Blauer Abend in Berlin

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Blauer Abend in Berlin
Berlin
Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht,
wenn deine Linien ineinander schwimmen, zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen
und Menschheit dein Gestein lebendig macht.
Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel;
wie Seelenburgen stehn sie mystisch da,
die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel;
und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah.
Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben;
in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt;
gebändigt ruht ein ungestümes Treiben,
und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.
Christian Morgenstern (1906))
Blauer Abend in Berlin
Der Himmel fließt in steinernen Kanälen
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen.
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen
Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz im Grunde stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,
Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und Verstand
Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter Sand
Im linden Spiel der großen Wellenhand.
Oskar Loerke (1911)
Dickes B (Peter Fox/Seeed, 2006)
Dickes B, home an der Spree,
im Sommer tust du gut und im Winter tut's weh
- wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser ziehn.
Der Asphaltboden zitterte, es wummerte im Ohr
als ich an einen dicken Beat mein junges Herz verlor
seit damals gefällt mir die Stadt besser als zuvor
wenn ich durch Berlin-City cruise, is Reggae mein Motor.
Ich singe auf dem Fahrrad, mal Bass und mal Tenor
zuhause dreh ich Sound auf, die Nachbarn ham Humor.
Die stehn auf frische Downbeats aus meinem Recordstore
- Concrete Jungle, Supersonic - Soundsystemkultur.
Wenn Party is, dann sind wir on the dance floor,
der Deejay macht den Vers und die yardies den Chor.
Du versinkst im Bass wie'ne Moorleiche im Moor,
es zwingt dich in die Knie, denn der rhythm is Hardcore.
Wir shaken, was wir haben bis morgens 7 Uhr,
woanders gibt's 'ne Sperrstunde, bei uns die Müllabfuhr
- dann baun wir'n dickes Rohr, kommt dann schon mal vor,
und blasen dicken Smoke durchs Brandenburger Tor.
Dickes B, home an der Spree,
im Sommer tust du gut und im Winter tut's weh.
Mama Berlin - Backsteine und Benzin
- wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser ziehn.
Die Berliner Luft im Vergleich zu anderen Städten
bietet leckersten Geschmack, allerbeste Qualitäten,
um Paraden zu feiern und exclusive Feten
- die Massen sind jetzt da, es hat sie niemand drum gebeten!
Früher ging's in Berlin um Panzer und Raketen,
heute lebe ich im Osten zwischen Blümchentapeten,
kümmer mich nicht allzusehr um Taler und Moneten,
baue hier und da'n Track, aber dafür'n Konkreten!
Coolnessmäßig platzt die Stadt aus allen Nähten,
aber wo sind jetzt die Typen, die auch ernsthaft antreten,
um ihr Potential, ihre Styles heiß zu kneten,
zuviel Kraft in der Lunge für zuwenige Trompeten...
Dickes B, home an der Spree,
im Sommer tust du gut und im Winter tut's weh.
Mama Berlin - Backsteine und Benzin
- wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser ziehn.
Seeed (2001)
Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen
Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen,
und dein Mund ist viel zu groß,
dein Silberblick ist unverdrossen,
doch nie sagst du: »Was mach' ich bloß?«
Berlin, du bist viel zu flach geraten
für die Schönheitskonkurrenz.
Doch wer liebt schon nach Metermaßen,
wenn du dich zu ihm bekennst?
Berlin, du bist die Frau mit der Schürze,
an der wir unser Leben lang zieh'n.
Berlin, du gibst dem Taufschein die Würze,
und hast uns dein »Na und« als Rettungsring verlieh'n.
Berlin, deine Stirn hat Dackelfalten,
doch was wärst du ohne sie?
Wer hat dich bloß so jung gehalten,
denn zum Schlafen kommst du nie.
Berlin, mein Gemüt kriegt Kinderaugen,
und mein Puls geht viel zu schnell,
nimmst du mich voller Selbstvertrauen
an dein verknautschtes Bärenfell.
Hildegard Knef (1966)
Berlin, Berlin
Die Stadt Berlin hat mancher schon besungen,
Der längst heute liegt tief unter grünem Gras.
Für uns sind das bloß noch Erinnerungen,
Als ob uns Muttern was aus Märchen las.
Der eine liebt sie, andre wieder lästern.
Manches verging, was einstmals Staub gemacht.
Doch manches ist noch heute so, wie gestern.
Das ist Berlin, wie's weint, und wie es lacht.
Berlin, Berlin, Du bist ein heisses Pflaster,
Wer Dich nicht kennt, verbrüht sich leicht den Fuß.
Wo die Moral wohnt, wohnt auch gleich das Laster
Und der Verriss blüht neben süssem Schmuß.
Berlin, Berlin, hier lebt der Mensch gefährlich,
und rutscht er aus, dann dreht sich keiner um.
Doch haut er hin - dann ist der Beifall ehrlich.
Berlin, Berlin, Du bist mein Publikum.
Berlin, Berlin, wenn deine Blumen spriessen
Da draussen in der Laubenkolonie,
Sieht man Dich stehn und fleissig sie begiessen
Das Rosmarien und auch den Sellerie.
Fühlt Muttern ihre Lebenszeit verfliessen,
Im Testament wird schnell noch angebracht:
“Vergesst mir bloß nicht, Vatern zu begießen” - Das ist Berlin, wie's weint, und wie es lacht.
Das ist Berlin, wie's weint, und wie es lacht.
Marlene Dietrich (1965)