Am Fenster zum All - Urania

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Am Fenster zum All - Urania
Samstag/Sonntag, 8./9. September 2012
e9
Berufswelt der Technik
Am Fenster zum All
Es ist ein Sommerabend, wie er schöner nicht sein könnte. Der Himmel
über Zürich ist wolkenlos, der Hochsommer zeigt sich von seiner prächtigsten Seite. Es ist der Abend, an dem ein
paar Kilometer weit vom Stadtzentrum
entfernt Weltstar Madonna vor dem
Zürcher Publikum ihr Können zum
Besten gibt. Die Gruppe von gut 40
Personen, die sich 42 Meter hoch über
den Dächern der Limmatstadt versammelt hat, will heute aber einen ganz
anderen Star sehen. Sein Name ist
Saturn. Der Planet ist heute Abend gut
zu sehen, wenn man weiss, wie man es
anstellen muss.
spezialisierten Team umfassend renoviert zu werden. Nur dort finde man
heute noch die Spezialisten, die dafür
das nötige Fachwissen hätten, sagt Andreas Weil, ebenfalls Demonstrator an
der Urania-Sternwarte. 2007 kam das
Gerät nach Zürich in die mittlerweile
ebenfalls renovierte Sternwarte zurück.
Dank elektronischer Unterstützung
lassen sich nun auch bei schlechtem
Wetter attraktive Veranstaltungen
durchführen, was das Publikum zu würdigen weiss, wie man anhand der deutlich steigenden Besucherzahlen ablesen
kann. Im Jahr 2011 führte die Sternwarte Urania 350 Führungen durch und
empfing über 8000 Gäste. Damit konnte dieses «Museum der Technik» sogar
einen kleinen Gewinn erwirtschaften.
Die Sternwarte wird als gemeinnützige
Aktiengesellschaft betrieben und finanziert sich rund zur Hälfte selber.
Der Rest kommt dank Spenden, Gönnerbeiträgen und Subventionen zusammen, wie Geschäftsführerin Sarah Müller sagt. Sie ist die Einzige im Team mit
einer Festanstellung; die Demonstratoren, darunter zwei ETH-Astrophysiker,
werden pro Führung bezahlt.
Zwölf Tonnen schwer
In der Urania-Sternwarte weiss man es.
Bruno Eberli ist in seinem Element.
Eberli ist einer von gegenwärtig sechs
Demonstratoren, die dem Publikum in
der Sternwarte ein Fenster zum Universum öffnen. Das Gerät, das er dazu benutzt, ist ein 12 Tonnen schwerer
Refraktor im Kuppelraum der Sternwarte, also ein Linsenteleskop, das dem
Betrachter die Himmelsobjekte in bis
zu 600-facher Vergrösserung zeigt. Im
Vergleich dazu: Als Pionier musste sich
Galileo Galilei mit einer maximal
33-fachen Vergrösserung begnügen.
Das Instrument in der Urania Zürich
ist gleichwohl ein historisches, und es
steht, wie auch das Gebäude, unter
Denkmalschutz. Es wurde 1907 von der
Firma Carl Zeiss in Jena gebaut. Eberli
hat sichtlich Freude an diesem Gerät.
«Was gibt es denn heute noch, was auch
nach über 100 Jahren noch funktioniert?», fragt er die Anwesenden – die
Frage ist natürlich eine rhetorische.
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Redaktionelle Verantwortung:
Walter Hagenbüchle (hag.)
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Klein, aber wunderschön
DANIEL STOLLE
Obwohl es von Anfang an nicht für die
wissenschaftliche Forschung, sondern
für die astronomische «Volksbildung»
bestimmt war, stellt das Teleskop der
Urania Zürich eine technische Meisterleistung seiner Zeit dar und ist als solche eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der europäischen Volkssternwarten. Eine zeitgenössische Quelle berichtet: «Dieses Instrument stellt das
Vollkommenste dar, was nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, Präzisionsmechanik und Optik hergestellt
werden kann. Speziell mit Bezug auf
seine besondere Konstruktion und mit
Rücksicht auf die populären Zwecke,
denen es zu dienen hat, findet es nicht
seinesgleichen.» Der Urania-Typ ging
in die Technikgeschichte ein; im Deutschen Museum in München befindet
sich ein Modell davon.
Doch weil auch die besten Geräte
einmal in die Jahre kommen, ist der
Zürcher Refraktor 2006 in einer aufwendigen Aktion nach Jena zurückgekehrt, um dort von einem hoch-
Nun geht’s los. Das Dach ist geöffnet,
der Computer berechnet die Einstellung auf den Saturn. Die Einstellung
selbst geschieht halb manuell, halb
elektronisch. Es rattern Räder, es knattert das Dach, alles dreht sich, der
Refraktor richtet sich aus.
Und da erscheint er nun also, der
Saturn mit seinem Ring. Hell leuchtet er
und präsentiert sich in stiller Schönheit,
umgeben von einem dunklen Nichts.
Rechts unten, meint der Demonstrator,
könne man auch noch den Titan sehen,
den grössten Mond des Saturns.
Im Vergleich zu raffinierten Computeranimationen erscheint der Saturn im
Refraktor zwar klein; aber wie unvergleichlich viel kleiner muss er sich vor
400 Jahren den Astronomen der Renaissance gezeigt haben. Die Ringe, erklärt der Demonstrator, hat Galilei
zwar gesehen, aber nicht als solche erkannt. Zuerst glaubte er an eine Gruppe von drei Objekten, dann an einen
Planeten mit «Henkeln». Auf den Bildschirmen unterhalb des Dachs unterstützt der Demonstrator seine Ausführungen und die «historische» Betrachtung mit einer Multimedia-Präsentation, die etwa Skizzen davon zeigt, wie
der grosse Renaissance-Astronom 1610
den Saturn gesehen hat.
Spezifische Ausbildung
Um Demonstrator zu werden und mit
dem Teleskop zu arbeiten, muss man
nicht zwingend Astrophysiker sein,
aber es bedarf einer spezifischen Ausbildung. Andreas Weil war als Erwachsenenbildner in Flugzeugtechnik tätig
gewesen, ehe er zur Urania kam. Die
Sternwarte verstehe sich als Verbindungsglied zwischen Forschung und
Publikum, meint Sarah Müller, und so
wundert es auch nicht, dass eine Begegnung mit der Urania auch Weichen fürs
Leben stellen kann. Andreas Weil erinnert sich an die sechzehnjährige Gymnasiastin, die ihm vor Jahren assistieren
wollte. Stolz präsentiert er der Journalistin die Maturaarbeit der besagten
Gymnasiastin. Natürlich über ein astronomisches Thema. Der Maturaarbeit
folgten das Studium an der ETH, die
Diplomarbeit, die Tätigkeit als Demonstratorin an der Urania, schliesslich die Dissertation und jetzt die Forschung in den USA. Das All bleibt
eben ein ewiges Faszinosum, und dafür
lässt man auch einmal ein MadonnaKonzert gerne sausen.
Claudia Wirz
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