Katalog / Catalogue Iris R.Selke downloud

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Katalog / Catalogue Iris R.Selke downloud
Iris R. Selke
Photography Film Performance
HINTER DEM SPIEGEL
Jessica Reintjes
Im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Iris Selke steht sie selbst, mit
ihrem Körper als Medium der Veranschaulichung – authentischer kann das
künstlerische ‚Arbeitsmaterial‘ kaum
sein, mehr Einsatz geht nicht.
Nach dem Studium bei Marina Abramović entwickelt Iris Selke in ihren
Performances, Filmen und fotografisch
bald eine ganz eigene facettenreiche
Ausdrucksform. Ihre Arbeiten kreisen
vielfach um die Auseinandersetzung mit
den Geschlechterrollen. Dabei zielt ihr
Körpereinsatz nicht vorrangig auf den
Schauder, die Provokation des Betrachters durch drastische Eigengefährdung –
diese ist, wenn immanent, dann wohl
kalkuliert. Doch die Möglichkeit der
leibhaftigen Verletzung ist gegenwärtig,
schwingt quasi ‚subkutan‘ mit.
Selke agiert auf unterschiedliche
Weise in Stellvertreterrollen, indem sie
ihren weiblichen Körper sehr direkt und
unmittelbar in den Fokus stellt und ihn
in seiner Leiblichkeit aussetzt, oder indem sie bestimmte (kunst-)geschichtliche Prototypen verkörpert wie in einer
Serie von Fotoinszenierungen jüngerer
Zeit. Hier personifiziert die Künstlerin
Hamlet, van Gogh oder Spitzwegs armen Poeten und jongliert mit dem Nimbus dieser Vor-Bilder. Charakteristische
Attribute (der Schädel, ein Schwert,
Bücher), die den eigenen Symbolgehalt
‚selbstredend’ einbringen, dienen ihrem
Alter Ego zur Verstärkung – oder wirken
überraschend subversiv, deuten um und
ironisieren das Szenario.
BEHIND THE MIRROR
Jessica Reintjes
Iris Selke konterkariert manifeste
Geschlechteridentitäten, tauscht sie oder
doppelt sie sogar, indem sie den weiblichen, den männlichen Part oder beide
Rollen übernimmt und so eine gleichermaßen sehnsuchtsvolle wie konfliktbehaftete Dualität darstellt. Sie ist MARIA
und sie ist LUIGI in der gleichnamigen
Arbeit, bei der es trotz konträrer Handlungen beider Protagonisten im überblendeten Doppelbild letztendlich zur
androgynen Verschmelzung kommt.
Doch beschränkt Selke sich in ihrem
Schaffen nicht auf genderspezifische
Reflexionen. Die Möglichkeit der eigenen Vergänglichkeit ein überdauerndes
Abbild entgegenzusetzen – der Zeit,
dem Tod, der Historie noch zu Lebzeiten ein Schnippchen zu schlagen – war
früher den Herrschenden vorbehalten.
Die Kunst verhalf auftragsgemäß mit
Porträts und Denkmalen zur Bedeutung. Der Wunsch aber zieht sich durch
die Zeiten und Bevölkerungsgruppen
(und äußert sich in Graffiti-Tags an
Hauswänden ebenso wie im alltäglichen
Absetzen des eigenen Konterfeis in den
Netzwerken). Auch hier nimmt die
Künstlerin wieder Stellvertreterpositionen ein, collagiert sich als QUADRIGA
in Personalunion auf der Replika-Fassade des Braunschweiger Schlosses oder
scheint im Film JIPIJAJEE ! wie Peter der
Große auf dessen St. Peterburger Standbild zu reiten, sie kratzt an tradierten
Hoheitszeichen und desavouiert überkommene Machtdemonstrationen. In
der Performance LION bindet Iris Selke
die Genderthematik an die Infragestellung von Herrschaftssymbolen: Sie wird
gesäugt vom Braunschweiger Löwen,
einer stadt- und kunsthistorisch relevanten Bronzeplastik des Mittelalters.
Die Kunstgeschichte dient Iris Selke
mehrfach als direkter Fundus: Bei dem
TRIBUTE TO CAR AVAGGIO ist dessen
Malerei die projizierte Grundlage für
eine eigene Einbindung, indem die
Künstlerin durch ihr Tun mit dem Bild
verschmilzt, zum Teil dessen wird.
Ihre Auseinandersetzung mit dem
Meister des Chiaroscuro setzt sich fort
in der Arbeit INSTANTIA , bei der das
Haupt des Holofernes – oder eher das
der Judith, wieder so eine Umdeutung
der Rollen – angerichtet auf dem Teller
am Kopf der Tafel, den Appetit der am
Festmahl Beteiligten nicht schmälert.
Dramaturgisch bedient sich auch Iris
Selke des Setzens von Kontrasten zur
Überhöhung von Situationen, Personen
in ihren Handlungen, die auf den Augenblick höchster, verdichteter Dramatik
zusteuern. Bei der frühen Performance
NARZISS kulminiert diese im kraftvollen, grenzwertig autoaggressiven Zerschmettern des eigenen Spiegel-Bildes.
Was ist Projektion und was bleibt, wenn
der oberflächliche Schein zerstört wird?
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Iris Selke herself is at the centre of her
artistic work, her body the medium
of exemplification—artistic ‘working
material’ doesn’t get any more authentic;
more commitment is impossible. Since
her studies with Marina Abramović, Iris
Selke has developed a multifaceted expressive vocabulary in her performances,
films and photographically. Her works
frequently revolve around an engagement with gender roles.
But her physical involvement does
not primarily aim at thrills, or a provocation of the viewer through drastic
self-endangerment—this is, where
immanent, strictly calculated. Yet the
possibility of physical injury is present,
resonating ‘subcutaneously’, so to speak.
Selke performs representations in
various ways, in so far as she puts the
focus on her female body very directly
and immediately and exposes its corporeality; or in so far that she incorporates
particular (art) historical prototypes—as
in a recent series of photographic miseen-scenes. Here the artist personifies
Hamlet, Van Gogh or Carl Spitzweg’s
poor poet and juggles with the mystique
of these paragons.
Characteristic attributes (the skull, a
sword, books), which ‘naturally’ bring
their own symbolic value, serve to amplify her alter ego—or seem surprisingly
subversive, allowing a new interpretation
and bringing irony to the scene.
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Iris Selke counteracts manifest gender
identities, swaps them or even doubles
them—in so far as she adopts the female
role, or the masculine part, or both together—and in this way depicts a duality
as yearning as it is conflict-ridden. She
is Maria and she is Luigi in the work of
the same name, in which despite contrary narratives, both protagonists in the
doubly exposed picture come together
finally in an androgynous conflation.
But in her practice Selke doesn’t restrict herself to gender specific reflections. The possibility of countering one’s
own mortality in a lasting portrayal—to
cheat time, death, and history in one’s
own lifetime—was once reserved for the
ruling class. Art duly provided importance with portraits and monuments.
This desire however runs through epochs and populations (and is expressed
in graffiti tags on the walls of houses as
much as in the daily distribution of one’s
own image via online networks).
Here again the artist takes on representational positions, collaging herself as
the QUADRIGA on the replica façade of
the Brunswick Palace (Braunschweiger
Schloss), or appearing in the film JIPIJAJEE ! to ride like Peter the Great on his
St. Petersburg statue; she chips away at
traditional national emblems and disavows received demonstrations of power.
In her performance LION Iris Selke
combines the gender theme with the
challenging of symbols of power: the
Braunschweig Lion, a medieval bronze
sculpture relevant to the city and art
history, nurses her. Art history repeaedly serves Iris Selke as a direct source:
in TRIBUTE TO CAR AVAGGIO , the
paintings are a projected basis for an
integration of the self, in which the
artist through her act coalesces with the
picture, becomes a part of it.
Her engagement with the master
of chiaroscuro is pursued in the work
INSTANTIA in which the head of Holoferne—or rather that of Judith (once
again a reinterpretation of roles)—served
on a plate at the head of the table, does
nothing to reduce the appetite of those
attending the feast. In her dramaturgy,
Iris Selke also employs contrasts in order
to idealize situations and people in their
actions, heading towards a moment of
highly concentrated drama. In the early
performance NARZISS , this culminates
in the powerful, borderline auto-aggressive shattering of her own mirror
image. What is projection, and what
remains when the surface appearance is
destroyed?
Film
1997 – 2007
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ONE OF THE THIRD GENERATION,
1997
Video duration: 5 minutes
ONE OF THE THIRD GENERATION
PART #2, 2007
Video duration: 10 minutes
REMEMBER THE OLD GOOD TIMES, 2004
Video duration: 10 minutes
EGON SCHIELE LOVE AND DEATH
Van Gogh Museum, Amsterdam, Netherlands
Dieser Kurzfilm handelt von der Beerdigung meiner Großmutter. ONE OF THE
THIRD GENER ATION ist der erste von
drei Kurzfilmen. Mit diesem Film beschreibe ich meine Oma als eine Frau, die
zwei Weltkriege überlebt hat und mit ihrer
Lebensgeschichte repräsentativ für sehr viele
Frauen ihrer Generation steht. Sie zählte
zu den wichtigsten Menschen in meinem
Leben. Durch unterschiedliche filmische
Ebenen entsteht ein neues Bild von ihr.
Durch die Interviews mit meiner Tante
und Mutter über das alltägliche vergangene
Leben mit ihr kommen auch ihre Schattenseiten zu Tage.
Neben dem familiären Erbe glaube ich
an ein kollektives Erbe, für das wir offen
und verantwortlich sind.
ONE OF THE THIRD GENER ATION is
Nach Studien zu den psychologischen Folgen
von Isolation in der JVA Braunschweig
entstand dieser Film. Hier interessiert mich
das Umsetzen angestauter oder negativer
Energien in einen positiven Schaffensfluss,
dessen einzige Quelle aus Bildern besteht,
die aus der Vergangenheit erinnert werden.
In dieser Performance frage ich mich, wie
wichtig ist die Isolation des Künstlers für
die kreative Schaffensphase und was für
eine Rolle spielt der Künstler in der heutigen Gesellschaft?
the first of a series of three short films. It is
about my grandmother’s funeral. She was
one of the most important people in my
life. I try to present an image of her. The
short film conveys the common stereotype of
women of this time and of her generation.
In her lifetime, she went through two world
wars. The combination of different sound
and visual techniques, and the imagination
of the viewer together create a new image of
my grandmother. In addition, a profound
interview with my mother and my aunt
about daily routine brings to light different
facets of their mother. The story has a very
personal aspect. Besides family heritage, I
believe we have a collective heritage that we
need to be aware of, and because of which
we have to take responsibility for the past.
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I am interested in focusing on isolated situations in order to reflect on self-consciousness
and life. A field study in Braunschweig
prison supported my research on the psychological aspects of isolation. Being an artist,
I assume that I need isolated situations,
which contribute to the exchange of processes, the inserting of information, and
which are reflexive on my position as an
artist. Silence is the moment of the inner
voice. In this performance, the image of an
isolated situation is projected in a performance space. I transform the negative aspect
of isolation into a positive concentrated level
of artistic process by realizing images coming
from my memories through performance.
As an artist I perceive and appreciate isolation as a necessary ingredient in the creative
process, as a way of transforming experience or information into art, as well as a
sociological reflection on my position as an
artist in society.
JIPIJAJEE! ICH GRÜSSE MEIN VOLK, 2004
b/w 16 mm on DVD
Duration: 1:03 minutes
St. Petersburg Puschkinskja, Russia
This film presents an unusual approach to
history. We filmed next to the monument
of “Peter The Great” in Saint Petersburg
(Russia), made by Étienne Maurice Falconet in 1766-1782. My aim is to raise some
questions: what role do these heroicizing
sculptures in public spaces play today? Does
the historical idea of immortality make sense
nowadays?
CHICAGO PIGEONS, 1998
Super-8 on Video
Video duration: 7 minutes
Der Film ist eine ungewöhnliche Annäherung an Geschichte. Wir filmten in St.
Petersburg am Reiterdenkmal Peters des
Großen, „Der eherne Reiter“ von Étienne
Maurice Falconet, erbaut 1766-1782. Es
stellt sich die Frage, welche Rolle diese
heroisierenden Skulpturen im öffentlichen
Raum in heutiger Zeit spielen. Welchen
Sinn macht die aus heutiger Sicht historische
Vorstellung von Unsterblichkeit?
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Chicago Pigeons / Rats of the sky. Snapshots,
emotions. Picture after picture recorded.
A personal documentation of a feeling of
non-being. After a while everything comes
together like a puzzle.
Momente, Aufnahmen, Stimmungen, Bilder, filmerisch aneinandergereiht und fest
gehalten. Ein Filmprotokoll, das mich im
Nichts zurückließ. Mit der Zeit setzt sich
alles langsam, wie ein Puzzle, zusammen.
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Photography
1997 – 2014
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FROZEN LOVE, 1998
b/w Baryte
106 × 200 cm
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CROW, 1998
b/w Baryte
106 × 200 cm
HORSE, 1997
b/w Baryte
80 × 120 cm
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MARIA ET LUIGI, 2001
b/w Baryte
106 × 164 cm
Film: 16 mm transfered to Digital
Video duration: 2.36 minutes
Irish Museum of Modern Art,
Dublin, Irland
They are a couple, but sometimes they disagree. It is the old game of passion: to flirt,
but also about misunderstandings.
As Luigi, I project slides of Maria to the
beat of tango music—the piece is questioning, provocative and includes expansive
gestures.
Maria und Luigi, ein Paar aus demselben
Holz geschnitzt und dennoch sich nicht
einig. Ein immerwährendes Spiel der Anziehung, des Begehrens aber auch der
Missverständnisse. Bei dieser Performance
werden Dias von Maria auf die Wand
projiziert. Als Luigi verhalte ich mich zu
den Bildern im Takt der Tangomusik –
fragend, provozierend und mit großen
Gesten.
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SKYLINE, 1997
b/w Baryte
200 × 102 cm
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ACT 1, 1996
b/w Baryte
65 × 45 cm
ACT 2, 3, 1996
b/w Baryte
45 × 65 cm
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SUNBED, 2002
Lightbox / Digital Print on
Transparent Foil
120 × 90 cm
Edition: 1
SUNBED gehört
zu den Arbeiten, die sich
mit dem Körper in Extremsituationen
auseinandersetzen und darüber weitere
Bedeutungsfelder eröffnen.
Hier ist der Körper aufgebahrt und einer
Marienfigur ähnlich manieristisch erleuchtet. Der Körper, der sich auf einer Bahre
befindet, transformiert sich. Er zersetzt sich
in seine kleinsten Teile, um sich an einem,
eben diesem geheimnisvollen Ort wieder
zur Vollkommenheit zusammenzusetzen –
„Beam me up, Scotty!“
Here you see the body in an extreme situation. Laid out and lit up like an image of
the Virgin Mary. Associations with a dead
body lying in state come to mind. The body
is transformed for a journey such as in STAR
TREK … “Beam me up, Scotty!” For a few
seconds the body would be divided into millions of tiny parts, to be reconstructed at a
new and unknown place again.
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QUADRIGA, 2009
C-print
50 × 70 cm
In der Fotoarbeit QUADRIGA habe ich mit
Hilfe der Fototechnik das Schloss der Bevölkerung zurückgegeben, zu den vier Pferden
habe ich aus unterschiedlichen Zeitepochen
und Kulturen eine Reiterfigur hinzugefügt.
In this photographic work I give the castle
back to the people. I have added four cavaliers who represent four different epochs and
cultures.
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LION, 2003
C-print
125 × 125 cm
Edition: 7
Die Arbeit LION basiert für mich auf der
legendären Geschichte von Romulus und
Remus. Die Zwillinge sollen von der
römischen Wölfin gestillt worden sein. Als
Erwachsene gründeten sie Rom. Eine berühmte antike Skulptur, die kinderstillende
Lupa, erinnert mich an diese Geschichte.
Die mittelalterliche Skulptur des Braunschweiger Löwen, das Wappentier Heinrichs des Löwen, entstand um 1166. Sicher
ist, dass der Braunschweiger Löwe die
älteste erhaltene Großplastik des Mittelalters nördlich der Alpen und erster größerer
figürlicher Hohlguss seit der Antike ist.
In LION verbinde ich beide Städte und
Stadtgründungen, so möchte ich eine Brücke
durch das Einbringen meines Körpers zur
Gegenwart schlagen. Zugleich eröffnen sich
unter anderem durch die Umkehrung der
Geschlechtsverhältnisse im doppelten Sinne
und durch den Kontrast des Materials zur
nackten Haut Assoziationsfelder ins Jetzt .
The performance and photographic work
LION is based on the legendary story of
Romulus and Remus, two brothers who
were said to have been nursed by a female
wolf. When they grew up, the twins laid
the foundation stone of ancient Rome, the
capital of the powerful Roman Empire. For
this reason a monument was built to commemorate the twins as well as the foundation of the city. In this case I refer to the
patriarch Henry the Lion, Duke of Saxony
and Bavaria, and interrelate the lion with
the female wolf. I’m working with the
contrast of naked skin and the material of
the sculpture, as well as with the inversion
of genders.
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RECONSTRUCTION OF HISTORY
Series
Als „Tableau vivant“ (frz. „lebendes Bild“)
bezeichnet man die Nachstellung von
Werken der Kunst durch lebende Personen.
Diese Mode kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Als Erfinderin nennt Meyers
Konversations-Lexikon Madame de Genlis,
die Erzieherin der Kinder des Herzogs von
Orléans. Sie soll zur Belehrung und Unterhaltung ihrer Zöglinge solche Darstellungen
arrangiert und sich dabei der Hilfe der Maler Jacques-Louis David und Jean-Baptiste
Isabey bedient haben.
Die folgenden Arbeiten der Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY sind „Tableaux vivants“. Mit der Nachstellung der
Ikone eines Künstlerbildes – DER ARME
POET, von Karl Spitzweg um 1839 gemalt,
thematisiert die Arbeit ARTIST die Position
des Künstlers in der Gegenwart im Vergleich zur Romantik des 19. Jahrhunderts:
Welche Inhalte werden transportiert, welche
Motivationen treiben die Künstler voran?
Welche Fragen stehen im Vordergrund?
Welche Aussagen werden manifestiert?
Durch die Verwendung des Selbstportraits
wird der Transfer in die Gegenwart mit
dem Blick auf die Zukunft geleistet. Es ist
ein Foto, doch sieht es aus, als sei es gemalt.
Wie in der Filmarbeit JIPIJAJEE ! ICH
GRÜSSE MEIN VOLK erfinde ich nun für
Louis XIV ein weibliches Gegenüber, Louise die XIV. LOUISE XIV des Rosenreiches
zeigt sich stolz vor ihrem noch verbliebenen Hab und Gut aus dem Zeitalter des
Absolutismus. Hier kommt LOUISE XIV ins
Spiel – Verkörperung von, im Gegensatz
zum Alleinherrscher Louis XIV, Demokratie, gemeinschaftlichem Handel. Bei ihren
weisen Entscheidungen hat sie das Wohl
ihrer Untertanen im Blick. Nach langer
Herrschaft und Förderung der Künste und
der Wissenschaften hat sie es erreicht, eine
kulturelle Vorherrschaft in ihrer eigenen
Welt einzunehmen. Den Leitsatz des Absolutismus, „L’État, c’est moi!“ – „Der Staat
bin ich!“, verfremde ich, wandle ihn um
zu einem neuen Statement – „Ich bin die
Saat!“ In Anbetracht der Tatsache, dass
uns heute vieles aus den Händen genommen
wird und die Entscheidungen von eher
„kleinen Geistern“ getroffen werden, fehlt
mir der Blick auf eine großzügige und
allumfassende Perspektive, aus der heraus
Entscheidungen getroffen werden. Es ist
individuelle emotionale Intelligenz gefragt.
Die Szenerie habe ich auf einem Dachboden
in einen eher ärmlichen Kontext gestellt,
um einen Bruch zu dem Vorbild zu schaffen.
Die Inspiration für die Arbeit LOUISE
XIV bekam ich bei der Betrachtung von
Hyacinthe Rigauds Porträt Louis’ XIV.
Paintings that are restaged with real people
are referred to as “tableaux vivants”. This
trend emerged at the end of the eighteenth
century. The German encyclopedia Meyers
Konversations-Lexikon attributes the
origin of the idea to Madame de Genlis,
who was the tutor of the Duke of Orleans’
children.
It is said that with the help of the painters Jacques-Louis David and Jean-Baptiste
Isabey she arranged “tableaux vivants”
to teach and entertain her pupils. The
following photographic works in the series
RECONSTRUCTION OF HISTORY are “tableaux vivants”.
It is a photograph, yet it looks like it has
been painted. For this photograph I was
inspired by a Karl Spitzweg painting, THE
POOR POET (1839). I compare the situation
of the contemporary artist with that of the
artist in the Romantic nineteenth century.
What were the questions artists raised at
this time? What motivations drove artists?
What kind of claims were manifest?
I am inquiring into the mission of artists
in the 20th century, translating an image of
the Biedermeier epoch into the present day.
In the film work JIPIJAJEE! I created a
female partner for Peter the Great. Here I
create a female counterpart for Louis XIV,
LOUISE XIV. Louise XIV of Rosenreich/
The Kingdom of Roses proudly poses in
front of possessions leftover from the age of
Absolutism.
LOUISE XIV comes into play, and in
strong contrast to the autocrat Louis—who
chokes off all democracy with his iron fist
—she stands for collective action, a calculating patience and using her inner calm to
make the right decisions.
After a long reign and steadfast support
of the arts and sciences she has achieved
cultural leadership in her own world. I am
transforming the principle of Absolutism,
“L’état, c’est moi!”—“I am the state!” into a
new statement “I am the seed!”
Since today many of our important life
decisions are made for us by small-minded
people, I think that there is a need for a
greater, all encompassing perspective from
where decisions should be made.
This is where LOUISE XIV plays her part
in contradiction to the autocrat Louis XIV:
she is a symbol for democracy and working
collectively with the people to make wise
decisions. Individual, emotional intelligence
is required. I set the scene in an attic to
provide a humbler context for the picture,
and to subvert the idea of the original and
translate it into our modern time. My
inspiration for this work was the French
painter Hyacinthe Rigaud.
ARTIST, 2007
C-print
50 × 70 cm
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LOUISE XIV, 2008
C-print
19 × 27 cm
VAN GOGH AND ME, 2010
C-print
30 × 40 cm
30
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HAMLET AND ME, 2014
C-print
12,5 × 21 cm
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MAGD, 2007
C-print
44,5 × 70 cm
Edition: 7
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TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
RECONSTRUCTION OF HISTORY
KuBaSta – Raum für Kunst Bauen Stadtentwicklung, Hamburg, Germany
In TR IBUTE TO CAR AVAGGIO möchte
ich in das Geschehen eingreifen, die zwei
bestehenden Dimensionen um die dritte
Dimension erweitern. Mit einem Skalpell,
einem chirurgischen Instrument, öffne ich
medizinisch die Haut, den Bildträger, durch
die Rückseite – um zu den Körpern, dem
Bildraum zu gelangen. Ich geselle mich zu
den Charakteren des Caravaggio hinzu.
Ich möchte Teil der Komposition werden
und in Kontakt mit den Modellen treten,
den Faktor der Zeit, der Bewegung und
der Interaktion hinzufügen. Freunde und
Weggefährten Caravaggios werden den
Wandel der Zeit überbrücken und einen
Moment mit uns teilen.
Da ich aktiv in das Bild eingreife, bekommt das Bild eine Wandlung und somit
ein Raum- und Zeitkontinuum. In diesem
Fall tritt die Zeit als vierte Dimension
auf. Die Performance ist der vierte Teil der
Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY.
In the performance TRIBUTE TO CAR AVAGGIO , I intervene in the pictorial action
to expand the two dimensional into three
dimensions. With a scalpel, a surgical
instrument, I cut open the “skin”, the canvas
from behind, allowing my body to become
part of the scene; where I join Caravaggio’s characters. I would like to become part
of the composition and be in contact with
the painter’s models. I add factors of time,
movement and interaction: Caravaggio’s
friends and companions bridge the break in
time between the two eras and share a moment with us.
With my active participation I cause a
transformation in the image and so influence a continuum in space and time. Time
enters the work as the fourth dimension.
This performance is the fourth part of the
RECONSTRUCTION OF HISTORY series.
TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
C-print
60 × 90 cm
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TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
C-print
60 × 90 cm
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TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
C-print
60 × 85 cm
TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
C-print
60 × 95 cm
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Maximale
Größe
TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010
C-print
60 × 96 cm
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Performances
1997 – 2014
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NARZISS, 1997
Performance /
Performative Film
Video duration: 15 minutes
Festung Franzensfeste,
Brixen, Italy
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THE AGREEMENT, 2002
Performance duration: 21.5 hours
COMMEN GROUND # 1
Landesvertretung Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Berlin
SURFACE TO FACE, 2002
Performance duration: 20 minutes
HAU1 Hebbel am Ufer,
Berlin, Germany
I stand facing a tennis ball machine. The
naked body confronts the cannon—a machine that was developed to replace a person.
The balls represent situations and conditions
that have to be faced in life. Some of the
balls hit me and elicit a reaction, whereas
others miss their target. From experience
I know that my body is able to call on my
mind to help it out in extreme situations,
which means I can work on this area and
expose myself to other levels of consciousness, as against the rational functioning of
the human body: so that I can go one step
further.
I construct a living depiction. It is about
human being versus machine. My body
is my material, my tool and my means of
expression. The body’s limitations make it
obsolete.
In SURFACE TO FACE erstelle ich ein lebendes Bild einer Auseinandersetzung, die
ich selbst gewählt habe, die also ein aktiver
Akt ist. Mensch und Maschine stehen sich
gegenüber – nackter Körper und Tennisballmaschine. Der Körper ist mein Material, Werkzeug und Ausdrucksmittel. Er
ist im Vergleich zu den heutigen Techniken – zum Beispiel einer Maschine, die den
zweiten Tennisspieler ersetzt – in seiner
Begrenztheit veraltet, seine Möglichkeiten
sind obsolet geworden. Bälle treffen den
nackten Körper. Im übertragenen Sinne
stehen sie für die Situationen und Gegebenheiten des realen Lebens, die „unter die
Haut“ gehen. Solch extreme Situationen
übersteht der Körper mit Hilfe der Psyche.
Der Betrachter muss entscheiden, ob er sich
einlassen kann oder nicht.
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In dieser Performance zitierte ich 2 ½
Stunden einen Text aus der PanoramaSendung vom 28.03.2002 POLITIK ALS
STAATSSCHAUSPIEL.
„Politiker sind Schauspieler!“ Dies ist
das Fazit einer Aussage des saarländischen
Ministerpräsidenten Peter Müller nach der
Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz
im Bundesrat. Viele politische Entscheidungen werden vorher abgesprochen, das
heißt ohne eine öffentliche Auseinandersetzung entschieden – damit ist die Politik
außer Kraft gesetzt. Alles nur ein großes
Theater?
„War das nicht am Freitag so? Am
Freitag gab es mindestens zwei Drehbücher
und vielleicht besteht Politik manchmal
auch in der Auseinandersetzung darüber,
welches Drehbuch sich am Ende druchsetzt
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und nach welchem Drehbuch am Ende
verfahren wird. Da war kein Journalist
dabei – also müssen sie diese Empörung
dokumentieren; das haben wir dann auch
gemacht. Und dann kann man natürlich
sagen, das ist Theater. Ja, das ist Theater.
Sind Politiker Schauspieler? Ja, ja, Politik
ist Theater, wer kommunizieren will, darf
wenig informieren.“
In this performance I used a speech by Peter
Müller, Premier of the German state of
Saarland, given after a vote on immigration law in the upper house of the German
Bundestag. My interview partners shared
my opinion unreservedly. I quote the text for
two and a half hours in a loop.
“Politics as State Drama. Wasn’t that the
case on Friday? On Friday, there were at
least two possible scripts and perhaps politics
is sometimes about conflict—about which
script is ultimately going to be used and according to which things will ultimately proceed. There were no journalists there. They
should have documented this indignation,
so that is what we did. You may, of course,
say that this is a piece of drama. And yes, it
is drama. So does that mean politicians are
actors? Well, yes, they are. And yes, politics
is drama. If you want to communicate,
you have to provide as small an amount of
information as possible.”
OPHELIA, 2005
Performance duration: 1 hour
BIENNALE DANZA 2007,
5 th International Festival of
Contemporary Dance Body & Eros,
Venice, Italy
In this work I ask myself how to reconcile
human action and thinking. In William
Shakespeare’s tragedy HAMLET, Hamlet’s beloved Ophelia commits suicide. Her
suicide is the result of an accumulation of
tragic moments. The supposed mental illness
that Hamlet only feigns is the accumulation
of grief in her and leads her to drown herself
in a pond. In the political confusion of our
time the Shakespearean “to be or not to be”
has achieved a special and highly explosive
value.
I am lying on the water surface surrounded by fresh flowers and wearing a
red dress.
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In Shakespeares Tragödie HAMLET nimmt
sich Ophelia, die Geliebte, das Leben. Ihr
Selbstmord ist Folge einer Anhäufung von
Intrigen. Sie treibt der Wahnsinn, den
Hamlet ihr vorspielt, in den Tod.
In dieser Performance stelle ich mir die
Frage: Ist es möglich, eine Abstimmung
zwischen menschlichem Handeln und
Denken zu finden? In den politischen Verwirrungen unserer heutigen Zeit bekommt
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die Ausarbeitung des alten Themas „Sein
oder nicht sein“ einen besonderen und hochbrisanten Stellenwert.
SPLENDID ISOLATION, 1999
Performance: 15 minutes
The School of the Art Institute of Chicago, USA
The title is an expression from the time of
the British Empire. I chose it because of its
relevance to this project. It can also be associated with the isolated beauty of masks of
certain African tribes, or even hoods worn
by the (politically isolated) Ku Klux Klan.
To cut the map the way I do evokes associations with borders and landmark lines on a
map. For me personally, the piece also comments on the (almost) unbearable slowness
of bureaucracy in the USA or Germany. The
pieces I cut out of the paper mask will draw
the spectator’s attention to the form cut out
of the mask. I am cutting a piece of paper
with a razor blade in front of my face. My
intention is not to show physical violence.
RAZOR-DRESS, 1998
Object
Weimar
I chose razor blades as the main material for
this object, in consideration of the perception
of its use and socio-psychological interpretation. The sharp razor blades can hurt
if misused. The constitution of the razor
blades as a dress is an object-based-contradiction between protection and danger,
isolation and aggression.
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Ich habe die Rasierklingen als Material
gewählt, da eine sozial-psychologische
Deutung in die Richtung Aggression und
Isolation sehr stark intendiert ist. Es ist
aber auch eine andere Deutung möglich, wie
selbst gewählte Isolation und Schutz.
Der Ausdruck „splendid isolation“ lässt
sich auf das British Empire zurückführen.
Weiterhin sind aber auch Assoziationen wie
die isolierte Schönheit afrikanischer Masken,
politische Isolation oder gar die Kaputzen
des Ku-Klux-Klan möglich. Persönlich
verbinde ich aber auch diese Arbeit mit der
unglaublichen Langsamkeit der Bürokratie
hierzulande oder auch in den USA. Meine
Intention ist es nicht, körperliche Gewalt zu
zeigen.
HUMAN BEING, 2005
Performance duration: 1 hour
ZIPPING UP FAXE KONDI
Artist Residence Trebsice Praha
This performance is a piece about the possible futuristic developments of creatures:
evolution from prehistoric man to the
humankind of the present, and onwards to
a kind of futuristic hybrid man-machine.
Conceived as a looped projection—made
over the artist’s body—of different animal
skeletons (taken from various natural history museum archives), the performance
actually starts with the path the artist takes
to reach the place of projection.
The message of this work is a clear and
disenchanted vision of reality, a step back
to the origin of the human race in order to
reconstruct the missing link between man
and animal, a reflection upon the path that
humans took through the epochs to achieve
physical and mental progression. At the same
time, it is a reminder not to forget our origins and which branch of the evolutionary
tree we belong to. This mixture of images,
suggestions and touching expressions that the
artist embodies, creates a sort of documentary
film that makes the audience feel involved.
In this performance, I went on a journey,
physically as well as mentally through the
history of the evolution of mankind. In the
historical chain I discover myself as organic
material, too. I understand mankind and
myself as tiny components of a greater whole.
For the performance, I combined style elements of Japanese “Butoh-Dance / Theatre”
which allow me to travel to my inner body.
For me this dance technique is an aid that
enables me to go on a journey to my inner
body and into the past too.
A ROSE IS A ROSE IS A, 2001
Performance duration: 15 minutes
LOT Theater, Brunswick, Germany
Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose. Liebe
ist Liebe ist Liebe, nicht mehr, nicht weniger. Erinnere dich daran, dass das Leben
einfach ist. Du wirst enttäuscht werden,
wenn du mehr erwartest. Eine Rose wird
nie wieder eine Rose sein. Bei dieser Performance esse ich als Erstes eine Rose, was
mit einer weiteren Rose passiert, möchte ich
nicht sagen…
In der Performance habe ich Butoh-Tanzelemente eingebracht und mich physikalisch
und mental auf eine Reise durch die Evolutionsgeschichte der Menschheit gemacht.
Dabei sind futuristische Bilder wie etwa das
eines Hybriden entstanden. In der Geschichtskette finde ich mich selber als organisches Material wieder. Die Tanztechnik ist
für mich eine Hilfe, mich auf die Reise durch
die Menschheitsgeschichte zu begeben.
A rose is a rose, is a rose. Love is love is love,
nothing more and nothing less. Remember
that life is simple, so that you won’t be disappointed. In this performance I am going
to eat one rose…
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BELLO, 2003
Performance duration: 2.5 hours
PAC Milano, Italy
Die zehn Gebote des Silvio Berlusconi sind:
1. Geboren werden während des Krieges.
2. Aufgewachsen sein im Wiederaufbau.
3. Erwachsen werden in einem Klima, das immerhin einer Demokratie ähnlich ist.
4. „Ich bin ein bißchen wahnsinnig, ein weitblickender Wahnsinn.“
5. Mehr an Personen glauben als an den Staat.
6. Mehr an sich selbst glauben als an Personen.
7. Den Weg schnell aufnehmen, der von den Meisten abgeraten wird.
8. Sehr viele Interessen haben.
9. Aufbauen, erzeugen, ausstrahlen, übertragen.
10. Wenn es möglich ist (es ist nicht unentbehrlich, aber es hilft sehr) Silvio Berlusconi heißen.
(Il Messaggero, 23 dicembre 1982)
Aus dem Buch BERLUSCONATE von A. Corbi und P. Criscuoli, Ed. Nutrimenti, Rom,
April 2003.
ANATOMY OF THE ART, 2014
Performance duration: 15 minutes
267 Quartiere für zeitgenössische Kunst und Fotografie,
Brunswick, Germany
Ich und meine Assistenzärztin, mit einem
OP-Kittel bekleidet, betreten die Szene und
untersuchen den Patienten, die „Kunst“.
Der Herzton geht über in einen Dauerton, der Patient ist für Momente herztot.
Eine Notoperation muss schnell eingeleitet
werden. Lebenserhaltende Maßnahmen
müssen am Patienten vorgenommen werden und grundsätzlich muss herausgefunden werden, woran es der Kunst mangelt.
Diese Performance ist als Metapher zu
verstehen; dafür, woran es der Kunst,
insbesondere den Künstlern, aber auch dem
Kunstmarkt fehlt. Zu viel Vitamin B, zu
wenig Vitamin C, Überhitzung, Überanstrengung, Verkalkung, zu wenig Sauerstoff, die Luft wird immer dünner, die
Kunst ist geschwächt und lebensbedrohlich
gefährdet.
The Ten Commandments of Silvio Berlusconi are:
1. To be born during the war.
2. To be raised in the reconstruction.
3. Growing up in a climate that is similar to, after all, a democracy.
4. “I’m a little mad, a far-sighted madness”.
5. To believe more in people than in the state.
6. To believe more in yourself than in people.
7. To quickly choose the way that the majority advises against.
8. Have a lot of interests.
9. Install, produce, broadcast, transmit.
10. If it is possible (it is not essential, but it helps a lot) to bear the name Silvio Berlusconi.
(Il Messaggero , 23 dicembre 1982)
From the book BERLUSCONATE by A. Corbi and P. Criscuoli, Ed. Nutrimenti, Rome,
April 2003.
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My assistant and I enter dressed for the
operating theatre. I need to assess the situation and examine the patient (Art). The
patient’s heart stops. The surgeon, myself,
needs to act quickly to save it.
Points to consider: from a business/economic/market perspective; from an artist’s
perspective.
What could be done to ‘fill the gap’ between the production of art and its ultimate
destruction (as seen with sick ‘art’ and the
need to save it, to restore it) and from a
consumer’s perspective (is art worth ‘ life’?).
TIC TAC TOE, 2008
Performance duration: 6 hours
Gedok-Stuttgart, Germany
ON THE EDGE, 2004
Performance duration: 6 hours
Museum MARTa Herford
Die Arbeit eignet sich ausgezeichnet als
bildlicher Ausdruck für das Ungewisse und
die Balance. Indem ich eine Position des
Springens einnehme und im Gleichgewicht
zu bleiben versuche, unterstreicht dies eine
Erfahrung des Gefühls der Schwerelosigkeit
und die Vermittlung von Gedanken jenseits
der Grenzen. Ebenso ist die Konfrontation
mit meiner individuellen Verletzlichkeit,
meinen Ängsten und meiner Unsicherheit
eine persönliche Herausforderung. Beim
Fallschirmspringen sind die beiden wichtigsten Augenblicke die des sich öffnenden
Fallschirms sowie die Landung am Boden.
Mein Ziel ist es naturgemäß, diese Momente im Zusammenspiel der o.g. Aspekte zu
erreichen.
Die Performance besteht darin, dass ich
den ganzen Tag (Zeitraum der Ausstellung), unter Einbeziehung der Besucher
oder alleine, TIC TAC TOE spiele, bis der
Galerieraum eine neue und eigene Struktur bekommt. An den Wänden und auf
dem Boden werden die Spielzettel befestigt. Es entstehen neue Räume im Raum.
Ein Labyrinth aus Spielzetteln – der
Galerieraum wird zur Installation.
This performance is perfect for depicting
uncertainty and balance. Taking up the
position of a person ready to jump and the
effort needed to keep in balance underscores
an experience of feeling weightless, and
of the limitless transmission of thoughts.
In addition, the confrontation with my
individual vulnerable self, my own fears
and instability, is a personal challenge. In
skydiving, the most important moments are
when the parachute opens, and when one
reaches the ground. Naturally it is my goal
to depict these moments in one conjunction.
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In this performance I play TIC TAC TOE
the whole day until the room assumes a new
structure and changes into a labyrinth of
circles and crosses. The room turns into an
installation.
INSTANTIA, 2007
Performance duration: 2.5 hours
Allgemeine Konsumverein e.V.,
Brunswick, Germany
Die Performance und die Fotoarbeit INSTANTI A kreist um den Maler Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, dem
wir die Einführung des durch Schlaglicht
erzeugten Hell-Dunkel-Kontrastes zu
verdanken haben. In der Performance
INSTANTIA scheint ein Gastmahl angerichtet zu sein – ein barockes Fest, das auf
die Zeit und die Darstellungen Caravaggios
verweist, z.B. auf JUDITH ENTHAUPTET
HOLOFERNES von Caravaggio, entstanden um 1598.
INSTANTIA bietet einen neuen Zugang
zu Caravaggio und fordert die Betrachter
heraus, sich auf emotionaler Ebene mit
dessen in die heutige Zeit transferierten
Stilmitteln auseinanderzusetzen.
In this performance I look at several categories in Caravaggio’s work, making new
interpretations possible. My head, which
appears cut off, permits comparisons to
Caravaggio’s forceful, emotionally loaded
compositions. This supper is prepared in baroque style, and it affiliates to Caravaggio’s
picture JUDITH BEHEADING HOLOFERNES (c. 1598).
The performance I NSTAN TI A invites
the spectators to participate on an emotional
level and to negotiate the transfer of stylistic
devices of the time into the present day.
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ARTIST PERFORMING, 2009
Performance duration: 30 minutes
Private Apartment, Berlin, Germany
In dieser Arbeit hänge ich mit einer undurchsichtigen Plastiktüte über meinem
Kopf eine Fotoarbeit aus der Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY an die
Wand des Ausstellungsraumes, an der sich
bereits weitere Arbeiten aus der genannten
Serie befinden. Der für das noch fehlende
Bild vorgesehene Nagel steckt bereits in der
Wand. Dieser Vorgang dauert ca. 30 Minuten. Dann verlasse ich den Ausstellungsraum. Am Ende der Performance sind
somit vier Fotoarbeiten zum Thema
RECONSTRUCTION OF HISTORY zu
sehen.
Warum eine Performance und nicht nur
eine Ausstellung? Warum dieses Bild und
kein anderes aus der Serie? Warum die
Aufhängung mit verhülltem Kopf?
Diese Fragen stellen eine konsequente
Weiterführung meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Kunst im kunsthistorischen Kontext in dieser Fotoserie dar. Die
Ausstellung darüber hinaus zu inszenieren,
sie selbst als Performance zu betrachten,
dem Besucher nicht nur das fertige Produkt
zu präsentieren, sondern ihn am Prozess
teilhaben zu lassen und dies in überspitzter
MEMENTO MORI, 2005
Performance duration: 6 hours
Allgemeiner Konsumverein e.V., Brunswick, Germany
Form, zeigt den Gesamtprozess von Kunst
in ihrer Entstehung, Manipulierung, Vermarktung, Behauptung und nicht zuletzt
in ihrer gesellschaftlichen Verortung heutzutage.
Die Bilder aus RECONSTRUCTION OF
HISTORY verdeutlichen alle mein Interesse
an den zentralen Fragen der Kunst im
weitesten Sinne, einschließlich des Kunstmarktes, an denen sich meines Erachtens
nichts Grundlegendes verändert hat. Kunst
entsteht immer in einer temporären gesellschaftlichen Abhängigkeit. Die vermeintliche Freiheit der Kunst ist eine Utopie.
In the performance, I wear an opaque
plastic bag over my head and try to hang a
photographic work from the series RECONSTRUCTION OF HISTORY on the wall of
the exhibition space on which other works of
this series are already hung. The nail for the
picture is already in the wall. This process
takes about 30 minutes. Then I leave the
gallery. Thus, at the end of the perform-
ance four photographic works from the series
RECONSTRUCTION OF HISTORY will be
seen.
Why a performance and not just an exhibition? Why this and not another picture
from the series? Why the hanging of the
picture with the head covered?
These questions provide a logical continuation of my artistic engagement for this
photo series with art in an art-historical
context. To stage the exhibition beyond
itself, to regard it as a performance, and
to present the visitor with not only the
finished product but to let them take part in
this process and in an exaggerated form, is
reflexive upon the entire process of art-making: its origination, its manipulation, its
marketing, its assertion, and not least its
contemporary social position.
The images from the series R ECONSTRUCTION OF HISTORY elucidate my
interest in art’s central questions in the
broadest sense: including the art market,
where in my assessment nothing fundamental has changed. Art always results in a
temporary social dependence. The supposed
freedom of art is an illusion.
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In the performance MEMENTO MOR I , I
face a human size bread sculpture and carry
on a conversation with it. Using a copy of
my body, the dough is formed and baked
to be my bread clone. During the 6 hours,
the topics of the conversation are differences
of approach and points of contact. The
confrontation allows a direct comparison.
The impetus of this performance is given
by development and discussions on human
reproduction and the technology of gene
manipulation. Scientific research is working
at full stretch on cloning humans. The smallest component of a human, DNA, is being
decoded. In the broader sense bread means
food, consumption, living costs. Bread has
been with us since the Stone Age. I set up
an allegory dealing with questions about
human omnipotence, sacrilegious pride
and the idea of hybris. And I am not sure
if humanity is aware of the consequences of
scientific development. MEMENTO MORI ,
(“remember that you have to die”).
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Die Forschung arbeitet auf Hochtouren
daran, einen Menschen zu klonen oder
zumindest ein menschliches Ersatzteillager
aufzubauen. Der kleinste Baustein des
Menschen, die DNA ist entschlüsselt. Auch
ich reproduziere den Menschen. Dabei setze
ich dem Menschen archaisches Material bewusst gegenüber: das seit der Jungsteinzeit
bekannte Brot. Im weiteren Sinne bedeutet
Brot Nahrungsaufnahme und Lebenserhalt.
Ich stelle ein Gleichnis auf, das die Frage
der menschlichen Allmacht und die menschliche Hybris in Frage stellt. MEMENTO
MORI („Gedenke des Todes“).
Maximale
Größe
THE POWER OF THE WORDS, 2014
Performance duration: 6 hours
Marktkirche, Goslar, Germany
In THE POWER OF THE WORDS greife ich
auf drei Gegebenheiten zurück. Zum einen
auf meine kindlichen Erfahrungen, in denen ich stundenlang im Sandkasten Bilder
mit den Fingern in den Sand gezeichnet
habe und so ganze Welten entstehen ließ. In
der nicht abreißenden Konzentration fand
ich mich wieder in einer Art von Meditation.
Zum anderen bin ich bei weiteren Recherchen auf die Rituale der traditionellen
Sandbilder der Navajo-Indianer gestoßen,
die in den Sand Berge, Blitze, heilige
Pflanzen und heilige Wesen zeichnen.
Mit Gesängen und Gebeten entsteht auf
dem Boden ein Sandbild, in das sich ein
Kranker setzt, das ihm nach dem Glauben
der Navajo-Indianer die Kraft zur Heilung
schenkt. Vor Sonnenuntergang wird das
Sandbild mit einer heiligen Feder zerstört
und der Patient ist geheilt, so die Überlieferung. Dieses Ritual wird ausschließlich von
Medizinmännern ausgeführt.
TRUST, 2004
Performance duration: 2.5 hours
CLEANING THE HOUSE, 2004
Montenmedio Arte Contemporaneo, Cádiz, Spain
In dieser Performance schreibe ich mit
meinen Fingern Wörter in den feinen
ausgestreuten Sand. Jedes Wort bekommt
innerhalb eines quadratischen Musters
seinen Platz.
Folgende Wörter habe ich ausgewählt
aus dem christlich-jüdischen Moralkontext:
Liebe, Wärme, Hochmut, Eitelkeit, Stolz,
Übermut, Geiz, Habgier, Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Zorn usw. Meine
Frage ist nun an das Publikum gerichtet, ob
diese traditionellen christlichen Moralbegriffe noch für sie eine Rolle spielen. Wenn
dem so ist, was ändert das am täglichen
Miteinander?
During the performance THE POWER OF
THE WORDS I look back to my childhood,
where I endlessly finger painted pictures in
the sandpit, creating a complete cosmos for
myself alone. Nowadays it seems to me that
it was a kind of meditation, an escaping
of time and space. Later in my researches
I came upon the traditional rituals of the
American Indian Navajo tribe, who draw
mountains, lightning, holy plants and holy
sites into the sand. In one medicinal ritual,
the Navajo, accompanied by singing and
prayers, create a sand picture of an ailing patient seated on the ground. Before
sunset the sand picture is destroyed with
a holy feather that is used exclusively by
the medicine man, and the patient is thus
healed. In this performance I draw with my
fingers words in the sand that are spread
out on the floor in squares. At the end of the
performance every word has its own space
in my pattern on the floor. Hate, foolishness,
vanity, narcissism are some of the negative
expressions; some of the positive ones are
temperance, prudence, courage, justice.
For me it is a personal question as well
as a question directed at the audience, as to
whether these traditional Christian qualities and values are still important to them.
And if so, what does it mean for them in
everyday life?
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Liegend auf einem Oxer, vertrauensvoll
auf den Augenblick wartend, bis das Pferd
springt. In diesem Moment werden das
Pferd, Reiter und ich zu einer Einheit.
In the performance TRUST I focus on the
moment when a showjumping horse has to
jump over a fence. I lie on the fence to create
a contradiction for this moment. Horses will
not jump over a human body. This works
as a united constellation between the horse,
the person riding it, and me.
63
IRIS R. SELKE
geboren 13. Oktober 1966 in Bielefeld
(NRW).
Lebt und arbeitet in Braunschweig.
1995 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) in der
Grundklasse Mara Mattuschka
1996 Studium Fotografie bei Prof. Dörte
Eißfeldt, Performance bei der Butoh-Tänzerin Prof. Anzu Furukawa, Film bei Prof.
Birgit Hein.
1997 Performance bei Marina Abramović.
1998 Austauschstudentin „The School of the
Art Institut of Chicago“, USA.
2002 Diplom an der HBK.
2003 Meisterstudium an der HBK bei
Marina Abramović abgeschlossen.
AUSGEWÄHLTE AUSSTELLUNGEN
SELECTED EXHIBITIONS
born October 13, 1966 in Bielefeld, North
Rhineland Westphalia, Germany.
1995 Study at the Braunschweig University of Art, Lower-Saxony, Germany. The
elementary course with Professor Mara
Mattuschka.
1996 Photography with Professor Dörte
Eißfeldt, performance with Professor Anzu
Furukawa and film and video with Professor Birgit Hein.
1997 Professor Marina Abramović, performance, room concept.
1998 Exchange “The School of the Art
Institute of Chicago”, USA.
2002 Degree Braunschweig University of
Art, Germany.
2003 ‘Meisterstudium’ at Braunschweig
University of Art, Germany.
2005
2003
AS SOON AS POSSIBLE—PERFORMANCE
LOOP , PAC Milano, Italy.
FREMDE. ORTE., Museum für
Photographie, Braunschweig, Germany.
RECYCLING THE FUTURE , Biennale
International Art Exhibition Venice, Italy.
2004
Workshop,
Montenmedio Arte Contemporaneo, Cádiz,
Spain.
NUDE WITH SKELETON , MARTa
Herford, Germany.
CLEANING THE HOUSE,
GIFTED GENER ATION—IN THE
HEBBEL THEATRE , Berlin, Germany.
PERSISTENT AND GR ADUAL LOSE OF
SELF-CONTROL , Van Gogh Museum,
Amsterdam, Netherlands.
2007
BIENNALE DANZA 2007, 5 th International
Festival of Contemporary Dance Body &
Eros, Venice, Italy.
KUNSTFILMTAGE DÜSSELDORF,
Dusseldorf, Germany.
2008
PERSONAL IDENTIT Y—VIDEO ART
FESTIVAL MIDEN , Kalamata, Greece.
2009
HIER AND ANDERSWO , MARTa
Herford, Germany.
2011
SÉQUENCE COURT-MÉTR AGE , Goethe
Institut, Toulouse, France.
2012
FESTIVAL ELLES TOURNENT, Brussels,
Belgium.
2014
INTENSIVSTATION, BBK Braunschweig,
Germany.
DIE NEUEN IM BBK , BBK Braunschweig
ABBILDUNGEN / PLATES
Camera / Videostills
Oliver Blomeier: p. 54. filmstill: p. 6.
En-Hey Hwang: p. 60. Tom Schön/Anton
Soloveychik: p. 8, 9. Deborah Uhde: p. 55.
Photography
Andrea Bellu: p. 58. Gabi Bochert: p. 34 - 41.
Anne Klaus: p. 29. Maurice Korbel: p. 50.
Jürgen Bernhard Kuck: p. 62. Nina Maria
Küchler: p. 61. Matthias Langer: p. 22/23,
26/27. Hannes Malte Mahler p. 44/45.
Renate Mucher: p. 57. Eugenio Percossi: p. 53.
Carola Schmidt: p. 30, 51, 56. Iris Selke: p. 12 15, 17 (unter Verwendung zweier Fotos von
Viola Ayla Yesiltaç), 18, 19, 20, 21, 25, 31,
32, 33, 57. Anton Soloveychik: p. 48/49, 59.
Melati Suryodarmo: p. 7, 61, 63. Viola Ayla
Yesiltaç: p. 46, 47, 52.
Dank an / Thanks to
Marina Abramović, Michaela Andioff,
Ulli Becker, Gerald Büttenbender, Peter
Dargel, Yingmei Duan, Karl Eden, Daniel
Eisenberg, Dörte Eißfeldt, Ekki Fischer,
Anzu Furukawa, Birgit Hein, Agnes
Heine, Annette Hollywood, Ki Jung Hug,
Ruth Hutter, Julie Jaffrennou, Heinrich
Kampani, Kimi Klemm, Jan Korthkrämer,
Sebastian Kraft, Florian Krautkrämer,
Matthias Langer, Steffen Lepa, Reinhard
Lutz, Sabine Marx, Dr. Anne Mueller von
der Haegen, Thekla Offermann, Yvonne
Rainer, Declan Rooney, Martin Salzer,
Gundel Scholz, Nicole Scholz, Dr. med.
Simone Sehlleier, Thomas Steen, Bine
Stuckenbrock, Kalle Weghorn, Dr. med.
Thomas Wimmer.
Mein besonderer Dank für die jahrelange
Unterstützung und Inspiration gilt Carola
Schmidt und Brigitte Siebrasse.
Text
Carina Herring: p. 23. Jessica Reintjes:
p. 2/3. Iris R. Selke: others
Übersetzung / Translation
Mathew Burbidge
ISBN 978-3-00-048661-6
Germany.
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