Katalog / Catalogue Iris R.Selke downloud
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Katalog / Catalogue Iris R.Selke downloud
Iris R. Selke Photography Film Performance HINTER DEM SPIEGEL Jessica Reintjes Im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Iris Selke steht sie selbst, mit ihrem Körper als Medium der Veranschaulichung – authentischer kann das künstlerische ‚Arbeitsmaterial‘ kaum sein, mehr Einsatz geht nicht. Nach dem Studium bei Marina Abramović entwickelt Iris Selke in ihren Performances, Filmen und fotografisch bald eine ganz eigene facettenreiche Ausdrucksform. Ihre Arbeiten kreisen vielfach um die Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen. Dabei zielt ihr Körpereinsatz nicht vorrangig auf den Schauder, die Provokation des Betrachters durch drastische Eigengefährdung – diese ist, wenn immanent, dann wohl kalkuliert. Doch die Möglichkeit der leibhaftigen Verletzung ist gegenwärtig, schwingt quasi ‚subkutan‘ mit. Selke agiert auf unterschiedliche Weise in Stellvertreterrollen, indem sie ihren weiblichen Körper sehr direkt und unmittelbar in den Fokus stellt und ihn in seiner Leiblichkeit aussetzt, oder indem sie bestimmte (kunst-)geschichtliche Prototypen verkörpert wie in einer Serie von Fotoinszenierungen jüngerer Zeit. Hier personifiziert die Künstlerin Hamlet, van Gogh oder Spitzwegs armen Poeten und jongliert mit dem Nimbus dieser Vor-Bilder. Charakteristische Attribute (der Schädel, ein Schwert, Bücher), die den eigenen Symbolgehalt ‚selbstredend’ einbringen, dienen ihrem Alter Ego zur Verstärkung – oder wirken überraschend subversiv, deuten um und ironisieren das Szenario. BEHIND THE MIRROR Jessica Reintjes Iris Selke konterkariert manifeste Geschlechteridentitäten, tauscht sie oder doppelt sie sogar, indem sie den weiblichen, den männlichen Part oder beide Rollen übernimmt und so eine gleichermaßen sehnsuchtsvolle wie konfliktbehaftete Dualität darstellt. Sie ist MARIA und sie ist LUIGI in der gleichnamigen Arbeit, bei der es trotz konträrer Handlungen beider Protagonisten im überblendeten Doppelbild letztendlich zur androgynen Verschmelzung kommt. Doch beschränkt Selke sich in ihrem Schaffen nicht auf genderspezifische Reflexionen. Die Möglichkeit der eigenen Vergänglichkeit ein überdauerndes Abbild entgegenzusetzen – der Zeit, dem Tod, der Historie noch zu Lebzeiten ein Schnippchen zu schlagen – war früher den Herrschenden vorbehalten. Die Kunst verhalf auftragsgemäß mit Porträts und Denkmalen zur Bedeutung. Der Wunsch aber zieht sich durch die Zeiten und Bevölkerungsgruppen (und äußert sich in Graffiti-Tags an Hauswänden ebenso wie im alltäglichen Absetzen des eigenen Konterfeis in den Netzwerken). Auch hier nimmt die Künstlerin wieder Stellvertreterpositionen ein, collagiert sich als QUADRIGA in Personalunion auf der Replika-Fassade des Braunschweiger Schlosses oder scheint im Film JIPIJAJEE ! wie Peter der Große auf dessen St. Peterburger Standbild zu reiten, sie kratzt an tradierten Hoheitszeichen und desavouiert überkommene Machtdemonstrationen. In der Performance LION bindet Iris Selke die Genderthematik an die Infragestellung von Herrschaftssymbolen: Sie wird gesäugt vom Braunschweiger Löwen, einer stadt- und kunsthistorisch relevanten Bronzeplastik des Mittelalters. Die Kunstgeschichte dient Iris Selke mehrfach als direkter Fundus: Bei dem TRIBUTE TO CAR AVAGGIO ist dessen Malerei die projizierte Grundlage für eine eigene Einbindung, indem die Künstlerin durch ihr Tun mit dem Bild verschmilzt, zum Teil dessen wird. Ihre Auseinandersetzung mit dem Meister des Chiaroscuro setzt sich fort in der Arbeit INSTANTIA , bei der das Haupt des Holofernes – oder eher das der Judith, wieder so eine Umdeutung der Rollen – angerichtet auf dem Teller am Kopf der Tafel, den Appetit der am Festmahl Beteiligten nicht schmälert. Dramaturgisch bedient sich auch Iris Selke des Setzens von Kontrasten zur Überhöhung von Situationen, Personen in ihren Handlungen, die auf den Augenblick höchster, verdichteter Dramatik zusteuern. Bei der frühen Performance NARZISS kulminiert diese im kraftvollen, grenzwertig autoaggressiven Zerschmettern des eigenen Spiegel-Bildes. Was ist Projektion und was bleibt, wenn der oberflächliche Schein zerstört wird? 2 Iris Selke herself is at the centre of her artistic work, her body the medium of exemplification—artistic ‘working material’ doesn’t get any more authentic; more commitment is impossible. Since her studies with Marina Abramović, Iris Selke has developed a multifaceted expressive vocabulary in her performances, films and photographically. Her works frequently revolve around an engagement with gender roles. But her physical involvement does not primarily aim at thrills, or a provocation of the viewer through drastic self-endangerment—this is, where immanent, strictly calculated. Yet the possibility of physical injury is present, resonating ‘subcutaneously’, so to speak. Selke performs representations in various ways, in so far as she puts the focus on her female body very directly and immediately and exposes its corporeality; or in so far that she incorporates particular (art) historical prototypes—as in a recent series of photographic miseen-scenes. Here the artist personifies Hamlet, Van Gogh or Carl Spitzweg’s poor poet and juggles with the mystique of these paragons. Characteristic attributes (the skull, a sword, books), which ‘naturally’ bring their own symbolic value, serve to amplify her alter ego—or seem surprisingly subversive, allowing a new interpretation and bringing irony to the scene. 3 Iris Selke counteracts manifest gender identities, swaps them or even doubles them—in so far as she adopts the female role, or the masculine part, or both together—and in this way depicts a duality as yearning as it is conflict-ridden. She is Maria and she is Luigi in the work of the same name, in which despite contrary narratives, both protagonists in the doubly exposed picture come together finally in an androgynous conflation. But in her practice Selke doesn’t restrict herself to gender specific reflections. The possibility of countering one’s own mortality in a lasting portrayal—to cheat time, death, and history in one’s own lifetime—was once reserved for the ruling class. Art duly provided importance with portraits and monuments. This desire however runs through epochs and populations (and is expressed in graffiti tags on the walls of houses as much as in the daily distribution of one’s own image via online networks). Here again the artist takes on representational positions, collaging herself as the QUADRIGA on the replica façade of the Brunswick Palace (Braunschweiger Schloss), or appearing in the film JIPIJAJEE ! to ride like Peter the Great on his St. Petersburg statue; she chips away at traditional national emblems and disavows received demonstrations of power. In her performance LION Iris Selke combines the gender theme with the challenging of symbols of power: the Braunschweig Lion, a medieval bronze sculpture relevant to the city and art history, nurses her. Art history repeaedly serves Iris Selke as a direct source: in TRIBUTE TO CAR AVAGGIO , the paintings are a projected basis for an integration of the self, in which the artist through her act coalesces with the picture, becomes a part of it. Her engagement with the master of chiaroscuro is pursued in the work INSTANTIA in which the head of Holoferne—or rather that of Judith (once again a reinterpretation of roles)—served on a plate at the head of the table, does nothing to reduce the appetite of those attending the feast. In her dramaturgy, Iris Selke also employs contrasts in order to idealize situations and people in their actions, heading towards a moment of highly concentrated drama. In the early performance NARZISS , this culminates in the powerful, borderline auto-aggressive shattering of her own mirror image. What is projection, and what remains when the surface appearance is destroyed? Film 1997 – 2007 4 5 ONE OF THE THIRD GENERATION, 1997 Video duration: 5 minutes ONE OF THE THIRD GENERATION PART #2, 2007 Video duration: 10 minutes REMEMBER THE OLD GOOD TIMES, 2004 Video duration: 10 minutes EGON SCHIELE LOVE AND DEATH Van Gogh Museum, Amsterdam, Netherlands Dieser Kurzfilm handelt von der Beerdigung meiner Großmutter. ONE OF THE THIRD GENER ATION ist der erste von drei Kurzfilmen. Mit diesem Film beschreibe ich meine Oma als eine Frau, die zwei Weltkriege überlebt hat und mit ihrer Lebensgeschichte repräsentativ für sehr viele Frauen ihrer Generation steht. Sie zählte zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Durch unterschiedliche filmische Ebenen entsteht ein neues Bild von ihr. Durch die Interviews mit meiner Tante und Mutter über das alltägliche vergangene Leben mit ihr kommen auch ihre Schattenseiten zu Tage. Neben dem familiären Erbe glaube ich an ein kollektives Erbe, für das wir offen und verantwortlich sind. ONE OF THE THIRD GENER ATION is Nach Studien zu den psychologischen Folgen von Isolation in der JVA Braunschweig entstand dieser Film. Hier interessiert mich das Umsetzen angestauter oder negativer Energien in einen positiven Schaffensfluss, dessen einzige Quelle aus Bildern besteht, die aus der Vergangenheit erinnert werden. In dieser Performance frage ich mich, wie wichtig ist die Isolation des Künstlers für die kreative Schaffensphase und was für eine Rolle spielt der Künstler in der heutigen Gesellschaft? the first of a series of three short films. It is about my grandmother’s funeral. She was one of the most important people in my life. I try to present an image of her. The short film conveys the common stereotype of women of this time and of her generation. In her lifetime, she went through two world wars. The combination of different sound and visual techniques, and the imagination of the viewer together create a new image of my grandmother. In addition, a profound interview with my mother and my aunt about daily routine brings to light different facets of their mother. The story has a very personal aspect. Besides family heritage, I believe we have a collective heritage that we need to be aware of, and because of which we have to take responsibility for the past. 6 7 I am interested in focusing on isolated situations in order to reflect on self-consciousness and life. A field study in Braunschweig prison supported my research on the psychological aspects of isolation. Being an artist, I assume that I need isolated situations, which contribute to the exchange of processes, the inserting of information, and which are reflexive on my position as an artist. Silence is the moment of the inner voice. In this performance, the image of an isolated situation is projected in a performance space. I transform the negative aspect of isolation into a positive concentrated level of artistic process by realizing images coming from my memories through performance. As an artist I perceive and appreciate isolation as a necessary ingredient in the creative process, as a way of transforming experience or information into art, as well as a sociological reflection on my position as an artist in society. JIPIJAJEE! ICH GRÜSSE MEIN VOLK, 2004 b/w 16 mm on DVD Duration: 1:03 minutes St. Petersburg Puschkinskja, Russia This film presents an unusual approach to history. We filmed next to the monument of “Peter The Great” in Saint Petersburg (Russia), made by Étienne Maurice Falconet in 1766-1782. My aim is to raise some questions: what role do these heroicizing sculptures in public spaces play today? Does the historical idea of immortality make sense nowadays? CHICAGO PIGEONS, 1998 Super-8 on Video Video duration: 7 minutes Der Film ist eine ungewöhnliche Annäherung an Geschichte. Wir filmten in St. Petersburg am Reiterdenkmal Peters des Großen, „Der eherne Reiter“ von Étienne Maurice Falconet, erbaut 1766-1782. Es stellt sich die Frage, welche Rolle diese heroisierenden Skulpturen im öffentlichen Raum in heutiger Zeit spielen. Welchen Sinn macht die aus heutiger Sicht historische Vorstellung von Unsterblichkeit? 8 Chicago Pigeons / Rats of the sky. Snapshots, emotions. Picture after picture recorded. A personal documentation of a feeling of non-being. After a while everything comes together like a puzzle. Momente, Aufnahmen, Stimmungen, Bilder, filmerisch aneinandergereiht und fest gehalten. Ein Filmprotokoll, das mich im Nichts zurückließ. Mit der Zeit setzt sich alles langsam, wie ein Puzzle, zusammen. 9 Photography 1997 – 2014 10 11 FROZEN LOVE, 1998 b/w Baryte 106 × 200 cm 12 13 CROW, 1998 b/w Baryte 106 × 200 cm HORSE, 1997 b/w Baryte 80 × 120 cm 14 15 MARIA ET LUIGI, 2001 b/w Baryte 106 × 164 cm Film: 16 mm transfered to Digital Video duration: 2.36 minutes Irish Museum of Modern Art, Dublin, Irland They are a couple, but sometimes they disagree. It is the old game of passion: to flirt, but also about misunderstandings. As Luigi, I project slides of Maria to the beat of tango music—the piece is questioning, provocative and includes expansive gestures. Maria und Luigi, ein Paar aus demselben Holz geschnitzt und dennoch sich nicht einig. Ein immerwährendes Spiel der Anziehung, des Begehrens aber auch der Missverständnisse. Bei dieser Performance werden Dias von Maria auf die Wand projiziert. Als Luigi verhalte ich mich zu den Bildern im Takt der Tangomusik – fragend, provozierend und mit großen Gesten. 16 17 SKYLINE, 1997 b/w Baryte 200 × 102 cm 18 19 ACT 1, 1996 b/w Baryte 65 × 45 cm ACT 2, 3, 1996 b/w Baryte 45 × 65 cm 20 21 SUNBED, 2002 Lightbox / Digital Print on Transparent Foil 120 × 90 cm Edition: 1 SUNBED gehört zu den Arbeiten, die sich mit dem Körper in Extremsituationen auseinandersetzen und darüber weitere Bedeutungsfelder eröffnen. Hier ist der Körper aufgebahrt und einer Marienfigur ähnlich manieristisch erleuchtet. Der Körper, der sich auf einer Bahre befindet, transformiert sich. Er zersetzt sich in seine kleinsten Teile, um sich an einem, eben diesem geheimnisvollen Ort wieder zur Vollkommenheit zusammenzusetzen – „Beam me up, Scotty!“ Here you see the body in an extreme situation. Laid out and lit up like an image of the Virgin Mary. Associations with a dead body lying in state come to mind. The body is transformed for a journey such as in STAR TREK … “Beam me up, Scotty!” For a few seconds the body would be divided into millions of tiny parts, to be reconstructed at a new and unknown place again. 22 23 QUADRIGA, 2009 C-print 50 × 70 cm In der Fotoarbeit QUADRIGA habe ich mit Hilfe der Fototechnik das Schloss der Bevölkerung zurückgegeben, zu den vier Pferden habe ich aus unterschiedlichen Zeitepochen und Kulturen eine Reiterfigur hinzugefügt. In this photographic work I give the castle back to the people. I have added four cavaliers who represent four different epochs and cultures. 24 25 LION, 2003 C-print 125 × 125 cm Edition: 7 Die Arbeit LION basiert für mich auf der legendären Geschichte von Romulus und Remus. Die Zwillinge sollen von der römischen Wölfin gestillt worden sein. Als Erwachsene gründeten sie Rom. Eine berühmte antike Skulptur, die kinderstillende Lupa, erinnert mich an diese Geschichte. Die mittelalterliche Skulptur des Braunschweiger Löwen, das Wappentier Heinrichs des Löwen, entstand um 1166. Sicher ist, dass der Braunschweiger Löwe die älteste erhaltene Großplastik des Mittelalters nördlich der Alpen und erster größerer figürlicher Hohlguss seit der Antike ist. In LION verbinde ich beide Städte und Stadtgründungen, so möchte ich eine Brücke durch das Einbringen meines Körpers zur Gegenwart schlagen. Zugleich eröffnen sich unter anderem durch die Umkehrung der Geschlechtsverhältnisse im doppelten Sinne und durch den Kontrast des Materials zur nackten Haut Assoziationsfelder ins Jetzt . The performance and photographic work LION is based on the legendary story of Romulus and Remus, two brothers who were said to have been nursed by a female wolf. When they grew up, the twins laid the foundation stone of ancient Rome, the capital of the powerful Roman Empire. For this reason a monument was built to commemorate the twins as well as the foundation of the city. In this case I refer to the patriarch Henry the Lion, Duke of Saxony and Bavaria, and interrelate the lion with the female wolf. I’m working with the contrast of naked skin and the material of the sculpture, as well as with the inversion of genders. 26 27 RECONSTRUCTION OF HISTORY Series Als „Tableau vivant“ (frz. „lebendes Bild“) bezeichnet man die Nachstellung von Werken der Kunst durch lebende Personen. Diese Mode kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Als Erfinderin nennt Meyers Konversations-Lexikon Madame de Genlis, die Erzieherin der Kinder des Herzogs von Orléans. Sie soll zur Belehrung und Unterhaltung ihrer Zöglinge solche Darstellungen arrangiert und sich dabei der Hilfe der Maler Jacques-Louis David und Jean-Baptiste Isabey bedient haben. Die folgenden Arbeiten der Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY sind „Tableaux vivants“. Mit der Nachstellung der Ikone eines Künstlerbildes – DER ARME POET, von Karl Spitzweg um 1839 gemalt, thematisiert die Arbeit ARTIST die Position des Künstlers in der Gegenwart im Vergleich zur Romantik des 19. Jahrhunderts: Welche Inhalte werden transportiert, welche Motivationen treiben die Künstler voran? Welche Fragen stehen im Vordergrund? Welche Aussagen werden manifestiert? Durch die Verwendung des Selbstportraits wird der Transfer in die Gegenwart mit dem Blick auf die Zukunft geleistet. Es ist ein Foto, doch sieht es aus, als sei es gemalt. Wie in der Filmarbeit JIPIJAJEE ! ICH GRÜSSE MEIN VOLK erfinde ich nun für Louis XIV ein weibliches Gegenüber, Louise die XIV. LOUISE XIV des Rosenreiches zeigt sich stolz vor ihrem noch verbliebenen Hab und Gut aus dem Zeitalter des Absolutismus. Hier kommt LOUISE XIV ins Spiel – Verkörperung von, im Gegensatz zum Alleinherrscher Louis XIV, Demokratie, gemeinschaftlichem Handel. Bei ihren weisen Entscheidungen hat sie das Wohl ihrer Untertanen im Blick. Nach langer Herrschaft und Förderung der Künste und der Wissenschaften hat sie es erreicht, eine kulturelle Vorherrschaft in ihrer eigenen Welt einzunehmen. Den Leitsatz des Absolutismus, „L’État, c’est moi!“ – „Der Staat bin ich!“, verfremde ich, wandle ihn um zu einem neuen Statement – „Ich bin die Saat!“ In Anbetracht der Tatsache, dass uns heute vieles aus den Händen genommen wird und die Entscheidungen von eher „kleinen Geistern“ getroffen werden, fehlt mir der Blick auf eine großzügige und allumfassende Perspektive, aus der heraus Entscheidungen getroffen werden. Es ist individuelle emotionale Intelligenz gefragt. Die Szenerie habe ich auf einem Dachboden in einen eher ärmlichen Kontext gestellt, um einen Bruch zu dem Vorbild zu schaffen. Die Inspiration für die Arbeit LOUISE XIV bekam ich bei der Betrachtung von Hyacinthe Rigauds Porträt Louis’ XIV. Paintings that are restaged with real people are referred to as “tableaux vivants”. This trend emerged at the end of the eighteenth century. The German encyclopedia Meyers Konversations-Lexikon attributes the origin of the idea to Madame de Genlis, who was the tutor of the Duke of Orleans’ children. It is said that with the help of the painters Jacques-Louis David and Jean-Baptiste Isabey she arranged “tableaux vivants” to teach and entertain her pupils. The following photographic works in the series RECONSTRUCTION OF HISTORY are “tableaux vivants”. It is a photograph, yet it looks like it has been painted. For this photograph I was inspired by a Karl Spitzweg painting, THE POOR POET (1839). I compare the situation of the contemporary artist with that of the artist in the Romantic nineteenth century. What were the questions artists raised at this time? What motivations drove artists? What kind of claims were manifest? I am inquiring into the mission of artists in the 20th century, translating an image of the Biedermeier epoch into the present day. In the film work JIPIJAJEE! I created a female partner for Peter the Great. Here I create a female counterpart for Louis XIV, LOUISE XIV. Louise XIV of Rosenreich/ The Kingdom of Roses proudly poses in front of possessions leftover from the age of Absolutism. LOUISE XIV comes into play, and in strong contrast to the autocrat Louis—who chokes off all democracy with his iron fist —she stands for collective action, a calculating patience and using her inner calm to make the right decisions. After a long reign and steadfast support of the arts and sciences she has achieved cultural leadership in her own world. I am transforming the principle of Absolutism, “L’état, c’est moi!”—“I am the state!” into a new statement “I am the seed!” Since today many of our important life decisions are made for us by small-minded people, I think that there is a need for a greater, all encompassing perspective from where decisions should be made. This is where LOUISE XIV plays her part in contradiction to the autocrat Louis XIV: she is a symbol for democracy and working collectively with the people to make wise decisions. Individual, emotional intelligence is required. I set the scene in an attic to provide a humbler context for the picture, and to subvert the idea of the original and translate it into our modern time. My inspiration for this work was the French painter Hyacinthe Rigaud. ARTIST, 2007 C-print 50 × 70 cm 28 29 LOUISE XIV, 2008 C-print 19 × 27 cm VAN GOGH AND ME, 2010 C-print 30 × 40 cm 30 31 HAMLET AND ME, 2014 C-print 12,5 × 21 cm 32 MAGD, 2007 C-print 44,5 × 70 cm Edition: 7 33 TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 RECONSTRUCTION OF HISTORY KuBaSta – Raum für Kunst Bauen Stadtentwicklung, Hamburg, Germany In TR IBUTE TO CAR AVAGGIO möchte ich in das Geschehen eingreifen, die zwei bestehenden Dimensionen um die dritte Dimension erweitern. Mit einem Skalpell, einem chirurgischen Instrument, öffne ich medizinisch die Haut, den Bildträger, durch die Rückseite – um zu den Körpern, dem Bildraum zu gelangen. Ich geselle mich zu den Charakteren des Caravaggio hinzu. Ich möchte Teil der Komposition werden und in Kontakt mit den Modellen treten, den Faktor der Zeit, der Bewegung und der Interaktion hinzufügen. Freunde und Weggefährten Caravaggios werden den Wandel der Zeit überbrücken und einen Moment mit uns teilen. Da ich aktiv in das Bild eingreife, bekommt das Bild eine Wandlung und somit ein Raum- und Zeitkontinuum. In diesem Fall tritt die Zeit als vierte Dimension auf. Die Performance ist der vierte Teil der Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY. In the performance TRIBUTE TO CAR AVAGGIO , I intervene in the pictorial action to expand the two dimensional into three dimensions. With a scalpel, a surgical instrument, I cut open the “skin”, the canvas from behind, allowing my body to become part of the scene; where I join Caravaggio’s characters. I would like to become part of the composition and be in contact with the painter’s models. I add factors of time, movement and interaction: Caravaggio’s friends and companions bridge the break in time between the two eras and share a moment with us. With my active participation I cause a transformation in the image and so influence a continuum in space and time. Time enters the work as the fourth dimension. This performance is the fourth part of the RECONSTRUCTION OF HISTORY series. TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 C-print 60 × 90 cm 34 35 TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 C-print 60 × 90 cm 36 37 TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 C-print 60 × 85 cm TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 C-print 60 × 95 cm 38 39 Maximale Größe TRIBUTE TO CARAVAGGIO, 2010 C-print 60 × 96 cm 40 41 Performances 1997 – 2014 42 43 NARZISS, 1997 Performance / Performative Film Video duration: 15 minutes Festung Franzensfeste, Brixen, Italy 44 45 THE AGREEMENT, 2002 Performance duration: 21.5 hours COMMEN GROUND # 1 Landesvertretung Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Berlin SURFACE TO FACE, 2002 Performance duration: 20 minutes HAU1 Hebbel am Ufer, Berlin, Germany I stand facing a tennis ball machine. The naked body confronts the cannon—a machine that was developed to replace a person. The balls represent situations and conditions that have to be faced in life. Some of the balls hit me and elicit a reaction, whereas others miss their target. From experience I know that my body is able to call on my mind to help it out in extreme situations, which means I can work on this area and expose myself to other levels of consciousness, as against the rational functioning of the human body: so that I can go one step further. I construct a living depiction. It is about human being versus machine. My body is my material, my tool and my means of expression. The body’s limitations make it obsolete. In SURFACE TO FACE erstelle ich ein lebendes Bild einer Auseinandersetzung, die ich selbst gewählt habe, die also ein aktiver Akt ist. Mensch und Maschine stehen sich gegenüber – nackter Körper und Tennisballmaschine. Der Körper ist mein Material, Werkzeug und Ausdrucksmittel. Er ist im Vergleich zu den heutigen Techniken – zum Beispiel einer Maschine, die den zweiten Tennisspieler ersetzt – in seiner Begrenztheit veraltet, seine Möglichkeiten sind obsolet geworden. Bälle treffen den nackten Körper. Im übertragenen Sinne stehen sie für die Situationen und Gegebenheiten des realen Lebens, die „unter die Haut“ gehen. Solch extreme Situationen übersteht der Körper mit Hilfe der Psyche. Der Betrachter muss entscheiden, ob er sich einlassen kann oder nicht. 46 In dieser Performance zitierte ich 2 ½ Stunden einen Text aus der PanoramaSendung vom 28.03.2002 POLITIK ALS STAATSSCHAUSPIEL. „Politiker sind Schauspieler!“ Dies ist das Fazit einer Aussage des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller nach der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat. Viele politische Entscheidungen werden vorher abgesprochen, das heißt ohne eine öffentliche Auseinandersetzung entschieden – damit ist die Politik außer Kraft gesetzt. Alles nur ein großes Theater? „War das nicht am Freitag so? Am Freitag gab es mindestens zwei Drehbücher und vielleicht besteht Politik manchmal auch in der Auseinandersetzung darüber, welches Drehbuch sich am Ende druchsetzt 47 und nach welchem Drehbuch am Ende verfahren wird. Da war kein Journalist dabei – also müssen sie diese Empörung dokumentieren; das haben wir dann auch gemacht. Und dann kann man natürlich sagen, das ist Theater. Ja, das ist Theater. Sind Politiker Schauspieler? Ja, ja, Politik ist Theater, wer kommunizieren will, darf wenig informieren.“ In this performance I used a speech by Peter Müller, Premier of the German state of Saarland, given after a vote on immigration law in the upper house of the German Bundestag. My interview partners shared my opinion unreservedly. I quote the text for two and a half hours in a loop. “Politics as State Drama. Wasn’t that the case on Friday? On Friday, there were at least two possible scripts and perhaps politics is sometimes about conflict—about which script is ultimately going to be used and according to which things will ultimately proceed. There were no journalists there. They should have documented this indignation, so that is what we did. You may, of course, say that this is a piece of drama. And yes, it is drama. So does that mean politicians are actors? Well, yes, they are. And yes, politics is drama. If you want to communicate, you have to provide as small an amount of information as possible.” OPHELIA, 2005 Performance duration: 1 hour BIENNALE DANZA 2007, 5 th International Festival of Contemporary Dance Body & Eros, Venice, Italy In this work I ask myself how to reconcile human action and thinking. In William Shakespeare’s tragedy HAMLET, Hamlet’s beloved Ophelia commits suicide. Her suicide is the result of an accumulation of tragic moments. The supposed mental illness that Hamlet only feigns is the accumulation of grief in her and leads her to drown herself in a pond. In the political confusion of our time the Shakespearean “to be or not to be” has achieved a special and highly explosive value. I am lying on the water surface surrounded by fresh flowers and wearing a red dress. 48 In Shakespeares Tragödie HAMLET nimmt sich Ophelia, die Geliebte, das Leben. Ihr Selbstmord ist Folge einer Anhäufung von Intrigen. Sie treibt der Wahnsinn, den Hamlet ihr vorspielt, in den Tod. In dieser Performance stelle ich mir die Frage: Ist es möglich, eine Abstimmung zwischen menschlichem Handeln und Denken zu finden? In den politischen Verwirrungen unserer heutigen Zeit bekommt 49 die Ausarbeitung des alten Themas „Sein oder nicht sein“ einen besonderen und hochbrisanten Stellenwert. SPLENDID ISOLATION, 1999 Performance: 15 minutes The School of the Art Institute of Chicago, USA The title is an expression from the time of the British Empire. I chose it because of its relevance to this project. It can also be associated with the isolated beauty of masks of certain African tribes, or even hoods worn by the (politically isolated) Ku Klux Klan. To cut the map the way I do evokes associations with borders and landmark lines on a map. For me personally, the piece also comments on the (almost) unbearable slowness of bureaucracy in the USA or Germany. The pieces I cut out of the paper mask will draw the spectator’s attention to the form cut out of the mask. I am cutting a piece of paper with a razor blade in front of my face. My intention is not to show physical violence. RAZOR-DRESS, 1998 Object Weimar I chose razor blades as the main material for this object, in consideration of the perception of its use and socio-psychological interpretation. The sharp razor blades can hurt if misused. The constitution of the razor blades as a dress is an object-based-contradiction between protection and danger, isolation and aggression. 50 51 Ich habe die Rasierklingen als Material gewählt, da eine sozial-psychologische Deutung in die Richtung Aggression und Isolation sehr stark intendiert ist. Es ist aber auch eine andere Deutung möglich, wie selbst gewählte Isolation und Schutz. Der Ausdruck „splendid isolation“ lässt sich auf das British Empire zurückführen. Weiterhin sind aber auch Assoziationen wie die isolierte Schönheit afrikanischer Masken, politische Isolation oder gar die Kaputzen des Ku-Klux-Klan möglich. Persönlich verbinde ich aber auch diese Arbeit mit der unglaublichen Langsamkeit der Bürokratie hierzulande oder auch in den USA. Meine Intention ist es nicht, körperliche Gewalt zu zeigen. HUMAN BEING, 2005 Performance duration: 1 hour ZIPPING UP FAXE KONDI Artist Residence Trebsice Praha This performance is a piece about the possible futuristic developments of creatures: evolution from prehistoric man to the humankind of the present, and onwards to a kind of futuristic hybrid man-machine. Conceived as a looped projection—made over the artist’s body—of different animal skeletons (taken from various natural history museum archives), the performance actually starts with the path the artist takes to reach the place of projection. The message of this work is a clear and disenchanted vision of reality, a step back to the origin of the human race in order to reconstruct the missing link between man and animal, a reflection upon the path that humans took through the epochs to achieve physical and mental progression. At the same time, it is a reminder not to forget our origins and which branch of the evolutionary tree we belong to. This mixture of images, suggestions and touching expressions that the artist embodies, creates a sort of documentary film that makes the audience feel involved. In this performance, I went on a journey, physically as well as mentally through the history of the evolution of mankind. In the historical chain I discover myself as organic material, too. I understand mankind and myself as tiny components of a greater whole. For the performance, I combined style elements of Japanese “Butoh-Dance / Theatre” which allow me to travel to my inner body. For me this dance technique is an aid that enables me to go on a journey to my inner body and into the past too. A ROSE IS A ROSE IS A, 2001 Performance duration: 15 minutes LOT Theater, Brunswick, Germany Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose. Liebe ist Liebe ist Liebe, nicht mehr, nicht weniger. Erinnere dich daran, dass das Leben einfach ist. Du wirst enttäuscht werden, wenn du mehr erwartest. Eine Rose wird nie wieder eine Rose sein. Bei dieser Performance esse ich als Erstes eine Rose, was mit einer weiteren Rose passiert, möchte ich nicht sagen… In der Performance habe ich Butoh-Tanzelemente eingebracht und mich physikalisch und mental auf eine Reise durch die Evolutionsgeschichte der Menschheit gemacht. Dabei sind futuristische Bilder wie etwa das eines Hybriden entstanden. In der Geschichtskette finde ich mich selber als organisches Material wieder. Die Tanztechnik ist für mich eine Hilfe, mich auf die Reise durch die Menschheitsgeschichte zu begeben. A rose is a rose, is a rose. Love is love is love, nothing more and nothing less. Remember that life is simple, so that you won’t be disappointed. In this performance I am going to eat one rose… 52 53 BELLO, 2003 Performance duration: 2.5 hours PAC Milano, Italy Die zehn Gebote des Silvio Berlusconi sind: 1. Geboren werden während des Krieges. 2. Aufgewachsen sein im Wiederaufbau. 3. Erwachsen werden in einem Klima, das immerhin einer Demokratie ähnlich ist. 4. „Ich bin ein bißchen wahnsinnig, ein weitblickender Wahnsinn.“ 5. Mehr an Personen glauben als an den Staat. 6. Mehr an sich selbst glauben als an Personen. 7. Den Weg schnell aufnehmen, der von den Meisten abgeraten wird. 8. Sehr viele Interessen haben. 9. Aufbauen, erzeugen, ausstrahlen, übertragen. 10. Wenn es möglich ist (es ist nicht unentbehrlich, aber es hilft sehr) Silvio Berlusconi heißen. (Il Messaggero, 23 dicembre 1982) Aus dem Buch BERLUSCONATE von A. Corbi und P. Criscuoli, Ed. Nutrimenti, Rom, April 2003. ANATOMY OF THE ART, 2014 Performance duration: 15 minutes 267 Quartiere für zeitgenössische Kunst und Fotografie, Brunswick, Germany Ich und meine Assistenzärztin, mit einem OP-Kittel bekleidet, betreten die Szene und untersuchen den Patienten, die „Kunst“. Der Herzton geht über in einen Dauerton, der Patient ist für Momente herztot. Eine Notoperation muss schnell eingeleitet werden. Lebenserhaltende Maßnahmen müssen am Patienten vorgenommen werden und grundsätzlich muss herausgefunden werden, woran es der Kunst mangelt. Diese Performance ist als Metapher zu verstehen; dafür, woran es der Kunst, insbesondere den Künstlern, aber auch dem Kunstmarkt fehlt. Zu viel Vitamin B, zu wenig Vitamin C, Überhitzung, Überanstrengung, Verkalkung, zu wenig Sauerstoff, die Luft wird immer dünner, die Kunst ist geschwächt und lebensbedrohlich gefährdet. The Ten Commandments of Silvio Berlusconi are: 1. To be born during the war. 2. To be raised in the reconstruction. 3. Growing up in a climate that is similar to, after all, a democracy. 4. “I’m a little mad, a far-sighted madness”. 5. To believe more in people than in the state. 6. To believe more in yourself than in people. 7. To quickly choose the way that the majority advises against. 8. Have a lot of interests. 9. Install, produce, broadcast, transmit. 10. If it is possible (it is not essential, but it helps a lot) to bear the name Silvio Berlusconi. (Il Messaggero , 23 dicembre 1982) From the book BERLUSCONATE by A. Corbi and P. Criscuoli, Ed. Nutrimenti, Rome, April 2003. 54 55 My assistant and I enter dressed for the operating theatre. I need to assess the situation and examine the patient (Art). The patient’s heart stops. The surgeon, myself, needs to act quickly to save it. Points to consider: from a business/economic/market perspective; from an artist’s perspective. What could be done to ‘fill the gap’ between the production of art and its ultimate destruction (as seen with sick ‘art’ and the need to save it, to restore it) and from a consumer’s perspective (is art worth ‘ life’?). TIC TAC TOE, 2008 Performance duration: 6 hours Gedok-Stuttgart, Germany ON THE EDGE, 2004 Performance duration: 6 hours Museum MARTa Herford Die Arbeit eignet sich ausgezeichnet als bildlicher Ausdruck für das Ungewisse und die Balance. Indem ich eine Position des Springens einnehme und im Gleichgewicht zu bleiben versuche, unterstreicht dies eine Erfahrung des Gefühls der Schwerelosigkeit und die Vermittlung von Gedanken jenseits der Grenzen. Ebenso ist die Konfrontation mit meiner individuellen Verletzlichkeit, meinen Ängsten und meiner Unsicherheit eine persönliche Herausforderung. Beim Fallschirmspringen sind die beiden wichtigsten Augenblicke die des sich öffnenden Fallschirms sowie die Landung am Boden. Mein Ziel ist es naturgemäß, diese Momente im Zusammenspiel der o.g. Aspekte zu erreichen. Die Performance besteht darin, dass ich den ganzen Tag (Zeitraum der Ausstellung), unter Einbeziehung der Besucher oder alleine, TIC TAC TOE spiele, bis der Galerieraum eine neue und eigene Struktur bekommt. An den Wänden und auf dem Boden werden die Spielzettel befestigt. Es entstehen neue Räume im Raum. Ein Labyrinth aus Spielzetteln – der Galerieraum wird zur Installation. This performance is perfect for depicting uncertainty and balance. Taking up the position of a person ready to jump and the effort needed to keep in balance underscores an experience of feeling weightless, and of the limitless transmission of thoughts. In addition, the confrontation with my individual vulnerable self, my own fears and instability, is a personal challenge. In skydiving, the most important moments are when the parachute opens, and when one reaches the ground. Naturally it is my goal to depict these moments in one conjunction. 56 57 In this performance I play TIC TAC TOE the whole day until the room assumes a new structure and changes into a labyrinth of circles and crosses. The room turns into an installation. INSTANTIA, 2007 Performance duration: 2.5 hours Allgemeine Konsumverein e.V., Brunswick, Germany Die Performance und die Fotoarbeit INSTANTI A kreist um den Maler Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, dem wir die Einführung des durch Schlaglicht erzeugten Hell-Dunkel-Kontrastes zu verdanken haben. In der Performance INSTANTIA scheint ein Gastmahl angerichtet zu sein – ein barockes Fest, das auf die Zeit und die Darstellungen Caravaggios verweist, z.B. auf JUDITH ENTHAUPTET HOLOFERNES von Caravaggio, entstanden um 1598. INSTANTIA bietet einen neuen Zugang zu Caravaggio und fordert die Betrachter heraus, sich auf emotionaler Ebene mit dessen in die heutige Zeit transferierten Stilmitteln auseinanderzusetzen. In this performance I look at several categories in Caravaggio’s work, making new interpretations possible. My head, which appears cut off, permits comparisons to Caravaggio’s forceful, emotionally loaded compositions. This supper is prepared in baroque style, and it affiliates to Caravaggio’s picture JUDITH BEHEADING HOLOFERNES (c. 1598). The performance I NSTAN TI A invites the spectators to participate on an emotional level and to negotiate the transfer of stylistic devices of the time into the present day. 58 59 ARTIST PERFORMING, 2009 Performance duration: 30 minutes Private Apartment, Berlin, Germany In dieser Arbeit hänge ich mit einer undurchsichtigen Plastiktüte über meinem Kopf eine Fotoarbeit aus der Serie RECONSTRUCTION OF HISTORY an die Wand des Ausstellungsraumes, an der sich bereits weitere Arbeiten aus der genannten Serie befinden. Der für das noch fehlende Bild vorgesehene Nagel steckt bereits in der Wand. Dieser Vorgang dauert ca. 30 Minuten. Dann verlasse ich den Ausstellungsraum. Am Ende der Performance sind somit vier Fotoarbeiten zum Thema RECONSTRUCTION OF HISTORY zu sehen. Warum eine Performance und nicht nur eine Ausstellung? Warum dieses Bild und kein anderes aus der Serie? Warum die Aufhängung mit verhülltem Kopf? Diese Fragen stellen eine konsequente Weiterführung meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Kunst im kunsthistorischen Kontext in dieser Fotoserie dar. Die Ausstellung darüber hinaus zu inszenieren, sie selbst als Performance zu betrachten, dem Besucher nicht nur das fertige Produkt zu präsentieren, sondern ihn am Prozess teilhaben zu lassen und dies in überspitzter MEMENTO MORI, 2005 Performance duration: 6 hours Allgemeiner Konsumverein e.V., Brunswick, Germany Form, zeigt den Gesamtprozess von Kunst in ihrer Entstehung, Manipulierung, Vermarktung, Behauptung und nicht zuletzt in ihrer gesellschaftlichen Verortung heutzutage. Die Bilder aus RECONSTRUCTION OF HISTORY verdeutlichen alle mein Interesse an den zentralen Fragen der Kunst im weitesten Sinne, einschließlich des Kunstmarktes, an denen sich meines Erachtens nichts Grundlegendes verändert hat. Kunst entsteht immer in einer temporären gesellschaftlichen Abhängigkeit. Die vermeintliche Freiheit der Kunst ist eine Utopie. In the performance, I wear an opaque plastic bag over my head and try to hang a photographic work from the series RECONSTRUCTION OF HISTORY on the wall of the exhibition space on which other works of this series are already hung. The nail for the picture is already in the wall. This process takes about 30 minutes. Then I leave the gallery. Thus, at the end of the perform- ance four photographic works from the series RECONSTRUCTION OF HISTORY will be seen. Why a performance and not just an exhibition? Why this and not another picture from the series? Why the hanging of the picture with the head covered? These questions provide a logical continuation of my artistic engagement for this photo series with art in an art-historical context. To stage the exhibition beyond itself, to regard it as a performance, and to present the visitor with not only the finished product but to let them take part in this process and in an exaggerated form, is reflexive upon the entire process of art-making: its origination, its manipulation, its marketing, its assertion, and not least its contemporary social position. The images from the series R ECONSTRUCTION OF HISTORY elucidate my interest in art’s central questions in the broadest sense: including the art market, where in my assessment nothing fundamental has changed. Art always results in a temporary social dependence. The supposed freedom of art is an illusion. 60 In the performance MEMENTO MOR I , I face a human size bread sculpture and carry on a conversation with it. Using a copy of my body, the dough is formed and baked to be my bread clone. During the 6 hours, the topics of the conversation are differences of approach and points of contact. The confrontation allows a direct comparison. The impetus of this performance is given by development and discussions on human reproduction and the technology of gene manipulation. Scientific research is working at full stretch on cloning humans. The smallest component of a human, DNA, is being decoded. In the broader sense bread means food, consumption, living costs. Bread has been with us since the Stone Age. I set up an allegory dealing with questions about human omnipotence, sacrilegious pride and the idea of hybris. And I am not sure if humanity is aware of the consequences of scientific development. MEMENTO MORI , (“remember that you have to die”). 61 Die Forschung arbeitet auf Hochtouren daran, einen Menschen zu klonen oder zumindest ein menschliches Ersatzteillager aufzubauen. Der kleinste Baustein des Menschen, die DNA ist entschlüsselt. Auch ich reproduziere den Menschen. Dabei setze ich dem Menschen archaisches Material bewusst gegenüber: das seit der Jungsteinzeit bekannte Brot. Im weiteren Sinne bedeutet Brot Nahrungsaufnahme und Lebenserhalt. Ich stelle ein Gleichnis auf, das die Frage der menschlichen Allmacht und die menschliche Hybris in Frage stellt. MEMENTO MORI („Gedenke des Todes“). Maximale Größe THE POWER OF THE WORDS, 2014 Performance duration: 6 hours Marktkirche, Goslar, Germany In THE POWER OF THE WORDS greife ich auf drei Gegebenheiten zurück. Zum einen auf meine kindlichen Erfahrungen, in denen ich stundenlang im Sandkasten Bilder mit den Fingern in den Sand gezeichnet habe und so ganze Welten entstehen ließ. In der nicht abreißenden Konzentration fand ich mich wieder in einer Art von Meditation. Zum anderen bin ich bei weiteren Recherchen auf die Rituale der traditionellen Sandbilder der Navajo-Indianer gestoßen, die in den Sand Berge, Blitze, heilige Pflanzen und heilige Wesen zeichnen. Mit Gesängen und Gebeten entsteht auf dem Boden ein Sandbild, in das sich ein Kranker setzt, das ihm nach dem Glauben der Navajo-Indianer die Kraft zur Heilung schenkt. Vor Sonnenuntergang wird das Sandbild mit einer heiligen Feder zerstört und der Patient ist geheilt, so die Überlieferung. Dieses Ritual wird ausschließlich von Medizinmännern ausgeführt. TRUST, 2004 Performance duration: 2.5 hours CLEANING THE HOUSE, 2004 Montenmedio Arte Contemporaneo, Cádiz, Spain In dieser Performance schreibe ich mit meinen Fingern Wörter in den feinen ausgestreuten Sand. Jedes Wort bekommt innerhalb eines quadratischen Musters seinen Platz. Folgende Wörter habe ich ausgewählt aus dem christlich-jüdischen Moralkontext: Liebe, Wärme, Hochmut, Eitelkeit, Stolz, Übermut, Geiz, Habgier, Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Zorn usw. Meine Frage ist nun an das Publikum gerichtet, ob diese traditionellen christlichen Moralbegriffe noch für sie eine Rolle spielen. Wenn dem so ist, was ändert das am täglichen Miteinander? During the performance THE POWER OF THE WORDS I look back to my childhood, where I endlessly finger painted pictures in the sandpit, creating a complete cosmos for myself alone. Nowadays it seems to me that it was a kind of meditation, an escaping of time and space. Later in my researches I came upon the traditional rituals of the American Indian Navajo tribe, who draw mountains, lightning, holy plants and holy sites into the sand. In one medicinal ritual, the Navajo, accompanied by singing and prayers, create a sand picture of an ailing patient seated on the ground. Before sunset the sand picture is destroyed with a holy feather that is used exclusively by the medicine man, and the patient is thus healed. In this performance I draw with my fingers words in the sand that are spread out on the floor in squares. At the end of the performance every word has its own space in my pattern on the floor. Hate, foolishness, vanity, narcissism are some of the negative expressions; some of the positive ones are temperance, prudence, courage, justice. For me it is a personal question as well as a question directed at the audience, as to whether these traditional Christian qualities and values are still important to them. And if so, what does it mean for them in everyday life? 62 Liegend auf einem Oxer, vertrauensvoll auf den Augenblick wartend, bis das Pferd springt. In diesem Moment werden das Pferd, Reiter und ich zu einer Einheit. In the performance TRUST I focus on the moment when a showjumping horse has to jump over a fence. I lie on the fence to create a contradiction for this moment. Horses will not jump over a human body. This works as a united constellation between the horse, the person riding it, and me. 63 IRIS R. SELKE geboren 13. Oktober 1966 in Bielefeld (NRW). Lebt und arbeitet in Braunschweig. 1995 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) in der Grundklasse Mara Mattuschka 1996 Studium Fotografie bei Prof. Dörte Eißfeldt, Performance bei der Butoh-Tänzerin Prof. Anzu Furukawa, Film bei Prof. Birgit Hein. 1997 Performance bei Marina Abramović. 1998 Austauschstudentin „The School of the Art Institut of Chicago“, USA. 2002 Diplom an der HBK. 2003 Meisterstudium an der HBK bei Marina Abramović abgeschlossen. AUSGEWÄHLTE AUSSTELLUNGEN SELECTED EXHIBITIONS born October 13, 1966 in Bielefeld, North Rhineland Westphalia, Germany. 1995 Study at the Braunschweig University of Art, Lower-Saxony, Germany. The elementary course with Professor Mara Mattuschka. 1996 Photography with Professor Dörte Eißfeldt, performance with Professor Anzu Furukawa and film and video with Professor Birgit Hein. 1997 Professor Marina Abramović, performance, room concept. 1998 Exchange “The School of the Art Institute of Chicago”, USA. 2002 Degree Braunschweig University of Art, Germany. 2003 ‘Meisterstudium’ at Braunschweig University of Art, Germany. 2005 2003 AS SOON AS POSSIBLE—PERFORMANCE LOOP , PAC Milano, Italy. FREMDE. ORTE., Museum für Photographie, Braunschweig, Germany. RECYCLING THE FUTURE , Biennale International Art Exhibition Venice, Italy. 2004 Workshop, Montenmedio Arte Contemporaneo, Cádiz, Spain. NUDE WITH SKELETON , MARTa Herford, Germany. CLEANING THE HOUSE, GIFTED GENER ATION—IN THE HEBBEL THEATRE , Berlin, Germany. PERSISTENT AND GR ADUAL LOSE OF SELF-CONTROL , Van Gogh Museum, Amsterdam, Netherlands. 2007 BIENNALE DANZA 2007, 5 th International Festival of Contemporary Dance Body & Eros, Venice, Italy. KUNSTFILMTAGE DÜSSELDORF, Dusseldorf, Germany. 2008 PERSONAL IDENTIT Y—VIDEO ART FESTIVAL MIDEN , Kalamata, Greece. 2009 HIER AND ANDERSWO , MARTa Herford, Germany. 2011 SÉQUENCE COURT-MÉTR AGE , Goethe Institut, Toulouse, France. 2012 FESTIVAL ELLES TOURNENT, Brussels, Belgium. 2014 INTENSIVSTATION, BBK Braunschweig, Germany. DIE NEUEN IM BBK , BBK Braunschweig ABBILDUNGEN / PLATES Camera / Videostills Oliver Blomeier: p. 54. filmstill: p. 6. En-Hey Hwang: p. 60. Tom Schön/Anton Soloveychik: p. 8, 9. Deborah Uhde: p. 55. Photography Andrea Bellu: p. 58. Gabi Bochert: p. 34 - 41. Anne Klaus: p. 29. Maurice Korbel: p. 50. Jürgen Bernhard Kuck: p. 62. Nina Maria Küchler: p. 61. Matthias Langer: p. 22/23, 26/27. Hannes Malte Mahler p. 44/45. Renate Mucher: p. 57. Eugenio Percossi: p. 53. Carola Schmidt: p. 30, 51, 56. Iris Selke: p. 12 15, 17 (unter Verwendung zweier Fotos von Viola Ayla Yesiltaç), 18, 19, 20, 21, 25, 31, 32, 33, 57. Anton Soloveychik: p. 48/49, 59. Melati Suryodarmo: p. 7, 61, 63. Viola Ayla Yesiltaç: p. 46, 47, 52. Dank an / Thanks to Marina Abramović, Michaela Andioff, Ulli Becker, Gerald Büttenbender, Peter Dargel, Yingmei Duan, Karl Eden, Daniel Eisenberg, Dörte Eißfeldt, Ekki Fischer, Anzu Furukawa, Birgit Hein, Agnes Heine, Annette Hollywood, Ki Jung Hug, Ruth Hutter, Julie Jaffrennou, Heinrich Kampani, Kimi Klemm, Jan Korthkrämer, Sebastian Kraft, Florian Krautkrämer, Matthias Langer, Steffen Lepa, Reinhard Lutz, Sabine Marx, Dr. Anne Mueller von der Haegen, Thekla Offermann, Yvonne Rainer, Declan Rooney, Martin Salzer, Gundel Scholz, Nicole Scholz, Dr. med. Simone Sehlleier, Thomas Steen, Bine Stuckenbrock, Kalle Weghorn, Dr. med. Thomas Wimmer. Mein besonderer Dank für die jahrelange Unterstützung und Inspiration gilt Carola Schmidt und Brigitte Siebrasse. Text Carina Herring: p. 23. Jessica Reintjes: p. 2/3. Iris R. Selke: others Übersetzung / Translation Mathew Burbidge ISBN 978-3-00-048661-6 Germany. 64