Agenten mit Maßanzug
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Agenten mit Maßanzug
Kino NUMMER 59 Hochzeit zum Heulen Film-Geflüster Jeremy Renner spielt wieder mit Amy Adams Lahme Klamotte: „Die Trauzeugen AG“ Jeremy Renner („The Hurt Locker“) und Amy Adams („Her“) werden nach „American Hustle“ wieder gemeinsam vor der Kamera stehen. Wie das Branchenblatt Variety berichtet, hat Renner nun auch eine Rolle in dem geplanten Science-Fiction-Streifen „Story of Your Life“ erhalten. Die Geschichte dreht sich um die Ankunft von Außerirdischen auf der Erde. Adams spielt eine Sprachwissenschaftlerin, die im Auftrag des Militärs herausfinden soll, mit welchen Absichten die Aliens gelandet sind. Renner soll ihr in der Rolle eines Physikprofessors zur Seite stehen. VON GÜNTER H. JEKUBZIK Seinen eigenwilligen Esprit entwickelt „Kingsman“ aus der Mischung von Comic-Superheldentum, britischer Gentleman-Coolness und punktuell, aber effizient eingesetzten Gewaltszenen, die vor SplatterEffekten nicht zurückschrecken. Stilvolle Nahkampfchoreografien im Maßanzug stehen neben Köpfen, die in Zeitlupe wie Wassermelonen auseinanderbersten. Solche gezielten Geschmacklosigkeiten sind das Markenzeichen von Matthew Vaughn, der in „Kick-Ass“ noch kräftiger zulangte. Sicher kein Film für Zartbesaitete, aber für GenreLiebhaber dürfte die Spionagesatire bestens funktionieren. **** Jimmy Callahan (Kevin Hart) ist ein großartiger Redner, er rührt die Herzen auf Hochzeiten oder für Beerdigungen. Obwohl er die Gehuldigten überhaupt nicht kennt oder kannte, denn Jimmy ist gemietet wie Geschirr und Partytische. Als sich Doug Harris (Josh Gad) bei ihm meldet, ist der die größte Herausforderung in diesem Job, weil der pummelige, erfolgreiche, aber einsame Mann gleich sieben Trauzeugen, also Freunde braucht. So wird mit einem Haufen schräger Typen und Verlierer (gespielt von prägnanten Serien-Darstellern) eine militärische Trainingswoche abgezogen. Das Gelingen ist schon durch diese Zusammensetzung höchst unwahrscheinlich: Der stille Hugo aus „Lost“ (Jorge Garcia) hat unter der terroristischen Fuchtel seiner Frau nie Zeit. Ein alberner Kauz kann nichts, außer auf Kommando seine Schulter ausrenken, ein dämlicher Stripper beherrscht nur das Zucken seiner knackigen Brustmuskeln. Als Humor gilt in „Die Trauzeugen AG“ schon ein schmutziges Wort beim Essen mit Schwiegereltern, die zur Ablenkung verschüttete heiße Soße und die dabei aus Versehen angezündete Oma. Und bei der außer Rand und Band geratenen Junggesellenparty beißt der GenitalHumor in Form eines Hundes kräftig in den Schritt. Aber das gehört tatsächlich noch zu den wenigen Malen Schmunzeln, die diese Klamotte hervorruft. Nur wenn nicht mehr geredet wird und die Trauzeugen schnell montiert sind, etwa beim Erstellen abenteuerlicher Erinnerungsfotos oder bei absurden Tanzeinlagen, ist der KomödienKrampf aushaltbar. Dass die beiden einsamen Kerle Jimmy und Doug schließlich doch Freunde werden, ist als vorhersehbarer Gehalt dieses Klamauks viel zu dünn. * O Filmstart in vielen Kinos der Region O Filmstart in vielen Kinos der Region Woody Allen sichert sich Kristen Stewart und Willis Star-Regisseur Woody Allen, 79, hat angeblich die Besetzung für seinen nächsten, noch titellosen Film zusammen. Wie das Kinoportal Deadline.com berichtet, sollen Kristen Stewart, 24, Bruce Willis, 59, und Jesse Eisenberg, 31, die Hauptrollen übernehmen. Wie gewöhnlich hält Allen den Inhalt unter Verschluss. Zuletzt drehte er mit Emma Stone und Joaquin Phoenix den Film „Irrational Man“. Stephanie Sigman wird das dritte Bond-Girl Daniel Craig, 47, als Geheimagent James Bond 007 hat mit den Schauspielerinnen Léa Seydoux, 29, und Monica Bellucci, 50, offenbar noch nicht genug. Als Nachzüglerin stößt nun die 1987 in Mexiko geborene SchauStephanie Sigman spielerin Stephanie Sigman zur Besetzung des Agentenabenteuers „Spectre“. Sigman („Miss Bala“, „Pioneer“) werde eine Frau namens Estrella spielen. Emma Watson ist die neue „Belle“ „Harry Potter“-Star Emma Watson, 24, wird sich in dem geplanten Disney-Remake „Die Schöne und das Biest“ in die Belle verwandeln. Für das „Biest“ erhielt der britische Serienstar („Downton Abbey“) Dan Stevens, 32, den Zuschlag. Watson twitterte, sie sei überglücklich, dass dieser Mann zum Biest werde. Luke Evans, 35, ist für die Rolle des eitlen Bösewichts im Gespräch. (dpa) Unsere Wertungen * sehr schwach ** mäßig *** ordentlich **** sehenswert ***** ausgezeichnet Sonst noch angelaufen ● Schattenwald Julika Stetten fährt nach einem Burnout aufs Land in ein altes Haus. In der vermeintlichen Abgeschiedenheit will die Songschreiberin schnell wieder zu Kräften kommen, denn sie muss fristgerecht liefern. Doch in ihren Träumen bekommt Julika Besuch von Katharina, die hier vor vielen Jahren ihr Leben verloren hat. Ihren packenden, ruhig erzählten bayerischen Mysterythriller hat Filmemacherin Laura Thies mithilfe von Crowdfounding finanziert. (Filmstart in Schrobenhausen) Weiterhin sehenswert ● Als wir träumten **** Es war eine wilde Zeit für Jugendliche, als die DDR untergegangen war ● Verstehen Sie die Béliers? **** Die Tochter taubstummer Eltern folgt ihrer Liebe zur Musik ● Still Alice ***** Julianne Moore spielt eine Frau mit Alzheimer DONNERSTAG, 12. MÄRZ 2015 Stilvoller Agententreff: „Kingsman“ Colin Firth (Mitte) mit Eleven Eggsy (Taron Egerton, links) und Milliardär Richmond Valentine (Samuel L. Jackson). Foto: 20th Century Fox Agenten mit Maßanzug-Manieren Kingsman In der gelungenen Parodie auf James Bond und den Geheimdienst ihrer Majestät jagt der Secret Service eine hinterlistige Reinkarnation Steve Jobs. Ein Fest für Genreliebhaber VON MARTIN SCHWICKERT Ist das wirklich Colin Firth, der hier so ruchlos mordet? Derselbe, der vor zwanzig Jahren als Mr. Darcy in „Stolz und Vorurteil“ seinen Miesepeter-Charme verstreute, in „Mamma Mia!“ ausgelassene Gesangsund Tanzeinlagen absolvierte und mit „The Kings’s Speach“ in der Rolle des stotternden Monarchen die Zuschauerherzen rührte? Und nun erledigt der Mann eine ganze Kirchengemeinde, die in den Südstaaten den Reden eines rassistischen Hasspredigers lauscht, und rammt dem Pfaffen einen Fahnenmast in den Kiefer – und das in Zeitlupe und zu den Klängen von Lynyrd Skynyrds „Free Bird“. Dabei versteht sich dieser Harry Hart eigentlich als urenglischer Gentleman, aber wenn es um die Rettung der Welt geht, müssen Geheimagenten wie er eben auch einmal die Ärmel hochkrempeln. Als trashige Spionagefilm-Satire hat Matthew Vaughn seinen „Kingsman: The Secret Service“ angelegt und da ist Colin Firth mit seinem Faible für britische Contenance natürlich ideal besetzt. Basierend auf der Comic-Vorlage von Mark Millar und Dave Gibbons erzählt der Film von dem jungen Eggsy (Taron Egerton), der auf die schiefe Bahn zu geraten droht, bevor er für den traditionsreichen Geheimbund „Kingsman“ angewor- ben wird. Schon seit dem Ersten Weltkrieg bekämpfen die „Ritter der Neuzeit“ international agierende Bösewichte. Großen Wert wird in dem Verein darauf gelegt, dass die Agenten die Gegner auch in großer Überzahl erledigen, ohne das Jackett zu ruinieren. Dabei dient der Maßanzug als kugelsichere Rüstung und der Regenschirm als Schusswaffe und Schutzschild zugleich. Das Hauptquartier befindet sich stilsicher versteckt hinter einer Londoner Herrenschneiderei. Nach einer umfangreichen Aufnahmeprüfung wird der Novize von dem erfahrenen Agent Harry Hart unter seine Fittiche genommen, der ihn in die Grundregeln des Gentleman-Daseins einweist („Manieren machen den Menschen“). Gemeinsam versuchen die beiden den finsteren Machenschaften des Hi-TechMilliardärs Richmond Valentine (Samuel L. Jackson) auf die Schliche zu kommen, der als hinterlistige Reinkarnation von Steve Jobs angelegt ist. Mit Gratis-SIM-Karten manipuliert er die Menschheit und verfolgt seine eigenen Vorstellungen von effizientem Klimaschutz. Hauptquelle für Vaughns Agentenfilm-Parodie sind natürlich die Bond-Filme. Michael Caine gibt einen Geheimdienstchef ab, der in Sachen Undurchsichtigkeit „M“ in nichts nachsteht. Hinter der Herrenschneiderei befindet sich ein Arsenal an Geheimdienstwaffen, von dem selbst „Q“ nur träumen dürfte. Drei Fragen an den Schauspieler Colin Firth ● Was ist wichtig, wenn man jemanden vor der Kamera k. o. schlägt? Colin Firth: Die Entschlossenheit. Du kannst alle Bewegungen richtig machen und trotzdem erzählt mir der Trainer am Ende: „Ich glaube Dir nicht, dass Du den Typen fertigmachen willst. Der Ausdruck in deinen Bewegungen und in deinem Gesicht erzählt mir keine Geschichte“. Auch in den Stunts muss ich eine Geschichte erzählen. ● Wie haben Sie die Actionszenen überlebt? Firth: (lacht) Es ist eigenartig. Jeder scheint davon auszugehen, dass es für mich besonders anstrengend war. Ich kann Ihnen versichern, es war ein hartes Stück Arbeit. Trotzdem hat es mir Spaß gemacht. Früher habe ich nicht viel Sport getrieben. Als junger Mann war ich alles andere als ein Athlet. Sport war nicht meine Sache. ● Wie haben Sie dann Ihren inneren Schweinehund überwunden? Firth: Ich hatte ein Team, das mich trainiert hat, damit ich körperlich in der Lage war, die Anforderungen zu erfüllen. Die Choreografie der Szenen konnten wir leider nicht trainieren, die waren erst kurz vor Drehbeginn ausgearbeitet. Wie sich herausstellte, musste ich fast alle Actionszenen selbst spielen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten habe ich jeden Tag trainiert. Sogar als ich den Woody Allen Film in Frankreich gedreht habe, ist mir der Trainer nachgereist: Ich musste jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen und schuften. Es gab kein Erbarmen. (Interview: Bettina Aust) Auf Brautschau: Josh Gad als heiratswilliger Doug Harris. Foto: Sony Pictures Aschenputtel in neuen Kleidern Tödliche Traditionen Cinderella Disney inszeniert das Märchen als wunderschönen Spielfilm VON ANDRÉ WESCHE 65 Jahre alt wird Disneys Zeichentrickklassiker „Cinderella“, und nun sorgt das Filmstudio für adäquaten Ersatz aus Fleisch und Blut. Die kleine Ella und ihre Eltern sind die perfekte, liebevolle Familie. Aber dann wird Mutter (Hayley Atwell) krank. Ihr bleibt gerade noch die Zeit, ihrer Tochter ans Herz zu legen, sie möge im Leben mutig und nett sein, dann schließt sie für immer die Augen. Einige Jahre später hat Vater (Ben Chaplin) genug getrauert. Seine heranwachsende Tochter (nun Lily James aus „Downton Abbey“) wünscht sich, dass ihr alter Herr glücklich wird. Also zieht die verwitwete Lady Tremaine (Cate Blanchett) mit ihren gewöhnungsbedürftigen Töchtern ins Haus. Leider lässt die böse Stiefmutter bald ihre Maske fallen. Regisseur Kenneth Branagh („Thor“) bewegt sich nah an der klassischen Erzählung. Seine Neue- rungen bestehen eher in dem sehr schönen, mitunter schrägen Humor des Filmes und natürlich in der dezenten Nutzung digitaler Technik, die so manche spektakuläre Verwandlung ermöglicht. Dabei ist das neue „Cinderella“ das genaue Gegenteil eines kühlen Effekte-Spektakels. Wunderschöne, tatsächlich gebaute Kulissen, prächtige Kostü- me und nicht zuletzt die liebenswerte Cinderella Lily James verzaubern Jung und Alt. Als Märchenprinz macht Richard Madden („Game of Thrones“) eine gute Figur. **** Ein Interview mit Kostümbildnerin Sandy Powell lesen Sie im Wochenend-Journal. O Filmstart in vielen Kinos der Region Märchenhaft: Lily James als Cinderella und Richard Madden als Kit. Foto: Disney Das Mädchen Hirut Anklage aus Äthiopien VON FALK STRAUB Äthiopien 1996: Die junge Demokratie des ostafrikanischen Staates steht auf tönernen Füßen. Offiziell herrscht Gleichheit vor dem Gesetz. Doch in einer Gesellschaft, in der die Entscheidungsträger allesamt Männer sind, sieht die Realität anders aus. Allen Anfeindungen zum Trotz setzt sich die Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) in diesem Patriarchat unerschrocken für die Rechte von Frauen und Kindern ein. So auch bei Hirut Assefa (Tizita Hagere): Als die 14-Jährige gemäß einer ländlichen Tradition entführt und vergewaltigt wird, tötet sie ihren Peiniger in Notwehr. Nun droht dem Mädchen die Todesstrafe. Mit „Das Mädchen Hirut“ bringt Regisseur und Drehbuchautor Zeresenay Berhane Mehari einen wahren Fall ins Kino. In ruhigen Bildern setzt er die Kluft zwischen Stadt und Land in Szene. Hier eine moderne Metropole wie Addis Abeba, durch die sich Meaza als selbstbestimmte Frau bewegt, dort ein Leben ohne Strom und fließend Wasser, in dem die Männer das Sagen haben. So gestrig wie die Grundversorgung sind auch die Traditionen. Auf dem Land herrscht die Telefa, die Verheiratung junger Mädchen durch Entführung, der auch Hirut zum Opfer fiel. Und abseits der Justiz behält sich die Dorfgemeinschaft ihre eigene Rechtsprechung vor. Mehari zeigt das alles mit dokumentarischer Genauigkeit. Wird die Handlung hektisch, bewegt sich auch die Handkamera nervöser durch das Geschehen. Penibel reiht er die Ereignisse und Behördengänge aneinander, sieht den Mühlen der Justiz beim Mahlen zu. Das wirkt stellenweise belehrend. Doch Didaktik ist nötig, denn der Film richtet sich in erster Linie an ein Publikum, das noch tief im patriarchalen Denken verwurzelt ist. *** O Filmstart in Augsburg