzt und ein wichtiger Baustein ist. Prof. Dr. Eckart Severing, der Geschäftsführer des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb), machte auf die Schwierigkeiten der individuellen Förderung aufgrund der Sozialgesetzbücher aufmerksam, denn das System der Förderung beruht bislang auf Institutionalisierung, mit der institutionelle Interessen einhergehen, die schwierig zu handhaben sind. Bisher wird über Jugendliche mit Behinderung gesprochen, als sei das eine feststehende Größe. Inzwischen haben aber die unspezifischen Behinderungsarten, insbesondere im Förderbereich Lernen oder soziale und emotionale Entwicklung zugenommen, und es stellt sich die Frage, was daran überhaupt „Behinderung“ ist. Es braucht mehr Flexibilität im Regelsystem der dualen Ausbildung, um mit der Heterogenität der Jugendlichen mit unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten und unterschiedlichen Begabungen zurechtzukommen. Prof. Severing wendet sich gegen eine Vorsortierung in solche, denen man eine Berufsausbildung zutraut und andere, die in einer Sonderwelt ausgegliedert werden, aus der sie sehr schwer wieder zurück finden. 13 Dennoch braucht es rehabilitationsspezifische Kenntnisse, die den Betrieben mit Assistenzsystemen bereitgestellt werden, wofür ganz besonders die Berufsbildungswerke mit ihrem Know-how geeignet sind. Raimund Becker von der Bundesagentur für Arbeit betonte die Relevanz einer individuellen Klärung, von welcher Behinderung eine Person betroffen ist und wo Einschränkungen bzw. Stärken und Talente vorliegen. Den Rehaberatern obliegt die anspruchsvolle Aufgabe, eine Anamnese durchzuführen und eine Diagnose darüber vorzunehmen, mit welcher Unterstützung eine Ausbildung gelingen kann. Ohne diese Entscheidungen geht es nicht – aber mögliche Ungenauigkeiten und Fehler können im Laufe des Rehaprozesses nachjustiert werden. Eine tatsächliche inklusive Gesellschaft liegt nach Richard Nürnberger, Geschäftsführer der Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW), nur dann vor, wenn es keine Etiketten mehr gibt und stattdessen der Einzelfall betrachtet wird und für jeden eine individuelle und intelligente Lösung gesucht wird. Das Denken in Förderkategorien hilft dem Betrieb nicht, er braucht eine einsetzbare Arbeitskraft, und es ist die Aufgabe der Rehabilitationsträger, dafür die geeignete Unterstützung bereitzustellen. Nach Michael Breitsameter, dem Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke gehört es zu deren Aufgaben, die Unterstützungsangebote noch mehr mit Betrieben zu verzahnen. Jeder Fünfte, der zum Berufsbildungswerk kommt, hat bereits eine Ausbildung abgebrochen. Den Unternehmen müssen die Vorteile und nicht die Defizite von Personen mit Behinderung verdeutlicht werden. Dazu bedarf es einer guten Kommunikation mit den Betrieben dahingehend, welcher Unterstützungsbedarf nötig ist. Aus den Bedarfen des Unternehmens sowie den Kompetenzen des Jugendlichen gilt es dann, konkrete Maßnahmen abzuleiten. Damit verändert sich zukünftig teilweise die Aufgabe der Berufsbildungswerke, sie müssen ihre Kompetenzen in die Ausbildung in den Betrieben einbringen. Gerd Labusch von der Gewerkschaft Verdi und Mitglied im Ausschuss für Fragen behinderter Menschen des Bundesinstituts für Berufsbildung, betont die Notwendigkeit des Perspektivenwechsels weg vom defizitorientierten und hin zur stärkenorientierten Assessment. Weiterhin sei ein Wandel weg von der Wissensorientierung und hin zur Betrachtung der beruflichen Handlungskompetenz erforderlich. Auch für Gerd Labusch ist es unerlässlich, für behinderte Menschen in erster Linie eine Vollausbildung zu gewährleisten, und nur wenn diese an Grenzen stößt, sind andere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, wie beispielsweise die Fachpraktikerberufe. Auch in der betrieblichen Ausbildung muss man sich mehr mit Methodik und Didaktik beschäftigen. Nur dann kann eine Vollausbildung für behinderte Menschen gewährleistet werden. Die Zertifizierung von einzelnen Bausteinen der Ausbildung ist nach Gerd Labusch wenig zielführend. Er sieht hier das Problem, dass auf einer Teilqualifizierung kaum aufgebaut werden kann und diese auch unter dem Aspekt der tariflichen Einordnung von derart Qualifizierten problematisch sei. Prof. Dr. Severing entgegnet dem und verweist auf die Relevanz der Ausbildungsbausteine dahingehend, dass Personen, die die Ausbildung nicht schaffen, dann immerhin Teilleistungen erworben haben, die von Arbeitgebern eingeschätzt und eingeordnet werden können. Der Geschäftsführer des f-bb beschloss die Diskussion mit dem Fazit, dass das System der beruflichen Bildung so gestaltet werden muss, dass es Heterogenität verträgt. 14 Ausblick: Inklusive Berufsbildung 2025 Dr. Matthias Kohl, f-bb Zum Abschluss der Veranstaltung wagte Dr. Matthias Kohl, Themensprecher Arbeitsmarktpolitik und betriebliche Innovation im Forschungsinstitut Betriebliche Bildung, einen Ausblick auf die Berufsausbildung der Zukunft. Er beschrieb die Vision eines inklusiven Berufsbildungssystems, das grundsätzlich allen Menschen unabhängig von individuellen Beeinträchtigungen und Benachteiligungen einen gleichberechtigten und selbstbestimmten Zugang zu beruflicher Bildung im Regelsystem dualer Ausbildung und mit dem Ziel eines vollwertigen Abschlusses ermöglicht und eine individuelle Förderung ermöglicht. Ausbildung wäre dann so strukturiert, dass mittels Kompetenzfeststellungen auch Teilleistungen sichtbar gemacht und zertifiziert werden können, sodass auch diejenigen Jugendlichen, die eine komplette Ausbildung nicht bzw. nicht en bloc bewältigen können, am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem verwertbare und anerkannte Qualifikationen bescheinigt bekommen. Anschließend ordnete Dr. Kohl die Leistungen und Ergebnisse des Projekts TrialNet auf dem Weg zu dieser Vision ein, machte aber auch deutlich, welche nächsten Schritte erforderlich sind: Notwendig ist einerseits eine weitere Flexibilisierung der Ausbildungsgänge – diese sind zeitlich, curricular und didaktisch so zu gestalten, dass eine individuelle Förderung bis zum Leistungsoptimum mit so viel Betriebsnähe wie möglich gewährleistet werden kann. Dies beinhaltet auch, dass Maßnahmen der Berufsvorbereitung und Sonderberufe nach § 66 BBiG bzw. § 42 m HwO auf einheitlich definierten Bausteinen anerkannter Ausbildungsberufe basieren. Zentrale Grundvoraussetzung für eine inklusive Berufsausbildung ist aber bei allen Aktivitäten in Sondereinrichtungen, auf didaktisch-curricularer und fördersystematischer Ebene, dass sich Unternehmen noch stärker als bisher für das Thema Ausbildung behinderter Jugendlicher öffnen. Hierzu gibt es bereits eine Reihe ermutigender Signale und auch entsprechende Initiativen, es gilt aber auch weiterhin, auf eine Stärkung der Bereitschaft und Fähigkeit von Betrieben zur Ausbildung behinderter Jugendlichen einzuwirken. Hierzu benötigen diese Betriebe zum einen systematische und möglichst unkomplizierte Unterstützungsangebote und -strukturen, zum anderen bedarf es nicht zuletzt auch eines gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandels. 15