dirichletsche greensche funktion
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dirichletsche greensche funktion
Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1.1 Grundlegende Definitionen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Lineare Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Mathematische Modellierung physikalischer Prozesse . . . . . . . . 1.1.2.1 Die Gleichung für die longitudinalen elastischen Schwingungen eines Stabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.2 Die Gleichung für die Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . 1.1.2.3 Rand- und Anfangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Beispiele linearer partieller Differentialgleichungen . . . . . . . . . . 1.1.3.1 Die mehrdimensionale Wellengleichung . . . . . . . . . . . 1.1.3.2 Die Laplace- und Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . . 1.1.3.3 Die Helmholtz-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.4 Die Maxwell- und Telegraphengleichungen . . . . . . . . . 1.1.3.5 Die Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.6 Die Klein-Gordon-Fock- und die Dirac-Gleichung . . . . . 1.1.3.7 Die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen . . . . . 1.1.4 Sachgemäß gestellte Randwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4.1 Hadamards Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4.2 Das Cauchy-Problem für die eindimensionale Wellengleichung 1.1.4.3 Das Dirichlet-Problem für die Laplace-Gleichung . . . . . 1.1.4.4 Das Cauchy-Problem für die Wärmeleitungsgleichung . . . 1.2 Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Das Cauchysche Anfangswertproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Beispiel zur Nichtexistenz einer analytischen Lösung . . . . . . . . 1.3 Klassifizierung und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Differentialgleichungen und ihre Reduktion auf kanonische Form in einem Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i 3 3 3 4 4 7 8 10 10 13 14 14 15 16 16 17 17 19 21 21 22 22 30 31 31 1 INHALTSVERZEICHNIS 1.3.2 1.3.3 Charakteristiken einer Gleichung zweiter Ordnung; Reduktion einer Gleichung zweiter Ordnung in zwei unabhängigen Variablen auf kanonische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elliptizität, Hyperbolizität, Parabolizität allgemeiner linearer Differentialgleichungen und Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Elliptische Gleichungen 2.1 Fundamentallösungen für den Laplace-Operator . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen . . 2.2.1 Mittelwertsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das Maximumprinzip für harmonische Funktionen . . . . . . . . . . 2.2.3 Eindeutigkeit der klassischen Lösungen für das Dirichlet- und das Neumann-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Innere a-priori Abschätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem . 2.3.1 Die Greensche Formel für die Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Harnacksche Ungleichung und der Satz von Liouville . . . . . . 2.3.3 Das Dirichlet-Problem für beliebige Gebiete . . . . . . . . . . . . . 2.4 Sprungrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Integralgleichungen in der Potentialtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Der Index eines elliptischen Randwertproblems. . . . . . . . . . . . 3 Hyperbolische Differentialgleichungen 3.1 Das Cauchy-Problem . . . . . . . . . . . . . 3.2 Energieabschätzungen . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung 3.4 Das Huygensche Prinzip . . . . . . . . . . . 32 37 41 42 49 49 51 53 54 58 61 61 62 67 78 88 . . . . 91 92 92 96 104 . . . . 107 107 131 136 143 5 Freie Randwertprobleme 5.1 Das Einphasen-Stefan-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Eindeutigkeit der Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Existenz einer Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 157 160 162 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Parabolische Differentialgleichungen 4.1 Maximum–Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Poisson–Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Fundamentallösung des Cauchy–Problems . . . . . . . . . . 4.4 Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im . . . . . . . . . . . . . . R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 INHALTSVERZEICHNIS Kapitel 1 Grundlagen 1.1 Grundlegende Definitionen und Beispiele 1.1.1 Lineare Partielle Differentialgleichungen Wir betrachten Gleichungen der Form Au = f , (1.1) wobei f eine gegebene Funktion (evtl. vektorwertig) auf einer Teilmenge Ω des Rn ist und A ein linearer Differentialoperator der Form X A := aα (x)D α (1.2) |α|≤m mit i) ii) iii) iv) α = (α1 , . . . , αn ), αi ∈ N ∪ {0} =: N0 , ist ein Multiindex, |α| := α1 + · · · + αn , D α := D1α1 . . . Dnαn und Dj = 1i ∂x∂ j , i die imaginäre Einheit Die Koeffizienten aα sind gegebene (evtl. matrixwertige) Funktionen auf Ω. Dabei ist die Funktion u die gesuchte Lösung der Differentialgleichung (1.1) auf Ω. Die kleinste mögliche Zahl m heißt die Ordnung der Differentialgleichung (1.1) bzw. die Ordnung des Differentialoperators (1.2). Mit hinreichend glatten Koeffizienten aαβ (x) betrachten wir auch die Gleichung X D α (aαβ (x)D β u) = f. |α|+|β|≤m In dieser Vorlesung werden hauptsächlich Differentialgleichungen 2. Ordnung betrachtet, also m = 2. 3 4 Kapitel 1 : Grundlagen 1.1.2 Mathematische Modellierung physikalischer Prozesse Beim Herleiten mathematischer Modelle geht man i.a. folgendermaßen vor: i) Ein erster Schritt ist die Festlegung der physikalischen Größen, die den Prozeß bestimmen, z.B. Dichte, Geschwindigkeit, Temperatur u.s.w.. ii) Ein weiterer Schritt ist die Aufstellung der für den Prozeß relevanten physikalischen Gesetze, z.B. Massen-, Impuls-, Energieerhaltung u.s.w.. iii) Oft sind Erhaltungsgesetze in Integralform gegeben. Die Differentialgleichung ergibt sich aus dem Übergang zur lokalen differentiellen Form. Es folgt nun eine Reihe von Beispielen: 1.1.2.1 Die Gleichung für die longitudinalen elastischen Schwingungen eines Stabes Wir betrachten einen homogenen elastischen Stab mit Querschnitt S und Materialdichte ρ . Verschiebungen mögen nur in x-Richtung (Längsrichtung) auftreten. Als Referenzkonfiguration werde die Gleichgewichtslage des Stabes betrachtet. Referenzkonfiguration x + ∆x x S deformierte Konfiguration zur Zeit t x x + u(x,t) ? Abbildung 1.1 5 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele Die Aufgabe besteht nun darin, eine Gleichung zu finden, die die Verschiebung u in Abhängigkeit vom Ort x und der Zeit t beschreibt. Alle äußeren Kräfte werden vernachlässigt und nur interne elastische Kräfte berücksichtigt. ∆x x −u(x,t) Referenzkonfiguration x + ∆x u(x+ ∆x,t) Abbildung 1.2 Zur Zeit t hat das Segment mit der Länge ∆x in der Referenzkonfiguration die veränderte Länge l = u(x + ∆x, t) − u(x, t) + ∆x Die Längenänderung beträgt also ∆l = u(x + ∆x, t) − u(x, t) Somit ergibt sich u(x + ∆x, t) − u(x, t) ∆l = l ∆x 1+ 1 u(x+∆x,t)−u(x,t) ∆x ! u(x + ∆x, t) − u(x, t) u(x + ∆x, t) − u(x, t) = +g ∆x ∆x ! Die Funktion g hängt quadratisch von ihrem Argument ab. Deshalb wird dieser Term im Rahmen einer linearisierten Theorie vernachlässigt. Für den Grenzübergang ∆x → 0 kann man nun folgern ∆l ∂u lim = ux (x, t) = (x, t) . ∆x→0 l ∂x Setzt man ein eindimensionales Medium voraus, so spricht man allgemeiner, d.h. bei Verschiebungen in mehreren Richtungen, von einem Deformationsgradienten. Im Fall von drei Raumdimensionen spricht man von Deformationstensoren. 6 Kapitel 1 : Grundlagen Nach dem Hookeschen Gesetz, ebenfalls einer linearen Approximation, hängt die Kraft F , welche die Deformation hervorruft, linear von dem negativen Deformationsgradienten bzw. -tensor ab. In unserem Spezialfall haben wir also F ∼ −ux (1.3) und d.h. F (x, t) = −ESux (x, t), F (x + ∆x, t) = ESux (x + ∆x, t) . (1.4) Die Proportionalitätskonstante geteilt durch die Querschnittsfläche S des Stabes wird als Elastizitätskonstante E oder Youngscher Modul bezeichnet. F F u(x,t) x x+∆ x u(x+∆x,t) Abbildung 1.3 Die Summe der Kräfte aus (1.4) ergibt F (x, t) + F (x + ∆x, t) = ES(ux (x + ∆x, t) − ux (x, t)) . Aufgrund der Definition “Impuls = Masse × Geschwindigkeit” läßt sich der Gesamtimpuls in Integralform angeben. Er lautet: Pges = x+∆x Z ρSut (x′ , t)dx′ . x Nach dem Newtonschen Gesetz ist die Summe der Kräfte gleich der zeitlichen Änderung des Gesamtimpulses ∂ ∂t x+∆x Z ρSut (x′ , t)dx′ = ES(ux (x + ∆x, t) − ux (x, t)) . x Teilt man diese Gleichung durch ∆x, so kann man unter der Annahme ausreichender Differenzierbarkeits- und Stetigkeitseigenschaften von u mit Hilfe des Grenzübergangs ∆x → 0 zur differentiellen Form übergehen. 1 lim ρS ∆x→0 ∆x x+∆x Z u (x + ∆x, t) − u (x, t) x x . ∆x→0 ∆x utt (x′ , t)dx′ = ES lim x 7 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele Das Ergebnis ist die eindimensionale Wellengleichung utt = E uxx . ρ Die Welle bewegt sich mit der Geschwindigkeit c := 1.1.2.2 q E ρ . Die Gleichung für die Wärmeleitung Wir betrachten ein homogenes Medium der Dichte ρ im R3 . Das Innere des Mediums ist durch das Gebiet Ω ⊂ R3 gegeben, seine Grenzflächen mit der Umgebung durch den Rand ∂Ω. Sei u(x, t) die Temperatur des Mediums an der Stelle x zur Zeit t. Wir nehmen an, daß u eine hinreichend glatte Funktion ist. Wir untersuchen wie vorher ein Testvolumen ∆V in dem Körper mit Oberfläche ∆S in dem Zeitintervall ∆t, wobei n den äußeren Normaleneinheitsvektor der Fläche ∆S repräsentiert. δΩ Ω ∆V n ∆S Abbildung 1.4 Nach dem Fouriergesetz der Wärmeleitung ist die Wärmemenge, die das Testvolumen ∆V mit seiner Umgebung austauscht, proportional zum Produkt von ∆S, ∆t und der Ableitung von u in Richtung der negativen äußeren Einheitsnormalen ∆Q = −k ∂u ∆S∆t. ∂n 8 Kapitel 1 : Grundlagen Die Konstante k ist der Koeffizient der thermischen Leitfähigkeit. Die ausgetauschte Wärmemenge läßt sich andererseits auch mit der spezifischen Wärmekapazität c darstellen. Es ergibt sich folgende Gleichheit: Z cρ(u(x, t + ∆t) − u(x, t))dx = t+∆t Z t ∆V Z k ∂u (x, τ )dsdτ . ∂n (1.5) ∂∆V Mit der Greenschen Formel kann man das rechte Integral umformen Z Z ∂u k (x, τ )dS = k∆u(x, τ )dx , ∂n (1.6) ∆V ∂∆V wobei ∆ für den Laplace-Operator steht. Nun setzt man die rechte Seite von Gleichung (1.6) in (1.5) ein und teilt die entstandene Gleichung durch das Zeitintervall ∆t und das Testvolumen ∆V . Der Grenzübergang ∆t → 0 und ∆V → 0 gestattet einen Übergang von der Integralform zur differentiellen Form. Wir erhalten Z 1 u(x, t + ∆t) − u(x, t) lim lim cρ dx ∆t→0 ∆V →0 ∆V ∆t ∆V 1 1 = lim lim ∆t→0 ∆V →0 ∆t ∆V t+∆t Z Z t k∆u(x, τ )dxdτ . ∆V Mit der Ausführung des Grenzübergangs ergibt sich die Wärmeleitungsgleichung cρut = k∆u . Diese Gleichung setzt die Geschwindigkeit der Wärmeausbreitung als unendlich voraus, was mit dem Fouriergesetz, einem konstitutiven Gesetz, zusammenhängt. Allgemein ist zu beachten, daß diese Gleichungen immer nur Näherungen beschreiben und deshalb mit einer kritischen experimentellen Prüfung der jeweiligen Situation zu vergleichen sind. 1.1.2.3 Rand- und Anfangsbedingungen Randbedingungen schaffen die Verbindung der Eigenschaften des betrachteten Mediums mit denen seiner Umgebung. Bei den longitudinalen elastischen Schwingungen eines Stabes, siehe 1.1.2.1, könnte man z.B. den Stab an einem Ende (x = 0) befestigen. Damit könnte an der Stelle x = 0 während 9 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele des ganzen Bewegungsablaufs keine Verschiebung auftreten, wie es in der nachfolgenden Abbildung skizziert wird. ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ x=0 ........ x Abbildung 1.5 Mathematisch bedeutet dies u x=0 = 0 . (1.7) Andererseits könnte man auch die Kraft an einem Ende des Stabes vorgeben. Läßt man den Stab frei schwingen, so ist diese Kraft Null. Mit (1.3) folgt daraus, daß ux x=0 = 0 . (1.8) Bringt man zwischen Stabende und Wand eine Feder an, so ergibt sich eine Verbindung der beiden Arten von Randbedingungen. ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ x=0 ........ x Abbildung 1.6 Mathematisch könnte dies z.B. so aussehen: (ESux − ku) x=0 = 0 . (1.9) Gibt man bei der Wärmeleitungsgleichung, siehe 1.1.2.2, auf dem Rand des betrachteten Körpers eine Temperaturverteilung ϕ vor, so gilt (1.10) u ∂Ω = ϕ. 10 Kapitel 1 : Grundlagen Bestimmt man dagegen den Wärmefluß von einem Körper zu seiner Umgebung, so gibt man eine Funktion ψ vor, für die gilt ∂u (1.11) = ψ. ∂n ∂Ω Der Vektor n steht wieder für die äußere Einheitsnormale des Körpers. Man kann auch wieder die beiden Arten von Randbedingungen verbinden, z.B. ( ∂u − γu) ∂Ω = 0. ∂n (1.12) Bei Randbedingungen in der Art von (1.7) bzw. (1.10) spricht man von Dirichlet-Randbedingungen, in der Art von (1.8) bzw. (1.11) von Neumann-Randbedingungen und in der Art von (1.9) bzw. (1.12) von Randbedingungen dritter Art. Anfangsbedingungen, d.h. Vorgaben zur Zeit t = 0, spiegeln die gesamte Historie des Prozesses wieder. Bei den Schwingungen des Stabes aus 1.1.2.1 könnte man die Lage des Stabes zur Zeit t = 0 vorgeben, sowie seine Anfangsgeschwindigkeit u t=0 = ϕ und ut t=0 = ψ. Bei der Wärmeleitung, siehe 1.1.2.2, wird oft eine Anfangstemperaturverteilung vorgegeben u t=0 = ϕ. 1.1.3 Beispiele linearer partieller Differentialgleichungen 1.1.3.1 Die mehrdimensionale Wellengleichung Betrachtet wird die folgende Gleichung in einem Gebiet des Rn : utt = c2 ∆u. Hierbei ist ∆u der Laplace-Operator ∆u := n X ∂2u i=1 ∂x2i . In obiger Differentialgleichung beschreibt u in vielen Situationen die Wellenbewegung in homogenen und isotropen Medien. Die Konstante c ist die Geschwindigkeit der Welle. Beispiele: 1. Alle Komponenten der elektrischen Feldstärke und des magnetischen Feldes im Vakuum 11 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele genügen der Wellengleichung. Hierbei steht c für die Lichtgeschwindigkeit. 2. Oder betrachte den Druck und die Dichte eines Gases bei kleinen akustischen Schwingungen. 3. Die Schwingungen einer elastischen Membran oder einer Saite bei jeweils kleiner Auslenkung sind ein weiteres Beispiel. Setzt man eine Funktion der Form u(x, t) = ei(ωt−k·x) , (1.13) wobei i die imaginäre Einheit bedeutet, als Lösung an, so ergeben sich Bedingungen an die Frequenz ω und den Wellenvektor k, nämlich −ω 2 u(x, t) = −c2 |k|2 u(x, t). Hiermit ergibt sich nun das Dispersionsgesetz ω 2 = c2 |k|2 , und k u(x, t) = ei|k|(ct− |k| x) . Die Interpretation dafür lautet: Orte mit gleichem Schwingungsverhalten (gleiche Phase) liegen auf den Ebenenscharen ct − k x = const . |k| Für jedes t stellt dies eine Ebene im Rn dar, die sich in Richtung von k mit der Geschwindigkeit c bewegt. Man spricht von einer ebenen Welle. Die Addition zweier Lösungen der Form (1.13) mit verschiedenen Wellenvektoren k1 und k2 ergibt wieder eine Lösung, ebenso die Addition zweier Lösungen mit verschiedenen Frequenzen. Man kann zeigen, daß sich durch Superposition solcher Lösungen die allgemeine Lösung ergibt. Wir betrachten nun den Spezialfall n = 1, der sich relativ leicht darstellen läßt. Die allgemeine Lösung lautet u(x, t) = f (x − ct) + g(x + ct) , wobei f, g beliebige Funktionen aus C 2 (R) sind. Denn mit Hilfe der Transformation ξ := x − ct, η := x + ct läßt sich dies schnell beweisen. Sei u eine Lösung der eindimensionalen Wellengleichung. Zweifaches Differenzieren nach t bzw. x ergibt ∂u ∂u ∂ξ ∂u ∂η ∂u ∂u , = + =c − ∂t ∂ξ ∂t ∂η ∂t ∂η ∂ξ 12 Kapitel 1 : Grundlagen 2 ∂2u ∂2u ∂2u 2 ∂ u =c −2 + ∂t2 ∂η 2 ∂ξ∂η ∂ξ 2 bzw. ∂2u ∂2u ∂2u ∂2u = + 2 + . ∂x2 ∂η 2 ∂ξ∂η ∂ξ 2 Setzt man diese Terme in die Wellengleichung ein, so ergibt sich uξη = 0. Dies führt nun zu u(ξ, η) = f (ξ) + g(η) , womit die Behauptung gezeigt ist. Skizze für c = 1: t Wellenfront x x − t = const x + t = const Abbildung 1.7 Verallgemeinerung der Wellengleichung: ρ(x)utt = div(A(x)grad u) − q(x)u + f (x, t) . Durch diese Gleichung wird eine Welle in einem beliebigen Medium modelliert. Die Dichte ρ(x) > 0 ist nun vom Ort abhängig, d.h. das Medium ist inhomogen. Die Anisotropie 13 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele des Mediums geht über die matrixwertige Funktion A(x) in die Gleichung ein. Man kann zeigen, daß A(x) für jeden Wert x positiv definit ist. Die Funktion q(x) ≥ 0 spiegelt eine Dissipation der Energie wieder. Äußere Kräfte kann man über f (x, t) in Abhängigkeit von Zeit und Ort einfügen. Analog kann man die Wärmeleitungsgleichung verallgemeinern und erhält ρ(x)ut = div(A(x)grad u) − q(x)u + f (x, t) . Wie vorher stehen die Dichtefunktion ρ(x) > 0 und die matrixwertige Funktion A(x) für Inhomogenität bzw. Anisotropie des Mediums. Die Funktion q(x) ≥ 0 steht wieder für Dissipationseffekte und f (x, t) für äußere Einwirkungen, wie Wärmezufuhr. 1.1.3.2 Die Laplace- und Poisson-Gleichung Die Laplace-Gleichung ist gegeben durch ∆u = 0. Die Poisson-Gleichung ergibt sich aus der Laplace-Gleichung durch Hinzufügen einer Inhomogenität ∆u = ρ. Die erste Gleichung ist der stationäre Fall der Wellengleichung oder der Wärmeleitungsgleichung. Physikalisch beschreiben die beiden Gleichungen das Potential eines elektrostatischen Feldes mit Ladungsdichte ρ. Nimmt das Innere des betrachteten Mediums das Gebiet Ω ⊂ Rn ein, so kommen auf den Randflächen ∂Ω Dirichlet-Randbedingungen u =ϕ ∂Ω oder Neumann-Randbedingungen mit n als äußerer Einheitsnormalen ∂u =ψ ∂n ∂Ω oder auch Randbedingungen dritter Art in Betracht ( ∂u − γu) ∂Ω = η. ∂n Im ersten Fall wird das Potential z.B. auf der Oberfläche eines Körpers festgelegt. Die zweite Gleichung regelt den Potentialfluß auf der Oberfläche, die letzte verbindet beides. 14 1.1.3.3 Kapitel 1 : Grundlagen Die Helmholtz-Gleichung Setzt man in die Wellengleichung utt = c2 ∆u die Funktion u(x, t) = eiωt u(x) ein, so ergibt sich −ω 2 eiωt u(x) = c2 eiωt ∆u(x). Mit λ := ω2 c2 ergibt sich das Eigenwertproblem −∆u = λu . Als Randbedingungen setzt man u ∂Ω = 0. Man kann zeigen, daß λ > 0 gelten muß. Mit k := Gleichung (∆ + k 2 )u = 0 . 1.1.3.4 ω c ergibt sich nun die Helmholtz- Die Maxwell- und Telegraphengleichungen Die Maxwellgleichungen regeln den Zusammenhang zwischen elektrischem Feld E = (E1 , E2 , E3 ) und magnetischem Feld H = (H1 , H2 , H3 ). Es gilt div D = 4πρ , div B = 0 , 1 ∂B rot E = − , c ∂t 4π 1 ∂D rot H = j+ . c c ∂t Hierbei ist D die elektrische Verschiebungsdichte, B die magnetische Induktion. ρ steht für die elektrische Ladungsdichte, c für die Vakuumlichtgeschwingigkeit und j für die elektrische Stromdichte. Im Vakuum gilt D = E, B = H, j = 0. Für isotrope Medien dagegen gilt D = ǫE, B = µH, j = jext + σE, wobei ǫ die Dielektrizitätskonstante, µ die magnetische Permeabilität, σ die elektrische Leitfähigkeit und jext die externe Stromdichte z.B. durch Diffusion darstellen. Bei anisotropen Medien werden diese Größen teilweise zu Tensoren. Die Telegraphengleichungen sind ein Spezialfall der Maxwell-Gleichungen, nämlich ∂i ∂v +C + Gv = 0 , ∂x ∂t ∂i ∂v + L + Ri = 0 . ∂x ∂t 15 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele Die gesuchten Funktionen v und i stehen für Potential und Stromstärke. Weiter gehen in die Gleichungen der Widerstand R, die Induktion L, die Kapazität C und die Leitfähigkeit G ein. 1.1.3.5 Die Schrödinger-Gleichung Sie ist die fundamentale Gleichung der nichtrelativistischen Quantenmechanik. Sie ist gültig für die Zustandsfunktion ψ(x, t) eines Teilchens der Masse m in einem äußeren Feld mit Potential V (x). Dabei ist ~ das Plancksche Wirkungsquantum. Es gilt i~ ~2 ∂ψ =− ∆ψ + V (x)ψ ∂t 2m Als Anfangsbedingungen setzt man ψ t=0 = ψ0 (x) . Mit dem Schrödinger-Operator H := − ~2 ∆ + V (x) 2m kann man die Lösung formal schreiben i ψ(t, ·) = e ~ tH ψ0 . Mit einem Lösungsansatz (siehe auch 1.1.3.3, Helmholtz-Gleichung) der Form i E eine Konstante, erhält man bzw. e , ψ(t, x) = e− ~ Et ψ(x) i ~2 − i Et e i i e e e ~ ∆ψ(x) + V (x)e− ~ Et ψ(x) =− i~ − E e− ~ Et ψ(x) ~ 2m ~2 e ∆ + V ψe = E ψ. 2m Die stationäre Schrödinger-Gleichung lautet somit − H ψe = E ψe . Ein spezielles Beispiel mit V (x) = |x|2 ist der harmonische Oszillator. 16 1.1.3.6 Kapitel 1 : Grundlagen Die Klein-Gordon-Fock- und die Dirac-Gleichung Die Schrödinger-Gleichung ist nicht invariant unter der Poincare-Gruppe auf dem R4 . (Siehe: L.D. Landau, E.M. Lifschitz: Lehrbuch der theoretischen Physik II, Klassische Feldtheorie.) Betrachte hierzu die Klein-Gordon-Fock-Gleichung (~2 + m2 c4 )ψ = 0 , wobei ∂2 − c2 ∆ . ∂t2 Dabei ist der Wellenoperator oder der d’Alembert-Operator. := Die Klein-Gordon-Fock-Gleichung ist eine Feldgleichung wie die Maxwell-Gleichungen. Mit dem Ansatz i ψ(x, t) = e ~ (Et+px) , wobei p für den Impuls steht, ergibt sich folgende Dispersionsrelation: E 2 = p2 c2 + m2 c4 . Für ein Teilchen in Ruhe (,d.h. p = 0,) gilt E = ±mc2 . Die Klein-Gordon-Fock-Gleichung ∂ ist von zweiter Ordnung in ∂t , und man kann aus dem Zustand zur Zeit t = 0 nicht auf die Eindeutigkeit der Lösung schließen. Diese Nachteile behebt die Dirac-Gleichung. Wir gehen allerdings hier nicht näher darauf ein. 1.1.3.7 Die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen Sei u : C → C eine komplexwertige Funktion mit Realteil ϕ und Imaginärteil ψ. Unter Einbeziehung der Isomorphie C ∼ = R2 ist die Funktion u genau dann im Punkt z = x + iy komplex differenzierbar, wenn die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen erfüllt sind. Somit ergibt sich ϕx (x, y) = ψy (x, y) , ϕy (x, y) = −ψx (x, y) . Eine weitere äquivalente Bedingung ist ∂u = 0, ∂ z̄ wobei z konjugiert komplex zur Variablen z ist. 17 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele 1.1.4 Sachgemäß gestellte Randwertprobleme Das Konzept von Hadamard: Ein Randwertproblem heißt sachgemäß gestellt, wenn i) es eine Lösung besitzt (Existenz), ii) diese Lösung eindeutig ist (Eindeutigkeit), iii) die Lösung stetig von den Daten abhängt (Stabilität). 1.1.4.1 Hadamards Beispiel Gegeben sei die Gleichung mit den Anfangsbedingungen utt + uxx = 0 in R × R+ , u(x, 0) = 0, ut (x, 0) = ϕ(x). t u(x,0) = 0 , ut(x,0) = ϕ(x) Abbildung 1.8: x Gültigkeitsbereich obiger Gleichung Das Problem hat eine eindeutig bestimmte Lösung in C 2 für t ≥ 0, siehe hierzu 1.2. Seien nun speziell die Folgen von Anfangsbedingungen für n ∈ N0 gegeben: un (x, 0) = 0 , (un )t (x, 0) = ne− √ n sin(nx) =: ϕn (x) . 18 Kapitel 1 : Grundlagen Das jeweilige Anfangswertproblem wird durch die folgenden Funktionen für jedes n ∈ N0 gelöst: ( 0, n = 0, √ un (x, t) = e− n sin(nx) sinh(nt), n ∈ N. Dies ergibt sich durch jeweils zweimaliges Differenzieren nach x bzw. t, denn es gilt √ ∂ 2 un 2 − n = sin(nx) sinh(nt)n e ∂t2 und √ ∂ 2 un 2 − n = − sin(nx) sinh(nt)n e . ∂x2 Für große Werte von n wird das Supremum der Anfangswertfunktionen ϕn beliebig klein, d.h. zu jedem ǫ > 0 kann man eine Zahl N(ǫ) ∈ N finden, so daß für alle n > N(ǫ) der Wert supx |ϕn (x)| < ǫ gilt. Andererseits wird für jedes t0 > 0 für große n der Wert des Supremums von |un ( . , t0)| beliebig groß, d.h. lim sup |un (x, t0 )| = ∞ , n→∞ x denn sup |un (x, t0 )| = e− x √ √ = e n sinh(nt0 ) = e− √ n( nt0 −1) − e− 2 √ √ n ent0 − e−nt0 2 √ n( nt0 +1) −→ ∞ , für n → ∞. Es ist auch kein Ausweg, von den Daten, hier also den Funktionen ϕn , Beschränktheit der höheren Ableitungen zu fordern, d.h. das Problem in einer stärkeren Topologie zu betrachten. Denn auch dieses Kriterium ist hier erfüllt. Zu jedem ǫ > 0 und auch zu jedem m ≥ 0 kann man ein N(ǫ, m) ∈ N finden, so daß für alle n ≥ N(ǫ, m) gilt, X X √ |ϕ(j) (x)| ≤ nj+1 e− n < ǫ. sup n x j≤m j≤m Man kann also die Anfangswertfunktionen “beliebig nahe an Null” wählen, ohne daß die Lösungsfunktion selbst zumindest in einer Umgebung von t = 0 ebenfalls “in der Nähe der Null” liegt. Es handelt sich um ein instabiles, schlecht gestelltes Problem. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz: i) Die Struktur einer Differentialgleichung muß bei der Festlegung der Randwerte beachtet werden. 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele 19 ii) Die Funktionenräume, in denen das Problem gestellt ist, entscheiden über die Sachgemäßheit. Definition 1.1.1. Gegeben sei ein Randwertproblem, zusammen mit den Lösungsräumen U ⊂ V und dem Datenraum F . Dabei seien U, V , F topologische Vektorräume, die Einbettung U ֒→ V sei stetig und die durch V auf U induzierte Topologie stimme mit der Topologie auf U überein. Das Randwertproblem heißt sachgemäß gestellt, wenn zu jedem Datensatz f ∈ F eine Lösung u ∈ U des Randwertproblems existiert, diese in U eindeutig bestimmt ist und als Element von V stetig von den Daten f ∈ F abhängt. 1.1.4.2 Das Cauchy-Problem für die eindimensionale Wellengleichung Gegeben sei das Anfangswertproblem utt = c2 uxx x ∈ R, 0 ≤ t ≤ T , u t=0 = ϕ(x), ut t=0 = ψ(x), wobei die Funktion ϕ ∈ C 2 (R) und die Funktion ψ ∈ C 1 (R) ist. Die allgemeine Lösung ist gemäß (1.1.3.1) gegeben durch u(x, t) = f (x − ct) + g(x + ct) , mit beliebigen Funktionen f, g ∈ C 2 (R). Wir leiten nun mit Hilfe der Anfangsbedingungen u (ξ, 0) = f (ξ) + g (ξ) = ϕ(ξ) , ut (ξ, 0) = −cf ′ (ξ) + cg ′(ξ) = ψ(ξ) . die Lösung des Problems her. Differenziert man die erste Gleichung einmal und multipliziert sie mit c, so ergibt sich cf ′ (ξ) + cg ′ (ξ) = cϕ′ (ξ) . Addition der beiden letzten Gleichungen führt zu g ′ (ξ) = 1 1 ψ(ξ) + ϕ′ (ξ) . 2c 2 Es folgt 1 g(ξ) = 2c Zξ 0 1 1 ψ(η)dη+ ϕ(ξ)− ϕ(0) + K1 . 2 2 20 Kapitel 1 : Grundlagen Dann erhält man 1 f (ξ) = − 2c Zξ 1 1 ψ(η)dη+ ϕ(ξ)+ ϕ(0) − K2 . 2 2 0 Für die Lösung u folgt 1 1 u(x, t) = (ϕ(x − ct) + ϕ(x + ct)) + 2 2c x+ct Z ψ(ξ)dξ . (1.14) x−ct Das Abhängigkeitsgebiet des Punktes (x0 , t0 ) ist auf der folgenden Abbildung skizziert: t ( x0 ; t 0 ) x − ct = x0 − ct0 x0 − ct0 x + ct = x0 + ct0 ( x0 ; 0 ) x0 + ct0 x Abbildung 1.9 Der Einflußbereich des Punktes (x0 , 0): t x − ct = x0 x + ct = x0 ( x0 ; 0 ) Abbildung 1.10 Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung ist sachgemäß gestellt. x 21 1.1. Grundlegende Definitionen und Beispiele Setze als Datenraum und als Lösungsraum mit der Norm F := Cbk (R) × Cbk−1(R), k ≥ 2, U := V := Cbk (R × [0, T ]) kvkCbK (R×[0,T ]) := X |α|≤k sup (x,t)∈R×[0,T ] |D αv(x)|. Mit ϕ ∈ Cbk (R), ψ ∈ Cbk−1(R) folgt aus (1.14) u ∈ Cbk (R × [0, T ]) für k ≥ 2, und es gibt eine Konstante C > 0 mit kukCbk (R×[0,T ]) ≤ C kϕkCbk (R) + kψkC k−1 (R) . b Somit hängt u stetig von ϕ und ψ ab - es sind also alle drei Kriterien erfüllt. Bemerkung. Für V kann man auch jeden anderen Raum wählen, in den sich Cbk (R×[0, T ]) stetig einbetten läßt, z.B. Cbl (R, [0, T ]), l ≤ k . Ob ein Problem sachgemäß gestellt ist, hängt also von dem Daten- bzw. den Lösungsräumen ab. Bei Hadamards Beispiel kommt kein Cbk -Raum in Frage. Aber auch hier gibt es Räume, in denen das Problem sachgemäß gestellt ist. Sei Z der Raum der Fouriertransformierten von unendlich oft differenzierbaren Funktionen mit kompaktem Träger. Setzt man den Datenraum F := Z, die Lösungsräume U := V := C 2 (Z, [0, T ]), so ist das Problem sachgemäß gestellt. 1.1.4.3 Das Dirichlet-Problem für die Laplace-Gleichung Sei Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit glattem Rand ∂Ω. Man betrachtet in Ω das Randwertproblem ∆u = 0 , u ∂Ω = ϕ . In den folgenden Kapiteln wird bei der Wahl F := C(∂Ω) als Datenraum sowie U := V := C 2 (Ω) ∩ C(Ω) als Lösungsraum gezeigt, daß dieses Problem eine Lösung besitzt. Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit folgen aus dem Maximumprinzip. 1.1.4.4 Das Cauchy-Problem für die Wärmeleitungsgleichung Gegeben sei das Randwertproblem ut = a2 ∆u, in Rn , t ∈ [0, T ] , in Rn . u t=0 = ϕ, 22 Kapitel 1 : Grundlagen Um ein sachgemäß gestelltes Problem zu erhalten, insbesondere die Eindeutigkeit der Lösung zu garantieren, sind Bedingungen an u für |x| → ∞ erforderlich, z.B. F := Cb (Rn ), U := V := C ∞ (Rn × [0, T ]) ∩ Cb (Rn × [0, T ]) . Die Lösung ist dann durch die Poissonformel gegeben, Z √ −n −|x−y|2 e 4a2 t ϕ(y)dy . u(x, t) = (2a πt) (1.15) (1.16) Rn Darauf wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen. 1.2 1.2.1 Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja Das Cauchysche Anfangswertproblem Wir betrachten zunächst die gewöhnliche Differentialgleichung bzw. das Anfangswertproblem du = f (t, u), u(t0 ) = u0 . dt Ein erster Existenz- und Eindeutigkeitsbeweis wurde von Cauchy geführt, und zwar unter der Bedingung, daß f analytisch in einer Umgebung von (t0 , u0) ist. Satz 1.2.1. Das obige Problem hat genau eine Lösung, und diese ist analytisch in einer Umgebung von t0 . Beweis. 1. Schritt: Man setzt u formal als Potenzreihe an. Falls die Behauptung des Theorems stimmt, muß u sich in einer Umgebung des Anfangspunktes (t0 , u0 ) so entwickeln lassen. Die Koeffizienten ergeben sich formal aus der Anfangsbedingung und der Differentialgleichung. Dazu machen wir folgenden Ansatz: u(t) = ∞ X j=0 mit aj (t − t0 )j , 1 u(t0 ) = u0 , 0! 1 a1 = u′ (t0 ) = f t=t0 , 1! u=u0 1 1 ′′ a2 = u (t0 ) = (ft + fu f ) t=t0 , 2! 2 u=u0 .. . a0 = 23 1.2. Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja Kann man die Konvergenz dieser Reihe nachweisen, so ist sowohl die Existenz als auch die Eindeutigkeit der Lösung gezeigt. 2. Schritt: Man kann eine gewöhnliche Differentialgleichung konstruieren v ′ = F (t, v), v(t0 ) = u0 , (1.17) deren Lösung v in einer Umgebung von t0 analytisch ist, ∞ X v(t) = j=0 Aj (t − t0 )j und deren Koeffizienten AjPdie Terme aj aus dem ersten Schritt majorisieren. Hiermit ist j die Konvergenz der Reihe ∞ j=0 aj (t − t0 ) gezeigt. a) Konstruktion von F: Wir konstruieren nun die rechte Seite der Gleichung (1.17). Nach Voraussetzung kann man f in einer Umgebung von (t0 , u0) in eine Potenzreihe entwickeln f (t, u) = ∞ X i,j=0 bij (t − t0 )i (u − u0 )j . Wählt man einen Punkt (t̃, ũ) aus dem Konvergenzbereich von f , so konvergiert ∞ X i,ji=0 bij (t̃ − t0 )i (ũ − u0 )j absolut und gleichmäßig. Daher gibt es eine Konstante M > 0, so daß für alle i, j ∈ N0 |bij ||t̃ − t0 |i |ũ − u0 |j ≤ M gilt. Mit r := min{|t̃ − t0 | , |ũ − u0 |} folgt für alle i, j ∈ N0 |bij | ≤ M Setze nun F (t, v) := M 1 1 ri rj 1 1 . t−t0 0 1 − r 1 − v−u r Für (t, v) ∈ (t0 − r, t0 + r) × (u0 − r, u0 + r) gilt dann: F (t, v) = ∞ X i,j=0 Bij (t − t0 )i (v − u0 )j mit Bij := M r1i r1j . Nach der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen (Separation der Variablen) existiert eine in einer Umgebung von t0 unendlich oft differenzierbare Lösung v des Anfangswertproblems (1.17). Es sei ∞ X Aj (t − t0 )j . v(t) = j=0 24 b) Kapitel 1 : Grundlagen Für alle j ∈ N gilt nun |aj | ≤ |Aj | |a0 | = |u(t0 )| = |v(t0 )| = |A0 | , ∞ X 1 ′ bij (t0 − t0 )i (u0 − u0 )j | = |b00 | ≤ B00 = F (t0 , v(t0 )) |a1 | = |u (t0 )| = |f (t0 , u(t0 ))| =| 1! i,j=0 = v ′ (t0 ) = A1 , 1 1 d |a2 | = |u′′ (t0 )| = | f (t, u(t)) t=t0 | 2! 2! dt ∞ d d 1X bij [(u(t) − u0 )j (t − t0 )i t=t0 +(t − t0 )i (u(t) − u0 )j t=t0 ]| = | 2 i,j=0 dt dt 1 1 1d 1 F (t, v(t)) t=t0 = |b10 + b01 a1 | ≤ (|b10 | + |b01 ||a1 |) ≤ (B10 + B01 A1 ) = 2 2 2 2 dt 1 ′′ = v (t0 ) = A2 . 2 Auf diese Weise kann man induktiv |aj | ≤ |Aj | für alle Mit Hilfe des P j ∈ N beweisen. i a (t − t ) in einer Umgebung Majorantenkriteriums folgt die Konvergenz der Reihe ∞ 0 j=0 j von t0 . Das Ausgangsproblem hat also lokal eine eindeutig bestimmte Lösung. Die Vorgehensweise kann man nun prinzipiell auch auf bestimmte Anfangswertprobleme partieller Differentialgleichungen übertragen. Sei ein System partieller Differentialgleichungen folgender Art gegeben: ∂ ni u i ∂ui ∂ ni −1 ui ∂ui = f (t, y, u , , . . . , , Dα ), i i n n −1 i i ∂t ∂t ∂t ∂y (1.18) wobei α ein Multiindex ist mit 0 ≤ |α| ≤ ni − 1 und 1 ≤ i ≤ m. Ferner stehe y für den Vektor (y1 , . . . , yn ) und die Funktion u für (u1, . . . , un ). Die Funktionen fi hängen jeweils ∂ nj u nur von den Ableitungen der Funktionen uj bis zur Ordnung nj , nicht aber von ∂tnj j ab. Weiter werden die Funktionen fi als analytisch in allen ihren Argumenten vorausgesetzt (evtl. nur in einem Teilgebiet). Wir formulieren nun das Cauchy-Problem: Gesucht ist eine Lösung (u1 , . . . , um ) von (1.18), die zusätzlich folgenden Anfangswerten genügt: ∂k u(0, y) = ϕik (y) 0 ≤ k ≤ ni − 1, 1 ≤ i ≤ m. (1.19) ∂tk Die Anfangswertfunktionen ϕik werden ebenfalls in einer Umgebung des Punktes y = 0 als analytisch in allen Argumenten (y1 , . . . , yn ) vorausgesetzt. Bemerkung. Gegenüber der gewöhnlichen Differentialgleichung zu Beginn setzen wir o.B.d.A. t0 = 0 sowie u0 = 0 voraus. Gilt dies nicht, so setzen wir u∗ (t) := u(t − t0 ) − u0 . 25 1.2. Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja Satz 1.2.2. (Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja) Das Cauchysche Anfangswertproblem (1.18), (1.19) hat unter den getroffenen Voraussetzungen genau eine Lösung, und diese ist analytisch in einer Umgebung von (t, x) = (0, 0). Beweis. Der Übersichtlichkeit halber führen wir den Beweis für ein quasilineares System 1. Ordnung für eine Funktion u = (u1 , . . . , um ) = u(x, y), die nur von den zwei Variablen (x, y) abhängt. Wir betrachten also m ∂uk ∂ui X = Gik (u1 , . . . , um ) , ∂x ∂y k=1 1 ≤ i ≤ m, (1.20) mit den Anfangsbedingungen ui (0, y) = ϕi (y), 1 ≤ i ≤ m. (1.21) Hierbei seien die Funktionen Gik analytisch in einer Umgebung von (u01 , . . . , u0m ) = (0, . . . , 0) und ϕi analytisch in einer Umgebung von y 0 = 0. Satz 1.2.2 reduziert sich damit auf die Behauptung, daß (1.20) genau eine Lösung besitzt, die in einer Umgebung von (x, y) = (0, 0) analytisch ist und die Anfangswerte (1.21) annimmt. Der Beweis verläuft nun analog dem von Satz 1.2.1. In einer Umgebung von (x, y) = (0, 0) kann man die Funktionen ϕi und Gik in Potenzreihen entwickeln, d.h. ∞ X ϕi (y) = aiν y ν , für |y| ≤ ρ , ν=1 Gik (u1 , . . . , um ) = ∞ X ν1 ν2 νm bik ν1 ,...,νm u1 u2 . . . um , ν1 ,...,νm =0 |ui| ≤ r. Es gilt wegen ϕi (0) = 0, also ai0 = 0 für 1 ≤ i ≤ m. Es ist zu zeigen, daß (1.20), (1.21) eine Lösung der Form ui (x, y) = ∞ X ciλ,κ xλ y κ, λ,κ=0 1 ≤ i ≤ m, (1.22) mit geeignetem Konvergenzbereich um (0, 0) besitzt. Eindeutigkeit: Es gilt ciλ,κ = Aus (1.21) folgt 1 ∂ λ+κ , u (x, y) i λ!κ! ∂xλ ∂y κ (x,y)=(0,0) ci0,0 = ui (0, 0) = ϕi (0) = 0, λ, κ ∈ N0 , 1 ≤ i ≤ m . 1 ≤ i ≤ m. Ferner lassen sich auch alle Ableitungen von ui nach y an der Stelle (0, 0) aus (1.21) berechnen. Die Differentialgleichung (1.20) ergibt dann alle fehlenden Ableitungen von ui an 26 Kapitel 1 : Grundlagen der Stelle (0, 0). Die Eindeutigkeit dieser Berechnungen ergibt die Eindeutigkeit der Lösung. Existenz: Hierzu muß die Konvergenz der Potenzreihe (1.22) nachgewiesen werden. 1. Schritt: Struktur der Koeffizienten ciλ,κ : Für 1 ≤ i ≤ m gilt: ci0,0 = ai0 , m X ∂uk 1 ∂ Gik (u1 , . . . , um ) ui = = 1! ∂x ∂y (0,0) (0,0) k=1 m ∞ ∞ X X X ν1 ν2 νm ik = bν1 ,...,νm u1 u2 . . . um νakν y ν−1 ci1,0 = k=1 ν1 ,...,νm =0 ci2,0 (0,0) ν=0 1 ∂ 1 ∂ = u = i 2 2! ∂x 2! ∂x (0,0) 2 m X ∞ X ν1 νm bik ν1 ,...,νm u1 . . . um k=1 ν1 ,...,νm =0 = m X k=1 k bik 0,...,0 · a1 , ∂uk . ∂y (0,0) Allgemein ergibt sich die folgende Struktur der Koeffizienten: i ciλ,κ = Pλ,κ (ajν , bjs ν1 ,...,νm ), i wobei Pλ,κ ein Polynom in den Größen ajν , bjs ν1 ,...,νm , 1 ≤ j, s ≤ m, ν, ν1 , . . . , νm ∈ N0 , mit nichtnegativen Koeffizienten ist. 2. Schritt: Einführung einer Majorante. Man betrachte ein Anfangswertproblem der Form: m ∂vk ∂vi X = Kik (v1 , . . . , vm ) , ∂x ∂y k=1 1 ≤ i ≤ m. vi (0, y) = ψi (y), Die Funktionen Kik , ψi seien analytisch, d.h. Kik (v1 , . . . , vm ) = ψi (y) = ∞ X 1 ≤ i ≤ m, νm Bνik1 ,...,νm v1ν1 . . . vm , ν1 ,...,νm =0 ∞ X Aiν y ν ν=0 . Für die noch zu bestimmenden Koeffizienten Aiν , Bνik1 ,...,νm gelte |aiν | ≤ Aiν ik |bik ν1 ,...,νm | ≤ Bν1 ,...,νm . sowie (1.23) Setzt man für die Lösungsfunktionen vi des Systems von partiellen Differentialgleichungen formal wieder eine Potenzreihe X i vi (x, y) = Cλ,κ xλ y κ (1.24) λ,κ 27 1.2. Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja i an, so kann man die Koeffizienten Cλ,κ ganz analog zu den Koeffizienten ciλ,κ berechnen (siehe 1. Schritt). Es ergibt sich i i Cλ,κ = Pλ,κ (Aiν , Bνjs1 ,...,νm ) . i i Pλ,κ ist das gleiche Polynom wie das Polynom bei der Berechnung der Koeffizienten Cλ,κ . i Wegen der Nichtnegativität der Koeffizienten Pλ,κ ergibt sich i Cλ,κ ≥ ciλ,κ (1.25) Konvergieren die Potenzreihen (1.24), so sind sie Majoranten der Potenzreihen. 3. Schritt: Konvergenz der Majorante. Seien ρ ∈ R+ \ {0} bzw. r ∈ R+ \ {0} kleiner als die Konvergenzradien der Reihen ϕi (y) = ∞ X aiν y i, 1 ≤ i ≤ m, ν=1 bzw. ∞ X Gik (u1 , . . . , um ) = ν1 νm bik ν1 ,...,νm u1 . . . um , ν1 ,...,νm =0 (1.26) 1 ≤ i, k ≤ m . Wie im 2. Schritt, Teil a) des Beweises von Satz 1.2.1, gibt es eine Konstante M > 0, so daß für alle 1 ≤ i ≤ m, ν ∈ N, M |aiν | ≤ ν ρ gilt sowie für alle 1 ≤ i, k ≤ m, ν1 , . . . , νm ∈ N0 , |bik ν1 ,...,νm | ≤ O.B.d.A. kann man M > Beweises. Setzt man Aiν := M , ρν r m M r ν1 +...+νm . wählen. Die Motivation hierfür ergibt sich im Laufe des so ergibt sich für |y| < ρ ψi (y) = ∞ X ν=0 Aiν y ν ∞ X Mρ y ν = , =M ρ ρ−y ν=0 1 ≤ i ≤ m. Für die Konstruktion der Funktionen Kik setzt man Bνik1 ,...,νm := M r ν1 +...+νm (ν1 + . . . + νm )! . ν1 ! . . . νm ! Wegen (1.25), (1.26) erfüllen die Koeffizienten Aiν , Bνik1 ,...,νm die Forderung (1.23). 28 Kapitel 1 : Grundlagen Für den Bereich |v1 | + . . . + |vm | < r kann man die Funktionen Kik angeben. Es gilt Kik (v1 , . . . , vm ) = ∞ X νm Bνik1 ,...,νm v1ν1 . . . vm = ν1 ,...,νm =0 ∞ X =M ν1 ,...,νm =0 =M 1 1− vm νm (ν1 + . . . + νm )! v1 ν1 ··· = r r ν1 ! . . . νm ! v1 +...+vm r 1 ≤ i, k ≤ m . , Mit diesen Vorgaben erhalten wir nun das Anfangswertproblem m X ∂vi ∂vk M = , v1 +...+vm ∂x ∂y 1− r k=1 vi (0, y) = Mρ , ρ−y 1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ i ≤ m. Da die rechten Seiten jeweils nicht von i abhängen, kann man den Ansatz vi (x, y) ≡ v(x, y) für alle 1 ≤ i ≤ m machen. Das Anfangswertproblem reduziert sich somit auf ∂v mM ∂v = ∂x 1 − mr v ∂y bzw. (1 − m v)vx r − mMvy = 0 , mit den Anfangsbedingungen v(0, y) ≡ v0 (y) := Mρ . ρ−y Dieses Problem muß nun gelöst werden. Hierzu betrachten wir die etwas allgemeinere Differentialgleichung α(v)vx + β(v)vy = 0 . (1.27) Setzt man α(v) := 1 − mr v und β(v) := −mM, so ergibt sich unser ursprüngliches Problem. Die Differentialgleichung (1.27) besitzt die durch α(v)y − β(v)x = w(v) (1.28) implizit gegebene Lösungsmannigfaltigkeit mit einer beliebigen Funktion w ∈ C 1 . Es gilt nämlich: Differenziert man nach x bzw. nach y, so ergibt sich und α′ (v)vx y − β ′(v)vx x − β(v) = w ′(v)vx α′ (v)vy y + α(v) − β ′ (v)vy x = w ′(v)vy 29 1.2. Der Satz von Cauchy-Kovalewskaja Multipliziert man die erste Gleichung mit α, die zweite mit β und addiert dann die beiden Gleichungen, so folgt α′ y(αvx + βvy ) − β ′ x(αvx + βvy ) = w ′ (αvx + βvy ). Mit (1.27) folgt die Behauptung. Bezieht man Anfangsbedingungen der Form v(0, y) = ϕ(y) in die Überlegungen ein, so ergibt sich mit (1.28) w(ϕ) = w(v(0, y)) = α(v(0, y)) · y − β(v(0, y)) · 0 = α(ϕ)y. Besitzt ϕ die Umkehrfunktion χ und setzt man diese ein, so ergibt sich w(ϕ) = α(ϕ)χ(ϕ) . Einsetzen in (1.28) bewirkt α(v)y − β(v)x = α(v)χ(v) oder β(v) v(x, y) = ϕ y − x . α(v) Anwenden dieser Formel auf das Anfangswertproblem ergibt v = Mρ 1 . mM ρ − y − 1− · x m v v Man kann dies in eine quadratische Gleichung umformen und erhält m ρ m 1 − v (v − M) . (1 − v)y + mMx = r v r Wegen mr < M bzw. mr M > 1 gibt es eine Lösung hiervon, die den Anfangsbedingungen Mρ v(0, y) = ρ−y , insbesondere v(0, 0) = M genügt. Aus (1 − mr v(0, 0))(v(0, 0) − M) = 0 folgt ferner, daß an der Stelle (0, 0) die Diskriminante der quadratischen Gleichung positiv ist. Dies gilt dann aber auch für eine Umgebung von (0, 0). Deswegen läßt sich die Wurzel dort in eine Potenzreihe entwickeln. Man kann allerdings die Lösung auch explizit angeben. v(x, y) = M 1− 1 2 rx ρ h 2 i1 y y rx 2 r rM + mr 1− yρ + M 1− rx − 1− 1− − 4 ρ m ρ m ρ ρ 1− yρ . 30 1.2.2 Kapitel 1 : Grundlagen Beispiel zur Nichtexistenz einer analytischen Lösung Gegeben sei die Wärmeleitungsgleichung: x ∈ (−1, 1), ut = uxx , u(x, 0) = 1 , 1−x t > 0, (1.29) x ∈ (−1, 1). Diese Gleichung ist nicht vom Cauchy-Kovalewskaja-Typ! Anfangs- und Koeffizientenfunktionen sind zwar analytisch, aber der Grad der Ableitung nach t auf der linken Seite ist um eins zu niedrig bzw. der Grad der Ableitung nach x auf der rechten Seite um eins zu hoch. Beweis der Nichtexistenz einer analytischen Lösung Wir machen für die Lösung den formalen Ansatz d2 d2 u(x, t) = et dx2 u(x, 0) = et dx2 (1 + x + x2 + . . .) , denn Einsetzen ergibt d2 t d22 2 dx (1 + x + x + . . .) = uxx (x, t) . ut (x, t) = 2 e dx u(0, t) = X ∞ ν=0 1 ν d2ν 2 (1 + x + x + . . .) t ν! dx2ν x=0 = (1 + x + x2 + . . .) 1 + t(2 + 6x + 12x2 + . . .) 1! 1 + t(4! + Ausdrücke in x) 2! 1 + t(6! + Ausdrücke in x) 3! .. . ∞ X 1 ν = t (2ν)! ν! ν=0 Die Reihe divergiert aber für jedes t 6= 0. Somit hat das Cauchy-Problem (1.29) keine analytische Lösung in der Umgebung von (0, 0). 31 1.3. Klassifizierung und Systematik 1.3 1.3.1 Klassifizierung und Systematik Differentialgleichungen und ihre Reduktion auf kanonische Form in einem Punkt Wir kennen drei grundlegende Typen linearer partieller Differentialgleichungen 2. Ordnung. Es handelt sich dabei um i) elliptische Differentialgleichungen z.B. die Laplace-Gleichung ∆u = 0 ii) parabolische Differentialgleichungen z.B. die Wärmeleitungs-Gleichung ut − ∆u = 0 iii) hyperbolische Differentialgleichungen z.B. die Wellengleichung utt − ∆u = 0 Wie in den vorangegangenen Paragraphen steht ∆ für den Laplace-Operator im Rn , n X ∂2 . ∆ := 2 ∂x j j=1 Wir betrachten nun die allgemeine lineare partielle Differentialgleichung 2. Ordnung n X n X ∂2u ∂u aij (x) + bj (x) + c(x)u = 0 . ∂xi ∂xj j=1 ∂xj i,j=1 (1.30) Wir setzen die Koeffizientenfunktionen aij als reell und symmetrisch in i, j voraus, d.h. aij = aji und ordnen der Differentialgleichung (1.30) die quadratische Form Q zu: Q(x, ξ) := n X aij (x)ξi ξj = ξ T A(x)ξ , (1.31) i,j=1 mit der Matrixfunktion A(x) := (aij (x))i,j . Hält man x ∈ Rn fest, so sind der Rang von Q(x, ξ) und die Anzahl der positiven und negativen Elemente in der kanonischen Form von Q(x, ξ) invariant. Dies ermöglicht eine Klassifizierung der verschiedenen Differentialgleichungen. Definition 1.3.1. i) Die Differentialgleichung (1.30) heißt elliptisch in dem Punkt x, wenn die kanonische Form der gemäß (1.31) zugeordneten quadratischen Form Q(x, ξ) entweder n positive oder n negative Koeffizienten hat, d.h. die zugehörige Matrix A(x) entweder positiv oder negativ definit ist. ii) Die Differentialgleichung (1.30) heißt hyperbolisch im Punkt x, wenn die gemäß (1.31) zugeordnete Matrix A(x) den Rang n hat und die kanonische Form der quadratischen Form Q(x, ξ) (n − 1) positive und einen negativen Koeffizienten besitzt (evtl. nach einem Vorzeichenwechsel). 32 Kapitel 1 : Grundlagen iii) Die Differentialgleichung (1.30) heißt parabolisch im Punkt x, wenn die gemäß (1.31) zugeordnete Matrix A(x) den Rang n − 1 hat und die Vorzeichen der Koeffizienten in der kanonische Form von Q(x, ξ) alle gleich sind, d.h. es gibt entweder n − 1 negative oder n − 1 positive Koeffizienten. Gelten die Bedingungen i),ii) oder iii) für alle x aus dem betrachteten Gebiet, so nennt man die Differentialgleichung elliptisch, hyperbolisch oder parabolisch. Anmerkung: Für parabolische Differentialgleichungen spielen die Ableitungen 1. Ordnung ein wichtige Rolle. Wir werden später strengere Forderungen an die Parabolizität stellen. Die Charakterisierung bzw. Klasseneinteilung von (1.31) läßt sich natürlich auch über die Eigenwerte von A an der Stelle x ausdrücken. Hat A(x) n positive oder n negative Eigenwerte, so ist die zugehörige Differentialgleichung elliptisch im Punkt x. Bei n − 1 positiven und einem negativen Eigenwert oder umgekehrt folgt Hyperbolizität im Punkt x. Parabolisch im Punkt x ist die Differentialgleichung, wenn (n − 1) positive oder (n − 1) negative Eigenwerte vorliegen und der verbleibende Eigenwert verschwindet. Eine gewisse Rolle spielen auch noch die ultrahyperbolischen Differentialgleichungen: Ist der Rang der gemäß (1.31) zugeordneten quadratischen Form gleich n und besitzt deren kanonische Form p positive und q negative Koeffizienten mit p ≥ 2 und q = n − p ≥ 2, so heißt die Differentialgleichung ultrahyperbolisch. Bemerkung. Dies ist keine vollständige Klassifizierung, es werden aber doch die wichtigsten Fälle abgedeckt. Wichtige Differentialgleichungen der mathematischen Physik sind auch vom gemischten Typ, d.h. ihr Typ wechselt innerhalb des betrachteten Gebietes. Ein Beispiel hierfür ist die Tricomi-Gleichung yuxx + uyy = 0, (x, y) ∈ R2 . Diese Gleichung beschreibt die Bewegung eines Körpers in einem Gas mit einer Geschwindigkeit nahe der Schallgeschwindigkeit. Für y > 0 ist sie elliptisch, für y < 0 hyperbolisch. In dem Bereich y > 0 wird eine Unterschallbewegung modelliert, in dem Bereich y < 0 eine Überschallbewegung. 1.3.2 Charakteristiken einer Gleichung zweiter Ordnung; Reduktion einer Gleichung zweiter Ordnung in zwei unabhängigen Variablen auf kanonische Form Definition 1.3.2. Eine Hyperfläche T im Rn , d.h. eine Untermannigfaltigkeit der Codimension 1, deren Normalenvektor ξ = (ξ1 , . . . , ξn ) in jedem x ∈ T der Bedingung n X aij (x)ξi ξj = 0 (1.32) i,j=1 33 1.3. Klassifizierung und Systematik genügt, heißt Charakteristik der Differentialgleichung (1.30). Wir betrachten nun den Spezialfall n=2. Die Differentialgleichung (1.30) hat die Form auxx + 2buxy + cuyy + . . . = 0 (1.33) mit a = a(x, y), b = b(x, y), c = c(x, y) und (x, y) ∈ Ω ⊂ Rn . Die quadratische Form gemäß (1.31) ist gegeben durch Q(x, y; ξ1, ξ2 ) = a(x, y)ξ12 + 2b(x, y)ξ1 ξ2 + c(x, y)ξ22. (1.34) Die dazugehörige Matrix lautet: A(x, y) = a(x, y) b(x, y) . b(x, y) c(x, y) Gilt b2 − ac < 0, so ist die Differentialgleichung (1.33) elliptisch, für den Fall b2 − ac > 0 hyperbolisch und für b2 − ac = 0 parabolisch. Im R2 beschreiben die Charakteristiken Kurven y = y(x), die ausgezeichnet werden durch ∂y , −1) oder (dy, −dx). Setzt man ξ in (1.34) bzw. einen Normalenvektor ξ = (ξ1 , ξ2) = ( ∂x (1.32) ein, so erhält man a(x, y) bzw. ∂y 2 ∂x − 2b(x, y) ∂y + c(x, y) = 0 ∂x ady 2 − 2bdxdy + cdx2 = 0 . (1.35) dy auflösen. Es Besitzt a in dem betrachteten Gebiet keine Nullstelle, so kann man nach dx gilt √ b ± b2 − ac dy = . dx a Ist die Differentialgleichung (1.33) elliptisch, so gibt es zwei konjugiert komplexe Charakteristiken, für den hyperbolischen Fall zwei reelle und im parabolischen Fall nur eine Charakteristik. Gleichung (1.35) läßt sich auch als “Produkt” schreiben √ √ 1 1 (dy − (+b − b2 − ac)dx)(dy − (+b + b2 − ac)dx) = 0. a a Wir werden nun nacheinander den hyperbolischen, den parabolischen und den elliptischen Fall betrachten. Der hyperbolische Fall: b2 − ac > 0. Man hat zwei Pfaffsche Formen ady − (+b − √ b2 − ac)dx = 0 34 Kapitel 1 : Grundlagen sowie ady − (+b + √ b2 − ac)dx = 0. Hierbei wurde natürlich wie vorher a ohne Nullstellen in dem betrachteten Gebiet Ω vorausgesetzt. Man hat also durch jeden Punkt (x0 , y0 ) ∈ Ω genau zwei Charakteristiken, die lokal durch ϕ1 (x, y) = c1 bzw. ϕ2 (x, y) = c2 beschrieben werden. Die Differentiale dϕ1 , dϕ2 sind an jeder Stelle linear unabhängig. φ1 = c1 φ2 = c2 Abbildung 1.11 Zur Erinnerung: Bei der eindimensionalen Wellengleichung utt − c2 uxx = 0, siehe Abschnitt 1.1.3.1, hat man die Charakteristiken ϕ1 (x, t) := x − ct sowie ϕ2 (x, t) := x + ct. Die Transformation ξ := ϕ1 und η := ϕ2 führte auf die Form uξη = 0. Die Funktionen ϕ1 , ϕ2 sind erste Integrale der gewöhnlichen Differentialgleichungen √ b ± b2 − ac ′ . y = a 35 1.3. Klassifizierung und Systematik Wir führen die neuen unabhängigen Variablen ein z := ϕ1 (x, y), w := ϕ2 (x, y) . Nun transformiert man die Ausgangsdifferentialgleichung (1.33) auf die neuen Koordinaten z und w: # " ∂z 2 ∂z ∂z ∂ 2 u ∂z 2 a +c + 2b ∂z 2 ∂x ∂x ∂y ∂y " # ∂2u ∂z ∂w ∂z ∂w ∂z ∂w ∂z ∂w +2 a +b +b +c ∂z∂w ∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂x ∂y ∂y # " ∂w 2 ∂w ∂w ∂ 2 u ∂w 2 + ... = 0. +c + 2b + 2 a ∂w ∂x ∂x ∂y ∂y Nach der Definition von ϕ1 , ϕ2 verschwinden die Koeffizienten von ∂2u Division durch den Koeffizienten von ∂z∂w erhält man die Form ∂2u ∂z 2 uzw + . . . = 0. und ∂2u . ∂w 2 Nach (1.36) Mit p := z + w und q := z − w erhält man upp − uqq + . . . = 0 eine Reduktion auf Normalenform in dem betrachteten Gebiet Ω. Der parabolische Fall: b2 − ac = 0. Man hat nur eine Pfaffsche Form ady − 2bdx = 0 mit genau einer reellen Charakteristik ϕ(x, y) = c, dϕ 6= 0 (lineare Unabhängigkeit!). Man führt nun wie bei dem hyperbolischen Fall neue Koordinaten ein: z := ϕ(x, y), w := ψ(x, y), wobei ψ beliebig gewählt ist, allerdings so daß die Differentiale dψ, dϕ linear unabhängig sind. Wie bei dem hyperbolischen Fall transformiert man nun die Ausgangsdifferentialgleichung auf die neuen Koordinaten z und w: # " ∂z 2 ∂z ∂z ∂ 2 u ∂z 2 a + 2b +c ∂z 2 ∂x ∂x ∂y ∂y " # ∂2u ∂z ∂w ∂z ∂w ∂z ∂w ∂z ∂w + a +b +b +c ∂z∂w ∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂x ∂y ∂y " # ∂w 2 ∂w ∂w ∂ 2 u ∂w 2 + ... = 0 +c + 2b + 2 a ∂w ∂x ∂x ∂y ∂y 36 Kapitel 1 : Grundlagen 2 2 ∂ u Der Koeffizient von ∂∂zu2 verschwindet nach der Definition von z. Der Koeffizient von ∂w 2 darf wegen der linearen Unabhängigkeit von dϕ, dψ nicht verschwinden. Die noch vorhan∂2u dene Freiheit bei der Wahl von ψ kann man dazu benützen, den Koeffizienten von ∂z∂w verschwinden zu lassen. ∂2u Nach Division durch den Koeffizienten von ∂w 2 gilt uww + . . . = 0. (1.37) Der elliptische Fall: b2 − ac < 0. In diesem Fall hat man zwei Pfaffsche Formen √ ady − (b − i ac − b2 )dx = 0 , √ ady − (b + i ac − b2 )dx = 0 . Die erste Gleichung besitze dann ein erstes Integral der Form ϕ1 (x, y) + iϕ2 (x, y) = c , mit reellen Funktionen ϕ1 , ϕ2 und einer Konstante c ∈ C. Aus dϕ1 6= 0 folgt dϕ2 6= 0 und beide Differntiale sind linear unabhängig. Wir nehmen wieder eine Koordinatentransformation vor, z := ϕ1 (x, y) + iϕ2 (x, y) , z := ϕ1 (x, y) − iϕ2 (x, y) . Wie bei dem hyperbolischen Fall verschwinden bei Ausführung der Koordinatentransfor2 2 mation die Koeffizienten von ∂∂zu2 und ∂∂zu2 . Division durch den verbleibenden Koeffizienten führt zu: (1.38) uzz + . . . = 0. Eine weitere Möglichkeit liegt in der folgenden Transformation: p := ϕ1 (x, y), q := ϕ2 (x, y). Führt man diese Transformation aus, so verschwindet der Koeffizient von ∂2u ∂q 2 ∂2u . ∂p∂q Die Koef- ∂2u ∂p2 und sind gleich. fizienten von Nach Division durch diesen Koeffizienten ergibt sich upp + uqq + . . . = 0. Betrachtet man die Gleichungen (1.36), (1.37), (1.38) ohne Terme niederer Ordnung, so kann man jeweils lokal die Form der Lösung angeben. Im hyperbolischen Fall folgt aus der Gleichung uzw = 0 37 1.3. Klassifizierung und Systematik für die Lösung u(z, w) = f (z) + g(w). Im parabolischen Fall mit der Gleichung uww = 0 ist die Lösung von der Form u(z, w) = f (z) + g(z)w. In diesen Gleichungen sind die Funktionen f, g jeweils beliebige Funktionen einer Variablen. Im elliptischen Fall haben wir, falls keine Terme niederer Ordnung vorhanden sind, die Gleichung uzz = 0. Für die Lösung ergibt sich u = f (z) + g(z) , wobei f und g jeweils lokal analytische Funktionen sind. 1.3.3 Elliptizität, Hyperbolizität, Parabolizität allgemeiner linearer Differentialgleichungen und Systeme Sei A := X aα (x)D α |α|≤m ein linearer Differentialoperator über einer Teilmenge Ω des Rn . Wir betrachten die Gleichung Au = f. Definition 1.3.3. Gegeben sei der Operator A. Die Multilinearform X am (x; ξ) := aα (x)ξ α , ξ ∈ Rn , ξ α := ( 1i ξ1 )α1 |α|=m α2 1 ξ 2 i · · · ( 1i ξn )αn heißt (Haupt-)Symbol des Operators A. Bemerkung. Für m=2 unterscheidet sich diese Form von der Bilinearform (1.31) nur im Vorzeichen. Man kann wieder zeigen, daß unter entsprechenden Transformationen der Wert des Symbols unverändert bleibt. Definition 1.3.4. Sei x ∈ Ω gegeben. Der Operator A und die Differentialgleichung Au = f heißen elliptisch an der Stelle x, wenn für alle ξ ∈ Rn \ {0} das Hauptsymbol am (x, ξ) nicht verschwindet. 38 Kapitel 1 : Grundlagen Ist dies für alle x ∈ Ω erfüllt, so heißen der Operator A und die Gleichung Au = f elliptisch. Handelt es sich bei der Gleichung Au = f um ein n-dimensionales System von partiellen Differentialgleichungen und ist als Lösung u eine vektorwertige Funktion mit Bild in dem Rn gesucht, so sind die Koeffizienten aα und auch das Symbol am (x; ξ) N × N-Matrizen. Man nennt den Operator A bzw. die Gleichung Au = f elliptisch im Punkt x, wenn für alle ξ ∈ Rn \ {0} die Determinante von am (x; ξ) nicht verschwindet. Das Konzept läßt sich noch verallgemeinern, etwa indem man für unterschiedliche Komponenten der Differentialgleichung unterschiedliche Ordnungen betrachtet. Definition 1.3.5. Sei wieder x ∈ Ω gegeben. Der Operator A und die Gleichung Au = f heißen hyperbolisch an der Stelle x in Richtung ν, wenn das Symbol am (x, ν) nicht verschwindet, d.h. ν ist keine charakteristische Richtung, und weiter für alle ξ ∈ Rn , die nicht parallel ν sind, die Wurzeln λ der Gleichung am (x, ξ + λν) = 0 (1.39) reell sind. Der Operator A und die Gleichung Au = f heißen streng hyperbolisch an der Stelle x, wenn sie dort hyperbolisch sind und die Wurzeln der Gleichung (1.39) alle verschieden sind. Analog spricht man von (strenger) Hyperbolizität des Operators A und der Gleichung Au = f , wenn die vorher genannten Bedingungen für alle x ∈ Ω erfüllt sind. Im Fall eines N-dimensionalen Systems und einer Lösungsfunktion u mit Bild im Rn , spricht man Hyperbolizität im Punkt x in der Richtung ν, wenn die Determinante von am (x, ν) nicht verschwindet und für alle ξ ∈ Rn , die nicht parallel sind, die Wurzeln der Gleichung det(am (x, ξ + λν)) = 0 reell sind. Sind diese Wurzeln alle verschieden, so liegt strenge Hyperbolizität vor. Speziell werden häufig Systeme 1. Ordnung betrachtet, in denen die Zeit ausgezeichnet ist. n ∂u X ∂u + Aj + Bu + f = 0 . ∂t ∂xj j=1 Die Koeffizienten Aj , B sind N × N-Matrizen, f eine vektorwertige Funktion mit Bild im Rn . Die Lösungsfunktion u ist ebenfalls vektorwertig mit Bild im Rn . Die vorangegann gene Pn Gleichung ist genau dann hyperbolisch, wenn für beliebige ξ ∈ R \ {0} die Matrix j=1 ξj Aj nur reelle Eigenwerte besitzt. Sie ist genau dann streng hyperbolisch, wenn diese Eigenwerte zusätzlich paarweise verschieden sind. Definition 1.3.6. Wir betrachten die Gleichung X ∂u = aα (t, x)Dxα u + f (x, t) . ∂t |α|≤2b 39 1.3. Klassifizierung und Systematik Diese Gleichung heißt 2b-parabolisch, wenn für alle ξ ∈ Rn \ {0} X Re aα (t, x)ξ α < 0 |α|=2b gilt. Für den Spezialfall b = 1 fällt diese Definition mit dem Spezialfall aus Definition 1.3.1.ii) zusammen. 40 Kapitel 1 : Grundlagen Kapitel 2 Elliptische Gleichungen Wir betrachten Operatoren der Form A = X aα (x)D α , |α|≤m deren Hauptsymbol am (x, ξ) für alle x ∈ Ω , Ω ⊂ Rn , im skalarwertigen Fall nicht verschwindet bzw. im matrixwertigen Fall invertierbar ist, für alle ξ ∈ Rn , ξ 6= 0 . Es wird dann eine Gleichung der Form Au = f untersucht. Die einfachsten Gleichungen dieser Art sind bzw. n X ∂u ∂2u + bj (x) + c(x)u = f aij (x) ∂xi ∂xj ∂xj j=1 i,j=1 n X X n n X ∂ ∂u ∂u aij + bj (x) + c(x)u = f . ∂xi ∂xj ∂xj i,j=1 j=1 Dies sind lineare partielle Differentialgleichungen 2. Ordnung. In Matrixform lauten beispielsweise die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen 1 −1 ∂x 0 u1 = 0. 1 1 0 ∂y u2 Wir beschränken uns jetzt auf den einfachsten Fall einer linearen partiellen Differentialgleichung 2. Ordnung vom elliptischen Typ. Wir betrachten ∆u = 0 , ∆u = f , Laplace-Gleichung , Poisson-Gleichung . Eine wichtige Rolle spielen weiterhin die sogenannten harmonischen Funktionen. 41 42 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Definition 2.0.1. Eine Funktion u ∈ C 2 (Ω) mit ∆u = 0 in Ω ⊂ Rn heißt harmonisch. Mit solchen Funktionen wollen wir uns als nächstes befassen. 2.1 Fundamentallösungen für den Laplace-Operator Wir betrachten wie immer ein beschränktes Gebiet Ω ⊂ Rn und fixieren einen Punkt x0 ∈ Ω . Wir fragen dann nach Lösungen für die Laplace-Gleichung der Form E(x; x0 ) = f (|x − x0 |) . Wir setzen r = |x − x0 | := ||x − x0 ||2 . Damit ergibt sich für den Laplace-Operator, angewandt auf E: ∂E ∂E ∂r xj − x0j = = f′ · , ∂xj ∂r ∂xj |x − x0 | 2 ∂E ∂x2j (xj −x0j )2 |x − x0 | − |x−x0 | (xj − x0j )2 ′′ ′ = f (r) + f (r) , |x − x0 |2 |x − x0 |2 für j = 1, . . . , n. Es folgt (durch Summation) ∆E = f ′′ (r) + f ′ (r) n−1 . r Wir müssen demnach eine Lösung der gewöhnlichen Differentialgleichung f ′′ (r) + n−1 ′ f (r) = 0 r g ′(r) + n−1 g(r) = 0 . r suchen. Mit g := f ′ ergibt sich Neben der uninteressanten konstanten Lösung ergibt sich: f (r) = C1 (n) r 2−n + C2 für n ≥ 3 f (r) = C1 (n) ln r + C2 für n = 2 und 43 2.1. Fundamentallösungen für den Laplace-Operator Dabei ist C1 beliebig, C2 spielt bei unseren Betrachtungen keine Rolle und wird Null gesetzt. Wir wählen nun C1 wie folgt: C1 = bzw. 1 (n − 2)σn−1 C1 = − für n ≥ 3 1 2π für n = 2 . Dabei ist n σn−1 2π 2 = Γ n2 die Oberfläche der Einheitskugel im Rn und Γ die wohlbekannte Gamma-Funktion. Die Funktionen E(x; x0 ) = 1 2−n (n−2)σn−1 |x − x0 | 1 ln |x − x0 | − 2π , n ≥ 3, , n = 2, heißen Singularitäten-Lösungen der Laplace-Gleichung. Wir nennen sie auch spezielle Fundamentallösungen. Wir betrachten jetzt immer wieder die Greensche Formel Z Z ∂w ∂v (v∆w − w∆v)dx = (v − w )ds , ∂n ∂n D (2.1) ∂D wobei v, w ∈ C 2 (D) und D ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet ist mit glattem Rand ∂D . Es sei wieder x0 ∈ Ω . Wir wollen eine Darstellung u(x0 ) für eine beliebige Funktion u ∈ C 2 (Ω) mit Hilfe der Singularitäten-Lösungen der Laplace-Gleichung finden. Wir setzen dazu in der Greenschen Formel v(x) := E(x; x0 ) und w(x) := u(x) . Sei Kε (x0 ) eine Kugel um x0 mit Radius ε > 0 und der Eigenschaft K ε (x0 ) ⊂ Ω . Setze Dε := Ω \ K ε (x0 ) , dann ist Z Z ∂E ∂u ds . −u E(x; x0 )∆u − u∆E(x; x0 ) dx = E ∂n ∂n Dε ∂Dε Wir wollen jetzt den Grenzwert für ε → 0 betrachten. Wir analysieren die Terme der Reihe nach für ε → 0. Es gilt: Z Z (i) lim E(x; x0 )∆u dx = E(x; x0 )∆u dx , ε→0 Dε Ω 44 denn aus Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Z E(x; x0 )∆u dx = Ω Z E(x; x0 )∆u dx + Dε Z E(x; x0 )∆u dx K ε (x0 ) folgt durch Umschreibung: Z Z Z lim E(x; x0 )∆udx = E(x; x0 )∆udx − lim ε→0 Dε ε→0 Ω K ε (x0 ) Wir zeigen für n = 2 , daß limε→0 R K ε (x0 ) C K ε (x0 ) , gilt E(x; x0 )∆u dx . E(x; x0 )∆u dx = 0 . Da nach Annahme ∆u ∈ |∆u| ≤ M in K ǫ (x0 ) mit einer von ε unabhängigen Konstanten M . Daraus ergibt sich nach Aufspalten der Integration ε Z Z Z 1 − ln r∆u ds dr E(x; x0 )∆u dx = 2π |x−x0 |=r |x−x0 |≤ε 0 ! Zε Z 1 ln r ∆u ds dr = − |x−x0 |=r 2π 0 ! Zε Z 1 1 ≤ ∆u ds dr ln 2π r |x−x0 |=r 0 1 ≤ M 2π 2π Zε 0 1 |r ln | dr ≤ M δε r da |r ln 1r | ≤ δ für r ≤ ε . Für ε → 0 folgt M δε → 0 . Falls n ≥ 3 ergibt sich die Aussage analog. Z (ii) u∆E(x; x0 ) dx = 0 , Dε da E harmonisch ist, also ∆E = 0 . Z Z Z ∂u ∂u ∂u E(x; x0 ) ds + E(x; x0 ) ds . (iii) E(x; x0 ) ds = − ∂n ∂n ∂n ∂Dε ∂Kε ∂Ω 45 2.1. Fundamentallösungen für den Laplace-Operator Es gilt: Z E(x; x0 ) ∂Kε R 1 (n−2)σn−1 ∂Kε ∂u 1 |x−x0 |n−2 ∂n ∂u ds = ∂n R 1 1 ln |x−x 2π 0| ∂Kε ∂u ∂n ds , n ≥ 3 , ds , n = 2. Daraus ergeben sich die Abschätzungen Z Z 1 M ∂u M ds ≤ n−2 ds = n−2 σn−1 εn−1 n−2 ∂n ε ε ∂Kε |x − x0 | ∂Kε und Z 1 1 ∂u 1 ds ≤ ln M ds = ε ln 2πM . ln |x − x0 | ∂n ε ε ∂Kε Z ∂Kε ∂u Beachte, daß M eine Schranke für ∂n ist. Für ε → 0 konvergieren demnach beide Integrale ∂u gegen Null. Bei den Abschätzungen wurde außerdem die Stetigkeit von ∂n ausgenutzt. Schließlich (iv) Z u ∂Kε R 1 1 ∂ ds , n ≥ 3 , u (n−2)σn−1 ∂n |x−x0 |n−2 ∂Kε ∂E(x; x0 ) ds = ∂n R 1 1 ∂ ln ds , u 2π ∂n |x−x0 | n = 2. ∂Kε Wir betrachten die Normalenableitungen 1 1 ∂ = ∇ · ~n , ∂n |x − x0 |n−2 |x − x0 |n−2 mit 1 = (2 − n)|x − x0 |−n (x − x0 ) ∇ |x − x0 |n−2 und x − x0 ~n = − . |x − x0 | Insgesamt also 1 ∂ = −(2 − n)|x − x0 |1−n ∂n |x − x0 |n−2 Damit ergibt sich 1 (n − 2)σn−1 Z ∂Kε 1 1 ∂ ds = n−1 u n−2 ∂n |x − x0 | ε σn−1 n−1 ≤ Z u(x) dx ∂Kε ε σn−1 max u(x) −→ u(x0 ) für ε → 0 , εn−1 σn−1 x∈∂Kε 46 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen (analog für ≥ min u(x)). x∈∂Kε Also gilt für n ≥ 3: 1 lim ε→0 (n − 2)σn−1 Z ∂Kε 1 ∂ ds = u(x0 ) . u ∂n |x − x0 |n−2 Im Falle n = 2 ergibt sich entsprechend ∂ 1 −1 · ~n = −∇ ln |x − x0 | · ~n = ln = ∇ ln |x − x0 | ∂n |x − x0 | 1 (x − x0 ) (x − x0 ) 1 = · − , − |x − x0 | |x − x0 | |x − x0 | |x − x0 | also 1 2π Z ∂Kε 1 1 ∂ ln ds = u ∂n |x − x0 | 2πε Z u(x) ds → u(x0 ) ∂Kε für ε → 0 . Man erhält zusammenfassend für alle n ≥ 2 : Z E(x; x0 ) lim u ds = u(x0 ) . ε→0 ∂n ∂Kε Aus (i)-(iv) erhalten wir dann insgesamt mit Hilfe der Greenschen Identitäten (Z ) Z ∂E(x; x0 ) ∂u = −u 0 = lim E(x; x0 )∆u − u∆E(x; x0 ) dx − E(x; x0 ) ε→0 ∂n ∂n Dε = ∂Dε Z Ω Z ∂u ∂E(x; x0 ) E(x; x0 )∆u dx − E(x; x0 ) ds + u(x0 ) . −u ∂n ∂n ∂Ω Man hat also für jedes x0 ∈ Ω die Darstellung: Z Z Z ∂E(x; x0 ) ∂u ds − u ds − E(x; x0 )∆u dx , u(x0 ) = E(x; x0 ) ∂n ∂n ∂Ω ∂Ω (2.2) Ω dabei ist das erste Integral von (2.2) ein sog. Einfachschicht-Potential, das zweite ein Doppelschicht-Potential und das Integral über Ω ein Volumenpotential. Zusammenfassend läßt sich sagen: Satz 2.1.1. Jede Funktion u ∈ C 2 (Ω̄) besitzt eine Darstellung als Summe eines Einfachschicht-, Doppelschicht-und Volumenpotentials. 47 2.1. Fundamentallösungen für den Laplace-Operator Bemerkung 2.1.2. Für die Aussage des vorherigen Satzes würde auch u ∈ C 2 (Ω) ausreichen. Ist nun u eine harmonische Funktion, so folgt aus Darstellung (2.2) unmittelbar Z Z ∂E(x; x0 ) ∂u ds − u ds . u(x0 ) = E(x; x0 ) ∂n ∂n (2.3) ∂Ω ∂Ω Will man das Dirichlet-Problem für die Laplace-Gleichung ∆u = h u = f in Ω , auf ∂Ω , lösen, so folgt aus (2.2) die Darstellung Z Z Z ∂u(y) ∂E(y; x) u(x) = E(y; x) dsy − f (y) dsy − E(y; x) h(y) dy , ∂n ∂n ∂Ω Ω ∂Ω aus dem ersten Integral nicht bekannt ist. wobei ∂u(y) ∂n Wir würden also zur Darstellung der Lösung u des Dirichlet-Problems für die LaplaceGleichung eine Darstellung der Form (2.2) benötigen, aber ohne das Einfachschichtpotential. Wir verallgemeinern (2.2). Sei dazu g ∈ C 2 (Ω̄) eine harmonische Funktion und u ∈ C 2 (Ω̄) beliebig. Die Greensche Formel (2.1) lautet dann Z Z ∂g ∂u ds −u g∆u dx = g ∂n ∂n Ω bzw. ∂Ω Z Z ∂u ∂g 0 = − g ds + g ∆u dy . −u ∂n ∂n Ω ∂Ω Wir addieren dies zu (2.2) und erhalten: Z Z Z ∂u ∂ u(x) = E(y; x) − g E(y; x) − g dsy − ∆u E(y; x) − g dy . (2.4) dsy − u ∂n ∂n ∂Ω ∂Ω Ω Wir haben jetzt noch die Freiheit, g zu wählen. Dazu wählen wir für jedes x ∈ Ω eine Funktion g ∈ C 2 (Ω̄), die dem folgenden Randwertproblem genügt: ∆y g(· ; x) = 0 g(· ; x) = E(·; x) für y ∈ Ω , auf ∂Ω . 48 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Aufgrund der gewählten Randbedingung fällt das erste Integral auf der rechten Seite von (2.4) weg. Man erhält nun für das Dirichlet-Problem folgende Lösungsformel: Z Z ∂ u(x) = − G(y; x) f (y) dsy − G(y; x)h(y) dy , ∂ny Ω ∂Ω wobei G(y; x) := E(y; x) − g(y; x) . Die Funktion G heißt Greensche Funktion des Dirichlet-Problems für den Laplace-Operator. Die Konstruktion solcher Funktionen wird uns noch beschäftigen. Bemerkung 2.1.3. (i) Die Normierung der Singularitätenlösungen hat sich in Hinblick auf die Grenzübergänge als praktisch ergeben. (ii) Die Normierung erlaubt auch noch folgende Interpretation: Die Singularitätenlösung E(·; x0 ) ist das Potential, das eine Punktladung, an der Stelle x0 ∈ Ω gelegen, erzeugt. Denn (2.2) ist gerade die schwache Formulierung von −∆E(·; x0 ) = δ(x0 ) . Hierbei ist δ(x0 ) das Diracsche Delta-Funktional. Sei nämlich u ∈ C0∞ (Ω) eine beliebige Testfunktion, dann gilt Z − ∆E(y; x0 )u(y) dy = u(x0 ) Ω oder − Z ∆u(y)E(y; x0) dy = u(x0 ) , Ω nach (2.2). Bemerkung 2.1.4. Allgemein heißen Funktionen der Form γ(y; x) := E(y; x) + g(y; x) , wobei g(y; ·) ∈ C 2 (Ω̄) und harmonisch ist, Grundlösungen der Potentialgleichung. 2.2. Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen 2.2 49 Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen 2.2.1 Mittelwertsätze Wir gehen aus von der Greenschen Formel Z Z ∂v ∂w ds −w (v∆w − w∆v) dx = v ∂n ∂n Ω ∂Ω und betrachten eine beliebige harmonische Funktion u ∈ C 2 (Ω̄) . Setze v := u , w = 1 , dann gilt Z ∂u ds = 0 . ∂n ∂Ω Wir formulieren den 1. Mittelwertsatz für harmonische Funktionen. Satz 2.2.1. (1. Mittelwertsatz) Es sei u ∈ C 2 (Ω̄) eine beliebige harmonische Funktion und Ω := {x ∈ Rn | |x − x0 | < R} , n ≥ 1 und R eine positive Zahl. Dann gilt: Z 1 u(x0 ) = u(x) ds . σn−1 Rn−1 |x−x0 |=R Beweis. Wir benutzen Formel (2.3). Es gilt: Z Z 1 ∂ E(x; x0 ) ds = u(x) ds . u(x0 ) = − u ∂n σn−1 Rn−1 |x−x0 |=R |x−x0 |=R Satz 2.2.2. (2. Mittelwertsatz) Es sei u ∈ C 2 (Ω̄) eine beliebige harmonische Funktion und Ω := {x ∈ Rn | |x − x0 | < R} . Dann gilt: Z 1 u(x) dx . u(x0 ) = Vn R n |x−x0 |≤R Vn ist das Volumen der Einheitskugel im Rn , Vn = σn−1 . n Beweis. Nach Satz 2.2.1 gilt für alle 0 < r ≤ R, daß Z 1 u(x) ds . u(x0 ) = σn−1 r n−1 |x−x0 |=r 50 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Multiplikation mit r n−1 und Integration nach r ergibt ZR u(x0 )r n−1 dr = 0 Daraus folgt u(x0 ) = n σn−1 Rn Z 1 σn−1 ZR Z u(x) ds dr . 0 |x−x0 |=r 1 u(x) dx = Vn R n |x−x0 |≤R Z u(x) dx . |x−x0 |≤R Die Mittelwerteigenschaft einer Funktion u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) ist auch hinreichend dafür, daß u harmonisch ist. Lemma 2.2.3. Es gilt: Sei u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) und gelte Z 1 u(x) dx u(x0 ) = Vn R n |x−x0 |≤R für alle x0 ∈ Ω und K̄R (x0 ) ⊂ Ω. Dann ist u harmonisch. Beweis. Sei x0 ∈ Ω und K̄R (x0 ) ∈ Ω . Ferner sei v Lösung des Randwertproblems ∆v = 0 v=u in KR (x0 ) , auf ∂KR (x0 ) . Eine solche Lösung gibt es, wie wir später noch sehen werden. Setze w := u − v , dann w|∂KR (x0 ) = 0 . Daraus folgt, daß w = 0 gilt und somit u = v in KR (x0 ) . (Dies läßt sich später (Satz 2.2.9) mit dem Maximumprinzip rechtfertigen.) Das gilt für jede Kugel in Ω, also ist u in Ω harmonisch. Bemerkung 2.2.4. Jede harmonische Funktion u muß die Bedingung Z ∂u ds = 0 ∂n ∂Ω erfüllen. Dies wird uns bei der Lösung des Neumann-Problems ∆u = 0 ∂u = g ∂n wieder begegnen. in Ω , auf ∂Ω 2.2. Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen 2.2.2 51 Das Maximumprinzip für harmonische Funktionen Eine unmittelbare Folgerung aus dem 2. Mittelwertsatz für harmonische Funktionen ist Satz 2.2.5. (Maximumprinzip) Sei u eine harmonische Funktion in Ω. Dann gilt: Ist x0 ∈ Ω mit u(x0 ) ≥ u(x) bzw. u(x0 ) ≤ u(x) für alle |x − x0 | < ε, dann folgt u(x) = const in der Zusammenhangskomponente von Ω, in der x0 liegt. Speziell gilt: Falls Ω ⊂ Rn beschränkt ist und u ∈ C(Ω̄), dann min u(x) ≤ u(x) ≤ max u(x) x∈∂Ω x∈∂Ω für alle x ∈ Ω . Beweis. Nach Satz 2.2.2 gilt 1 u(x0 ) = Vn ε n Z u(x) dx . |x−x0 |≤ε Wir nehmen an, es existiert ein x ∈ Kε (x0 ) mit u(x0 ) > u(x). Dann erhalten wir Z 1 dx u(x0 ) = u(x0 ) . u(x0 ) < Vn ε n |x−x0 |≤ε Dies ist aber ein Widerspruch. Wir wollen jetzt genauer untersuchen, wie sich die Funktion u an einer Maximumstelle auf dem Rand Ω verhält. Wir beweisen das berühmte Lemma von Hopf 2.2.6. Sei u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) eine harmonische Funktion in Ω ∈ Rn , die in x0 ∈ ∂Ω ihr Maximum annimmt. An Ω existiere im Punkt x0 eine Tangentialebene. Ferner existiere 1 ∂u = lim u(x ) − u(x − νε) . 0 0 ε→0 ε ∂ν x=x0 Dann gilt: Falls u 6≡ const, dann folgt ∂u > 0, ∂ν x=x0 wobei der Einheitsvektor ν senkrecht zur Tangentialebene steht. 52 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Skizze ∂u ∂ν x=x0 u(x0) Ω u(x) x0 > 0 ν Abbildung 2.1 Beweis. Beweis für Ω = KR (0). Wir setzen 2−n − R2−n |x| w(x) = ln R − ln |x| für n ≥ 3 , für n = 2 . Dann ist die Funktion v(x) := u(x) + εw(x) , ε > 0, harmonisch in R2 < x < R. D.h. aber, v nimmt sein Maximum auf dem Rand an. Aus dem Maximumprinzip, angewandt auf u in Ω = KR (0), folgt andererseits max u(x) < u(x0 ) (da x0 ∈ ∂Ω) |x|= R 2 falls u 6≡ const. Somit gilt v(x) < u (x0 ) auf |x| = R 2 , für hinreichend kleines ε > 0. Für |x| = R gilt v(x) = u(x) (aus der Definition von w). Daraus folgt aber, dass v das Maximum ebenfalls bei x0 annimmt. Also gilt ∂v(x0 ) ≥ 0 ∂ν und ∂u(x0 ) ∂w(x0 ) ≥ −ε > 0. ∂ν ∂ν 2.2. Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen 2.2.3 53 Eindeutigkeit der klassischen Lösungen für das Dirichletund das Neumann-Problem Wir betrachten das Dirichlet-Problem ∆u = 0 u = ϕ in Ω , auf ∂Ω , ∆u = 0 ∂u = ψ ∂n in Ω , sowie das Neumann-Problem auf ∂Ω , dabei sei Ω ⊂ Rn , n ≥ 1 , beschränkt. Unter einer einer klassischen Lösung verstehen wir u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) , ∂u wobei im Fall des Neumann-Problems ∂n auf jedem Randpunkt existieren muß. Die Eindeutigkeit ist in beiden Fällen eine einfache Folgerung aus dem Maximumprinzip bzw. des Hopfschen Lemmas. 1. Das Dirichlet-Problem: Seien u1 , u2 zwei Lösungen, dann folgt mit v = u1 − u2 ∆v = 0 v = 0 in Ω , auf ∂Ω . Aus dem Maximumprinzip folgt v(x) ≡ 0 in Ω̄ , was gleichbedeutend mit der Eindeutigkeit der Lösung ist. 2. Das Neumann-Problem: Es seien wiederum u1 , u2 zwei Lösungen, dann ergibt sich mit v = u1 − u2 ∆v = 0 ∂v = 0 ∂n in Ω , auf ∂Ω . d.h. auch ∂v(x0 ) = 0 ∂n im Maximumpunkt x0 . Somit ergibt sich (nach dem Lemma von Hopf) v(x) ≡ const. Zwei Lösungen unterscheiden sich hier also höchstens um eine Konstante. 54 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Bemerkung 2.2.7. (i) Die obigen Resultate gelten auch für die Poisson-Gleichung. (ii) Beim Neumann-Problem ist u nicht beliebig; es muß Z ψds = 0 ∂Ω gelten. (vgl. Bemerkung 2.2.4) (iii) Beim Dirichlet-Problem erhält man aus dem Maximumprinzip unmittelbar die stetige Abhängigkeit von den Randdaten in der Supremumsnorm. Dagegen sind beim Neumann-Problem die Überlegungen etwas schwieriger. 2.2.4 Innere a-priori Abschätzungen Nach Darstellung (2.3) u(x) = Z ∂u E(y; x) dsy − ∂n ∂Ω Z u ∂E(y; x) dsy ∂n ∂Ω für harmonische Funktionen u (wir haben die Argumente von E vertauscht, was aufgrund der Form von E erlaubt ist - wir werden darauf noch eingehen) erhält man sofort eine a-priori Abschätzung. Sei dazu K eine kompakte Teilmenge von Ω und α ein beliebiger Multi-Index, dann gilt die innere a-priori Abschätzung: n X ∂u α , sup |D u(x)| ≤ C sup |u(x)| + sup ∂x x∈K x∈Ω Ω j j=1 wobei C = C(α, K) . Wir können obige Abschätzung verschärfen. Es gilt: Lemma 2.2.8. Sei K ⊂⊂ Ω eine kompakte Teilmenge von Ω und ε < dist(K, ∂Ω). Sei ferner ϕ ∈ C0∞ (Rn ) mit supp ϕ = {x ∈ Rn |ϕ(x) 6= 0} ⊂ Kε (0) , ϕ kugelsymmetrisch, d.h. ϕ(x) = f (r), |x| = r und es gelte Z ϕ(x) dx = 1 . Rn 2.2. Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen 55 Dann gilt für jede harmonische Funktion u in Ω: α |D u(x)| ≤ C(α, K) Z |u(y)|dy , Ω für alle x ∈ K . Beweis. Aus dem 1. Mittelwertsatz ergibt sich Z Z u(x) = u(x) ϕ(x − y) dy = u(x) ϕ(x − y) dy = Rn Kε (x) Z∞Z = u(x) = f (r) dsy dr = u(x) |y−x|=r 0 Z∞ f (r)σn−1 r n−1 u(x) dr = 0 = Z Rn ϕ(x − y) u(y) dy = Z Z∞ f (r)σn−1 r n−1 dr = 0 Z∞ f (r) 0 Z u(y) dsy dr = |y−x|=r ϕ(x − y) u(y) dy . Kε (x) Wir dürfen jetzt unter dem Integral differenzieren, Z α D u(x) = Dxα ϕ(x − y) u(y) dy , Rn also α |D u(x)| ≤ = Z Rn Z |Dxα ϕ(x − y)||u(y)|dy = |Dxα ϕ(x − y)||u(y)|dy ≤ Kε (x) ≤ sup y∈Kε (x), x∈K =: C(α, K) Z |Dxα ϕ(x Kε (x) − y)| Z |u(y)|dy Kε (x) |u(y)|dy ≤ C(α, K) Z |u(y)|dy . Ω Dabei hängt ε vom Kompaktum K ab. Satz 2.2.9. (Satz von Harnack). Sei {uk }k∈N eine Folge harmonischer Funktionen in Ω mit lim uk = u, gleichmäßig auf jeder kompakten Menge K ⊂ Ω. Dann ist auch u in Ω k→∞ harmonisch. 56 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Beweis. (i) u ist stetig auf Ω. (ii) uk harmonisch auf Ω ∀k ∈ N ⇒ (Satz 2.2.1) Z 1 uk (x0 ) = uk (x)dx σn−1 Rn−1 ||x−x0||=R ⇒ u(x0 ) = lim uk (x0 ) k→∞ 1 = lim k→∞ σn−1 Rn−1 ∀k ∈ N , ∀xo ∈ Ω , K̄R (x0 ) ⊂ Ω nach Voraussetzung Z uk (x)dx = ||x−x0 ||=R 1 σn−1 Rn−1 Z u(x)dx ||x−x0 ||=R Dann ist u harmonisch in Ω. Bemerkung 2.2.10. Sei u ∈ C 2 (Ω) eine harmonische Funktion auf Ω mit sup |u| ≤ M. Ω Dann gilt ∀xo ∈ Ω , ∀K̄R (x0 ) ⊂ Ω : ne |α| |α|! |D u(x0 )| ≤ M, R e α für alle Multiindizes α der Länge |α|. Beweis. Wir merken an, daß für jeden Multiindex α, D α u harmonisch in Ω ist (Darstellungsformel). Dann gilt mit dem Satz von Gauß-Green ∀x0 ∈ Ω , ∀K̄R (x0 ) ⊂ Ω , ∀ 1 ≤ i ≤ n : Z Z ∂u 1 1 (y − x0 )i (x0 ) = uxi (x)dx = u dsy n n ∂xi Vn R ||x−x0||≤R Vn R ||x−x0||=R ||y − x0 || Da |(y − x0 )i | ≤1 ||y − x0 || und σn−1 = nVn , läßt sich abschätzen Z ∂u(x0 ) n n n |(y − x0 )i | dsy ≤ Mσn−1 Rn−1 = M. ∂xi ≤ σn−1 Rn M n σn−1 R R ||x−x0 ||=R ||y − x0 || D.h. für |α| = 1 ist die Aussage richtig! Vollständige Induktion: Es gelte die Abschätzung ne |α| |α|! M. |D u(x0 )| ≤ R e α 57 2.2. Mittelwertsätze und das Maximumprinzip für harmonische Funktionen Wir zeigen, daß sie dann auch für |β| = |α| + 1 gilt. Sei β ein Multiindex mit |β| = |α| + 1, dann Dβ u = ∂ α D u ∂xi für ein 1 ≤ i ≤ n. Es sei τ ∈ (0, 1), dann gilt mit dem 2. Mittelwertsatz und dem Satz von Gauß-Green Z Z n n (y − x0 )i ∂ α β D u(x0 ) = D udy = Dα u dsy . n n n σn−1 (τ R) ||x−xo||≤τ R ∂xi σn−1 τ R ||x−xo||=τ R ||y − x0 || Andererseits gilt nach Induktionsvoraussetzung für y ∈ ∂Kτ R (x0 ) angewandt auf eine Kugel mit Radius (1 − τ )R , (denn K(1−τ )R (y) ⊂ Kτ R (x0 )): α |D u(y)| ≤ ne (1 − τ )R |α| Dann gilt n |D u(x0 )| ≤ σn−1 τ n−1 Rn−1 σn−1 τ n Rn β |α|! M. e ne (1 − τ )R |α| |α|! M. e Wir haben noch Freiheiten in der Wahl von τ . Setze 1 1 = . τ := |α| + 1 |β| Mit −|α| −|β| 1 1 −|α| (1 − τ ) = 1− ≤ 1− ≤e |β| |β| gilt |D β u(x0 )| ≤ ne |α|+1 ne |α|+1 (|α| + 1)! ne ne |α| |α|! |α|! M= M= M. (|α| + 1) τR R e R e R e Korollar 2.2.11. Sei u beschränkt und harmonisch in Ω. Dann ist u lokal-analytisch in Ω. Beweis. Fixiere x0 ∈ Ω. Wähle R > 0 mit (ne2n + 1)R < min(dist(x0 , ∂Ω); 1) . Mache eine Taylorreihenentwicklung von u in KR (x0 ) an der Stelle x0 . Dann gilt ∀n ∈ N , ∀x ∈ KR (x0 ): u(x) = X D α u(x0 ) X D β u(ξ) (x − x0 )α + (ξ − x0 )β α! β! |α|≤n 1) |β|=n+1 α α α! := α1 !α2 ! · · · αn ! ; (x − x0 )α = (x1 − x01 )α 1 (x2 − x02 )2 · · · (xn − x0n )n 1) 58 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen mit ξ ∈ KR (x0 ). Wende Bemerkung 2.2.10 auf Kne2n+1 ·R (ξ) an: |β| n · e |β| |β|! |D β u(ξ)| M n|β| |β| 1 1 β β |(ξ − x0 ) | ≤ M · |(ξ − x0 ) | ≤ e R 2n+1 2n β! n·e R e β! e R e ≤ e−n|β| · M . Denn es ist |β|! ≤ n|β| ≤ en|β| . β! [Nebenrechnung: Aus der Multinomialformel X |α| xα (x1 + . . . + xn ) = α k hierbei ist |α|=k |α| α = |α|! α! folgt, daß gilt nk = (1 + . . . + 1)k = X |α|! α! insbesondere |α|=k X |α|! |β|! ≤ = n|β| .] β! α! |α|=|β| Für das Restglied der Taylorentwicklung gilt also: β X X D u(ξ) β ≤ e−n|β| · M ≤ |β|n e−n|β| · M −→ 0 für |β| → ∞. (ξ − x ) 0 |β|=n+1 β! |β|=n+1 Das heißt, die Taylorreihe konvergiert gleichmäßig gegen u in KR (x0 ). 2.3 Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem In Abschnitt 1 hatten wir die Greensche Funktion definiert durch G(y, x) := E(y; x) − g(y; x) , wobei g(· ; x) Lösung ist von ∆y g(· ; x) = 0 g(· ; x) = E(· ; x) in Ω auf ∂Ω. Damit ist die Greensche Funktion durch folgende Eigenschaften charakterisiert: (i) G(· ; x) ∈ C 2 (Ω \ {x}) ∩ C(Ω̄ \ {x}) , 2.3. Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem 59 (ii) ∆G(y; x) = 0 für alle x 6= y , (iii) G(· ; x) − E(· ; x) ∈ C 2 (Ω) , (iv) G(· ; x) = 0 auf ∂Ω . Bemerkung 2.3.1. (i) G ist interpretierbar als das Potential einer Punktladung an der Stelle x ∈ Ω. (ii) Die Greensche Funktion ist eindeutig bestimmte Lösung des Dirichlet-Problems −∆y G(y; x) = δ(y − x) G(y; x) = 0 in Ω , für alle y ∈ ∂Ω . (iii) Wenn es eine Lösung u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) von ∆u = f u = ϕ gibt, so folgt u(x) = Z in Ω auf ∂Ω G(y; x)f (y) dy + Ω Z ∂G(y, x) ϕ(y)dsy . ∂n ∂Ω Bemerkung 2.3.2. Die Greensche Funktion ist symmetrisch in ihren Argumenten, d.h. G(y; x) = G(x; y) . Beweis. Wir betrachten den Operator ∆ : D∆ → C ∞ (Ω̄) , wobei D∆ := {u ∈ C ∞ (Ω̄)| u|∂Ω = 0}. Falls ∆ invertierbar ist, gilt Z −1 (∆ f )(x) = G(y; x)f (y) dy . Ω Wegen (∆u, v)L2 (Ω) = Z Ω ∆u v dx = − Z ∇u · ∇v dx = Ω Z u∆v dx = (u, ∆v)L2 (Ω) Ω für alle u, v ∈ D∆ ist ∆ ein symmetrischer Operator. Dann ist aber auch ∆−1 symmetrisch, denn (∆−1 u, v)L2(Ω) = (∆−1 u, ∆∆−1 v)L2 (Ω) = (∆∆−1 u, ∆−1 v)L2 (Ω) = (u, ∆−1 v)L2 (Ω) . Folglich ist G(x; y) = G(y; x) . 60 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Wir können also die beiden Argumente vertauschen. Bisher war Ω immer ein beschränktes Gebiet. Oft betrachtet man aber die Greenschen Funktionen auch in unbeschränkten Gebieten. Dazu reichen die Forderungen (i)-(iv) nicht aus. Wenn etwa Ω ein “Außengebiet” ist, so muß man etwa fordern, daß lim G(x; y) = 0 |x|→∞ für alle n ≥ 3 und |G(x; y)| = O(1) für alle |x| → ∞ und n = 2. Wir führen nun unsere Betrachtung auf dem Halbraum Ω = {(x′ , xn )| xn > 0, x′ = (x1 , x2 , ..., xn−1 )} fort. Die Greensche Funktion in Ω geht jetzt aus dem sog. “Reflexionsprinzip” hervor, d.h. G(x; y) = E(x; y) − E(x, ȳ) . Dabei ist ȳ ∈ Rn der zu y ∈ Rn bzgl. xn = 0 symmetrisch gelegene Punkt, also y = (y ′ , yn ) und ȳ = (y ′, −yn ). Die Eigenschaften (i)-(iv) sind selbstverständlich erfüllt. Zudem folgt sofort lim G(x; y) = 0 |x|→∞ für n ≥ 3 und |G(x, y)| = O(1) für |x| → ∞ , n = 2. Damit folgt für die Lösung des Dirichlet-Problems ∆u = 0 u = ϕ daß u(x) = Z in Ω , auf ∂Ω , ∂G(x; y) ϕ(y) dsy . ∂n ∂Ω Setzen wir die bereits berechneten Ableitungen von E ein, dann ergibt sich mit ∂Ω = Rn−1 die Lösung Z 2 xn ϕ(y ′) dy ′ u(x) = n . σn−1 (|x′ − y ′ | + x2n ) 2 Rn−1 2.3. Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem 2.3.1 61 Die Greensche Formel für die Kugel Sei nun Ω = {x ∈ Rn | |x| < R , R < +∞} und y ∈ Ω. Wir spiegeln y an ∂Ω (Inversion am Kreis), d.h. R2 y . ȳ = |y| |y| Satz 2.3.3. Die Greensche Formel für die Kugel Ω ⊂ Rn um 0 lautet: G(x; y) = E(x; y) − Rn−2 E(x; ȳ) . |y|n−2 Beweis. Die Bedingungen (i)-(iii) sind erfüllt, da E(· ; ȳ) die selben Eigenschaften hat wie E(· ; y). Eigenschaft (iv) ist aber auch offensichtlich, denn für y0 ∈ ∂Ω ergibt sich mit |y0 | = R, daß ȳ = y0 , also Rn−2 lim E(x; y) − E(x; ȳ) = 0 . y→y0 |y|n−2 Man erhält demnach als Lösungsformel für das Dirichlet-Problem ∆u = 0 u = ϕ die Darstellung R2 − |x|2 u(x) = σn−1 R in Ω , auf ∂Ω , Z |y|=R ϕ(y) dsy . |x − y|n (2.5) Betrachten wir als Beispiel n = 2, dann ergibt sich mit Hilfe von Polarkoordinaten nach leichter Rechnung die Poisson-Formel 1 u(x) = 2πR Z2π 0 ϕ(R cos Θ, R sin Θ)(R2 − r 2 ) √ dΘ , R2 + r 2 − 2 R r cos Θ wobei r = |x| gesetzt wurde. 2.3.2 Die Harnacksche Ungleichung und der Satz von Liouville Man erhält aus der Darstellung (2.5) die Ungleichung von Harnack. Es gilt 62 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Satz 2.3.4. (Harnacksche Ungleichung). Sei u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) eine nichtnegative harmonische Funktion und Ω = {x ∈ Rn | |x| < R , R < +∞}. Dann gilt die Abschätzung Rn−2 (R + |x|) Rn−2 (R − |x|) u(0) ≤ u(x) ≤ u(0) . (R + |x|)n−1 (R − |x|)n−1 Beweis. Wir benutzen die Darstellung (2.5) und die Dreiecksungleichung, |x| − |y| ≤ |x − y| ≤ |x| + |y| . Für |y| = R folgt: Aus (2.5) ergibt sich (R + |x|)−n ≤ |y − x|−n ≤ (R − |x|)−n . R2 − |x|2 u(x) ≤ σn−1 R Z |y|=R u(y) (R2 − |x|2 ) ds = y (R − |x|)n (R − |x|)n σn−1 R Z u(y) dsy = |y|=R Rn−2 (R + |x|) R2 − |x|2 n−1 R σ u(0) = u(0) , n−1 (R − |x|)n σn−1 R (R − |x|)n−1 wobei auf das Randintegral der 1. Mittelwertsatz angewandt wurde. Die umgekehrte Abschätzung verläuft völlig analog. = Folgerung 2.3.5. Falls u ≥ 0 und u harmonisch ist in Rn , dann ist u überall konstant. Beweis. Es gilt |x| 1± R Rn−2 (R ± |x|) = . n−1 n−1 (R ∓ |x|) ) (1 ∓ |x| R Somit folgt aus der Harnackschen Ungleichung durch Grenzübergang von R → ∞, daß u(0) ≤ u(x) ≤ u(0) . Satz 2.3.6. (Satz von Liouville). Eine harmonische Funktion im Rn , die nach unten beschränkt ist, d.h. u(x) ≥ −c, c > 0 , ist konstant im Rn . Beweis. Setze ũ = u − c, dann ergibt sich aus Folgerung 2.3.5 die Behauptung. 2.3.3 Das Dirichlet-Problem für beliebige Gebiete Sei nun Ω ∈ Rn ein beliebiges Gebiet. Wir betrachten ∆u = 0 u = ϕ in Ω , auf ∂Ω , (2.6) 2.3. Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem 63 mit ϕ ∈ C(∂Ω) . Die Aufgabe besteht darin, ein u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω̄) zu finden, das obiges Dirichlet-Problem löst. Es ist klar, daß für beliebiges Ω diese Aufgabe nicht immer lösbar sein kann, insbesondere dann, wenn ∂Ω nicht glatt ist. Wir konstruieren jetzt eine in gewissem Sinne “optimale” Lösung von (2.6). Die nachfolgende Konstruktion geht auf Poincaré zurück und heißt “Balayage-Methode” (Auskehrmethode). Sei dazu ϕ ∈ C(∂Ω). Es lasse sich ϕ zu einer Funktion Φ ∈ C(Ω̄) fortsetzen, mit Φ|∂Ω = ϕ . Wir konstruieren nun eine Folge von Gebieten {Ωk }k∈N , Ωk ⊂ Ω , mit folgenden Eigenschaften: (i) ∂Ωk ist glatt, (ii) Ω̄k ⊂ Ωk+1 , S (iii) Ω = ∞ k=1 Ωk . Wir nehmen an, daß das Dirichlet-Problem ∆uk = 0 uk = Φ =: ϕk in Ωk , auf ∂Ωk eine eindeutige Lösung besitzt, was sich auch tatsächlich mit der Integralmethode zeigen läßt. Man erhält eine Folge von Lösungen (uk )k∈N , so daß für alle x ∈ Ω ein k0 = k0 (x) ∈ N existiert mit x ∈ Ωk für k ≥ k0 . Nach Lemma 2.2.8 gilt für harmonische Funktionen Z α |D u(x)| ≤ C(α, K) |u(x)|dx , Ω wobei K ⊂ Ω kompakt ist und x ∈ K. Da Ω̄k kompakt ist und Ω̄k ⊂ Ωk+1 , folgt α |D ui (x)| ≤ C(α, Ω̄k ) Z Ωk+1 für alle i = k + 1, k + 2, ... und x ∈ Ω̄k . |ui (x)|dx , 64 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Die Funktionen ui , i = k + 1, k + 2, ... , sind harmonisch in ihren jeweiligen Definitionsgebieten Ωi und nehmen daher jeweils auf dem Rand ∂Ωi ihr Maximum an. Also gilt |D α ui (x)| ≤ C(α, Ω̄k ) max |Φ(x)| =: C ′ (α, Ω̄k ) . x∈Ω̄ Somit ist die Folge {ui } in jedem Kompaktum K ⊂ Ω gleichmäßig beschränkt und gleichgradig stetig. Nach dem Satz von Arzela-Ascoli existiert damit für jedes Kompaktum K ⊂ Ω eine Teilfolge von {ui}, die gleichmäßig gegen eine Funktion u konvergiert. Nach Satz 2.2.5 (Satz von Harnack) ist die Grenzfunktion u harmonisch in Ω. Es könnte jetzt aber der Fall sein, daß u von der Konstruktion abhängt. Genauer gesagt, von der Fortsetzung Φ und der Folge {Ωk }, da diese beliebig gewählt werden. Aus dem Maximumprinzip folgt aber, daß dies nicht der Fall ist. Wenn das Dirichlet-Problem eine klassische Lösung hat, so muß diese mit der nach der Balayage-Methode konstruierten Lösung zusammenfallen. Man sieht dies, indem man anstelle von Φ die klassische Lösung nimmt. Die Frage ist nun, wie sich die Lösung u auf dem eventuell nicht glatten Rand ∂Ω verhält. Definition 2.3.7. Ein Punkt x0 ∈ ∂Ω heißt regulär, wenn lim u(x) = ϕ(x0 ) x→x0 gilt. Hierbei ist u die mit der Balayage-Methode erzeugte Funktion. Bemerkung 2.3.8. Das Dirichlet-Problem ist im klassischen Sinne nur lösbar, wenn alle Randpunkte regulär sind. Gibt es Charakterisierungen für reguläre Punkte, die es gestatten, eine Aussage zu machen, ohne die Balayage-Konstruktion durchzuführen? Die Antwort ist ja und führt auf das Konzept der Kapazität einer Menge. Sei dazu K ⊂ Rn eine kompakte Menge und µ ein nicht negatives Borel-Maß auf K. Wir setzen Z E(x; y) dµ(y) , uµ (x) = K wobei E(x; y) die Singularitäten-Funktion aus Abschnitt 1 ist. Hat nun speziell das Borel-Maß µ bzgl. des Lebesgue-Maßes die Dichte ̺(x), so folgt Z uµ (x) = u̺ (x) = E(x; y)̺(y) dy . K Dies ist aber gerade das früher schon eingeführte Volumenpotential — auch NewtonPotential genannt — der Potentialgleichung mit der Belegung ̺. Somit bezeichnet u̺ das Potential, das durch eine elektrische Ladung der Dichte ̺ auf K erzeugt wird. 2.3. Die Greensche Funktion der Laplace-Gleichung für das Dirichlet-Problem 65 Folgerung 2.3.9. (i) Aus E(x; y) = 1 |x (n−2)σn−1 − y|2−n für n ≥ 3 folgt u̺ (x) ≥ 0 , für alle x ∈ Rn . 1 ln |x − y| für n = 2 folgt (ii) Aus E(x; y) = − 2π u̺ (x) ≥ 0 , für alle x ∈ Rn , die nahe bei K liegen und diamK < 1 gilt. Definition 2.3.10. Sei K ⊂ Rn kompakt. Die Zahl C(K) := sup{µ(K)|uµ(x) ≤ 1, für alle x ∈ Rn } heißt Kapazität von K. Beispiel. Sei K eine einpunktige Menge {y}. Dann uµ (x) = E(x; y) µ für alle µ ∈ R+ ∪ {0}. Für alle x ∈ Rn muß gelten E(x; y)µ ≤ 1. Dies ist nur möglich für µ = 0, also C({y}) = 0 . Das Konzept der Kapazität läßt sich auf allgemeinere Mengen E ⊂ Rn ausdehnen. Es sei E ⊂ Rn eine beliebige offene Menge. Wir setzen C(E) := sup C(K) , K⊂E wobei K kompakt ist und definieren C(E) : = sup C(K) , (Innere Kapazität) K⊂E C(E) : = inf C(K) , K⊃E (Äußere Kapazität) wobei E offen ist. Man kann zeigen, daß C(E) = C(E) für alle Borel-Mengen E gilt. Demnach heißt C(E) die Kapazität von E. Wir sind nun daran interessiert, eine Formel zur Berechnung der Kapazität zu finden. Das geht einfach für kompakte Mengen K, wenn ihre Struktur hinreichend einfach ist. Wir betrachten folgenden Sachverhalt: 66 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Sei K ein Kompaktum und ∂K = K \ intK hinreichend glatt. Ωe := Rn \ K ist eine beschränkte Zusammenhangskomponente von Rn . Sei Γe der Rand von Ωe mit Γe ⊂ K und Γe hinreichend glatt. Wir betrachten das Dirichlet-Problem im “Außengebiet” (exterior domain) Ωe , d.h. ∆v = 0 v = 1 in Ωe , auf Γe . Setze v ≡ 1 in Rn \ Ωe , dann hat die Lösung dieses Problems eine Darstellung über Einschichtpotentiale der Form Z Z ∂E(x; y) ∂v(y) dsy − dsy , v(y) v(x) = E(x; y) ∂n ∂n Γe Γe wie bereits gezeigt wurde, wobei das erste Integral das Einfachschichtpotential und das zweite das Doppelschichtpotential darstellt. ∂v Da die Normalenableitung ∂n unbekannt ist, suchen wir die Lösung v in der Form eines Einfachschichtpotentials mit einer “künstlichen Belegung” σ(y). Im nächsten Abschnitt werden wir zeigen, daß im Falle eines glatten Randes Z v(x) = E(x; y)σ(y) dy Γe gilt und die Belegung σ eindeutig bestimmt ist. D.h. demnach, daß das Borel-Maß µ, das in Definition 2.3.10 das Supremum realisiert, von der Form dµ(y) = σ(y) dsy ist. Daraus folgt C(K) = Z σ(y) dy . Γe Als Spezialfall betrachten wir die Kapazität der Kugel KR (0) um den Nullpunkt mit Radius R: Wie man leicht nachrechnet, ist v(x) = Rn−2 |x|2−n Lösung des Problems im Außengebiet Rn \ KR (0). Wir wissen auch, daß ∂v(x) = Rn−2 (n − 2)|x|1−n ∂n gilt. Daraus ergibt sich Z n−2 C KR (0) = R (n − 2) = R n−2 |y|=R |y|1−ndsy (n − 2)R1−n σn−1 Rn−1 = Rn−2 (n − 2)σn−1 . 67 2.4. Sprungrelationen Nach diesem Exkurs kehren wir zur Charakterisierung von regulären Punkten zurück und formulieren dazu ohne Beweis das verblüffende Wiener-Kriterium. Satz 2.3.11. (Wiener-Kriterium). Sei Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet. Dann gilt die Äquivalenzaussage: Ein Randpunkt x0 ∈ ∂Ω ist genau dann regulär, wenn die Reihe ∞ X k(n−2) n −k 4 C {x ∈ Ω̄|x ∈ R \ Ω, |x − x0 | < 4 } , n≥3 k=1 divergiert. Beispiele. (i) x0 ∈ ∂Ω ist ein isolierter Punkt, d.h. {x ∈ Ω̄|x ∈ Rn \ Ω, |x − x0 | < 4−k } = {x0 } für k hinreichend groß. Damit folgt C({x0 }) = 0 . Also ist x0 nicht regulär. (ii) Ω erfüllt eine Kegelbedingung an der Stelle x0 ∈ ∂Ω, d.h. es gebe einen Kegel K ⊂ Rn \ Ω mit Spitze in x0 und intK 6= ∅. Dann ist der Punkt x0 regulär. Die Kegelbedingung wird sehr häufig als Forderung an ein Lösungsgebiet gestellt. Mehr Informationen darüber findet sich in dem Buch von J. Wloka, Partielle Differentialgleichungen, Teubner Verlag Stuttgart, 1982. Abschließend formulieren wir den Satz 2.3.12. Für jedes beschränkte Gebiet Ω ∈ Rn hat die Menge der nicht regulären Randpunkte die Kapazität Null. 2.4 Sprungrelationen Wir betrachten nun das Einfachschicht- bzw. das Doppelschichtpotential Z v(x) = E(x; y) σ(y) dsy ∂Ω bzw. w(x) = Z ∂ E(x; y) β(y) dsy ∂ny ∂Ω und untersuchen deren Verhalten für x → x0 , wobei x0 ∈ ∂Ω. Wir setzen im weiteren Γ := ∂Ω und nehmen an, daß Ω und Ωα := Rn \ Ω Gebiete mit glattem Rand sind. Ferner bezeichnen wir f (x0 )|+ = f (x0 )|− = lim x→x0 ∈Γ,x∈Ω lim f (x) , x→x0 ∈Γ,x∈Ωα f (x) . 68 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen An das Gebiet Ω stellen wir folgende Voraussetzungen A: (i) Die Menge Fd := Γ ∩ Kδ (x0 ) ist darstellbar mittels einer C 2 -Funktion, Φ, definiert durch xn = Φ(x1 , ..., xn−1 ) . (ii) Es existiert eine Konstante C > 0, so daß für alle x ∈ Rn Z ∂ dsy ≤ C E(x; y) ∂ny Γ gilt. Satz 2.4.1. Es gelte Voraussetzung A(i) für Ω, und es sei β stetig auf Γ. Dann existiert Z ∂ w(x) = E(x, y) β(y) dsy ∂ny Γ für alle x ∈ Rn und w ∈ C ∞ (Rn \ Γ) mit ∆w = 0 in Rn \ Γ. Beweis. Bis auf die Existenz des Integrals für x ∈ Γ ist bereits alles gezeigt. Sei deshalb x ∈ Γ und sei Kδ (x) die in Voraussetzung (i) erwähnte Kugel. Wir verschieben den Koordinatenursprung in x, dann hat die Fläche Fδ = Γ ∩ Kδ (0) die Darstellung xn = Φ(x1 , x2 , ..., xn−1 ) , x21 + x22 + ... + x2n−1 ≤ δ 2 , wie es in der nachfolgenden Graphik im R3 skizziert wurde. 69 2.4. Sprungrelationen x3 y ny x2 x=0 Fδ : xn = Φ(x1,...,xn−1) x1 Abbildung 2.2 Durch die Wahl des Koordinatensystems ergibt sich für Φ Φ(0, ..., 0) = 0 und Φxi (0, ..., 0) = 0 , für alle 1 ≤ i ≤ n − 1. Sei Γ1 := Γ \ Fδ und M eine Schranke von β auf Γ. Dann folgt Z Z Z ∂ ∂ ∂ny E(0; y) β(y) dsy ≤ M ∂ny E(0; y) dsy + M Γ1 Γ Fδ ∂ dsy . E(0; y) ∂ny Das Integral über Γ1 existiert natürlich. Um die Existenz des zweiten Integrals über Fδ nachzuweisen, genügt es zu zeigen, daß das Integral endlich ist. Sei nun y ∈ Fδ , dann gilt ny = (∇Φ, −1) 1 (1 + |∇Φ|2 ) 2 1 , dsy = (1 + |∇Φ|2 ) 2 dy1 , ..., dyn−1 . 70 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Außerdem gilt 1 (y1 , ..., yn ) ∂ E(0; y) = ∇y E(0; y) · ny = · ny . ∂ny σn−1 |y|n Transformieren wir das Integral von Fδ nach Kδ (0), dann erhält man nach der Dreiecksungleichung Z Z ∂ |y1 Φy1 | + ... + |yn−1Φyn−1 | + |yn | dy1 ...dyn−1 . ∂ny E(0; y) dsy ≤ |y|n 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 Fδ Eine Taylorentwicklung von Φyi um Null ergibt: Φyi (y1 , ... , yn−1) = Φyi (0, ... , 0) + n−1 X Φyi yj (η1 , ... , ηn−1 ) yj , j=1 für gewisse (η1 , ... , ηn−1 ) ∈ Kδ (0). Da Φyi (0, ... , 0) = 0, existiert eine Konstante C > 0, so daß n−1 X |yk | , |Φyi (y1 , ... , yn−1)| ≤ C k=1 also auch da |yi | ≤ |y|. |yi Φyi | ≤ C |y|n Pn−1 C |yi| |yk | 1 ≤ , 2 n−2 |y| |y| |y|n−2 k=1 Schließlich gilt, nach einer weiteren Taylorentwicklung, daß |yn | |Φ(y1 , ..., yn−1 )| 1 ≤ ≤ C . |y|n |y|n |y|n−2 Wir haben somit sämtliche Terme des Integranden abgeschätzt und erhalten zusammen Z Z ∂ 1 dy1...dyn−1 = ∂ny E(0; y) dsy ≤ C |y|n−2 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 Fδ = C Zδ 0 = C Zδ Z = C 0 r n−2 2 y12 +...+yn−1 =r 2 1 r n−2 0 Zδ 1 Z 2 y12 +...+yn−1 =r 2 1 r σ r n−1 dr n−2 n−1 ds dr = ds dr = = 1 C σn−1 δ 2 . 2 71 2.4. Sprungrelationen also existiert das Integral für x ∈ Γ. Obwohl das Integral für alle x ∈ Rn existiert, läßt sich daraus nicht folgern, daß das Doppelschichtpotential beim Durchgang durch die Fläche Γ sich stetig in x ändert. Um dies genauer zu analysieren, benötigen wir Lemma 2.4.2. Sei Ω ein beschränktes Gebiet mit A(i). Dann gilt −1 Z ∂ E(x; y) dsy = − 21 ∂ny Γ 0 Rand Γ, und Ω erfülle Voraussetzung für x ∈ Ω , für x ∈ Γ , für x ∈ Ωα . Beweis. Wir setzen zunächst in (2.2) u ≡ 0 auf Ω und u ≡ 1 auf Ωa dann ergibt sich sofort Z Γ −1 für x ∈ Ω , ∂ E(x; y) dsy = ∂ny für x ∈ Ωα . 0 Um den noch ausstehenden Fall zu behandeln, wählen wir in Voraussetzung A(i) x0 = 0 und betrachten die Kugel Ka (0) , 0 < a ≤ δ , δ > 0 . Wir wenden den Satz von Gauß auf das Gebiet Ω ∩ ∁Ka an, wobei ∁Ka das Komplement von Ka (0) bezeichne. Wir erhalten für n = 3 : Z Z Z ∂ 1 1 ∂ 1 dy = dsy + dsy , 0 = divy ∇y |x − y| ∂ny |x − y| ∂ny |x − y| Ω∩∂Ka Γ∩∁Ka Ω∩∁K̄a also Z Γ∩∁Ka Z ∂ 1 dsy = − ∂ny |x − y| Ω∩∂Ka ∂ 1 dsy ∂ny |x − y| wobei ∂Ka der Rand von Ka (0) ist. Auf ∂Ka ∩ Ω gilt und Folglich ny = (0, −y)/a −y −y a2 1 ∂ 1 = 3 · = 4 = 2. ∂ny |x − y| a a a a Z Γ∩∁Ka 1 ∂ 1 dsy = − ∂ny 4π |x − y| Z Ω∩∂Ka 1 |∂Ka ∩ Ω| dsy = − , 2 4πa 4πa2 72 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen wobei |∂Ka ∩ Ω| den Flächeninhalt von ∂Ka ∩ Ω bezeichnet. Es gilt Raumwinkel · a2 a→0 2π 1 |∂Ka ∩ Ω| = = . −−−−→ 2 2 4πa 4πa 4π 2 Damit ergibt sich schließlich Z Z 1 ∂ 1 1 1 ∂ 1 dsy = lim dsy = − . a→0 ∂ny 4π |x − y| ∂ny 4π |x − y| 2 Γ Γ∩∁K̄a Analog verläuft die Vorgehensweise für n ≥ 4 . Mit diesem Lemma sind wir nun in der Lage, die fundamentalen Sprungbeziehungen in der Potentialtheorie zu beweisen. Für Doppelschichtpotentiale gilt Satz 2.4.3. Die Voraussetzung A sei erfüllt. Sei Ω ein beschränktes Gebiet im Rn mit Rand Γ. Ferner sei β stetig auf Γ. Dann gelten für das Integral Z ∂ u(x) = E(x; y) β(y) dsy ∂ny Γ mit x0 ∈ Γ die Beziehungen u(x0 )|+ = u(x0 ) − 1 β(x0 ) 2 u(x0 )|− = u(x0 ) + 1 β(x0 ) . 2 und Beweis. Wir betrachten die Funktion Z ∂ E(x; y) β(y) − β(x0 ) dsy g(x) = ∂ny Γ und zeigen zunächst die Stetigkeit von g. Z ∂ g(x) − g(x0 ) = (E(x; y) − E(x0 ; y)) β(y) − β(x0 ) dsy . ∂ny Γ Sei ε > 0, dann existiert ein δ > 0, so daß |β(y) − β(x0 )| ≤ C −1 4ε für alle y ∈ Γ ∩ Kδ (x0 ). Die Konstante C ist identisch mit der aus Voraussetzung A an Γ. Es sei jetzt x ∈ K δ (x0 ). Betrachte 2 h(x) = Z Γ\(Kδ (x0 )∩Γ) ∂ E(x; y) − E(x0 ; y) β(y) − β(x0 ) dsy . ∂ny 73 2.4. Sprungrelationen Dann ist h stetig auf K δ (x0 ) und h(x0 ) = 0. Ferner gilt 2 |g(x) − g(x0 )| ≤ C −1 ε 4 Z Kδ (x0 )∩Γ ∂ ∂ ∂ny E(x; y) + ∂ny E(x0 ; y) dsy + |h(x)| ≤ ε ≤ + |h(x)| < ε , 2 falls |x − x0 | klein genug ist, da h(x) → h(x0 ) = 0. Also ist g stetig und es folgt, daß Z ∂ g(x) = u(x) − β(x0 ) E(x; y) dsy ∂ny Γ stetig ist. Nach Lemma 2.4.2 folgt für x ∈ Ω: u(x) = g(x) − β(x0 ) −→ g(x0 ) − β(x0 ) 1 = u(x0 ) + β(x0 ) − β(x0 ) = u(x0 ) − 2 für x → x0 1 β(x0 ) , 2 womit die erste der beiden Beziehungen bewiesen ist. Die zweite ergibt sich völlig analog. Wir betrachten jetzt das Einfachschichtpotential Z v(x) = E(x; y)σ(y) dsy . Γ Es gilt Satz 2.4.4. Es gelte Annahme A(i) an Ω und σ ∈ C(Γ). Dann existiert das Einfachschichtpotential, es ist stetig in Rn und v ∈ C ∞ (Rn \ Γ) mit ∆v = 0 in Rn \ Γ. Beweis. Wir gehen ganz genauso vor wie in Satz 2.4.1 und zeigen die Existenz des Integrals. Dazu betrachten wir wieder Fδ = Γ ∩ Kδ (x) , wobei x ∈ Γ. Wir behandeln den Fall n ≥ 3. Es gilt Z 1 1 σ(y) dsy v(x) = (n − 2) σn−1 |x − y|n−2 ZΓ Z 1 1 1 1 = σ(y) dsy + σ(y) dsy . n−2 (n − 2) σn−1 |x − y| (n − 2) σn−1 |x − y|n−2 Fδ Γ\Fδ 74 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Es genügt wiederum das Integral über Fδ zu analysieren. Dazu führen wir eine Koordinaten-Transformation durch, indem wir den Ursprung in x legen. Wir erhalten Z Fδ 1 1 σ(y) dsy ≤ (n − 2) σn−1 |y|n−2 Z ≤C Z 1 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 =C Zδ Z 0 1 (1 + |∇Φ|2 ) 2 dy1...dyn−1 (n − 2) σn−1 |y|n−2 1 dy1...dy2 |y|n−2 r 2 y12 +...+yn−1 =δ2 2−n ds dr = 1 C σn−1 δ 2 . 2 Im Fall n=2 ergibt sich in der Abschätzung der Term δ ln δ −1 → 0 , für δ → 0, womit alles bewiesen ist. Trotz dieses Satzes hat man wieder die Sprungbedingung für die Normalenableitung. Satz 2.4.5. Sei Ω ⊂ Rn ein beschränktes Gebiet mit Rand Γ, und Ω erfülle die Bedingungen A(i) und A(ii). Ferner sei σ stetig auf Γ. Dann gelten für das Einfachschichtpotential mit x ∈ Γ die Beziehungen Z ∂ 1 ∂v(x) σ(x0 ) = E(x ; y) σ(y) ds + o y ∂nx0 + ∂nx0 2 Γ sowie Z ∂v(x) 1 ∂ σ(x0 ) . = E(x ; y) σ(y) ds − o y ∂nx0 − ∂nx0 2 Γ Dabei sind die Grenzwertbetrachtungen entlang der Geraden L0 durch x0 und parallel zu nx0 zu verstehen, entsprechend der Skizze 75 2.4. Sprungrelationen nx0 Ω x0 L0 Abbildung 2.3 Beweis. Sei x0 ∈ Γ und die Koordinaten seien so gewählt, daß x0 = (0, ..., 0). Das Flächenelement Fδ = Γ ∩ Kδ (0) habe wieder die Darstellung x21 + ... + x2n−1 ≤ δ 2 xn = Φ(x1 , x2 , ... , xn−1 ) , und nx0 = (0, 0, ... , 0, −1) . Es gilt Φ(0, ... , 0) = Φx1 (0, ... , 0) = ... = Φxn−1 (0, ... , 0) = 0. ( So wurde das Koordinatensystem gewählt ! ) Ferner ny = (∇Φ, −1) 1 (1 + |∇Φ|2 ) 2 , 1 dsy = (1 + |∇Φ|2 ) 2 dy1 ... dyn−1 . Die Grenzwerte entlang der Geraden L0 sind demnach entlang (0, ... , 0, xn ) und xn → 0 zu betrachten. Sei jetzt x 6= x0 , dann Z ∂v(x) ∂ = E(x; y) σ(y) dsy = ∂nx0 ∂nx0 Γ = Z " Γ # Z ∂ ∂ ∂ E(x; y) σ(y) dsy − E(x; y) σ(y) dsy =: h(x) − u(x) . + ∂nx0 ∂ny ∂ny Γ 76 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen u(x) existiert nach Satz 2.4.1. Wir werden zeigen, daß h stetig bleibt bei entsprechendem Grenzübergang. Dann folgt aus dem bereits Bewiesenen für Doppelschichtpotentiale 1 ∂v(x0 ) 1 ∂v(x) = h(x0 ) − u(x0 )|+ = h(x0 ) − u(x0 ) + σ(x0 ) = + σ(x0 ) x→0,x∈Ω ∂nx0 2 ∂nx0 2 lim und somit die Behauptung für die erste der beiden Beziehungen. Die zweite ergibt sich entsprechend. Wir kommen zur Stetigkeit von h. Es ist klar, daß h stetig ist für x 6= x0 . Betrachte # # Z " Z " ∂ ∂ ∂ ∂ h(x) = E(x; y) σ(y) dsy + E(x; y) σ(y) dsy = + + ∂nx0 ∂ny ∂nx0 ∂ny Fδ Γ\Fδ =: hδ + h1 (x) . Dann gilt |h(x) − h(x0 )| ≤ |hδ (x)| + |hδ (x0 )| + |h1 (x) − h1 (x0 )| . Sei nun ε > 0 gegeben. Da über Γ \ Fδ integriert wird, ist h1 stetig und |h1 (x) − h1 (x0 )| < ε , 3 falls |x − x0 | klein genug ist. Es bleibt zu zeigen, daß hδ (x) klein gemacht werden kann, indem δ > 0 klein genug gewählt wird. Mit x = (0, ... , 0, xn) gilt ∂ 1 x−y x−y ∂ + E(x; y) = · nx0 − · ny ∂nx0 ∂ny σn−1 |x − y|n |x − y|n ∇Φ, −1 1 1 (0, ... , 0, −1) − = 1 σn−1 |x − y|n (1 + |∇Φ|2 ) 2 1 1 1 = y1 Φx1 + ... + yn−1 Φxn−1 + σn−1 |x − y|n (1 + |∇Φ|2 ) 21 ! 1 + 1 − (1 + |∇Φ|2 ) 2 xn − yn . Die Terme yi Φxi |x − y|n 77 2.4. Sprungrelationen lassen sich wieder wie früher abschätzen. Man bekommt yi Φxi 1 |x − y|n ≤ C |x − y|n−2 . Ferner folgt, daß 1 − (1 + |∇Φ|2 ) 21 |∇Φ| ≤ |∇Φ|2 . = 1 1 1 2 (1 + |∇Φ| ) 2 (1 + |∇Φ|2 ) 2 1 + (1 + |∇Φ|2 ) 2 Zudem wurde früher gezeigt, daß |Φyi (y1 , ... , yn−1)| ≤ Ci |y1 | + ... + |yn−1| und daraus ≤ n−1 X i=1 1 − (1 + |∇Φ|2 ) 21 (x − y ) n n ≤ σn−1 |x − y|n (1 + |∇Φ|2 ) 21 2 Ci2 |y1 | + ... + |yn−1| · 1 σn−1 |xn − yn | C 1 ≤ . 2 n−2 |x − y| |x − y| |x − y|n−2 Alles zusammengesetzt, liefert C ∂ ∂ ≤ E(x; y) , + ∂nx ∂ny |x − y|n−2 0 also |hδ (x)| ≤ Z Fδ ≤ Z C |σ(y)| dsy ≤ |x − y|n−2 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 ≤ C Z C 2 dy1... dyn−1 ≤ |σ(y)| 1 + |∇Φ| |x − y|n−2 2 y12 +...+yn−1 ≤δ2 = C σn−1 δ 2 < ε , 3 1 dy1... dyn−1 = |x − y|n−2 falls δ > 0 klein genug gewählt wird. Damit gilt insgesamt |h(x) − h(x0 )| < falls |x − x0 | > 0 und δ > 0 klein sind. ε ε ε + + = ε, 3 3 3 78 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Zusammenfassend gilt: Die Integrale w(x) = Z ∂ E(x; y) β(y) dsy ∂ny Z E(x; y) σ(y) dsy Γ und v(x) = Γ existieren und erfüllen w, v ∈ C ∞ (Rn \ Γ) sowie ∆w = ∆v = 0 in Rn \ Γ . Außerdem (1) (2) (3) 1 w(x) = w(x0 ) − β(x0 ) , x→x0 ,x∈Ω 2 1 lim w(x) = w(x0 ) + β(x0 ) , x→x0 ,x∈Ωa 2 Z ∂ 1 ∂v(x) = E(x0 ; y) σ(y) dsy + σ(x0 ) lim x→x0 ,x∈L0 ∩Ω ∂nx0 ∂nx0 2 lim Γ und (4) 2.5 lim x→x0 ,x∈L0 ∩Ωa ∂v(x) = ∂nx0 Z Γ ∂ 1 E(x0 ; y) σ(y) dsy − σ(x0 ) . ∂nx0 2 Integralgleichungen in der Potentialtheorie In diesem Abschnitt suchen wir Lösungen von ∆u = 0 u = ϕ oder in Ω , auf Γ := ∂Ω ∂u = ϕ auf Γ ∂n in der Form von Doppelschicht- oder Einfachschichtpotentialen. Wir nehmen an, daß das Gebiet Ω beschränkt ist und genügend glatten Rand Γ hat. Wir bezeichnen im folgenden Ω als das innere Gebiet, dagegen Ωa = Rn \ Ω als das äußere Gebiet. 79 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie Die Existenz einer Lösung des inneren bzw. äußeren Dirichlet-und Neumann-Problems wird auf die Lösung der entsprechenden Fredholm-Integralgleichungen zurückgeführt. Wir beginnen unsere Betrachtungen mit dem inneren Dirichlet-Problem ∆u = 0 u = ϕ in Ω , auf Γ . Dies ist aufgrund der Sprungrelationen (1) äquivalent zu 1 w− β = ϕ 2 oder zu β(x) + − 2 Z Γ ∂ E(x; y) β(y) dsy = ϕ(x) , x ∈ Γ . ∂ny Es handelt sich hier um die Fredholmsche Integralgleichung 2. Art, die als Lösung eine stetige Funktion β hat. Damit ergibt sich die Lösung u(x) als Z ∂ u(x) = E(x; y) β(y) dsy , ∂ny Γ mit u = ϕ auf Γ. Das äußere Dirichlet-Problem ∆u = 0 u =ϕ in Ωa , auf Γ ist äquivalent zu (2) β(x) + 2 Z Γ ∂ E(x; y) β(y) dsy = ϕ(x) , ∂ny x ∈ Γ, wobei hier ny die nach außen gerichtete Normale darstellt. Das innere Neumann-Problem läßt sich lösen mit (3) Z ∂ σ(x) + E(x; y) σ(y) dsy = ϕ(x) , 2 ∂nx x ∈ Γ, Γ das äußere Neumann-Problem mit Z ∂ σ(x) + E(x; y) σ(y) dsy = ϕ(x) , − 2 ∂nx x ∈ Γ. Γ Alle diese Gleichungen sind lösbar nach der Fredholmschen Alternative. Dies ist eine Verallgemeinerung des bekannten Satzes aus der linearen Algebra, nämlich: 80 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Sei A eine reell- oder komplexwertige Matrix. Dann gilt: Entweder hat Ax = b eine Lösung x ∈ Rn für jeden Vektor b ∈ Rn , oder Ax = 0 hat nichttriviale Lösungen. Entsprechend lautet die Fredholmsche Alternative: Entweder hat die Integralgleichung (I − λK) y = f für jedes stetige f eine Lösung, oder die homogene Gleichung (I − λK)y = 0 hat nichttriviale Lösungen. Dabei ist I die Identität, λ ∈ C beliebig und Zb k(x, s) y(s) ds K y (x) = a ein Integraloperator. Die Funktionen k , f und y werden im folgenden genauer spezifiziert. Dabei ist k der Kern des Operators. Es gilt zunächst Lemma 2.5.1. Sei k ein degenerierter Kern des Integraloperators, d.h. k hat die Darstellung n X k(x, s) = < a(s), b(x) > := ai (s) b̄i (x) , i=1 wobei ai , bi , i = 1... n stetige komplexwertige Funktionen sind. Ist zudem f stetig, dann gilt die Fredholmsche Alternative für die entsprechenden Integralgleichung mit Kern k(x, s). Beweis. Wir beweisen dieses Lemma, indem wir die Fredholmsche Alternative auf eine Matrixgleichung zurückführen. Setze o.B.d.A. λ = 1. Dazu nehmen wir an, daß y = y(x) die Gleichung: y(x) = f (x) + Zb X n a j=1 aj (x) b̄j (s) y(s) ds 81 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie löst. Dann gilt y(x) = f (x) + n Z X j=1 b b̄j (s) y(s) ds aj (x) . a Die Integrale auf der rechten Seite sind ganz bestimmte Zahlen, d.h. falls y(x) die Integralgleichung löst, ist y(x) eine Linearkombination von f (x) und weiterhin von den Funktionen a1 (x), ... , an (x). Wir definieren < u , v > := Zb u(x) v̄(x) dx , a und erhalten dann y(x) = f (x) + n X < y , bj > aj (x) j=1 Unsere Aufgabe besteht darin, < y, bj > zu finden. Dazu multiplizieren wir die obige Gleichung mit b̄i (x) und integrieren von a bis b, also < y , bi > = < f , bi > + n X < aj , bi > < y , bj > , j=1 wobei i = 1... n. Somit erfüllt der Vektor T Y = < y , b1 > , ... , < y , bn > die Matrixgleichung Y = F + CY oder (I − C) Y = F , wobei und T F = < f , b1 > , ... , < f , bn > eine n × n-Matrix ist. C = < aj , bi > n×n Also ist (I − K) y = f , d.h. y = f (x) + n X j=1 äquivalent zu (I − C) Y = F . Yj aj (x), 82 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Wir nehmen nun an, die zweite Variante der Fredholm-Alternative gilt nicht für die ursprüngliche Integralgleichung, d.h. aus (I − K) y = 0 folgt y = 0. Aus f = 0 folgt F = 0, und das bedeutet, daß (I − C)Y = 0 als einzige Lösung Y = 0 hat, da yi =< y , bi > und y = 0. Das bedeutet aber, daß (I − C) Y = F für jedes F eine Lösung hat. Aus der Äquivalenz zwischen den Matrixdarstellungen folgt die Lösbarkeit der letzteren und somit trifft Fredholms Alternativsatz auch für diese zu. Die Kerne, die in unseren Fällen auftreten, sind von der Form k(x, s) = m(s, x) , |x − s|r mit m stetig in [a, b] × [a, b] und 0 < r < 1. Solche Kerne heißen schwach singulär. Satz 2.5.2. Für Integralgleichungen mit schwach singulären Kernen gilt die FredholmAlternative. Beweis. Wir setzen o.B.d.A. λ = 1 und weisen vier Eigenschaften nach, aus denen die Aussage folgt. (i) Sei y ∈ C[a, b] beliebig, dann ist das Integral Zb K y (x) = k(x, s) y(s) ds a definiert, denn sei M := max(x,s)∈[a,b]2 |m(x, s)|, dann folgt Zb a Zb 1 ds = |x − s|r a 1 1−r 1−r < (x − a) + (b − x) = M kyk∞ 1−r 2 M kyk∞ |b − a|1−r < < ∞. 1−r |k(x, s)| |y| ds ≤ M kyk∞ Dabei bezeichne kyk∞ die Maximumsnorm für stetige Funktionen. 83 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie (ii) Ky ∈ C[a, b] ., wenn y ∈ C[a, b]: Betrachte kn (x, s) := k(x, s) m(x, s) nr für |x − s| ≥ 1 n , für |x − s| ≤ 1 n , dann gilt für alle n ∈ N , daß kn stetig ist. Der entsprechende Integraloperator sei Kn , Kn : C[a, b] → C[a, b] . Es gilt 1 x+ Z n m(x, s) r |Kn y(x) − K y(x)| = m(x, s) n − y(s) ds ≤ r |x − s| x− 1 n 1 x+ n 1 ≤ M kyk∞ x+ Z n r n ds + 1 x− n r−1 = M kyk∞ 2 n Z 1 x− n 2 nr−1 + 1−r ds |x − s|r = = 2 M (2 − r) kyk∞ . (1 − r) n1−r Da r < 1, ergibt sich max |Kn y(x) − K y(x)| = kKn y − K yk∞ → 0 , x∈[a,b] und zwar gleichmäßig für n → ∞. Also ist K y stetig, d.h. K : C[a, b] → C[a, b] . Weiter erkennt man, daß kKn − Kk∞ ≤ 2 M (2 − r) (1 − r) n1−r gilt. (iii) Den stetigen Kern kn kann man nach Weierstraß beliebig genau durch einen polynomialen Kern pm (x, s) gleichmäßig approximieren, d.h. für ein vorgegebenes ε > 0 existiert m ∈ N mit |kn (x, s) − pm (x, s)| < ε für alle (x, s) ∈ [a, b] × [a, b] und somit kKn − Pm k∞ < (b − a) ε , 84 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen wobei Pm der zu pm entsprechende Integraloperator ist. Daraus folgt kK − Pm k∞ ≤ kK − Kn k∞ + kKn − Pm k∞ ≤ 2 M (2 − r) + (b − a) ε . (1 − r) n1−r Wähle n ∈ N so groß, daß 2 M (2 − r) < (b − a) ε , (1 − r) n1−r d.h. kK − Pm k∞ → 0 für m → ∞ . (iv) Daraus ergibt sich aber auch sofort, daß ein m ∈ N existiert mit kK − Pm k < 1 . Fassen wir noch einmal zusammen: Wir haben gezeigt, daß (i) K : C[a, b] → C[a, b] , (ii) K = Pm + (K − Pm ) =: Pm + Rm , (iii) Pm hat degenerierten Kern , (iv) kRm k < 1 . Solche Operatoren erfüllen die Fredholmsche Alternative, was wir jetzt noch nachweisen wollen. Dazu bemerken wir, daß die folgenden Gleichungen äquivalent sind, d. h. alle die gleiche Lösung haben: (I − K)y = f , (∗) (I − Rm )y − Pm y = f nach (ii) und (I − Lm )y = gm , (∗∗) mit Lm := (I − Rm )−1 Pm und gm := (I − Rm )−1 f . (a) Die Inverse von I − Rm existiert nach dem wohlbekannten Satz: Sei V ein Banachraum und Rm ∈ L(V ) hat die Norm kRm k < 1 ist der Operator I − Rm invertierbar in L(V ) und (I − Rm ) −1 = ∞ X n=1 (Rm )n . siehe (iv) . Dann 85 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie (b) Lm : C[a, b] → C[a, b] hat degenerierten Kern, denn Lm y(x) = (I − Rm ) −1 Pm y(x) = (I − Rm ) −1 Zb X n a =: Zb a n X ai (x) b̄i (s) y(s) ds =: i=1 Ai (x) b̄i (s) y(s) ds , i=1 nach (iii) und mit l(x, s) = n X Ai (x) b̄i (s) , i=1 Ai = (I − Rm )−1 ai folgt, daß l(x, s) - der Kern von Lm - degeneriert ist. (c) Für (∗) folgt sofort die Fredholmsche Alternative, denn angenommen die zweite Variante der Fredholm-Alternative trifft nicht auf (∗) zu, d.h. aus (I − K) y = 0 folgt, daß y = 0. Dann tritt die folgende Situation ein: Da f = 0 gesetzt wurde, gilt in (∗∗) aufgrund der Äquivalenz zu (∗), daß auch gm = 0. Also hat (I − Lm ) y = 0 auch nur die triviale Lösung. Nach Lemma 2.5.1 trifft für die letzte Gleichung die Fredholm-Alternative zu, d.h. sie hat für jedes stetige g eine Lösung. Wegen der Äquivalenz zwischen (∗) und (∗∗) folgt somit die Behauptung für (∗). Damit ist Satz 2.5.2 vollständig bewiesen. Anmerkung. Wir haben uns hier nur mit der Fredholm-Alternativen für Funktionen im R1 befaßt. Natürlich gelten die entsprechenden Überlegungen auch ganz allgemein. Wir haben nun gezeigt, daß sich die Fredholm- Alternative auf unsere Fälle anwenden läßt. Betrachten wir also das innere Dirichlet-Problem, d.h. Z 1 ∂ − β(x) + E(x; y) β(y) dsy = ϕ(x) , 2 ∂ny Γ dann müssen wir zeigen, daß 1 − β(x) + 2 Z Γ nur die triviale Lösung β = 0 hat. ∂ E(x; y) β(y) dsy = 0 ∂ny 86 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Dazu nehmen wir an, daß β die homogene Gleichung löst, d.h. Z v(x) = E(x; y) β(y) dsy , Γ Dies ist also die Darstellung als Einfachschichtpotential und löst das äußere NeumannProblem ∆v = 0 ∂v = 0 ∂na in Ωa , auf Γ , wobei na die äußere Normale an Ωa ist und v → 0 für |x| → ∞ . Das bedeutet aber v = 0 in Ωa v = 0 auf Γ und somit wegen der Stetigkeit des Einfachschichtpotentials. Dann löst v auch das innere DirichletProblem, also v = 0 in Ω . Daraus folgt ∂v(z) = 0 ∂nx für alle z ∈ Ω. Aus den Sprungrelationen folgt Z ∂ 1 0 = E(x; y) β(y) dsy + β(x) . ∂nx 2 Γ Subtrahieren wir dies von der ursprünglichen homogenen Gleichung, dann ergibt sich schließlich β(x) = 0 An einem Beispiel im R2 wollen wir nun zum Abschluß des Abschnittes die Methoden benutzen, um die Lösung des Dirichlet-Problems über einer Kreisscheibe zu finden, d.h. wir betrachten in zwei Raumdimensionen das Problem ∆u = 0 u = f in Ka (0) , a > 0 , auf ∂Ka (0) . 87 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie Wir nehmen also eine Lösung in der Form eines Doppelschichtintegrals an, Z 1 ∂ 1 β(y) dsy . ln u(x) = 2π ∂ny |x − y| ∂Ka Diese harmonische Funktion nimmt die gewünschten Randdaten an, falls Z 1 ∂ 1 1 f (x) = ln β(y) dsy − β(x) 2π ∂ny |x − y| 2 ∂Ka für x ∈ ∂Ka gilt. Sei x, y ∈ ∂Ka , dann 1 x−y y x · y − a2 1 ∂ ln = · = = − ∂ny |x − y| |x − y|2 a a(2a2 − 2 x · y) 2a und somit Z 1 f (x) = − 4πa β(y) dsy − 1 β(x). 2 ∂Ka Wir integrieren jetzt (2.7) nach x und erhalten Z Z 2πa 1 − β(y) dsy f (x) dsx = − 4πa 2 ∂Ka ∂Ka bzw. Z β(y) dsy = − ∂Ka Z f (x) dsx . ∂Ka Aus (2.7) folgt 1 β(x) = 2πa Z f (z) dsz − 2 f (x) . ∂Ka Daraus ergibt sich für die Lösung des Dirichlet-Problems Z Z 1 1 ∂ 1 ln f (z) dsz − 2 f (y) dsy u(x) = 2π ∂ny |x − y| 2πa ∂Ka da R ( ∂ ∂Ka ∂ny ∂Ka 1 ln |x−y| )dsy = −2π Z Z 1 2 ∂ 1 ln f (y) dsy f (z) dsz − = − 2πa 2π ∂ny |x − y| ∂Ka ∂Ka Z 1 ∂ 1 f (y) dsy , ln 1 + 2a = − 2πa ∂ny |x − y| ∂Ka (2.7) 88 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen wobei im zweiten Schritt das Theorem von Gauß verwendet wurde. Schließlich ergibt sich für x ∈ Ka (0) und y ∈ ∂Ka (0) : , 1 + 2a Somit erhalten wir 1 y x−y ∂ ln = 1 + 2a · = ∂ny |x − y| a |x − y|2 (x − y) · (x − y) + 2y · (x − y) = = |x − y|2 |x|2 − a2 (x − y) · (x + y) = . = |x − y|2 |x − y|2 1 u(x) = − 2πa Z ∂Ka 2.5.1 |x|2 − a2 f (y) dsy . |x − y|2 Der Index eines elliptischen Randwertproblems. Um die Existenz und Eindeutigkeit für allgemeinere elliptische Randwertprobleme zu beweisen, erweist sich der Begriff des Index einer Randwertaufgabe als Schlüssel dazu. Sei Ω ⊂ Rn mit glattem Rand ∂Ω. Wir betrachten einen Operator der Form X A = aα (x) D a |a|≤m mit aα ∈ C ∞ (Ω̄) . Es sei daran erinnert, daß A elliptisch ist, wenn das Hauptsymbol X am (x; ξ) = aα (x)ξ a 6= 0 |a|=m in Ω für alle x ∈ Rn \ {0} liegt. Daraus folgt, daß m notwendigerweise gerade sein muß. Wir betrachten das Randwertproblem Au = f in Ω , m Bj u = ϕj , j = 1, 2, ... , 2 (2.8) auf ∂Ω . Dabei ist Bj = Bj (x, Ω) ein Differentialoperator der Ordnung mj < m, der in einer Umgebung des Randes ∂Ω erklärt ist und glatte Koeffizienten hat. 89 2.5. Integralgleichungen in der Potentialtheorie Satz 2.5.3. Das Randwertproblem (2.8) sei elliptisch. Dann gilt (i) Für alle γ > m, γ nicht ganzzahlig, ist m A : C γ (Ω) → C γ−m (Ω) × 2 Y j=1 C γ−mj ∂Ω , u 7→ {Au, B1u|∂Ω , ... , B m2 u|∂Ω } ein Fredholm-Operator mit ker A < ∞. Im A ist abgeschlossen und codim(imA) < ∞. (ii) Falls ∂Ω und die Koeffizienten von A, Bj sowie f und ϕj analytisch sind, dann ist auch die Lösung u von (2.8) analytisch. (iii) Für alle γ > m, γ nicht ganzzahlig, gilt m n kuk(γ) ≤ C kAuk(γ−m) + 2 X j=1 o kBj uk(γ−mj ) + kukC(Ω̄) . Der Beweis wird durch Reduktion auf Integralgleichungen geführt. Definition 2.5.4. Betrachte den Operator A : E1 → E2 . Der Index des Operators A ist definiert durch indA := − dim(ker A) − dim(cokerA) . Hierbei sind E1 , E2 Vektorräume und cokerA = E2 /ImA . Der Index eines Operators ist invariant unter Homotopietransformationen in der Klasse der elliptischen Randwertprobleme. 90 Kapitel 2 : Elliptische Gleichungen Kapitel 3 Hyperbolische Differentialgleichungen Wir schreiben die Definition 1.3.5 in einer etwas konventionelleren Form: X A := aα,j (t, x)Dxα Dtj , t ∈ R, x ∈ Rn . (3.1) |α|+j≤m A heißt hyperbolisch an der Stelle (t, x) (in t-Richtung), wenn für das Hauptsymbol X Am (t, x, (τ, ξ)) = aα,j (t, x)ξ α τ j , ((τ, ξ) ∈ R × Rn ) , |α|+j=m gilt: i) Am (t, x, (1, 0)) = a0,m (t, x) · 1m 6= 0 (t-Achse ist keine Charakteristik) ii) Das Polynom π(λ) := Am (t, x, (τ, ξ) + λ · (1, 0)) = X |α|+j=m aα,j (t, x)ξ α · (λ + τ )j für alle (τ, ξ) ∈ R × Rn nur reelle Nullstellen besitzt. Man sieht sofort, daß wir eine einfachere, aber zu ii) äquivalente Bedingung erhalten, wenn wir τ = 0 setzen. Sind die Wurzeln zusätzlich alle einfach, so heißt A strikt hyperbolisch an der Stelle (t, x), gelten die Eigenschaften für alle (t, x) ∈ R × Rn , so spricht man einfach von dem hyperbolischen bzw. streng hyperbolischen Differentialoperator A. Bemerkung. Die Übertragung auf Systeme partieller Differentialgleichungen, bei denen aα,j (t, x) Matrizen sind, wurde in den Einführungskapiteln ebenfalls besprochen. 91 92 3.1 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen Das Cauchy-Problem Die Eigenschaft eines Operators, hyperbolisch zu sein, hängt mit der sachgemäßen Gestelltheit des Cauchy-Problems für diesen Operator zusammen. Wir erinnern uns: notwendig aber nicht hinreichend für die sachgemäße Gestelltheit eines Problems war die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung. Der folgende Satz zeigt, daß dies beim Cauchy-Problem gerade für die hyperbolischen Differentialoperatoren zutrifft. Satz 3.1.1. Der Operator A nach (3.1), aber mit konstanten Koeffizienten aα,j (t, x) ≡ aα,j ist genau dann hyperbolisch, wenn die Gleichung Au = f eine eindeutig bestimmte Lösung u ∈ D ′ (Rn+1 ) für jedes f ∈ C0∞ (H) hat, mit H := {(t, x)|t ≥ 0, x ∈ Rn }. Der Beweis findet sich in Gårding, L.: Acta Math. 85, 1-62. Bemerkung. D ′ (Rn+1 ) bezeichnet den Raum der Distributionen auf D(Rn+1 ), dem Raum der beliebig oft auf dem Rn+1 differenzierbaren Funktionen mit kompaktem Träger. Eine kurze Einführung der Distributionen findet sich in Otto Forster, Analysis III, Vieweg 1984. Für eine ausführlichere Darstellung der Theorie, wie sie im Zusammenhang mit partiellen Differentialgleichungen benötigt wird, kann man das Buch von Joseph Wloka, Partielle Differentialgleichungen: Sobolevräume und Randwertaufgaben, Teubner 1982, heranziehen. Wegen der Bedeutung des Cauchy-Problems werden wir uns auch in 3.2/3.3 weiter mit ihm auseinandersetzen, allerdings eingeschränkt auf Probleme mit klassischen Lösungen, die also nicht nur in Distributionenräumen sondern in ‘gewöhnlichen’ Funktionenräumen liegen. 3.2 Energieabschätzungen Die Methode der Energieabschätzungen spielt bei der Diskussion des Cauchy-Problems eine wichtige Rolle. Das folgende Beispiel soll die Herleitung und Nützlichkeit dieser Abschätzungen anhand eines besonders einfachen Falles demonstrieren. Beispiel 3.2.1. Wir betrachten eine Lösung des Cauchy-Problems zur n-dimensionalen Wellengleichung mit u(t, ∗) ∈ C02 (Rn ) für alle t ∈ [0, T ]: ∂2u − ∆u = 0 für 0 < t ≤ T, u := ∂t2 ∂u (0, x) = ϕ1 , x ∈ R. u(0, x) = ϕ0 , ∂t (3.2) 93 3.2. Energieabschätzungen Wir multiplizieren die Differentialgleichung u = 0 mit u̇ = 0 = Zt Z uu̇dxdt = 0 Rn = Zt Z (u̇ 0 Rn Z Zt 1∂ 2 (u̇ )dtdx + 2 ∂t Z Zt Rn 0 ∇u · ∇u̇dxdt Z Zt 1∂ |∇u|2dxdt 2 ∂t Rn 0 Rn 0 Z Z 1 1 2 2 = (u̇ (t) − u̇ (0))dx + (|∇u(t)|2 − |∇u(0)|2 )dx. | {z } | {z } 2 2 Rn Rn = ϕ21 = |∇ϕ0 |2 = Setze Z und integrieren partiell: ∂2u − u̇∆u)dxdt ∂t2 Rn 0 Zt ∂u ∂t E0 : = 1∂ 2 (u̇ )dtdx + 2 ∂t Z Rn Et : = Z Rn (ϕ21 + |∇ϕ0 |2 )dx , (u̇2 (t, x) + |∇u(t, x)|2 )dx , ⇒ Et = E0 für alle t ≥ 0. Die letzte Gleichung drückt die Erhaltung der physikalischen Energie aus. Bemerkungen: 1. Mit dem so gewonnenen Ergebnis läßt sich leicht die Eindeutigkeit der Lösungen von (3.2) zeigen. Wegen der Linearität von genügt es, nur den Fall ϕ0 ≡ ϕ1 ≡ 0 zu betrachten. Dann ist aber E0 = 0, also Et = 0 für alle t ≥ 0, also u̇(t) = 0 für alle t ⇒ u(t, x) ≡ const = u(0, x) = ϕ0 (x) = 0, d.h. u ≡ 0. 2. Die Herleitung der Energiegleichung ist nicht untypisch auch für komplexere Probleme, insbesondere wird der Trick, mit u̇ = ∂u zu multiplizieren, häufiger eingesetzt. Aller∂t dings ist das Ergebnis oft eine Ungleichung, keine Gleichung, und die auftretenden Größen lassen sich nicht immer als physikalische Energien interpretieren. Wir betrachten jetzt das Cauchy-Problem für streng hyperbolische Systeme 1. Ordnung. Sei für x ∈ Rn , 0 ≤ t ≤ T : P (t, x, Dt , Dx ) : = Dt + n X j=1 mit aj (t, x)Dj + a0 (t, x) 94 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen ∂ ∂t ∂ j = 1, . . . , n , Dj = ∂xj ∂ ∂ Dx = ,..., , ∂x1 ∂xn Dt = aj (t, x) ∈ RN ×N mit glatten und auf 0 ≤ t ≤ T beschränkten Matrixelementen. Wir nehmen an: i) Für alle Wurzeln λ von det(λI + n X aj (t, x)ξj ) = 0 j=1 gilt λ ∈ R und paarweise verschieden für alle ξ ∈ Rn \ {0} (strenge Hyperbolizität von P ). ii) Es gibt eine von t, x und ξ unabhängige Konstante C0 > 0 mit |λ(t, x, ξ) − λ′ (t, x, ξ)| ≥ C0 |ξ|. für alle t ∈ [0, T ] und für alle x ∈ Rn und je zwei verschiedene Wurzeln λ(t, x, ξ) und λ′ (t, x, ξ). |ξ| bezeichnet hier die gewöhnliche euklidische Norm, |ξ| = (|ξ1 |2 + . . . + 1 |ξn |2 ) 2 . Für die folgenden Sätze benötigen wir Elemente der Sobolevraumtheorie. Wir geben hier nur eine - möglichst einfache - Definition der ganzzahligen Sobolevräume an und verweisen für eine Darstellung der Theorie auf die einschlägige Fachliteratur, etwa auf Joseph Wloka, Partielle Differentialgleichungen: Sobolevräume und Randwertaufgaben. Teubner, 1982. Definition. Es sei Ω ⊂ Rn ein Gebiet und E(Ω) := {ϕ : Ω → C | ϕ ist in Ω beliebig oft differenzierbar.} Seien ferner (·, ·)Ω und k · kΩ das L2 (Ω)-Skalarprodukt und die L2 (Ω)-Norm, Z (ϕ, ψ)Ω := ϕ(x)ψ(x)dx für ϕ, ψ ∈ E(Ω) , Ω 1 2 k ϕ kΩ := [(ϕ, ϕ)Ω ] = Z Ω 1 |ϕ(x)|2 dx 2 für ϕ ∈ E(Ω) . (Bemerkung. Für ϕ ∈ E(Ω) ist natürlich der Fall k ϕ kΩ = ∞ möglich!) Definiere damit zu s ∈ N0 das Skalarprodukt X (ϕ, ψ)s,Ω := (D l ϕ, D l ψ)Ω für ϕ, ψ ∈ E(Ω) |l|≤s und die (kanonisch) zugehörige Sobolevnorm 95 3.2. Energieabschätzungen 1 k ϕ ks,Ω := [(ϕ, ϕ)s,Ω ] 2 = X |l|≤s k D l ϕ k2Ω 12 für ϕ ∈ E(Ω) , wobei D l , |l| den üblichen Notationen für Differentialoperatoren und Multiindizes folgen. Dann ist der Sobolevraum H s (Ω) definiert als Vervollständigung von {ϕ ∈ E(Ω); k ϕ ks,Ω < ∞} bezüglich der Sobolevnorm k · ks,Ω , d.h. k−ks,Ω H s (Ω) := {ϕ ∈ E(Ω); k ϕ ks,Ω < ∞} . Bemerkung. (H s (Ω); (., .)s,Ω ) ist ein separabler Hilbertraum. In den folgenden Sätzen beschränken wir uns auf die Situation Ω = Rn . Satz 3.2.2. Für jede reelle Zahl s gibt es eine Konstante C = C(s, T ) mit k u(t, ·)ks ≤ C · ZT 0 k P u(τ, ·) ks dτ, 0 < t ≤ T. Hierbei ist u = (u1 , . . . , uN ), für die die Anfangsbedingung u(0, x) = 0 für alle x ∈ Rn erfüllt ist, und deren Komponenten als Funktionen in x (mit t nur als Parameter) aus E(Rn ) stammen. Außerdem bezeichnet k · ks die Sobolevnorm für vektorwertige Funktionen, d.h. für f = (f1 , . . . , fN ) ∈ (H s (Rn ))N . Diese erhält man auf natürliche Weise aus der skalaren Sobolevnorm durch N X 1 k f ks := k fj k2s,Rn 2 . | {z } j=1 H s -Norm mit Ω = Rn Beweis. Der längliche Beweis findet sich in Louis Nirenberg, Lectures on linear partial differential equations. Regional Conference Series in Mathematics, No. 17, American Mathematical Society (AMS). Korollar 3.2.3. Das Cauchy-Problem P (t, x, Dt , Dx )u = f (t, x), u(0, x) = ϕ ist höchstens eindeutig lösbar in C 1 (Rn ). 0<t<T, 96 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen Beweis. Seien u, v ∈ C 1 zwei Lösungen, und k · k1 die Sobolevnorm zu s = 1. Setze w := u − v. Aus Satz 3.2.2 folgt dann kw(t, ·)k1 ≤ C ZT kP w(τ, ·)k1dτ = 0 0 ⇒ w(t, x) = 0 für 0 < t ≤ T, x ∈ Rn . Außerdem gilt wegen der Anfangsbedingung w(0, x) = u(0, x) − v(0, x) = 0 für alle x ∈ Rn . Der zugehörige Existenzsatz stützt sich auf moderne funktionalanalytische Methoden und setzt Kenntnisse aus der in dieser Vorlesung nur sehr kursorisch behandelten Hilbert- und Sobolevraumtheorie voraus. Wir geben ihn hier daher nicht an und verweisen im Zusammenhang mit dieser und weiteren Existenz- und Eindeutigkeitsfragen bei hyperbolischen Differentialgleichungen auf die umfangreiche Fachliteratur. 3.3 Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung Wir fragen nach expliziten Lösungen für das Cauchy-Problem u = c2 ∆u − utt = 0, t ≥ 0, x ∈ Rn , u(0, x) = ϕ0 (x) , ut (0, x) = ϕ1 (x) , (3.3) für die Dimensionen n = 1, 2, 3. Für den Fall n = 1 hatten wir in 1.1.4 bereits explizite Lösungen kennengelernt. n = 1: d‘Alembert-Formel 1 1 u(t, x) = (ϕ0 (x − ct) + ϕ0 (x + ct)) + 2 2c x+ct Z ϕ1 (ξ)dξ . x−ct Auch für den Fall n = 2 und n = 3 gibt es explizite Lösungsformeln. n = 2: Poisson-Formel 1 ∂ u(t, x, y) = 2πc ∂t Z Kct 1 + 2πc Z Kct mit Kct := {(ξ, η); ϕ0 (ξ, η) 1 (c2 t2 − (x − ξ)2 − (y − η)2 ) 2 ϕ1 (ξ, η) 1 (c2 t2 − (x − ξ)2 − (y − η)2 ) 2 (x − ξ)2 + (y − η)2 ≤ c2 t2 }. dξdη dξdη , 97 3.3. Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung n = 3: Kirchhoff-Formel 1 ∂ 1 u(t, x, y, z) = 4πc2 ∂t t 1 + 4πc2 t Z ∂K Z ct ϕ0 (ξ, η, ζ)dS(ξ, η, ζ) ϕ1 (ξ, η, ζ)dS(ξ, η, ζ) , (3.4) ∂Kct mit ∂Kct := {(ξ, η, ζ); (x − ξ)2 + (y − η)2 + (z − ζ)2 = c2 t2 }. Man beachte, daß im zweidimensionalen Fall über die gesamte 2-Kugel integriert wird, im dreidimensionalen Fall nur über die Oberfläche der 3-Kugel. Dies hat Konsequenzen für das Langzeitverhalten der Lösung, die wir unter dem Stichwort ‘Huygensches Prinzip’ im letzten Paragraphen dieses Kapitels diskutieren werden. Wir betrachten zunächst den 3D-Fall, also die Kirchhoff-Formel. Dazu erweist sich der Begriff des sphärischen Mittels einer Funktion f = f (x) als nützlich: Z 1 (M(t)f )(x) := f (x + νt)dω(ν) . (3.5) 4π |ν|=1 Bemerkung. (M(t)f )(x) ist C k bzgl. t und x, wenn f ∈ C k bzgl. x. Außerdem ist (M(0)f )(x) = f (x). Im folgenden setzen wir bis auf weiteres c = 1. Satz 3.3.1. Es seien ϕ0 ∈ C 3 , ϕ1 ∈ C 2 und u(t, x, y, z) := t(M(t)ϕ1 )(x, y, z) + ∂ [t(M(t)ϕ0 )(x, y, z)] . ∂t Damit gilt: u ∈ C 2 und u = ∆u − utt = 0 , u(0, x, y, z) = ϕ0 (x, y, z) , ut (0, x, y, z) = ϕ1 (x, y, z) . Beweis. Durch Nachrechnen, zunächst für die Anfangsbedingungen. (3.6) 98 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen i) Anfangsbedingungen u(0, x, y, z) = {(M(t)ϕ0 )(x, y, z) + t[(M(t)ϕ1 )(x, y, z) + (Mt (t)ϕ0 )(x, y, z)]}|t=0 = (M(0)ϕ0 )(x, y, z) = ϕ0 (x, y, z), ut (0, x, y, z) = {(M(t)ϕ1 ) + 2(Mt (t))ϕ0 + t[(Mt (t)ϕ1 ) + (Mtt (t)ϕ0 )]}(x, y, z)|t=0 = {(M(0)ϕ1 ) + 2(Mt (0)ϕ0 )}(x, y, z) 1 Mt (0)ϕ0 = 4π 1 = 4π Z < grad ϕ0 , ν > dω(ν) |ν|=1 Z ∇ν (grad ϕ0 ) dV (ν) |ν|≤1 =0 Der Index ν am Nablaoperator in der vorletzten Zeile soll andeuten, auf welche Variable der Operator wirkt. Die vorausgegangene Umformung stützt sich im übrigen auf den Satz von Gauß. ⇒ ut (0, x, y, z) = (M(0)ϕ1 )(x, y, z) = ϕ1 (x, y, z) ii) Wir zeigen nun, daß Funktionen der Form t f (t, x) = t(M(t)ϕ)(x) = 4π Z ϕ(x + νt)dω |ν|=1 mit ϕ ∈ C 2 die Wellengleichung erfüllen. Berechnung der einzelnen Terme: ftt = (M(t)ϕ + tMt (t)ϕ)t = 2Mt (t)ϕ + tMtt (t)ϕ 99 3.3. Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung 1 (Mt (t)ϕ)(x) = 4π Z |ν|=1 1 = 4πt2 1 = 4πt2 < grad ϕ(x + νt), ν > dω(ν) Z < grad ϕ(y), ν > dS(y) y = x + νt, |x−y|=t Z ∆ϕ(y)dy |x−y|≤t 1 = 4πt2 dS = t2 dω , Zt Z dτ 0 Satz von Gauß, ∆ϕ(y)dS(y). |x−y|=τ Durch Ableiten der letzten Formel Berechnung von Z 1 1 (Mtt (t)ϕ)(x) = − ∆ϕ(y)dy + 3 2πt 4πt2 |x−y|≤t Z ∆ϕ(y)dS(y) |x−y|=t damit Z Z Z 1 1 1 ftt = 2 · ∆ϕ(y)dy − t · ∆ϕ(y)dy − ∆ϕ(y)dS(y) 4πt2 2πt3 4πt2 |x−y|≤t |x−y|≤t |x−y|=t Z 1 ∆ϕ(y)ds(y) = 4πt |x−y|=t Berechnung von ∆f : t ∆f (t, x) = 4π Z ∆ϕ(x + vt)dw |ν|=1 1 = 4πt Z ∆ϕ(y)dS Substitution wie vorher |x−y|=t Ergebnis: ftt − ∆f = 0. ∂ Wir müssen noch zeigen, daß auch ∂t [tM(t)ϕ0 ] die Wellengleichung erfüllt. Setze g(t, x) := (tM(t)ϕ0 )(x) s.o. ∂ (∆g − gtt ) = ∆gt − (gt )tt =⇒ 0 = ∂t ⇒ gt erfüllt die Wellengleichung. Die Eindeutigkeit der Lösung findet man durch systematische Konstruktion. Gleichzeitig erkennt man, wie man zu einer solchen Lösungsformel kommt. Sei u ∈ C 2 eine beliebige Lösung von ∆u − utt = 0 , 100 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen u(0, y) = ϕ0 (y) , ut (0, y) = ϕ1 (y). (3.7) Nun ist Z ∆u(t, y)dy = |y−x|≤r Z ∇u(t, y) · n dS(y) |y−x|=r =r 2 Z < ∇u(t, x + νr), ν > dω(ν) |ν|=1 ∂ =r ∂r 2 Z u(t, x + νr)dω |ν|=1 = 4πr 2 (M̃ u)r , wo Z 1 M̃u(t, r; x) := 4π u(t, x + νr)dω. (3.8) |ν|=1 Für utt ergibt sich ∂ ∂r Z |y−x|≤r Zr Z ∂ utt (t, y)dy = dρ utt (t, y)dS(y) ∂r 0 |y−x|=ρ Z = utt (t, y)dS(y) |y−x|=r 2 =r ( Z u(t, x + νr)dω)tt |ν|=1 = 4πr 2 (M̃ u)tt Verknüpft man die linken Seiten der beiden letzten Gleichungen mit der Differentialgleichung (3.7), so ergibt sich 4π(r 2(M̃ u)r )r = 4πr 2(M̃ u)tt . Wegen (r 2 (M̃ u)r )r = 2r(M̃u)r + r 2 (M̃ u)rr = r(r M̃u)rr bedeutet dies (r M̃u)rr = (r M̃ u)tt , d.h. r M̃ u(t, r; x) erfüllt als Funktion in t und r die eindimensionale Wellengleichung. Für diese kennen wir aus 1.1.4 die allgemeine Lösung: r M̃ u(t, r; x) = w1 (r + t; x) + w2 (r − t; x). 101 3.3. Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung Dazu seien w1 , w2 ∈ C 2 beliebige Funktionen in r und t. Wegen lim r M̃(u) = 0 für alle t , r→0 ⇒ w1 (t; x) = −w2 (−t; x) für alle t , ⇒ r M̃(u) = w1 (r + t; x) − w1 (t − r; x) (3.9) ⇒ lim M̃ (u) = 2w1′ (t; x) r→0 Andererseits, nochmal nach (3.8): 1 lim M̃ (u) = r→0 4π Z u(t, x)dω(ν) = u(t, x) |ν|=1 ⇒ 2w1′ (t; x) = u(t, x) (3.10) Aus (3.9) folgt aber auch: (r M̃ u)r + (r M̃u)t = 2w1′ (r + t; x). Wir vertauschen t und r und setzen das neue r = 0 (tM̃ u(0, t; x))t + (tM̃ u(r, t; x))r |r=0 = 2w1′ (t; x). Dieses Ergebnis setzen wir in die linke Seite von (3.10) ein, womit wir erhalten u(t, x) = 2w ′ (t; x) Z t Z t = u(0, x + νt)dω + ut (0, x + νt)dω 4π 4π t |ν|=1 |ν|=1 Z Z ∂ t t ϕ (x + νt)dω + ϕ (x + νt)dω = 1 0 4π ∂t 4π |ν|=1 = tM(t)ϕ1 + ∂ (tM(t)ϕ0 ) . ∂t |ν|=1 Das ist aber genau die hergeleitete Formel. Bemerkung. Die hier berechnete Lösung hängt stetig von den Anfangsdaten ab, denn beim Übergang von ϕ0 nach ϕ̂0 = ϕ0 + ǫ0 , ϕ1 nach ϕ̂1 = ϕ1 + ǫ1 ändert sich die Lösung von u nach û um |û(t, x, y, z) − u(t, x, y, z)| ≤ |t · M(t) · ǫ1 | + |M(t) · ǫ0 | + |t · ∂ (M(t) · ǫ0 )| ∂t 1 1 · t · ǫ1 · vol(S 2 ) + ǫ0 · vol(S 2 ) + 0 4π 4π = c1 · tǫ1 + c2 · ǫ0 , ≤ 102 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen worin vol(S 2 ) die Oberfläche der Einheitskugel im R3 bezeichnet. Zusammenfassung. Bringen wir unser Ergebnis (3.6) in die Form (3.4), d.h. auf die Kirchhoff-Formel für das Cauchy-Problem zu der nicht normierten Wellengleichung: c2 ∆u − utt = 0 u(0, x) = ϕ0 (x) ut (0, x) = ϕ1 (x). Definiere ũ(t, x, y, z) := u(t/c, x, y, z) 1 utt = ∆u = ∆ũ; c2 ũ(0, x) = ϕ0 (x); 1 1 ũt (0, x) = ut (0, x) = ϕ1 (x), c c ⇒ ũtt = d.h. ũ löst das Cauchy-Problem für die normierte Wellengleichung und den Anfangsdaten ϕ0 und ϕ1 /c Dafür können wir aber die bereits bewiesenen Lösungsformeln verwenden, ϕ1 ∂ + t M̃ (t)ϕ0 c ∂t u(t, x, y, z) = ũ(ct, x, y, z) ∂ [(τ M(τ )ϕ0 )(x, y, z)] = tM(ct)ϕ1 (x, y, z) + ∂τ τ =ct ∂ dt = tM(ct)ϕ1 (x, y, z) + [(ctM(ct)ϕ0 )(x, y, z)] · ∂t dτ τ =ct " # Z Z 1 ∂ ct (3.5) t ϕ1 (x + cνt)dω(ν) + ϕ0 (x + cνt)dω(ν) = 4π c ∂t 4π ũ(t, x, y, z) = t M̃ (t) =⇒ |ν|=1 |ν|=1 Mit der Substitution y = x + cνt, dω(ν) = dS(y)/c2t2 kommt schließlich 1 u(t, x, y, z) = 4πc2 t Z Sct (x) 1 ∂ 1 ϕ1 (y)dS(y) + 4πc2 ∂t t Z Sct (x) ϕ0 (y)dS(y) Das ist gerade (3.4). Wir betrachten jetzt den Fall n = 2. ∆u − utt = 0 u(0, x) = ϕ0 (x) ut (0, x) = ϕ1 (x). Hierbei wurde x = (x1 , x2 ) gesetzt. Wir betrachten zunächst wieder den Fall c := 1. (3.11) 103 3.3. Das Cauchy-Problem für die Wellengleichung Satz 3.3.2. Es seien ϕ0 ∈ C 3 , ϕ1 ∈ C 2 und ∂ M(t)ϕ0 (x) u(t, x) := M (t)ϕ1 (x) + ∂t Z 1 ϕi (y) M (t)ϕi = 1 dy 2π (t2 − |y − x|2 ) 2 mit |y−x|≤t Dann gilt: i) ii) u ∈ C2 u löst das Cauchysche Anfangswertproblem (3.11) für die zweidimensionale Wellengleichung. Beweis: Wir betrachten die Formel (3.6) für den dreidimensionalen Fall und verwenden sie für die Anfangsdaten φ0 , φ1, wobei wir definieren: φi (x1 , x2 , x3 ) := ϕi (x) i = 0, 1. Damit ist (U statt u geschrieben, um Verwechslung mit der zweidimensionalen Lösung zu vermeiden): U(t, x1 , x2 , x3 ) = t(M(t)φ1 )(x1 , x2 , x3 ) + mit 1 (M(t)φi )(x) : = 4π Z φi (x + νt)dω, ∂ [t(M(t)φ0 )(x1 , x2 , x3 )] ∂t x = (x1 , x2 , x3 ) i = 0, 1. |ν|=1 eine Lösung des zu den Anfangsdaten φ0 , φ1 gehörenden dreidimensionalen Cauchy-Problems. Man sieht sofort: U hängt nicht von x3 ab, d.h. ∂ 2 U/∂x23 ≡ 0, also löst U nicht nur die dreidimensionale, sondern sogar die zweidimensionale Wellengleichung. Wir müssen die obige Formel nur noch umrechnen und haben dann mit u(x) := U(x, 0) = U(x1 , x2 , 0) die gesuchte Darstellung der Lösung des zweidimensionalen Cauchy-Problems. Z t φi (x + νt)dω tM(t)φi = 4π |ν|=1 Z 1 = ϕi (y)dS 4πt |x−y|=t 104 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen Parametrisierung der Fläche |x − y| = t als Funktion von y. p y3 = x3 ± t2 − |y − x|2 p d.h. y = (y1 , y2, x3 ± t2 − |y − x|2 ) =: h(y) 1 ⇒ dS = [det(DhT (y) · Dh(y))] 2 dy h ∂ 2 ∂ 2 i 12 p p = 1+ (x3 ± t2 − |y − x|2 ) + (x3 ± t2 − |y − x|2 ) dy1 dy2 ∂y1 ∂y2 h (y2 − x2 )2 i 12 (y1 − x1 )2 + = 1+ 2 dy1 dy2 t − |y − x|2 t2 − |y − x|2 t dy1 dy2 =p t2 − |y − x|2 1 ⇒ tM(t)ϕi = 2 4π Z |y−x|≤t Def. = M (t)ϕi . 3.4 ϕi (y) p dy1dy2 2 t − |y − x|2 Das Huygensche Prinzip Wir betrachten nochmals die Kirchhoff-Formel (n = 3), aus Gründen der Einfachheit mit ϕ0 ≡ 0. Es sei x := (x, y, z). Z 1 u(t, x) = ϕ1 (ξ, η, ζ)dS (3.12) 4πc2 t ∂Kct (x,y,z) ∂Kct (x, y, z) := {(ξ, η, ζ)|(x − ξ)2 + (y − η)2 + (z − ξ)2 = c2 t2 } Es sei ϕ1 ∈ C 2 (R3 ), ϕ1 (x, y, z) = 0 für (x, y, z) ∈ R3 \ Ω (Ω ∈ R3 beschränktes Gebiet) und ϕ1 (x, y, z) > 0 für (x, y, z) ∈ Ω. 105 3.4. Das Huygensche Prinzip . A d dt Ω B Abbildung 3.1 Sei A ∈ R3 \ Ω. Nach (3.12) gilt: 1 u(t, A) = 4πc2 t Z ϕ1 (ξ, η, ζ)dS ∂Kct (A) ⇒ u(t, A) = 0 u(t, A) = 0 für alle t ≤ t1 := dc , für alle t ≥ t2 := dc1 , d := dist(A, Ω); d1 := sup [dist(A, B)]; B∈Ω Für t1 < t < t2 : u(t, A) > 0. Wenn man Ω auf einen Punkt (etwa 0) zusammenzieht, so merkt der Punkt A den Anfangswert an der Stelle 0 nur zur Zeit t = dc . Das ist der Kern des Huyghen-Prinzips: ‘Ein scharf lokalisierter Anfangszustand wird an jeder Stelle des R3 nach einer wohlbestimmten Zeit als scharfes Phänomen wahrgenommen’. Oder auch anders ausgedrückt: ‘Die Funktionswerte u an der Stelle (t, x, y, z) hängen von dem Schnitt des Kegelmantels (Spitze (t, x, y, z), Steigung c) mit {t = 0} ab’. Jeder Punkt (x, y, z) ∈ R3 , in dem die Anfangswerte 6= 0 sind, ist Zentrum einer Kugelwelle, die sich mit der Geschwindigkeit c ausbreitet. Für eine bestimmte Zeit t verschwindet die Lösung außerhalb eines bestimmten Gebietes Ωt . Der Rand dieses Gebietes St ist die Enveloppe aller dieser Kugelwellen mit Radius ct. Wenn Ω beschränkt ist, besteht von einem bestimmten Zeitpunkt t die Fläche St aus zwei zusammenhängenden Komponenten. Die am weitesten von Ω weg liegt, heißt die Wellenfront, die andere die rückwärtige Welle. 106 Kapitel 3 : Hyperbolische Differentialgleichungen Im Fall n = 2 gilt das Huyghensche Prinzip nicht. Wenn die Anfangsdaten in einem beschränkten Gebiet Ω nicht Null sind, verschwindet die Lösung zur Zeit t an allen Stellen mit einer Entfernung von Ω, die größer als ct ist. In allen anderen Punkten ist sie ungleich Null. In der Lösungsformel wird nämlich nicht nur über die Sphäre sondern über die ganze Vollkugel integriert. Es gibt demgemäß eine Wellenfront aber keine rückwärtige Welle. Das nennt man Dissipation der rückwärtigen Welle. Der allgemeine Fall. Wir betrachten die Legendre-Polynome: P0 (t) = 1, Pk (t) = 1 dk 2 (t − 1)k 2k k! dtk k + 1, 2, . . . Dann folgt für die Lösung des Cauchy-Problems: u(t, x) = ∂ Tϕ (t, x) + Tϕ1 (t, x) ∂t 0 mit Z k (k−j) X 1 ∂ j Pk (1) Tϕ (t, x) = ϕ(y)dS für n = 2k + 1; k = 1, 2, . . . 2(2π)k+1 j=0 ∂tj t2k+1−j St Z k (k−j) X 1 ∂ j Pk ϕ(y) (1) p dy für n = 2k; k = 1, 2, . . . Tϕ (t, x) = k+1 j 2k−j (2π) ∂t t t2 − |y|2 |y|<t j=0 Formeln von Herglotz-Petrovskij Entsprechend der Fälle n = 2 und n = 3 ist die Gültigkeit des Huyghenschen Prinzips für ungerade Dimension gegeben, nicht dagegen für gerade n. Der Beweis der obigen Formeln erfolgt über Konstruktion von Singularitätenlösungen. Spezialfall: Für k = 1 erhält man gerade die alte Kirchhoffsche bzw. Poissonsche Formel. Kapitel 4 Parabolische Differentialgleichungen 4.1 Maximum–Prinzip Sei Ω ⊆ Rn ein beschränktes Gebiet, Q := QT := (0, T ] × Ω ein Ort–Zeit–Zylinder, seien aij , bi , c, f ∈ C(Q), i, j = 1, ... , n und A := (aij ) = AT symmetrisch. Der Differentialoperator n n X X ∂ ∂2 ∂ L := − aij · bi · + + ∂t ∂xi ∂xj ∂xi i,j=1 i=1 heißt parabolisch :⇐⇒ ∀(t, x) ∈ Q : ∀v ∈ Rn \{0} : v T ·A(t, x)·v 0 , d.h. wenn in jedem Punkt des Zylinders das Hauptsymbol eine positiv definite Bilinearform ist, bzw. gleichmäßig parabolisch :⇐⇒ ∃ µ ∈ R+ : ( v T Av ) (t, x) ≥ µ·kvk2 , ∀(t, x) ∈ Q . wenn also das Hauptsymbol auf der Einheitskugel nicht beliebig nahe bei 0 liegen kann. L · u + c · u = f ist dann eine lineare Differentialgleichung 2. Ordnung. 107 108 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen t T QT 0 ST = [0, T] × ∂Ω Ω G = {0} × Ω Abbildung 4.1: Ort–Zeit–Zylinder Im folgenden sei stets u ∈ C(Q) , ut , uxi , uxi xj ∈ C(Q). Satz 4.1.1. (Schwaches) Maximum–Prinzip, Monotonieprinzip L sei parabolisch und c ∈ C(Q). Ferner L·u+c·u ≥ 0 u ≤ 0 wobei G := {0} × Ω , ST := [0, T ] × ∂Ω . Dann ist u ≤ 0 auf Q , und auf G ∪ ST , auf ganz Q . D.h. ist L · u + c · u ≥ 0, so folgt aus u ≤ 0 auf Boden und Mantel des Zylinders schon u ≤ 0 überall. Bemerkung. Anders formuliert: u löst (L + c) · u = f und f ≥ 0 . Beweis. c = c(t, x) ∈ C(Q) ist beschränkt, also gibt es M ∈ R+ mit c M auf QT . Angenommen u 0 bei (t0 , x0 ) ∈ Q [d.h. in {T } × Ω oder in Q̊ ] . 109 4.1. Maximum–Prinzip Definiere: v(t, x) := u(t, x) · exp(−M · t) . Sei (t1 , x1 ) ∈ Q mit v(t1 , x1 ) = max v . Nach obiger Annahme ist v(t1 , x1 ) 0 . Ferner ist bei der Maximalstelle (t1 , x1 ) ∂ ∂2 ∂ v = 0 , H(v) := ·v negativ definit. v ≥ 0, ∂t ∂xi ∂xi ∂xj Zwischenbemerkung: Satz. Hellwig: Partielle Differentialgleichungen, Seite 88 A = AT , B = B T ∈ M(n, R) mit ∀v ∈ Rn : v T Av ≥ 0 , v T Bv ≤ 0 n X =⇒ i,j=1 aij · bij ≤ 0 . Das Skalarprodukt zweier verschiedenartig semidefiniter Matrizen ist nicht positiv. Hier ist also mit B := H(v) X ∂2 ·v ≤ 0. aij · ∂xi ∂xj Nach Wahl von M ist ferner (c − M) · v 0 bei (t1 , x1 ) . Insgesamt ist bei (t1 ; x1 ) ∈ Q also X X ∂v + aij vxi xj + bi · 0 + (c − M) · v , (L + c − M) · v = − | {z } ∂t} | {z } | {z ≤0 ≤0 0 (L + c − M) · v < 0 . Andererseits ist (L + c − M) · v = e−M ·t · (L + c) · u + e−M ·t · M · u − M · e−M ·t · u ·t = |e−M {z } · >0 also (L + c − M) · v ≥ 0 . (L + c) · u | {z } ≥0 nach Vor. Widerspruch !! Korollar 4.1.2. Ist L parabolisch und L · u + c · u = f auf Q, dann ist |u(t, x)| ≤ K · max |u| + max |u| + T · max |f | mit K ∈ R+ und G, ST wie oben, G ST Q d.h. die Lösung der Differentialgleichung kann abgeschätzt werden durch die Maxima der Randwerte und der rechten Seite. 110 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Beweis. Zunächst sei c ≤ 0. Definiere v(t, x) := ±u(t, x) − (M + N · t) , wobei M := maxG |u| + maxST |u| , N := maxQ |f |. Es ist (L + c)v = ±(L + c)u + N − c(M + N · t) c · (M + N · t) = ± f + N − |{z} | {z } | {z } ≤0 ≥0 ≥0 nach Definition von M, N und Voraussetzung an c, also (L + c)v ≥ 0 . Auf dem Rand gilt: Auf G = {0} × Ω ist v(0, x) = ±u(0, x) − M ≤ 0 nach Definition von M und auf ST = [0; T ] × ∂Ω ebenso v ≤ ±u − M ≤ 0 . Satz 4.1.1 liefert v ≤ 0 auf Q also |u| ≤ M + N · t ≤ M + N · T . Nun unterliege c keiner weiteren Einschränkung mehr, außer c ∈ C(Q) . Definiere w := u · e−ε·t mit ε ∈ R+ . Es ist dann: f = (L + c) · u = (L + c) · (eε·t · w) = eε·t · (L + c) · w + eε·t · (−ε) · w = eε·t L + (c − ε) · w . Weil c beschränkt ist, gilt c − ε 0 für ε groß genug. Wie im 1.Teil bewiesen, gilt wegen L + (c − ε) · w = e−ε·t · f mit (c − ε 0) hier also |u · e−ε·t | = |w| ≤ max |w| + max |w| + T · max |e−ε·tf | ST G Q und daher |u| ≤ eε·t · [max |w| + max |w| + T · max e−ε·t |f |] , ST G Q und mit eε·t ≤ eε·T =: K e−ε·t ≤ 1 =⇒ e−ε·t |f | ≤ |f |, |w| = e−ε·t · |u| ≤ |u| hat man |u| ≤ K · [max |u| + max |u| + T · max |f |] . G ST Q 111 4.1. Maximum–Prinzip Bemerkung. Es stellen sich keine Anforderungen an das Vorzeichenverhalten von c ; c muß lediglich beschränkt sein. [Dies ist wegen c ∈ C(Q) und der Beschränktheit von Q der Fall.] Korollar 4.1.3. Ist L parabolisch und L · u = 0 auf Q, so folgt min u ≤ u(t, x) ≤ max u , Γ Γ wobei Γ := G ∪ ST = {0} × Ω ∪ [0, T ] × ∂Ω . D.h. eine Lösung der homogenen Gleichung mit c = 0 nimmt Maximum und Minimum auf dem Rand an. Beweis. Definiere v := u − M , wobei M := maxΓ u. Dann ist v ≤ 0 auf Γ und offensichtlich L · v = L · u = 0 . Nach Satz 4.1.1 ist dann v ≤ 0 auf ganz Q , d.h. u ≤ maxΓ u auf Q . Für m := minΓ u verfährt man analog mit v := m − u . Satz 4.1.4. Starkes Maximum–Prinzip L sei gleichmäßig parabolisch, c ≤ 0, f ≥ 0 auf einem beliebigen Gebiet D ⊆ R+ × Rn , das nicht unbedingt zylinderförmig sein muß ! aij , bi , c seien stetig und beschränkt auf D, f nur stetig. Ist dann (L + c) · u = f und u(p̃) = M bei p̃ = (t̃; x̃) ∈ D , wobei M := supD u ≥ 0 so folgt, daß bei jedem p = (t, x) ∈ D, welches von p̃ aus durch eine Abwärtstreppe erreicht werden kann, u(p) = M = u(p̃) ist. Eine Abwärtstreppe sei dabei ein Weg, der aus endlich vielen Stücken besteht, wo t = const oder x = const. 112 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen t nicht zulässig (~t;x~) (~t;x~) zulässig (t;x) Abbildung 4.2: Zulässige [Abwärts–] und unzulässige [Aufwärts–] Treppen Im folgenden sei stets • L gleichmäßig parabolisch, • D ⊆ R+ × Rn ein beliebiges Gebiet, • aij , bi , c , stetig und beschränkt, f stetig und • M = supD u . Bemerkung. Für Zylindergebiete D = [t1 ; t2 ] × Ω folgt unter den Voraussetzungen von Satz 4.1.4 u = const = M auf {t ≤ t̃} ∩ D . Wir beweisen eine schwächere Form dieses Satzes 4.1.4, nämlich Satz 4.1.5. Ist L · u ≥ 0 auf D und u(p̃) = M bei p̃ ∈ D, dann gilt die Aussage von Satz 4.1.4 . Bemerkung. Zum Beweis des Satzes 4.1.4 siehe Russian Mathematical Surveys 17, No 3, 1-146 (1962). Beweis. Satz 4.1.5 Der Beweis wird o.B.d.A. für den Fall L · u ≥ 0 geführt; man benötigt hierzu folgende Lemmata: 113 4.1. Maximum–Prinzip Lemma 4.1.6. Es sei p̄ = (t̄, x̄) ein beliebiger Punkt und K = Kr̄ (p̄) eine Kugel mit K ⊆ D . Es gelte weiter u < M in K und u(p1) = M bei p1 = (t1 , x1 ) ∈ ∂K , so folgt t1 ist maximaler oder minimaler t–Wert in K . D.h. bläst man eine Kugel auf, wo u < M, so stößt man mit einem Pol an. t N t1 u<M S Abbildung 4.3: Das Maximum tritt an einem Pol auf. Beweis. O.B.d.A. sei p1 der einzige Punkt auf ∂K, damit auf K, wo u = M; ansonsten verkleinere K zu K ′ . K u=M K’ u=M u<M Abbildung 4.4: Eventuell wird K zu K ′ verkleinert. Angenommen x1 6= x̄, was gleichbedeutend ist mit |x1 − x̄| > 0, dann gibt es also r1 ∈ R+ mit r1 < |x1 − x̄| ≤ r̄ . Es ist nämlich K = Kr̄ (p̄) , p1 ∈ ∂K . 114 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Sei o.B.d.A. K1 := Kr1 (p1 ) ⊆ D [Wähle r1 klein genug.] und sei ferner ˙ 2. Γ1 := ∂K1 ∩ K , Γ2 := ∂K1 \ Γ1 , also ∂K1 = Γ1 ∪Γ ∂D K D ~r ~ p Γ1 r1 K1 p1 Γ2 ~ |x1−x|>0 Γ1 K1 Γ1 Γ2 Γ2 Abbildung 4.5: Zerlegung des Randes ∂K1 durch K Γ1 ist komapkt, und es ist u < M, da auf K gilt u = M nur in p1 6∈ Γ1 . Also gibt es δ ∈ R+ mit u < M − δ auf Γ1 . Auf Γ2 insbesondere, wie auf ganz D , ist u ≤ M = sup u . Definiere h(x, t) := exp(−α · [|x − x̄|2 + |t − t̄|2 ]) − exp(−αr̄ 2 ) , wobei α ∈ R+ später noch zu spezifizieren ist. Es gilt: (A.) h > 0 auf K, h = 0 auf ∂K und h < 0 auf ∁(K) := (R+ × Rn ) \ K . 115 4.1. Maximum–Prinzip Auf K 1 gilt wegen (t, x) ∈ K 1 =⇒ |x − x̄| 0 : X L · h = exp(−α[..]) · [(−2α)(t − t̄) + (−2α)2 aij (xi − x̄i ) (xj − x̄j ) + X X + aij (−2α) + (−2α) bi · (xi − x̄i )] h i X X ≥ exp(−α[..]) · 4α2 µ · |x − x̄|2 + 2α[−(t − t̄) − bi (xi − x̄i ) − aij ] [da L gleichmäßig parabolisch] für α groß genug, da |x − x̄|2 0 also 0 (B.) L · h 0 auf K 1 . Definiere v := u + ε · h mit ε ∈ R+ . Da u M − δ auf Γ1 , ist v M auf Γ1 für ε klein genug. Da h 0 auf Γ2 [wegen Γ2 ⊆ ∁(K)und(A.)] und u ≤ M auf Γ2 , ist v M auf Γ2 , somit v M auf ganz ∂K1 . Aber p1 ∈ ∂K . Wegen (A.) liefert h(p1 ) = 0 und damit v(p1 ) = u(p1 ) = M . Weil p1 ∈ K̊1 , nimmt also v sein Maximum in einem inneren Punkt p̂ ∈ K̊1 an. Dort ist vt = vxi = 0 und H(v) negativ definit, also (L·v) (p̂) ≤ 0, ähnlich dem Beweis von Satz 4.1.1, im Widerspruch zu L · v = L · u + ε · L · h = f + ε · L · h 0 , aufgrund f ≥ 0 nach Voraussetzung, ε ∈ R+ und L · h 0 nach (B.) . Es ist also entgegen der Annahme tatsächlich x1 = x̄ , was genau die Behauptung liefert, daß p1 ein Pol sein muß. Lemma 4.1.7. Ist L · u ≥ 0 und u ≤ M auf D und u(p0 ) M in einem Punkt p0 = (t0 , x0 ) ∈ D , so folgt u M auf G , wobei G ⊂ {t = t0 } ∩ D maximal zusammenhängend mit p0 ∈ G sei. t p0 t0 Abbildung 4.6: G Zusammenhangskomponente, wo u < M 116 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Bemerkung. Dies ist der horizontale Teil von Satz 4.1.5, denn: Läßt man von p̃ aus nur Wege in der t = t̃–Ebene zu — bewegt man sich also nur horizontal — erreicht man genau die Zusammenhangskomponente G. Wäre darin u(p1 ) M, so nach Lemma 4.1.7 u M auf ganz G, also auch u(p̃) 6= M entgegen der Voraussetzung. Beweis. Lemma 4.1.7: Angenommen u(p1 ) = M bei p1 := (t0 , x1 ) ∈ G. O.B.d.A. sei (t0 , x) ein Punkt in G mit u(t0 , x) M und |x − x0 | < |x1 − x0 | , ansonsten wähle x1 näher bei x0 . x−Ebene : t = t0 G u<M S dist (S,δG) p1 p0 |x1−x0| u<M Abbildung 4.7: Es sei Der Weg S im t = t0 –Schnitt von G u=M 117 4.1. Maximum–Prinzip • S ein Weg zwischen p0 und p1 in G, den es in der Zusammenhangskomponente immer gibt, • δ0 := min{|x0 − x1 |,dist(S, ∂G)}, • T := {x | 0 < |x − x1 | < δ0 } eine gelochte Kreisscheibe um p1 in G, welche p0 nicht enthält. x−Ebene : t = t0 G p1 p0 Abbildung 4.8: δ0 T Die gelochte Kreisscheibe T um p1 im obigen Schnitt Definiere die Funktion d : T → R+ mit d(x) := dist (t0 ; x), D ∩ {q|u(q) = M} . D.h. d liefert für p = (t0 ; x) ∈ t0 × T ⊆ G den Abstand zum nächsten Punkt q ∈ D, wo u(q) = M. q ist dabei natürlich i.a. nicht mehr aus G, d.h. q = (t; y), t 6= t0 . Nach Annahme ist u(p1 ) = M, p1 = (t0 ; x1 ) , also (A.) d(x) ≤ |(t0 ; x) − p1 | = |x − x1 | . Nach Lemma 4.1.6 hat der zu p = (t0 ; x) am nächsten gelegene Punkt q mit u(q) = M, die Form q = (t; x), ist also mit gleichem x–Wert um d(x) in t–Richtung nach oben oder unten verschoben, und ist für p 6= p1 ⇐⇒ x 6= x1 von p1 verschieden: q 6= p1 . Also ist d(x) = |(t0 , x) − q| = |(t0 ; x) − (t; x)| = |t − t0 | |(t0 ; x) − p1 | = |x − x1 | δ0 . Beachte noch einmal, daß u(q) = M für q = (t0 + d(x); x) oder q = (t0 − d(x); x) . 118 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen t ( ) t0+d(x) t0+d(x) x d(x) () t0 x t0 ε x+εv x x d(x) ( ) t0−d(x) t0−d(x) x Abbildung 4.9: u = M wird vertikal am schnellsten erreicht. Nun seien ε ∈ R+ und v ∈ Rn mit |v| = 1 . Nach Pythagoras ist, falls x, x + ε · v ∈ T , d(x + ε · v) ≤ p ε2 + d(x)2 = d(x) + ε2 − ... , 2 · d(x) |{z} 0 [Taylor–Entwicklung der Wurzel um ε = 0 für d(x) 0] also (B.) ε2 . d(x + ε · v) d(x) + 2 · d(x) Man beachte, daß dies aber nur für d(x) 0 gilt ! Weiter ist d(x + ε · v) = dist (t0 ; x + ε · v), D ∩ {u = M} ≤ |(t0 ; x + ε · v) − (t0 + d(x), x)| p = ε2 + d(x)2 . [siehe Zeichnung 4.10] 119 4.1. Maximum–Prinzip ( ) t0+d(x) x (ε2+d(x))1/2 ( t0+d(x+εv) x+εv ) d(x) d(x+εv) ε () t0 ( ) t0 x+εv x Abbildung 4.10: Pythagoras mit x, x + ε · v und d(x) Vertauscht man die Rollen von x, x + ε · v erhält man p d(x) ≤ ε2 + d(x + ε · v)2 , also (C.) d(x + ε · v) ≥ p d(x)2 − ε2 . Damit wird nun gezeigt, daß d = 0 überall auf T ist. Angenommen nun, es ist d(x2 ) 0 für ein x2 ∈ T , also x2 mit 0 < |x1 − x2 | < δ0 . Sei dann ε ∈ (0; d(x2 )) 6= ∅ , ferner v ∈ Rn mit |v| = 1 und x2 + ε · v ∈ T . Unterteile die Strecke [(t0 ; x2 ); (t0 ; x2 + ε · v)] in k gleiche Teile durch die Punkte (t0 ; x2 + ν · ε · v) | ν ∈ {0, ..., k} . k O.B.d.A. sei [x2 ; x2 + ε · v] ⊆ T , ansonsten — wenn x1 ∈ [x2 ; x2 + ε · v] — schreite in 2 Teilschritten auf den Seiten der Länge √12 ε eines gleichseitigen Dreieckes mit Basis [x2 ; x2 + ε · v] und Höhe 21 ε von x2 über xM nach x2 + ε · v und argumentiere für beide Teile statt für einen Teil wie folgt: 120 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen x2+ε.v xM ε/2 ε/2 x1 T x2 Abbildung 4.11: Falls der Kreismittelpunkt auf der Verbindungsstrecke liegt, geht man einen Umweg. Bei den Teilpunkten gilt nach (B.) und (C.) d(x2 + ν +1 ν ε2 1 · ε · v) − d(x2 + · ε · v) 2 k k k 2 · d(x2 + kν · ε · v) ≤ 1 ε2 q 2 2·k d(x2 )2 − ν2 k2 · ε2 ≤ 1 ε2 p . 2 2·k d(x2 )2 − ε2 Bemerkung. Der nächste Punkt, wo d = 0 ist, hat die Entfernung d(x2 ) von x2 . Für ε < d(x2 ) ist bei x2 + νk · ε · v im Abstand kν · ε ≤ ε < d(x2 ) auch d(x2 + kν · ε · v) 0, weshalb obige Abschätzungen auch wirklich durchgeführt werden können. Durch k–faches Aufsummieren erhält man d(x2 + ε · v) − d(x2 ) ≤ k · 1 1 ε2 ε2 √ p . = 2 2 2 2k 2k d(x2 )2 − ε2 d −ε und k → ∞ liefert d(x2 + ε · v) − d(x2 ) ≤ 0 ⇐⇒ (D.) Wählt man noch zusätzlich ε < (E.) d(x2 + ε · v) ≥ p d(x2 + ε · v) ≤ d(x2 ) . √1 2 d(x2 ), hat man mit (C.) (d(x2 )2 − ε2 r 1 1 d(x2 )2 − d(x2 )2 = √ d(x2 ) ε . 2 2 121 4.1. Maximum–Prinzip Für ε ∈ (0; d(x2 )) ist nach (D.) d(x2 + ε · v) ≤ d(x2 ) , für ε ∈ (0; √12 d(x2 )) nach oben d(x2 + ε · v) ε , also ε ∈ (0; d(x2 + ε · v)) , und man erhält aus (E.) unter Vertauschen der Rollen von x2 , x2 + ε · v für ε ∈ (0; √12 d(x2 )) (F.) d(x2 ) ≤ d(x2 + ε · v) . (E.) und (F.) zusammen ergeben d(x2 ) = d(x2 + ε · v) . Sei also ein solches ε ∈ (0; √12 d(x2 )) fest gewählt; dann zeigen obige Betrachtungen, daß in jedem y ∈ T mit |y − x2 | < ε, also auf ganz Kε (x2 ) ∩ T gilt: d = d(x2 ) =const. Weil in y ∈ T gilt d(y) = d(x2 ), sind dort mit dem gewählten ε die selben Bedingungen erfüllt, wie in x2 , und man kann um y wieder einen Kreis Kε (y) schlagen, wo d =const. Durch Überdecken des kompakten T mit endlich vielen solchen Kreisen erkennt man, daß d = d(x2 ) =const auf ganz T . Es ist d(x1 ) = 0, aber x1 6∈ T . Jedoch kann man in der gelochten Kreisscheibe T beliebig nahe an p1 bzw x1 herantreten, genauer, zu δ ∈ R+ gibt es x ∈ T mit |x1 − x| < δ . Wegen (A.) ist d(x) ≤ |x − x1 | < δ, also d(x2 ) = d(x) < δ . Wegen beliebigem δ ∈ R+ muß d(x2 ) kleiner als jedes δ sein, also verschwinden, was der Annahme d(x2 ) 0 widerspricht. Man hat also tatsächlich d = 0 auf ganz T , also muß auch in dem nichtleeren Schnitt von T und K|x1−x0 | (x0 ) gelten: d = 0 , was der Voraussetzung bzw. Annahme widerspricht, daß dort d 0 wegen u M. Lemma 4.1.8. Ist L · u ≥ 0 auf D und u M auf E := D ∩ {t ∈ (t1 ; t2 )} , wobei t1 < t2 ∈ R+ , so folgt u M auf D ∩ {t = t2 } . 122 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen t t2 u<M u<M u<M u<M t1 Abbildung 4.12: Auch auf einer oberen Randfläche bleibt u < M . Bemerkung. Dies ist der vertikale Teil von Satz 4.1.5, denn: Angenommen u(t2 ; x0 ) = M, jedoch u(t1 ; x0 ) M , wobei A := (t1 ; t2 ) × x0 ⊆ D [t1 < t2 ] ein vertikales Stück einer Abwärtstreppe in D ist; O.B.d.A. sei dann (t2 ; x0 ) der einzige Punkt in A, wo u = M , ansonsten wähle t2 näher bei t1 . Sei ferner ε ∈ R+ so klein, daß der Zylinder Z := (t1 ; t2 ) × Kεn (x0 ) in D liegt, dann ist u M auf A, nach Lemma 4.1.7 auch auf Z , und nach Lemma 4.1.8 auch auf {t2 } × Kεn (x0 ) , also insbesondere u(t2 ; x0 ) M , im Widerspruch zur Annahme. Beweis. Lemma 4.1.8 Angenommen es ist u = M bei p2 = (t2 ; x2 ) ∈ D . Sei r ∈ R+ mit Kr (p2 ) ⊆ D ∩ {t > t1 } . 123 4.1. Maximum–Prinzip t Kr(p2) t2 r p2 t<t2 t>t1 t1 Abbildung 4.13: Definiere Die Umgebung des Punktes p2 , wo nach Annahme u = M . h(t, x) := exp −α · |x − x2 |2 − α · |t − t2 | − 1 ≤ 0 mit später noch zu spezifizierendem α ∈ R+ . X X (2) L · h ≥ exp(−α|x − x2 |2 − α|t − t2 |) · 4α2 µ|x − x2 |2 − 2α( bi (xi − xi ) + aij ) − α gilt wie in Lemma 4.1.6. Wähle nun α so groß, daß L · h 0 in S := Kr (p2 ) ∩ {t ≤ t2 } . Φ := {(t, x) ∈ R+ × Rn | (x − x2 )2 + α(t − t2 ) ≤ 0} ist ein volles, nach t < t2 geöffnetes Paraboloid mit Scheitel p2 . H := {t2 } × Rn ist die Tangentialebene an ∂Φ in p2 . 124 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen H p2 S Φ Abbildung 4.14: Das Paraboloid bei p2 . Definiere Γ1 := ∂Kr (p2 ) ∩ Φ (die Kugelkalotte von ∂Kr (p2 ), welche im Paraboloid–Inneren liegt,) Γ2 := Kr (p2 ) ∩ ∂Φ (das Stück Paraboloid–Oberfläche, welches im Kugel–Inneren liegt) und ˚ G := Kr (p2 ) ∩ Φ (das offene Schnittvolumen von vollen Paraboloid und Kugel) ˙ 2 = ∂G . Offensichtlich ist gerade Γ1 ∪Γ 125 4.1. Maximum–Prinzip t t2 p2 H Γ2 G Γ1 Φ t1 p2 Γ2 Γ1 Abbildung 4.15: Schnitt von Paraboloid und Umgebungskugel Auf dem Randstück Γ1 ⊆ E ist nach Voraussetzung u M , und weil Γ1 kompakt ist, kann u nicht beliebig nahe an M herankommen : ∃δ ∈ R+ mit u ≤ M − δ auf Γ1 . Definiere v := u + h, dann ist L · v 0 auf G, da L · u ≥ 0 auf D ⊇ G und L · h 0 auf S ⊇ G ; v M auf G, da u M auf E ⊇ G und h 0 für p 6= p2 ; v ≤ M auf Γ2 , da u ≤ M auf Γ2 aus Stetigkeitsgründen und h ≤ 0 ; v ≤ M − δ auf Γ1 , also v ≤ M auf ∂G insgesamt. Mit u(p2 ) = M nach Annahme und offensichtlich h(p2 ) = 0, gilt v(p2 ) = M . Also nimmt ∂ v sein Maximum nur in p2 auf ∂G an. Dort muß dann ∂t v(p2 ) ≥ 0 sein, und wegen ∂ ∂ ∂ ∂ h(p2 ) = −α 0 ist ∂t u(p2 ) = ∂t v − ∂t h 0. Weil p2 , wo u ein Maximum annimmt, ein ∂t innerer Punkt von D ∩ {t = t2 } ist, ist dort ∂x∂ i u(p2 ) = 0 und H(u)(p2) ist negativ definit, P 2 weshalb wieder aij ∂x∂i ∂xj u(p2 ) ≤ 0 folgt. 126 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Damit ist X ∂ X ∂ ∂2 u(p2 ) + bi u(p2 ) , L · u(p2 ) = − u(p2 ) + aij ∂t ∂x ∂x ∂x i j i | {z } | | {z } {z } 0 L · u(p2 ) 0 bei p2 ∈ D , ≤0 =0 im Widerspruch zur Voraussetzung. Nun kann der Beweis von Satz 4.1.5 erfolgen. Beweis. Satz 4.1.5: Ist unter den dortigen Voraussetzungen p ∈ D von p̃ durch eine Abwärtstreppe erreichbar, tragen nach Lemma 4.1.7 die horizontalen und nach Lemma 4.1.8 die vertikalen Stücke konstante Werte von u, und somit trägt die ganze endliche, zusammengesetzte Treppe den Wert u(p̃) von p̃ abwärts nach p zu u(p) = u(p̃) . Im elliptischen Fall werden Randmaxima mit positiver Normalenableitung angenommen. Ähnlich kann man im parabolischen Fall zeigen, daß Randmaxima nicht mit horizontaler Tangente angenommen werden. Wir geben die folgende Definition. ∂D hat bei p ∈ ∂D die Kugeleigenschaft ⇐⇒ ∃K = KR (S) Kugel mit K̊ ⊆ D, p ∈ ∂K, u M auf K̊ , d.h. wenn man den Randpunkt p mit einer Kugel berühren kann, die ganz im Inneren von D liegt, und worauf u M . Bemerkung. Eine solche Kugel existiert offensichtlich höchstens in den Fällen A,B , sicher nicht bei C,D . [ siehe Abbildung (4.16) ] 127 4.1. Maximum–Prinzip K ∂D p D p D K B A p ∂D p D D C Abbildung 4.16: ∂D ∂D D Verschiedene Situationen am Rand Satz 4.1.9. Hopf Sei u eine Lösung von (L + c) · u = f und c ≤ 0, f ≥ 0 auf D ; ∂D habe die Kugeleigenschaft bei p0 ∈ ∂D, u(p0 ) = M ; ferner sei die Strecke [S; p0 ] nicht parallel zur t–Achse [S ist der Mittelpunkt der Kugel.] , so folgt ∀v ∈ Rn+1 mit einer Richtung von p0 ins Äußere von D : ∂u (p0 ) 0 , ∂~v d.h. in p0 ist jede Ableitung nach außen echt positiv. 128 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen t δD D K S u<M β>0 p v u=M Abbildung 4.17: Berührkugel und äußere Richtungen an p Bemerkung. 1. Im elliptischen Fall hatte man dies nur in Normalenrichtung. 2. Es gilt auch die duale Aussage f ≤ 0, u(p0) = m := min u =⇒ D ∂u (p0 ) 0 . ∂~v Nur die folgende Form von Satz 4.1.9 wird bewiesen: Lemma 4.1.10. Ist L · u ≥ 0 , ∂D mit der Kugeleigenschaft bei p0 ∈ ∂D , wo u(p0 ) = M und [S; p0 ] 6 k (p0 ) 0 für alle Auswärtsvektoren v . t–Achse, so folgt, daß ∂u ∂~ v Der Beweis zu Lemma 4.1.10 wurde in der Vorlesung aus Zeitgründen nicht vorgetragen, hier aber für interessierte Studenten eingefügt. Beweis. Die Stecke zwischen p0 = (t0 ; x0 ) und S = (t1 ; x1 ) ist nicht parallel zur t–Achse, weshalb sich deren x–Koordinaten echt unterscheiden müssen: ∃̺ ∈ R+ /̺ < |x0 − x1 | . Sei K1 := K̺ (p0 ) , K := KR (S) aus der Kugeleigenschaft. G := K ∩ K1 wird berandet von ˙ 2 mit Γ1 := ∂K1 ∩ K, Γ2 := ∂K ∩ K̊1 . ∂G = Γ1 ∪Γ 129 4.1. Maximum–Prinzip δD D K S K1 R ρ p0 |x1−x0| Γ1 G K1 Γ2 Γ1 Γ2 p0 p0 Abbildung 4.18: Schnitt von Berührkugel und Umgebungskugel O.B.d.A. sei u M auf Γ1 , ansonsten verwende K ′ := KR′ (S ′ ) anstelle von K , wobei S ′ aus [S; p0 ] näher bei p0 liege, aber weiterhin |x′1 − x0 | > ̺ . Definiert man Γ1 , Γ2 mit K ′ statt K, so liegt Γ1 ganz in K̊, wo nach der Kugeleigenschaft u M ist. 130 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen δD D K K’ S R R’ S’ K1 ρ p0 |x1−x0| |x1’−x0| Abbildung 4.19: Die Berührkugel wird eventuell verkleinert. Da Γ1 kompakt, gibt es δ ∈ R+ mit u ≤ M −δ auf Γ1 . Es ist u(p0 ) = M nach Voraussetzung. Ferner sei Œ u M auf Γ2 \ {p0 } , ansonsten verwende K ′ statt K wie oben. Definiere h(t, x) := exp(−α[|x − x1 |2 + (t − t1 )2 ]) − exp(−αR2 ) mit α ∈ R+ , wie in Lemma 4.1.6 und v := u + ε · h mit ε ∈ R+ . Wie dort ist h > 0 auf K, h = 0 auf ∂K und h < 0 auf ∁(K) . Ferner ist L · h 0 auf G für α groß genug und L · v = L · u +ε · L · h 0 . Wähle nun |{z} |{z} ≥0 0 ε so klein, daß v M auf Γ1 , was möglich ist, da dort h ≥ 0 , u ≤ M − δ und außerdem Γ1 kompakt ist. v M auf Γ2 \ {p0 } gilt ohnehin, da nach oben dort u M und h = 0 . Insgesamt hat man v M auf ∂G \ {p0 } , v(p0 ) = u(p0 ) + ε · h(p0 ) = M + ε · 0 = M . v nimmt in keinem inneren Punkt von G einen Wert N ≥ M an, sonst wäre nach Satz 4.1.5 auch in allen Punkten aus G mit kleinerer Zeit–Koordinate v = N , und aus Stetigkeitkeitsgründen auch in solchen Punkten von ∂G \ {p0 }, wo andererseits v M ≤ N . Also nimmt v nur auf ∂G in p0 sein Maximum M an. Dort ist 0 ≤ ∂u ∂h ∂v (p0 ) = (p0 ) + ε · (p0 ) . ∂~v ∂~v ∂~v Nun ist aber ∂ h(p0 ) = −2α(t0 − t1 ) · exp(−αR2 ) , ∂t ∂ (0) (1) h(p0 ) = −2α(xi − xi ) · exp(−αR2 ) , ∂xi 131 4.2. Die Poisson–Formel also ∂h (p0 ) = −2α · exp(−αR2 ) · (p0 − S)T · ~v ∂~v = λ · (−2 exp(−αR2 )) · ~nT · ~v . Dabei ist ~n die äußere Normale an ∂D in p0 , die ja parallel zum Radius (p0 − S) des Berührkreises K, und gleich orientiert, somit ein positives [λ ∈ R+ ] Vielfaches davon ist. Weil K̊ ⊂ D, kann eine äußere Richtung ~v nie tangential an ∂K in p0 sein und daher mit (p0 ) 0 , und mit ~n nur Winkel in [0; π2 ) einschließen, weshalb ~nT · ~v 0 . Dies liefert ∂h ∂~ v ∂v (p0 ) ≥ 0 : ∂~ v ∂u ∂v ∂h (p0 ) = −ε 0. ∂~v ∂~v ∂~v Korollar 4.1.11. Falls M = 0, bleiben das starke Maximumprinzip [Satz 4.1.4] und der Satz von Hopf [Satz 4.1.9] auch ohne die Einschränkung c ≤ 0 gültig, c muß nur nach oben beschränkt sein, was nach den Voraussetzungen ab Satz 4.1.4 der Fall ist. Beweis. Sei v(t, x) := u(t, x) · exp(−r · t) . Es ist nach den jeweiligen Voraussetzungen: (L + c) · u ≥ 0 . (L + c) · (v · er·t ) = er·t [(L + c) · v − r · v] = er·t [L + (c − r)] · v ≥ 0. Also ist Wählt man r so groß, daß c − r ≤ 0, was möglich ist, da c beschränkt ist, dann gelten die beiden Sätze für v mit Mv := max v . Nun ist aber wegen Mu := max u = 0 und v = u·e−r·t v(p) = Mv = 0 ⇐⇒ u(p) = Mu = 0 , und die entsprechende Aussagen übertragen sich von v auf u . Wir machen hier in der Vorlesung weiter. 4.2 Die Poisson–Formel Zur Lösung des Cauchy–Anfangswertproblems: DG: AB: ∂ u − α2 · ∆u = 0 ∂t u=ϕ auf R+ × Rn , auf t = 0. 132 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Berechne formal [!, zunächst ohne Überprüfung der erforderlichen Voraussetzungen] die Fourier–Transformierte von u: Z û(t, ξ) = F (u) (t, ξ) := u(t, x) · exp(−i · xT · ξ) dx Rn Für f := exp(−i · xT · ξ) ist Dx2i f = −ξi2 · f , ∆f = −|ξ|2 · f , Z Z 2 2 2 2 2 u · ∆f −α · |ξ| · û = α u · (−|ξ| ) · f = α also Rn 2 = α · Z ∆u · f = α2 · F (∆u) ∂ = F (α2 · ∆u) = F ( u) Z ∂t Z ∂ ∂ u·f u·f = = ∂t ∂t [letzteres wegen der gleichmäßigen Konvergenz des Integrals] ∂ = û . ∂t Also erhält man insgesamt ∂ û + α2 |ξ|2 · û = 0 , ∂t DG: ferner AB: û = ϕ̂ auf t = 0. Dies ist eine gewöhnliche DG in der Fourier–Transformierten û mit der Lösung wobei ϕ̂(ξ) = R Rn û = ϕ̂(ξ) · exp(−α2 · |ξ|2 · t) , ϕ(x) exp(−i · xT · ξ)dx . Die inverse Fourier–Transformation u = F −1(û) Z 1 û(t, ξ) · exp(i · ξ T · x) · dξ u(t, x) = (2π)n Rn liefert Z 1 u(t, x) = ϕ̂(ξ) exp(−α2 · |ξ|2 · t) · exp(i · xT · ξ) · dξ (2π)n Rn Z Z 1 · exp(i · (x − z)T ξ) · exp(−α2 · |ξ|2 · t) · dξ · dz , = ϕ(z) · (2π)n Rn Rn 133 4.2. Die Poisson–Formel und mit dem Residuensatz ausgerechnet die Formel von Poisson: Z |x − z|2 1 · ϕ(z) · exp − u(t, x) = · dz . 1 4α2 t (4π · α2 · t) 2 n n R Nun, diese Rechnung mit F , F −1 ist korrekt für ϕ ∈ C0∞ (Rn ) mit kompaktem Träger; ansonsten muß, um die Konvergenz sicherzustellen, das Wachstumsverhalten von ϕ gewissen Einschränkungen unterworfen werden. Bemerkung. 1. Die allgemeine Gleichung X ∂ ∂2 u− aij · u = 0 ∂t ∂xi ∂xj mit A := (aij ) =const, positiv definit hat die Lösung u(t, x) = 1 1 (4πt) 2 n · √ det A · Z Rn 1 T −1 ϕ(z) exp − (x − z) · A · (x − z) · dz . 4t 2. Für A 6=const kann man mit der Fourier–Transformation und der Variation der Anfangsfunktion ähnliche Formeln ableiten. 3. Die Gestalt der Poisson–Formel ist unabhängig von der Raumdimension n ; daher genügt es, sich auf n = 1 zu beschränken [ im Unterschied zu elliptischen und insbesondere hyperbolischen Gleichungen ]. Ferner sei o.B.d.A. α = 1, also DG : ∂ ∂2 u = 2u ∂t ∂x eindimensionale Wärmeleitungsgleichung AB : u = ϕ auf auf R+ × R , t=0. 2 1 x K(t, x) := √ · exp − 4t 4πt heißt Grundlösung der Wärmeleitungsgleichung und löst offensichtlich die Differentialgleichung [nachrechnen] . Dann löst nach oben [siehe Poisson–Formel] Z u(t, x) := ϕ(z) · K(t, x − z)dz R die Differentialgleichung mit den Anfangsbedingungen. Die Grundlösung hat folgende Eigenschaften: 134 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Satz 4.2.1. 1. K(t, x) > 0 für t > 0 . 2. Für t ∈ R+ ist lim|x|→∞ K(t, x) = 0 . Das gleiche gilt für alle Ableitungen von K . Der Grenzübergang erfolgt exponentiell fallend. 3. Ist δ ∈ R+ fest, so ist limt>→ 0 K(t, x) = 0 gleichmäßig für alle x mit |x| ≥ δ . R 4. Ist δ ∈ R+ , so gilt: limt>→ 0 K(t, x)dx = 0 . 5. ∀t ∈ R+ : 6. limx<→ 0 [− 7. limx>→ 0 [− Rt R |x|≥δ K(t, x)dx = 1 . R 0 Rt 0 ∂ K(t ∂x − τ, x)dτ ] = − 21 . ∂ K(t ∂x − τ, x)dτ ] = + 21 . 8. Für t ∈ R+ ist K analytisch in t, x . Beweis. 1. klar 2. Für festes t ∈ R+ sind alle Ableitungen von K von der Form 1 2 mit einem Polynom p ∈ R[x] , c(t) · p(x) · exp − x 4t was bekanntlich für |x| → ∞ exponentiell unter jede Schranke fällt. 2 1 exp − δ4 · 1t , 3. Für |x| ≥ δ ist K ≤ √4πt 1 √ → ∞ ⇐⇒ t → 0 t 2 · s · exp − δ4 s2 ≥ limt→0 K ≥ 0 , und wieder ist mit s := 0 = lims→∞ √1 4π was die Behauptung liefert, da die Konvergenzgeschwindigkeit offensichtlich unabhängig vom speziellen Wert von x ist. √ R 2 5. e−s ds = Γ 21 = π, Γ ist die Gammafunktion und liefert mit s := √x4t , ds = √14t dx : R 1 √ 4t Z R 2 √ x exp − dx = π . 4t 4. Zu jedem ε ∈ R+ gibt es ein δ ′ ∈ R+ mit √1 π R |s|≥δ′ 2 e−s ds ε . 135 4.2. Die Poisson–Formel Mit s := √x 4t wie oben ist dies gleichbedeutend mit 2 Z x 1 1 dx exp − ǫ >√ √ π 4π √ 4t |x|≥ 4t·δ′ Z K dx . = √ |x|≥ 4tδ′ Für ε ∈ R+ ist dann für t < α := Z K ≤ δ2 4δ′2 ⇐⇒ δ ′ · Z − Zt 0 ∂ K(t − τ, x)dτ = ∂x wird mit Zt 0 ds = p und den Integralgrenzen − 0 t ε. 2x 4(t − τ ) 3 dτ ( x > 0 : +∞, s2 = x < 0 : −∞, x s1 = √ , 2 t Z K 2x 1 x2 dτ ·p exp − 4(t − τ ) 4(t − τ ) 4π(t − τ ) x , s := p 4(t − τ ) zu 4t < δ [ mit δ ′ wie oben] √ |x|≥ 4tδ′ |x|≥δ 6. und 7. Aus √ ∂ K(t − τ, x)dx = ∂x Z±∞ x √ 2 t 1 √ · exp(−s2 ) ds . π So daß man erhält Z t Z+∞ 1 ∂ K dτ = lim √ exp(−s2 ) ds lim − xց0 xց0 ∂x π 0 x √ 2 t 1 = √ π Z∞ 1 1√ 1 exp(−s2 ) ds = √ π = 2 π 2 und 0 Z lim − xր0 t 0 ∂ K dτ ∂x 1 = lim √ xր0 π 1 = −√ π Z−∞ exp(−s2 ) ds x √ 2 t Z0 −∞ 1 1√ 1 exp(−s2 ) ds = − √ π = − . 2 π2 136 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen 8. K ist offensichtlich unendlich oft differenzierbar. 4.3 Die Fundamentallösung des Cauchy–Problems Die Poisson–Formel u(t, x) = R R ϕ(z) K(t, x − z) dz wurde hergeleitet, ohne die Zulässigkeit der Transformationsschritte sicherzustellen; daher stellt sich nun die Frage, wann dieses Integral eine sinnvolle Funktion liefert, genauer: für welche Anfangsfunktionen ϕ es gleichmäßig konvergiert. Zunächst sei für ε ∈ R+ 1 + 1ε x2 1 (1 + ε) · y 2 F1 := √ , G1 := exp − , exp − 4t 4t 4πt 1 − 1ε x2 1 (1 − ε) · y 2 F2 := √ , G2 := exp − . exp − 4t 4t 4πt Die Ungleichung von Young 2xy ≤ 1ε · x2 + ε · y 2 bzw. mit (−x) statt x in der Form −2xy ≤ 1ε · x2 + ε · y 2 liefert −x2 − y 2 + 2xy ≤ −x2 − y 2 + bzw. x2 + y 2 − 2xy ≤ x2 + y 2 + somit 1 2 x + εy 2 ε 1 2 x + εy 2 , ε h i 1 2 2 −(x − y) ≤ − 1 − x + (1 − ε)y ε 2 bzw. i h 1 2 2 −(x − y) ≥ − 1 + x + (1 + ε)y , ε 2 und insgesamt F1 · G1 ≤ √ Sei nun ϕ stetig. 1 1 exp − · (x − y)2 = K(t, x − y) ≤ F2 · G2 . 4t 4πt 1. Fall: ϕ(x) = c1 · exp(c2 · |x|2+α ) Es ist dann mit ci , α ∈ R+ . 1+ε ϕ(z) · K(t, x − z) ≥ c1 · exp(c2 · |z|2+α − · |z|2 ) · F1 (t, z) 4t h 1+εi ) · F1 (t, z) . = c1 · exp(|z|2 c2 · |z|α − 4t 137 4.3. Die Fundamentallösung des Cauchy–Problems h i 1+ε α Falls nun c2 · |z| − 4t 0 ⇐⇒ c2 · |z|α > 1+ε wird, kann nicht mehr über den 4t unbeschränkten Rest von R integriert werden. +r R Für r → ∞ gilt also ϕ(z) · K(t, x − z)dz → ∞ . −r D.h. das Integral der Poisson–Formel divergiert für alle stetigen Anfangsfunktionen ϕ, die sich für |x| → ∞ asymptotisch verhalten wie c1 · exp(c2 · |x|2+α ) mit ci , α ∈ R+ . 2. Fall: ϕ(x) = c1 · exp(c2 · |x|2 ) Dann ist , d.h. α = 0 . 1 − ε 2 · |z| , ϕ · K ≤ c1 · F2 (t, z) · exp c2 − 4t ⇐⇒ t ∈ (0; 1−ε ) =: IL . und das Integral existiert für c2 1−ε 4t 4c2 D.h. für ϕ mit diesem asymptotischen Verhalten existiert eine Lösung [von Poisson– Form], aber nur für das Zeitintervall IL . 3. Fall: ϕ(x) = c1 · exp(c2 · |x|1+α ) mit α ∈ [0; 1) . Es ist ϕ · K ≤ c1 · F2 · exp und c2 |z|1−α < 1−ε 4t ⇐⇒ |z| > 4t·c2 1−ε 1 1−α h c2 1 − εi · |z|2 − 1−α |z| 4t =: λ , was sicher außerhalb des kompakten Intervalls [−λ, +λ] der Fall ist. Eine solche Situation liegt dann für jeden t–Wert vor. D.h. die Lösung existiert für alle Zeiten, falls |ϕ| c1 · exp(c2 |x|2 ) . Bemerkung. 1. Die Bedingung der Stetigkeit von ϕ kann abgeschwächt werden z.B. zu stückweise stetig. 2. In den Konvergenzfällen hat man analytische Lösungen u . Nun stellt sich noch die Frage, ob mit diesen Formeln für t → 0 auch die Anfangswerte angenommen werden. Lemma 4.3.1. Sei ϕ stetig und |ϕ| ≤ c1 · exp(c2 · |x|2 ) , so folgt limt→0 u(t, x) = ϕ(x) gleichmäßig auf jedem Kompaktum von R . Wurde in der Vorlesung aus Zeitgründen nicht vorgetragen. Beweis. Es ist 138 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen 1 √ 4πt Z R (x − z)2 dz = 1 , exp − 4t 1 √ 4πt Z R (x − z)2 · ϕ(x) dz = ϕ(x) . exp − 4t 1 √ 4πt Z (x − z)2 exp − · ϕ(z) dz = u(t, x) , 4t also Ferner R somit u(t, x) − ϕ(x) = wobei 1 I1 (t, x) := √ 4πt 1 I2 (t, x) := √ 4πt 1 I3 (t, x) := √ 4πt 3 X Ii , i=1 Zx−δ (x − z)2 [ϕ(z) − ϕ(x)] dz , exp − 4t −∞ Zx+δ (x − z)2 [ϕ(z) − ϕ(x)] dz exp − 4t und x−δ Z+∞ (x − z)2 exp − [ϕ(z) − ϕ(x)] dz . 4t x+δ Bemerkung. Problematisch ist die Stelle z = x, da dort exp(0) = 1 den Faktor √1t , t → 0 nicht kompensieren kann. Deshalb wird eine Umgehung davon in I2 gesondert betrachtet. Ist K ⊂ R kompakt, so gibt es für jedes ε ∈ R+ ein δ ∈ R+ , so daß für a, b ∈ K mit |a − b| < δ gilt |ϕ(a) − ϕ(b)| < 13 ε . [ϕ stetig auf kompakt ist gleichmäßig stetig.] Sei also K ⊂ R kompakt mit z, x±δ ∈ K, |z−x| < δ. Sei ferner A ∈ R+ mit K ⊂ {|x| ≤ A} . Es ist dann Z Zx+δ 1 1 |I2 | ≤ K(t, x − z) |ϕ(z) − ϕ(x)| dz ≤ ε K(t, x − z) dz = ε . 3 3 R x−δ Mit geeigneten ci ist |ϕ(z) − ϕ(x)| ≤ |ϕ(z)| + |ϕ(x)| ≤ c1 · exp(c2 · |z|2 ) , und dann 1 c1 · |I3 | ≤ √ 4πt Die Substitution liefert s := x−z √ 2 t Z∞ x+δ |x − z|2 exp − exp(c2 · |z|2 ) dz . 4t √ → dz = −2 tds, δ s1 = − 2√ , t s2 = −∞ 139 4.3. Die Fundamentallösung des Cauchy–Problems 1 |I3 | ≤ √ c1 π Nun ist Zs1 −∞ √ exp(−s2 ) exp(c2 · (x − 2 ts)2 ) ds . √ t · s)2 √ = c2 · x2 + 4 · c2 · t · s · x + 4 · c2 · t · s2 , 0 ≤ c2 · (x + 2 · also ⇐⇒ c2 · x2 − 4 · c2 · √ t · s · x + 4 · c2 · t · s2 ≤ 2 · c2 · x2 + 8 · c2 · t · s2 √ c2 · (x − 2 t · s)2 ≤ 2 · c2 · x2 + 8 · c2 · t · s2 . Damit 1 |I3 | ≤ √ c1 π Zs1 −∞ exp(−s2 ) exp(2 · c2 · x2 + 8 · c2 · t · s2 ) ds 1 = √ c1 exp(2 · c2 · x2 ) π Zs1 −∞ 2 exp s [8 · c2 · t − 1] ds . 1 ,. Nun ist 8c2 t − 1 ≤ − 21 ⇐⇒ t < 16·c 2 1 1 √ Ist also t ∈ (0; 16·c2 ), λ := π c1 exp(2 · c2 · A2 ) , dann ist auf K ⊆ {|x| ≤ A} − δ √ Z2 |I3 | ≤ λ · −∞ und es gibt τ3 ∈ R+ [kleiner als 1 ] 16c2 t 1 exp − s2 ds , 2 mit t ∈ (0, τ3 ) =⇒ |I3 | ≤ 1 ε 3 gleichmäßig für |x| < A . Analog bekommt man |I1 | ≤ 13 ε . Insgesamt sind nun alle |Ii | ≤ 13 ε , i = 1, 2, 3 , und zwar für beliebige ε . Man kann dann stets ein δ finden, und u −ϕ in die Ii zerlegen, so daß auf dem Kompaktum K ⊆ {|x| ≤ A} ein τ ∈ R+ so gewählt werden kann, daß für t ≤ τ dann |u(t, x) −ϕ(x)| ≤ ε gleichmäßig sogar für |x| < A gilt. Also: ∀ε ∈ R+ : ∃τ ∈ R+ | t ∈ (0; τ ] =⇒ |u(t, x)−ϕ(x)| < ε gleichmäßig für |x| < A. Wir machen hier in der Vorlesung weiter. Zusammenfassung: 140 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Satz 4.3.2. DG: ∂2 ∂ u = u ∂t ∂x2 AB: u = ϕ auf R+ × R , auf t = 0 . Sei ϕ stetig und formal u(t, x) := R R ϕ(z) K(t, x − z) dz . 1. Ist |ϕ(x)| ≤ c1 · exp(c2 · |x|1+α ) , α ∈ [0; 1) , so liefert u eine Lösung für alle Zeiten. 2. Ist ϕ ≈ c1 · exp(c2 · |x|2 ) asymptotisch für |x| → ∞ , so hat man mit u eine Lösung im Zeitintervall IL := (0; 4c12 ) . Nun wird die Eindeutigkeit untersucht. Wurde in der Vorlesung aus Zeitgründen nicht vorgetragen. Zunächst ist für |ϕ| ≤ c1 · exp(c2 · |x|2 ) Z (x − z)2 1 2 c1 exp(c2 · |z| ) exp − |u| ≤ √ dz , 4t 4πt R und mit s := x−z √ 2 t ist 1 |u| ≤ √ c1 π Z R √ exp(−s2 ) exp(c2 · (x − 2 t · s)2 ) ds 1 ≤ √ c1 exp(2c2 x2 ) π Z R 1 exp(− s2 ) ds 2 1 für t ∈ (0; 16c ) . 2 Bemerkung. Wie schon an anderer Stelle oft verwendet, ist R R exp(− 12 x2 )dx = √ π. Also ist |u| ≤ c1 · exp(2c2 x2 ) . Dies ist eine Aussage über das Wachstumsverhalten der Lösung, welches somit beschränkt ist. Man zeigt nun, daß es höchstens eine Lösung geben kann, welche diese Bedingung erfüllt. Angenommen u, v seien Lösungen mit diesem Wachstumsverhalten. ∂2 ∂ w = ∂x w(0, x) = 0 , Für w := u − v ist 2 w, ∂t also genügt auch w als Lösung der Bedingung |w| ≤ c1 · exp(c2 · |x|2 ) . 1. Methode der Vergleichsfunktion: 141 4.3. Die Fundamentallösung des Cauchy–Problems Man zeigt w = 0 durch Konstruktion einer Vergleichslösung √ c3 · x2 1 · exp = 4π · K(1 + α2 t, αx) F := √ 1 − 4c3 · t 1 − 4c3 · t mit α := i · √ 4c3 , 1 c3 ≥ c2 , 4T . Es ist ∂2 ∂ F = F auf (0; 4c13 ) × R =: D , ∂t ∂x2 F (0, x) = exp(c3 x2 ) auf R . Sei nun (t1 ; x1 ) ∈ D beliebig, A ∈ R+ mit |x1 | < A . Definiere R := [0; 4c13 ] × [−A; +A] t ___ 1 4c3 () t1 R x1 0 −A Abbildung 4.20: x A Das Rechteck um den beliebig herausgegriffenen Punkt. und h := c1 · exp (c2 − c3 ) · A2 · F (t, x) . Vergleiche nun w mit h auf R : • t=0: w(0, x) = 0 h(0, x) = c1 exp (c2 − c3 )A2 exp(c3 x2 ) Hier ist auf alle Fälle |w| |h| . 142 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen • x = ±A; t ∈ (0; 4c13 ) : |w(t, x)| ≤ c1 · exp(c2 · A2 ) [beachte: ci ∈ R+ ] 4c3 t 1 2 2 exp(c2 · A ) · exp c3 A |h(t, ±A)| = c1 √ > c1 exp(c2 · A2 ) 1 − 4c3 t 1 − 4c3 t | {z } | {z } >1 >1 Also ist auch hier: |w| |h| . Das schwache Maximum–Prinzip besagt, daß dann auf ganz R, insbesondere in (t1 , x1 ) w − h ≤ 0 und −h − w ≤ 0 gilt, also −h ≤ w ≤ +h ⇐⇒ |w| ≤ |h| . 2 |w(t1, x1 )| ≤ c1 · exp (c2 − c3 ) · A · F (t1 , x1 ) gilt daher mit c2 − c3 < 0 . Da ferner A ∈ R+ nur die Bedingung |x1 | < A erfüllen muß, insbesondere beliebig groß gewählt werden kann, ist auch |w(t1 , x1 )| beliebig klein, verschwindet also: w(t1 , x1 ) = 0. Da aber (t1 , x1 ) ∈ D beliebig war, ist überhaupt w = 0, also u = v auf D = (0; 4c13 ) × R. Insgesamt hat man also jetzt im 1.Schritt die Eindeutigkeit lokal gezeigt; nämlich für t ∈ (0; 4c13 ) . 2. Sei nun T ∈ R+ beliebig. Jetzt wird die Eindeutigkeit auch für t ∈ I2 := [ 4c13 ; T ) bewiesen : Angenommen, es ist nicht w ≡ 0 in I2 × R . Dann gibt es ein T1 ∈ I2 minimal, so daß eine Folge {(tn ; xn )} ⊆ I2 × R existiert mit > tn −→T1 , w(tn , xn ) 6= 0 . Wählt man ε klein genug, liefert die Wiederholung des Beweises aus Schritt 1. für die Anfangszeit T1 − ε den Wert w(tn , xn ) = 0, im Widerspruch zur Annahme. Wir machen hier in der Vorlesung weiter. Zusammenfassung: Satz 4.3.3. Eindeutigkeit: R Die Lösung von u = ϕ · K aus Satz 4.3.2 ist eindeutig in der Klasse der Lösungen v mit Wachstumsverhalten |v| ≤ c1 exp(c2 · x2 ) , Beispiel: Keine Eindeutigkeit hat man in folgendem Fall: ∂2 ∂ u = u ∂t ∂x2 auf R+ × R , ci ∈ R+ . 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 143 auf R . u(0, x) = 0 u ≡ 0 ist sicher eine Lösung, welche zusätzlich die Wachstumsbedingung erfüllt. Eine weitere ist X 1 f (n) (t) · u(t, x) := · x2n , (2n)! n∈N 0 ∞ wobei f ∈ C (R) mit f (t) > 0 für t > 0 und f (t) = 0 für t ≤ 0, sowie |f (n) (t)| ≤ Cnnγ , 1 < γ < 2 . Eine solche Funktion f gibt es (vgl. Hörmander, Springer-Verlag, Sect. 1.3). Man kann zeigen, daß diese Reihe gleichmäßig konvergiert für |x| < R, R > 0 beliebig, und gliedweise differenziert werden darf, somit das Anfangswertproblem löst. Aber: sie wächst 2 stärker als c1 · exp(c2 · x2 ) ; nämlich wie c1 · exp c2 |x| 2−γ . 4.4 Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 Ω ⊆ R3 sei ein beschränktes Gebiet, T ∈ R+ , QT := (0, T ) × Ω , ST := (0, T ] × ∂Ω , G := {0} × Ω , siehe Abbildung (4.1). Gestellt sei folgendes Problem: ∂ u = a · ∆u ∂t u=0 auf G , auf QT u=f auf ST . Bemerkung. 1. Œ seien die Anfangsdaten 0 auf G; ansonsten transformiere. 2. Die erforderliche Kompatibilitätsbedingung an Anfangs– und Randdaten lautet: (K) f =0 auf {0} × ∂Ω . 3. vgl.: Beim Cauchy–Problem war x ∈ Rn , hier ist x ∈ Ω $ Rn . zur Eindeutigkeit: Diese erhält man ohne weiteres: Sind u, v Lösungen, so auch w := u − v mit w = 0 auf G ∪ ST . Das schwache Maximum–Prinzip liefert w = 0 auf Q . zur Existenz: Diese ist hier schwieriger zu zeigen: Bisher wurde ganz wesentlich benutzt, daß x ganz Rn durchlaufen kann. Jetzt schlägt man den Weg über Ein– und Doppeschichtpotentiale und dann Integralgleichungen ein. 144 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Idee: Suche eine Lösung der Form u = a· Z ∂ K(a(t − τ ), x − z) µ(τ, z) dsz dτ ∂~nz St mit noch unbekanntem µ = µ(t, x) und a ∈ R+ . Die Sprungrelation für x → x0 ∈ ∂Ω liefert dann: Z ∂ 1 K · µ dsz dτ . f (t, x) = ± µ(t, x) + a · 2 ∂~nz St Bemerkung. Im Unterschied zum elliptischen Fall hängt hier das Integrationsgebiet St von t ab: St := (0; t] × ∂Ω . Man erhält also eine Volterra–Integralgleichung, die man nach dem Banach– Fixpunktsatz durch Iteration löst: Startfunktion: µ0 (t, x) , R Iteration: µn+1 := −2f + 2a St ∂ K ∂~ nz · µ dsz dτ . Die Iteration ist eine Kontraktion, weshalb {µn } einen Grenzwert liefert. 2 In R+ × R3 ist K(t, x) := √ 1 3 exp(− |x| ) die Grundlösung. 4t 4πt Die Potentiale sind: Einschichtpotential: v(t, x) : = a · Z K(a · (t − τ ), x − z) ̺(τ, z) dsz dτ , St Doppelschichtpotential: w(t, x) := a · Z ∂ K(a · (t − τ ), x − z) · µ(τ, z) dsz dτ . ∂~nz St Ziel: Herleitung von Sprungrelationen für x → x0 ∈ ∂Ω . Die Argumentationsweise ähnelt dem elliptischen Fall. 1. Doppelschichtpotential: Das Integral wird unter Berücksichtigung der Singularität in der Zeit aufgespalten : Z Z ∂ ∂ K ·µ(t, z) dsz dτ , J := a· K · µ(τ, z)−µ(t, z) dsz dτ . w = I +J mit I := a· ∂~nz ∂~nz St St 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 145 Man berechnet I zu: I =a· Z µ(t, z) Zt 0 ∂Ω 1 = a · (−1) · 2 √ 3 π mit λ := (z − x)2 1 · − dτ dsz 2~nz (z − x) p 3 exp − 4a(t − τ ) 4a(t − τ ) 4π(a(t − τ )) 1 Z µ · ~nz (z − x) ∂Ω r2 , 4a(t−τ ) = 2· Z Z π dτ = (t − τ ) λ1 dλ, ∂Ω Z∞ Z∞ √ Z λ2 = +∞ : λ· 1 1 r2 · · · dλ · dsz λ r 5 4a 5 λ1 Z 1 µ · ~nz (x − z) 3 r Z∞ √ λ · exp(−λ) · dλ · dsy . λ1 ∂Ω √ R∞ Verwendet man Φ(t, r) := √2π λ1 = r2 λ exp(−λ) dλ → 4a·t und 1 1 ∂ = 4π · ~nz · (x − z) · r13 , ist (A.) ∂~ nz 4πr 1 I = 4π r2 , 4at λ 1 · (t − τ ) · dλ · dsz r2 λ exp(−λ) · exp(−λ) · λ · λ1 = r λ1 µ · ~nz (x − z) 3 (z − x)2 1 exp − ·p 5 dτ dsz , 4a(t − τ ) 4 · a(t − τ ) µ · ~nz (z − x) ∂Ω 1 √ 0 r := |z − x|, 1 I = −2 · a √ 3 π 2·a = √ 3 π Zt 1 µ · ~nz (x − z) 3 Φ(t, r) dsz = r ∂Ω I(t, x) = Z ∂ µ· ∂~nz ∂Ω Z ∂Ω ∂ µ(t, z) ∂~nz 1 4π|x − z| √2 Γ 3 π 2 1 4πr = 1 für r → 0 Φ(t, r) dsz , Φ(t, |x − z|) dsz . 1 Man beachte, daß E = ∂~∂nz 4πr gerade die Singularitätenfunktion der Laplace–Gleichung ist. Für den elliptischen Fall kennt man aber die Sprungrelationen : 1 I(t, x) = − µ(t, x0 ) · Φ(t, 0) + I(t, x0 ) | {z } x→x0 ,x∈Ω 2 lim =1 1 = − µ(t, x0 ) + I(t, x0 ) , 2 1 lim I(t, x) = + µ(t, x0 ) + I(t, x0 ) . 2 x→x0 ,x∈∁(Ω) [r = |x0 − z|] 146 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen I wieder in Ausgangsform geschrieben : 1 lim I(t, x) = − µ(t, x0 ) + a · x→x0 ,x∈Ω 2 Z ∂ K(a · (t − τ ), x0 − z)µ(τ, z) dsz dτ , ∂~nz St 1 lim I(t, x) = + µ(t, x0 ) + a · 2 x→x0 ,x∈∁(Ω) Z ∂ K ·µ. ∂~nz St Bemerkung. R 1. Die Existenz der Integrale St für x → x0 wäre noch zu zeigen; dies ergibt sich aber unten aus der Betrachtung von J wie im elliptischen Fall. 2. Da die Sprünge schon von I geleistet werden, erwartet man stetiges J. Man zeigt also nun : x → x0 , x 6∈ ∂Ω =⇒ J(t, x) → J(t, x0 ) . Wurde in der Vorlesung aus Zeitgründen nicht vorgetragen. t t τ t1 0 Abbildung 4.21: Ω δΩ Betrachte das Verhalten von µ auf [t1 ; t] klein genug. Zu ε ∈ R+ gibt es t1 ∈ R+ so nahe bei t, daß für τ ∈ [t1 ; t] : |µ(t, x) − µ(τ, x)| < ε auf ganz ∂Ω[∋ x] —da µ stetig vorausgesetzt. 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 Zerlege J = J1 + J2 , wobei Z ∂ K(a(t − τ ), x − z) · [µ(τ, z) − µ(t, z)] dsz dτ J1 (t, x) : = a · ∂~nz 147 und St 1 J2 (t, x) : = a · Zt Z t1 ∂Ω ∂ K(a(t − τ ), x − z) · [µ(τ, z) − µ(t, z)] dsz dτ . ∂~nz In J2 ist die Singularität von K bei τ = t enthalten; der Integrand in J1 ist nicht singulär, J1 stetig: lim J1 (t, x) = J1 (t, x0 ) x→x0 ,x6∈∂Ω nun zu J2 : Es sei x0 ∈ ∂Ω, Œ x0 = 0 . Voraussetzungen: 1. Es sei Fδ := ∂Ω ∩ Kδ (x0 ) darstellbar durch eine C 2 −Funktion Φ : Fδ = {y | y12 + y22 ≤ δ 2 , y3 = Φ(y1 , y2 )} . Œ sei das Koordinatensystem so gewählt, daß 0 = Φ(0) = ∂ Φ(0) , ∂yi i = 1, 2 . 148 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Kδ(x0) δ x0 = 0 Fδ δΩ Fδ x0 = 0 Gδ Abbildung 4.22: Fδ wird von Kδ (x0 ) aus ∂Ω ausgeschnitten. Gδ := ∂Ω \ Fδ 2. Es gebe eine vom Punkt x unabhängige obere Schranke c ∈ R+ für das Integral obiger R ∂ 1 Normalenableitung : ∃c > 0 ∀x ∈ R3 : ∂~nz 4πr dsz ≤ c . ∂Ω 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 Es gilt [man beachte x0 = 0]: J2 (t, x) − J2 (t, x0 ) = =a· Zt Z i i ∂ h K(a(t − τ ), x − z) − K(a(t − τ ), −z) µ(τ, z) − µ(t, z) dsz dτ ∂~nz t1 ∂Ω # Z t Z " ∂ ∂ + + ≤a · ε K(a(t − τ ), x − z) K(a(t − τ ), −z) ∂~nz ∂~nz t1 Fδ # Z t Z " ∂ ∂ + K(a(t − τ ), x − z) K(a(t − τ ), −z) + a·ε ∂~nz ∂~nz t1 Gδ =: aε[K1 + K2 ] + aεK3 . Auf Fδ ist z = z1 , z2 , Φ(z1 , z2 ) ~nz = p T , (D1 Φ, D2 Φ, −1)T . 1 + (D1 Φ)2 + (D2 Φ)2 Wie im elliptischen Fall hat man |~nz · z| dsz ≤ M · (z12 + z22 ) · dz1 · dz2 Es ist ∂ K(a(t ∂~ nz − τ ), x − z) = 1 ~n 2a(t−τ ) z mit M ∈ R+ . · (x − z) · K , daher Zt Z ∂ dsz dτ K(a(t − τ ), −z) K2 = ∂~nz t1 Fδ = ≤ Zt Z t1 Fδ 1 · ~nz · z · K · dsz dτ 2a(t − τ ) Zt Z M · (z12 + z22 ) K dz1 dz2 dτ , 2a(t − τ ) t1 Kδ = Z t Z2π Zδ t1 0 0 in Polarkoordinaten: M · r2 1 −|z|2 · r · dr dϕ dτ . ·p 3 exp 2a(t − τ ) 4a(t − τ ) 4πa(t − τ ) Mit |z|2 = z12 + z22 + Φ2 = r 2 + Φ2 hat man K2 ≤ Z t Z2π Zδ t1 0 0 2 1 M · r3 r 2 + Φ2 · √ 3 dr dϕ dτ . ·p exp − 2 (4a(t − τ )) 4a(t − τ ) 4 · a(t − τ ) π 149 150 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Streiche nun den Summanden Φ2 in r 2 + Φ2 und ersetze dafür K2 ≤ 0 t1 Man substituiert und erhält K2 ≤ = R∞ ; dann wird der 0 M 1 r3 r2 dr dϕ dτ √ √ 3 ·√ exp − 2 (4a(t − τ )) 4a(t − τ ) t−τ a π λ := Z t Z2π Z∞ 0 r2 4a(t−τ ) , dr = r dλ , 2λ λ1 = 0 , λ2 = +∞ , r4 1 1 M √ exp(−λ) dλ dϕ dτ √ √ 3 2 (4a(t − τ )) λ t − τ 2 a π t1 0 Zt 1 √ t−τ t1 Z2π Z∞ 0 0 M λ · exp(−λ) dλ dϕ dτ √ √ 3 2 a π "Z∞ # M = λ exp(−λ)dλ = 1 dϕ · 1 · √ √ 3 2 a π t1 0 0 t √ 2M √ 2πM = √ √ (−2) · t − τ = √ √ t − t1 2 aπ π a π t1 Zt und schließlich 0 durch 0 Wert des Integrals höchstens vergrößert: Z t Z2π Z∞ Rδ Z2π 1 √ dτ t−τ 2M √ K2 ≤ √ √ t − t1 . a π In K1 ist x − z 6= 0 , da x 6∈ ∂Ω . Zt Z 2 ~nz (x − z) 1 |x − z| K1 ≤ dsz dτ 3 exp − 2a(t − τ ) p 4a(t − τ ) 4πa(t − τ ) t1 Fδ wird mit λ := K1 ≤ Z r2 4a(t−τ ) dτ = (t − τ ) λ1 dλ , , |~nz · (x − z)| Fδ Z∞ λ1 = r2 4a(t−t1 ) , λ2 = +∞ zu 1 r2 1 r 1 p · exp(−λ) dλ ds · √ z 3 r 3 4a(t − τ ) 4a(t − τ ) λ 2a π λ1 Z Z∞ √ 1 λ exp(−λ) dλ dsz |~nz · (x − z)| · 3 r 0 Fδ Z √ 1 1 1 ∂ ≤ dsz . π4π √ 3· ∂~nz 4πr 2a π 2 1 ≤ √ 3 2a π ∂Ω Hierbei wurde das Integral R Fδ verwendet. wegen Fδ = ∂Ω ∩ Kδ ⊆ ∂Ω zu R ∂Ω vergrößert, und (A.) 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 Nach Voraussetzung 2. ist R ∂Ω ∂ ∂~ nz 1 4πr 151 dsz ≤ c , also K1 ≤ 1 ·c. a Zuletzt K3 : Weil x → x0 = 0 betrachtet wird, kann x ∈ K 1 δ (0) angenommen werden, weshalb für 2 z ∈ Gδ = ∂Ω \ Kδ (0) gilt: x − z 6= 0 und z 6= 0 . Die Anwendung der für K1 benutzten Variablentransformation einmal mit r = |x − z| , einmal mit r := |z| = |0 − z| liefert wie für K1 : K3 ≤ 2 · Insgesamt ist 1 · c. a 2M √ 1 |J2 (t, x) − J2 (t, x0 )| ≤ a · ε √ √ t − t1 + 3 · c a π a für x ∈ K 1 δ (0) , x 6∈ ∂Ω , was die Stetigkeit x 6∈ ∂Ω, x → x0 = 0 =⇒ J2 (t, x) → J2 (t, x0 ) 2 liefert. Wir machen hier in der Vorlesung weiter. Zusammenfassung: Satz 4.4.1. Sei Ω ⊆ R3 ein Gebiet, worauf Voraussetzungen 1. , 2. erfüllbar seien, ferner µ ∈ C(R+ 0 × ∂Ω) . Dann gilt: Das Doppelschichtpotential Z ∂ 3 w(t, x) := a · K(a(t − τ ), x − z)µ(τ, z) dsz dτ auf R+ 0 ×R ∂~nz St erfüllt die 1. Sprungrelation bei x0 ∈ ∂Ω 1 w(t, x) = − µ(t, x0 ) + w(t, x0 ) , x→x0 ,x∈Ω 2 1 lim w(t, x) = + µ(t, x0 ) + w(t, x0 ) 2 x→x0 ,x∈∁(Ω) lim und die 2. Differentialgleichung DG: ∂ w = a · ∆w ∂t AB: w(0, x) = 0 auf t ∈ R+ , x 6∈ ∂Ω , auf x 6∈ ∂Ω . 152 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Beweis. 1. Man hatte w = I + J , J = J1 + J2 limx→x0 I = ∓ 21 µ(t, x0 ) + I(t, x0 ) , mit limx→x0 Ji = Ji (t, x0 ) , was die Behauptung zeigt. 2. Nachrechnen, unter wesentlicher Verwendung von Satz 4.2.1 , Eigenschaft 2. . Satz 4.4.2. Sei Ω wie in Satz 4.4.1, ̺ ∈ C(R+ 0 × ∂Ω) . Das Einschichtpotential v(t, x) := a · Z K(a(t − τ ), x − z)̺(τ, z) dsz dτ 3 auf R+ 0 ×R St erfüllt die 1. Sprungrelation bei x0 ∈ ∂Ω 1 ∂ ∂ v(t, x) = + ̺(t, x0 ) + v(t, x0 ) , x→x0 ,x∈Ω ∂~ n0 2 ∂~n0 ∂ 1 ∂ v(t, x) = − ̺(t, x0 ) + v(t, x0 ) lim n0 2 ∂~n0 x→x0 ,x∈∁(Ω) ∂~ lim und die 2. Differentialgleichung DG: ∂ v ∂t = a · ∆v AB: v(0, x) = 0 auf t ∈ R+ , x 6∈ ∂Ω , auf x 6∈ ∂Ω . Bemerkung. ~n0 ist die äußere Normale an ∂Ω in x0 ; der Grenzübergang muß auf dieser Geraden x0 + R~n0 erfolgen. 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 153 n0 x0 x0+R.n0 δΩ Abbildung 4.23: Der Grenzübergang erfolgt auf der Geraden durch x0 , normal auf ∂Ω. Beweis. Der Beweis verläuft ähnlich dem im elliptischen Fall. Das Anfangs–/Randwertproblem lautet: DG: ∂ u = a · ∆u ∂t AB: u=0 auf G = {0} × Ω , RB: u=f auf ST = [0; T ] × ∂Ω , auf QT = (0; T ) × Ω , mit • T ∈ R+ , • f = 0 auf 0 × ∂Ω [Kompatibilität], f ∈ C(ST ) . gesucht: Lösung u ∈ C 1,2 (QT ) ∩ C(QT ) u =a· in Form eines DSP: R St 2 ∂ u, ∂x∂i ∂xj u ∈ C(QT )}] [C 1,2 (QT ) = {u | ∂t ∂ K ∂~ nz · µ. Bestimme also so ein stetiges µ . Für ein so definiertes u ist nach Lemma [siehe unten] limt→0 u(t, 0) = 0 ; also ist u auf [0; T ] × Ω stetig fortsetzbar und erfüllt stets die homogene Anfangsbedingung [die DG ohnehin]. Für Stetigkeit muß für x → x0 gelten: u(t, x) → f (t, x0 ). Mit der Sprungbedingung für das DSP erhält man Z 1 ∂ f (t, x) = − µ(t, x) + a · K(a(t − τ )), x − z)µ(τ, z) dsz dτ auf R+ 0 × ∂Ω . 2 ∂~nz St Dies ist eine Volterra–Integralgleichung, weil die Integrationsgrenzen über St von den freien 154 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Variablen (t, x) abhängen, und zwar 2. Art, da die gesuchte Funktion µ innerhalb und außerhalb des Integrals auftritt. Wie im elliptischen Fall versucht man, die IG iterativ zu lösen: Startfunktion: µ0 (t, x) , R Iteration: µn+1 := −2f + 2a · St ∂ K ∂~ nz · µn . Kann man zeigen, daß 1. {µn } stetige Funktionen auf ST sind und P 2. die Reihe µ0 + N [µn − µn−1 ] auf ST gleichmäßig konvergiert, P dann istRµ := lim µn = µ0 + N [µn − µn−1 ] eine stetige Lösung der Integralgleichung, und u := a · ∂~∂nz K · µ löst die DG und AB ohnehin, ferner die RB nach Konstruktion. St Somit löst u das gesamte Anfangs–/Randwertproblem. Man beachte, daß korrekterweise die Sprungrelation nur dann verwendet werden darf, wenn ∂Ω die Voraussetzungen 1. ,2. erfüllt, was daher ab jetzt stets angenommen wird. zunächst: Lemma 4.4.3. Ist h ∈ C(ST ) mit |h(t, x)| ≤ M · tα , wobei M ∈ R+ , α ∈ (−1; ∞) , so folgt Z Γ( 21 )Γ(α + 1) α+ 1 ∂ 2a t 2 ≤ L · M K(a(t − τ ), x − z)h(τ, z) ds dτ z ∂~nz Γ(α + 32 ) St mit L unabhängig von h ! Beweis. siehe einschlägige Literatur; Ist nun µ0 ∈ C(ST ) , dann liefert das Lemma mit α = 0 aus der Iterationsvorschrift: µ1 ∈ C(ST ) ; ebenso ∀n : µn ∈ C(ST ) , womit 1. erledigt ist. R Mit M := maxST |µ1 − µ0 | liefert das Lemma mit α = 0 aus µ2 − µ1 = 2a ∂~∂nz K · (µ1 − µ0 ) St 1 die Abschätzung |µ2 − µ1 | ≤ 2 · L · M · t 2 und daraus mit α = 21 : √ Γ( 21 )Γ( 32 ) M · (L · π)2 t = · t, |µ3 − µ2 | ≤ L · (2 · L · M) Γ(2) Γ(2) und allgemein: √ √ M · (L · πT )n M · (L · π)n 1 n t2 ≤ . |µn+1 − µn | ≤ Γ( 21 n + 1) Γ( 21 n + 1) Der M–Test nach Weierstraß erbringt mit dem letzten Resultat die absolute, aber auch die gleichmäßige Konvergenz der Reihe in Punkt 2. . 4.4. Anfangs–/Randwertprobleme für die Wärmeleitungsgleichung im R3 155 Und insgesamt ist u mit lim µn tatsächlich eine Lösung des Anfangs–/Randwertproblems. Satz 4.4.4. Für f ∈ C(ST ) mit f (0, x) = 0 auf ∂Ω hat obiges Anfangs–/Randwertproblem genau eine Lösung u ∈ C 1,2 (QT ) ∩ C(QT ) . Bemerkung. Dieser Satz läßt sich noch auf die Situation inhomogener Anfangsbedingungen und einer Differentialgleichung mit Quellterm g(t, x) verallgemeinern. 156 Kapitel 4 : Parabolische Differentialgleichungen Kapitel 5 Freie Randwertprobleme 5.1 Das Einphasen-Stefan-Problem Das Einphasen-Stefan-Problem ist wohl das einfachste Beispiel eines freien Randwertproblems für die Wärmeleitungsgleichung. Wir betrachten dazu eine aus Eis bestehende Region, die bei 00 C an ein Wassergebiet grenzt. Der Definitionsbereich für die Wärmeleitungsgleichung ist lediglich die Wasserregion, weshalb von einem Einphasenproblem gesprochen wird. Führt man nun dem Wasser von außen beispielsweise Wärmeenergie zu, beginnt das angrenzende Eis zu schmelzen und die Front zwischen Eis und Wasser wandert in die mit Eis gefüllte Region. Die Bewegung des freien Randes wird also durch die Anfangs- und Randdaten für die Temperatur des Wasserbereichs sowie der Anfangskonstellation des freien Randes bestimmt. Mit Hilfe der physikalischen Eigenschaften der vorliegenden Situation werden wir eine Beziehung zwischen der Lösung der Gleichung und deren zeitabhängigem Definitionsbereich herstellen. Wir formulieren das Stefan-Problem in einer Raumdimension und bezeichnen mit x = s(t), 0 < t ≤ T , die Position der Wasser-Eis-Front. Der Definitionsbereich für die Wärmeleitungsgleichung im Wasser ist dann DT = {(x, t)|0 < x < s(t), 0 < t ≤ T }. Falls x > s(t) gilt, befinden wir uns im Eis und auf x = s(t) hat die Temperatur u(x, t) einen Wert von 00 C, womit eine Randbedingung bereits festgelegt ist. 157 158 Kapitel 5 : Freie Randwertprobleme t T x=s(t) u(s(t),t) = 0 DT 0 x s(0)=b Abbildung 5.1 In DT betrachten wir die einfache Form der Wärmeleitungsgleichung ut = uxx mit der Anfangsbedingung u(x, 0) = ϕ(x) ≥ 0, 0≤x≤b und auf dem festen Rand, bei x = 0, nehmen wir an, daß eine Wärmemenge zufließt, also −ux (0, t) = h(t) > 0, 0 < t ≤ T. Um eine Bewegungsgleichung für den freien Rand x = s(t) herzuleiten, verwenden wir das Fouriersche Gesetz. Wir haben also angenommen, daß das Eis bei 00 C beginnt. Um es zum Schmelzen zu bringen, muß die ganze an der Wasser-Eis-Front x = s(t) ankommende Wärmeenergie genutzt werden. Die zeitliche Änderung von s ist proportional zur Energierate, d.h. also nach dem Fourierschen Gesetz αṡ(t) = −kux (s(t), t), wobei α das Produkt zwischen der Dichte des Eises und der latenten Wärme des Schmelzvorgangs ist, dagegen k die thermische Leitfähigkeit des Wassers beschreibt. Der Einfachheit halber setzen wir diese Konstanten gleich eins und haben in DT = {(x, t)|0 < x < s(t), 0 < t ≤ T } 159 5.1. Das Einphasen-Stefan-Problem folgendes Problem: ut = uxx , 0 < x < s(t), 0 < t ≤ T, −ux (0, t) = h(t) > 0, 0 < t ≤ T, u(x, 0) = ϕ(x) ≥ 0, 0 ≤ x ≤ b = s(0), u(s(t), t) = 0, 0<t≤T ṡ(t) = −ux (s(t), t), s(0) = b. 0 < t ≤ T, (5.1) (5.2) Das Problem besteht nun darin, das Paar (u, s) zu bestimmen. Definition 5.1.1. Das Paar (u, s) ist eine Lösung von (5.1) und (5.2), falls s ∈ C 1 (0, T ) ∩ C[0, T ], s(0) = b sowie u eine Lösung der partiellen Differentialgleichung für dieses s ist und zusammen (5.2) erfüllen. Dabei ist es auch zulässig, daß die Randdaten h und ϕ nur stückweise stetig sind. Es gilt zunächst: Lemma 5.1.2. Die Bedingung ṡ(t) = −ux (s(t), t), 0 < t ≤ T, kann ersetzt werden durch die äquivalente Integralbedingung s(t) = b + Zb 0 ϕ(ξ)dξ + Zt 0 Zs(t) u(ξ, t)dξ, h(τ )dτ − für 0 < t ≤ T. 0 Beweis. Wir setzen L(u) = ut − uxx = 0 und betrachten die Greensche Identität Z Z {vL(u) − uM(v)}dxdt = {(vux − uvx )dt − uvdx}, D ∂D mit M(v) = vt + vxx . Setzen wir v = −1, dann ergibt sich Z 0 = {−ux dt + udx}. ∂D Sei nun (u, s) ist eine Lösung von (5.1) und (5.2) sowie D = Dτ ∩ {(ξ, τ )|0 < ǫ ≤ τ ≤ t}, (5.3) 160 Kapitel 5 : Freie Randwertprobleme dann folgt aus ṡ(t) = −ux (s(t), t), s(0) = b, 0= Z ∂D −ux dt + Z ∂D udx = − Zt ǫ Zs(t) Zs(ǫ) u(ξ, t)dξ. u(ξ, ǫ)dξ + h(τ )dτ + s(t) − s(ǫ) − 0 0 Für ǫ → 0 ergibt sich die gewünschte Integraldarstellung. Umgekehrt, falls also (u, s) Lösung von (5.1)und (5.3) ist, falls zudem ux existiert und stetig ist auf x = s(t), folgt aus der Integraldarstellung und der Greenschen Identität, daß s(t) = b − Zt ux (s(τ ), τ )dτ. 0 Differentiation nach t liefert die Behauptung. Bemerkung 5.1.3. Wir haben bisher verwendet, daß ux existiert und stetig ist auf x = s(t). Wir werden zeigen, daß s(t) hölderstetig ist mit Hölder-Konstante 12 . Das bedeutet, ux existiert auf s und ist stetig. Beweis. Siehe J. R. Cammon, The One-Dimensional Heat Equation, Lemma 14.4.1. Bemerkung 5.1.4. Da die Daten h, ϕ, u(s(t), t) ≥ 0 sind, folgt unmittelbar nach dem Maximumprinzip, daß u(x, t) ≥ 0 in DT gilt. Ebenso ergibt sich sofort aus dem starken Maximumprinzip Bemerkung 5.1.5. Jede Lösung von (5.1) ist nichtnegativ. Außerdem gilt für jede Lösung von (5.1) und (5.2), daß ṡ(t) = −ux (s(t), t) ≥ 0, 0 < t ≤ T, ist. Falls ϕ positiv ist und/oder h(t) ist positiv in jeder Umgebung von t = 0, dann ṡ(t) = −ux (s(t), t) > 0, 5.2 0 < t ≤ T. Eindeutigkeit der Lösung Wir kommen nun zur Eindeutigkeit der Lösung von (5.1) und (5.2). Um diese nachzuweisen, formulieren wir eine Aussage über die monotone Abhängigkeit des freien Randes von den Daten. 161 5.2. Eindeutigkeit der Lösung Lemma 5.2.1. Seien (u1, s1 ) und (u2 , s2 ) Lösungen des Stefan-Problems (5.1) und (5.2) zu den jeweiligen Daten (b1 , ϕ1 , h1 ) und (b2 , ϕ2 , h2 ). Falls b1 < b2 (bzw.b1 ≤ b2 ), ϕ1 ≤ ϕ2 , h1 ≤ h2 gilt, dann (s1 ≤ s2 ). s 1 < s2 Beweis. Wir zeigen zunächst, s1 < s2 , falls b1 < b2 gilt. Wir nehmen das Gegenteil an, d.h. es existiert ein t0 > 0 mit s1 (t0 ) = s2 (t0 ) und somit ṡ1 (t0 ) ≥ ṡ2 (t0 ). t t0 0 b1 x b2 Abbildung 5.2 Ist nun o.B.d.A. h2 oder ϕ2 6≡ 0, dann folgt nach dem starken Maximumprinzip u2 (s1 (t), t) > 0 in 0 < t ≤ t0 . Das bedeutet u2 − u1 > 0 für 0 < t < t0 , da u1 (s1 (t), t) = 0 gilt. in 0 < x ≤ s1 (t), 162 Kapitel 5 : Freie Randwertprobleme Da u1 und u2 bei (s1 (t0 ), t0 ) verschwinden, folgt aus dem Lemma von Hopf, daß ṡ1 (t0 ) − ṡ2 (t0 ) = u2x (s1 (t0 ), t0 ) − u1x (s1 (t0 ), t0 ) < 0. Dies ist ein Widerspruch, also s1 < s2 in 0 < t ≤ T . Um s1 ≤ s2 für b1 ≤ b2 zu beweisen, nehmen wir an, daß für ein δ > 0 das Paar (uδ2 , sδ2 ) eine Lösung von (5.1) und (5.2) ist, zu den Daten (b2 + δ, ϕ2 , h2 ), wobei ϕ2 zu Null fortgesetzt wird außerhalb 0 ≤ x ≤ b2 . Nach dem ersten Teil des Beweises gilt also s1 < sδ2 , da b1 < b2 + δ. Die Lösungen (u2 , s2 ) und (uδ2 , sδ2 ) müssen aber beide die Integralbedingung (5.3) erfüllen. Subtraktion der entsprechenden Bedingungen ergibt sδ2 (t) − s2 (t) = δ − sZ2 (t) 0 δ u2 (ξ, t) − u2 (ξ, t) dξ − sZδ2 (t) uδ2 (ξ, t)dξ. s2 (t) Nach dem Maximumprinzip gilt uδ2 ≥ 0 und uδ2 − u2 ≥ 0. Somit und sδ2 (t) ≤ s2 (t) + δ s1 (t) < s2 (t) + δ. Da aber δ > 0 beliebig klein sein kann, folgt s1 ≤ s2 für b1 ≤ b2 . Satz 5.2.2. (Eindeutigkeit). Das Stefan-Problem hat höchstens eine Lösung. Beweis. Falls (u1 , s1 ) und (u2 , s2 ) Lösungen zu denselben Daten sind, folgt aus der Monotonie des Randes s1 ≤ s2 und s1 ≥ s2 , also s1 = s2 . Entsprechend ergibt sich u1 = u2 . 5.3 Existenz einer Lösung In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit der Existenz einer Lösung für das StefanProblem (5.1) und (5.2). Wir verwenden dazu die sog. Retardationsmethode, die etwas später genauer erklärt wird. 163 5.3. Existenz einer Lösung Für das weitere stellen wir folgende Annahmen an die Daten: Annahme A. Es ist h eine beschränkte, (stückweise) stetige nichtnegative Funktion. Ebenso ist ϕ eine (stückweise) stetige und nichtnegative Funktion mit der Eigenschaft 0 ≤ ϕ(x) ≤ N(b − x), wobei x ∈ [0, b] und N > 0. Wir beweisen zunächst eine A-priori-Abschätzung einer möglichen Lösung u von (5.1) mit monoton steigendem Rand s. Lemma 5.3.1. Sei u eine Lösung von (5.1) und der Rand s sei nichtfallend. Es gelte Annahme A, dann existiert eine Konstante C = max(M, N), mit M = sup0≤t≤T h(t) und N aus Annahme A, so daß 0 ≤ ρ−1 u(s(t) − ρ, t) ≤ C für alle 0 ≤ t ≤ T und 0 < ρ < s(t). Beweis. Da ϕ, h ≥ 0 folgt aus dem Maximumprinzip, daß u ≥ 0. Setze C = max(M, N) und definiere für jedes t0 ∈ [0, T ] die Funktion w(x) = C{s(t0 ) − x}. Es gilt wt − wxx = 0, −wx (0) = C ≥ M ≥ h, w(x) ≥ C{b − x} ≥ N{b − x} ≥ ϕ, w(s(t)) = C{s(t0 ) − s(t)} ≥ 0, in 0 ≤ t ≤ t0 . Nach dem Maximumprinzip gilt u(x, t) ≤ w(x), 0 ≤ x ≤ s(t), 0 ≤ t ≤ t0 . Somit 0 ≤ ρ−1 u(s(t0 ) − ρ, t0 ) ≤ ρ−1 (w(s(t0 ) − ρ)) = ρ−1 Cρ = C. Bemerkung 5.3.2. Falls nun ux (s(t), t) existiert, dann folgt aus der obigen Abschätzung −C ≤ ux (s(t), t) ≤ 0. Denn u(s(t), t) − u(s(t) − ρ, t) u(s(t) − ρ, t) − u(s(t), t) =− ≤ C. ρ ρ Für ρ → 0 ergibt sich die Behauptung. 0≤ Wir kommen nun zur Existenzaussage. 164 Kapitel 5 : Freie Randwertprobleme Satz 5.3.3. Es gelte Annahme A mit b > 0. Dann existiert eine eindeutige Lösung (u, s) für das Stefan-Problem (5.1) und (5.2). Zudem gilt für den freien Rand 0 ≤ ṡ(t) ≤ C, wobei C = max(M, N). Wir skizzieren zunächst die Vorgehensweise des Existenzbeweises und erläutern dann das Prinzip der Retardations(Verzögerungs)methode. Für jedes τ , 0 < τ < b, konstruieren wir eine Familie von Approximationslösungen (uτ , sτ ) für die Lösung von (5.1) und (5.2) durch ṡτ (t) = −uτx (sτ (t − τ ), t − τ ), s(t) = b, 0 ≤ t ≤ τ. t > τ, Dies entspricht einer zeitlichen Verzögerung (Retardation) um den Parameter τ . Sei ( 1, 0 ≤ x ≤ b − τ, χτ = 0, b − τ < x ≤ b, und ϕτ = χτ ϕ. Im ersten Intervall 0 ≤ t ≤ τ setzen wir also sτ (t) ≡ b und definieren uτ als die eindeutige Lösung des entsprechenden Stefan-Problems in 0 ≤ x ≤ sτ (t), 0 ≤ t ≤ τ. Es ist klar, daß uτ (b, t) existiert und stetig ist für 0 ≤ t ≤ τ . Zudem gilt in diesem Zeitintervall 0 ≤ −uτx (b, t) ≤ C. Wir gehen also induktiv vor, wie es in Abbildung ?? veranschaulicht ist, indem wir annehmen, daß in 0 ≤ t ≤ nτ die Lösung (uτ , sτ ) bereits konstruiert ist, sτ ∈ C 1 [0, nτ ] (speziell also lipschitzstetig ist) und uτx die entsprechenden Bedingungen erfüllt. Ebenso gelte sτ (t) = b − Zt uτx (sτ (η − τ ), η − τ )dη. τ In nτ ≤ t ≤ (n + 1)τ 165 5.3. Existenz einer Lösung ist sτ (t) durch (5.3) definiert und löst in diesem Intervall (5.1). Fahren wir so fort, können wir im ganzen Intervall [0, T ] eine Approximation konstruieren. t −uτx = h uτt = uτxx 3τ 2τ uτ=0 . sτ = −uτx(sτ(t−τ),t−τ) , t>τ τ 0 uτ= φτ x Abbildung 5.3 Wir sind nun in der Lage mit Hilfe von Approximationslösungen, wie sie eben hergeleitet wurden, Satz 5.3.3 zu beweisen. Beweis. Wir verwenden also das Retardationsargument, um eine Familie von Approximationslösungen (uτ , sτ ), 0 < τ < τ0 , zu bekommen, wobei ṡτ (t) = −uτx (sτ (t − τ ), t − τ ), sτ (t) = b, 0 ≤ t ≤ τ. t > τ, Es gilt 0 ≤ ṡτ (t) ≤ C, 0<t<τ und aus der Integraldarstellung (5.3) auch b ≤ sτ (t) ≤ b + CT. Die Familie ist demnach gleichgradig stetig und gleichmäßig beschränkt. Aus dem Satz von Arcela-Ascoli folgt, daß eine Teilfolge {sτi } existiert mit sτi → s gleichmäßig für τ i → 0 in 0 ≤ t ≤ T . 166 Kapitel 5 : Freie Randwertprobleme Sei u die zu diesem s gehörige Lösung von (5.1). Setze ατ (t) = min(sτ (t), s(t)) und betrachte w = uτ − u. Nach Lemma 5.3.1 gilt auf x = ατ (t) |w(ατ (t))| ≤ C|sτ (t) − s(t)|, sowie w(x, 0) = 0 in 0 ≤ x ≤ b − τ , |w(x, 0)| ≤ Cτ in b − τ ≤ x ≤ b, nach Annahme A. Auf x = 0 gilt wx (0, t) = 0. Also gilt nach dem Maximumprinzip Cksτ − sk[0,T ] + Cτ ± w(x, t) ≥ 0, wobei ksτ − sk[0,T ] := sup0≤t≤T |sτ (t) − s(t)|. Somit |uτ (x, t) − u(x, t)| ≤ C{ksτ − sk[0,T ] + τ }. Eine ähnliche Abschätzung für w gilt auch in ατ (t) ≤ x ≤ β τ (t), 0 ≤ t ≤ T , wobei β τ (t) = max(sτ (t), s(t)). Damit folgt aus der gleichmäßigen Konvergenz von sτ nach s auch die gleichmäßige Konvergenz von uτ nach u für τ → 0. Wir verwenden nun die Integralidentität (5.3) auf uτ an, d.h. − Zt uτx (sτ (η), η)dη = 0 bzw. sτ (t + τ ) = b + Zb−τ ϕ(ξ)dξ + 0 Zb−τ 0 ϕ(ξ)dξ + Zt h(η)dη − 0 h(η)dη − uτ (ξ, t)dξ 0 0 Zt sZτ (t) sZτ (t) uτ (ξ, t)dξ. 0 Für τ → 0 erfüllt auch (u, s) diese Bedingung. Da s lipschitzstetig ist, mit LipschitzKonstante C, und 0 ≤ ϕ ≤ N(b − x), folgt nach Bemerkung 5.1.3, daß ux (s(t), t) existiert und stetig ist. Aus Lemma 5.1.2 und Satz 5.2.2 folgt die Behauptung. Bisher hatten wir b > 0 angenommen. Beginnt dagegen der freie Rand im Ursprung, also b = 0, dann erübrigt sich die Anfangsbedingung ϕ und es gilt 167 5.3. Existenz einer Lösung Lemma 5.3.4. Sei b = 0 und gelte Annahme A, wobei die Bedingung an ϕ irrelevant ist. Dann besitzt das entsprechende Stefan-Problem (5.1) und (5.2) eine eindeutig bestimmte Lösung (u, s). Ferner gilt die Abschätzung 0 ≤ ṡ(t) ≤ C, wobei C = sup0≤t≤r h(t). Beweis. Sei (ub , sb ) eine Lösung zu den Daten (b, ϕ = 0, h), b > 0. Betrachte lim(ub, sb ) b→0 und verwende Satz 5.3.3 sowie den Satz von Arcela-Ascoli. Folgerung. Wir können somit die Bedingung 0 ≤ ϕ(x) ≤ N(b − x) aus Annahme A vergessen und aus den Sätzen 5.3.3 und 5.3.4 schließen, daß für b ≥ 0 das Stefan-Problem eine Lösung hat, falls ϕ lediglich beschränkt, (stückweise) stetig und nichtnegativ ist. Man könnte nun das asymptotische Verhalten des freien Randes für t → ∞ studieren, sowie die stetige Abhängigkeit des freien Randes von den gegebenen Daten des Stefan-Problems. Dazu verweisen wir jedoch auf das Buch von J. R. Cannon, The One-Dimensional Heat Equation.