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Schriftenreihe des Instituts für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER)
Forschungsbericht – Nr. 28
Ralf Pieper
Karl-Heinz Lang
(Hrsg.)
Sicherheitswissenschaftliches
Kolloquium 2011 – 2012
Band 8
Wuppertal
Mai 2013
Der hier vorliegende Forschungsbericht – Nr. 28 ist die Dokumentation der eingereichten Schriftbeiträge der Autoren, die innerhalb des Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums in den Jahren 2011
und 2012 (Wintersemester 2011/2012 und Sommersemester 2012 sowie der erste Beitrag im Wintersemester 2012/2013) Vorträge gehalten haben. Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium, durchgeführt vom Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht der Bergischen Universität Wuppertal in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie
e.V. (ASER), beschäftigt sich u. a. mit den sich im Wandel befindlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Sicherheit, Gesundheit und Qualität. Die Verantwortung für den Inhalt der Einzelbeiträge dieser Veröffentlichung liegt bei der jeweiligen Autorin bzw. dem jeweiligen Autor.
Herausgeber:
apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper
Bergische Universität Wuppertal
Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht
Gaußstraße 20
42097 Wuppertal
E-Mail: [email protected]
Internet: www.suqr.uni-wuppertal.de
Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang
Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V.
(ASER)
Corneliusstraße 31
42329 Wuppertal
E-Mail: [email protected]
Internet: www.institut-aser.de
 by Institut ASER e.V., Wuppertal, 2013
Druck: buch bücher dd ag, Birkach
Printed in Germany 2013
ISBN 978-3-936841-25-1
Alle Rechte einschließlich der fotomechanischen Wiedergabe
und des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
www.institut-aser.de
www.suqr.uni-wuppertal.de
In die Schriftenreihe Forschungsberichte des Instituts ASER e.V. werden seit dem Jahr 2001 u. a.
auch solche Forschungsergebnisse eingestellt, die in Bezug auf die auftraggebende(n) Organisation(en) oder auf die beteiligten Kooperationspartner aus Gründen des Datenschutzes vorerst nicht in
einer zusammenhängenden Darstellungsform frei veröffentlicht werden können und eine Anonymisierung dieser alleinstehenden Forschungsergebnisse nicht möglich ist oder noch nicht vorgenommen
werden konnte. Die Aufarbeitung der Forschungsergebnisse in die Form der formalisierten Forschungsberichte des Instituts ASER e.V. dient dazu, diese Forschungsergebnisse in spätere Veröffentlichungen dann mit geringerem Aufwand einfließen zu lassen.
Vorwort und Einleitung
Vorwort und Einleitung
Im vorliegenden Forschungsbericht sind die Beiträge der 75. bis 84. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquien verfasst, welche im Wintersemester 2011/2012 und
im Sommersemester 2012 vom Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und
Qualitätsrecht der Bergischen Universität Wuppertal in Kooperation mit dem Institut
für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) veranstaltet wurden und interessierte Kreise im Land Nordrhein-Westfalen flächenwirksam erreicht
hat.
Anlässlich der fortdauernden Wirtschafts- und Finanzkrise ist nach dem Sonderkolloquium über die Rechte der Beschäftigten in der Krise vom Februar 20091 diese
Thematik erneut aufgegriffen worden. Hierfür konnte der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Manfred Zöllmer gewonnen werden, welcher im November 20122
u. a. die Fragestellungen „Wie sollte der andauernden Finanzkrise entgegengesteuert werden und welche Auswirkungen kann dies für die Zukunft der Arbeitswelt
darstellen?“ diskutierte. Aus Relevanzgründen wird der dazu verschriftete Beitrag
vorgezogen und schon in Band 8 eingestellt. Die weitere Auseinandersetzung mit
dieser weltweit relevanten Thematik innerhalb der zukünftigen Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquien kann direkt oder indirekt – mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit – erwartet werden.
Für ihr großes Engagement danken wir allen Referenten ganz herzlich, die ihre Beiträge zusätzlich von der Präsentationsform in die – nunmehr hier vorliegende –
Schriftform für den Forschungsbericht – Nr. 28 „Sicherheitswissenschaftliches
Kolloquium 2011 – 2012 (Band 8)“ transferiert haben. Dieser Dank gilt selbstredend allen Referenten, die dies schon für die sieben vorangegangenen Forschungsberichte zum Sicherheitswissenschaftlichem Kolloquium3 geleistet haben.
1
Pieper, Ralf:
Arbeitsschutz in der Krise – Krise des Arbeitsschutzes
Sicherheitswissenschaftliche Sonderkolloquium, 3. Februar 2009, Institut ASER e.V., Wuppertal
2
Zöllmer, Manfred:
Die Wirtschafts- und Finanzkrise als Herausforderung für die Zukunft der Arbeitswelt
85. Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium, 13. November 2012, Institut ASER e.V., Wuppertal
3
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2004 – 2005 (Band 1)
Forschungsbericht - Nr. 13, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-10-7, Wuppertal, Januar 2006
(s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de)
...
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2010 – 2011 (Band 7)
Forschungsbericht - Nr. 27, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-23-7, Wuppertal, April 2012
(s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de
3
Ralf Pieper & Karl-Heinz Lang
Die Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquien 2011 – 2012 dienten der fachlichen
Weiterentwicklung und dem Wissenschaftstransfer des regionalen Schlüsselprojekts Design4All – Das Mehrgenerationengütesiegel, welches im Rahmen des
aus dem „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)“ kofinanzierten
Operationellen Programms für das Land Nordrhein-Westfalen zum Ziel "Regionale
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" von der Europäischen Union und dem
Land Nordrhein-Westfalen gefördert wurde.
Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium versteht sich seit seinem Start im Frühjahr 2004 auch als pragmatischer Beitrag zur Weiterentwicklung der „Wuppertaler
Sicherheitswissenschaft“. Es wird nachhaltig von den fachlich interessierten
Kreisen und Bürgern zum jeweilig aktuellen Themenbereich weit über das Bergische
Städtedreieck und das Bergische Land hinaus zum Wissens- und Wissenschaftstransfer genutzt.
Die Herausgeber würden sich freuen, auch mit dem nun vorliegenden Forschungsbericht – Nr. 28 „Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2011 – 2012 (Band 8)“
sowie auch den zukünftigen Veranstaltungen des Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquiums, Anstöße sowie Diskussions- und Lösungsbeiträge für gesellschaftlich
relevante Fragestellungen der Sicherheitswissenschaft und darüber hinaus geben zu
können.
Den interessierten Kreisen und Bürgern in und über das Bergische Städtedreieck
und das Bergische Land hinaus soll ein Forum für den sicherheitswissenschaftlichen
Wissenstransfer, betriebliche Lösungsmöglichkeiten und konstruktive Diskussionen
gegeben werden sowie hierdurch auch das Profil der Wuppertaler Sicherheitswissenschaft und der Bergischen Universität Wuppertal weiterentwickelt und damit
gestärkt werden.
Wuppertal, im Mai 2013
Ralf Pieper & Karl-Heinz Lang
4
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Einleitung ..................................................................................... 3
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. 5
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 9
Tabellenverzeichnis ........................................................................................ 15
1
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen
der Finanzkrise? (MANFRED ZÖLLMER) .................................. 17
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
1.7
Einleitung .................................................................................... 17
Ursachen der Krise ..................................................................... 18
Ziele einer vernünftigen Regulierung .......................................... 20
Auswirkungen auf die Realwirtschaft .......................................... 23
Auswirkung auf die Finanzindustrie? .......................................... 24
Schlussfolgerungen..................................................................... 25
Fazit ............................................................................................ 27
2
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
(CHRISTOPH PISTNER) ............................................................. 29
2.1
Funktionsweise eines Kernreaktors und Grundlagen
der Reaktorsicherheit .................................................................. 30
Kernspaltung............................................................................... 30
Funktionsweise eines Kernreaktors ............................................ 31
Grundlagen der Reaktorsicherheit und die
Kernschmelzproblematik............................................................. 33
Die Anlage Fukushima Daiichi und wesentliche
Sicherheitssysteme der Anlage................................................... 35
Aufbau der Reaktoren ................................................................. 37
Wichtige Sicherheitssysteme ...................................................... 38
Chronologie des Unfallablaufs .................................................... 43
Block 1 ........................................................................................ 46
Block 3 ........................................................................................ 48
Block 2 ........................................................................................ 50
Block 4 ........................................................................................ 50
Blöcke 5 und 6 ............................................................................ 52
Weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Anlagen.................. 52
Unfallursachen und Lehren ......................................................... 53
Quellen und wichtige weiterführende Literatur ............................ 55
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.2
2.2.1
2.2.2
2.3
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.3.4
2.3.5
2.3.6
2.4
2.5
3
Die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse
– LMM MA (ULF STEINBERG) .................................................. 58
3.1
3.2
3.3
Einleitung .................................................................................... 58
Anwendungsbereich der LMM MA .............................................. 59
Methodische Aspekte bei der Beurteilung von
manuellen Arbeitsprozessen....................................................... 61
5
Inhaltsverzeichnis
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
3.9
Das „System Leitmerkmalmethoden“.......................................... 63
Die LMM MA und ähnliche Methoden ......................................... 64
Die Evaluation der LMM MA 2007 und 2011............................... 66
Die LMM MA 2011 ...................................................................... 70
Ausblick....................................................................................... 71
Literatur....................................................................................... 72
4
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten
für Arbeitsmittel (RALF PIEPER & BERND SCHALAU) ............... 74
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Einleitung .................................................................................... 74
Allgemeine Rahmenbedingungen ............................................... 75
Kurzfassung der Methodik .......................................................... 76
Fazit ............................................................................................ 83
Literatur....................................................................................... 83
5
Psychische Belastungen bei der Arbeit –
Stand der Erkenntnisse und Handlungshilfen
(GABRIELE RICHTER) ............................................................... 85
6
Sicherheit im Spannungsfeld von Gefahrenabwehr
und Freiheitsrechten (KATHRIN WAHNSCHAFFE) .................... 88
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
6.7
6.8
6.9
6.10
6.11
6.12
6.13
6.14
Einleitung .................................................................................... 88
Gefahrenabwehr als Aufgabe des modernen Nationalstaates .... 88
Wahrnehmung von Gefahr.......................................................... 89
Freiheitsrechte bzw. Schutzrechte .............................................. 91
Freiheitlicher Rechtsstaat vs. Präventionsstaat .......................... 92
Massenkontrolle durch Informationsmasse................................. 94
Sicherheit statt Freiheit ............................................................... 96
Der Fall Holm .............................................................................. 98
Strukturen und Gruppenprozesse ............................................... 99
Konformitätsexperiment von Solomon Asch (1951) .................... 99
Die Kognitive Dissonanz von Leon Festinger 1959................... 101
Der Bystander-Effekt................................................................. 103
Das Milgram-Experiment........................................................... 104
Literatur..................................................................................... 108
7
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen
Republik (DDR) – Zwischen Anspruch und
Wirklichkeit (LUTZ WIENHOLD) ............................................. 110
7.1
Der Dualismus wird zerschlagen – eine neue
Zersplitterung aufgebaut ........................................................... 110
Politisierung und Instrumentalisierung des
Arbeitsschutzes der DDR.......................................................... 114
Rechtliche Grundlagen des DDR-Arbeitsschutzes.................... 120
Sicherheitsinspektoren und Betriebsärzte................................. 126
Inhaltliche Grundlagen des Arbeitsschutzes ............................. 135
Arbeitsschutz und Führungstätigkeit ......................................... 145
Trotz allem: Ständig sinkende Unfallzahlen .............................. 153
7.2
7.3
7.4
7.5
7.6
7.7
6
Inhaltsverzeichnis
8
Das neue Produktsicherheitsgesetz (DIRK MORITZ)........... 158
8.1
8.2
8.3
8.4
8.5
8.6
8.7
8.8
8.9
8.10
Einleitung .................................................................................. 158
Anlass der Überarbeitung ......................................................... 158
Neue Begriffe im Produktsicherheitsgesetz .............................. 160
Der Anwendungsbereich des ProdSG ...................................... 161
Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes....................... 162
Notifizierte Stellen ..................................................................... 163
Das GS-Zeichen ....................................................................... 164
Marktüberwachung ................................................................... 164
Informationen der Öffentlichkeit ................................................ 165
Ausblick..................................................................................... 166
9
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz –
Wegschauen oder Handeln? (MARTIN WOLMERATH) ........... 167
9.1
9.2
9.3
9.4
9.5
9.6
9.7
Begriffsbestimmung .................................................................. 167
Erscheinungsformen ................................................................. 168
Erscheinungshäufigkeit ............................................................. 172
Gefahren und Risiken ............................................................... 172
Ursachen................................................................................... 173
Erste Anzeichen erkennen ........................................................ 174
Handlungsmöglichkeiten für ein besseres
miteinander Umgehen............................................................... 174
Ausblick..................................................................................... 177
9.8
10
Quantitative Risikoanalyse: Methodik und
Anwendungsbeispiele (YVONNE DREWITZ) .......................... 178
10.1
10.2
Einleitung .................................................................................. 178
Beschreibung der Methodik zur Durchführung
einer QRA in Deutschland......................................................... 179
Prinzipieller Ablauf der Methodik............................................... 179
Gefahrenanalyse....................................................................... 180
Grund- und Betriebsrisiko ......................................................... 182
Ausfalldaten für das Grund- und Betriebsrisiko......................... 184
Szenarienentwicklung ............................................................... 185
Auswirkungsbetrachtungen....................................................... 186
Zündwahrscheinlichkeit............................................................. 186
Anwendungsbeispiele ............................................................... 187
Anlagenrisiko im Vergleich zum Sicherheitsabstand
nach TRB 801 Nr. 25 Anlage .................................................... 188
Einfluss der Zündwahrscheinlichkeit auf das Anlagenrisiko ...... 192
Einfluss der störfallbegrenzenden Maßnahmen
auf das Anlagenrisiko................................................................ 192
Vergleich mit international verwendeten Risikogrenzwerten ..... 194
Fazit und Zusammenfassung.................................................... 195
Literaturverzeichnis ................................................................... 196
10.2.1
10.2.2
10.2.3
10.2.4
10.2.5
10.2.6
10.2.7
10.3
10.3.1
10.3.2
10.3.3
10.4
10.5
10.6
7
Inhaltsverzeichnis
11
Psychische Belastungen als Herausforderungen
für die Prävention – Erfahrungen aus der
betrieblichen Beratung (RALF BUCHSTALLER) ..................... 199
11.1
11.2
11.3
11.5.5
11.6
Einführung................................................................................. 199
Rechtliche Grundlagen.............................................................. 201
Begriffe und Definitionen zu psychischer Belastung
und Beanspruchung.................................................................. 202
Psychische Belastung ............................................................... 203
Psychische Beanspruchung...................................................... 203
Folgen der psychischen Beanspruchung .................................. 204
Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung ..... 204
Systematik zur Erfassung der psychischen Belastung
und Beanspruchung beim TÜV NORD...................................... 206
Orientierendes Verfahren / subjektives Verfahren:
ChEF – Checklisten zur Erfassung von
Fehlbeanspruchungsfolgen....................................................... 206
Orientierendes Verfahren / objektives Verfahren:
KPB – Kurzverfahren psychische Belastung............................. 207
Screening Verfahren / objektives Verfahren:
SIGMA – Screening-Instrument zur Bewertung und
Gestaltung von menschengerechten Arbeitstätigkeiten ............ 207
Screening Verfahren / subjektives Verfahren:
BASA II – Bewertung von Arbeitsbedingungen Screening für Arbeitsplatzinhaber ............................................ 208
Expertenverfahren: Moderierte Gefährdungsbeurteilung .......... 208
Zusammenfassung und Ausblick .............................................. 209
12
Autoren- und Herausgeberverzeichnis ............................. 211
13
Veranstaltungsverzeichnis................................................ 213
14
Verzeichnis der Forschungsberichte................................ 231
11.3.1
11.3.2
11.3.3
11.4
11.5
11.5.1
11.5.2
11.5.3
11.5.4
8
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1
Prof. Dr. rer. pol. Ralf Pieper leitete am 13. November 2012
das 85. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium
thematisch ein und ... ............................................................ 28
Abb. 1.2
... Manfred Zöllmer, MdB, skizzierte beim Kolloquium
in Wuppertal die Ziele einer vernünftigen Regulierung
der internationalen Finanzmärkte........................................... 28
Abb. 2.1
Darstellung eines Siedewasserreaktors.
Quelle: Öko-Institut e.V. ........................................................ 32
Abb. 2.2
Schematischer Aufbau von Brennelementen und
Reaktordruckbehälter in Siedewasserreaktoren.
Quelle: U.S. NRC. ................................................................. 33
Abb. 2.3
Nachzerfallsleistung der Reaktoren Fukushima Daiichi 1-3
im Zeitraum bis zu einem halben Jahr nach dem Ereignis
vom 11.03.2011. Quelle: TEPCO. .......................................... 34
Abb. 2.4
Luftbild vom Standort Fukushima Daiichi vor dem Ereignis
vom 11.03.2011. Quelle: TEPCO. .......................................... 36
Abb. 2.5
Schematischer Aufbau eines Siedewasserreaktors mit
einem Sicherheitsbehälter vom Mark-I Typ (links) sowie
Foto eines Mark-I Sicherheitsbehälters im Bau
(Browns Ferry Block-1, USA). Quelle: Wikipedia. ................... 37
Abb. 2.6
Aufbau des Hochdruck-Nachspeisesystems (Reactor Core
Isolation Cooling System, RCIC). Quelle: U.S. NRC. .............. 39
Abb. 2.7
Aufbau des Nachwärmeabfuhrsystems (Residual Heat
Removal System, RHR). Quelle: U.S. NRC. .......................... 41
Abb. 2.8
Aufbau des Notkondensators (Isolation Condenser, IC).
Quelle: NAIIC. ....................................................................... 42
Abb. 2.9
Überflutungshöhe am Standort Fukushima Daiichi und
Höhenschema wichtiger sicherheitstechnischer
Einrichtungen. Quelle: INPO. ................................................. 44
Abb. 2.10
Dr. Christoph Pistner vom Öko-Institut e.V. aus Darmstadt
bei seinem Referat beim sehr gut besuchten 75. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium am 22. November 2011 in
Wuppertal-Vohwinkel............................................................. 56
9
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.11
Bericht der Westdeutschen Zeitung vom
25. November 2011. .............................................................. 57
Abb. 3.1
Montage von Modelleisenbahnen........................................... 59
Abb. 3.2
Einlegen/Entnehmen von Teilen und Auslösen
einer Presse .......................................................................... 60
Abb. 3.3
Anforderungen, Beanspruchungen und -folgen bei
physischer Arbeit................................................................... 61
Abb. 3.4
Variablenmodell für die Entstehung von gesundheitlichen
Beschwerden ........................................................................ 62
Abb. 3.5
Bewertungsschema aller Leitmerkmalmethoden .................... 63
Abb. 3.6
Übersicht über die Merkmale und der Bewertungsalgorithmen der verglichenen Methoden ................................ 65
Abb. 3.7
Kongvergenzvalidität: Vergleich der Beurteilungsergebnisse
von 18 Tätigkeiten aus dem Forschungsbericht F 2195 ......... 66
Abb. 3.8
Beschwerden im Bereich der Hände in Bezug auf die
Jahresprävalenz in Abhängigkeit von der Belastungshöhe
nach LMM MA Version 2007 (Prävalenzratios mit
95%-Konfidenzintervallen) ..................................................... 67
Abb. 3.9
Beschwerden im Bereich Ellenbogen/unterarm in Bezug
auf die Jahresprävalenz in Abhängigkeit von der
Belastungshöhe nach LMM MA Version 2007
(Prävalenzratios mit 95%-Konfidenzintervallen) ..................... 68
Abb. 3.10
Vergleich der Beurteilungsergebnisse zwischen
LMM MA 2007 und LMM MA 2011 ......................................... 70
Abb. 3.11
Methodenebenen des geplanten Gemeinschaftsvorhaben
BAuA und IFA der DGUV....................................................... 72
Abb. 3.12
Prof. Ralf Pieper leitete das Thema mit einem Absatz aus
„Biologie der menschlichen Arbeit“ von KOELSCH (1927)
ein......................................................................................... 73
Abb. 3.13
Dipl.-Ing. Ulf Steinberg stellte die wissenschaftlichen
Grundlagen der Leitmerkmalmethode Manuelle
Arbeitsprozesse in Wuppertal vor. ......................................... 73
10
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4.1
Prof. Ralf Pieper referierte u.a. auch über die anstehende
Novellierung der Betriebssicherheitsverordnung..................... 84
Abb. 4.2
Teilnehmerschaft beim 77. Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquium am 10. Januar 2012 im Institut ASER e.V.
in Wuppertal-Vohwinkel. ........................................................ 84
Abb. 5.1
Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen
(Toolbox Version 1.2, F1965, 2010) ....................................... 85
Abb. 5.2
BAuA-Faltblatt zur Toolbox Version 1.2, F22, 2008) ............... 85
Abb. 5.3
Teilnehmerschaft beim 78. Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquium im „Hettinger-Saal“ im Institut ASER e.V. in
Wuppertal-Vohwinkel............................................................. 86
Abb. 5.4
Eintreffende Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der
Institutsbibliothek (1. Stock), wohin obligatorisch alle
Kolloquien live übertragen werden. ........................................ 86
Abb. 5.5
Prof. Ralf Pieper begrüßt – wie immer – ganz besonders
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der
Institutsbibliothek (1. Stock). .................................................. 87
Abb. 5.6
Dr. Gabriele Richter von der BAuA aus Berlin referierte
am 24. Januar 2012 in Wuppertal über psychische
Belastungen bei der Arbeit..................................................... 87
Abb. 6.1
Aspekte der Thematik Gefahrenabwehr und Freiheitsrechte
stellte Dipl.-Soz.-Wiss. Kathrin Wahnschaffe (BUW)
in Wuppertal vor. ................................................................. 109
Abb. 7.1
Überbetriebliche Überwachungsorgane im Arbeitsschutz
der DDR .............................................................................. 114
Abb. 7.2
Deckblatt einer UVV Beispiel für die propagandistische
Nutzung von Arbeitsschutzvorschriften in der SBZ ............... 115
Abb. 7.3
Beispiel für die Übernahme von Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften in das
Vorschriftenwerk der SBZ .................................................... 121
Abb. 7.4
Übersicht zum Rechtssystem im Arbeitsschutz der DDR ...... 126
Abb. 7.5
Überwachungsorgane im Gesundheitswesen erwarteten
von Betriebsärzten auch Kontrolle im Arbeitsschutz ............. 130
11
Abbildungsverzeichnis
Abb. 7.6
Prozentuale Verteilung (Struktur) der Exponierten
der DDR nach Belastungsfaktoren 1989 .............................. 131
Abb. 7.7
Entwicklung der Exponierten gegenüber Belastungsfaktoren in der DDR (Anzahl der Berufstätigen in 1.000) ...... 133
Abb. 7.8
„Sozialistische“ Prinzipien des Arbeitsschutzes .................... 136
Abb. 7.9
Maßnahmen zur Gewährleistung sicherer und
erschwernisfreier Arbeitsbedingungen und ihre
Rangfolge – Modell (1980)................................................... 139
Abb. 7.10
Qualitätsmerkmal Schutzgüte in der Rangfolge
der Schutzmaßnahmen........................................................ 140
Abb. 7.11
Stellung von „Arbeitsverfahren“ im Arbeitssystem ................ 141
Abb. 7.12
Symbole, die für Arbeitsfolgeuntersuchungen genutzt
wurden ................................................................................ 142
Abb. 7.13
Entwicklung von Arbeitserschwernissen in der DDR
gemäß Berichterstattung der Betriebe zur
Wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (WAO).................... 144
Abb. 7.14
Organe im betrieblichen Arbeitsschutz der DDR................... 146
Abb. 7.15
Elemente der Einbeziehung des Arbeitsschutzes
in die Führungstätigkeit im Betrieb ....................................... 147
Abb. 7.16
Betriebliche Berichterstattung zu Exponierten gegenüber
arbeitshygienischen Bedingungen........................................ 151
Abb. 7.17
Unterscheidung von Ergebnis- und Zustandskennzahlen ..... 152
Abb. 7.18
Entwicklung der Unfallquote in der DDR .............................. 154
Abb. 7.19
Dr. Lutz Wienhold (ehem. Systemkonzept) am
24. April 2012 beim 80. Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquium in Wuppertal. ..................................................... 157
Abb. 8.1
Umsetzung europäischen Rechts mit dem
Produktsicherheitsgesetz..................................................... 160
Abb. 8.2
Produktbereiche nach Produktsicherheitsgesetz .................. 162
12
Abbildungsverzeichnis
Abb. 8.3
Dipl.-Ing. Dirk Moritz vom Bundesministerium für Arbeit
und Soziales (BMAS) aus Bonn beim 81. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium am 15. Mai 2012
in Wuppertal-Vohwinkel. ...................................................... 166
Abb. 9.1
Dr. jur. Martin Wolmerath beim 82. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium am 5. Juni 2012 in
Wuppertal-Vohwinkel........................................................... 177
Abb. 10.1
Ablauf der Methodik............................................................. 179
Abb. 10.2
Fehlerbaum für das Behälterbersten .................................... 184
Abb. 10.3
Betriebsbereich der Flüssiggaslagerbehälteranlage ............. 188
Abb. 10.4
Grundrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] ................................ 189
Abb. 10.5
Betriebsrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] ............................. 189
Abb. 10.6
Anlagenrisiko (gesamt) der Flüssiggasanlage [1/a] .............. 190
Abb. 10.7
Anlagenrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] unter Verwendung
des Zündwahrscheinlichkeitsmodells von Cox...................... 192
Abb. 10.8
Anlagenrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] unter
Berücksichtigung der störfallbegrenzenden Maßnahmen
durch die Feuerwehr............................................................ 193
Abb. 10.9
Anlagenrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] unter
Berücksichtigung der störfallbegrenzenden
Maßnahmen durch das Betriebspersonal ............................. 193
Abb. 10.10
Dr.-Ing. Yvonne Drewitz von der TÜV Rheinland
Industrie Service GmbH aus Berlin beim intensiven
Erfahrungsaustausch mit …................................................. 198
Abb. 10.11
… über 30 Fachleuten – trotz parallel laufender
UEFA EURO 2012 – bei der Abendveranstaltung
am 19. Juni 2012 in Wuppertal. ........................................... 198
Abb. 11.1
Fälle der Arbeitsunfähigkeit (AU) nach Krankheitsarten
in den Jahren 1999 bis 2009, Indexdarstellung 1998 =
100% (Quelle: Macco & Stallauke, 2010, S. 296) ................ 200
Abb. 11.2
Systematik zur Erfassung der psychischen Belastung
und Beanspruchung beim TÜV NORD ................................. 206
13
Abbildungsverzeichnis
Abb. 11.3
Beim 84. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium stellte
Dr. Ralf Buchstaller vom TÜV Nord aus Hamburg ein
dreistufiges Verfahren vor.................................................... 210
Abb. 11.4
Am 24. Juni 2012 beteiligten sich rund 30 Fachleute
aus Nordrhein-Westfalen an der sommerlichen
Abendveranstaltung in Wuppertal. ....................................... 210
14
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 3.1
Stärke des Zusammenhanges zwischen Bewertungen
der LMM MA und Beschwerden in Körperregionen................. 68
Tab. 7.1
Allgemeiner Skalierungsmaßstab zur Bewertung
von Gesundheitsgefährdungen in der DDR .......................... 152
Tab. 10.1
Zusammenstellung der Gefahrenquellen.............................. 181
Tab. 10.2
Ermittelte Risikowerte für die verschiedenen Anlagen .......... 194
Tab. 10.3
Risikogrenzwerte im Kontext mit Genehmigungsverfahren ... 194
Tab. 11.1
Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz.................................. 201
15
16
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
1
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen
der Finanzkrise? (MANFRED ZÖLLMER)
85. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 13. November 2012
in Wuppertal
Manfred Zöllmer, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages, Wuppertal / Berlin
Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages,
Verwaltungsratsmitglied der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),
Vorsitzender des Verbraucherbeirates der Schufa Holding AG
1.1
Einleitung
Es war der 15. September 2008 als Lehman Brothers zusammenbrach. Bis dahin
konnte sich niemand vorstellen, dass dies wirklich passieren könnte.
Die dann folgende Finanzmarktkrise als Mutter aller Krisen zu bezeichnen ist vielleicht übertrieben. Sie ist aber sicherlich verantwortlich für vieles, was aktuell die
Wirtschaftsentwicklung bestimmt. Man schaue nur auf die neuesten Entwicklungen
der Krise in Europa, die ganz wesentlich beeinflusst sind durch die Finanzmarktkrise.
Ich spreche ganz bewusst nicht von einer Euro-Krise, denn dem Euro geht es nämlich gut.
Die Finanzmarktjongleure haben uns die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit beschert. Mit ihrer Casinomentalität haben sie sich schlichtweg verzockt. Im
Spätsommer 2008 stand das internationale Finanzsystem und damit die Weltwirtschaft kurz vor dem Zusammenbruch. Ursache dieser Krise war die Marktgläubigkeit
der meisten Wirtschaftswissenschaftler und die Gier der meisten Manager in dieser
Branche. Geld sollte mit Geld verdient werden – mit Wetten.
Im Jahr 1980 betrug das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) 10,1 Billionen Dollar
und die globalen Finanzanlagen betrugen 12 Billionen Dollar. Im Jahr 2007 betrug
das globale BIP 55,5 Billionen Dollar und die Finanzanlagen 197 Billionen Dollar.
Wir können es nicht den Wissenschaftlern und den Managern, die uns in diese Krise
manövriert haben, überlassen, diese Krise auch noch zu bewältigen. Es ist jetzt Aufgabe der Politik, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
17
Manfred Zöllmer
Diese Krise hat zu einer völligen Neubewertung der Aktivitäten von Banken und Finanzmärkten geführt. Das betrifft die ökonomische Theorie, aber auch die Rolle des
Staates in einem marktwirtschaftlichen System.
Der Stress begann irgendwo in den Weiten der USA und erreichte Deutschland in
Gestalt des Zusammenbruchs der IKB Deutsche Industriebank AG. Man erinnere
sich an die Schlangen vor der britischen Bank Northern Rocks, den Zusammenbruch
der US-amerikanischen Bear Stearns, die deutschen Landesbanken und natürlich
Lehman Brothers. Die Commerzbank, die Hypo Real Estate und andere mussten
gerettet werden. Nach dem 15. September war jedem klar, wie gravierend die Krise
wirklich war. Sie wurde verursacht von einem Finanzmarkt, über den es später hieß:
Kein Risikobewusstsein, keine Kontrolle, keine Moral!
1.2
Ursachen der Krise
Ein Blick auf das Ursachenbündel der Krise zeigt:
To big to fail: Banken und andere Unternehmen gelten als systemrelevant oder
too big to fail (englisch: „Zu groß, um zu scheitern“), wenn sie so groß sind, dass
ihre Insolvenz für die Volkswirtschaft teurer ist als die gemeinschaftlichen Kosten
für die Rettung vor der Insolvenz. Sie werden vom Staat oder von internationalen
staatlichen Organisationen gerettet, um eine weiterreichende Gefahr für die gesamte Volkswirtschaft bzw. das gesamte Wirtschaftssystem durch ihre Insolvenz
abzuwenden.
Geld war viel zu billig.
Toxische Papiere (Toxic Assets): Gemeint sind Verbriefungen und Verbriefungen
von Verbriefungen: CDO`s (Colleteralized Debt Obligations), CDS (Credit Default
Swaps – Kreditausfallversicherungen). Der CDS-Markt (Kreditausfallversicherungen) wuchs zwischen 2002 bis 2007 von 2 Billionen Dollar auf 60 Billionen Dollar.
Viele Vorstände von Banken wussten nicht, was sie sich da ins Portfolio geholt
haben. Die deutschen Landesbanken hatten zu viel Geld und wussten nicht wohin
damit.
18
Spekulation und Immobilien-Blasen (USA, Spanien).
Mangelnde Aufsicht und Rivalität (BaFin und Bundesbank).
Jagd nach Rendite und Boni. Es ging um unvorstellbare Summen.
Willfährige Rating-Agenturen. Sie verdienten am Rating. Jeder Schrott wurde mit
AAA bewertet.
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
Zweckgesellschaften – außerbilanzielle Aktivitäten.
Bankvorstände erfinden Produkte, Aufsichtsräte genehmigen, Rating-Agenturen
bewerten, Zentralbanken geben Geld, Unternehmen verkaufen Forderungen, Anleger und Sparer sind auf der Jagd nach der höchsten Rendite sowie Politik und
Aufsichtsbehörden schaffen den Rahmen. So lief es.
„Vielleicht ist die unsichtbare Hand auf vielen Märkten deshalb unsichtbar, weil es sie
gar nicht gibt.“, formulierte Joseph E. Stiglitz1.
Diese Krise ist auch eine Krise der ökonomischen Theorie, die von der Allmacht der
Märkte ausgeht. Sie ist vor allem eine Krise der liberalen und neoliberalen Theorie,
der derzeit herrschenden Lehre.
Märkte werden von Menschen gemacht – oder von Computern, die wiederum von
Menschen programmiert werden – und Menschen verhalten sich häufig nicht rational.
Erst jetzt beginnen sich relevante Teile der ökonomischen Zunft darauf zu besinnen,
dass der Mensch kein absolut rational handelndes Wesen ist, das alle vorhandenen
Informationen optimal verarbeitet. Im Gegenteil verhält er sich häufig eher wie ein
Herdentier, dass den anderen auch denn noch nachläuft, wenn schon alles zu spät
ist. Das System tendiert eben nicht permanent zu einem Gleichgewicht, wenn man
es nur möglichst ungestört agieren lässt. Diese Erkenntnis ist schlecht für die Modellökonomie, obwohl sie schon sehr alt ist.
Je mehr der Finanzmarkt in einem Land sich selbst überlassen war, desto stärker
war die dann folgende Rezession, was zahlreiche Studien belegen.
Zukünftig sollte es kein Produkt, keinen Finanzplatz mehr ohne Regulierung geben,
forderte dann die G-202. Das war der Ruf nach dem Primat der Politik, nach einem
Mehr an Regulierung.
1
US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler.
2
G-20 ist die Gruppe der weltweit zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer
(Die 19 Staaten Vereinigte Staaten, Volksrepublik China, Japan, Deutschland, Frankreich,
Brasilien, Vereinigtes Königreich, Italien, Russland, Kanada, Indien, Australien, Mexiko,
Südkorea, Indonesien, Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien, Südafrika und die Europäische Union).
19
Manfred Zöllmer
1.3
Ziele einer vernünftigen Regulierung
Was musste das Ziel einer vernünftigen Regulierung sein?
1. Zu verhindern, dass eine solche Finanzmarktkrise noch einmal entsteht.
2. Keine Haftung des Steuerzahlers bei einer weiteren Krise.
3. Sand in das Getriebe völlig überhitzter Finanzmärkte zu werfen.
Zu 1.: Zu verhindern, dass eine solche Finanzmarktkrise noch einmal
entsteht.
Finanzmärkte werden im Kapitalismus immer krisenanfällig bleiben. Finanzmarktkrisen hat es auch schon in vorkapitalistischen Zeiten gegeben. Die Konsequenz
muss daher lauten, die Kollateralschäden möglichst gering zu halten und das Risiko
eines Crashs deutlich zu reduzieren.
Das Eigenkapital trägt die Verluste der Geschäftstätigkeit einer Bank und sichert die
Zahlungsfähigkeit (Solvenz). Das Kreditwesengesetz schreibt in § 10 vor, dass eine
„angemessene Eigenkapitalausstattung“ der Kreditinstitute vorhanden sein muss.
Damit wären wir bei Basel III. Ein wesentlicher Baustein einer Neujustierung der Finanzmärkte sind die Vorschläge des sog. Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht,
der strengere Regeln zur Regulierung des Finanzsystems vorgelegt hat. Im Vordergrund stehen dabei Regelungen zur Eigenkapitalunterlegung. Die EU-Kommission
setzt zur Zeit diese Vorschläge in europäisches Recht um, sie sollen dann stufenweise bis 2018 in Kraft treten. Dabei hat die EU-Kommission weitgehend die Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht übernommen, die für international tätige Banken formuliert wurden.
Die beabsichtigte Stärkung der Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung ist notwendig, um die Krisenfestigkeit des Bankensystems zu erhöhen. Die quantitative und
qualitative Anhebung der Eigenkapitalausstattung erhöht die Risikovorsorge der Kreditinstitute. Es muss der Grundsatz “same risk, same rules“ – also gleiches Risiko,
gleiche Regeln – gelten.
Wir brauchen eine sogenannte Leverage Ratio, eine nicht risikogewichtete Schuldenobergrenze. Sie ist eine wirksame Maßnahme, um eine ausufernde Fremdfinanzierung der Banken zu verhindern. Sie ist damit eine sinnvolle Ergänzung der risikogewichteten Eigenkapitalunterlegung.
20
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
Zu 2.: Keine Haftung des Steuerzahlers bei einer weiteren Krise.
Aus den USA stammt eine Begrifflichkeit – übrigens bereits im Jahr 1914 in einer
ersten Finanzkrise geprägt - die heute eine große Rolle spielt: „Too big to fail“. Etwas
ist zu groß, um zu scheitern. Oder anders ausgedrückt: etwas ist so groß, dass ein
Scheitern einen dramatischen negativen Dominoeffekt für andere Bereiche nach sich
ziehen würde.
Genau mit diesem Phänomen sind wir in dieser Finanzmarktkrise konfrontiert worden. Der drohende Zusammenbruch eines systemrelevanten Kreditinstituts könnte
dramatische Folgen für die Stabilität des gesamten Finanzsystems haben und unübersehbare negative Folgen für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen. Der Begriff
„Bankenrettung“ ist deshalb falsch und irreführend. Es ging um Menschen, Sparer,
Arbeitnehmer und Menschen, deren Arbeitsplätze von Krediten abhängen. Sie wurden gerettet, weil wir die Banken gerettet haben. Mit dem Ergebnis, dass ein zentraler Mechanismus, der konstitutiv für eine Marktwirtschaft ist, außer Kraft gesetzt wurde: Risiko und Haftung gehören zusammen.
Wenn ein Unternehmen schlecht wirtschaftet, nicht wettbewerbsfähig ist, muss es
vom Markt verschwinden. Wenn das für den Bankensektor nicht mehr gilt, ist das
natürlich attraktiv für Anleger unter dem Aspekt der Sicherheit ihrer Einlagen. Und
natürlich für Bankmanager, die verleitet werden, besonders risikoreiche und waghalsige Geschäfte zu tätigen, um exorbitant hohe Boni und Gehälter zu finanzieren.
Die Rating-Agenturen tun noch ihr übriges, weil sie wegen der unterstellten Staatshilfe im Notfall höhere Ratings, vergeben und damit den systemrelevanten Instituten
finanzielle Vorteile bei der Refinanzierung verschaffen.
Ziel musste es nun sein, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass eine solche Krise sich nicht wiederholt.
Die Quintessenz aus dieser Analyse muss daher für die Politik sein, die „Too-big-tofail-Doktrin“ zu durchbrechen, indem ein Kreditinstitut in einer Krise filetiert und zerschlagen wird und nur das erhalten wird, was aus Gründen der Systemstabilität erhalten werden muss. Damit sind wir beim Restrukturierungsgesetz. Ein Teil davon
betrifft die Bankenabgabe. Der erste Teil des Gesetzes beruht auf den Arbeiten von
Brigitte Zypries, der damaligen Bundesjustizministerin, und Peer Steinbrücks, des
ehemaligen Bundesfinanzministers. Das Bundeskabinett hat am 2. März 2011, basierend auf einer entsprechenden Ermächtigung im Restrukturierungsfondsgesetz, die
Restrukturierungsfonds-Verordnung (RStruktFV) beschlossen. Sie wurde mit Veränderungen als Kompromiss mit dem Bundesrat beschlossen. Auf dieser Grundlage
wird künftig die Bankenabgabe erhoben werden.
21
Manfred Zöllmer
Wie ist das Ergebnis politisch zu bewerten?
Das Versprechen der Kanzlerin Angela Merkel, die Banken zur Finanzierung der Krise heranzuziehen, wird nicht eingelöst. Der Ansatz einer Bankenabgabe kann nur in
der Zukunft wirksam werden. Das Aufkommen ist viel zu gering.
Die aktuelle Bundesregierung geht von einer Einnahme von ca. 1 Milliarde Euro pro
Jahr für die Bankenabgabe aus. Das bedeutet, dass es ca. 70 bis 100 Jahre dauert,
bis ein ausreichend dimensionierter Betrag für eine mögliche neue Finanzmarktkrise
zu Verfügung steht. So lange bleibt der Steuerzahler in der Verantwortung.
Leider ist das Aufkommen real noch deutlich geringer und liegt bei 500 bis 600 Millionen Euro. Es gibt ein Instrument, das wirklich eine Beteiligung des Finanzsektors,
nicht nur der Banken, an den Kosten der Krise sicherstellen würde. Dies ist die
Finanztransaktionssteuer, die wir gebetsmühlenartig seit langer Zeit fordern.
Wir sehen es nicht ein, dass man Mehrwertsteuer auf jede Dose Hundefutter bezahlen muss, dass es im Finanzbereich aber gänzlich ohne geht. Wir sprechen bei einer
Steuer von 0,05 % über Einnahmen von ca. 20 Milliarden Euro pro Jahr. Sie belastet
die spekulativen, die stark gehebelten Geschäfte und hat damit die gewünschte Lenkungswirkung.
Gespräche mit dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dem ich angehöre, in Shanghai und Hongkong haben gezeigt: Dort gibt es längst eine Stamp Tax,
in Hongkong kommt sie der Finanztransaktionssteuer sehr nahe. Die Erfahrungen
sind positiv, der Chef der Hongkonger Börsen machte deutlich, dass er die dämpfende Wirkung der Steuer ausdrücklich begrüßte. Hochfrequenz-Handel (engl. highfrequency trading) sei dort kein Problem, hierzulande aber sehr wohl. Eine Finanztransaktionssteuer würde diesen Spuk beenden. Selbst ein gewisser Herr Prof. Paul
Kirchhof – sozialdemokratischer Umtriebe sicherlich völlig unverdächtig – hat sich
vehement für eine Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Er hat sogar 1% verlangt.
Wir brauchen auf europäischer Ebene eine Lösung: Eine verstärkte Zusammenarbeit
oder Koalition der Willigen.
Die Finanzindustrie hat sich vielfach von der Realwirtschaft entkoppelt. „Viele zweifeln am Geschäftsmodell der heutigen Banken – mittlerweile auch viele Banker“,
schrieb das Handelsblatt unlängst.
22
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
Eine zweite Weltfinanzkrise wäre für eine Demokratie kaum noch zu bewältigen, und
wenn man sich das bisher kaum regulierte Schattenbankensystem und die großen
aktuellen Krisenherde anschaut, bleibt die Schlussfolgerung: Es müssen noch viele
Leitplanken errichtet werden. Banken müssen wieder ihre dienende Rolle für die Realwirtschaft als zentrale Aufgabe begreifen und dürfen sich nicht als Casino verstehen. Deshalb ist unser Vorschlag: Trennung von Normalbank / Privatkundengeschäft
und Casino / Investmentbanking.
Zu 3.: Sand in das Getriebe völlig überhitzter Finanzmärkte zu werfen.
Regulierung der Finanzmärkte!
Das Weltsozialprodukt betrug 2010 63 Billionen Dollar – 87 Billionen Dollar betrug
das Volumen gehandelter Aktien und Bonds – 601 Billionen Dollar außerbörslich gehandelte Finanzderivate – 955 Billionen Dollar Devisengeschäfte.
Größtenteils handelt es sich hier um OTC-Handel. Damit sind finanzielle Transaktionen zwischen Marktteilnehmern gemeint, die nicht über die Börse abgewickelt werden. OTC steht dabei für den englischen Begriff „Over The Counter”, was mit „über
den Tresen” übersetzt werden kann. Der OTC-Handel bezeichnet überwiegend auf
elektronischem Wege getätigte Geschäfte. Eigentlich ist die Bezeichnung falsch,
denn gehandelt wurde unter dem Tisch über ungeregelte Märkte. Derivate sind Wetten, Wetten auf Preise. Derivate können sinnvoll sein, wenn sich zum Beispiel ein
Unternehmen gegen Wechselkursrisiken oder Rohstoffpreisschwankungen absichern
will. Aber dies ist der geringste Teil des Marktvolumens. Zukünftig sollen die problematischen Transaktionen über zentrale Gegenparteien erfolgen.
1.4
Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Wie hat sich diese Krise bisher auf die Realwirtschaft und damit auf die Arbeitsmärkte ausgewirkt?
Rund 30 Millionen Arbeitsplätze sind nach UN3-Angaben bereits durch die Finanzund Wirtschaftskrise verloren gegangen. Für 2013 prognostizieren sie den Verlust
von weiteren 7 Millionen Arbeitsplätzen. Etwa ein Drittel der Arbeitslosen ist jünger
als 25 Jahre. Jährlich erreichen nach Angaben der ILO4 ca. 40 Millionen junge Menschen das arbeitsfähige Alter.
3
Vereinte Nationen (engl. United Nations).
4
Internationale Arbeitsorganisation (engl. International Labour Organization).
23
Manfred Zöllmer
Hier muss man stark differenzieren zwischen Deutschland und dem Rest der Welt.
Blicken wir auf Deutschland.
1. Die Arbeitswelt befindet sich seit geraumer Zeit in einem rapiden Wandel. Die
Stichworte sind bekannt: Neue Arbeitsverhältnisse (Projekt-, Honorar- und Zeitverträge); mehr Flexibilität, weniger Sicherheit; Demografischer Wandel (derzeit
haben wir 44 Millionen Erwerbstätige, 2030 nur noch ca. 38 Millionen Erwerbstätige); Fachkräftemangel (Ingenieur – IT); Bildung (Lebenslanges Lernen); Technologischer Wandel; Anytime – anywhere; Weltmarkt.
2. Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems kam eine Milliarde
Arbeitskräfte neu auf den Weltmarkt und steht in Konkurrenz mit unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dieser Prozess der Globalisierung geht einher
mit einem rapiden Strukturwandel, nicht nur in Deutschland, sondern auch in
China.
3. In Deutschland hat es trotz Krise keine Massenarbeitslosigkeit gegeben. Mit
Kurzarbeiterregelung, Abwrackprämie und Konjunkturprogrammen hat man hierzulande klug auf die Krise reagiert.
1.5
Auswirkung auf die Finanzindustrie?
Die Regulierung verändert diese Welt. Der Finanzsektor ist kleiner geworden und
wird weiter schrumpfen.
Die Bankenbranche steht vor einem Jobkahlschlag. Bis zu 10% der Stellen im
Investmentbanking sind zusätzlich bedroht. Bis Anfang dieses Jahres wurden weltweit bereits 100.000 Jobs gekappt. Vor allem in London und New York.
Das gilt auch für die Deutsche Bank. Sie hat vor allem im Investmentbanking erheblich gestrichen. Dabei will die Deutsche Bank beim Universalbankenmodell vom Privatkunden- bis zum Kapitalmarktgeschäft bleiben. Aber sie will auch in Zukunft am
Investmentbanking festhalten.
Anders verhält sich die Schweizer Bank UBS, die fünftgrößte Bank Europas, sie will
ihr Geschäftsmodell verändern und sich von einem Teil der Zockersparte trennen.
Die Entlassung von 10.000 Beschäftigten läuft. Dies ist der radikalste Umbau in einer
Bank in Europa – bisher.
Wesentliche Ursache sind die verschärften Eigenkapitalanforderungen für den Investmentbereich. Regulierung wirkt hier, weil die Schweiz die Schraube für ihre Banken noch einmal angezogen hat.
24
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
1.6
Schlussfolgerungen
Die Zeiten von Gordon Gecko – wir kennen ihn noch als Michael Douglas verkleidet
aus dem Film Wall Street des Jahres 1987 – sind vorbei. Gier ist nicht mehr gut. Im
Investmentbanking steckt letztlich zu viel Risiko und kriminelles Potential. Die Manipulation des LIBOR-Zinssatzes5 hat dies noch einmal deutlich gemacht.
Kommen wir zur Commerzbank, die verkündet hat, 6.000 Jobs zu streichen. Dort
wird händeringend ein adäquates Geschäftsmodell gesucht, neue IT-Technologien
ermöglichen den Abbau von Personal in Verwaltungsbereichen der Bank. Die Krise
der deutschen Landesbanken (WestLB AG u.a.) ist keinesfalls überwunden. So nicht
für Sparkassen und Genossenschaftsbanken.
Der Weg vom Investmentbanking hin zum realen Kundengeschäft muss konsequent
weiter beschritten werden. Dies ist ein steiniger Weg. Der völlig überdimensionierte
Finanzsektor wird drastisch schrumpfen, und das ist auch gut so.
Welche Auswirkungen werden die Veränderungen in den Finanzmärkten für andere
Sektoren der Volkswirtschaft haben? Zur Beantwortung dieser Frage nehme man
eine Glaskugel.
Der Gouverneur der Bank of England, Sir Mervyn King, hat hingegen deutlich gemacht, dass die Folgen der globalen Finanzmarktkrise noch jahrzehntelang spürbar
sein werden. Die Industrieländer stehen vor großen Anpassungen nach einer Zeit
wachsender Handelsdefizite, gestiegener Verschuldung und zusammenbrechender
Bankensysteme. Das war die englische Perspektive. Aus deutscher Sicht wird aus
Handelsdefizit ein großer Überschuss.
Kann die Welt (Europa?) in Zukunft mit so großen Ungleichgewichten leben? Die
Antwort lautet: Sie wird es müssen! Es ist naiv zu glauben, dass industrielle Strukturen, die verschwunden sind, wieder aufgebaut werden können. Das Beispiel England
zeigt es. Dort hieß die Maxime: Industrie kann gehen – Finanzindustrie soll kommen.
Deutschland hat diesen Fehler nie gemacht.
Die OECD6 hat gerade eine Projektion der Weltwirtschaft bis 2060 veröffentlicht. Ergebnis: Der Aufstieg Asiens ist unaufhaltsam, genauso wie der Abstieg der G77.
5
Referenzzinssatz im Interbankengeschäft (engl. London Interbank Offered Rate – LIBOR).
6
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (engl. Organisation for Economic
Co-operation and Development – OECD).
7
Mit G7 wurde die Gruppe der sieben weltweit größten Industrieländer (Vereinigte Staaten,
Vereinigtes Königreich, Japan, Kanada, Frankreich, Italien und Deutschland) bezeichnet.
Ab 1998 spricht man von der Gruppe der Acht (G8), da Russland Teilnehmer geworden ist.
25
Manfred Zöllmer
In diesem Jahr wird die Wirtschaftsleistung Chinas erstmals größer sein als die der
gesamten Eurozone! In weniger als 20 Jahren ist China weltweit die Nummer 1 und
Indien produziert dann mehr als die Euro Zone. Prognosen sind deshalb schwierig,
weil sie die Zukunft betreffen, möchte man auch an dieser Stelle sagen.
Die Annahmen der OECD-Studie sind: Die aktuelle Krise beschädigt das langfristige
Wachstumspotential der Weltwirtschaft nicht, ungeordnete Staatspleiten sind nicht
vorgesehen, es gibt weder Handelskriege noch Produktionsausfälle aufgrund von
Umweltzerstörung.
Das ist das Liebenswerte an der Ökonomie. Das ist Wissenschaft à la Musikantenstadel. Dort wird einem auch permanent eine heile Welt vorgegaukelt.
Wenn die Ökonomie es nicht schafft, über den Tellerrand ihres Modellbaukastens auf
die reale Welt zu schauen, wird ihre Bedeutung gegen Null gehen. Dann ist sie überflüssig, schlimmstenfalls verhindert sie den Kampf gegen die realen Probleme. Wir
haben es in der Finanzmarktkrise gesehen.
Zurück nach Deutschland: Was ist die ökonomische Konsequenz der Regulierungen? Welche Auswirkungen auf Realwirtschaft und Beschäftigung sind zu erwarten?
Wie wird sich der Außenhandel entwickeln und wie die Investitionen?
Weltweit geht die Wirkung der Konjunkturprogramme zurück, die Krise vieler EuroStaaten. Nicht nur Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Irland stehen vor
Problemen. Auch Italien, Frankreich, Belgien und die Niederlande stehen vor großen
Herausforderungen. Es geht nicht nur um öffentliche, sondern auch um private Verschuldung. Vier der 17 Euro-Länder befinden sich in einer Rezession. Das geringe
Wachstum in Deutschland von 0,8% wird im wesentlichen von der Auslandsnachfrage hervorgerufen.
Was sagen aktuelle Prognosen für dieses Jahr? Eine Umfrage der DIHK8 prognostiziert einen Stellenaufbau in den Branchen Gesundheit, Gastgewerbe und Tourismus.
Dahinter folgen die Branchen IT, Versicherungen sowie Verkehr und Post. Insgesamt
sollen 180.000 neue Stellen in diesen Bereichen entstehen.
Der Maschinenbau ist zuversichtlich, die chemische Industrie weniger. Weltweit hat
sich das Wachstum in diesem Jahr deutlich abgeschwächt.
Im neuesten Jahresgutachten des SVR9 wird eine sinkende Investitionstätigkeit in
Deutschland festgestellt. Dies, obwohl wir derzeit sehr günstige Finanzierungsbedingungen haben. Es bleibt die oft gestellte Frage nach einer Kreditklemme.
8
Deutscher Industrie- und Handelskammertag.
9
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
26
Wie verändert sich die Arbeitswelt im Zeichen der Finanzkrise?
Die Vielzahl von Regulierungsmaßnahmen, die umgesetzt wurden oder noch in der
Pipeline sind, haben auf Dauer eine Konsequenz: Sie führen bei den Banken zu einem Deleveraging, einer Bilanzverkürzung und damit Reduzierung der Kreditvergabe. Dies gilt besonders für die neuen Eigenkapitalregeln. Es gibt immer wieder Klagen einzelner Unternehmen, das Kreditvergabeverhalten der Banken habe sich verändert. Noch hat die EZB10 die Liquiditätsversorgung der Banken auf Volllast gestellt.
Die Zahlen geben noch keine Hinweise auf eine Kreditklemme.
Das gilt für den Bank-Landing-Survey der Bundesbank. Das gilt jetzt, in Zukunft wird
es hier eine deutliche Veränderung geben.
Eine Reihe von Unternehmen nutzen inzwischen alternative Finanzierungsformen.
Sie begeben eigene Anleihen und versuchen sich so von der Kreditfinanzierung der
Banken zu lösen.
Man könnte jetzt noch sehr viel weitergehende Spekulationen anstellen. Aber es
bleiben Spekulationen. Die Realität hält immer Überraschungen bereit. Ich bin nicht
bereit, den Ökonomen zu folgen, die das Problem nicht in ihren Modellen, sondern in
der Realität sehen.
1.7
Fazit
Wir leben in einer Zeitenwende. Der Finanzkapitalismus ist nicht mehr das, was er
einmal war. Die weitere Entwicklung, die Auswirkung auf Konjunktur und Beschäftigung, wird ganz wesentlich von einer komplexen Vielfalt von Faktoren abhängen. Ein
paar mögliche und wahrscheinliche Entwicklungen habe ich skizziert. Aber wie sagte
ein Deutscher Denker zu Recht: Es kommt immer ganz anders!
10
Europäische Zentralbank.
27
Manfred Zöllmer
Abb. 1.1
Prof. Dr. rer. pol. Ralf Pieper leitete am 13. November 2012 das
85. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium thematisch ein und ...
Abb. 1.2
... Manfred Zöllmer, MdB, skizzierte beim Kolloquium in Wuppertal die
Ziele einer vernünftigen Regulierung der internationalen Finanzmärkte.
28
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
2
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche
Ursachen (CHRISTOPH PISTNER)
75. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. November 2011
in Wuppertal
Dr. Christoph Pistner1
Institutsbereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit
im Öko-Institut e.V., Darmstadt
Am 11. März 2011 erschütterte ein schweres Erdbeben die Ostküste Japans. Der
dabei ausgelöste Tsunami überschwemmte weite Küstenregionen und verursachte
an mehreren japanischen Kernkraftwerksstandorten gravierende Ereignisse, bis hin
zum katastrophalen Unfall in der Anlage Fukushima Daiichi. In diesem Artikel werden
die wesentlichen Aspekte des Unfallablaufs in der Anlage Fukushima Daiichi nach
heutigem Kenntnisstand dargestellt.
Dazu werden zunächst Grundlagen der Kerntechnik und der Reaktorsicherheit erläutert, soweit dies für das Verständnis des Unfallablaufs notwendig ist. Daran anschließend werden die Anlage Fukushima Daiichi und ihre wesentlichen sicherheitstechnisch relevanten Systeme dargestellt. Darauf aufbauend wird der Ablauf der Ereignisse am 11. März und in den folgenden Tagen geschildert. Dabei wird auf die wesentlichen Unfallursachen und die bisher daraus abgeleiteten Lehren für die Zukunft
eingegangen. Auch zwei Jahre nach dem Ereignis sind viele Fragen zum Unfallablauf offen. Darüber hinaus kann im Folgenden nur auf wichtige ausgewählte Ereignisfaktoren eingegangen werden.
1
Ausarbeitung (Stand: März 2013) eines Vortags vom 22. November 2011 beim 75. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium des Fachgebiets Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht der Bergischen Universität Wuppertal und des Institut ASER e.V. in Wuppertal-Vohwinkel.
29
Christoph Pistner
2.1
Funktionsweise eines Kernreaktors und Grundlagen der
Reaktorsicherheit
2.1.1
Kernspaltung
In einem Kernreaktor wird Energie durch die Spaltung von schweren Elementen, vor
allem von Uran-235 erzeugt. Eine Spaltung kann durch den Einfang eines Neutrons
im Atomkern des Uran-235 ausgelöst werden. Der Atomkern zerbricht dann in zwei
neue Atomkerne, die so genannten Spaltprodukte. Daneben werden bei jeder
Spaltung zwei oder drei Neutronen freigesetzt. Diese können wiederum zu neuen
Spaltungen in anderen Atomkernen führen. Dadurch kann eine sogenannte Kettenreaktion aufgebaut werden, bei der jede Spaltung wiederum zu genau einer neuen
Spaltung führt. Dabei wird dann zeitlich konstant eine bestimmte Menge an Energie
freigesetzt. In sogenannten thermischen Reaktoren, zu denen praktisch alle heute
betriebenen Leistungsreaktoren zählen, werden die bei der Spaltung freiwerdenden
schnellen Neutronen abgebremst bevor sie neue Spaltungen auslösen. Zum Abbremsen der Neutronen kann Wasser verwendet werden. Dieses kann auch gleichzeitig dazu dienen, die im Brennstoff durch die Spaltung entstehende Wärme abzuführen, also den Reaktor zu kühlen. Reaktoren, bei denen herkömmliches Wasser
sowohl zur Moderation wie zur Kühlung eingesetzt wird, werden als Leichtwasserreaktoren bezeichnet.
Pro Spaltung werden etwa 210 Megaelektronenvolt freigesetzt, die zum größten Teil
in Form von Wärme anfällt. Über 80% der Energie wird in der Form von kinetischer
Energie der Spaltprodukte frei. Das bedeutet, dass die Spaltprodukte nach der Spaltung mit großer Geschwindigkeit auseinander fliegen. Diese Energie wird unmittelbar
als Wärme im Brennstoff frei und heizt diesen auf. Auch die freiwerdenden Neutronen tragen mit ihrer kinetischen Energie zur Wärmeerzeugung bei. Daneben entfällt
ein Teil der Energie auf die bei der Spaltung freiwerdenden Neutrinos. Da diese praktisch nicht mit Materie wechselwirken verlassen sie den Reaktor und tragen daher
nicht zur Wärmefreisetzung im Reaktor bei. Schließlich wird Energie durch radioaktive Strahlung freigesetzt. Ein Anteil an radioaktiver Strahlung wird unmittelbar bei der
Spaltung frei, etwa 6% der insgesamt produzierten Energie wird jedoch erst verzögert durch radioaktive Zerfälle der Spaltprodukte erzeugt. Diese Energie kann Sekunden, Stunden, Tage oder Jahre nach der Spaltung frei werden und führt damit
zum Problem der sogenannten Nachzerfallsleistung, auf die im Folgenden noch genauer eingegangen wird.
30
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
2.1.2
Funktionsweise eines Kernreaktors
Der grundsätzliche Aufbau eines Kernreaktors ist in Abbildung 2.1 am Beispiel eines
Siedewasserreaktors dargestellt. Bei Siedewasserreaktoren handelt es sich um eine
spezielle Bauart von Leichtwasserreaktoren, wie sie auch in der Anlage Fukushima
Daiichi in Betrieb waren.
Als Brennstoff in einem Kernreaktor dient Uran, das sich in den Brennelementen (1)
befindet. Die Brennelemente bilden zusammen den sogenannten Reaktorkern, in
dem durch die Kernspaltung Energie freigesetzt wird. Der Brennstoff weist dabei im
Normalbetrieb Temperaturen von einigen hundert Grad Celsius auf. Der Reaktorkern
wird von einem Stahlbehälter, dem sogenannten Reaktordruckbehälter (2) umschlossen. Um die Wärme aus dem Reaktorkern abzuführen wird kontinuierlich
durch Pumpen (8) sogenanntes Speisewasser (9) in den Reaktordruckbehälter gefördert. Dieses durchströmt den Reaktorkern von unten und wird dabei aufgeheizt.
Die Wärme verdampft einen Teil des Speisewassers, es entsteht sogenannter
Frischdampf (5). Sogenannte Umwälzpumpen (4) regulieren die Vermischung von
nicht verdampftem und frisch eingespeistem Speisewasser. Der Frischdampf wird
aus dem Reaktorgebäude (13) ins Maschinenhaus (15) geführt, wo er eine Turbine
(6) antreibt, die über einen Generator (14) Strom erzeugt. Der sogenannte WasserDampf-Kreislauf weist dabei typischerweise einen Druck von etwa 7 MPa und eine
Temperatur von ca. 280°C auf.
Da aus thermodynamischen Gründen immer nur ein Teil der Wärme in Strom umgewandelt werden kann, müssen ca. zwei Drittel der anfallenden Energie als Abwärme
abgeführt werden. Dazu wird der Dampf nach Durchgang durch die Turbine in einem
Kondensator (7) abgekühlt. Die Restwärme wird über einen Kühlkreislauf (10) an eine Wärmesenke, also die Atmosphäre, einen Fluss oder das Meer (11) abgegeben.
In einem großen Leistungsreaktor, der etwa ein Gigawatt elektrischer Energie erzeugt, werden also etwas drei Gigawatt thermischer Leistung im Reaktorkern erzeugt, wovon etwa zwei Gigawatt als Abwärme an die Umgebung abgeführt werden
müssen.
Zur Steuerung der Reaktorleistung und zur Abschaltung des Reaktors bei Störfällen
dienen die Steuerstäbe (3), die aus neutronenabsorbierendem Material bestehen.
Um bei Stör- und Unfällen eine Freisetzung von Radioaktivität in die Umgebung zu
verhindern, ist der Reaktordruckbehälter von einem weiteren Stahlbehälter, dem sogenannten Sicherheitsbehälter umschlossen. Der Sicherheitsbehälter wird durch das
Reaktorgebäude vor äußeren Einwirkungen geschützt.
31
Christoph Pistner
Abb. 2.1
Darstellung eines Siedewasserreaktors. Quelle: Öko-Institut e.V.
Abbildung 2.2 zeigt links den Aufbau der Brennelemente und rechts des Reaktordruckbehälters in einem Siedewasserreaktor im Detail. Der Brennstoff selbst liegt als
Urandioxid in Form von zylindrischen Brennstoffpellets (links, 13) von jeweils etwa
einem Zentimeter Durchmesser und Höhe vor. Diese Pellets werden in zylindrische,
gasdicht verschlossene Metallrohre, die sogenannten Brennstabhüllrohre (links, 8)
gefüllt. Diese Brennstabhüllrohre bestehen üblicherweise aus einer Zirconiumlegierung und haben eine Länge von ca. vier Metern. Die Brennstäbe werden durch
Abstandshalter (links, 9) zu Brennelementen gebündelt, die von einem metallischen
Brennelementkasten umschlossen werden. Die Steuerelemente werden beim
Siedewasserreaktor als kreuzförmige Platten (links, 7) zwischen jeweils vier Brennelementen von unten in den Reaktorkern eingeführt.
32
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Der Reaktordruckbehälter umschließt den aus mehreren hundert Brennelementen
gebildeten Reaktorkern (rechts, 15). Unterhalb der Brennelemente befinden sich die
Steuerelemente (rechts, 16), die durch Steuerstabantriebe (rechts, 22) in den Reaktorkern eingebracht werden können. Oberhalb des Reaktorkerns befinden sich Einrichtungen zur Dampftrocknung (rechts, 3 und 6). An den Reaktordruckbehälter
schließen verschiedene Rohrleitungen an, durch die der Frischdampf entnommen
wird (rechts, 4), das Speisewasser in den Reaktordruckbehälter gefördert wird
(rechts, 7) oder bei Störfällen eine Notkühlung des Reaktorkerns aufrechterhalten
werden kann (rechts, 5 und 9).
Abb. 2.2
2.1.3
Schematischer Aufbau von Brennelementen und Reaktordruckbehälter
in Siedewasserreaktoren. Quelle: U.S. NRC.
Grundlagen der Reaktorsicherheit und die Kernschmelzproblematik
Ein großer Teil der bei der Kernspaltung entstehenden Spaltprodukte wie beispielsweise Cäsium-137 oder Iod-131 sind radioaktiv. Auch werden durch Neutroneneinfang aus Uran schwere Elemente wie Plutonium-239 und aus Stahl und anderen im
Reaktor enthaltenen Materialien Aktivierungsprodukte wie Cobalt-60 erzeugt, die
ebenfalls radioaktiv sind. Die in einem Kernreaktor eingesetzten Brennelemente
verbleiben für typischerweise drei bis fünf Jahre im Reaktor, bevor sie gegen frische
33
Christoph Pistner
Brennelemente ausgetauscht werden. Daher befinden sich im Reaktor eine sehr
große Menge radioaktiver Stoffe. Eine Freisetzung dieser radioaktiven Stoffe in die
Umwelt kann zu erheblichen gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung führen und
weite Gebiete in der Umgebung einer Anlage für lange Zeiten unbewohnbar machen.
Das zentrale Ziel der Reaktorsicherheit ist daher der dauerhafte Einschluss der Radioaktivität.
Bei einem großen Leistungsreaktor entsteht im Reaktorkern in einem Volumen von
etwa fünf Metern Durchmesser und vier Metern Höhe eine thermische Leistung von
drei Gigawatt. Diese sehr große Leistungsdichte erfordert eine ununterbrochene
Kühlung der Brennelemente, um eine Beschädigung durch Überhitzung zu verhindern. Weiterhin muss die nukleare Kettenreaktion zu jedem Zeitpunkt kontrollierbar
bleiben und der Reaktor sicher abgeschaltet werden können. Doch wie oben beschrieben wird selbst nach der Abschaltung des Reaktors weiterhin Wärme aus dem
radioaktiven Zerfall der entstandenen radioaktiven Stoffe frei. Unmittelbar nach der
Abschaltung entspricht die Nachzerfallsleistung etwa 6-7% der Nennlast, was bei
einem großen Leistungsreaktor noch immer etwa 200 MW thermischer Leistung entspricht. Bei einer derartigen Wärmeleistung verdampfen etwa 300 t Wasser pro Stunde. Darum ist anders als in konventionellen Kraftwerken auch über lange Zeiten nach
der Abschaltung eines Kernreaktors eine Kühlung der Brennelemente erforderlich.
Abb. 2.3
34
Nachzerfallsleistung der Reaktoren Fukushima Daiichi 1-3 im Zeitraum
bis zu einem halben Jahr nach dem Ereignis vom 11.03.2011.
Quelle: TEPCO.
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
In Abbildung 2.3 ist die Nachzerfallsleistung der Blöcke 1-3 der Anlage Fukushima
Daiichi in den ersten sechs Monaten nach dem Erdbeben vom 11.03.2011 dargestellt.
Man erkennt ein etwa exponentielles Abfallen der Nachzerfallsleistung nach der Abschaltung der Reaktoren. Auch Monate nach Abschaltung fällt noch eine thermische
Leistung in der Größenordnung von etwa einem Megawatt an. Um eine Leistung von
einem Megawatt durch Verdampfungskühlung abzuführen müssen pro Stunde etwa
1,4 Tonnen Wasser verdampft werden. Auch nach Monaten muss daher eine ununterbrochene Kühlung der Brennelemente aufrechterhalten werden.
Wird die Kühlung der Brennelemente unterbrochen, beginnen diese sich aufzuheizen. Die sogenannte Kernschmelze setzt ein. Ab Temperaturen von ca. 900°C brechen zunächst die Brennstabhüllrohre auf, so dass gasförmige und leichtflüchtige
Spaltprodukte aus dem Brennelement entweichen können. Auch setzt etwa bei dieser Temperatur eine chemische Reaktion zwischen der Zirconiumlegierung der
Brennstabhüllrohre und dem Wasserdampf ein. Das metallische Zirconium entzieht
dem Wasser den Sauerstoff und reagiert zu Zirconiumoxid. Übrig bleibt bei dieser
Reaktion Wasserstoff. Oxidieren große Teile der Brennstabhüllrohre, können viele
hundert Kilogramm Wasserstoffgas entstehen. Kommt dieses dann in Kontakt mit
Luftsauerstoff, kann es zu einer Wasserstoffexplosion kommen, die stark genug ist,
um den Sicherheitsbehälter und das Reaktorgebäude zu beschädigen bzw. zu zerstören. Um eine derartige Wasserstoffexplosion zu verhindern, werden die Sicherheitsbehälter von Siedewasserreaktoren im Betrieb mit Stickstoff gefüllt, so dass die
Bildung eines Gemischs aus Wasserstoff und Sauerstoff im Inneren des Sicherheitsbehälters ausgeschlossen ist. Wenn sich die Brennelemente weiter aufheizen, wird
zunächst der Schmelzpunkt der Steuerstäbe und der Brennstabhüllrohre überschritten. Schließlich können Temperaturen von über 3000°C erreicht werden. Diese liegen oberhalb des Schmelzpunkts des Brennstoffs, so dass dieser sich verflüssigen
kann.
2.2
Die Anlage Fukushima Daiichi und wesentliche Sicherheitssysteme der Anlage
Der Standort Fukushima Daiichi befindet sich in der Präfektur Fukushima, ca. 225 km
nördlich von Tokyo an der japanischen Ostküste. Am Standort befinden sich sechs
Kraftwerksblöcke, die im Zeitraum zwischen 1971 und 1979 in Betrieb genommen
wurden. Der älteste Block 1 ist mit einer elektrischen Leistung von 460 MW etwas
kleiner als die Blöcke 2-5, die eine elektrische Leistung von 784 MW aufweisen, der
neueste Block 6 ist mit 1100 MW nochmals etwas größer als die übrigen.
35
Christoph Pistner
In Abbildung 2.4 erkennt man die im südlichen Bereich des Standorts nebeneinander
liegenden Blöcke 1-4, etwas getrennt davon weiter nördlich auf dem Gelände die
beiden Blöcke 5 und 6.
Abb. 2.4
Luftbild vom Standort Fukushima Daiichi vor dem Ereignis vom
11.03.2011. Quelle: TEPCO.
Ebenfalls aufgrund der ausströmenden Wassermengen gut zu erkennen sind die
direkt an der Küstenlinie befindlichen Ein- und Auslaufbauwerke für das Kühlwasser
der Anlage sowie die der Anlage vorgelagerten Schutzmauern gegen einlaufende
Wellen. Weiter ins Landesinnere folgen zunächst die Maschinenhäuser, die unter
anderem Turbine und Generator enthalten. Daran anschließend sind die eigentlichen
Reaktorgebäude zu erkennen.
36
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
2.2.1
Aufbau der Reaktoren
In Abbildung 2.5 ist links der schematische Aufbau eines Siedewasserreaktors mit
einem Sicherheitsbehälter vom Mark-I-Typ dargestellt, entsprechend den Blöcken 15 am Standort Fukushima Daiichi. Block 6 ist ein Siedewasserreaktor vom Mark-IITyp, auf den hier jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. Im Zentrum des Reaktorgebäudes befindet sich der Reaktordruckbehälter. Dieser ist von einem zweiten
Stahlbehälter, dem Sicherheitsbehälter umgeben, der beim Mark-I-Typ etwa die
Form einer Glühbirne aufweist. Dieser Teil des Sicherheitsbehälters wird auch als
Druckkammer (Containment/Drywell) bezeichnet.
Abb. 2.5
Schematischer Aufbau eines Siedewasserreaktors mit einem Sicherheitsbehälter vom Mark-I Typ (links) sowie Foto eines Mark-I Sicherheitsbehälters im Bau (Browns Ferry Block-1, USA). Quelle: Wikipedia.
Bei vielen Stör- oder Unfällen werden die aus dem Reaktorgebäude ins Maschinenhaus verlaufenden Rohrleitungen automatisch geschlossen. Damit soll ein Verlust
von Kühlmittel aus dem Reaktordruckbehälter und eine Freisetzung von Radioaktivität über das Maschinenhaus in die Umgebung verhindert werden. Damit kann aber
natürlich auch die Nachzerfallsleistung nicht mehr über die Turbine und die normalen
Kühlsysteme abgeführt werden. Siedewasserreaktoren besitzen daher einen Wasservorrat von einigen tausend Kubikmetern, der in einer sogenannten Kondensationskammer (Containment Suppression Chamber/Wetwell) gelagert wird. Die Kondensationskammer ist Bestandteil des Sicherheitsbehälters und steht mit der Druckkammer über Verbindungsleitungen in Kontakt. Im Folgenden wird der Begriff
37
Christoph Pistner
Sicherheitsbehälter zur besseren Unterscheidung jedoch nur für die Druckkammer
verwendet. Beim Mark-I-Typ hat diese Kondensationskammer die Form eines Torus,
welcher sich im unteren Bereich des Reaktorgebäudes befindet. Im Reaktordruckbehälter entstehender Dampf wird im Störfall über Rohrleitungen im Inneren des
Sicherheitsbehälters bis in die Kondensationskammer befördert und dort kondensiert.
Gleichzeitig dient das Wasser der Kondensationskammer als Vorrat, aus dem wie im
Folgenden beschrieben die Wasserverluste aus dem Reaktordruckbehälter ersetzen
werden.
Nachdem verbrauchte Brennelemente aus dem Reaktorkern entladen werden, ist
ihre Nachzerfallsleistung noch für mehrere Jahre so groß, dass sie in einem Abklingbecken gelagert und gekühlt werden müssen. Dieses Brennelementlager- oder Abklingbecken befindet sich auf Höhe des oberen Endes des Reaktordruckbehälters.
Das oberste Stockwerk des Reaktorgebäudes dient für Be- und Entladevorgänge
und enthält im Wesentlichen die hierfür benötigten Krananlagen. Es ist daher beim
Mark-I-Typ im Gegensatz zum übrigen Reaktorgebäude nur durch eine dünne Stahlwand und nicht durch dickere Betonwände begrenzt. Das Reaktorgebäude ist etwa
50 m hoch. In Abbildung 2.5 rechts ist der Sicherheitsbehälter und die torusförmige
Kondensationskammer der US-amerikanischen Anlage Browns-Ferry während der
Errichtung gezeigt. Im Vordergrund des Bildes liegt der Deckel des Sicherheitsbehälters. Die Größenverhältnisse werden erkennbar durch den oben links auf dem
Sicherheitsbehälter sitzenden Menschen.
2.2.2
Wichtige Sicherheitssysteme
Wie oben bereits festgehalten werden bei Störfällen die Verbindungsleitungen zwischen dem Reaktorgebäude und dem Maschinenhaus, also vor allem die Frischdampf- (Main Steam Line) und die Speisewasserleitungen (Main Feedwater Line),
durch Armaturen verschlossen. Damit werden ein Kühlmittelverlust und eine Radioaktivitätsfreisetzung ins Maschinenhaus verhindert. Das im Reaktordruckbehälter
befindliche Kühlmittel wird durch die Nachzerfallsleistung verdampft. Der entstehende Dampf kann durch Sicherheits- und Entlastungsventile (Safety/Reliev Valve) aus
dem Reaktordruckbehälter ausströmen, wird über Rohrleitungen in die Kondensationskammer geführt und dort kondensiert. Dadurch geht Kühlmittel aus dem Reaktordruckbehälter verloren.
In Abbildung 2.6 ist das Hochdruck-Nachspeisesystem (Reactor Core Isolation
Cooling System, RCIC) dargestellt, das diesen Kühlmittelverlust ersetzen soll. Das
System besteht im Wesentlichen aus einer Pumpe, die auch bei einem hohen Druck
im Reaktordruckbehälter, also den im Leistungsbetrieb vorliegenden 7 MPa in den
Reaktordruckbehälter fördern kann. Dabei wird Wasser entweder aus einem externen Vorratsbehälter (Condensate Storage Tank) oder direkt aus der Kondensations38
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
kammer angesaugt. Die Pumpe wird von einer Turbine angetrieben. Diese Turbine
greift auf den im Reaktordruckbehälter entstehenden Frischdampf als Antriebsmedium zu. Der abgekühlte Dampf wird in die Kondensationskammer geführt und dort
kondensiert. Für den Betrieb dieses Systems ist daher nur Batteriestrom für die
Steuerung und Überwachung der ordnungsgemäßen Funktion notwendig. Ein zweites, leistungsstärkeres Hochdruckeinspeisesystem (High Pressure Coolant Injection
System, HPCI) ist im Wesentlichen identisch aufgebaut und wird hier daher nicht gesondert dargestellt.
Abb. 2.6
Aufbau des Hochdruck-Nachspeisesystems (Reactor Core Isolation
Cooling System, RCIC). Quelle: U.S. NRC.
Die Nachzerfallsleistung des Reaktorkerns verdampft also Kühlmittel, das über
Sicherheits- und Entlastungsventile in die Kondensationskammer entweichen kann.
Das Hochdruck-Nachspeisesystem ersetzt diese Kühlmittelverluste durch Wasser
aus der Kondensationskammer. Damit ist geschlossener Kreislauf aufgebaut, durch
39
Christoph Pistner
den die Wärme aus dem Kern in die Kondensationskammer abgeführt wird. Doch
natürlich ist die Wärmekapazität der Kondensationskammer begrenzt, die Wärme
muss also mittel- und langfristig in die Umgebung abgeführt werden. Dazu dient das
in Abbildung 2.7 dargestellte Nachwärmeabfuhrsystem (Residual Heat Removal System, RHR, in Block 1 als Containment Cooling System, CCS bezeichnet). Dieses
System saugt typischerweise mit zwei parallel geschalteten Pumpen Wasser aus der
Kondensationskammer an, führt es über einen Wärmetauscher (RHR Heat Exchanger), über den die Wärme an einen Nebenkühlwasserkreislauf abgegeben wird,
und fördert das abgekühlte Wasser wieder zurück in die Kondensationskammer.
Auch hier wird das Wasser in einem geschlossenen Kreislauf geführt. Alternativ
könnte das Nachwärmeabfuhrsystem das Wasser auch in den Sicherheitsbehälter
sprühen, um dort durch Lecks aus dem Reaktordruckbehälter ausströmenden Dampf
zu kondensieren. Schließlich könnte das Wasser auch direkt in den Reaktordruckbehälter gefördert werden (Low Pressure Collant Injection, LPCI). Da die Pumpen des
Nachwärmeabfuhrsystems jedoch nicht gegen einen hohen Druck in den Reaktordruckbehälter einspeisen können, müsste hierzu vorher der Druck über die Sicherheits- und Entlastungsventile bis in den Niederdruckbereich von unter 1 MPa
abgesenkt werden. Während diese Ventile bei zu hohem Druck selbsttätig öffnen, um
ein Überdruckversagen des Reaktordruckbehälters auszuschließen, müssen sie für
eine Druckabsenkung auf niedrigen Druck gezielt geöffnet werden. Hierzu ist Batteriestrom erforderlich. Das Nebenkühlwasser in der Anlage Fukushima Daiichi wird
direkt aus dem Meer entnommen, über Nebenkühlwasserpumpen (in der Abbildung
2.7 nicht eingezeichnet) angesaugt, über den Wärmetauscher geführt und wieder
ans Meer abgegeben. Damit wird die im Reaktorkern entstehende Wärme über den
Zwischenschritt der Kondensationskammer ans Meer abgeführt. Die Pumpen des
Nachwärmeabfuhrsystems und des Nebenkühlwassersystems müssen auch bei abgeschaltetem und drucklosem Reaktor die Nachzerfallsleistung an die Umgebung
abführen. Sie können daher nicht wie die Pumpe des Hochdruck-Einspeisesystems
direkt mit Frischdampf angetrieben werden, sondern benötigen dazu eine elektrische
Energieversorgung. Diese muss entweder vom externen Stromnetz bereitgestellt
oder durch Notstromdiesel in der Anlage erzeugt werden.
Steht das Nachwärmeabfuhrsystem nicht zur Verfügung, kann die Wärme aus der
Kondensationskammer nicht abgeführt werden. Dann heizt sich der Wasservorrat
immer weiter auf, bis er schließlich anfängt zu sieden. Ab diesem Zeitpunkt verdampft auch das Wasser in der Kondensationskammer und es baut sich ein Druck in
der Kondensationskammer und dem damit verbundenen Sicherheitsbehälter auf. Der
Sicherheitsbehälter ist dafür ausgelegt, bei einem Leck am Reaktordruckbehälter
ausströmenden Dampf aufzunehmen. Dabei werden jedoch maximal Drücke im Bereich von ca. 0,5-0,6 MPa erreicht. Bei höheren Drücken kann der Sicherheitsbehälter versagen. Freigesetze Radioaktivität kann dann unkontrolliert in die Umgebung
austreten.
40
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Abb. 2.7
Aufbau des Nachwärmeabfuhrsystems (Residual Heat Removal
System, RHR). Quelle: U.S. NRC.
Um ein Versagen des Sicherheitsbehälters auch bei einem Ausfall der Wärmeabfuhr
aus der Kondensationskammer verhindern zu können, wurden in der Vergangenheit
Druckentlastungssysteme für den Sicherheitsbehälter in den Anlagen Fukushima
Daiichi nachgerüstet. Dabei kann die Wasser/Dampf-Atmosphäre aus der Kondensationskammer oder dem Sicherheitsbehälter über Rohrleitungen zum Kamin geleitet
und über diesen an die Atmosphäre abgegeben werden. Damit wird der Druck im
Sicherheitsbehälter gesenkt. Diese Rohrleitungen sind im Regelfall geschlossen,
damit es nicht zu unabsichtlichen Freisetzungen kommen kann. Im Einsatzfall müssen daher Ventile geöffnet werden, wofür Batteriestrom und Druckluft notwendig ist.
Nach der Druckentlastung werden sie wieder geschlossen, um eine Freisetzung von
Radioaktivität zu unterbinden. Dieser Vorgang muss dann so lange wiederholt werden, bis eine Wärmeabfuhr aus der Kondensationskammer wiederhergestellt werden
kann.
41
Christoph Pistner
Gleichzeitig muss dann eine Einspeisung von außen in den Reaktordruckbehälter
realisiert werden, um die Wasserverluste durch Verdampfung zu ersetzen und den
Reaktorkern weiterhin zu kühlen. Hierzu muss der Druck im Reaktordruckbehälter bis
in den Niederdruckbereich abgesenkt werden. Dann können externe Pumpen wie
zum Beispiel Feuerlöschpumpen über Schlauchanschlüsse an Leitungen angeschlossen werden, über die Wasser bis in den Reaktordruckbehälter gefördert werden kann. Dazu sind dieselbetriebene mobile Pumpen bzw. Feuerlöschfahrzeuge
notwendig. Weiterhin müssen verschiedene Absperrarmaturen in Rohrleitung geöffnet werden, wozu Batteriestrom benötigt wird.
Abb. 2.8
Aufbau des Notkondensators (Isolation Condenser, IC). Quelle: NAIIC.
Der Block 1 der Anlage Fukushima Daiichi weist darüber hinaus noch eine Besonderheit gegenüber den anderen Blöcken am Standort auf. Er verfügt über einen in
Abbildung 2.8 dargestellten sogenannten Notkondensator (Isolation Condenser, IC).
Dieser ist zweisträngig aufgebaut und besteht im Wesentlichen aus zwei Wasservorratstanks (IC tank A und B). Durch Entnahmeleitungen (Steam piping) wird dem Reaktordruckbehälter Frischdampf entnommen und durch die Wasservorlage der Vorratstanks geführt. Dabei kondensiert der Frischdampf und strömt anschließend über
42
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Einspeiseleitungen (Drain piping) wieder in den Reaktordruckbehälter zurück. Die
Wärme wird dabei an das Wasser der Vorratstanks abgebeben und verdampft dieses. Der Dampf wird über Rohrleitungen aus dem Reaktorgebäude geführt und direkt
an die Atmosphäre abgegeben (Atmospheric discharge). Nach etwa acht Stunden ist
der Wasservorrat erschöpft und muss für den weiteren Betrieb des Systems beispielsweise aus dem Feuerlöschsystem ergänzt werden. Da für den Betrieb des Notkondensators keine Pumpen erforderlich sind, benötigt das System nur Batteriestrom
für das Öffnen und Schließen von Ventilen (motorbetriebene Ventile, MO) und die
Steuerung und Überwachung.
2.3
Chronologie des Unfallablaufs
Vor dem Erdbeben am 11.03.2011 befinden sich die Blöcke 1-3 der Anlage Fukushima Daiichi im Leistungsbetrieb, die Blöcke 4-6 sind in Revision und daher abgeschaltet. In Block 4 sind alle Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter in das
Brennelementlagerbecken entladen, in den Blöcken 5 und 6 ist der Reaktorkern nach
wie vor im Reaktordruckbehälter untergebracht.
Um 14:46 Uhr japanischer Ortszeit kommt es etwa 155 km vom Standort Fukushima
Daiichi entfernt im pazifischen Ozean zu einem Erdbeben der Stärke 9,0 auf der
Momenten-Magnituden-Skala. Dieses Erdbeben führt am Standort Fukushima Daiichi zu einer horizontalen Beschleunigung, deren Maximalwert in Block 2 der Anlage
gemessen wird. Er beträgt 0,561 g und ist damit um 26% größer als der beim Bau
der Anlage zugrunde gelegte Maximalwert von 0,446 g. Ob und in welchem Umfang
dabei auch sicherheitstechnisch wichtige Einrichtungen in der Anlage beschädigt
werden, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Ab einer Beschleunigung von
0,137 g wird die Anlage automatisch abgeschaltet. Diese automatische Abschaltung
hat in den Blöcken 1-3 fehlerfrei funktioniert.
Durch das Erdbeben werden eine Umspanneinrichtung in der Nähe des Standorts
sowie Strommasten, die zum Standort führen, zerstört. Auch eine Reserveleitung aus
dem Netz des benachbarten Stromversorgers Tohoku funktioniert nicht. Damit ist die
Anlage vollständig vom externen Stromnetz getrennt, der sogenannte Notstromfall
tritt ein. Die sicherheitstechnisch wichtigen Einrichtungen in der Anlage, insbesondere die Kühlsysteme, sind auf eine elektrische Stromversorgung zum Beispiel für den
Betrieb von Pumpen angewiesen. Im Notstromfall wird diese Stromversorgung von
Notstromdieseln auf dem Anlagengelände sichergestellt. Die nach dem Erdbeben
angeforderten Notstromdiesel starten wie geplant und können zunächst die sicherheitstechnisch wichtigen Einrichtungen soweit erforderlich mit elektrischer Energie
versorgen.
43
Christoph Pistner
Das Erdbeben führt darüber hinaus zu umfangreichen Zerstörungen auf dem Anlagengelände und in der Umgebung der Anlage. Dadurch werden Straßen und Zufahrtswege beeinträchtigt, was die Hilfsmaßnahmen der folgenden Stunden und Tage erschwert.
In Block 1 wird nach der Abschaltung die Nachzerfallsleistung aus dem Reaktor über
den Notkondensator an die Atmosphäre abgeführt. In den Blöcken 2 und 3 wird die
Nachzerfallsleistung durch Verdampfung aus dem Reaktordruckbehälter in die Kondensationskammer abgeführt. Das verdampfte Wasser wird durch die HochdruckNachspeisesysteme ersetzt. Damit ist zunächst in allen Blöcken ein stabiler Zustand
erreicht. Die Nachkühlsysteme werden noch nicht bzw. nur für kurze Zeit gestartet,
so dass keine Wärmeabfuhr aus der Kondensationskammer erfolgt.
Das Erdbeben löst auch einen Tsunami aus. Für den Standort war während der Errichtungsphase in den 1960er Jahren ein Schutz gegen Tsunamis einer Höhe von
3,1 m gefordert worden. Diese Anforderung wurde erst nach einer Neubewertung der
Tsunamigefährdung im Jahr 2002 auf eine Schutzhöhe von 5,4-5,7 m angehoben
und nach weiteren Diskussionen im Jahr 2009 nochmals auf 5,4-6,1 m angepasst.
Hinweise auf noch höhere realistische Tsunamis im Bereich von über 10 m wurden
vom Betreiber als nicht ausreichend belastbar abgetan und von der zuständigen Aufsichtsbehörde wurden keine restriktiveren Anforderungen an die Anlage gestellt.
Der Tsunami erreicht in mehreren Wellen den Standort Fukushima Daiichi und überflutet ab etwas 15:37 Uhr das Standortgelände, siehe Abbildung 2.9. Die einlaufenden Wellen sind dabei größer als der Messbereich der am Standort vorhandenen
Einrichtungen zur Erfassung der Wellenhöhen. Die maximale Wellenhöhe wird nachträglich mit ca. 14 m abgeschätzt.
Abb. 2.9
44
Überflutungshöhe am Standort Fukushima Daiichi und Höhenschema
wichtiger sicherheitstechnischer Einrichtungen. Quelle: INPO.
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Die Nebenkühlwasserpumpen aller Blöcke zur Entnahme von Kühlwasser aus dem
Meer befinden sich direkt im Küstenbereich auf einer Höhe von ca. 6 m und werden
durch den Tsunami überflutet und zerstört. Damit ist eine Wärmeabfuhr aus den Anlagen ans Meer nicht mehr länger möglich.
Das Anlagengelände selbst befindet sich auf einer Höhe von etwa 10 m. Der Tsunami überflutet weite Teile des Anlagengeländes, so dass auch noch auf der dem Meer
abgewandten Seite der Reaktorgebäude das Wasser etwa 4 m hoch steht. Da eine
Überflutung des Anlagengeländes niemals unterstellt worden war, sind auch die verschiedenen Gebäude wie das Maschinenhaus oder das Reaktorgebäude nicht gegen
eindringendes Wasser geschützt. Daher laufen große Mengen Wasser in die Gebäude und überfluten die tiefliegenden Stockwerke. In diesen befinden sich Notstromdieselgeneratoren (Emergency Diesel Generator Room, EDG Room), Schaltanlagen
(Switchgear) und Batterieräume (Battery Room).
Alle Notstromdieselgeneratoren oder die zugehörigen Schaltanlagen der Blöcke 1-5
werden überflutet und zerstört. Damit kann kein Notstrom mehr bereitgestellt werden,
aus einem Notstromfall wird ein sogenannter Station Blackout. Beim Station Blackout
können elektrisch angetriebenen Pumpen, insbesondere auch die Pumpen des
Nachwärmeabfuhrsystems, nicht mehr länger betrieben werden. Nur in Block 6 bleibt
ein einzelner, höher aufgestellter Notstromdieselgenerator erhalten. Eine Abfuhr von
Wärme aus den Kondensationskammern und den Brennelementlagerbecken wäre
nun auch bei intakten Nebenkühlwasserpumpen nicht mehr länger möglich.
Darüber hinaus fällt in den Blöcken 1, 2 und 4 auch unmittelbar die 125 V Gleichstromversorgung aus Batterien überflutungsbedingt aus. Damit verschärfen sich die
Randbedingungen gegenüber einem einfachen Station Blackout nochmals. So wird
beispielsweise bei deutschen Anlagen unterstellt, dass auch bei einem Station
Blackout eine Batterieversorgung für mindestens zwei Stunden zur Verfügung steht.
Der Batteriestrom ist erforderlich, um Ventile und Armaturen zu verfahren, aber auch
um elementare Informationen über den Zustand der Anlage wie Temperaturen, Drücke oder Füllstände im Inneren der Reaktoren erfassen zu können. Darüber hinaus
sind die Beleuchtung der Gebäude und viele Kommunikationseinrichtungen der Anlage auf Batteriestrom angewiesen. Mit dem Verlust der Batterieversorgung wird die
Betriebsmannschaft „blind“, sie verfügt nicht mehr über wesentliche Informationen
zum Anlagenzustand.
Schließlich führt die Überflutung des Anlagengeländes auch zu sonstigen umfangreichen Zerstörungen. So werden Dieselvorratstanks zerstört, Feuerlöschfahrzeuge und
gelagerte Materialien zum Strahlenschutz beeinträchtigt, Wege unpassierbar. Dies
trägt zu massiven Schwierigkeiten bei den Arbeiten zur Stabilisierung der Anlagen in
den nächsten Tagen bei. Diese Arbeiten werden weiter erschwert durch eine Vielzahl
45
Christoph Pistner
von Nachbeben, die die Anlage erschüttern und immer wieder Anlass sind, das Personal vor Ort zurückzuziehen. Weiterhin führt die Freisetzung von Radioaktivität in
den folgenden Tagen zu einer Kontamination des Anlagengeländes mit teilweise extrem hohen Ortsdosisleistungen, was die Arbeiter auf dem Anlagengelände gefährdet.
2.3.1
Block 1
Bis zur Überflutung durch den Tsunami wird die Wärme aus dem Reaktordruckbehälter über den Notkondensator an die Atmosphäre abgeführt. Doch der Verlust der
Gleichstromversorgung aus den Batterien führt dazu, dass der Notkondensator automatisch abgeschaltet wird. Damit soll eigentlich sichergestellt werden, dass es zum
Beispiel bei lokalen Bränden mit einer Beeinträchtigung der Gleichstromversorgung
des Notkondensators nicht zu einem Dauerbetrieb des Notkondensators und damit
zu einer schnellen Abkühlung des Reaktors kommt. Dass der Verlust der Gleichstromversorgung durch einen vollständigen Verlust der elektrischen Energieversorgung der Anlage ausgelöst werden könnte, bei dem der Notkondensator das einzige
verbleibende System zu Abfuhr der Nachzerfallsleistung wäre, war im Vorfeld nicht in
Betracht gezogen worden.
Die Tatsache, dass der Notkondensator nicht mehr länger läuft ist der Betriebsmannschaft jedoch nicht klar. Sie geht zunächst weiterhin davon aus, dass die Wärmeabfuhr aus dem Reaktordruckbehälter aufrecht erhalten bleibt. Erst gegen 18:00 Uhr
kann das Betriebspersonal Ersatzbatterien auf die Warte bringen und von dort eine
Versorgung einzelner Instrumentierungen wiederherstellen. Dabei wird auch erkannt,
dass der Notkondensator nicht mehr in Betrieb ist. Es werden Versuche unternommen, ihn wieder in Betrieb zu nehmen. Bei einer Sichtkontrolle, ob Dampf aus dem
System an die Umgebung abgegeben wird, kommt das Betriebspersonal zum dem
Schluss, dass der Notkondensator nicht ordnungsgemäß funktioniert und schaltet ihn
erneut ab. Damit fest steht, dass keine Kernkühlung mehr vorhanden ist. In der Folge
erklärt die Regierung um 19:03 Uhr den nuklearen Notstand.
Insgesamt findet also seit 15:37 Uhr keine Wärmeabfuhr aus dem Reaktordruckbehälter von Block 1 mehr statt. Nachträgliche Simulationsrechnungen haben ergeben,
dass unter diesen Randbedingungen das im Reaktordruckbehälter befindliche Wasser schnell verdampft und über die Sicherheits- und Entlastungsventile in die Kondensationskammer geleitet wird. Innerhalb weniger Stunden sinkt der Wasserstand
im Reaktordruckbehälter soweit ab, dass die Brennelemente nicht mehr mit Wasser
bedeckt sind und fällt dann weiter bis zur Unterkante der Brennelemente ab. Etwa
gegen 20:30 Uhr setzt der oben beschriebene Kernschmelzprozess ein. Dabei werden auch große Mengen Wasserstoffgas erzeugt, die über die Sicherheits- und Entlastungsventile in den Sicherheitsbehälter ausströmen. Da der Sicherheitsbehälter
46
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
selbst im Betrieb mit Stickstoff inertisiert ist, hat die Bildung des Wasserstoffgases
zunächst noch keine Konsequenzen.
Das Betriebspersonal stellt in der Zwischenzeit fest, dass die Strahlungswerte im
Reaktorgebäude drastisch ansteigen. Damit ist es höchstens noch für kurze Zeiträume möglich, dass Gebäude zu betreten, um Kontrollen oder Schalthandlungen
durchzuführen. Gleichzeitig steigt der Druck im Sicherheitsbehälter stark an, was auf
das Ausdampfen des Reaktordruckbehälters aufgrund der fehlenden Kernkühlung
zurückzuführen ist. Daher bereitet das Betriebspersonal die Druckentlastung des Sicherheitsbehälters vor. Da diese auch eine Radioaktivitätsabgabe an die Umgebung
bedeutet, wird von den Behörden um 21:33 Uhr zunächst die Evakuierung eines
3 km Umkreises um die Anlage ausgelöst. Gegen 5:00 Uhr am Morgen des
12.03.2011 beginnen die Strahlungswerte auch auf dem Anlagengelände außerhalb
des Reaktorgebäudes anzusteigen. Um 5:44 Uhr wird der Evakuierungsradius um
die Anlage auf 10 km ausgeweitet, ab18:25 Uhr dann auf 20 km.
Parallel zur Vorbereitung einer Druckentlastung des Sicherheitsbehälters wird eine
Wassereinspeisemöglichkeit in den Reaktordruckbehälter des Blocks 1 aufgebaut.
Dazu wird ein Feuerlöschfahrzeug über Schlauchverbindungen mit dem Rohrleitungssystem des Reaktors verbunden. Gegen 5:46 Uhr, also etwa 14 Stunden nach
der Abschaltung des Notkondensators, kann diese Einspeisung in Betrieb genommen werden. Doch die Wassermengen, die in den Reaktor eingespeist werden können, sind klein, solange der Druck im Reaktordruckbehälter und im Sicherheitsbehälter noch hoch ist.
Die Durchführung einer Druckentlastung des Sicherheitsbehälters wird dadurch verzögert, dass weder Batteriestrom noch Druckluft für das Öffnen von Ventilen zum
Freischalten der Rohrleitungen verfügbar ist. Zwar könnten Ventile auch von Hand
geöffnet werden, doch befinden sich einige in Inneren des Reaktorgebäudes. Dort
sind die Strahlungswerte mittlerweile so hoch, dass das Betriebspersonal sich dort
nicht mehr aufhalten kann. Daher muss zunächst eine provisorische Versorgung der
Ventile mit Batteriestrom und Druckluft von außen hergestellt werden. Erst um 14:30
Uhr, einen Tag nach dem Erdbeben, kann eine Druckentlastung des Sicherheitsbehälters durchgeführt werden.
Da im Sicherheitsbehälter über viele Stunden Drücke und Temperaturen deutlich
oberhalb der ursprünglichen Auslegungswerte herrschen, gehen Betreiber und Aufsichtsbehörden mittlerweile davon aus, dass Dichtungen, in Block 1 vor allem diejenige zwischen dem Sicherheitsbehälterdeckel (siehe Abbildung 2.5) und dem Sicherheitsbehälter undicht werden. Auch Leckagen an den Druckentlastungsleitungen
aus dem Sicherheitsbehälter könnten jedoch eine Ursache für die Wasserstofffreisetzung ins Reaktorgebäude sein. So kann Wasserstoffgas aus dem Sicherheitsbehälter austreten. Es strömt in das obere Stockwerk von Block 1. Um 15:36 Uhr zerstört
eine Wasserstoffexplosion den oberen Bereich des Reaktorgebäudes von Block 1.
47
Christoph Pistner
Diese Explosion führt zu erneuten beträchtlichen Schäden auf dem Reaktorgelände,
insbesondere werden auch die Vorbereitungen an den verschiedenen Reaktorblöcken zur Einspeisung von Wasser in die Reaktordruckbehälter beeinträchtigt, da
mobile Pumpen und bereits verlegte Schlauchleitungen zerstört werden.
Ab 19:04 Uhr am 12.03. wird mit der Einspeisung von Meerwasser in den Reaktordruckbehälter von Block 1 begonnen.
2.3.2
Block 3
In Block 3 ist – anders als in Block 1 – zunächst noch für einige Stunden eine Batterieversorgung wichtiger Instrumente vorhanden, da diese nicht vollständig vom
Tsunami zerstört wurde. Das frischdampfgetriebene Hochdruck-Nachspeisesystem,
dass bereits nach dem Erdbeben gestartet wurde, bleibt auch weiterhin in Betrieb.
Damit ist vorübergehend ein stabiler Zustand aufgebaut. Da jedoch die Nebenkühlwasserpumpen zerstört sind und auch kein Strom für den Betrieb des Nachkühlsystems verfügbar war, kann keine Wärme mehr an die Umgebung abgeführt werden. Damit heizt sich die Kondensationskammer immer weiter auf. Das Wasser in
der Kondensationskammer fängt an zu sieden, der Druck im Sicherheitsbehälter
steigt an. Es ist nicht klar, wie lange das Hochdruck-Nachspeisesystem unter diesen
Bedingungen weiter funktionieren wird. Die Situation verschlechtert sich in den folgenden Stunden dadurch, dass die noch vorhandenen Batterien sich erschöpfen.
Es werden darum vom Betriebspersonal Maßnahmen zur Druckentlastung des
Sicherheitsbehälters und gleichzeitig zur Einspeisung von Wasser von außen in den
Reaktordruckbehälter vorbereitet. Diese Maßnahmen werden dadurch erschwert,
dass von den auf dem Anlagengelände vorhandenen Feuerlöschfahrzeugen, die als
mobile Einspeisepumpen verwendet werden könnten, einige durch den Tsunami zerstört wurden. Andere Fahrzeuge, die sich im Bereich der Blöcke 5 und 6 befinden,
können nicht kurzfristig zu den Blöcken 1-3 gebracht werden, da die Zufahrtswege
durch Erdbeben und Tsunami zerstört wurden. Erst in der Nacht vom 12. zum 13.03.
gelingt es, die benötigten Fahrzeuge zu den Blöcken 1-3 zu bringen.
Am Morgen des 12.03. um 11:36 Uhr versagt das Hochdruck-Nachspeisesystem.
Das Betriebspersonal kann jedoch kurz danach das funktionsgleiche Hochdruckeinspeisesystem erfolgreich in Betrieb nehmen. Damit ist weiterhin eine Einspeisung
von Wasser in den Reaktordruckbehälter und damit eine Kühlung des Reaktorkerns
möglich. Aber Druck und Temperatur im Sicherheitsbehälter steigen weiter an. Durch
die Wasserstoffexplosion in Block 1 werden die Maßnahmen zur Versorgung des
Block 3 beeinträchtigt. Ab 20:00 Uhr wird konkret die Druckentlastung des Sicherheitsbehälters von Block 3 vorbereitet.
In den frühen Morgenstunden des 13.03. um 2:42 Uhr wird das Hochdruckeinspeisesystem in Block 3 von der Automatik abgeschaltet. Die Betriebsmannschaft versucht,
48
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
es erneut in Betrieb zu nehmen, dies gelingt jedoch nicht. Damit ist die Einspeisung
von Wasser in den Reaktordruckbehälter unterbrochen. Im Reaktordruckbehälter
herrscht zu diesem Zeitpunkt noch ein hoher Druck. Bevor mit einer alternativen Einspeisung von außen begonnen werden kann, muss dieser Druck soweit abgesenkt
werden, dass die mobilen Pumpen gegen den Druck in den Reaktor einspeisen können. Dazu müssen die Entlastungsventile am Reaktordruckbehälter geöffnet werden,
wozu jedoch Batteriestrom notwendig ist. Erst nachdem das Betriebspersonal aus
Fahrzeugen auf dem Anlagengelände Autobatterien beschafft und so eine provisorische Energieversorgung hergestellt hat, gelingt die Absenkung des Drucks im Reaktordruckbehälter. Gegen 9:00 Uhr wird zunächst aus dem Reaktordruckbehälter und
daran anschließend auch aus dem Sicherheitsbehälter der Druck abgelassen. Um
9:25 Uhr, also ca. 6,5 Stunden nach Ausfall des Hochdruckeinspeisesystems wird
eine Einspeisung von Frischwasser mittels Feuerlöschpumpen in den Reaktordruckbehälter von Block 3 gestartet.
Nachträgliche Simulationsrechnungen haben gezeigt, dass in dieser Zeit der Wasserstand im Reaktordruckbehälter massiv abfällt und die Brennelemente nicht mehr
ausreichend gekühlt werden. Es kommt ab ca. 9:00 Uhr mindestens zu einer teilweisen Kernschmelze, bei der – wie schon in Block 1 – auch große Mengen von Wasserstoffgas entstehen.
Bereits wenige Stunden nach Beginn der Einspeisung mittels Feuerlöschpumpen
sind jedoch die verfügbaren Frischwasservorräte erschöpft, die Einspeisung muss
erneut unterbrochen werden. Nach etwa einer Stunde wird die Einspeisung dann mit
Meerwasser wieder aufgenommen. Auch in den folgenden Stunden und Tagen
kommt es immer wieder zu kurzzeitigen Unterbrechungen der Einspeisung, so müssen beispielsweise in den frühen Morgenstunden des 14.03. neue Schlauchleitungen
verlegt werden, wozu die Einspeisung wiederum für etwa zwei Stunden unterbrochen
wird. Um 5:20 Uhr an diesem Tag wird eine erneute Druckentlastung des Sicherheitsbehälters durchgeführt.
Aufgrund der hohen Drücke und Temperaturen im Sicherheitsbehälter werden jedoch
auch hier, ähnlich wie in Block 1, die Abdichtungen von Durchdringungen des
Sicherheitsbehälters undicht. Durch derartige Undichtigkeiten gelangt das bei der
Kernschmelze gebildete Wasserstoffgas in das Reaktorgebäude des Blocks 3. Es
tritt in Block 3 dabei vor allem in den unteren Stockwerken des Gebäudes aus und
sammelt sich dort an.
Um 11:01 Uhr am 14.03. kommt es zu einer schweren Wasserstoffexplosion in Block
3, die das Reaktorgebäude massiv zerstört. Radioaktive Trümmer werden auf dem
Anlagengelände verteilt und führen dazu, dass sich die Arbeitsbedingungen nochmals massiv verschlechtern.
49
Christoph Pistner
2.3.3
Block 2
In Block 2 ist wie in Block 1 mit dem Eintreffen des Tsunamis die gesamte Stromversorgung inklusive der Batterieversorgung ausgefallen. Das frischdampfgetriebene
Hochdruck-Nachspeisesystem bleibt dabei jedoch genau wie in Block 3 zunächst in
Betrieb.
Das Betriebspersonal bereitet wie in den anderen Blöcken auch Maßnahmen zur
Druckentlastung des Sicherheitsbehälters und gleichzeitig zur Einspeisung von Wasser von außen in den Reaktordruckbehälter vor. Diese Vorbereitungen werden ähnlich wie in den Blöcken 1 und 3 durch vielfältige Probleme behindert. Unter anderem
werden durch die Wasserstoffexplosionen in den Blöcken 1 und 3 bereits vorbereitete Einspeisemöglichkeiten von Wasser in den Reaktordruckbehälter oder von Hand
verlegte Stromkabel zur Versorgung notwendige Einrichtungen wieder zerstört, so
dass die Arbeiten häufig neu begonnen werden müssen.
Das Hochdruck-Nachspeisesystem in Block 2 bleibt bis zum 14.03. in Betrieb. Dann
stellt das Betriebspersonal ein Abfallen des Füllstands im Reaktordruckbehälter fest.
Um 13:25 Uhr dieses Tages wird der Ausfall des Hochdruck-Nachspeisesystems
bestätigt. Damit steht keine Einspeisung von Wasser in den Reaktordruckbehälter
zur Verfügung. Es dauert etwa 7 Stunden, bevor eine vorbereitete alternative Einspeisung von außen tatsächlich in Betrieb genommen werden kann. Nachträgliche
Simulationsrechnungen haben gezeigt, dass in dieser Zeit eine Freilegung des Reaktorkerns und ab 20:00 Uhr zumindest eine teilweise Kernschmelze erfolgt, bevor die
Kühlung erneut aufgenommen werden kann.
In der Nacht zum 15.03. versucht das Betriebspersonal eine Druckentlastung des
Sicherheitsbehälters von Block 2, der Erfolg dieser Maßnahmen bleibt jedoch unklar.
Am Morgen des 15.03. etwa zeitgleich mit der Explosion im Block 4 (siehe unten)
werden „ungewöhnliche Geräusche“ aus der Kondensationskammer von Block 2
gemeldet. Dies wird zunächst als eine Wasserstoffexplosion interpretiert, spätere
Studien des Betreibers bestreiten jedoch eine Explosion in Block 2. In jedem Fall
kommt es zu einem dauerhaften Absinken des Drucks des Sicherheitsbehälters, was
auf einen Verlust der Integrität des Sicherheitsbehälters zurückzuführen ist. Der
genaue Grund hierfür ist nicht eindeutig geklärt, eine Beschädigung im Bereich der
Kondensationskammer wird vermutet.
2.3.4
Block 4
In Block 4 befinden sich alle Brennelemente im Brennelementlagerbecken. Die Kühlsysteme dieses Becken funktionieren nach dem Eintreffen des Tsunamis nicht mehr,
da sowohl die Stromversorgung wie die Nebenkühlwassersysteme zerstört sind. Aufgrund des großen Wasserinventars des Brennelementlagerbeckens dauert eine Auf-
50
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
heizung und Verdampfung dieses Wassers mehrere Tage. Daher konzentrieren sich
die Bemühungen des Betriebspersonals zunächst auf die Wiederherstellung der Kühlung der Reaktoren in den Blöcken 1-3. Ab dem 13.03. beginnen jedoch auch Planungen zur Wiederaufnahme der Kühlung der Lagerbecken. Am 14.03. werden bei
einer Messung Temperaturen des Wassers im Lagerbecken von 84°C gemessen.
Nach Aufheizen des Wassers im Lagerbecken verdampft das Wasser und es droht
eine Freilegung der Brennelemente. Auch bei den Brennelementen im Lagerbecken
kann es dann zu den oben beschriebenen Prozessen der Wasserstoffproduktion und
schließlich einer Zerstörung der Brennelemente kommen.
Bevor jedoch Maßnahmen zur Kühlung des Brennelementbeckens umgesetzt werden können, zerstört am 15.03. gegen 6:00 Uhr eine weitere Explosion das Reaktorgebäude von Block 4. Spätere Analysen des Betreibers weisen als realistischste Ursache dieser Explosion einen Übertrag von Wasserstoff aus Block 3 in das Reaktorgebäude von Block 4 aus. Dieser Übertrag ist dadurch möglich, dass die Leitungen
zur Druckentlastung der Sicherheitsbehälter sowohl von Block 3 wie von Block 4 zu
einem gemeinsamen Abluftkamin führen und vor dem Eintritt in den Kamin in eine
gemeinsame Leitung einbinden. Daher geht der Betreiber davon aus, dass im Zuge
der Druckentlastungen von Block 3 Wasserstoff, statt über den Abluftkamin in die
Umgebung freigesetzt zu werden, durch die Druckentlastungsleitung zurück in das
Reaktorgebäude von Block 4 geströmt ist.
Aufgrund der umfangreichen Zerstörungen des Reaktorgebäudes von Block 4 ist eine Wiederaufnahme der Brennelementbeckenkühlung mit den ursprünglich vorhandenen Systemen praktisch unmöglich. Daher werden alternativ Wege zur Wassereinspeisung in das Brennelementlagerbecken gesucht, um die Wasserverlust durch
Verdampfung auszugleichen.
Da das Brennelementlagerbecken nach der Zerstörung des Dachs des Reaktorgebäudes praktisch unter freiem Himmel liegt, wird zunächst versucht, mit Hubschraubern Wasser über dem Reaktorgebäude abzuwerfen, um so das Lagerbecken wieder
aufzufüllen. Aufgrund der hohen radioaktiven Strahlung über den Lagerbecken müssen die Hubschrauber jedoch einen so großen Abstand einhalten, dass auf diesem
Wege nur ungenügende Mengen Wasser in das Lagerbecken gelangt. Es wird auch
versucht, durch Wasserwerfer von Polizei und Selbstverteidigungsstreitkräften vom
Boden aus Wasser in das in ca. 40 m Höhe befindliche Lagerbecken zu spritzen.
Doch auch diese Methoden sind wenig wirksam. Nach mehreren Tagen kann
schließlich eine Autobetonpumpe zum Standort gebracht werden. Diese verfügt über
einen ausreichend hohen Kranausleger, um Wasser gezielt in das Lagerbecken fördern zu können. Damit kann schließlich der Füllstand der Lagerbecken wieder angehoben werden.
51
Christoph Pistner
2.3.5
Blöcke 5 und 6
Da die Blöcke 5 und 6 bereits vor dem Erdbeben seit einiger Zeit abgeschaltet waren, fällt in ihnen eine geringere Nachzerfallsleistung an. Damit sind auch die Zeiten
bis zu einer Aufheizung der Wasservorräte in der Kondensationskammer deutlich
größer als in den Blöcken 1-3. Weiterhin bleibt in Block 6 einer der Notstromdiesel für
die elektrische Energieversorgung der sicherheitstechnisch wichtigen Einrichtungen
erhalten. In den folgenden Tagen kann auch eine Querverbindung von diesem Diesel
zu den Systemen in Block 5 hergestellt werden. Daher ist es möglich, Pumpen des
Nachkühlsystems in Betrieb zu nehmen. Zwar sind auch bei den Blöcken 5 und 6 die
Nebenkühlwasserpumpen zerstört. Es gelingt hier jedoch, rechtzeitig mobile Pumpen
zum Anlagengelände zu bringen und mit diesen eine provisorische Versorgung der
Wärmetauscher des Nachkühlsystems herzustellen. Damit ist eine Wärmeabfuhr aus
der Kondensationskammer in Meer möglich. Die Situation in den Blöcken 5 und 6
kann damit in einen stabilen Zustand überführt werden, ohne dass es zu Schäden an
den Reaktorkernen kommt.
2.3.6
Weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Anlagen
In den folgenden Tagen und Wochen wird die Situation auf dem Anlagengelände
schrittweise stabilisiert. Es wird eine dauerhafte Einspeisung in die Reaktoren mittels
mobiler, elektromotorisch betriebener Pumpen und zugehöriger mobiler Notstromdiesel aufgebaut. Auch die Einspeisung in die Brennelementlagerbecken wird stabilisiert
und schließlich können wieder provisorische geschlossene Kühlkreisläufe zur Wärmeabfuhr aus den Lagerbecken aufgebaut werden.
Im Weiteren wird eine externe Stromversorgung zum Anlagengelände und schließlich auch zu den Kühlsystemen hergestellt, so dass die Einrichtungen auch dauerhaft
von außen versorgt werden können. Zum Schutz vor weiteren Wasserstoffexplosionen werden die Sicherheitsbehälter wieder mit Stickstoff bespeist, um so die Atmosphäre im Inneren der Behälter zu inertisieren.
Aufgrund der extrem großen Wassermengen, die zur Kühlung in die Reaktoren eingespeist werden, sammeln sich in den Gebäuden große Mengen hochkontaminierten
Wassers an. Hiervon gelangen auch große Mengen in den Pazifik, bevor es gelingt,
zunächst Lagereinrichtungen und später Dekontaminationssysteme aufzubauen.
Dann werden, soweit dies möglich ist, umfangreiche bauliche Maßnahmen durchgeführt, um insbesondere das vom Einsturz bedrohte Reaktorgebäude von Block 4 abzustützen. Dazu werden zunächst Stahlverstrebungen eingezogen und später auch
Betonwände errichtet.
52
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Die gegenwärtigen Planungen zur Beseitigung der Unfallfolgen auf dem Anlagengelände sehen vor, innerhalb der nächsten ca. 10 Jahre zunächst die Brennelemente
aus den Brennelementlagerbecken zu bergen. Für die Arbeiten zur Bergung der zerstörten Reaktorkerne aus den Blöcken 1-3 werden gegenwärtig ca. 40 Jahre veranschlagt.
2.4
Unfallursachen und Lehren
Unmittelbarer Auslöser für den Unfall in Fukushima Daiichi war das Erdbeben vor der
Ostküste Japans. Dessen Stärke am Standort war größer als die der Auslegung der
Anlage zugrunde gelegte Erdbebenstärke. Aus heutiger Sicht kann nicht abschließend beantwortet werden, ob das Erdbeben alleine hätte beherrscht werden können.
In jedem Fall müssen aber die in die Auslegung der Anlagen gegen Erdbeben eingehenden Annahmen kritisch überprüft werden.
Zentral für den gesamten Unfallablauf waren die durch den Tsunami auf der Anlage
verursachten Schäden. Der unzureichende Schutz der Anlage gegen Tsunamis wird
mittlerweile wesentlich auf ein Versagen der Aufsichtsbehörden zurückgeführt. Aufgrund einer engen Verknüpfung zwischen Politik, Aufsichtsbehörden und Betreiber
haben die Behörden keine unabhängige und wirksame Aufsicht über die Sicherheit
der Kernkraftwerke geleistet. Vielmehr konnte der Betreiber sein Interesse durchsetzen, hohen Kosten für Nachrüstungen und eine öffentliche Diskussion um die Sicherheit seiner Anlagen zu vermeiden. So wurden neuere Erkenntnisse zur Standortgefährdung sowie internationale Empfehlungen für Sicherheitsverbesserungen
nicht in Anforderungen an die Anlage umgesetzt.
International leiteten die Aufsichtsbehörden umfangreiche Überprüfungsprozesse
ein, um mögliche Auslegungsdefizite auch in ihren Ländern zu identifizieren. Auch
wenn diese Maßnahmen wichtige Schritte zur Erhöhung der Sicherheit der Kernkraftwerke weltweit darstellen können, bleibt jedoch weitgehend offen, ob durch sie
gegebenenfalls vorhandene blinde Flecken in anderen Kernkraftwerken festgestellt
werden können. So ist es durchaus fraglich, ob die bestehenden Auslegungsdefizite
der Anlage Fukushima Daiichi bei entsprechenden Überprüfungen, die durch ein anderes Ereignis in einer anderen Anlage auf der Welt aufgelöst worden wären, tatsächlich erkannt und behoben worden wären.
Weiterhin waren auch wichtige Prinzipien der Reaktorsicherheit in der Anlage nicht
konsequent umgesetzt. So waren zum Beispiel die Reaktoren zur Wärmeabgabe aus
den Kondensationskammern an die Umgebung von einer einzigen Wärmesenke,
dem jeweiligen Nebenkühlwassersystem, abhängig. Es gab keine hierzu diversitäre
53
Christoph Pistner
Wärmeabfuhrmöglichkeit aus den Kondensationskammern. So konnte diese wesentliche Sicherheitsfunktion durch die Zerstörung dieses Systems vollständig ausfallen.
Dadurch können, wie das Ereignis gezeigt hat, auch Situationen, die zuvor als unmöglich ausgeschlossen wurden, durchaus eintreten. So kam es in den Anlagen
nicht nur zu einem Station Blackout, also einem Notstromfall mit gleichzeitigem Ausfall der vorhandenen Notstromdiesel. Vielmehr fiel durch den Tsunami auch die mit
Batterien gesicherte Gleichstromversorgung aus. Während in der Vergangenheit
weltweit Maßnahmen zum Umgang mit einem Station Blackout in Kernkraftwerken
vorhanden waren oder zumindest diskutiert wurden, wurde ein möglicher Ausfall der
gesamten elektrischen Energieversorgung nicht unterstellt.
Bei einem Ausfall der Brennelementbeckenkühlung stehen zwar lange Zeiträume zur
Verfügung, bevor es zu einer Freilegung und damit Beschädigung von Brennelementen kommen kann. Daher war in der Vergangenheit auch davon ausgegangen worden, dass eine ausreichende Zeit für die Durchführung von Maßnahmen durch das
Betriebspersonal zur Verfügung steht. Das Ereignis hat jedoch gezeigt, dass durchaus Ereignisabläufe möglich sind, bei denen auch innerhalb eines Zeitraums von Tagen keine gesicherte Einspeisung von Wasser in die Brennelementlagerbecken hergestellt werden kann.
Wichtige Einrichtungen wie das Druckentlastungssystem des Sicherheitsbehälters
und Pumpen zur alternativen Einspeisung in die Reaktoren, die in den Fällen greifen
sollen, wenn alle anderen Systeme ausgefallen sind, waren nicht besser geschützt
als die Sicherheitssysteme. Auch waren sie zum Teil von denselben Versorgungseinrichtungen (Batterien, Druckluft) abhängig. Dadurch war ihre Verfügbarkeit gerade in
dem Fall, in dem sie tatsächlich benötigt wurden, nicht sichergestellt.
Darüber hinaus war das System zur Druckentlastung des Sicherheitsbehälters, dass
gerade auch bei solchen Ereignissen zum Einsatz kommen soll, bei denen Schäden
am Reaktorkern und damit hohe Radioaktivitätswerte im Sicherheitsbehälter nicht
auszuschließen sind, für eine derartige Situation nicht robust ausgelegt. Es verfügte
nicht über hochwirksame Filtereinrichtungen zur Rückhaltung radioaktiver Stoffe.
Auch war ein manueller Betrieb des Systems durch die Anordnung von Ventilen im
Inneren des Reaktorgebäudes an Stellen mit hoher Strahlendosis nicht möglich. Diese Situation gilt auch für viele andere Reaktoren weltweit.
Ein wichtiger beitragender Faktor für die Eskalation des Unfalls waren die umfangreichen Zerstörungen auf dem Anlagengelände selbst sowie in der Umgebung der Anlage. Die Lagerung von Ausrüstung und Betriebsstoffen, aber beispielsweise auch
Zufahrtswege waren nicht gegen die durch Erdbeben, Tsunami und die Wasserstoffexplosionen in den einzelnen Anlagen verursachten Zerstörungen geschützt. Die
Auswirkungen solcher Zerstörungen auf die Durchführung notwendiger Arbeiten auf
dem Anlagengelände waren im Vorfeld jedoch nicht in Betracht gezogen worden.
54
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Auch wenn der Unfall in der Anlage Fukushima Daiichi umfangreiche Sicherheitsuntersuchungen und Nachrüstungen ausgelöst hat, so ist doch klar, dass das Risiko
schwerer Unfälle in allen Kernkraftwerken weltweit weiterhin besteht. Katastrophen,
durch die massiv Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt wird, können nie vollständig
ausgeschlossen werden. Angesichts dessen stellte Naoto Kan, zum Zeitpunkt des
Erdbebens japanischer Premierminister, in der Zeitschrift Foreign Affairs am
08.03.2012 fest:
“I have thought very hard about the types of safety measures necessary to prevent
any such disaster from happening again. However, when one weighs these measures against the tremendous risks, it is clear that no amount of precautions will make
a country completely safe from nuclear energy. I have reached the conclusion, therefore, that the only option is to promote a society free of nuclear power.”
2.5
Quellen und wichtige weiterführende Literatur
Bundesamt für Strahlenschutz: Die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima
nach dem Seebeben vom 11. März 2011. Beschreibung und Bewertung von
Ablauf und Ursachen. Fachbereich Sicherheit in der Kerntechnik. BfS-SK-18/12.
urn:nbn:de:0221-201203027611. Salzgitter, März 2012
Government of Japan: Report of Japanese Government to the IAEA Ministerial
Conference on Nuclear Safety - The Accident at TEPCO’s Fukushima Nuclear
Power Stations - Nuclear Emergency Response Headquarters, June 2011
Government of Japan: Additional Report of the Japanese Government to the IAEA
- The Accident at TEPCO’s Fukushima Nuclear Power Stations - (Second Report).
Nuclear Emergency Response Headquarters, September 2011
Government of Japan: Investigation Committee on the Accident at Fukushima
Nuclear Power Stations of Tokyo Electric Power Company. Final Report. July 23,
2012
Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) mbH: Fukushima Daiichi.
11. März 2011. Unfallablauf | Radiologische Folgen. GRS-S-53. 2. Auflage 2013
Institute of Nuclear Power Operations (INPO): Special Report on the Nuclear
Accident at the Fukushima Daiichi Nuclear Power Station. INPO 11-005.
November 2011
The National Diet of Japan Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission (NAIIC): The official report of The Fukushima Nuclear Accident
Independent Investigation Commission. 2012
55
Christoph Pistner
Neles, J.M., Pistner, C. (Hrsg.): Kernenergie – Eine Technik für die Zukunft?
Springer Vieweg, 2012
Tokyo Electric Power Company, Inc.: Fukushima Nuclear Accident Analysis
Report. June 20, 2012
Tokyo Electric Power Company, Inc.: Resource Gallery.
http://www.tepco.co.jp/en/news/gallery/nuclear-e.html, Stand 15.03.2013
U.S. NRC Technical Training Center: Boiling Water Reactor (BWR) Systems.
Ohne Datum
Abb. 2.10
56
Dr. Christoph Pistner vom Öko-Institut e.V. aus Darmstadt bei seinem
Referat beim sehr gut besuchten 75. Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquium am 22. November 2011 in Wuppertal-Vohwinkel.
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
Abb. 2.11
Bericht der Westdeutschen Zeitung vom 25. November 2011.
57
Ulf Steinberg
3
Die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA (ULF STEINBERG)
76. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. Dezember 2011
in Wuppertal
Dipl.-Ing. Ulf Steinberg
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,
Gruppe 3.1 „Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen“, Berlin
3.1
Einleitung
Eine anerkannte Ursache von Beschwerden und Erkrankungen sind lang
anhaltende und/oder häufig wiederkehrende dynamische Belastungen des FingerHand-Arm-Bereiches bei manuellen Tätigkeiten allein oder in Kombination mit statischer Halte- und Haltungsarbeit. Schwerpunkte sind dabei sowohl Schmerzempfindungen und Funktionseinschränkungen durch direkte Fehl- und Überbeanspruchung
der Muskeln, Sehnen, Sehnengleitgewebe, Gelenkstrukturen und Nerven im Bereich
der oberen Extremitäten als auch indirekte Wirkungen, wie Verspannungen in der
Schulter-Nackenmuskulatur. Um das Risiko für das Auftreten von derartigen tätigkeitsbedingten Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems abschätzen zu können, sind valide Methoden zur Bewertung von Tätigkeiten erforderlich. Hierzu wurde durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(BAuA) im Jahr 2007 nach umfangreichen Vorstudien und gemeinsamen Entwicklungsarbeiten mit Praxisanwendern der Entwurf der Leitmerkmalmethode Manuelle
Arbeitsprozesse (LMM MA) veröffentlicht [1; 2; 3].
Von 2008 bis 2010 erfolgten eine wissenschaftliche Validierung und eine erweiterte
Anwendungstestung unter Betriebsbedingungen. Die Validierungsprojekte wurden
vom Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) in
Wuppertal und von der Fachgruppe in der BAuA in acht Unternehmen durchgeführt.
Im Rahmen der Anwendungstestung erfolgten eine Praxisanwendung der Methode
sowie Beratungsgespräche mit den Anwendern, um methodische Unzulänglichkeiten
und praxisrelevante Fragen aufzunehmen. Parallel dazu erfolgte eine Methodenevaluation auf wissenschaftlicher Ebene. Dabei wurden die Kriteriumsvalidität, Konvergenzvalidität, Reliabilität und Objektivität sowie die Anwendbarkeit überprüft.
58
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
2011 wurde der Entwurf überarbeitet und als LMM MA 2011 publiziert [4; 5]. Der
Forschungsbericht F 2195 „Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse 2011,
Bericht über die Erprobung, Validierung und Revision“ [6] wurde Ende 2012 veröffentlicht.
3.2
Anwendungsbereich der LMM MA
Die LMM MA bezieht sich auf ein vielfältiges Tätigkeitsspektrum, das im Wesentlichen gekennzeichnet ist durch die manuelle Bearbeitung von Arbeitsgegenständen
und die Bedienung von Geräten und Maschinen Beispiele (Abb. 3.1 und 3.2). Belastet sind dabei insbesondere die Körperregionen Hand-Arm-Schulter durch lang
anhaltende und/oder häufig wiederkehrende dynamische Belastungen im unteren
und teilweise mittleren Aktionskraftniveau. Diese Tätigkeitsausführung ist immer
auch mit der statischen Haltungsarbeit des Rumpfes und der Beine kombiniert.
Abb. 3.1
Montage von Modelleisenbahnen
59
Ulf Steinberg
Eine grundsätzliche Abgrenzung besteht zu den Tätigkeiten der manuellen Lastenhandhabung, bei denen es vorrangig um den Transport (Gegenstände, Verpackungen, Lebewesen) ohne Bearbeitung geht. Hierfür gibt es die LMM Heben, Halten und
Tragen (LMM HHT).
Abb. 3.2
Einlegen/Entnehmen von Teilen und Auslösen einer Presse
Die im Entwurf der LMM MA von 2007 festgelegte Grenze der Aktionskräfte von 50 N
erwies sich als ungeeignetes Trennungskriterium, da es viele manuelle Arbeitsprozesse gibt, bei denen diese Grenze zeitweilig überschritten wird. Ein typisches
Beispiel dafür ist das Verschrauben eines Teiles zum Abschluss eines Montagevorgangs. Für die Beurteilung von hohen Aktionskräften unter Einsatz großer Muskelgruppen ist die LMM MA nicht geeignet, da andere physiologische und biomechanische Kriterien beachtet werden müssen. Hierfür soll eine weitere Methode entwickelt werden.
60
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
3.3
Methodische Aspekte bei der Beurteilung von manuellen
Arbeitsprozessen
Die LMM MA dient in erster Linie der Gefährdungsbeurteilung zur Erfüllung der Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes. Deshalb müssen spezifische Gefährdungen
und mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten benannt
werden.
Wie bei allen Leitmerkmalmethoden (LMM) wird dabei ein Modell zur Wirkungskette
„Anforderungen, Belastungen/Beanspruchungen und Beanspruchungsfolgen“ bei
physischer Arbeit zugrunde gelegt.
Abb. 3.3
Anforderungen, Beanspruchungen und -folgen bei physischer Arbeit
Zu berücksichtigen ist, dass diese Wirkungskette keine kausale Begründung für das
Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden ist. Die Gesundheitsstörung kann
neben Arbeitsanforderungen durch außerberufliche Anforderungen und individuelle
Merkmale verursacht werde. Das Variablenmodell in Abbildung 3.4 zeigt die vereinfachte Struktur der Entstehung von Beschwerden.
61
Ulf Steinberg
Abb. 3.4
Variablenmodell für die Entstehung von gesundheitlichen Beschwerden
Für die bedingungsbezogene Gefährdungsbeurteilung kann nur das vereinfachte
Belastungs-Beanspruchungs-Modell „aktuelle Arbeitsbelastung – gesundheitliche
Beschwerden“ zugrunde gelegt werden. Die außerberuflichen Einflussfaktoren und
individuellen Leistungsvoraussetzungen sind personenabhängig und werden deshalb
nicht berücksichtigt. Für die LMM MA wurde ein Modell verwendet, das typische Arbeitsbelastungen mit ausgewählten Krankheiten der oberen Extremitäten in Verbindung bringt [1]. Eine differenzierte Prognose, welche Belastung zu welchen Beschwerden führt, ist allerdings nicht sinnvoll, da neben den außerberuflichen Einflussfaktoren und individuellen Leistungsvoraussetzungen auch wechselnde Arbeitsbelastungen und individuelle Arbeitstechniken erhebliche Störgrößen in der Wirkungskette sind.
Aus diesen Gründen wird mit den LMM immer die Höhe der Belastung benannt und
der Grad der Wahrscheinlichkeit einer (nicht näher benannten) physischen Überforderung bewertet.
62
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
3.4
Das „System Leitmerkmalmethoden“
Wichtig für das Verständnis der LMM MA ist die feste Einbindung in das „System
Leitmerkmalmethoden“.
Die LMM sind untergesetzliche Handlungshilfen und als gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnis einzustufen. Sie sind von der BAuA und dem Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) zur Erfüllung der Rechtspflichten gemäß § 5 und 6 Arbeitsschutzgesetz empfohlen und wird von den Trägern
der gesetzlichen Unfallversicherung unterstützt.
Innerhalb der Europäischen Union wurden die Leitmerkmalmethode Heben, Halten,
Tragen (LMM HHT) und Leitmerkmalmethode Ziehen, Schieben (LMM ZS) und alternativ die Methode „Manual Handling Assessment Charts“ aus Großbritannien zur
Umsetzung der Richtlinie 90/269/EWG zur Anwendung empfohlen (siehe auch
www.handlingloads.eu).
Zur Erfüllung dieser Rechtspflicht können allerdings auch andere Methoden eingesetzt werden.
Ziel und grundsätzliche Philosophie der LMM ist es, den betrieblichen Akteuren des
Arbeits- und Gesundheitsschutzes ein Instrument zur Verfügung zu stellen, welches
sie beim Erfüllen der Forderungen des Gesetzgebers unterstützt, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu beurteilen. Die LMM HHT und die LMM ZS bezogen
sich expliziert auf die Lastenhabungsverordnung. Diese Methoden waren von Beginn
an darauf ausgelegt, alle Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung abzudecken:
Analyse, Bewertung und Gestaltung.
Abb. 3.5
Bewertungsschema aller Leitmerkmalmethoden
63
Ulf Steinberg
Die Beurteilung mit den LMM
erfordert eine gute Kenntnis der zu beurteilenden Tätigkeit,
erfordert kein ergonomisches oder arbeitsmedizinisches Spezialwissen,
macht Schwerpunkte und Zusammenhänge deutlich
(Arbeitsplanung und Unterweisung),
trennt Belastungsbeschreibung und Bewertung,
ist für die Prävention entwickelt worden und nicht für BK-Feststellungsverfahren.
Die LMM bewerten den Grad der Wahrscheinlichkeit einer physischen Überbeanspruchung (Abb. 3.5).
3.5
Die LMM MA und ähnliche Methoden
Aufgrund der weltweit hohen Relevanz von Beschwerden im Hand-Arm-SchulterBereich gibt es vielfältige Anstrengungen zur gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Bereitstellung von Methoden zur Beurteilung der Arbeitsbelastungen. Mehr als 50 Methoden wurden bisher veröffentlicht.
Dabei gibt es die unterschiedlichsten Modelle und Bewertungen. Im Rahmen der
Entwicklung der LMM MA 2007 wurden diese kritisch ausgewertet. Zielstellung war
dabei, die Herausarbeitung eines wissenschaftlich begründeten Modells zur Wirkungskette „Anforderungen, Belastungen, Beanspruchungen und Beanspruchungsfolgen“. Aus der Vielzahl der Methoden wurden neun Methoden ausgewählt, die den
Anforderungen an eine Gefährdungsbeurteilung entsprechen und die wissenschaftlich begründet sind:
Occupational Repetitive Actions (upper limbs overload) Checklist –
OCRA CL (OCCHIPINTI und COLOMBINI, 2004);
ISO 11228-3 Ergonomics – Manual handling Part 3:
Handling of low loads at high frequency;
DIN EN 1005 Sicherheit von Maschinen Menschliche körperliche Leistung,
Teil 5: Risikobewertung für kurzzyklische Tätigkeiten bei hohen
Handhabungsfrequenzen;
Job Strain Index – SI (MOORE und GARG, 1995);
Threshold Limit Value for Mono-Tasks Handwork – TLV Hand Activity Level (HAL)
(The American Conference of Governmental Industrial Hygienists (ACGIH®, 2005)
(ARMSTRONG 2006);
Rapid Upper Limbs Assessment Method – RULA
(MCATAMNEY und CORLETT, 1993);
64
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
Manual Tasks Risk Assessment Tool – ManTRA
(BURGESS-LIMERICK et al., 2004);
Assessment of Repetitive Tasks of the upper limbs – ART (HSE, 2009);
Hand-Arm-Risk-Assessment Method – HARM
(DOUWES und DE KRAKER, 2009).
Die Methoden der ISO 11228-3 und der EN 1005-5 basieren auf dem ausführlichen
OCRA-Verfahren und sind auf der Ebene des Expertenscreenings angesiedelt. Deshalb wurden sie für den direkten Methodenvergleich (Abb. 3.6). nicht berücksichtigt.
Abbildung 3.6 zeigt die Übersicht der sieben ausgewählten Methoden hinsichtlich der
berücksichtigten Merkmale und der Bewertungsalgorithmen.
Abb. 3.6
Übersicht über die Merkmale und der Bewertungsalgorithmen der verglichenen Methoden
Ein Teil des Evaluierung des Entwurf der LMM MA 2007 und der LMM MA 2011 war
der direkte Vergleich der Beurteilungsergebnisse von sechs dieser Methoden zur
Ermittlung der Konvergenzvalidität. Hierzu wurden parallele Beurteilungen an allen
Tätigkeiten durchgeführt und die Ergebnisse verglichen. Dafür wurden alle Methoden
65
Ulf Steinberg
hinsichtlich des Zahlenbereiches des Gesamtscores durch einen Multiplikationsfaktor
„standardisiert“ [6]. Es zeigte sich, dass die LMM MA in tendenziell gleicher Weise
beurteilt wie die vergleichbaren Methoden, aber sich die einzelnen Beurteilungsergebnisse teilweise deutlich unterscheiden, weil unterschiedliche Merkmale, Skalierungen und Berechnungsalgorithmen verwendet werden (Abb. 3.7).
Abb. 3.7
3.6
Kongvergenzvalidität: Vergleich der Beurteilungsergebnisse von
18 Tätigkeiten aus dem Forschungsbericht F 2195
Die Evaluation der LMM MA 2007 und 2011
Im Rahmen der Evaluationsprojekte wurde überprüft, ob und in welchem Maße mit
dem Entwurf der LMM MA und den zugrunde gelegten Hypothesen eine Korrelation
zwischen dem Auftreten von arbeitsbedingten Beschwerden (Wirkung) und der
Belastungssituation (Ursache) möglich ist. Ein anderer Aspekt war die weitere
praxisbezogene Testung der neu entwickelten LMM MA hinsichtlich Validität, Objektivität und Reliabilität. Die in der Methode benutzten Skalen für einzelne Leitmerkmale waren durch Berücksichtigung weiterer Praxissituationen zu überprüfen, ggf. zu
ergänzen und zu vervollständigen.
66
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
Insbesondere wurde folgenden Fragestellungen nachgegangen:
Ist das Ergebnis der Methode mit den Ergebnissen anderer Methoden kompatibel?
(vgl. Abschnitt 5);
Ist mit der Methode eine Voraussage für das Auftreten von arbeitsbedingten
Beschwerden in Abhängigkeit von der Belastungssituation möglich?
(Kriteriumsvalidität);
Kommen verschiedene Anwender zu einem vergleichbaren Ergebnis?
(Reliabilität und Objektivität);
Ist die Methode für die Zielgruppe geeignet? (Anwendbarkeit).
Zur Prüfung der Kriteriumsvalidität wurden u.a. die Beurteilungsergebnisse der
LMM MA mit den genannten Beschwerden verglichen. Die Angabe dieser Beschwerden wurde durch eine ärztliche Untersuchung mit Verdachtsdiagnosen unterstützt.
Exemplarisch für die unterschiedlichen Testungen stehen die Abbildungen 3.8 und
3.9. Hier werden die Ergebnisse der Beschwerdehäufigkeit mit den Bewertungen der
LMM MA in den beiden Risikobereichen 25 bis 50 Punkte und über 50 Punkte verglichen. Die Ergebnisse belegen einen deutlichen Zusammenhang.
Verhältnis der 12-Monats-Prävalenz an Beschwerden
zwischen den Risikokategorien nach LMM MA 2007
(Referenzkat. = 0 bis 9 Punkte / Adjustierung: Alter, BMI, Körperhöhe)
Prävalenz-Ratios & 95%-KI .
5
4
5
Frauen
Männer
4
Region: Handgelenk / Hand
3
3
2
2
1
1
0
0
<10 P.
10 - <25 P.
25 - <50 P.
ab 50 P.
Risikokategorien nach Bewertung mit LMM MA 2007
Abb. 3.8
Beschwerden im Bereich der Hände in Bezug auf die Jahresprävalenz
in Abhängigkeit von der Belastungshöhe nach LMM MA Version 2007
(Prävalenzratios mit 95%-Konfidenzintervallen)
67
Ulf Steinberg
Verhältnis der 12-Monats-Prävalenz an Beschwerden
zwischen den Risikokategorien nach LMM MA 2007
(Referenzkat. = 0 bis 9 Punkte / Adjustierung: Alter, BMI, Körperhöhe)
Prävalenz-Ratios & 95%-KI .
5
5
Frauen
Männer
4
4
Region: Ellenbogen / Unterarm
3
3
2
2
1
1
0
0
<10 P.
10 - <25 P.
25 - <50 P.
ab 50 P.
Risikokategorien nach Bewertung mit LMM MA 2007
Abb. 3.9
Beschwerden im Bereich Ellenbogen/unterarm in Bezug auf die
Jahresprävalenz in Abhängigkeit von der Belastungshöhe nach LMM
MA Version 2007 (Prävalenzratios mit 95%-Konfidenzintervallen)
Die ausführlichen Darstellungen enthält der Forschungsbericht „Leitmerkmalmethode
Manuelle Arbeitsprozesse 2011, Bericht über die Erprobung, Validierung und Revision“ [6]. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es einen starken Zusammenhang
bei den aktiv beteiligten Körperregionen Hand/Handgelenk und Ellenbogen/Unterarm
gibt und einen weniger starken in den Körperregionen, die durch statische Haltungsarbeit beansprucht werden Nacken/HWS und LWS/untere Extremitäten (Tab. 3.1).
Insgesamt ist davon auszugehen, dass die LMM MA zur Prognose von arbeitsbezogenen Beschwerden im Finger/Hand-Arm- Bereich geeignet ist.
Tab. 3.1
Stärke des Zusammenhanges zwischen Bewertungen der LMM MA und
Beschwerden in Körperregionen
Körperregion
Männer
Frauen
Hand/Handgelenk
+++
+++
Ellenbogen/Unterarm
++
+++
Schulter
+
+
Nacken / HWS
-
-
LWS / untere Extremitäten
+
+
68
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
Zur Prüfung der Reliabilität und Objektivität wurden durch Mitarbeiter des Instituts
ASER vergleichende Beurteilungen mit der LMM MA 2007 und 2011 „InterraterReliabilitätsbestimmungen“ (Bestimmung der Beurteilerübereinstimmung) durchgeführt. Hierbei wurde das Ausmaß der Übereinstimmungen der Einschätzungsergebnisse bei unterschiedlichen Beobachtern ("Ratern") betrachtet. Da sich hierdurch
auch ermitteln lässt, wie abhängig oder unabhängig die Ergebnisse vom Beobachter
sind, ist es gleichzeitig auch ein Maß für die Objektivität der Methode.
Die Interrater-Reliabilitätsbestimmung wurde auf zwei Arten durchgeführt:
Es wurden Tätigkeiten mit manuellen Arbeitsprozessen mittels Arbeits- und Belastungsanalysen dokumentiert. Hierbei wurden Videodokumentationen und standardisierte Arbeitsanalysen (Zeitstudien) durchgeführt. Die Eignung von videogestützten
Arbeitsanalysemethoden für die Testung der Reliabilität wurde in vorangegangenen
Studien untersucht und bestätigt. Dokumentiert wurden die Art der Kraftausübungen
in Kombination mit der Haltedauer bzw. der Bewegungshäufigkeit, die Arbeitsorganisation, die Ausführungsbedingungen, die Körperhaltungen, die Greifbedingungen
sowie die Hand-/Armstellungen und der Zeitanteil der jeweiligen Tätigkeit pro
Schicht. Auf Grundlage dieser Daten wurde die LMM MA 2007 von betrieblichen Anwendern (Arbeitsplaner, Sicherheitsfachkräfte und Sicherheitsbeauftragte) zeitgleich
eingesetzt. Insgesamt waren daran 56 Personen beteiligt. Die Beschreibung der Bewertungen durch das Anwenderkollektiv erfolgt rein deskriptiv über Häufigkeitsverteilungen.
In einer zweiten Untersuchung wurde die revidierte LMM MA 2011 untersucht. Hierbei wurden nur wenige Anwender einbezogen, die dann jedoch eine Vielzahl von
Arbeitssituationen bewerteten. Dieses Vorgehen ermöglicht die Ableitung eines Korrelationskoeffizienten. Als Übereinstimmungsmaß wird das Cohens-Kappa berechnet.
Die ausführliche Beschreibung dieser Reliabilitätstestungen enthält der Forschungsbericht „Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse 2011, Bericht über die Erprobung, Validierung und Revision“ [6].
Aus Sicht der Methodenentwickler ist eine etwas erweiterte Sichtweise zur Methodenvalidität notwendig. Das entscheidende Kriterium, ob die Beurteilungsergebnisse
korrekt sind, ob also eine mögliche physische Überbeanspruchung vorhergesagt
werden kann, hängt nicht nur von der Methodenkonstruktion ab. Wichtig ist auch, ob
valide Eingangsdaten vorhanden sind. Die Erfahrungen aus diesem Projekt und der
Pflege der anderen LMM weisen immer wieder auf unsichere Eingangsdaten hin.
Ungenaue Zeitschätzungen, momentbezogene, nicht repräsentative und oberflächliche Belastungsbeschreibungen sind die häufigsten Mängel. Ein Fazit ist deshalb,
dass ein Mindestaufwand für eine korrekte Datenermittlung zwingend notwendig ist.
69
Ulf Steinberg
Die erweiterte Anwenderunterstützung durch die ausführliche Handlungsanleitung ist
sicherlich hilfreich. Langfristig wäre zu prüfen, ob auch Anwenderschulungen sinnvoll
sind.
3.7
Die LMM MA 2011
Nach Auswertung der Ergebnisse der Validierung wurde der Entwurf der LMM MA
2007 überarbeitet. Wesentliche Änderungen betreffen Neugestaltung der Skalierungen und die formelle Gestaltung als Reaktion auf die Anwenderprobleme. Inhaltlich
ergänzt und begrifflich präzisiert betrifft das vor allem die Skalen zur Tätigkeitsdauer
zur Aktionskraft und zur Kraftübertragung. Geringere Änderungen gibt es bei der Ermittlung der Punkte und bei dem Einfluss auf die Gesamtbewertung. Deshalb gibt es
im Vergleich der Beurteilungsergebnisse zwischen LMM MA 2007 und LMM MA
2011 überwiegend nur relativ geringe Unterschiede.
Die überarbeitete Fassung LMM MA 2011 wurde ebenfalls validiert. Nach Abschluss
dieser Arbeit kann festgestellt werden, dass die Aussagen zur Validität der LMM MA
2007 auch für die LMM MA 2011 gelten. Die Methode erfüllt die Anforderungen an
die Kriteriums- und Konvergenzvalidität. Hinsichtlich der Objektivität und Reliabilität
sind Verbesserungen erkennbar.
Abb. 3.10
70
Vergleich der Beurteilungsergebnisse zwischen LMM MA 2007 und
LMM MA 2011
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
Für die betrieblichen Anwender ist es wichtig, dass sich die Beurteilungsergebnisse
zwischen der LMM MA 2007 und 2011 nicht erheblich unterscheiden. Die Beurteilungsergebnisse der LMM MA 2007 können weiter verwendet werden. Da in mehreren Unternehmen bereits mit der LMM MA 2007 vollständige Beurteilungen vorgenommen wurden, entstehen keine Zusatzbelastungen. Für einzelne Beurteilungen
sind allerdings leichte Verschiebungen möglich. Diese liegen aber im Bereich der
üblichen Ungenauigkeit der Leitmerkmalmethoden (Abb. 3.10).
Besonderes Augenmerk wurde auf die Verbesserung der Handlungsanleitung gelegt.
Die zum Entwurf von 2007 recht knapp gehaltene Handlungsanleitung wurde zur
Version 2011 erheblich erweitert und durch eine „ausführliche Handlungsanleitung“
mit zahlreichen Referenzbeispielen und Erläuterungen ergänzt.
Das Formblatt und die Handlungsanleitungen sind über die nachfolgende Webseite
allgemein zugänglich:
www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Physische-Belastung/Physische-Belastung.html
3.8
Ausblick
Die LMM MA 2011 ist eine von den Anwendern gut angenommene Methode.
Zusammen mit den LMM HHT und LMM ZS bilden sie die Basis für die Gefährdungsbeurteilung bei physischen Belastungen auf der Ebene des speziellen
Screenings.
Mit zunehmender Anwendungsbreite sind allerdings auch die methodischen Grenzen
immer deutlicher geworden. Ungelöst sind insbesondere das Problem der Bewertung
von Körperhaltungen und hohen Aktionskräften mit Ganzkörperbeteiligung sowie die
Bewertung von Mischarbeit mit verschiedenen Belastungsformen. Aber auch die
Frage, wie bei Tätigkeiten, die mit den bestehenden LMM nicht beurteilt werden
können, weiter verfahren werden soll, ist noch nicht zufriedenstellend beantwortet.
Aus diesem Grund wird ein Gemeinschaftsprojekt von der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und dem Institut für Arbeitsschutz der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung vorbereitet. Es hat ein vollständiges und in sich
geschlossenes Methodeninventar zum Ziel (Abb. 3.11).
Die LMM gehören zur Ebene des „Speziellen Screenings“. Vorgelagert ist ein
Grobscreening auf der Grundlage der BGI 7011 Gesunder Rücken, gesunde Gelenke – noch Fragen, Anhang 1. Für weitergehende Fragestellungen sollen „ExpertenScreening-Verfahren“ entwickelt werden, die ggf. mit betrieblichen Messungen ergänzt werden können.
71
Ulf Steinberg
Abb. 3.11
3.9
Methodenebenen des geplanten Gemeinschaftsvorhaben BAuA und
IFA der DGUV
Literatur
[1]
Steinberg, U.; Behrendt, S.; Caffier, G.; Schultz, K.; Jakob, M.:
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse. Erarbeitung und Anwendungserprobung einer Handlungshilfe zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen.
1. Aufl. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2007.
(Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
Fachbeiträge, Forschung F 1994)
[2]
Steinberg, U.: Manuelle Arbeit ohne Schaden. 1. Aufl. 2007. (Schriftenreihe
der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Quartbroschüre)
[3]
Steinberg, U.: Neue Leitmerkmalmethode zur Beurteilung von manuellen
Prozessen. Technische Überwachung 48 (2007), 9, 35-38
[4]
Steinberg, U.; Liebers, F.; Klußmann, A.: Manuelle Arbeit ohne Schaden.
3. überarb. Aufl. 2011. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin: Quartbroschüre)
[5]
Klußmann, A.; Liebers, F.; Gebhardt, H.; Rieger, M.; Steinberg, U.:
Evaluierung der LMM manuelle Arbeitsprozesse. sicher ist sicher –
Arbeitsschutz aktuell 63 (2012), 1
[6]
Steinberg, U.; Klußmann, A.; Liebers, F.; Gebhardt, H.; Rieger, M.A.;
Behrendt, S.; Latza, U.: Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse 2011,
Bericht über die Erprobung, Validierung und Revision. Dortmund: Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2012. (Schriftenreihe der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschung, F 2195)
72
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
Abb. 3.12
Prof. Ralf Pieper leitete das Thema mit einem Absatz aus „Biologie der
menschlichen Arbeit“ von KOELSCH (1927) ein.
Abb. 3.13
Dipl.-Ing. Ulf Steinberg stellte die wissenschaftlichen Grundlagen der
Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse in Wuppertal vor.
73
Ralf Pieper & Bernd Schalau
4
Methodische Ansätze zur Ableitung
von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
(RALF PIEPER & BERND SCHALAU)
77. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 10. Januar 2012
in Wuppertal
apl. Prof. Dr. rer. pol. Ralf Pieper
Leiter des Fachgebiets Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht
in der Abteilung Sicherheitstechnik der Bergischen Universität Wuppertal
Dr. Bernd Schalau
Fachgruppe II.1 „Gase, Gasanlagen“ in der
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin
4.1
Einleitung
Der nachfolgende Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, der am 10. Januar 2012 im
Rahmen des 77. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums gehalten worden ist [1].
Dieser Vortrag wie auch der nachfolgende Beitrag beruhen auf den Arbeiten einer
vom Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) berufenen Projektgruppe, die ihre Ergebnisse am 10. Dezember 2012 im Rahmen der 22. Sitzung des ABS abschließend
vorgestellt hat. Die Projektgruppe hatte den Auftrag, für den ABS eine Methodik zu
entwickeln, mit deren Hilfe das Erfordernis von besonderen Prüfungen für Arbeitsmittel im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ermittelt werden kann.
An der Ausarbeitung der Methodik waren, als Mitglieder der durch die Projektgruppe
gebildeten Arbeitsgruppe „Methodik“, maßgeblich beteiligt:
Dr. Bettina Lafrenz,
74
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund;
Prof. Dr. Ralf Pieper,
Bergische Universität Wuppertal (BUW), Wuppertal (Leiter der Projektgruppe);
Dr. Bernd Schalau,
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin;
Dipl.-Ing. Wolfram Schmid,
Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM), Stuttgart;
Dipl.-Ing. Klaus Wettingfeld,
TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Köln;
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
Den Hintergrund der Arbeiten der Projektgruppe bildeten die Aktivitäten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Hinblick auf eine Novellierung
der mehr als 10 Jahre alten BetrSichV, in deren Rahmen auch die Prüfpflichten betrachtet werden sollten. Diese Aktivitäten waren zum Redaktionsschluss für diesen
Beitrag noch nicht abgeschlossen.
Fachlicher Ausgangspunkt war insbesondere der vom BMAS in Auftrag gegebene
Forschungsbericht von BARTH, 2011 [2] und, in Ergänzung hierzu, die vom VdTÜV
in Auftrag gegebenen Forschungsberichte von HAUPTMANNS et al. (2010, 2010a)
[3], [4].
Anmerkung:
Für den nachfolgenden Beitrag übernehmen die beiden Autoren [RALF PIEPER
(BUW, Wuppertal) und BERND SCHALAU (BAM, Berlin)] die alleinige inhaltliche
Verantwortung; er gibt insofern nicht notwendig die Auffassung des ABS, der Projektgruppe des ABS oder anderer interessierter Kreise wieder.
4.2
Allgemeine Rahmenbedingungen
Prüfungen von Arbeitsmitteln, die vom Arbeitgeber verantwortlich zu ermitteln und
durchzuführen bzw. zu veranlassen und aktuell durch (prüf-)befähigte Personen bzw.
zugelassene Überwachungsstellen (ZÜS) auszuführen sind, sind grundlegend in der
Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV 2002) geregelt. Diese Prüfungen erstrecken sich auch auf den abgeschlossenen Katalog der so genannten „überwachungsbedürftigen Anlagen“, der über die Gewerbeordnung und das Produktsicherheitsrecht
(GSG/GPSG, nunmehr ProdSG 2011), teilweise ihren Weg in den dritten Abschnitt
der BetrSichV gefunden haben. Die dort vornehmlich verankerten Prüfpflichten richten sich auch an Betreiber, z.B. von Aufzügen, die nicht Arbeitgeber sind. Wichtige
materielle Anforderungen zu überwachungsbedürftigen Anlagen sind zudem im
ProdSG verblieben, das in Verbindung mit dem europäischen Recht, das Inverkehrbringen von Produkten auf dem Markt regelt. Abgesehen von den anlagenspezifischen Prüffristen des dritten Abschnitts der BetrSichV, die 2002 im Zuge ihrer Entbettung aus diversen früheren Rechtsvorschriften hinsichtlich ihrer zeitlichen Ausgestaltung flexibilisiert worden sind, enthalten die allgemeinen Bestimmung des zweiten
Abschnitts (insbesondere § 10 BetrSichV) Schutzzielbestimmungen, die betrieblich
konkretisiert werden müssen. Im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen
nach § 3 BetrSichV i.V. mit §§ 5, 6 ArbSchG, sind entsprechende Prüfungen zu ermitteln. Schließlich ist auf weitere Prüfungen hinzuweisen, die im derzeit bestehenden berufsgenossenschaftlichen Vorschriften- und Regelwerk verankert sind [5].
75
Ralf Pieper & Bernd Schalau
Der Zweck von Prüfungen im Kontext des betrieblichen Arbeitsschutzes kann wie
folgt charakterisiert werden:
Prüfungen sollen dazu beitragen, Mängel an Arbeitsmitteln/Anlagen zu erkennen,
um rechtzeitig Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten treffen zu können.
Prüfungen werden im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen ermittelt.
Prüfungen dienen der Aufrechterhaltung der Beschaffenheitsanforderungen
an Arbeitsmittel über die gesamte Dauer ihrer Benutzung.
Das Erfordernis für Prüfungen wird durch den Stand der Technik beeinflusst
(inhärente Sicherheit oder rechtliche Anforderungen).
Gemeinsam ist all diesen z.T. unbestimmt-abstrakt, z.T. konkreter aufgestellten Prüfverpflichtungen, dass sie in ihrer rechtlichen Fixierung einem konkreten fachpolitischen Kontext unter historisch spezifischen technischen und organisatorischen sowie
gesellschaftlich-sozialen Bedingungen entstammen. Die Entscheidungen über die
Festlegung von Prüfungen wurden mutmaßlich ausgelöst durch Schadensereignisse
mit einem hohen Schadensausmaß (Verletzte, Tote) bzw. durch sicherheitstechnische Grundüberlegungen im Sinne einer Technikfolgenabschätzung, oder, wie im
Falle der Regelungen in §§ 3 Abs. 3, 10 BetrSichV, aufgrund europarechtlicher Vorgaben (Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie), die Ende der 1980er Jahre ebenfalls in
einem konkreten fachpolitischen Kontext entwickelt wurden.
Recht im Allgemeinen und Arbeitsschutzrecht im Besonderen lebt also von (und
stirbt mit) der Konvention, d.h. von Übereinkünften interessierter Kreise bzw. Stakeholder. In der oben beschrieben Form ist diese Konvention starr und im zeitlichen
Verlauf oftmals sehr robust, auch gegenüber sicherheitstechnischen Veränderungen.
So wurde der Katalog der überwachungsbedürftigen Anlagen seit vielen Jahrzehnten
im grundlegenden nicht verändert.
4.3
Kurzfassung der Methodik
Nach dem von der Projektgruppe entwickeltem Konzept dient die Methodik dazu, das
von Arbeitsmitteln ausgehende Risiko für Beschäftigte zu ermitteln und übersichtlich
darzustellen, um den ABS dabei zu unterstützen, festzustellen, ob von einem Arbeitsmitteltyp unter typischen Einsatzbedingungen ein so hohes Risiko für Beschäftigte ausgeht, dass es nicht ausreicht, wenn der Arbeitgeber bzw. der Anlagenbetreiber auf Basis der Gefährdungsbeurteilung (in der Regel mit fachkundiger Beratung
durch Arbeitsschutzexperten) die erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Instandhaltung selbstständig festlegt und ergreift, sondern besondere Prüfungen durch
Experten erforderlich sind.
76
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die Methodik nicht als
Handlungshilfe für den Betreiber / Arbeitgeber zur Bewertung eines spezifischen Arbeitsmittels bzw. Anlage versteht.
Die Methodik verfolgt einen risikoorientierten Ansatz. Sie stellt sich damit der Tatsache, dass von jeder Technikanwendung Gefährdungen mit einem Gesundheitsrisiko
ausgehen. Das Risiko für Leben und Gesundheit der Betroffenen ist dabei abhängig
von der Technik selbst und von den Einsatzbedingungen. Bei der Risikoermittlung
erfolgt im Rahmen der Methodik zunächst eine Risikoabschätzung der Komponenten
„mögliche Schadensschwere“ und „Wahrscheinlichkeit des Eintritts“ durch qualitative
Experteneinschätzung mithilfe von Skalen und Kennzahlen. Auf dieser Basis kann im
Rahmen einer Risikobewertung festgestellt werden, ob ein vom ABS empfohlener
Vergleichswert überschritten wird und deshalb die Notwendigkeit besonderer Prüfungen angezeigt ist. In der Methodik wird für die Risikoermittlung von einer kritischen
Schadensschwere „Tod“ ausgegangen.
Die Anwendung der Methodik erfolgt in sieben Schritten, die im Folgenden in ihren
Grundzügen dargestellt werden sollen.
Schritt 1:
Vorauswahl der Arbeitsmittel und Anlagen, für die die Methodik
angewendet werden soll (Vorscreening)
Die Methodik ist nur für Arbeitsmittel- und Anlagentypen anzuwenden, für die der
ABS aufgrund des vermutlich erhöhten Risikos (z.B. Schadenshäufigkeit oder auch
Verwendung neuartiger Technologien) besondere Prüfungen für potenziell erforderlich hält. Bei diesem Vorscreening ist zu prüfen, ob die kritische Schadensschwere
(Tod) beim nicht bestimmungsgemäßen Betrieb des Arbeitsmittels oder der Anlage
prinzipiell erreichbar ist. Ist dies der Fall, so erfolgt die weitere Untersuchung mit
Schritt 2.
Schritt 2:
Spektrum des Arbeitsmittel- bzw. Anlagentyps abgrenzen und
beschreiben
Durch eine übersichtliche Darstellung ist, auf der Grundlage vorhandenen Fachwissens, das Spektrum unterschiedlicher Arbeitsmittel- bzw. Anlagenarten des Arbeitsmittel- bzw. Anlagentyps aufzufächern und auch festzulegen, welche Arbeitsmittelbzw. Anlagenarten zu dem Spektrum zählen und welche nicht. Damit wird das betrachtete Arbeitsmittel definiert. Als Hilfsmittel dient hierzu das Instrument des morphologischen Kastens, mit dessen Hilfe typische Merkmale des Arbeitsmittels nach
verschiedenen Gesichtspunkten strukturiert werden.
77
Ralf Pieper & Bernd Schalau
Schritt 3:
Auswahl von Arbeitsmittel- bzw. einer Anlagenarten unter
typischen Einsatzbedingungen
Mithilfe der Übersicht zum Arbeitsmittel- bzw. Anlagenspektrum im morphologischen
Kasten sind typische Arbeitsmittel- bzw. Anlagenarten unter typischen Einsatzbedingungen für die Risikobeurteilung festzulegen. Im Anschluss wird, soweit möglich
bzw. erforderlich, anhand des Morphologischen Kastens eine Priorisierung der
Merkmalsausprägungen nach sicherheitstechnischer Relevanz bzw. Gefährdungspotential vorgenommen.
Schritt 4:
Ermittlung und Analyse der relevanten Schadensereignisse und
Beschreibung der zugehörigen Verlaufsszenarien
Für das ausgewählte Arbeitsmittel bzw. die ausgewählt Anlage sind in Schritt 4 in
Anlehnung an die Fehlerbaumanalyse Schadensereignisse und deren zugehörige
Ursachen (Verlaufsszenarien) zu ermitteln, die zum Tod eines oder mehrerer Beschäftigter führen können. Für die Ermittlung der auslösenden Ursachen wird eine
systematische Schadensereignisanalyse durchgeführt. Hier werden relevante Gefährdungen einbezogen wie z.B. mechanische Gefährdungen, Brand- und Explosionsgefährdung, Gefahrstoffe, nicht-ionisierende Strahlung, elektrische Gefährdungen. Weiterhin können Ereignisse durch arbeitsbedingte Faktoren ausgelöst werden,
welche die menschliche Zuverlässigkeit beeinflussen können (z.B. Aufgabenkomplexität, Zeit, Situation). Für jedes relevante Ereignis werden die Ursachen ermittelt.
Diese werden oftmals nur in einer kausalen Abfolge wirksam (Verlaufsszenario). In
diesem Verlaufsszenario werden nur die Ursachen aufgeführt, welche unabhängig
voneinander wirksam werden müssen, damit das unerwünschte Ereignis auftritt.
Ursachen, welche abhängig von einander auftreten (z.B. Behälterversagen, durch
unzulässigen Überdruck infolge Ausfall der Kühlwasserpumpe, infolge Stromausfall),
sind als eine Ursache zu betrachten. Für die Verlaufsszenarien ist abzuschätzen, ob
die kritische Schadensschwere (Tod eines oder mehrerer Beschäftigter) vernünftigerweise denkbar erreicht wird. Ereignisse, die auf der Grundlage dieser Betrachtung
nicht die kritische Schadensschwere erreichen, werden nicht weiter betrachtet. Diese
Schadenereignisse entfallen. Des Weiteren ist festzustellen, ob Prüfungen das betrachtete Verlaufsszenario wirksam beeinflussen, d.h. den Schadensverlauf verhindern können. Denn Prüfungen sind für die Betrachtung nur dann sinnvoll, wenn das
jeweilige Verlaufsszenario durch diese wirksam beeinflussbar ist. Bei unzureichender
Beeinflussbarkeit durch Prüfungen erübrigt sich eine weitere Risikobeurteilung für
dieses Verlaufsszenario. Diese Ereignisse entfallen. Die Ursachen der Ereignisse
sind den in Schritt 6 erläuterten Wahrscheinlichkeiten W1 bis W3 zuzuordnen (vgl.
Schritt 6).
78
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
Schritt 5:
Ermittlung des Schadensausmaßes
Für die Berechnung des Risikos muss das Schadensausmaß S abgeschätzt werden.
Bei manchen Verlaufsszenarien befindet sich während des Betriebs nicht immer ein
Beschäftigter im Gefahrenbereich des Arbeitsmittels oder der Anlage oder der Beschäftigte wird durch das Ereignis nicht sicher geschädigt (z.B. durch ein wegfliegendes Teil getroffen werden). In diesen Fällen ist das Schadensausmaß im Bereich von
< 1 festzulegen. Entsprechend der Festlegung des Todes eines Beschäftigten als
kritische Schadensschwere ist das Schadensausmaß in diesem Fall gleich 1. Kann
aufgrund der Auswirkungen des Ereignisses, z.B. die Freisetzung eines toxischen
oder brennbaren Gases, nicht ausgeschlossen werden, dass mehrere Personen getötet werden, so wird das Schadensausmaß größer 1 festgelegt.
Schritt 6:
Ermittlung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines
Ereignisses
Für die im Schritt 4 ermittelten Ereignisse müssen die Wahrscheinlichkeiten des Eintritts auf der Grundlage der Verlaufsszenarien berechnet werden. Vereinfachend
werden die folgenden Wahrscheinlichkeiten zur Quantifizierung des Verlaufsszenarios berücksichtigt:
W1: Versagenswahrscheinlichkeit von Bauteilen
W2: Versagenswahrscheinlichkeit von Schutzsystemen oder
Sicherheitseinrichtungen
W3: Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses
aufgrund menschlichen Fehlverhaltens
Hinzu kommt ein Korrekturfaktor „K“, der den Grad der Komplexität der erforderlichen
Prüfung einbezieht.
Im Rahmen der Methodik werden allgemeine Werte für die Wahrscheinlichkeiten
vorgeschlagen, die unabhängig von den Arbeitsmitteln bzw. Anlagen sind. Die Festlegung der Werte erfolgte in Bezug zum vorgeschlagenen Vergleichswert. Sind für
das betrachtete Arbeitsmittel oder die Anlage insbesondere Versagenswahrscheinlichkeiten von Bauteilen bekannt, so sollten diese verwendet werden. Basieren die
Werte auf statistischen Erhebungen, so ist bei der Risikobewertung zu berücksichtigen, wie sich ggf. der Wegfall von Prüfungen durch Experten auf die Eintrittswahrscheinlichkeit des Ereignisses und damit auf das Gesamtrisiko auswirken würde.
Alle Werte für die Wahrscheinlichkeiten und der Vergleichswert unterliegen der Konsensfindung im ABS.
79
Ralf Pieper & Bernd Schalau
Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgehend von einem Arbeitsmittel bzw. einer Anlage
innerhalb eines Jahres das im Verlaufsszenario beschriebene Ereignis (Index i) eintritt, berechnet sich aus dem Produkt der relevanten Einzelwahrscheinlichkeiten:
Wi = W1,i W2,i W3,i K
Dieses Produkt der Wahrscheinlichkeiten bedeutet für das Verlaufsszenario mit Index „i“, dass das unerwünschte Ereignis dann und nur dann eintritt, wenn alle Wahrscheinlichkeiten W n,i welche für das Szenario von Bedeutung sind, gleichzeitig und
unabhängig voneinander auftreten. Die Wahrscheinlichkeiten W n,i sind in diesem Fall
mit „logisch und“ verknüpft. Nicht für jedes Szenario sind alle Wahrscheinlichkeiten
Wn von Bedeutung. Dann entfällt dieser Faktor (nR).
W1 Versagenswahrscheinlichkeit von Bauteilen
Sind keine gesicherten Angaben für das Arbeitsmittel oder die Anlage bekannt, so ist
eine „allgemeine“ Versagenswahrscheinlichkeit eines relevanten Bauteils von 2 x 10-1
zu verwenden. Dieser Wert entspricht der Versagenswahrscheinlichkeit einer Betriebseinrichtung. Für sicherheitsrelevante Bauteile mit erhöhten Anforderungen kann
eine Versagenswahrscheinlichkeit von bis zu 1 x 10-4 verwendet werden. Werte für
konkrete Bauteile sind vom ABS zu ermitteln.
W2 Versagenswahrscheinlichkeit von Schutzsystemen und
Sicherheitseinrichtungen
Die Festlegung der Versagenswahrscheinlichkeit eines Schutzsystems oder einer
Sicherheitseinrichtung basiert auf den Unverfügbarkeiten. Hierbei werden rechtskonforme Instandhaltungsmaßnahmen (Prüfung, Wartung und Instandsetzung) und somit eine konstante Ausfallrate vorausgesetzt.
Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen
Im Szenario sind Schutzsysteme oder
Sicherheitseinrichtungen nicht relevant
Betriebseinrichtung mit Überwachungsfunktion
Versagenswahrscheinlichkeit W2
Nicht relevant
-1
2 x 10
(Vorschlag, Varianz möglich)
-1
Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen SIL 1
oder äquivalent
10
Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen SIL 2
oder äquivalent
10
-2
Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen SIL 3
oder äquivalent
10
-3
Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen SIL 4
oder äquivalent
10
-4
80
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
Müssen mehrere Schutzsysteme oder Sicherheitseinrichtungen gleichzeitig versagen, damit das Ereignis eintritt, so berechnet sich die Versagenswahrscheinlichkeit
W2 als Produkt der Versagenswahrscheinlichkeiten.
W3 Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses aufgrund
menschlichen Fehlverhaltens
Bei Tätigkeiten von Beschäftigten mit oder an Arbeitsmitteln bzw. Anlagen können
Schadensereignisse durch die jeweilige Gestaltung der Arbeitsorganisation (Aufgabenkomplexität, Zeit und Situation) ausgelöst werden. Dabei kann es z.B. zu Bedienfehlern kommen oder es können Manipulationen auftreten. Um dies berücksichtigen zu können, wird die Wahrscheinlichkeit, dass menschliche Eingriffe diese Ereignisse auslösen, in Anlehnung an die VDI Richtlinie 4006 Blatt 2 bewertet:
Aufgabenbeschreibung in Abhängigkeit der situationsbedingten Anforderungen und der kognitiven Belastung
Wahrscheinlichkeit
W3
Einfache und häufig durchgeführte Aufgaben und genügend zur
Verfügung stehenden Zeit in gewohnten Situationen
10
-3
Komplexe und häufig durchgeführte Aufgaben in gewohnten
Situationen und genügend zur Verfügung stehender Zeit,
wobei eine gewisse Sorgfalt bei der Durchführung notwendig ist
10
-2
Komplexere und häufig durchgeführte Aufgaben in ungewohnten
Situationen oder geringer zur Verfügung stehender Zeit
10
-1
Komplexere und selten durchgeführte Aufgaben in ungewohnten
Situationen oder geringer zur Verfügung stehender Zeit
3 x 10
-1
Hochkomplexe oder sehr selten durchgeführte Aufgaben in
ungewohnten Situationen oder geringer zur Verfügung stehender Zeit
8 x 10
-1
K
Korrekturfaktor - Komplexität der Prüfung
Je leichter ein Mangel an einem Bauteil, einem Schutzsystem oder einer Sicherheitseinrichtung erkennbar ist, so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Ereignis eintritt. Mit zunehmender Komplexität der erforderlichen Prüfung steigen auch
die Anforderungen an die prüfende Person bzw. Organisation. Daher wird als Referenzwert ein Korrekturfaktor K=0,8 eingeführt, d.h. die Prüfung mit besonderer Qualifikation und/oder Technik, wodurch das entsprechende Verlaufsszenario eine größere Bedeutung bei der Risikoermittlung erhält. Ist ein Mangel leicht erkennbar, so reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Ereignis eintritt. Darüber hinaus wird
mit K auch eine Quantifizierung im Hinblick auf die Anforderungen der erforderlichen
Prüfung ermöglicht.
81
Ralf Pieper & Bernd Schalau
Komplexität der Prüfung
K
Der Mangel ist bei der Benutzung leicht erkennbar
0,08
Der Mangel ist bei einer Prüfung leicht erkennbar
0,2
Der Mangel ist nur durch komplexe Prüfung erkennbar
0,4
Der Mangel ist bei einer Prüfung nur mit besonderer
Qualifikation und/oder Technik erkennbar
0,8
Der Mangel ist durch eine Prüfung nicht erkennbar
Schritt 7:
Nicht relevant
(das Szenario fällt weg)
Ermittlung des Risikos
Das Risiko eines Arbeitsmittels bzw. einer Anlagenart mit den gewählten Einsatzbedingungen berechnet sich aus den Risiken der N Ereignisse wie folgt:
N
R = ∑ Wi Si
i =1
Durch den Vergleich des ermittelten Risikos mit einem Vergleichswert erfolgt dann
durch den ABS eine Festlegung, ob besondere Prüfungen durch Experten
bei welchen Anlässen bzw.
mit welchen Prüffristen und
mit welchen Anforderungen
erforderlich sind.
Vorschlag für die Festlegung des Vergleichswerts
Nach der VDI/VDE 2180, Blatt 1 ist eine Schutzeinrichtung SIL 3 ausreichend, um
der Gefahr einer tödlichen Verletzung einer Person entgegenzuwirken. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios ist somit >= 10-4 bis <10-3. Als Vergleichswert
wird ein Wert von 10-2 = 10 Szenarien mit SIL 3 für eine tödliche Verletzung festgelegt.
82
Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
4.4
Fazit
Die Methodik dient der Unterstützung des ABS, d.h. sie ist nicht für den Arbeitgeber o.a. entwickelt worden.
Die Methodik versteht sich als strukturierende Handlungshilfe zur Bestimmung der
Notwendigkeit von Prüfungen für besonders risikobehaftete Arbeitsmittel.
Die Methodik fußt auf einem risikobasierten Ansatz, d.h., ausgehend von der
kritischen Schadensschwere „Tod“, der Ermittlung eines Restrisikos, das sich
aus dem Schadensausmaß, der Versagenswahrscheinlichkeit insbesondere von
Bauteilen, Sicherheitsfunktionen und menschlicher Zuverlässigkeit ergeben kann.
Einbezogen wird dabei der Grad der Komplexität der Prüfung.
Im Rahmen der Anwendung der Methodik wird davon ausgegangen, dass die
bestehenden, rechtlich vorgegebenen Anforderungen an Instandhaltung etc.
eingehalten werden.
Je nach ermitteltem Restrisiko sind die Prüfungsanforderungen / -stufen festzulegen (neue Arbeitsmittel) bzw. zu erhöhen / zu senken („alte“ Arbeitsmittel).
Die Methodik liefert keine automatischen Ergebnisse. Sie hat vielmehr zur Voraussetzung, dass zwischen den interessierten Kreisen des ABS ein Konsens
hergestellt werden kann (Konvention).
4.5
Literatur
[1]
R. Pieper: Methodische Ansätze zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel, Vortrag anlässlich des 77. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums am
10.01.2012 in Wuppertal (Download unter: http://suqr.uni-wuppertal.de/
fileadmin/Fachgebiete/SiTe/LuFG_Sicherheitsrecht/Kolloquium_Download/
Pieper_2012_01_10.pdf)
[2]
C. Barth: Ermittlung von Kriterien und Erkenntnissen zu Notwendigkeit, Art und
Umfang sicherheitstechnischer Prüfungen von Arbeitsmitteln (einschließlich Anlagen), BMAS Forschungsbericht 410, Berlin/Bonn 2011 (Download unter:
www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/
fb-fb410-ermittlung-kriterien-arbeitsmittel.pdf?__blob=publicationFile)
[3]
U. Hauptmanns, M. Marx: Kriterien für die Beurteilung von Gefährdungen durch
technische Anlagen, Verlag VdTÜV, Berlin 2010
[4]
U. Hauptmanns: Beurteilungskriterien für sicherheitstechnische Prüfungen von
Flüssiglagern, Verlag VdTÜV, Berlin 2010a
[5]
P. Hartung: Prüfpflichtige Arbeitsmittel, 5. Auflage, Wiesbaden 2009
83
Ralf Pieper & Bernd Schalau
Abb. 4.1
Prof. Ralf Pieper referierte u.a. auch über die anstehende Novellierung
der Betriebssicherheitsverordnung.
Abb. 4.2
Teilnehmerschaft beim 77. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium
am 10. Januar 2012 im Institut ASER e.V. in Wuppertal-Vohwinkel.
84
Psychische Belastungen bei der Arbeit –
Stand der Erkenntnisse und Handlungshilfen
5
Psychische Belastungen bei der Arbeit –
Stand der Erkenntnisse und Handlungshilfen
(GABRIELE RICHTER)
78. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. Januar 2012
in Wuppertal
Dr. Gabriele Richter
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,
Gruppe 3.5 „Psychische Belastungen,
Betriebliches Gesundheitsmanagement“, Dresden
Abb. 5.1
Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen (Toolbox
Version 1.2, F1965, 2010)
Abb. 5.2
BAuA-Faltblatt zur
Toolbox Version 1.2,
F22, 2008)
85
Gabriele Richter
Abb. 5.3
Teilnehmerschaft beim 78. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium
im „Hettinger-Saal“ im Institut ASER e.V. in Wuppertal-Vohwinkel.
Abb. 5.4
Eintreffende Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Institutsbibliothek
(1. Stock), wohin alle Kolloquien obligatorisch live übertragen werden.
86
Psychische Belastungen bei der Arbeit –
Stand der Erkenntnisse und Handlungshilfen
Abb. 5.5
Prof. Ralf Pieper begrüßt – wie immer – ganz besonders die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Institutsbibliothek (1. Stock).
Abb. 5.6
Dr. Gabriele Richter von der BAuA aus Berlin referierte am 24. Januar
2012 in Wuppertal über psychische Belastungen bei der Arbeit.
87
Kathrin Wahnschaffe
6
Sicherheit im Spannungsfeld von Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
(KATHRIN WAHNSCHAFFE)
79. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 31. Januar 2012
in Wuppertal
Dipl.-Soz.-Wiss. Kathrin Wahnschaffe
Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich D – Abteilung Sicherheitstechnik,
Fachgebiet “Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“, Wuppertal
heute: Georg-August-Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliche Fakultät,
Institut für Sportwissenschaften, Arbeitsbereich Sportsoziologie, Göttingen
6.1
Einleitung
Spätestens seit dem 11. September 2001 ist das Thema ‚Sicherheit’ ins Zentrum der
Aufmerksamkeit gerückt. Politik und Gefahrenabwehrbehörden nutzen die ‚Staatspflicht’ des Schutzes der Bürger, um immer neue, vor allem technische Entwicklungen unter anderem zur Informationsgewinnung über potentielle Gefährder und Gefahren einzuführen. Damit einher geht eine sowohl juristische wie auch politischideologische Debatte über den Zusammenhang von Sicherheit und Freiheit. In diesem Beitrag soll eine neue, wenig beachtete Perspektive eröffnet werden. Aus gelassenerer, wissenschaftlicher Sicht lassen sich Problematiken und Gefahren identifizieren, die keiner der Beteiligten geplant, geschweige denn gewollt hat. Mit Hilfe
sozialpsychologischer Erkenntnisse möchte der Beitrag ein Problembewusstsein für
einen zentralen und bisher unbeachteten Aspekt in der Debatte schaffen.
6.2
Gefahrenabwehr als Aufgabe des modernen Nationalstaates
Im Laufe des Zivilisationsprozesses1 bilden sich sowohl das Gewaltmonopol als auch
das Steuermonopol des Staates heraus. Diese beiden Komplementärprozesse sind
1
88
Zum Zivilisationsprozess siehe: Elias, Norbert. Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische
und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu
einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt am Main 1997.
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
untrennbar miteinander verbunden, so ermöglicht das Steuermonopol dem Staat die
Finanzierung von stehenden Heeren, Polizei und anderen Ordnungskräften. Im Gegenzug für das Entrichten von Steuern erwarten die Bürger, dass der Staat seinem
Schutzauftrag nachkommt und Gefahren von seinen Bürgern abwendet. Der Staat
stellt also für die Bürger eine „Schutz- und Trutzeinrichtung“ dar. Gefahrenabwehr ist
die zentrale Aufgabe des Staates. So heißt es im Faltblatt Bevölkerungsschutz in
Deutschland vom BBK:
Gemäß des gesellschaftlichen und verfassungsmäßigen Auftrags ist „der Schutz der
Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren [.] eine der vornehmsten Aufgaben des modernen Staates“2.
Doch was sind überhaupt Gefahren für die Bürger, bzw. was wird als Gefahr wahrgenommen?
6.3
Wahrnehmung von Gefahr
Folgt man dem Bericht des Bundestages über die Methode zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz aus dem Jahr 20103, dann werden vor Allem folgende Gefahrenund Schadenspotentiale identifiziert:
Extreme Naturereignisse (z.B. schwere Stürme, extreme Niederschläge,
Hitzewellen/Dürren, Erdbeben, Epidemien/Pandemien etc.)
CBRN-Gefahren (Gefahren, die durch chemische, biologische, radioaktive und
nukleare Stoffe entstehen)
Ausfall kritischer Infrastrukturen (z.B. lange anhaltende Störungen in bzw. Ausfälle
der Energieversorgung sowie anderer lebenswichtiger Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen)
Terrorismus und militärische Konflikte/Kriege
Besonders der letzte Punkt, Terrorismus, genauer, islamistischer Terror wird in Medien und Politik seit dem 11. September 2001 als wichtigste Gefahr vermittelt. So
hieß es beispielsweise auf der Homepage des Bundesministerium des Innern noch
2
http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Broschueren_Flyer/
Faltblatt_bevoelkerungsschutz.pdf, [12.03.2012]
3
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/041/1704178.pdf, S. 3 [12.03.2012]
89
Kathrin Wahnschaffe
im Oktober 2010: „Die derzeit größte Bedrohung für unsere Freiheit und Sicherheit
geht vom islamistischen Terrorismus aus. Die Antwort der Bundesregierung ist eine
umfassende Sicherheitsstrategie, die effizient umgesetzt wird“4.
Geht man der Behauptung, der islamistische Terrorismus stelle derzeit die größte
Bedrohung dar, einmal auf den Grund, kommt man recht schnell zu der Erkenntnis,
dass hier die vermittelte Wirklichkeit und die empirisch belegbare Wirklichkeit frappierend auseinander fallen5.
Dies führt zu einem weitreichenden Problem, das in der Sozialpsychologie als das
Thomas-Theorem bezeichnet wird. Es besagt:
„Wenn Menschen Situationen als real interpretieren, dann sind diese in ihren Folgen
real.“6
Die Gefahrenabwehr basiert zu einem erheblichen Teil auf der Risiko- und Gefahrenanalyse. Interpretieren Analysten und Entscheidungsträger eine Gefahr als real,
als wahrscheinlich oder (gegenwärtig häufig) als potentiell, dann werden die Konsequenzen für die Einsatzkräfte und die betroffene Bevölkerung real sein. Es gibt jedoch bereits bei der Definition und Einschätzung, was überhaupt als Gefahr wahrgenommen wird bzw. was als Gefahr gilt, erhebliche Diskrepanzen. Während sich der
Gesetzgeber vor allem auf populäre und massenmedial wirksame Themen wie Katastrophen und Terrorismus beschränkt, setzen die Akteure der Gefahrenabwehr
gänzlich andere Bedingungen voraus. So geht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe von folgender Gefahren- und Gefahrenabwehrdefinition
aus:
Gefahr: Unter Gefahr versteht man, einen Zustand, Umstand oder Vorgang, durch
dessen Einwirkung ein Schaden an einem Schutzgut entstehen kann7.
4
http://www.bmi.bund.de, mittlerweile wurde nicht nur die Internetpräsenz umgestaltet, auch die
„Warnung „ ist entfernt. Auch auf dem „Bevölkerungsschutz-Portal“ des Bundesministeriums des
Innern ist Terrorismus mittlerweile weniger exponiert aufgestellt. Hier heißt es nur noch:
„Deutschland hat seine Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus den aktuellen Erfordernissen
angepasst.“ http://www.bevoelkerungsschutz-portal.de/BVS/DE/Themen/Gefahren/Terrorismus/
terrorismus_node.html [12.03.2012] Dies dürfte vor allem dem Rechtsterrorismus geschuldet sein.
5
Vgl. TE-SAT 2009; 2010; 2011 | EU TERRORISM SITUATION AND TREND REPORT |
EUROPOL
6
Thomas, William E. und Thomas, Dorothy S.(1928). Die Definition der Situation.
In: Steinert, Heinz (Hrsg.) (1973). Symbolische Interaktion. Arbeiten zu einer reflexiven Soziologie.
(Konzepte der Humanwissenschaften).
7
http://www.bbk.bund.de/DE/Servicefunktionen/Glossar/_function/glossar.html?lv2=
1899376&lv3=1956124 [12.03.2012]
90
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Gefahrenabwehr, allgemein: Allgemein versteht man unter Gefahrenabwehr, die
Summe staatlicher Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Gefahren, die mit
den im Regelbetrieb verfügbaren Einsatzkräften bewältigt werden können, etwa in
den Bereichen Ordnungswesen, Rettung und Brandschutz8.
6.4
Freiheitsrechte bzw. Schutzrechte
Durch diese unterschiedliche Gefahrenwahrnehmung und damit auch unterschiedliche Umgangsweise (Thomas-Theorem) mit der Gefahr können sich weitreichende
Probleme ergeben. Gefahren, die von Medien und Politik vermittelt werden, könnten
die Wahrnehmung der Menschen in Gefahrenabwehrorganisationen so beeinflussen,
dass diese daraufhin versucht sind, die vermeintlich reale Gefahr, auf die sie laut
Vorgabe zu achten haben, abzuwehren. So könnten Staatsschutzorgane und Gefahrenabwehrorganisationen verleitet werden zur Abwehr vermeintlich realer Gefahren,
in ihren Bestrebungen zu weit zu gehen. Auch deshalb (und als Schutz vor einem
totalitären Staat) sind im Grundgesetz der BRD zahlreiche Freiheits- oder auch
Schutzrechte verankert, die auch die Rechte und Pflichten der Gefahrenabwehr begrenzen sollen. Die Schutzrechte schützen somit den Bürger vor dem Staat. Diese
Freiheitsrechte schützen im Wesentlichen Leben, Freiheit und Eigentum vor staatlichen Eingriffen:
Allgemeine Handlungsfreiheit
Gewissensfreiheit
Religionsfreiheit
Meinungsfreiheit
Versammlungsfreiheit
Vereinigungsfreiheit
Berufsfreiheit
Eigentumsgarantie
Briefgeheimnis
Die Freiheitsrechte sind die Grundlage des freiheitlichen Rechtsstaates. „Freiheitliche
demokratische Grundordnung […] ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher
Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der
Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser
8
http://www.bbk.bund.de/DE/Servicefunktionen/Glossar/_function/glossar.html?lv2=
1899376&lv3=1956138 [12.03.2012]
91
Kathrin Wahnschaffe
Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und
freie Entfaltung, […].“9 Weiter gilt in Deutschland die Unschuldsvermutung, die besagt, dass jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, solange als
unschuldig anzusehen ist, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem
alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß
dem Gesetz nachgewiesen ist.“10
6.5
Freiheitlicher Rechtsstaat vs. Präventionsstaat
Bei der Gefahrenabwehr existiert die Unschuldsvermutung jedoch nicht, was daran
liegt, dass konkrete Situationen oft ein umgehendes Eingreifen seitens der Organisationen erforderlich machen.
„Eingriffe im Zusammenhang mit Gefahrenabwehrmaßnahmen sind nur möglich bei
Vorliegen einer Gefahr im polizeirechtlichen Sinne und dürfen grundsätzlich nur gegen einen Gefährder angewendet werden. Liegt keine Gefahr vor, besteht aber ein
Gefahrenverdacht, so sind lediglich Gefahrerforschungseingriffe zulässig, also Maßnahmen, die nicht auf die Beseitigung des Gefahrenzustands abzielen, sondern der
Ermittlung des notwendigen Umfangs der endgültigen Gefahrenabwehrmaßnahmen
dienen.“11
Bereits die Sprache, die unser Denken und Handeln steuert, bemüht mit dem Begriff
des Gefährders eine Person, die nach bisherigem Rechtsverständnis als unschuldig
galt. So ist ein Gefährder im „staatlichen Sinne jemand, von dem eine Gefahr ausgeht, vor allem eine terroristische. Klingt bedrohlich. Tatsächlich aber ist jemand gemeint, gegen den es keine gerichtsfesten Beweise gibt, den man daher nicht anklagen und nicht verurteilen kann und der nach bisherigem Rechtsverständnis unschuldig ist.“12 Ein potentieller Gefährder ist die „Steigerungsform. Ein Mensch, der noch
nicht zum G[efährder] geworden ist, es aber werden könnte. Gegen den aber schon
jetzt “Maßnahmen” ergriffen werden sollen. Potenzieller G[efährder] kann jeder sein.
Immerhin kann von jedem Bürger in der Zukunft eine Gefahr ausgehen. So etwas
nennt man in anderen Zusammenhängen einen Generalverdacht.“13
9
Bundesverfassungsgericht 1952 | BVerfG 2, 1, 12
10
Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948
11
Schoch, Friedrich Juristische Schulung (JuS) 1994, S. 669
12
Kai Biermann | “Gefährder“, http://neusprech.org/gefaehrder/ [12.03.2012]
13
Kai Biermann | „Gefährder, potenzieller“, http://neusprech.org/gefaehrder-potenzieller/ [12.03.2012]
92
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Aber woher sollen die Gefahrenabwehrbehörden nun wissen, wer Gefährder oder
potentieller Gefährder ist oder wird oder es in der Zukunft werden könnte? Dies geschieht durch Information und Aufklärung.
„Wir müssen sehen, dass die herkömmliche Abschreckung durch Strafandrohung bei
Selbstmordattentätern versagt. Wenn aber Abschreckung keine ausreichende Wirkung entfaltet, bekommt die Prävention der Tat besonderes Gewicht. Erfolgreiche
Prävention setzt vor allem Information voraus. Nur ausreichend informiert haben wir
die Chance, Bedrohungen abzuwehren, ehe ein Schaden entstanden ist.“14
Im Sinne der Prävention werden die Freiheitsrechte der Bürger immer weiter eingeschränkt. Um diese Einschränkungen zu legitimieren und somit zu verhindern, dass
sie in der Bevölkerung zu Unmut oder gar Protest führen, wird ein scheinbarer Widerspruch von Freiheitsrechten auf der einen Seite und Sicherheit auf der anderen
Seite herbeigeredet. Je mehr Freiheit, desto weniger Sicherheit suggeriert dieser
scheinbare Widerspruch, der immer wieder gern von Entscheidungsträgern bedient
wird. So führt Siegfried Kauder gegenüber dem ZDF Heute-Journal aus: „Es ist Mode
geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen. Dabei vergisst man, dass der Bürger auch einen Anspruch auf Sicherheit – auf innere Sicherheit – hat.“15 Es wird postuliert, dass je mehr Freiheitsrechte die Bürger “einfordern“16, desto weniger kann der Staat Sicherheit gewährleisten. Dieser scheinbare
Widerspruch von Freiheitsrechten und Sicherheit, der zudem suggeriert: Je mehr
Sicherheit, desto eher verzichten die Bürger freiwillig auf Freiheit, hat zur Folge, dass
um für Sicherheit zu sorgen, gemacht werden muss, was technisch machbar ist.
Gemäß dieser Logik äußert sich auch Wolfgang Schäuble im Rahmen der Bucerius
Summer School on Global Governance: „Natürlich dürfen die Sicherheitsbehörden
nur im Rahmen von Recht und Gesetz handeln und Informationen gewinnen. Also
muss der Staat die notwendigen rechtlichen Grundlagen für ihre Arbeit schaffen, wie
gesagt, auf der Höhe der technischen Entwicklungen unserer Zeit. Dabei müssen die
Werte unserer freiheitlichen Verfassung, die es zu schützen und zu verteidigen gilt,
weiterhin Leitlinien staatlichen Handelns sein. In genau definierten Fällen hat der
Staat, um seinen Schutzpflichten nachzukommen, die Freiheitsrechte des Einzelnen
schon immer einschränken müssen. Die Praxis zeigt, dass die Sicherheitsbehörden
14
Wolfgang Schäuble im Rahmen der Bucerius Summer School on Global Governance, Freedom vs.
Security: Guaranteeing Civil Liberties in a World of Terrorist Threats, 26.08.2009,
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/DE/2009/08/bm_bls.html?nn=109628 [12.03.2012]
15
Siegfried Kauder CDU/CSU | 01.08.2011 ZDF heute Journal, einzusehen hier:
http://netzpolitik.org/2011/zdf-heute-journal-streit-um-kontrolle-des-internets/ [12.03.2012]
16
Wobei „einfordern“ bereits problematisch ist. Denn Grundrechte müssen nicht eingefordert werden.
Sie gelten universal. Der Staat hat sich danach unaufgefordert zu verhalten. Müssen Grundrechte
eingefordert oder gar eingeklagt werden, ist dies bereits Anzeiger für eine gefährliche
Verschiebung staatlicher Eingriffe.
93
Kathrin Wahnschaffe
von den eingeräumten Kompetenzen maßvoll Gebrauch machen.“17 Doch ist das
tatsächlich so? Kann man wirklich von maßvollem Gebrauch der eingeräumten Kompetenzen, wie zum Beispiel der Antiterrorgesetze nach 2001, sprechen? Werden die
Werte unserer freiheitlichen Verfassung tatsächlich geschützt und verteidigt? Wie
fällt eine empirische Betrachtung aus?
6.6
Massenkontrolle durch Informationsmasse
In Wirklichkeit gibt es unzählige Beispiele dafür, dass die Behauptung Wolfgang
Schäubles leider bloß eine Behauptung ist und dass kaum von einem maßvollen
Gebrauch der Kompetenzen oder von einer grundlegenden Achtung der freiheitlich
demokratischen Grundwerte die Rede sein kann. So wurden zum Beispiel bei einer
Demonstration gegen Rechtsextremismus in Dresden eine Million Handyverbindungsdaten ausgelesen18. Im Jahr 2009 führte das Land Brandenburg 545 mal einen
präventiven Kfz- Massenabgleich durch. 2010 geschah dies bereits 2749 mal19. Die
Kennzeichenfahndung findet allerdings nicht, wie vorgegeben, aus Gründen der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben statt. Sie wird fast ausschließlich eingesetzt
um Eigentumsdelikte, genauer Autodiebstahl, aufzuklären.
„Fast durchweg (zu 93%) wird der Fahrzeugverkehr zur Suche nach gestohlenen
Fahrzeugen gerastert. Nur 5% der Abgleiche dienen der Abwehr von Gefahren, 2%
der Einsätze der Verfolgung einer anderen Straftat als Kfz-Diebstahl.“20
In Bayern werden Monat für Monat 8 Million Fahrer ohne jeden Anlass daraufhin
überprüft, ob ihr Fahrzeug vielleicht zur Fahndung oder zur „polizeilichen Registrierung“ oder Beobachtung ausgeschrieben ist. 185 Fahrzeuge werden pro Minute in
Bayern gerastert.
„Wenn die 22 bayerischen Kfz-Kennzeichenlesegeräte das Passieren eines zur
Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugs an die Polizei melden, ist die Meldung nur
in einem von 100 Fällen korrekt. Zu fast 99% geben die Geräte Fehlalarm, im Wesentlichen bedingt durch ‚Syntaxfehler des Systems’.“21
17
siehe Fußnote 14
18
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/handy-verbindungsdaten-sachsens-polizei-spaehtemehrere-stadtteile-aus-a-770473.html [12.03.2012]
19
http://www.daten-speicherung.de/index.php/bericht-uber-kfz-massenabgleich-geleakt/ [12.03.2012]
20
Ebda.
21
http://www.daten-speicherung.de/index.php/bayern-kfz-massenabgleich-verursacht-in-99-von-100fallen-fehlalarm/ [12.03.2012]
94
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Nur durch diese Massenkontrolle durch Informationsmasse, lässt sich auch Sinn und
Zweck der Vorratsdatenspeicherung erklären. „In einer Studie des Bundeskriminalamts vom November 2005 wurden 381 Straftaten vor allem aus den Bereichen Internetbetrug, Austausch von Kinderpornografie und Diebstahl erfasst, die in den vergangenen Jahren aufgrund fehlender Telekommunikationsdaten nicht aufgeklärt
werden konnten. Diesen 381 Fällen stehen jährlich 6,4 Millionen Straftaten gegenüber, von denen laut Kriminalstatistik Jahr für Jahr 2,8 Millionen unaufgeklärt bleiben.“ Die Aufklärungsquote ließe sich demnach durch die Vorratsdatenspeicherung
von 55% auf 55,006% erhöhen22. Die kriminologische Abteilung des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht hat sich detailliert (umfangreiche europaweite Erhebung und Auswertung) mit der Frage der angeblichen
„Schutzlücke“ durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 beschäftigt. Die Studie kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass eine solche immer wieder behauptete Schutzlücke nicht
besteht. So heißt es in dem 271-seitigen Bericht: „Die Vorratsdatenspeicherung führt
nachweislich nicht zu höheren Aufklärungsquoten bei schweren Verbrechen“23. Für
den Zeitraum, in dem es in Deutschland eine Vorratsdatenspeicherung gab, ist kein
positiver Effekt auf die Aufklärungsquoten zu verzeichnen. Aber auch nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
war kein Abfall der Quote der aufgeklärten Fälle zu beobachten. Die Daten sollen, so
die Idee des Gesetzgebers, Strafverfolgern zur Verfügung stehen und ihnen vor allem bei der Suche nach Terroristen helfen. Allerdings lassen Schätzungen der Kommunikationsanbieter den Schluss zu, dass sie vor allem dazu dienen, leichtere Vergehen wie illegales Datentauschen, Betrug oder Beleidigungen zu verfolgen.
Auch in der Wissenschaft finden sich Beispiele für Massenkontrolle durch Informationsmasse:
INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment), so heißt das Projekt, das von der
Europäischen Union im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms mit 10,91
Mio. Euro finanziert wird und von „Der Zeit“ bereits als „Traum der EU vom Polizeistaat“, in dem Begriffe wie Unschuldsvermutung oder gerichtsfester Beweis keine
Bedeutung mehr haben, beschrieben wurde24. In diesem Projekt werden Vorratsdaten vernetzt mit Ergebnissen aus so genannter Open Intelligence Software. Durch
die automatisierte Auswertung von Bildern aus der Videoüberwachung des öffentlichen Raumes und deren Verknüpfung mit Informationen aus dem Internet und einer
22
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/CD/CD_3.0/hintergrund.html [12.03.2012]
23
http://vds.brauchts.net/MPI_VDS_Studie.pdf [12.03.2012]
24
Kai Biermann: Indect – der Traum der EU vom Polizeistaat.
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2009-09/indect-ueberwachung [12.03.2012]
95
Kathrin Wahnschaffe
Vielzahl weiterer Datenquellen sollen auf automatische Weise strafrechtlich relevante
„Bedrohungen“ und Taten zu erkennen sein. Ziel ist eine präventive Polizeiarbeit, die
auf eine automatisch computergestützte Auswertung von Videodaten zurückgreifen
kann. Dabei soll die intelligente Computersoftware in den Videoüberwachungsbildern
„abnormales Verhalten“ im öffentlichen Raum erkennen. Unter abnormalem Verhalten verstehen die Macher von INDECT zum Beispiel „zu langes Sitzen“ oder „auf
dem Boden sitzen“ in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder einem Flughafen, oder
auch das Verlieren des eigenen Gepäcks. Auf Überwachungsbildern als „verdächtig“
identifizierte Personen sollen durch computergestützte Gesichtserkennung automatisch identifiziert und von ferngesteuerten fliegenden Drohnen automatisch und selbständig verfolgt werden25. Die Initiative STOPP INDECT beschrieb das System folgendermaßen:
„INDECT ist das umfassendste Überwachungsprogramm, das je installiert werden
sollte. Es umfasst nicht nur das Internet. Auch Menschen auf der Straße werden
INDECT nicht entgehen. Was wie wirre Science Fiction klingt, könnte ab 2013
schwer zu begreifende Wirklichkeit werden. Science Fiction war gestern. INDECT ist
morgen. INDECT verbindet sämtliche Daten aus Foren, Social Networks (z.B. Facebook), Suchmaschinen des Internets mit staatlichen Datenbanken, Kommunikationsdaten und Kamerabeobachtungen auf der Straße. INDECT wird wissen, wo wir sind,
was wir tun, weshalb wir es tun und was unsere nächsten Schritte sein werden.
INDECT wird unsere Freunde kennen und wissen, wo wir arbeiten. INDECT wird
beurteilen, ob wir uns normal oder abnormal verhalten.“26
Wer nichts getan hat, hat nichts zu befürchten? Nur zu gern wird so immer wieder
argumentiert. Sollte das INDECT System tatsächlich implementiert werden, dürfte
dieses Argumentationsmuster allerdings ausgedient haben.
6.7
Sicherheit statt Freiheit
INDECT kann sicherlich als Spitze des Eisberges betrachtet werden, doch bereits
zuvor kam es immer wieder vor, dass unschuldige Bürger unter (Terror)Verdacht
gerieten, was fatale Konsequenzen für die Betroffenen und deren Umfeld nach sich
zieht. Hier sollen exemplarisch einige Beispiele vorgestellt und ein Fall etwas genauer betrachtet werden.
25
Vgl. http://www.stopp-indect.info/?page_id=2&lang=de [12.03.2012]
26
ebd.
96
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Der 22-jährige Nottinghamer Doktorand Rzwaan Sabir27 wurde verhaftet, weil er von
einer Internetseite des US-Justizministeriums für seine Abschlussarbeit ein Trainingshandbuch der Al Qaida heruntergeladen hatte. Das machte ihn für die britische
Polizei zum Terrorverdächtigen, die ihn daraufhin sechs Tage im Gefängnis festhielt.
Angezeigt hatte ihn ein Kommilitone. Dieser hat sich somit ganz so verhalten, wie es
beispielsweise auch der Berliner Innensenator, Erhart Körting, forderte, als er die
Bürger dazu aufrief: „Wenn wir in der Nachbarschaft irgendetwas wahrnehmen, dass
da plötzlich drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie
blicken lassen oder ähnlich, und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen,
die wir nicht verstehen, dann sollte man glaube ich schon mal gucken, dass man die
Behörden unterrichtet, was da los ist.“28
Ein weiteres Beispiel ist der marokkanische Informatikstudent, Marrouane S., aus
München. Er wurde 2009 präventiv verhaftet, weil er verdächtigt wurde, einen Anschlag auf das Münchner Oktoberfest zu planen. Mehrere anonyme Drohvideos im
Internet hatten die Behörden alarmiert. Es gab keine Beweise dafür, dass der marokkanische Student etwas damit zu tun haben könnte. Seine einwöchige Inhaftierung
wurde nachträglich per Gerichtsbeschluss für rechtswidrig erklärt, dennoch wird er
bis heute vom Verfassungsschutz observiert.
Aufgrund von vagen Verdächtigungen wurde 2007 auch der deutsche Stadtsoziologe
Andrej Holm verhaftet. Das BKA hatte den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Frankfurt am Main einer linken militanten Gruppe zugeordnet und wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung drei Wochen in Untersuchungshaft festgehalten. Bis 2010 wurde gegen ihn ermittelt. Gegen ihn wurde keine Anklage erhoben.
Das Verfahren wurde im Juli 2010 eingestellt.
27
Dieser und der folgende Fall sind entnommen aus der arte Reprotage „Freiheit oder Sicherheit.
Der Antiterrorkampf und seine Folgen.“
http://www.arte.tv/de/programm/244,broadcastingNum=1274220,day=4,week=36,year=2011.html
[12.03.2012]
28
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/koerting-und-die-araber-falsche-schablonen-im-kopf-a730136.html [12.03.2012]
97
Kathrin Wahnschaffe
6.8
Der Fall Holm29
Doch wie gerät man überhaupt als Terrorverdächtiger in die Fänge des BKA?
Aus der Anklageschrift …
„Die Beschuldigten verfügen über die intellektuellen Fähigkeiten, vergleichsweise
anspruchsvolle Texte zu formulieren“
„... sie haben als Wissenschaftler die Gelegenheit, unauffällig in Bibliotheken zu
recherchieren“
„... eine Beteiligung an der Erstellung von Selbstbezichtigungsschreiben ist nicht
ausgeschlossen...“
„Die Beschuldigten kennen sich unter einander“
Beamte vom BKA wurden auf Andrej Holm aufmerksam, nachdem sie bei Google
folgende Worte aus Bekennerschreiben eingegeben hatten:
„Gentrification“
„Prekarisierung“
„Reproduktion“
„implodieren“
„politische Praxis“
Für einen Stadtsoziologen sind dies keineswegs abwegige Begriffe und Andrej Holm
hatte sich wohl nicht träumen lassen, dass die Eingabe dieser für ihn gängigen Begriffe in eine Suchmaschine ihn einmal zu einem Terrorverdächtigen machen würde.
Für Andrej Holm selbst hatte dieser Verdacht weitreichende Konsequenzen zur Folge, doch nicht nur sein Leben änderte sich einschneidend, auch die Personen, die
mit ihm in Verbindung standen, hatten unter den Folgen zu leiden.
Im Zuge der Ermittlungen kamen folgende Verfahren zum Einsatz:
Verdeckte Observation
Abhören von Telefonen (inkl. Handy, Anschlüssen von Partnerinnen, im Büro)
Auswertung von E-Mails und besuchten Websites
Video-Kameras vor und hinter Wohnhäusern
Kleiner Lauschangriff
Abfragen bei Banken, Deutsche Bahn, Providern, Vermietern
Überprüfung sämtlicher Kontaktpersonen, auch Kolleginnen und Kollegen
GPS-Geräte an Autos
29
Zum Fall Andrej Holm siehe vor allem: http://annalist.noblogs.org/post/category/uberwachung-imalltag/ [12.03.2012]
98
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Anfrage bei der Stasi-Unterlagenbehörde
Anfragen u.a. bei Meldeämtern und Kfz-Behörden
Im Zuge der Ermittlungen wurden mehr als 2000 Personen überwacht.
Es wurden alle direkten Kontakte von Holm und deren direkte Kontakte überwacht.
Obwohl das Verfahren gegen Andrej Holm im Juli 2010 eingestellt wurde, wird er
noch immer observiert.
6.9
Strukturen und Gruppenprozesse
Wenn man nun davon ausgeht, dass die für die vorgestellten Beispiele Verantwortlichen keine bösen Menschen sind, sondern lediglich für Sicherheit sorgen und somit
ihrem Auftrag nachkommen wollen, stellt sich die Frage nach der Bedingung der
Möglichkeiten ihres Verhaltens. Die Antwort liegt meist in den Strukturen sowie in der
jeweiligen Situation begründet. Zusammen mit dem Thomas Theorem sind es Strukturen und Situationen, die einen bestimmten Zwangscharakter haben und diesen auf
Menschen ausüben.
Der dritte Teil dieses Artikels wird sich daher mit den oftmals unterschätzten sozialen
und situativen Einflüssen beschäftigen. Um den zwingenden Charakter zu verdeutlichen, werden vier klassische Experimente aus der Sozialpsychologie vorgestellt, die
in ihren Erkenntnissen auch für die Gefahrenabwehr entscheidend sein können, so
sind es doch immer Menschen, die betroffen sind. Es sind Menschen, deren Freiheitsrechte eingeschränkt werden, es sind Menschen, die kontrolliert und überwacht
werden, es sind wiederum Menschen, die kontrollieren und überwachen. Menschen
arbeiten in der Gefahrenabwehr und Menschen sollen vor Gefahren geschützt werden. Was passiert mit diesen Menschen? Wie werden sich beispielsweise in der Gefahrenabwehr tätige Menschen in bestimmten Situationen verhalten? Und wie wirkt
sich das auf andere Menschen aus? Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie zu
Gruppen, Konformismus und Autorität, können hilfreich sein, diese und andere Fragen zu beantworten.
6.10
Konformitätsexperiment von Solomon Asch (1951)
Begonnen werden soll mit dem Konformitätsexperiment von Solomon Asch, das
zeigt, wie Gruppenzwang eine Person so zu beeinflussen vermag, dass sie eine
offensichtlich falsche Aussage als richtig bewertet.
99
Kathrin Wahnschaffe
Der Versuchsaufbau sah folgendermaßen aus: Eine Gruppe saß an einem Tisch. Mit
Ausnahme der Versuchsperson waren alle anderen Gruppenmitglieder eingeweihte
Helfer des Versuchsleiters.
Der Gruppe wurde eine Linie (so genannte Referenzlinie) gezeigt. Neben dieser
wurden drei weitere Linien gezeigt. Die Personen sollten einschätzen, welche dieser
drei Linien die gleiche Länge aufwies, wie die Referenzlinie. Der Versuch wurde 12
Mal wiederholt, wobei sich bei jedem Durchgang eine der Linien deutlich erkennbar
als gleichlang wie die Referenzlinie darstellte. In der Kontrollgruppe sollten die Vertrauten des Versuchsleiters ihre wahre Einschätzung in der Gruppe äußern, welche
Linie die gleiche Länge aufweist. Erwartungsgemäß machte die Versuchsperson unter dieser Bedingung kaum Fehler (unter 1%). In der Experimentalgruppe hingegen
sah es anders aus. Hier fanden jeweils 18 Schätzungen statt. Während sechs dieser
Durchgänge waren die heimlichen Vertrauten instruiert, ein richtiges Urteil abzugeben um glaubhaft zu erscheinen. Während der restlichen zwölf Durchgänge sollten die Vertrauten einstimmig ein falsches Urteil abgeben. Im Durchschnitt antworteten die Versuchspersonen nun zu 37% falsch. Sie passten sich der Mehrheit trotz
offensichtlicher Fehlentscheidung an. Aus dem Mittelwert von 37% Fehlentscheidungen kann jedoch keinesfalls der Schluss gezogen werden, die Mehrzahl der Versuchspersonen sei von dem erzeugten Konformitätsdruck unbeeinflusst geblieben:
75% der Teilnehmer beging in den 12 manipulierten Durchgängen mindestens einen
Fehler - trotz offensichtlicher Fehlentscheidung der Mehrheit30.
Das Experiment ergab, dass etwa jede dritte Antwort gruppenkonform gegeben wird.
Je größer die Gruppe ist, desto mehr Konformitätsdruck wird erzeugt. Wird die Einstimmigkeit der heimlichen Vertrauten bei einem falschen Urteil jedoch dadurch aufgebrochen, dass jemand von ihnen von der Gruppenmeinung abweicht, begehen die
Versuchspersonen deutlich weniger Fehler. In diesem Fall scheinen sie sich zu trauen, ihre Minderheitenmeinung zu äußern, da auch andere eine Minderheitenmeinung
vertreten. Zu einer ähnlichen Senkung der Konformitätsrate führt soziale Unterstützung: Stimmt einer der Vertrauten der Versuchsperson zu, bestehen diese fast immer auf ihrer richtigen Einschätzung.
Dieses relativ einfache Experiment liefert erste Erkenntnisse zu Zwang, der in Gruppen ausgelöst wird und einen ersten Hinweis darauf, wie die Fehlerrate gesenkt werden kann.
30
Vgl. Thomas, Alexander: Grundriß der Sozialpsychologie. Band 2: Individuum – Gruppe – Gesellschaft. Göttingen. 1992. S. 97ff.
100
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
6.11
Die Kognitive Dissonanz von Leon Festinger 1959
Kognitive Dissonanz bezeichnet einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten) hat, die nicht
miteinander vereinbar sind, also eine Art Störgefühl.
„So wird angenommen, dass die Kognitionen eines Menschen ein zusammenhängendes System bilden, das nach Gleichgewicht (Konsistenz) strebt. Erst wenn die
vorhandenen Kognitionen zueinander passen, ist das kognitive System ausgeglichen
und „in Ruhe“. Passen die auftretenden Kognitionen nicht zueinander, stehen sie
also in dissonanter Beziehung zueinander, so entsteht Unruhe, also ein Bestreben,
eine Motivation, konsonante Beziehungen herzustellen, damit sich das als befriedigend erlebte kognitive Gleichgewicht wieder einstellt.“31
Dissonanz entsteht z.B. nach Entscheidungen, wenn die Alternative ebenfalls als
attraktiv bewertet wird oder aber, wenn sich die Entscheidung im Nachhinein als
Fehlentscheidung herausstellt32. Dissonanz entsteht auch, wenn man sich konträr zu
seinen Überzeugungen verhält, ohne dass es dafür eine externe Rechtfertigung gibt.
Um diese Form der Dissonanz soll es in dem folgenden Experiment gehen.
Leon Festinger unterzog seine Annahmen einer empirischen Überprüfung und wählte
hierfür ebenfalls die Form des Experiments. In diesem wurden Testpersonen gebeten, monotone, langweilige Tätigkeiten auszuüben, wie das Rein- und Rausdrehen
von Schrauben in ein Brett. Nachdem diese Aktivität eine längere Zeit ausgeführt
wurde, war das Experiment (scheinbar) vorüber und die Versuchspersonen durften
gehen. Später wurden sie als „ehemalige“ Teilnehmer gebeten, „neue“ Teilnehmer
für das Experiment zu gewinnen und diese davon zu überzeugen, dass es sich bei
dem Experiment um eine spannende Aufgabe handle. Einige der „Ehemaligen“ bekamen 20 Dollar für die Rekrutierung neuer Probanden, andere bekamen hingegen
nur 1 Dollar. Nach ihrer Werbung für das Experiment, wurden die „Ehemaligen“ gebeten, ihre Tätigkeit noch einmal rückwirkend zu bewerten. Es stellte sich heraus,
dass diejenigen, die nur 1 Dollar bekommen hatten, ihre Tätigkeit während des Experiments nun deutlich positiver einschätzen als zuvor und deutlich positiver als diejenigen, die 20 Dollar für die Aufgabe bekamen. Leon Festinger erkannte eine Kognitive Dissonanz bei den „Ehemaligen“, da diese den „Neuen“ eine Tätigkeit als interessant anpreisen sollten, die sie selber tatsächlich als äußerst langweilig empfunden
hatten. Die „Ehemaligen“, die 20 Dollar für ihre Lüge bekamen, sahen darin eine aus-
31
Tomas, Alexander. Grundriß der Sozialpsychologie. Band 1: Grundlegende Begriffe und Prozesse.
Göttingen. 1991. S. 37.
32
Zum Auftreten von Dissonanz siehe: Leon Festinger. Theorie der kognitiven Dissonanz. Herausgegeben von Martin Irle und Volker Möntmann. Liebefeld-Bern. 1978. S. 18ff.
101
Kathrin Wahnschaffe
reichende (finanzielle) Rechtfertigung. Ihre Kognitive Dissonanz war somit ausgeglichen. Die „Ehemaligen“ jedoch, die nur 1 Dollar erhielten, änderten ihre eigenen Ansichten über die zunächst von ihnen als langweilig angesehene Tätigkeit. Da es für
ihre Lügen keine ausreichende (finanzielle) Rechtfertigung gab, blieb ihre Kognitive
Dissonanz bestehen und führte dann zur Einstellungsänderung. Somit war auch ihre
Dissonanz wieder ausgeglichen.
Als Ergebnis aus dem Experiment lässt sich festhalten, dass Dissonanz ein psychischer Spannungszustand ist, der reduziert werden muss. Je größer die Dissonanz
ausfällt, desto stärker ist der Druck zur Reduktion. Das Erleben kognitiver Dissonanz
führt entweder dazu, das Verhalten an die Kognition anzupassen oder aber die Kognition dem Verhalten anzupassen. Diese beiden Wege lassen sich am Beispiel des
Rauchens anschaulich verdeutlichen: Raucher wissen darum, dass Rauchen krank
macht. Es gibt nun zwei Wege, die Dissonanz zu reduzieren und wieder Konsonanz
herzustellen. Entweder, der Raucher hört mit dem Rauchen auf, passt also sein Verhalten der Kognition an. Oder aber, es kommt, wenn dies nicht gelingt, zur Kognitiven Dissonanz Reduktion: Das kann zum Beispiel so aussehen, dass Informationen
über die Gefahren des Rauchens relativiert (“Auch Nichtraucher bekommen Lungenkrebs.” usw.) oder aus dem Bewusstsein verbannt werden (Verdrängung). Denkbar
wäre auch, dass positive Gedanken über das Rauchen (Konsonante Kognitionen)
hinzugefügt werden (“Rauchen ist gut für die Verdauung.” usw.). In diesen Fällen
wird nicht das Handeln verändert, sondern die Kognition (wie man darüber denkt und
fühlt). Alles, was Dissonanz erzeugen könnte, die wieder reduziert werden müsste,
wird gemieden, da das Reduzieren von Dissonanz mit Anstrengung verbunden ist.
Dieses Vermeidungsverhalten lässt sich besonders gut anhand der Mediennutzung
beobachten. Es werden vor Allem Medien konsumiert, die keine Dissonanz hervorrufen. Einmal getroffene Entscheidungen werden eher beibehalten, nachträgliche Informationen führen nicht unbedingt zur Korrektur des Verhaltens, sondern eher zur
Abwertung der Information33. Nicht das eigene Verhalten wird als problematisch angesehen, sondern die Information, die es in Frage stellt. Festinger bezeichnet die
Dissonanzreduktion als einen grundlegenden menschlichen Prozess, der in vielfältigen Zusammenhängen beobachtbar ist34.
33
vgl. ebd. S. 33ff.
34
vgl. ebd. S. 17
102
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
6.12
Der Bystander-Effekt
Ebenso menschlich scheint das Phänomen zu sein, das in der Sozialpsychologie als
Bystander-Effekt bekannt ist. Es bezeichnet den Umstand, dass Menschen, die Zeugen eines Unfalls oder kriminellen Übergriffs werden, eher nicht eingreifen und auch
eher keine Hilfe holen, wenn weitere Zuschauer (engl. Bystander) anwesend sind35.
Diese besondere Form der Konformität und des Gruppendrucks zeigte sich auch in
zahlreichen Experimenten, die zum Bystander-Effekt durchgeführt wurden. Es lassen
sich ein paar zentrale Aussagen zusammenfassen:
Je mehr Menschen eine kritische Situation, eine Gefahrensituation beobachten,
desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass „Bystander“ eingreifen.
Die Beobachter gehen davon aus, dass dadurch dass so viele Menschen die Situation wahrnehmen irgendjemand schon Hilfe gerufen haben wird.
Wichtigster Hinderungsgrund für die „Beistehenden“ ist die Angst, sich zu blamieren (weil man die Situation als einziger falsch eingeschätzt hat/ weil man von der
Gruppennorm abweicht) und die Angst vor „sozialer Ansteckung“ (Goffman).
Es ist wichtig zu verstehen, dass das Motiv hinter der Nicht-Handlung Angst ist. Die
Angst sich zu blamieren, von der Gruppennorm abzuweichen, Angst vor sozialer Beschmutzung, wenn man z.B. jemandem hilft, der einer Außenseitergruppe angehört
(z.B. Obdachlosen).
Eine kurze Zusammenfassung der bereits beschriebenen Experimente erscheint
sinnvoll, bevor das wohl bekannteste Experiment der Sozialpsychologie, das
Milgram-Experiment, vorgestellt werden soll.
Das Asch-Experiment hat gezeigt, dass Gruppendruck Menschen dazu bringen
kann, wider besseres Wissen zu handeln.
Die Theorie der Kognitiven Dissonanz von Leon Festinger besagt, dass zur
Reduzierung von Dissonanz Kognitionen dem Verhalten angepasst werden.
Und der Bystander-Effekt besagt, dass die Angst vor Abweichung von der Gruppennorm dazu führt, dass Menschen in entscheidenden Situationen nicht eingreifen/ helfen.
Das Milgram Experiment, das nun vorgestellt werden soll, testete die Bereitschaft
ganz normaler Personen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn
diese in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.
35
Zu unterlassener Hilfeleistung bei Unfällen und Straftaten siehe auch: Hans-Dieter Schwind et. al.
Alle gaffen, keiner Hilft: Unterlassene Hilfeleistung bei Unfällen und Straftaten. Heidelberg. 1997.
103
Kathrin Wahnschaffe
6.13
Das Milgram-Experiment
Die Inszenierung des Experiments, in dem alle Beteiligten, außer den Probanden,
eingeweiht sind, übernahm Stanley Milgram von seinem Lehrer Solomon Asch36. Das
Experiment zur Erforschung von Gehorsam gegenüber Autorität fand an der Yale
University statt und wurde später in vielen verschiedenen Ländern wiederholt. Den
Probanden wurde gesagt, es handle sich um ein Experiment zur Untersuchung von
Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit, bzw. vom Zusammenhang von Lernen und
Strafe. In einer fingierten Losziehung wird ein Teilnehmer zum Schüler und der andere Teilnehmer zum Lehrer erklärt. Im Mittelpunkt des Experiments steht die Versuchsperson, die sich in der Lehrerrolle befindet. Ihre Gehorsamsbereitschaft gegenüber dem Versuchsleiter steht auf dem Prüfstand. Der (eingeweihte) Schüler wird
in einen separaten Raum gebracht und vor den Augen des Lehrers an einen Stuhl
gebunden und mit einem Elektroschockgenerator verbunden. Zur Demonstration
wurde dem Schüler ein elektrischer Probeschlag von 15 Volt verabreicht.
Die Versuchsanordnung sah vor, dass der Lehrer dem Schüler bei Fehlern in der
Zusammensetzung von Wortpaaren jeweils einen elektrischen Schlag versetzen sollte. Dabei sollte die Spannung nach jedem Fehler um 15 Volt erhöht werden. Das
vorgesehene Spektrum begann bei 15 Volt und endete bei einer Spannungshöhe
von 450 Volt. In Wirklichkeit erlebte der Schüler natürlich keine elektrischen Schläge,
sondern reagierte nach einem zuvor festgelegten Schema, das auf Tonband aufgenommen und in der jeweiligen Situation abgespielt wurde. Ab einer Spannungshöhe
von 75 Volt beginnt der Schüler zu „murren“. Bei 120 Volt beklagt er sich ausdrücklich, bei 150 Volt bittet er darum, das Experiment abbrechen zu dürfen. Sein Protest
steigert sich, bis seine Reaktionen ab einer Spannungshöhe von 285 Volt nur noch
als qualvolle Schreie zu bezeichnen sind. In den meisten Fällen wird spätestens zu
diesem Zeitpunkt der Gewissenskonflikt des Lehrers deutlich. Die Probanden zeigten
deutliche Stressreaktionen und äußerten zum Teil erhebliche Bedenken gegenüber
dem Versuchsleiter. Dieser verlangte jedoch zum Wohle der Wissenschaft eine Fortsetzung des Experiments und forderte den Lehrer in standardisierten Sätzen zum
Weitermachen auf:
Satz 1: „Bitte, fahren Sie fort!“ Oder: „Bitte machen Sie weiter!“
Satz 2: „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!“
Satz 3: „Sie müssen unbedingt weitermachen!“
Satz 4: „Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!“37
Nach dem vierten Mal brach der Versuchsleiter das Experiment ab.
36
Vgl. Konformitätsexperiment von Solomon Asch weiter oben im Text.
37
Vgl. Milgram, Stanley: Behavioral Study of Obedience. In: Journal of Abnormal and Social
Psychology. 67, 1963, S. 371–378
104
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Milgram und sein Team entwickelten im Vorfeld weitere Standardsätze, die in antizipierten Verlaufssituationen zum Einsatz kamen: Wenn zum Beispiel der Lehrer fragte, ob der Schüler einen permanenten physischen Schaden davontragen könne, sagte der Versuchsleiter: „Auch wenn die Schocks schmerzvoll sein mögen, das Gewebe wird keinen dauerhaften Schaden davontragen, also machen Sie bitte weiter!“ Auf
die Aussage des Lehrers, dass der Schüler nicht fortfahren wolle, wurde standardmäßig geantwortet: „Ob es dem „Student“ gefällt oder nicht, Sie müssen weitermachen, bis er alle Wörterpaare korrekt gelernt hat. Also bitte machen Sie weiter!“38
Wenn nach der Verantwortung gefragt wurde, sagte der Versuchsleiter, er übernehme die volle Verantwortung für alles, was passiert. Und so fuhren die Versuchspersonen trotz erheblicher Zweifel und großer Bedenken im Hinblick auf die offenkundige Qual des vor Schmerz schreienden Schülers fort.
Von den 40 Versuchspersonen des ersten Milgram-Experiments brachen 14 Personen das Experiment vorzeitig ab. 26 Personen führten es zu Ende und gingen dabei
bis zur maximalen Spannungshöhe von 450 Volt.
Spannung (Volt)
Anzahl Vpn:
Abbruch
bis 300 V 300 V 315 V 330 V 345 V 360 V 375 V 390 V bis 435 V 450 V
0
5
4
2
1
1
1
0
26
Stanley Milgram selbst hat das Experiment 19 Mal wiederholt und immer wieder in
seinem Aufbau variiert. Es wurde zudem in vielen Ländern wiederholt, zuletzt 2009
von Jerry Burger in den USA. Die Ergebnisse gleichen sich über die Ländergrenzen
hinweg.
In der 70er Jahren wurde das Experiment auch in Deutschland durchgeführt (der so
genannte Abraham-Versuch). Im Folgenden werden einige erklärende Zitate von
Probanden, die bis zur maximalen Voltstärke vorgedrungen sind, aufgeführt. Um
dem Interviewer sowie sich selbst ihr Verhalten zu erklären sagten sie folgendes…
„Ich hab’ mir halt gedacht: Je schneller, desto besser!“
„Die Schmerzen von 30 oder 40 Testanten sind in Kauf zu nehmen, wenn man
bedenkt, dass vielleicht von dem Test also doch sehr wertvolle Erfahrungen gewonnen werden können.“
„Wenn man dann so weit ist, dann sollte man den Weg zu Ende gehen.“
„Ich bin ein Befehlsempfänger.“
38
Ebd.
105
Kathrin Wahnschaffe
„Der junge Mann, der auf dem Stuhl gesessen ist, hätte wahrscheinlich dasselbe
mit mir gemacht.“
„Also das ist schon bald eine Pflichterfüllung, glaub‘ ich. Ich weiß nicht, ich bin
jetzt schon seit dem Jahr 55 Beamter, und da glaub‘ ich, da wird man so: Wenn
man was anfängt, dann wird das beendet.“39
Aus diesen Aussagen lassen sich zwei entscheidende Hinweise herausfiltern (dritter
und letzter Punkt), die in der Täterforschung und in der Sozialpsychologie hinlängst
bekannt sind, nämlich, dass Menschen, die den ersten Schritt machen, diesen eingeschlagenen Weg meist auch zu Ende zu gehen. Würden sie dies nicht tun, müssten sie sich eingestehen, einen Fehler begangen zu haben. Da dies zu kognitiver
Dissonanz führen würde, neigen Menschen dazu, einmal getroffene Entscheidungen
beizubehalten40.
Es ist abschließend wichtig auf etwas hinzuweisen, das Stanley Milgram als elementar herausgearbeitet hat, nämlich, dass es sich bei den Probanden in seinem Experiment, die bis zum Ende gingen, nicht um Sadisten handelt, sondern um ganz normale Menschen, die nur ihre Aufgabe erfüllten und keinerlei persönliche Feindschaft
empfanden. Es handelt sich um ein Experiment, welches Gehorsam untersucht und
es zeigte sich, dass Personen, die die persönliche Verantwortung für ihr Verhalten
hoch veranschlagten, das Experiment eher abbrachen und dem Versuchsleiter
widersprachen.
„Dies ist vielleicht die fundamentalste Erkenntnis aus unseren Untersuchungen:
Ganz gewöhnliche Menschen, die nur schlicht ihre Aufgabe erfüllen und keinerlei
Feindseligkeit empfinden, können zu Handlungen in einem grausamen Vernichtungsprozess veranlasst werden. Schlimmer noch: selbst wenn ihnen die zerstörerischen Folgen ihres Handelns vor Augen geführt und klar bewusst gemacht werden
und wenn man ihnen dann sagt, sie sollen Handlungen ausführen, die in krassem
Widerspruch stehen zu ihren moralischen Grenzüberzeugungen, so verfügen doch
nur vereinzelte Menschen über genügend Standfestigkeit, um der Autorität wirksam
Widerstand entgegenzusetzen.“41
Die persönliche Verantwortung spielt also auch hier, wie beim Bystander-Effekt, eine
bedeutende Rolle. Beim Bystander-Effekt kommt es zu einer Verantwortungsdiffu-
39
Zitate aus dem Dokumentarfilm „Abraham – Ein Versuch“
40
Zu kognitiver Dissonanz und Dissonanzreduktionsstrategien siehe weiter oben im Text.
41
Milgram, Stanley. Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität.
Reinbek bei Hamburg. 2009. S. 22.
106
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
sion, je mehr Menschen anwesend sind. Im Milgram Experiment kann die persönliche Verantwortung an den Versuchsleiter abgegeben werden, auch dies entbindet
von der persönlichen Verantwortung.
„Die weitestverbreitete gedankliche Anpassung bei einer gehorsamen Versuchsperson besteht darin, dass sie sich als nichtverantwortlich für ihre eigenen Handlungen
betrachtet. Sie streift die Verantwortung ab, indem sie jegliche Initiative dem Versuchsleiter, also der legitimen Autorität zuschreibt.“42
Als Erkenntnis aus verschiedenen Versuchsanordnungen lässt sich festhalten, dass
je restriktiver der Versuchsaufbau, je undemokratischer die Struktur gestaltet ist, desto höher wird der Gehorsam ausfallen. Verlässt der Versuchsleiter beispielsweise
den Raum, sinkt die Gehorsamsrate, ist ein zweiter Versuchsleiter anwesend, der
dem ersten Versuchsleiter widerspricht, so sinkt die Gehorsamsrate gegen Null. Die
Gehorsamsbereitschaft lässt sich auch durch die soziale Nähe zum „Opfer“ senken.
An den verschiedenen Variationen des Versuchsaufbaus lässt sich erkennen, dass
die Situation, so wie sie aufgebaut ist, entscheidenden Einfluss auf das Verhalten
von Menschen hat.
Je nach Versuchsaufbau variiert die Gehorsamsbereitschaft der Probanden
zwischen 10 und 90%
Je restriktiver die Struktur, desto wahrscheinlicher ist die Gehorsamsbereitschaft.
Die Verantwortung wird abgegeben!
Das „Bedürfnis nach kollektivem Aufgehobensein und nach Verantwortungslosigkeit […], hat das größte Potential zur Unmenschlichkeit“43
Je restriktiver die Struktur, je größer das Potential zu kollektivem Aufgehobensein,
je weniger Eigenverantwortung Menschen übernehmen müssen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich eigentlich ganz normale Menschen, die nichts Schlimmes tun
wollen und vielleicht sogar gute Absichten verfolgen (wie zum Beispiel der Wissenschaft einen guten Dienst erweisen oder für innere Sicherheit sorgen), dabei
unmenschlich und grausam verhalten.
Kollektives Aufgehobensein bedeutet Konformität. Wenn Menschen Verantwortung
abgeben und nach oben delegieren können und sich zudem in einer Gruppe kollektiv
aufgehoben fühlen, hat bereits diese Konstellation ein großes Potential zur Unmenschlichkeit.
42
Ebd. S. 14
43
Welzer, Harald. Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt am
Main 2005. S. 268
107
Kathrin Wahnschaffe
Die vorgestellten Erkenntnisse aus sozialpsychologischen Experimenten können helfen zu verstehen, wie elementar wichtig es ist, sich der Macht und dem Zwang von
Strukturen bewusst zu sein, wie wichtig es ist, Verantwortung für das eigene Handeln
zu übernehmen und auch Autoritäten, Gesetze, Techniken und so weiter zu hinterfragen und zur Not auch in Frage zu stellen. Denn auch dies bedeutet Eigenverantwortung.
Besonders Entscheidungsträger sind angesprochen, sich bereits bei der Schaffung
von Strukturen, Gesetzen, Regeln, Normen aber auch neuen Techniken, Geräten
und Maschinen der Dynamiken bewusst zu sein und daher entsprechende Kontrollen
bzw. Kontrollmechanismen einzuplanen. Denkbare Eigendynamiken müssen ausgeschlossen werden, was notfalls auf bedeuten kann, auf die Einführung beispielsweise
einer neuen Technologie aufgrund des daraus entstehenden Gefahrenpotenzials zu
verzichten.
„Keine Handlung besitzt von sich aus eine unveränderliche psychische Qualität. Ihre
Bedeutung lässt sich ändern, indem man sie in spezifische Zusammenhänge setzt.“44
Das Ziel kann deshalb nur sein, demokratischere Strukturen zu schaffen, damit nicht
die Gefahrenabwehr selbst zu einer Gefahr für die Bürger wird.
6.14
Literatur
Elias, Norbert. Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft.
Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt am Main 1997.
Festinger, Leon. Theorie der kognitiven Dissonanz. Herausgegeben von
Martin Irle und Volker Möntmann. Liebefeld-Bern. 1978.
Milgram, Stanley: Behavioral Study of Obedience. In: Journal of Abnormal
and Social Psychology.
Milgram, Stanley. Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft
gegenüber Autorität. Reinbek bei Hamburg. 2009.
Schoch, Friedrich Juristische Schulung (JuS) 1994.
Schwind; Hans-Dieter et. al. Alle gaffen, keiner Hilft: Unterlassene Hilfeleistung
bei Unfällen und Straftaten. Heidelberg. 1997.
Thomas, Alexander. Grundriß der Sozialpsychologie.
Band 1: Grundlegende Begriffe und Prozesse. Göttingen. 1991.
108
Sicherheit im Spannungsfeld von
Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
Thomas, Alexander: Grundriß der Sozialpsychologie. Band 2: Individuum –
Gruppe – Gesellschaft. Göttingen. 1992.
Thomas, William E. und Thomas, Dorothy S.(1928). Die Definition der Situation.
In: Steinert, Heinz (Hrsg.) (1973). Symbolische Interaktion. Arbeiten zu einer
reflexiven Soziologie. (Konzepte der Humanwissenschaften).
Welzer, Harald. Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden.
Frankfurt am Main 2005.
Abb. 6.1
44
Aspekte der Thematik Gefahrenabwehr und Freiheitsrechte stellte
Dipl.-Soz.-Wiss. Kathrin Wahnschaffe (BUW) in Wuppertal vor.
Milgram, Stanley. Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. S. 26
109
Lutz Wienhold
7
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) – Zwischen Anspruch
und Wirklichkeit (LUTZ WIENHOLD)
80. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. April 2012
in Wuppertal
Dr. Lutz Wienhold
ehem. Systemkonzept –
Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung mbH, Köln
Rund zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR wird sie noch immer und immer wieder idealisiert. Tatsachen schwinden im Gedächtnis. Deshalb werden hier Fakten
und Entwicklungen, auch Hintergründe zum Arbeitsschutz so dargestellt, damit Verklärung vermieden werden kann.
Es werden Legenden aufgezeigt, und zwar solche, die bereits zu Zeiten der DDR
durch SED und Staat gebildet wurden, und solche Legenden, die sich nach der
Wende als nostalgische Verklärung des Arbeitsschutzes der DDR zeigen1.
7.1
Der Dualismus wird zerschlagen – eine neue Zersplitterung
aufgebaut
Bereits 1945 begann die Sowjetische Militäradministration (SMAD) sehr forciert, veränderte Arbeitsschutzstrukturen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu
schaffen. Es erfolgte der Aufbau eines zentralistischen Arbeitsschutzsystems. Das
führte einerseits zum Bruch mit deutschen Arbeitsschutztraditionen durch Beseitigen
des historisch gewachsenen dualen Arbeitsschutzsystems in Deutschland, knüpfte
aber andererseits auch an Diskussionen zur Neuordnung insbesondere in der Weimarer Republik an. Die Zerschlagung des überkommenen Staatsapparates war eine
1
Es wird darauf verzichtet, die Vielzahl von Literaturquellen im Rahmen dieses Fachbeitrages
zu kennzeichnen. Sie können entnommen werden dem breiter angelegten Fachbuch:
“Wienhold, L.: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Historischer Abriss zum Arbeitsschutz
in der SBZ/DDR. München: Grin-Verl. 2011“. Es steht auch ein eBook (Download) zur Verfügung:
https://www.grin.com/login/#documents/184186/text.
110
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Grundlinie des Machtaufbaus durch die SMAD. Hier ordnete sich die Neuordnung
der Arbeitsschutzorganisation ein. Aber es war keine ausschließliche Idee der
SMAD, diese Neuformierung des staatlichen Arbeitsschutzes vorzunehmen. Die
Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (DVAS), zuvor bezeichnet als
Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (ZVAS), hatte bereits im Vorfeld ab
September 1945 Unterlagen für den späteren SMAD-Befehl zusammengetragen,
sich hierbei auch auf Diskussionen der Weimarer Republik gestützt.
Im Zusammenhang mit Begründungen zur Neuordnung der Strukturen in der SBZ
wurden die Berufsgenossenschaften einseitig als Arbeitgeberorganisation dargestellt,
in denen die Aufsichtsbeamten von den Unternehmern abhängig waren: „Die Berufsgenossenschaften wiesen große Mängel auf. Die Arbeiter selbst hatten auf die Geschäftsleitung keinen Einfluss. Die organisatorische Zersplitterung in über 100 einzelne gewerbliche und landwirtschaftliche Genossenschaften machte sich störend
bemerkbar.“ (BArch, DQ 2/3635, 1949).
Die Entwicklung im Osten Deutschlands ging einher mit der Einbeziehung des Unfallversicherungsrechts in die Einheitsversicherung der SBZ. Neu zu ordnen war in diesem Zusammenhang die Unfallverhütung verbunden mit der Überwachung. In der
SBZ wurden mit der Neuordnung des Arbeitsschutzes populäre alte Forderungen der
Arbeiterbewegung nach Zusammenführen von Zuständigkeiten aufgegriffen. Dies
entsprach zugleich den Interessen der SMAD nach starker Zentralisierung. Da in der
ZVAS bzw. der späteren DVAS alle Fäden zusammenliefen, waren einerseits größere Kontrollmöglichkeiten durch die SMAD gegeben. Andererseits war dies ein wichtiger Schritt zur möglichen Zentralregierung. Bei einer Verteilung auf viele einzelne
Instanzen wäre dies alles ungleich komplizierter gewesen. Die SMAD setzte in der
Neuordnung der staatlichen Organisation nicht das sowjetische Modell durch, sondern akzeptierte, dass die Diskussionen aus der Weimarer Zeit fortgeführt und diese
entsprechenden Ansätze aufgegriffen wurden.
Die spätere DDR wurde nicht müde, die Rolle der UdSSR in der Nachkriegsperiode
zur Entwicklung des Arbeitsschutzes immer wieder zu rühmen.
Legende 1:
Der SMAD-Befehl Nr. 150 ist die Geburtsurkunde eines einheitlichen Arbeitsschutzes.
Die Wahrheit:
Es ging um eine Organisation, die eine zentrale Steuerung ermöglichte sowie um
eine Zerschlagung des bisherigen Machtapparates.
111
Lutz Wienhold
Beispielsweise wurde noch in den 1970er Jahren der SMAD-Befehl Nr. 150 als „Geburtsurkunde eines einheitlichen Arbeitsschutzes“ charakterisiert. Im Kern war es
aber nicht um eine Neuorientierung gegangen, sondern Hauptstrategie war eine
Zentralisierung und politische Durchdringung des alten Staatsapparates. Und inhaltlich waren die Arbeiten von deutschen Fachexperten vorbereitet worden, keinesfalls
von sowjetischem Personal. Die Rolle der Sowjetunion wurde insoweit in der Öffentlichkeit verfälscht.
Der SMAD-Befehl Nr. 150 vom 29.11.1945 zur Errichtung von Abteilungen für Arbeitsschutz schuf zunächst schon eine Vereinheitlichung der Organisation des Arbeitsschutzes. Es entstanden bei den Landes-, Provinzial-, Kreis-, Stadt- und Bezirksämtern für Arbeit und Sozialfürsorge spezielle Abteilungen für Arbeitsschutz. In
diesen Abteilungen wurden die bisherigen Funktionen der Gewerbeaufsichtsämter
sowie der Berufsgenossenschaften, der Bergrevierbeamten sowie die Arbeitsschutzbehörden für Bahn und Post zusammengeführt. Auch die Technischen Überwachungsvereine (z.B. Kesselüberwachungsvereine) wurden aufgelöst und in die
Abteilungen Arbeitsschutz integriert. Diese gebildeten Abteilungen waren die neuen
Aufsichtsbehörden.
Nachdem in der SBZ noch besonderer Wert auf die Bildung einheitlicher Arbeitsschutzüberwachungsorgane gelegt worden war, wurde aber dann bereits 1956 ein
Schritt zur Manifestierung einer Aufspaltung der sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Überwachung vollzogen. Neben den Arbeitsschutzinspektionen entstanden „Arbeitssanitätsinspektionen“ in Verantwortung des Gesundheitswesens.
Aufgaben der Gewerbeärzte gingen in den Aufgabenbereich der Arbeitssanitätsinspektion über. Das Fachgebiet der Arbeitsmedizin hatte sich in der DDR zu dieser
Zeit bereits etabliert. Hieraus entstand einerseits die besondere Betonung der
Fachspezifik der Arbeitsmedizin für den Arbeitsschutz – verbunden mit der daraus
abgeleiteten Notwendigkeit eigenständiger Überwachungserfordernisse. Andererseits wurde die enge Bindung an die Ärzteschaft beschworen – gepaart mit der Loslösung von der allgemeinen arbeitsschutztechnischen Überwachungstätigkeit. Auf
diese Verwurzelung in der Ärzteschaft bestand die Arbeitsmedizin bereits seit Beginn
struktureller Neuordnungen in der SBZ wiederholt.
So existierten seit 1956 in der DDR getrennte staatliche Überwachungsorgane in
Form der Arbeitsschutzinspektionen und der Arbeitssanitätsinspektionen. Die Arbeitssanitätsinspektionen wurden 1966 in „Bezirksinspektionen Gesundheitsschutz in
den Betrieben (BIG)“ umbenannt, in den 1970er Jahren wurden es „Arbeitshygieneinspektionen“. Diese Trennung von betriebstechnischem Arbeitsschutz einerseits und
arbeitsmedizinischem Arbeitsschutz andererseits ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die
Einheitlichkeit ist für den Arbeitsschutz von elementarer Bedeutung. Historisch betrachtet liegt hier in dieser Trennung eine fundamentale Schwäche im System.
112
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Kooperation und Kommunikation zwischen den Fachgebieten mit ihren Aufgaben
sind in institutioneller Einheit effizienter.
Aber die Aufsplittung der Arbeitsschutzkontrolle ging weiter. In den Betrieben hatte
der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) als Einheitsgewerkschaft Fuß gefasst. Bereits 1951 übertrug der Ministerrat der DDR die Leitung und Kontrolle der
Sozialversicherung dem FDGB. 1958 wurde nun die staatliche Kontrolle im betriebstechnischen Arbeitsschutz an die Gewerkschaften übertragen. In der SBZ-Zeit orientierte man sich noch an den Konzepten der Weimarer Republik und stellte Muster der
Sowjetunion zurück. Nun gab es in der Ulbricht-Ära konsequentere Orientierungen
auf Übernahme sowjetischer Strukturen und Modelle.
Die Arbeitsschutzinspektoren, die bisher als Beauftragte des Staates den Arbeitsschutz kontrollierten, wurden zu Organen des FDGB. Die DDR folgte damit dem Modell des Arbeitsschutzes in der Sowjetunion, in der 1933 das staatliche Volkskommissariat für Arbeit aufgelöst worden war und die Gewerkschaften die Überwachung
über den Arbeitsschutz erhalten hatten. Die DDR löste also 1958 – analog zur Sowjetunion - das Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung auf und bildete ein Komitee für Arbeit und Löhne – zuständig u. a. für die Arbeitsschutzpolitik. Die Gewerkschaften der DDR erhielten die Kontrolle über die Einhaltung des Arbeitsschutzrechts. Entsprechende Inspektionen der Gewerkschaften bekamen die hierfür notwendigen Befugnisse.
Die Arbeitsschutzinspektionen des FDGB übernahmen in diesem Prozess der Neuordnung von den zuvor bestehenden staatlichen Arbeitsschutzinspektionen nicht das
Aufgabengebiet der Technischen Überwachung. Nachdem es bis 1958 innerhalb der
staatlichen Arbeitsschutzinspektionen neben dem Aufgabenbereich des betriebstechnischen Arbeitsschutzes auch das Aufgabengebiet der Technischen Überwachung gegeben hatte, erfolgte nunmehr eine Trennung. Die Technische Überwachung (TÜ) wurde selbst-ständiges staatliches Überwachungsorgan mit ihren Inspektoren – in direkter Zuständigkeit der Staatlichen Plankommission (SPK) – neben
der gewerkschaftlichen Arbeitsschutzinspektion. Es entstanden eine Zentralstelle der
Technischen Überwachung bei der SPK sowie Inspektionen bei den Räten der Bezirke und Kreise. Die Inspektoren der TÜ erhielten das Recht, Ordnungsstrafen zu
verhängen und die zuständige Staatsanwaltschaft um gerichtliche Verfolgung zu ersuchen.
Und es existierte daneben die Arbeitssanitätsinspektion in Zuständigkeit des Gesundheitswesens. Innerhalb der Gewerkschaften wurde erwogen, auch die Überwachung des betrieblichen Gesundheitsschutzes und so spezielle Fragen der Arbeitshygiene und der Arbeitsmedizin – die über die Arbeitssanitätsinspektionen in der Zuständigkeit des Ministeriums für Gesundheitswesen lagen – in die gewerkschaftliche
Inspektion einzubeziehen (SAPMO-BArch, DY 34/19/198/6418, 1957). So sollten
auch die erst 1956 gebildeten Arbeitssanitätsinspektionen in die Verantwortung der
113
Lutz Wienhold
Gewerkschaften übernommen werden. Dies hätte eine einheitliche Überwachung
des technischen und des medizinischen Arbeitsschutzes sicherstellen können.
Sowohl für die nicht vorgenommene Einordnung der Technischen Überwachung als
auch nicht der Arbeitshygieneinspektion machten die Gewerkschaften fehlende
Fachlichkeit und Erfahrung geltend. Damit bestand nun seit 1958 eine dreigliedrige
Struktur der Überwachung im Arbeitsschutz (vgl. Abb. 7.1).
Abb. 7.1
ArbeitsArbeitsschutzschutzinspektionen
Technische
Überberwachung
ArbeitsArbeitshygienehygieneinspektionen
Gewerkschaft
Staatliche
Plankommission
Ministerium
für Gesundheitswesen
Überbetriebliche Überwachungsorgane im Arbeitsschutz der DDR
Von der in der Umstrukturierungsphase der SBZ viel beschworenen Vereinheitlichung der Arbeitsschutzorgane war damit Ende der 1950er Jahre nicht viel verblieben. Eine neue Zersplitterung des Arbeitsschutzes war entstanden, die insbesondere die inhaltliche Einheit des Aufgabengebietes Arbeitsschutz zerstörte.
7.2
Politisierung und Instrumentalisierung des Arbeitsschutzes
der DDR
Von Beginn an hatte die Öffentlichkeitsarbeit zum Arbeitsschutz propagandistische
Züge. Beispiel hierfür ist die Veröffentlichung der Arbeitsschutzvorschriften, die auf
dem Deckblatt für eine UVV 113 „Unfallverhütungsvorschriften für den Postdienst auf
Bahnhöfen und den Bahnpostfahrdienst“ von einer „Aufgabe des ganzen Volkes“
sprach (vgl. Abb. 7.2). Inhaltlich im Text blieb alles beim Alten der Vorschriften der
Berufsgenossenschaften aus der Zeit vor 1945, aber es gab einen neuen Mantel.
Dann kam der Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953. Deutlich ist, dass nach 1953 für
den Arbeitsschutz Verbesserungen eintraten, die faktisch der SED abgerungen worden waren. Es gab zwar keine solchen Arbeitsschutzforderungen im Rahmen des
Arbeiteraufstandes zum 17. Juni. Nun wollte die SED aber nach dem Aufstand beruhigen, Blendwirkungen zur Ausrichtung ihrer Politik erreichen. Arbeitsschutz war so
nicht aktiv vorangebracht, sondern reaktiv der aktuellen Situation geschuldet und
durch den Kampf der Arbeiter der Regierung abgetrotzt.
114
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Abb. 7.2
Deckblatt einer UVV
Beispiel für die propagandistische Nutzung von Arbeitsschutzvorschriften in der SBZ
Vom Kern her wurden hiermit weitgehend bis zu dieser Zeit bestehende Bestimmungen besonders bekräftigt oder besondere Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften
nuanciert, zuvor eingeführte Verschlechterungen – z.B. die im 1. Halbjahr 1953 angeordnete Streichung von Erschwerniszuschlägen für Beschäftigte mit gesundheitsschädigenden Arbeiten – wieder rückgängig gemacht. Es sollte der Anschein neuer
staatlicher Aktivitäten zur Verbesserung des Arbeitsschutzes erweckt werden. Aber
es gab auch neue Festlegungen.
Legende 2:
Die SED tut alles für das Volk; dem Arbeitsschutz gilt besondere Aufmerksamkeit.
Nach dem 17. Juni 1953 wurden Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit eingeführt.
Die Wahrheit:
Es wurde eine Reihe Maßnahmen umgesetzt, die nicht nachhaltig für die Arbeitssicherheit wirkten, sondern es ging vordergründig um Effekthascherei. Es waren
solche Surrogate, wie Verkürzung der Arbeitszeit bei gefährdenden Bedingungen,
Ausgleich durch Erschwerniszuschläge u. Ä. Wichtige Arbeitsschutzvorschriften
wurden durch den Volksaufstand am 17. Juni 1953 der SED und dem Staat abgerungen.
115
Lutz Wienhold
Eine spezielle Anordnung von 1954 legte für bestimmte Berufe und Tätigkeiten mit
besonders schweren oder gesundheitsgefährdenden Bedingungen eine Verkürzung
der täglichen Arbeitszeit auf weniger als acht Stunden pro Arbeitstag sowie eine Verkürzung der täglichen Gesamtarbeitszeit durch Einschalten mehrerer bezahlter Pausen unter Beibehaltung des Acht-Stunden-Tages fest. Forciert wurde die ärztliche
Betreuung der Arbeiter, indem der Ausbau des Netzes betrieblicher Polikliniken, Ambulatorien, Sanitätsstellen und Gesundheitsstuben sowie auch die Verbesserung der
Ausstattung dieser Einrichtungen bestimmt wurden. Einzelregelungen betonten die
Steigerung der Produktion von Arbeitsschutzvorrichtungen sowie von Arbeitsschutzkleidung und –mitteln, mit denen der Bedarf der Betriebe gedeckt werden sollte. Solche Festlegungen sollten aufgetretene Probleme und den vorhandenen Mangel
überwinden helfen. Diese Vorschriften müssen als Zugeständnisse an die Beschäftigten nach den Unruhen des 17. Juni 1953 bewertet werden.
Obwohl es ein geschlossenes Gesetzeswerk für den Arbeitsschutz mit dem Gesetz
der Arbeit von 1950 und der Arbeitsschutzverordnung von 1951 gab, sah sich die
Politik gezwungen, ergänzende Forderungen aufzumachen, um so Stimmungen in
der Bevölkerung zu beeinflussen. Arbeitsschutzbestimmungen wurden in eine „Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der
Arbeiter und Rechte der Gewerkschaften“ vom 10.12.1953 gepackt. Diese Verordnung wurde als „umfassendste gesetzliche Maßnahme auf arbeitsrechtlichem Gebiet“ und „Durchsetzung des Prinzips der Sorge um den Menschen“ gefeiert.
Typisch war eine Politisierung des Arbeitsschutzes. Das eigentliche Machtzentrum in
der DDR war das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED mit seinen Sekretariaten. Es kontrollierte Partei und Regierung. Welche Rolle ihm zukam, verdeutlicht ein
Beschluss des Sekretariats des Politbüros vom 17.10.1949: „Gesetze und Verordnungen von Bedeutung, Materialien sonstiger Art, über die Regierungsbeschlüsse
herbeigeführt werden sollen, weiterhin Vorschläge zum Erlass von Gesetzen und
Verordnungen müssen vor ihrer Verabschiedung durch die Volkskammer und die
Regierung dem Politbüro bzw. Sekretariat des Politbüros zur Beschlussfassung
übermittelt werden.“ Walter Ulbricht verwahrte sich persönlich dagegen, dass die
Regierung der DDR den Entwurf der Arbeitsschutzverordnung beschließen wollte,
ohne dass vorher ein Beschluss des SED-Politbüros hierzu vorlag (SAPMO-BArch,
DY 34/19/65/2606, 1950). Es ging um die Beherrschung des Arbeitsschutzpolitikfeldes durch die SED. Der Ministerrat hatte dann nach der Intervention Ulbrichts die
Beschlussvorlage zurückgewiesen und Änderungen verlangt. Zudem gab es im ZK
der SED Abteilungen, die den Ressorts der Ministerien entsprachen. Diese Fachabteilungen im Zentralkomitee der SED waren die eigentlichen Entscheidungszentren.
Für den Arbeitsschutz gab es den Sektor „Gewerkschaften und Sozialpolitik“, eingeordnet beim Sekretär für Wirtschaft.
116
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
In Wirtschaft und Gesellschaft lief im Grunde nichts gut, wenn nicht ein SEDParteitag oder andere SED-Veranstaltungen sich zum Problem entsprechend auffordernd geäußert hatten. Dies war das Signal, dass hier Aktivitäten geraten wären, weil
die Partei dies positiv bewerten würde. So ging manches im Arbeitsschutz nur, wenn
ein SED-Parteitag oder eine SED-ZK-Tagung den Arbeitsschutz thematisierte. Beim
Arbeitsschutz zeigte sich mit der Übernahme der Macht durch Erich Honecker, dass
er einen nachgeordneten Stellenwert in der Politik einnahm. Potenziell wäre durch
die Betonung der Sozialpolitik durch Honecker eine eher stärkere Beachtung des
Arbeitsschutzes zu erwarten gewesen. Aber in zentralen Beschlüssen der Partei
wurde er immer weniger konkret thematisiert und angesprochen. Da Beschlüsse der
SED aber allgemeine Richtschnur für die Aktivitäten auf den unterschiedlichsten
Ebenen waren, spielte er in der Umsetzung dadurch in der Ära Honecker eine geringere Rolle.
Politische Forderungen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes nahmen zum Teil groteske Züge an, wie beispielsweise die Forderung in der Direktive des VIII. Parteitages der SED für den Fünfjahrplan 1971 bis 1975, in der es u. a. hieß: „Die Arbeitsschutz- und Brandschutzbestimmungen sind konsequent einzuhalten.“ Die sehr starke Orientierung in der Honecker-Ära auf Wohnungsbau, solche sozialpolitischen Felder wie Löhne, Rente, Urlaub, Bau von Kinderkrippen und Kindergärten ließen den
Arbeitsschutz in den Schwerpunktbenennungen unbeachtet und stellten ihn gegenüber anderen Bereichen der Sozialpolitik in dieser Zeit in den Hintergrund.
Das Fachgebiet Arbeitsschutz wurde für eine Verbreitung ideologischer Ansätze benutzt, insofern auch instrumentalisiert für die Verbreitung kommunistischer Gesinnungen. So wurde in die Ausbildung der Fachingenieure für Arbeitsschutz – wie
sonst auch bei anderen Ausbildungsbereichen der DDR - ein hoher Stundenanteil
Marxismus-Leninismus eingeordnet. Das weit verbreitete Handbuch für den Gesundheits- und Arbeitsschutz nannte als Aufgabe und Ziel, den Arbeitsschutz als „festen
Bestandteil der Ausübung der politischen Macht der Arbeiterklasse“ zu verstehen.
„Durch die Aus- und Weiterbildung der Werktätigen auf dem Gebiet des GAB (Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes) sind die Werktätigen immer
besser zu befähigen, diesen historischen Prozess [der Ausübung der politischen
Macht] bei stets wachsenden gesellschaftlichen Erfordernissen erfolgreich zu meistern.“ Als Grundlage der Aus- und Weiterbildung im Arbeitsschutz wurde an erster
Stelle die „Weltanschauung der Arbeiterklasse, der Marxismus-Leninismus“ genannt.
Gesundheitshelfer hatten in ihren Kursen zur Ersten Hilfe auch Schulung in Marxismus-Leninismus. Es bestand eine Anweisung über die marxistisch-leninistische Weiterbildung der Ärzte und Zahnärzte in der Weiterbildung zum Facharzt/Fachzahnarzt
und der Doktoranden der medizinischen Wissenschaft seit 1977. Das Abverlangen
entsprechender Fakten, vielfach Glaubenssätzen in den Examina wurde zwar hingenommen, es wird aber auch von vereinzeltem Widerstand berichtet.
117
Lutz Wienhold
Wollte Walter Ulbricht mit 10 Geboten sozialistischer Moral, deren Einordnung in die
Verfassung und einseitiger Ausrichtung auf Pflichtwerte eine Marginalisierung der
Selbstentfaltung, vertritt Erich Honecker nunmehr den Zielgedanken der allseitig
entwickelten Persönlichkeit. Die Bildungsaktivitäten gehen auch im Arbeitsschutz in
diese Richtung. Die Arbeitsschutzpolitik in der sozialistischen Gesellschaft wurde für
die Bildung ideologisch dargestellt als „etwas qualitativ anderes, als es die bestenfalls – und mit völlig unzureichenden Mitteln – auf die Reproduktion der Arbeitskraft
gerichteten Maßnahmen sind, die unter kapitalistischen Bedingungen getroffen werden. Die Ausbeutungsverhältnisse, die Profitinteressen der herrschenden Bourgeoisie errichten auch auf diesem Gebiet unübersteigbare Schranken.“
Die sog. „Militärmedizin“ wurde in den Arbeitsschutz infiltriert. Es war generell bindend, dass im Studium der Medizin das Lehrgebiet „Militärmedizin“ absolviert werden
musste, um als Arzt Grundkenntnisse und Fertigkeiten „zur Behandlung Geschädigter nach Einsatz von Massenvernichtungsmitteln, bei Katastrophen und Havarien“ zu
haben. Bereits mit dem Bildungsprogramm Facharzt für Arbeitshygiene von 1979
hatte der Minister für Gesundheitswesen verfügt, dass Bestandteil der Facharztweiterbildung militärmedizinische Bildungsanforderungen sein mussten.
Systembedingt unterlagen die Angehörigen medizinischer Berufe sowohl während
ihrer Schulzeit als auch während ihrer Ausbildungszeit einer ständigen politischideologischen Indoktrination. Als Voraussetzung für eine qualitativ und quantitativ
hohe medizinische und soziale Betreuung galt nach sozialistischem Selbstverständnis „ein politisch-ideologisches Bewusstsein auf der Grundlage der Lehren des Marxismus-Leninismus". Diese knappe Aussage lässt schon die hohe Ideologierelevanz
ärztlicher Arbeit deutlich werden. DDR-Mediziner hatten nach den Beschlüssen des
IX. Parteitages der SED 1976 in erster Linie Kommunisten zu sein und waren
Staatsdiener. Erst dann hatten Betriebsärzte die erforderlichen Kenntnisse zu besitzen, „um in arbeitswissenschaftlichen Kategorien denken zu können." In der DDR
begann beispielsweise der Eid des Hippokrates mit einer Verpflichtung zur sozialistischen Gesellschaft und zum DDR-Staat als Vaterland. In der DDR wurde der „Eid
des Hippokrates“ unter Bezug auf das Gesellschaftssystem mit folgenden Worten
eingeleitet: „In hoher Verpflichtung gegenüber der sozialistischen Gesellschaft und
ihren Bürgern, eng verbunden mit der Deutschen Demokratischen Republik, gelobe
ich [...].“
Fachbücher u. Ä. bedurften vor Veröffentlichung der Freigabe durch die SED.
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sanken real; diese durchaus positive Entwicklung wurde stark in die Öffentlichkeit getragen. Über die tatsächliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sowie der Zunahme von Gefährdungen und Belastungen wurde die Öffentlichkeit aber im Unklaren gelassen oder desinformiert. Analysen
zur Entwicklung der arbeitshygienischen Bedingungen, die in den 1980er Jahren er-
118
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
stellt wurden, blieben alle als Vertrauliche Dienstsache oder sogar Verschlusssache
eingestuft. Erst nach 1989 wurden Übersichten offen gelegt.
In der DDR wurden seit Ende der 1970er Jahre Instrumente zur Erhebung psychischer Belastungen entwickelt. Es existieren Fragebögen, mit deren Hilfe Symptome
abgefragt werden konnten, die psychische Belastungen und Beanspruchungen charakterisieren. Ihr Einsatz war aber nicht möglich. Ein 1990 entstandenes Gutachten
trifft die Einschätzung, dass „manches davon nicht benutzt werden durfte – soziologische Befragungen seien verpönt gewesen; die Angst, dass Unangenehmes herauskäme, zu groß.“ Obwohl solche Instrumente vorlagen, enthielt die offiziell herausgegebene Methodik zur Arbeitshygienischen Komplexanalyse 1988 unter dem Abschnitt „Psychische Belastungen und Beanspruchungen“ lediglich den Vermerk „Methodik in Vorbereitung“.
Die SED beharrte besonders in den 1980er Jahren auf einer Politik der Zurückhaltung von Informationen, Rechtfertigung und Apologetik der bestehenden Zustände.
Der stellvertretende Leiter der ZK-Abteilung Agitation der SED hat aus seinen nach
der Wende veröffentlichten Tagebüchern Beispiele für verbotene Themen in der Berichterstattung in den Medien zusammengestellt. Danach durfte beispielsweise nichts
über Formaldehyd („die Bürger könnten Angst vor Krebs bekommen“) und nichts
über Atomkraftwerke („sonst wird ein sensibles Thema hochgeputscht“) veröffentlicht
werden.
Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Hemmnisse für den Arbeitsschutz bestehen also
durch die bestehenden politischen Rahmenbedingungen:
Politisierung des Arbeitsschutzes
• deologische Ausgestaltung von Arbeitsschutzkonzepten
• Benutzen der Arbeitsschutzausbildung für Verbreitung des MarxismusLeninismus
• Instrumentalisierung des Arbeitsschutzes
• Einordnen der Militärpolitik in den Arbeitsschutz
Dominanz wirtschaftlicher Interessen über Gesundheitssicherung
• Bewertung der Betriebe an Planerfüllung der Produktion und Gewinn
• Fokussierung der Förderung auf Exportbetriebe und wenige Spitzenerzeugnisse
• Hoher Verschleiß der Anlagen (nach Schweres „Ausquetschstrategie“)
• Starker Ausbau der Schichtarbeit bei gleichzeitigem Verschweigen gesundheitlicher Risiken
• Gezielte Desinformation (z.B. Asbest, psychische Belastungen)
119
Lutz Wienhold
Für die Missachtung des Arbeitsschutzes, ja für menschenunwürdige Bedingungen
stehen exemplarisch die Bedingungen
für Strafgefangene (menschenverachtender Einsatz zur Arbeit von Strafgefangenen durch intensivste körperliche Arbeit, schlechte Arbeitsbedingungen und – das
ist besonders perfide – Anreize für Arbeitshetze durch Normen und bei entsprechender Erfüllung hiermit verbundene Vergünstigungen über Sonderkost, Besuchsmöglichkeiten usw.) und
der Einsatz in der Wismut (Unterordnung des Arbeitsschutzes unter Anforderungen von hohen Uranmengen durch die Sowjetunion – Produktion geht vor alles
für das Atomprogramm; ionisierende Strahlung, Arsen, ...; schlechteste Arbeitsumweltbedingungen, wie Lärm, Vibration, Zwangshaltungen, ...; unzureichendes
Grubenrettungswesen)
7.3
Rechtliche Grundlagen des DDR-Arbeitsschutzes
Die DVAS begann bereits 1946 Arbeiten an einem einheitlichen Arbeitsschutzgesetz.
Die Zersplitterung der Arbeitsschutzgesetzgebung wurde als zu lösendes Problem
thematisiert. Die Zentralverwaltung knüpfte an einem dem Reichstag 1928 vorgelegenen Entwurf an (BArch, DQ 2/3918, 1946).
Aus der ursprünglichen Absicht im Jahre 1925, die Arbeitszeitvorschriften neu zu
ordnen, entstand in der Weimarer Republik das Konzept, ein geplantes Arbeitszeitgesetz zu einem vollständigen Arbeitsschutzgesetz auszugestalten. Ein Entwurf
stammt von 1926. Anfang 1928 unterbreitete der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund einen gewerkschaftlichen Gegenentwurf. 1928 legten auch die bürgerlichen Parteien den Entwurf eines umfangreichen Arbeitsschutzgesetzes vor, der den
Reichstag lange beschäftigte (Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes, Antrag Nr. 753,
1928-1929, Bd. 434, Anlage Nr. 753-900). Zu den Entwürfen wurden von den unterschiedlichen Interessengruppen kontroverse Diskussionen geführt. Der Entwurf von
1928 war nun in der SBZ Grundlage der Arbeiten der DVAS. Die Absichten der einheitlichen Neuregelung des Arbeitsschutzrechts scheiterten aber zunächst. Erst Anfang der 1950er Jahre entstand in der DDR unter Einbeziehung dieser Arbeiten in
der SBZ eine umfassendere Neuordnung des Arbeitsschutzrechts.
Tragendes Recht in der SBZ bildeten die alten Unfallverhütungsvorschriften.
120
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Legende 3:
Die Unfallverhütungsvorschriften sind durch Arbeitgeber geprägt gewesen und
müssen vollständig aktualisiert werden.
Die Wahrheit:
Die alten UVV wurden lediglich mit neuem Kopf versehen und galten weiter.
Die im Mai 1945 noch gültigen Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften wurden mit Bildung der Arbeitsschutzämter in neue Rechtsformen gebracht.
Im Allgemeinen wurden diese Vorschriften unverändert weiter für verbindliches Recht
erklärt. Es galten die Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften in der Fassung von 1934 weiter. Ein Beispiel für die Übernahme der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften in das Vorschriftenwerk der
SBZ zeigt Abb. 7.3.
Abb. 7.3
Beispiel für die Übernahme von Unfallverhütungsvorschriften
der Berufsgenossenschaften in das Vorschriftenwerk der SBZ
121
Lutz Wienhold
So waren seinerzeit in der SBZ die Berufsgenossenschaften zwar diskreditiert und
abgeschafft worden – die von ihnen entwickelten Vorschriften wurden aber unverändert übernommen.
Arbeitsschutz wurde zunächst unter Walter Ulbricht der 1950er Jahre als systemprägendes Politikgebiet aufgefasst. So ist das Engagement der SED-Führung für den
Arbeitsschutz in den Anfangsjahren der DDR einzuordnen. Und es gibt eine Reihe
von Beispielen, dass Ulbricht direkt in Inhalte des Arbeitsschutzes eingriff. Ulbricht
positionierte sich auf der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 auch öffentlich zu
Arbeitsschutzfragen. Dies trifft übrigens ebenso auf Otto Grotewohl zu, der sich sehr
pointiert zum Arbeitsschutz äußerte. Es ist für die rund 40 Jahre DDR das einzige
Mal, dass sich 1956 ein Ministerpräsident auf einer zentralen Arbeitsschutzkonferenz
äußert, und zwar sehr pointiert. Anfang der 1950er Jahre entstand in der DDR eine
umfassendere Neuordnung des Arbeitsschutzrechts. Die Kernvorschriften eines einheitlichen Arbeitsschutzes waren Bestandteil des „Gesetzes der Arbeit zur Förderung
und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren
Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten“
von 1950. Es wurde knapp auch als „Gesetz der Arbeit“ (GdA) bezeichnet. Der Arbeitsschutz wurde als ein Aspekt der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten aufgefasst und in diesem Verständnis, verbunden mit den verschiedenen
anderen arbeitsrechtlichen Aspekten (wie Arbeitsvertragsrecht, Lohnrecht, Urlaubsrecht u. a.), in diesem „Gesetz der Arbeit“ verankert. Die historische Leistung besteht
darin, dass erstmals in der deutschen Geschichte die Grundsätze des Arbeitsschutzes zusammenhängend kodifiziert wurden.
Das Gesetz der Arbeit löste die bis dahin noch geltende Gewerbeordnung von 1869
ab. Historisch bedeutsam ist der mit dem Gesetz verbundene einheitliche Geltungsbereich. Die grundlegenden Forderungen des Arbeitsschutzes galten nunmehr nicht
nur für den gewerblichen Bereich, sondern für alle Beschäftigten in Wirtschaft, Handel und Verwaltung – damit auch für den gesamten öffentlichen Dienst – ohne Unterschied gleichermaßen. Das GdA fixierte insbesondere
einen umfassenden Geltungsbereich über gewerbliche Wirtschaft hinaus
Verantwortung des Betriebes für Schutz der Gesundheit
Forderungen nach Sicherheitstechnik und Hygiene
begrenzten Einsatz sicherheitstechnischer Betreuung
arbeitsmedizinische Betreuung für alle Beschäftigten
Arbeitszeit
Diese miteinander verknüpfte und einheitliche Regelung der verschiedenen Bestandteile des Arbeitsschutzes macht den Verdienst dieses Gesetzes aus. Die hier entstandene Geschlossenheit blieb vom Grundsatz her bis zum Ende der DDR bestehen.
122
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Ulbricht ließ im Geheimen danach an einem neuen Arbeitsgesetz arbeiten. Es wurde
von Fachexperten vorbereitet. Ein Entwurf wurde im Oktober 1955 an Walter Ulbricht
übergeben. Das ZK der SED forderte eine Neufassung hinsichtlich der „politischen
und ökonomischen Erfordernisse“ (BArch, DP 1/7918). Als Anliegen formulierte die
ZK-Abteilung Arbeit, Sozial- und Gesundheitswesen: „Das Arbeitsgesetzbuch muss
ein Mittel des volksdemokratischen Staates werden, um die sozialistischen Produktions- und Arbeitsverhältnisse zu festigen und die sozialistische Arbeit planmäßig und
bewusst zu organisieren. Es soll die Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins
fördern, die Erziehung der Werktätigen zu einer neuen Arbeitsmoral unterstützen und
zur Überwindung des Reste bürgerlichen Denkens beitragen.“ (SAPMO-BArch, DY
30/IV 2/13/46). Demgegenüber wertet die Arbeitsrechtlerin Vera Thiel nach der Wende und dem Auftauchen des Materials in den Archiven diesen Entwurf von 1955 als
„einzigen überlieferten Gesetzgebungsentwurf [mit] einer relativ umfangreichen Kodifikation. [...] Der abgelehnte AGB-Entwurf war Ausdruck der Mitte der fünfziger Jahre
vorgefundenen Arbeitsrechtsordnung und gab Entwicklungstendenzen den ausreichenden rechtlichen Rahmen, er zeigte die Handschrift von Juristen und war weitgehend befreit von den schon damals üblichen und in späteren Gesetzen dominierenden unverbindlichen ideologischen Verlautbarungen.“ Dieser Entwurf wurde dann
in den Folgejahren aber nicht mehr als Grundlage für das Arbeitsgesetzbuch genommen, blieb weitgehend unbekannt und spielte weder in der weiteren Gesetzgebung noch im Schrifttum eine Rolle. Dies hatte offenbar zuvorderst ideologische
Gründe.
Die nächste große Kodifizierung erfolgte mit dem Gesetzbuch der Arbeit (GBA) von
1971. Das neue Gesetzbuch der Arbeit (GBA) fasste die bis zu dieser Zeit in den
1950er Jahren entstandenen gesetzlichen Grundlagen, die insbesondere nach dem
17. Juni 1953 sowie durch die veränderte Rolle der Gewerkschaften im Arbeitsschutz
seit 1958 entstanden waren, zusammen und ergänzte diese. Ganz im Sinne des
V. SED-Parteitages 1958, auf dem Walter Ulbricht die10 Gebote der sozialistischen
Moral verkündet hatte, wurde das mit dem GBA neu kodifizierte Arbeitsrecht nicht
zuletzt als erzieherisches Instrumentarium betrachtet, mit dem die Beschäftigten verstärkt zur sozialistischen Arbeitsmoral angehalten werden sollten. Die einzelnen Bestimmungen des GBA waren durchdrungen von diesem Erziehungsgedanken. Die
Betriebsleitung wurde zum Beispiel nicht einfach verpflichtet, für Gesundheits- und
Arbeitsschutz zu sorgen, sondern „für die Erziehung der Werktätigen zur Einhaltung
der Bestimmungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes“ verantwortlich gemacht.
Bereits 1971 wurde nach Verkündung des GBA begonnen, im Rahmen der Vorbereitung eines neuen Arbeitsgesetzbuches (AGB) die grundlegenden Forderungen zum
Arbeitsschutz neu zu fassen. Der Machtwechsel 1971 sowie der VIII. Parteitag der
123
Lutz Wienhold
SED beschleunigten diese Arbeiten. (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/1572, 1972).
Das AGB kam dann 1977 (GBl. der DDR I 1977, S. 185) und enthielt solche Grundsätze, wie insbesondere die
Pflicht des Betriebes zur Gestaltung und Erhaltung sicherer, erschwernisfreier
sowie die Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördernder Arbeitsbedingungen
Pflichten des Betriebes zur Gestaltung der Arbeitsmittel, Arbeitsstätten und
Arbeitsverfahren
Berücksichtigung der Erfordernisse des Arbeitsschutzes in der gesamten
Führungstätigkeit
Arbeitsmedizinische Betreuung und Einsatz von Sicherheitsinspektoren in
allen Betrieben
Pflichten zum besonderen Schutz von Frauen und Jugendlichen
Förderung der aktiven Mitwirkung der Beschäftigten bei der Durchsetzung des
Arbeitsschutzes
gewerkschaftlichen Rechte
Pflicht zum Erlass erforderlicher betrieblicher Regelungen
Die Pflicht zur Gewährleistung des Arbeitsschutzes wurde in eine Generalklausel
nach § 201 des AGB gefasst: „Der Betrieb ist verpflichtet, den Schutz der Gesundheit
und Arbeitskraft der Werktätigen vor allem durch die Gestaltung und Erhaltung sicherer, erschwernisfreier sowie die Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördernder
Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.“ Die besonderen Merkmale dieser Generalklausel bestehen damit in der
Verantwortungszuweisung an den Betrieb
präventiven Ausrichtung des Arbeitsschutzes
Pflicht ständiger Erhaltung des Niveaus des Arbeitsschutzes (bezeichnenderweise
fehlt hier die Orientierung auf Weiterentwicklung)
Einheit von Schutz und Förderung der Gesundheit
Von strategischer Bedeutung für das neue AGB waren die
Einordnung des Arbeitsschutzes in die betriebliche Organisation und Führung
Pflicht für alle Führungskräfte, einen Befähigungsnachweis im Arbeitsschutz
abzulegen und regelmäßig zu wiederholen
beschworene „Einheit von Erziehung und Bildung“ der Beschäftigten in
Verbindung mit betrieblichen Schulungen und Unterweisungen im Arbeitsschutz
sowie um die
Orientierung auf betriebliche Regelungen im Arbeitsschutz, die das Recht
konkretisieren
124
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Schon 1964 hatte eine Orientierung auf Standardisierung (Normung)2 von Arbeitsschutzforderungen eingesetzt. Konkret wurden diese Überlegungen dann in den
1970er und 1980er Jahren aufgegriffen, in denen es eine breitere Standardisierungswelle zum Arbeitsschutz gab.
Für die DDR war erklärtes Ziel, die Standards zwischen der UdSSR und der DDR
generell zu vereinheitlichen (BArch, DC 20/I/4 – 2656, 1972). Für den Arbeitsschutz
war speziell festgelegt worden, alle in Arbeitsschutzanordnungen enthaltenen Festlegungen schrittweise in Standards zu überführen (SAPMO-BArch, DY 34/25255,
1972). So mussten alle Forderungen, die das grundsätzliche Recht des Arbeitsschutzes spezifizierten, faktisch mit der UdSSR harmonisiert werden. Es entstanden
in einer Reihe von Standards eher bürokratische Floskeln, weniger sachlich-fachlich
vereinheitlichte Standards. Die Sowjetunion hatte nur das Anliegen, ihre Bestimmungen durchzusetzen. Dem Kernanliegen vereinheitlichter Forderungen wurde nur
bedingt entsprochen. Bis 1988 war ca. ein Viertel der über 200 Arbeitsschutzanordnungen durch Standards abgelöst worden.
Legende 4:
Mit dem Klassifizierungssystem der Standards zum Arbeitsschutz wurde ein
einheitliches überschaubares System der Vorschriften geschaffen.
Die Wahrheit:
Die Klassifizierung entsprang eher den Gegebenheiten der UdSSR als der DDR.
Schwerwiegender noch ist, dass das Gesundheitswesen ausgeklammert und
selbstständig geregelt blieb. Damit bestand kein einheitliches System.
Die Arbeitsmedizin war in dieses System der Arbeitsschutzstandards nicht integriert.
Das Ministerium für Gesundheitswesen (MfG) beharrte auf einem eigenständigen
System arbeitshygienischer Standards. In Verantwortung des Gesundheitswesens
wurden seit Mitte der 1970er Jahre in rund 130 Standards arbeitshygienische
Grenzwerte und Normen mit den dazugehörigen Nachweis- und Bewertungsverfahren festgelegt. Der Ansatz, an Selbstständigkeit festzuhalten, wie er sich bereits bei
der Vorbereitung zum Arbeitsgesetzbuch gezeigt hatte sowie auch bei speziellen
Verordnungen neben der Arbeitsschutzverordnung praktiziert wurde, ist vom Ministerium für Gesundheitswesen auch in der Standardisierung konsequent verfolgt worden.
2
In der DDR wurden Standards als TGL (Technische Güter- und Lieferbedingungen) herausgegeben, vergleichbar mit den in der Bundesrepublik üblichen DIN. Die TGL-Standards waren, im Gegensatz zur DIN, Vorschrift und galten nicht nur als Empfehlung. Zuständig war das im November
1954 gegründete Amt für Standardisierung, aus dem 1974 das Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung der DDR (ASMW) in Berlin-Köpenick hervor ging.
125
Lutz Wienhold
In den Standards der Arbeitshygiene gab es durchaus auch Anforderungen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen. So waren beispielsweise ergonomische Anforderungen an Steh- und Sitzarbeitsplätzen im Klassifizierungssystem der Arbeitshygiene; Anforderungen generell zu Arbeitsstätten einschl. Arbeitsplätzen waren aber im
Klassifizierungssystem des Arbeitsschutzes geregelt. So gab es letztlich zwei Standardisierungssysteme mit jeweils eigenen Ordnungssystemen.
Einen Überblick über das entstandene Vorschriftensystem im Arbeitsschutz gibt
Abb. 7.4.
Arbeitsgesetzbuch
Arbeitsschutzverordnung
Mit Durchführungsbestimmungen
Sicherheitsinspektoren
Verordnung über das
Betriebsgesundheitswesen
und die
Arbeitshygieneinspektion
Überwachungspfl. Anlagen
Mit Durchführungsbestimmungen
Schutzgüte
Betriebsgesundheitswesen
...
Arbeitshygieneinspektion
Arbeitshygienische Zentren
Arbeitsschutzanordnungen
Standards zum Arbeitsschutz
(im Klassifizierungssystem)
Standards zur Arbeitshygiene
(im speziellen System)
Betrieb
Selbst erarbeitete betriebliche Regeln zum AS
Abb. 7.4
7.4
Übersicht zum Rechtssystem im Arbeitsschutz der DDR
Sicherheitsinspektoren und Betriebsärzte
Sicherheitsinspektoren wurden bereits in der SBZ in begrenztem Umfang verbindlich,
ihr Einsatz dann immer weiter ausgebaut. Das AGB von 1977 und die zugehörige
ASVO von 1977 enthielten grundlegende Forderungen zum Einsatz und zur Tätigkeit
der Sicherheitsinspektoren. Eine Konkretisierung und weitere Ausgestaltung enthielt
126
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
eine 2. Durchführungsbestimmung (DB) zur ASVO von 1978 (GBl. der DDR I 1978,
S. 373). Die Konkretisierung bezog sich auf den Einsatz dieser Fachexperten: Es
waren in allen Betrieben, in den zentralen Staatsorganen, bei den örtlichen Räten, in
den wirtschaftsleitenden und ihnen gleichgestellten Organen und auch in den Produktionsgenossenschaften Sicherheitsinspektoren einzusetzen. Die direkte Anleitung
und zentrale Einflussnahme übergeordneter Organe war durch die generelle Einsetzung auf allen Hierarchieebenen der Wirtschaft organisiert, der Zentralismus damit
gesichert.
Die inhaltliche Grundaufgabe war, dass der Sicherheitsinspektor „als Beauftragter
des Betriebsleiters diesen bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung zur Durchsetzung der in Rechtsvorschriften und betrieblichen Regelungen getroffenen Festlegungen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz umfassend zu beraten, sachkundig zu
unterstützen und die leitenden Mitarbeiter auf diesem Gebiet anzuleiten und zu kontrollieren.“ Deutlich wurde die Kontrollfunktion eines Sicherheitsinspektors betont,
und zwar nicht allgemein bezogen auf die Arbeitsbedingungen, sondern speziell
auch als Kontrolle der leitenden Mitarbeiter und der Wahrnehmung von deren Verantwortung.
Die Besonderheiten von Sicherheitsinspektoren der DDR gegenüber den Fachkräften für Arbeitssicherheit in der Bundesrepublik:
Einsatz in allen Betrieben unabhängig von der Größe (haupt- oder nebenamtlich)
ohne Vorgabe von Einsatzzeiten nach eigenverantwortlicher Entscheidung des
Betriebes
Ausgangsqualifikation bis 1977 nur Ingenieure, ab 1977 Ingenieure, Meister und
Facharbeiter
Zu den Aufgaben gehört auch die Betreuung bezogen auf Erzeugnisse und
Leistungen des Betriebes
Kontrolle der Führungskräfte auf Erfüllung ihrer Aufgaben im Arbeitsschutz
Bereits in der SBZ wurde der staatliche Betriebsarzt etabliert.
Legende 5:
Der SMAD-Befehl Nr. 234 war die Geburtsurkunde des Betriebsgesundheitswesens
der DDR.
Die Wahrheit:
Die Archivquellen belegen, dass sehr frühzeitig deutsche Fachexperten die Vorschrift
vorbereitet hatten. Es gab bereits eine deutsche Anordnung mit fast wortgleichem
Inhalt knapp ein Jahr zuvor.
127
Lutz Wienhold
Der SMAD-Befehl Nr. 234 über „Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität
und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten
der Industrie und des Verkehrswesens“ vom 9.10.1947 wurde später zu DDR-Zeiten
als Geburtsurkunde des Betriebsgesundheitswesens der DDR bezeichnet, beispielsweise prägnant vom ehemaligen DDR-Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger
vertreten. Es handelt sich zwar um das erste Dokument mit allgemeiner Verbindlichkeit in der SBZ. Aber bereits am 24.12.1946 – und damit neun Monate vor dem
SMAD-Befehl Nr. 234 – hatte die Deutsche Zentralverwaltung für Gesundheitswesen
die Anordnung „Maßnahmen auf dem Gebiete der Arbeitsmedizin und Betriebsgesundheitsfürsorge“ beschlossen (BArch, DQ 2/3500, 1946), die inhaltlich in dieselbe
Richtung ging wie der Be-fehl 234 zum Betriebsgesundheitswesen. Allerdings blieb
dieses Dokument wegen der fehlenden Rechtskraft nutzlos, aber es war von einer
deutschen Verwaltung vorbereitet worden, nicht von einer russischen. Erst der
SMAD-Befehl hatte Verbindlichkeit für alle Länder und Provinzen. Diesen Befehl aber
deshalb als „Geburtsurkunde“ zu bezeichnen ist historisch nicht berechtigt. Dass eine
traditionsreiche Entwicklung des Arbeitsschutzes in Deutschland der Hilfe durch eine
industriell rückständige Sowjetunion bedurfte, erscheint rückschauend wenig plausibel. Es ist eine Legende, dass die Sowjetunion das Betriebsgesundheitswesen entwickelt hätte. Alles fußt auf deutsche Vorlagen. Die deutsche Anordnung ging fast
wortgleich in den SMAD-Befehl Nr. 234 ein. Diese Darstellungen der DDR, namentlich durch den Minister für Gesundheitswesen der späteren DDR, Ludwig Mecklinger,
sind als Verfälschung der historischen Wahrheit zu charakterisieren und gaukelten
sowjetische Unterstützung vor, die es so nicht gab.
Prinzipien der Umgestaltung der betriebsärztlichen Betreuung in der SBZ waren deren staatlicher Charakter und die Steuerung durch eine zentrale Gesundheitsverwaltung. Das Bestreben der Kommunisten bestand darin, eine vermeintliche Abhängigkeit der Ärzte von den Betrieben zu beseitigen. Ein direktes Einordnen der Fabrikärzte in den Betrieb, wie sich dies vor dem Ersten Weltkrieg in der chemischen Industrie
oder in anderen Großbetrieben bereits in der Weimarer Zeit entwickelt hatte, wurde
abgeschafft. Bis 1933 gab es durchaus Initiativen der Betriebe zum Einsatz von Fabrikärzten, alle auf freiwilliger Basis. Im Nationalsozialismus wurden Werksärzte
Pflicht. Sie hatten allerdings keine Fortschritte in der Entwicklung des Arbeitsschutzes gebracht, da die Werksärzte in dieser Zeit primär mit Untersuchungen zur Rassenbestimmung und zur Wehr- und Arbeitstauglichkeit befasst waren.
In den Folgejahren wurde die staatliche betriebsärztliche Betreuung rechtlich ständig
weiter ausgebaut. 1978 wurden Aufgabenstellung und Arbeitsweise der Betriebsärzte
rechtlich neu gefasst. Erlassen wurden 1978 die Verordnung über das Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion sowie die Erste DB hierzu. Diese
Verordnung stand neben der Arbeitsschutzverordnung. Es wurden fünf Kernpunkte
betriebsärztlicher Tätigkeit festgeschrieben:
128
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Medizinische Betreuung, zu der neben der Ersten Hilfe insbesondere auch allgemeine Sprechstundentätigkeit der Ärzte gehörte
Arbeitsmedizinische Betreuung mit den Schwerpunkten der erforderlichen
Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen, der Einschätzung des
Gesundheitszustandes der Beschäftigten, aber auch die Unterstützung der
Berufsberatung Jugendlicher, die Überwachung des Einsatzes von Beschäftigten
im Rahmen der Rehabilitation und von Schonarbeit, die Unterstützung des
Betriebsleiters bei der Auswertung und Senkung des Krankenstandes, die
Mitwirkung bei der Vergabe von Kuren; der Betriebsarzt wirkte mit der Betriebsrehabilitationskommission zusammen
Arbeitshygienische Beratung, hier insbesondere die Mitwirkung bei der arbeitshygienischen Analyse der Arbeitsplätze, die Kontrolle der hygienischen und physiologischen Gestaltung von Arbeitsmitteln, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten,
die Kontrolle der Durchsetzung der Rechtsvorschriften für den speziellen Schutz
bestimmter Gruppen von Beschäftigten, wie Jugendliche, Frauen usw.
Kontrolle hygienischer Normen, wie Einhaltung der Hygienebestimmungen im
Betrieb insbesondere in gesundheitstechnischen und sanitären Anlagen, Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung, Kontrolle der Speisenversorgung in allen
Schichten, Vorbereitung und Durchführung von Schutzimpfungen
Gesundheitserziehung der Beschäftigten einschl. Beratung des Betriebsleiters
hierzu
Charakteristisch war die Einheit von betriebsärztlicher Beratung im Sinne der Prävention mit kurativer Behandlung und Nachsorge. Und es waren durch den Betriebsarzt auch Einstellungsuntersuchungen durchzuführen. Zugleich waren neben der
Unterstützung der Betriebsleiter insbesondere – im Unterschied zur Praxis in der
Bundesrepublik – auch staatliche Überwachungsaufgaben wahrzunehmen.
Legende 6:
Es war Aufgabe des Betriebsarztes, den Betrieb ausschließlich zu beraten.
Die Wahrheit:
Beratung gehörte zu den entscheidenden Aufgaben. Aber es gab auch Kontrollen
im Auftrag der Arbeitshygieneinspektionen, über dessen Ergebnisse der Betriebsarzt berichten musste.
129
Lutz Wienhold
Der Betriebsarzt wurde unmittelbar durch die staatlichen Inspektionsorgane im Gesundheitswesen für betriebliche Kontrollaufgaben mit entsprechend erforderlicher
Berichtserstellung eingesetzt (vgl. Abb. 7.5). Dies konnte ein notwendiges Vertrauensverhältnis zwischen Betrieb und Betriebsarzt stören. Oftmals ermöglichten zentral
vorgegebene Arbeitsschwerpunkte gar keine differenzierte betriebliche Arbeit der
Betriebsärzte. Die umfangreichen Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen
banden einen sehr hohen Teil der betriebsärztlichen Betreuungskapazität, was insoweit auch der primären Prävention verloren ging.
ArbeitsArbeitsschutzschutzinspektionen
Technische
Überberwachung
ArbeitsArbeitshygiene-hygiene
inspektionen
Gewerkschaft
Staatliche
Plankommission
Ministerium
für Gesundheitswesen
Anleitung und Kontrolle
der Betriebsä
Betriebsärzte und Betriebspolikliniken
Abb. 7.5
Überwachungsorgane im Gesundheitswesen erwarteten von Betriebsärzten auch Kontrolle im Arbeitsschutz
Arbeitsmedizinische Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen stellten das
Kernstück der arbeitsmedizinischen Vorsorge im sozialistischen Betrieb dar, wie es
der stellvertretende Direktor des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin 1976 ausdrückte.
Ein wichtiges Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung bestand in der Beurteilung dessen, ob der Beschäftigte für die von ihm derzeit ausgeübte oder künftig
auszuübende Tätigkeit tauglich war oder nicht.
Professiogramme stellten Gefährdungs- und Belastungssituationen für Berufe und
Tätigkeiten zusammen und dienten als wesentliches Hilfsmittel für die gesundheitliche Betreuung der Beschäftigten. Die „Arbeitshygienische Komplexanalyse" hatte ein
abgestuftes System „von grob nach fein“. Auf orientierende Analysen aufsetzend
wurden bei Bedarf messtechnisch aufwendigere spezielle Analysen mit Unterstützung von gesondertem Fachpersonal gefordert.
130
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Ergebnisse der Arbeitshygienischen Komplexanalyse mussten von den Betrieben an
die AHI gemeldet werden. Es bestand insofern seit 1982 zugleich eine offizielle staatliche Berichterstattung, die Betriebe verpflichtete, ihre Daten weiterzugeben.
Dieser „Arbeitshygienische Bericht“ konnte sowohl als betriebliches Instrument zur
Setzung von Schwerpunkten genutzt werden, schuf aber zugleich durch regionale
sowie zentrale statistische Aufbereitung eine Gesamtübersicht für die Bezirke und
die DDR (vgl. Abb. 7.6).
Chem.
Schadstoffe
Ganzkörpervibration
Nichttoxische
Stäube
Teilkörpervibration
8%
Übrige
Lärm
3% 3%
9%
37%
15%
25%
Arbeitsschwere
Abb. 7.6
Prozentuale Verteilung (Struktur) der Exponierten der DDR nach
Belastungsfaktoren 1989
Die besondere Bedeutung liegt in der Verknüpfung von Befunddokumentationen einerseits und der vorausschauenden Belastungsermittlung an den Arbeitsplätzen anderseits. 1989 waren für ca. 88 Prozent aller Berufstätigen die arbeitshygienischen
Bedingungen dokumentiert und so einer epidemiologischen Auswertung zugänglich.
Solche Arbeitsplatzcharakteristiken sollten den Betrieben helfen, „die arbeitshygienische Situation einzuschätzen und zu bewerten." Notwendig war eine enge Zusammenarbeit zwischen den Betriebsärzten mit den Arbeitshygieneinspektionen, wenn
sie diese Aufgabe erfüllen wollten, weil nur diese über Spezialisten (z.B. Chemiker
oder Akustiker) und Spezialgeräte verfügten, um gemeinsam mit betrieblichen Abteilungen die notwendigen Arbeitsplatzanalysen durchzuführen.
131
Lutz Wienhold
Die betriebsärztliche Betreuung entwickelte sich insbesondere seit 1978 stark zu einer kooperativen Betreuung. Verschiedene ärztliche Fachrichtungen wirkten zusammen. Obligatorische Leistungsbereiche waren bei den Betriebspolikliniken Abteilungen für Allgemeinmedizin/Innere Medizin, arbeitsmedizinische Leistungs- und Funktionsdiagnostik, Arbeitshygiene/Arbeitsphysiologie/Arbeitspsychologie, Unfallchirurgie, Labor- und Röntgendiagnostik, Physiotherapie/Arbeitstherapie sowie allgemeine
Stomatologie. Als Betriebsärzte waren Fachärzte für Allgemeinmedizin, Internisten,
Dermatologen, Orthopäden, Augenärzte, Gynäkologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und
Fachärzte für Arbeitshygiene tätig. Also gab es beispielsweise Augenärzte als Betriebsärzte, obwohl sie formal diese Qualifikation im Sinne eines Betriebsarztes nicht
hatten.
Zu einer wesentlichen Säule des BGW entwickelten sich verstärkt wirtschaftszweigspezifische Arbeitshygienische Zentren (AHZ) und Beratungsstellen (AHB). Diese
Form geht zurück bis in die 1950er Jahre. 1967 waren dann in allen Bezirken der
DDR auf Initiative von Hans-Günter Häublein arbeitshygienische Beratungsstellen
des Bauwesens gegründet worden. Diese Entwicklung wurde als Erfolg versprechend für die professionelle Beratung von Unternehmen bewertet. 1980 erging eine
gesonderte Vorschrift, nämlich die Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung
über das Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion – Arbeitshygienische Zentren und Arbeitshygienische Beratungsstellen. Danach profilierten sich
in vielen Branchen solche Zentren bzw. Beratungsstellen.
Kooperative Arbeitsweise der Ärzte entstand zunehmend mit Ingenieuren, die direkt
in den Einrichtungen des BGW angestellt waren. Es war erklärtes Ziel, mit diesem
technisch qualifizierten Personal interdisziplinär auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen unmittelbar Einfluss zu nehmen. Es kamen Arbeitshygieneingenieure zum
Einsatz. Gerade die arbeitshygienische Begutachtung von Projekten konnte sich präventiv auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen auswirken. Die Vernetzung von
Ärzten und Technikern förderte die Integration der arbeitsmedizinischen Kompetenzen in eine zunehmend interdisziplinär ausgerichtete Umsetzung des Arbeitsschutzes, aber eben getragen vom Gesundheitswesen und oftmals ohne direkte Kooperation mit den Arbeitsschutzeinrichtungen allgemein.
Legende 7:
Die Leistungen des Betriebsgesundheitswesens haben wesentlich zur Beherrschung gesundheitlicher Risiken in der DDR geführt.
Die Wahrheit:
Es war ein wesentlicher Beitrag, damit sich die Situation nicht verschärfte. Eine
nachhaltige Einflussnahme ist nicht erkennbar.
132
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Eine besondere Stärke des BGW war die Möglichkeit, Defizite in der Gewährleistung
der Arbeitssicherheit durch technische Maßnahmen der Gestaltung von Arbeitsmitteln, Arbeitsstätten und Arbeitsverfahren im gewissen Umfang aufzufangen. Ärztliche
Vorsorgeuntersuchungen und das hiermit in Verbindung stehende System der
Dispensaire-Betreuung wurden zu einem der Instrumente des vorsorgenden Arbeitsschutzes, um fehlende technische Lösungen auszugleichen. Der allgemeine Krankenstand (1981 betrug er 6,08, 1989 noch 6,03) konnte in den 1980er Jahren nicht
entscheidend gesenkt werden. Und die kaum sinkenden Exponiertendaten belegen,
dass ein spürbarer Einfluss auf die präventive Gestaltung der Arbeitsbedingungen
ausblieb – sicher nicht verursacht durch das Betriebsgesundheitswesen, aber auch
nicht nachhaltig positiv verändert (vgl. Abb. 7.7). Rund jeder vierte Beschäftigte ist
1989 seit mehreren Jahren exponiert. Bezogen nur auf das Produktionspersonal sind
1989 rund 36% exponiert, damit mehr als ein Drittel des gesamten Produktionspersonals.
Anteil der Exponierten an den Beschäftigten
1985: 25 %
1989: 23 %
Abb. 7.7
Entwicklung der Exponierten gegenüber Belastungsfaktoren
in der DDR (Anzahl der Berufstätigen in 1.000)
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass dieser sehr hohe personelle Aufwand im betrieblichen Gesundheitswesen für die Betriebe kostenlos war. Dieser
doch sehr große sozialpolitische Aufwand war möglicherweise mit ein Baustein für
die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR gerade in den 1980er
Jahren, weil sich die DDR auf sozialpolitischem Gebiet keine Einschränkungen er133
Lutz Wienhold
lauben wollte und konnte. Das Konzept der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ forderte insbesondere für den Wohnungsbau und die Subvention von Grundnahrungsmitteln, Mieten und Energie immer mehr Mittel, die aus der Wirtschaft abgezogen werden mussten, um sie im Staatshaushalt für diese Subventionen zu konzentrieren. Wettrüsten, Ölkrise u. a. dramatisierten die wirtschaftliche Situation. Der hohe
Aufwand im Staatshaushalt für das betriebliche Gesundheitswesen war ein PuzzleTeil für den wirtschaftlichen Niedergang der DDR.
Der zentralistische Aufbau des DDR-Gesundheitswesens trug die Absicht zur Reglementierung der Zuständigkeit jeder Einrichtung für örtliche bzw. regionale Bereiche
in sich. Jede medizinische Einrichtung und jeder Arzt sollten einen fest umrissenen
Versorgungsbereich betreuen. So schien der Nutzen zum Erhalt des Machtmonopols
durch eine ständige Steuerung der Behandlung und durch eine totale Überwachung
und Führung jedes Patienten offensichtlich. Freie Arztwahl war damit nicht vereinbar.
Politisch-ideologisch sollten die DDR-Bürger den Arzt ihres Vertrauens frei wählen
können. Die freie Wahl des Arztes war in Wirklichkeit aber dennoch sehr stark eingeschränkt. Im Ergebnis konnten sich die Beschäftigten dem direkten Zugriff der medizinischen Einrichtungen ihres Betriebes nicht entziehen. Und dies war nicht nur als
Vorteil für den Einzelnen zu sehen, sondern brachte die gläserne Betrachtung für
den Betrieb mit sich. Die Partei besaß faktisch die uneingeschränkte Kontrolle über
die Arbeitsbefreiung sowie den Gesundheitszustand der Beschäftigten und deren
Angehörigen. Die Arbeitshygieneinspektionen waren verantwortlich für die Anleitung
und Kontrolle der Einrichtungen des Betrieblichen Gesundheitswesens (BGW). Gerade dadurch war eine zentralistische Steuerung des Betriebsgesundheitswesens
organisiert. Arbeitsschwerpunkte der Betriebsärzte wurden oftmals vorgegeben.
Zusammenfassend soll der Unterschied zwischen dem Betriebsarzt der DDR mit
dem Betriebsarzt der Bundesrepublik deutlich gemacht werden:
Der Betriebsarzt war arbeitsrechtlich direkt dem staatlichen Gesundheitswesen
unterstellt, nicht dem Betrieb
Anleitung und Kontrolle der Betriebsärzte erfolgten durch staatliche Arbeitshygieneinspektionen
In staatlichen Arbeitshygienischen Zentren wirkten Betriebsärzte mit „Arbeitshygieneingenieuren“ u. a. technisch orientierten Fachexperten zusammen
Zu den Aufgaben gehörten Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen
Neben der arbeitsmedizinischen erfolgte auch kurative Betreuung
(Krankschreibungen)
Das BGW war nicht nur für Betriebsangehörige tätig, sondern auch zur hausärztliche Betreuung für Familien und andere Bürger
Die staatliche betriebsärztliche Betreuung war für die Betriebe kostenlos, faktisch
eine Subventionierung
134
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
7.5
Inhaltliche Grundlagen des Arbeitsschutzes
Bereits in den 1950er Jahren waren Prinzipien des Arbeitsschutzes diskutiert worden, wie das Prinzip der Einheit von Arbeitssicherheit und Arbeitsproduktivität, das
Prinzip der Vermeidbarkeit von gesundheitlichen Schädigungen der Arbeitskraft, später auch das Prinzip der Verantwortlichkeit im Arbeitsschutz. Erwin Gniza hatte die
für die Arbeitsschutzpolitik der DDR bahnbrechende „Wegetheorie“ entwickelt. Dieser
Ansatz war schöpferisch für das weitere Denken und Handeln im Arbeitsschutz. Die
Arbeiten stellten einen Paradigmenwechsel im Arbeitsschutzverständnis und den
Ansätzen für die Gewährleistung von Arbeitssicherheit dar.
Die besondere Bedeutung lag darin, dass über das Denkmodell „Primat der Technik“
für Arbeitsschutzmaßnahmen ein verändertes Herangehen an Arbeitsschutzkonzepte
proklamiert wurde. Einer einseitigen Fixierung von Verhaltensforderungen an die Beschäftigten, der Betonung von Fehlverhalten als Unfallursache und hierauf bezogenen einseitigen Konzepten der Stabilisierung des Verhaltens über Belehrungen der
Beschäftigten – historisch gesehen seinerzeit eine traditionell fest im Denken verankerte Handlungsweise in den Betrieben – wurde eine wissenschaftlich begründete
Alternative geboten. Solche vorherrschenden Auffassungen zum Fehlverhalten wurden nunmehr prinzipiell in Frage gestellt. Die Wende vollzog sich in der DDR mit solchen grundlegenden Orientierungen der Arbeitsschutzwissenschaft begründet auf
Gniza. Noch heute gehen im Arbeitsschutz die Hierarchie von Arbeitsschutzmaßnahmen, die Rangfolge der Gestaltung sicherer und gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen auf diese Kerngedanken zurück – auch in der Bundesrepublik.
Zwar blieben die Ansätze Gnizas wegweisende und allgemein akzeptierte Grundlage
der Arbeitsschutzpolitik der DDR, waren aber trotzdem wiederholt in der Kritik. Gniza
hatte Haupt- und Nebenweg der Gestaltung von Arbeitssicherheit unterschieden und
meinte damit als heuristisches Prinzip, primär die Technik gefahrlos zu gestalten.
Nebenweg war für ihn die Ausprägung sicheren Verhaltens der Beschäftigten, um
den verbliebenen Gefahren zu begegnen.
Die Wegetheorie blieb speziell Vertretern der Gewerkschaften offenbar zu gesellschaftsneutral. Gefordert wurde eine Theorie der Arbeitssicherheit mit „philosophischer“ Begründung. Aufbauend auf den Ansätzen der 1950er Jahre entstanden besonders in den 1960er Jahren immer neue Formulierungen als „Sozialistische Prinzipien“ des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. Das blieb aber ohne substanzielle Verbesserungen.
135
Lutz Wienhold
Legende 8:
In der Zeit Walter Ulbrichts wurde eine sozialistische Theorie des Arbeitsschutzes
geschaffen.
Die Wahrheit:
Gestützt auf verschiedene Quellen hat Erwin Gniza eine fachlich fundierte Arbeitsschutztheorie entwickelt. Erst Jahre später wurde sie insbesondere durch die Gewerkschaften gesellschaftswissenschaftlich umformuliert und ideologisiert.
Die SED setzte stark auf Prävention durch Gestaltung der Arbeitsbedingungen, betonte zugleich aber immer wieder die notwendige „Erziehung“ der Beschäftigten.
Dieser Grundansatz ging über eine Vermittlung von Kompetenzen über Belehrungen,
Informationsvermittlung usw. hinaus und griff die generelle Ideologie auf, dass eine
sozialistische Persönlichkeit erzogen werden muss. Der Arbeitsschutz und insofern
grundlegende Interessen der Menschen wurden benutzt, um prinzipielle politischideologische Ansätze der Ausprägung des Gesellschaftsbildes zu verfolgen.
Abb. 7.8
„Sozialistische“ Prinzipien des Arbeitsschutzes
Typisches Beispiel für die Politisierung bilden die Prinzipien des Arbeitsschutzes.
Gniza entwickelte als Prinzipien die grundlegende Positionierung zur Einheit von
Produktion und Arbeitsschutz sowie das Prinzip vom Primat der Technik für die Ge136
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
staltung von Arbeitssicherheit. Da dies zu gesellschaftsneutral erschien, entstanden
ideologisierte Formulierungen. Das waren dann sog. „sozialistische Prinzipien“ (vgl.
Abb. 7.8), mal Prinzipien des Sozialismus, mal sogar „Prinzipien des Gesundheitsund Arbeitsschutzes im entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus“ mit
jeweils leicht veränderten Formulierungen.
Die Auslegungen der verschieden formulierten Prinzipien wandelten sich je nach politischer Stimmungslage in der DDR. In den Qualifizierungsaktivitäten zum Arbeitsschutz waren diese politischen Orientierungen fester Bestandteil. Es ging des öfteren
weniger um die sachlichen Inhalte, mehr um die politisch-ideologische Haltung, die
bei den Weiterbildungen entwickelt werden sollten.
Nach Erlass der Arbeitsschutzverordnung (ASVO) 1951 entstanden in der DDR Vorstellungen, ein eigenständiges spezielles Maschinenschutzgesetz vorzubereiten
(SAPMO-BArch, DY 34/19/160/5382, 1951). Die generelle Rechtspflicht der Maschinenhersteller sollte eingeführt werden. Diese Überlegungen setzten sich aber zunächst nicht durch. Es war das Verdienst von Erhard Möhler, den Gedanken des
Maschinenschutzes systematisch ausgestaltet zu haben. Bereits sehr früh, nämlich
1956, konzipierte Möhler ein Gütesystem der verschiedenen Qualitätsmerkmale von
Maschinen mit Integration der Schutzgüte und entwickelte Gestaltungsprinzipien, die
sichere Erzeugnisse ermöglichen sollten. Das besondere Verdienst waren die Überlegungen, Sicherheit nicht als etwas Zusätzliches zu verstehen, sondern als integrativen Bestandteil einer Maschine. Deshalb also die Verknüpfung mit Funktionsgüte,
Gestaltgüte usw. Darüber hinaus wollte er als spezielles Gütemerkmal die „Schutzgüte“ verstanden wissen. Seine Vorstellungen und Konzepte zur „Schutzgüte“ haben
maßgeblich das Denken und Handeln im Arbeitsschutz der DDR geprägt. Seine
grundsätzliche Schrift von 1956 erschien in vielfältigen Weiterentwicklungen bis zur
5. Aufl. 1970. Die wissenschaftlichen Grundlagen Erhard Möhlers wurden auch in der
Bundesrepublik aufgegriffen. So zitiert die 1971 erschienene westdeutsche Vornorm
DIN 31000 Möhlers Gestaltungsgrundsätze und Gestaltungsprinzipien (vgl. DIN
31000: Sicherheitsgerechtes Gestalten technischer Erzeugnisse. Allgemeine Leitsätze. Dezember 1971).
Der Begriff der Schutzgüte taucht erstmalig in einer amtlichen Verlautbarung auf, einem Ministerratsbeschluss vom 15.3.1956. Danach ging er allmählich auch in den
Wortschatz der Konstrukteure ein. So fasste das Prinzip der Schutzgüte in der Qualitätsbeurteilung von Erzeugnissen generell Fuß. Nach damaliger Auffassung des ehemaligen Deutschen Amtes für Meßwesen und Warenprüfung (DAMW) wurde die
Gesamtqualität eines Erzeugnisses nach Teilgüten (Zusammenfassung spezifischer
Gütemerkmale), wie Funktionsgüte, Technologiegüte, Gestaltgüte beurteilt. Um zu
sichern, dass auch die Gestaltung aus der Sicht des Arbeitsschutzes in diese Bewertung vollständig einbezogen wird und sich diese Gestaltungsmerkmale in das damalige Gütesystem einordnen lassen, wurde für die Gesundheits- und Arbeitsschutz137
Lutz Wienhold
güte der Kurzbegriff „Schutzgüte“ eingeführt. Die enge Verknüpfung mit der Qualitätsbewertung eines Erzeugnisses war von Anfang an maßgeblich. Das DAMW vergab nach Prüfung das Gütezeichen für Erzeugnisse.
Die erste spezielle Vorschrift zur Schutzgüte (ASAO 3) von 1961 blieb noch auf
Maschinen und Werkzeuge eingeschränkt. Bald wurde die Ausweitung dieses
Grundprinzips der Gestaltung sicherer Arbeitsbedingungen durch Hersteller bzw.
Entwickler auf Arbeitsprozesse ausgedehnt. Neben Maschinen und Geräten war so
eine Erweiterung auf technologische Prozesse erfolgt. Das ging weit über die klassischen Forderungen nach einem Maschinenschutzgesetz hinaus. Der Diskussionsstand in der DDR ging zu einer ganzheitlichen Gestaltung der Arbeitssysteme. Konsequenz war damit, vorgreifenden Gefahrenschutz nicht auf Maschinen und Geräte
einzuschränken, sondern weiter zu sehen. Basisvorschrift wurde das Arbeitsgesetzbuch (AGB) von 1977, wonach gemäß § 205 Abs. 1 Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren
und Arbeitsstätten so zu gestalten sind, dass Arbeitssicherheit gewährleistet ist. § 1
Abs. 1 der 3. DB zur ASVO bestimmt, dass Schutzgüte nur vorliegt, wenn die technischen Forderungen der Rechtsvorschriften und betrieblichen Regelungen so erfüllt
sind, dass der Einsatz von Körperschutzmitteln und der Einsatz spezieller Verhaltensregeln zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit nicht erforderlich ist. Eine solche
hohe Forderung an die technische Gestaltung war erstmalig zu finden – für die Praxis allerdings so nicht realistisch.
Legende 9:
Das Qualitätsmerkmal „Schutzgüte“ wurde auf der Grundlage konkreter Bewertungskriterien erteilt.
Die Wahrheit:
Ab 1977 waren die Bewertungskriterien sehr interpretierbar, sodass eine sehr subjektive Einschätzung zur Schutzgüte abgegeben wurde.
In Verbindung mit diesen Entwicklungen wurde die Arbeitsorganisation (oder
allgemein die Organisation) als Gestaltungsansatz in die Rangfolge integriert
(vgl. Abb. 7.9).
138
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Abb. 7.9
Maßnahmen zur Gewährleistung sicherer und erschwernisfreier Arbeitsbedingungen und ihre Rangfolge – Modell (1980)
Schutzgüte sollte der Teil der Qualität der Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten sein, der sich auf ihre sichere und erschwernisfreie Gestaltung bezieht,
die in Erfüllung der in Rechtsvorschriften und betrieblichen Regelungen festgelegten
technischen und technologischen Forderungen ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen
oder durch sicherheitstechnische Mittel mit möglichst umfassender und zwangsläufiger Wirkung erreicht wird (vgl. Abb. 7.10).
Wichtig war die ergänzende Forderung: Darüber hinaus müssen die aufgrund der
technischen und technologischen Forderungen am konkreten Arbeitsmittel, im Arbeitsverfahren, in der Arbeitsstätte gefundenen Lösungen für die sichere und erschwernisfreie Gestaltung „entscheidend“ sein, d.h. das „Hauptmerkmal“ der Sicherheitslösung bilden. Was „entscheidend“ ist oder das „Hauptmerkmal der Lösung“,
das war sehr interpretierbar. Da rechtlicher Druck bestand, den Anteil der Lösungen
mit Schutzgüte ständig zu erhöhen und außerdem der Stand von Wissenschaft und
Technik unter den Bedingungen begrenzter Ressourcen in der DDR sehr schwierig
bis kaum zu realisieren war, gingen die in den Betrieben zu bildenden Schutzgütekommissionen sehr großzügig mit dieser Anforderung um. Schutzgüte sollte mehr
sein, als lediglich erreichte Arbeitssicherheit, nämlich ein besonderes Qualitätsmerkmal der Technik. Die praktische Realisierbarkeit führte zu einer gewissen Ignoranz dieser anspruchsvollen Absicht des Gesetzgebers.
139
Lutz Wienhold
GefahrenGefahrenquelle
quelle
vermeiden
vermeiden
SSicherheitsicherheits-
technische
technische
Maßnahmen
Maßnahmen
OrganisaOrganisatorische
torische
Maßnahmen
Maßnahmen
Persönliche
Persönliche
SchutzausSchutzausrüstungen
rüstungen
VerhaltensVerhaltensbezogene
bezogene
Maßnahmen
Maßnahmen
Maßnahmen zur Gewährleistung Arbeitssicherheit
Schutzgüte
Abb. 7.10
Qualitätsmerkmal Schutzgüte in der Rangfolge der Schutzmaßnahmen
Schutzgüte sollte in „allen Phasen des Reproduktionsprozesses“ gewährleistet werden. Im § 1 Abs. 2 der 3. DB zur ASVO werden diese Phasen näher bestimmt, angefangen von der Forschung und Entwicklung, über die Herstellung, Inbetriebnahme,
Rekonstruktion bzw. Grundinstandsetzung bis hin zur Anwendung einschl. der Instandhaltung. Die Gewährleistung der Schutzgüte bezieht sich auf
neue Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten,
die Rekonstruktion oder Grundinstandsetzung von bereits in Betrieb
befindlichen Arbeitsmitteln und Arbeitsstätten und
auf die grundsätzliche Veränderung von Arbeitsverfahren.
Der bei Arbeitsmitteln richtige Grundgedanke fand in der Übertragung auf Arbeitsverfahren in der Praxis nur bedingt Akzeptanz und widersprach den praktischen Abläufen. Der Arbeitsablauf und die Ausnutzung der Produktionskapazitäten sollten unter
Beachtung des Arbeitsschutzes erfolgen. Richtig aber war der Ansatz, Arbeitsverfahren im Sinne der Organisation der Arbeit zu sehen. Es hatte sich erwiesen, wie wichtig eine Beachtung von Anforderungen an Arbeitsabläufe, Arbeitsorganisation usw.
für sichere Bedingungen war. Insoweit war die Betonung von Arbeitsverfahren für
den Arbeitsschutz ein großer Fortschritt. Im Zusammenwirken mit Arbeitsmitteln, Arbeitsgegenständen und Arbeitskräften standen Arbeitsverfahren als organisatorische
Komponente des Zusammenwirkens. Ein Grundmodell hierzu entwickelte Uhlig 1978
(vgl. Abb. 7.11). Es stand in Verbindung mit dem Modell der Rangfolge der Maß140
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
nahmen zur Gestaltung sicherer und gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen.
Hierzu aber Dokumentationen zu führen war eher kontraproduktiv bezüglich der Anwenderfreundlichkeit und als Forderung an Hersteller.
Ein verbindlicher Standard, die TGL 30102 „Arbeitsverfahren; Allgemeine sicherheitstechnische Forderungen“ von 1978 sollte Orientierung und Hilfe durch die enthaltenen Generalklauseln bieten. Grundforderungen und allgemeine Schutzziele wurden
rechts-verbindlich, insbesondere z.B. Forderungen zur
Sicherheit des Verfahrensvollzuges
Reihenfolge des technologischen Ablaufs
mengenmäßigen Begrenzung frei werdender Stoffe und Energien
zum Einsatz geeigneter Arbeitsmittel und entsprechenden Einsatzbedingungen
Abb. 7.11
Stellung von „Arbeitsverfahren“ im Arbeitssystem
Zu den Grundforderungen gehörten auch Anforderungen an die Beschaffenheit der
Arbeitsgegenstände, also der Rohlinge, Halbfertigerzeugnisse und Fertigerzeugnisse. Deshalb erhebt der Standard TGL 30102 Forderungen an die Form der stofflichen Beschaffenheit, den Energiezustand und die Lage der Arbeitsgegenstände
sowie nach Verwendung von Behältern, Verpackungen und kollektiv wirkenden
Schutzmitteln. Die hier knapp benannten verbindlichen Anforderungen an Arbeitsverfahren sind in dieser Konsequenz bis heute im bundesdeutschen Vorschriftenwerk
nicht speziell enthalten.
141
Lutz Wienhold
In dieser systemischen Betrachtung spielten insbesondere Arbeitsfolgen eine Rolle,
und zwar die Arbeitsprozesse in ihrer räumlichen, zeitlichen und methodischen Folge
zwischen Ausgangs- und Endpunkten. Arbeitsfolgeuntersuchungen wurden hierfür
genutzt (vgl. Abb. 7.12).
Abb. 7.12
Symbole, die für Arbeitsfolgeuntersuchungen genutzt wurden
Dies war insbesondere für die Analyse und Gestaltung von Prozessen wie innerbetrieblicher Transport, Umschlag und Lagerung sowie auch für Prozesse der Instandhaltung nützlich. Beides waren in der DDR Schwerpunkte im Arbeitsschutz.
Trotz aller Probleme der Umsetzung sind die verbindlichen Anforderungen der TGL
30102 ein wesentlicher Fortschritt im Arbeitsschutz gewesen.
Mit dem AGB von 1977 wurden Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten
immer im Zusammenhang benannt. Arbeitsstätten sind auch bereits im GBA von
1961 im Sinne eines vorausschauenden Gefahrenschutzes thematisiert. Jetzt entstanden in den 1970er Jahren konkretisierende Vorschriften, insbesondere die TGL
30103 „Arbeitsstätten; Allgemeine sicherheitstechnische Forderungen“. Bauwerke,
aber auch Arbeitsplätze, Verkehrswege usw. wurden in die erforderlichen Aktivitäten
der „Hersteller“ einbezogen. Bauherren, Ingenieurdienstleister zur Ausgestaltung von
Arbeitsstätten und auch von Arbeitsplätzen mussten nachweisen und dokumentieren,
dass alle Vorschriften des Arbeitsschutzes in der Konzeptphase erfüllt wurden und
welche Gefährdungen noch zu beachten sind – eine wichtige Voraussetzung für den
betrieblichen Nutzer. Diese Erweiterung des vorgreifenden Gefahrenschutzes auf
Arbeitsstätten (einschl. der entsprechenden Dienstleistungen) war ein bedeutsamer
Schritt in der Prävention. Dieser Grundgedanke, Dienstleister (z.B. für Investitionen,
aber auch für Arbeitsplatzneugestaltungen der unterschiedlichsten Art) in die Nachweispflicht zu nehmen, dass Arbeitssicherheit gewährleistet ist - das ist bis heute in
der Bundesrepublik nicht geregelt.
142
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Anforderungen an Dokumentation zur Schutzgüte entwickelten sich permanent
weiter. In Verantwortung des Staatssekretariats für Arbeit und Löhne entstanden Erläuterungen zur Nachweisführung sowie Erläuterungen zu den in den Betrieben zu
erstellenden „Schutzgüteordnungen“. In Schutzgüteordnungen waren Inhalt und Organisation der Schutzgütearbeit im Betrieb festzulegen. Eingeführt wurde die notwendige Dokumentation zunächst als „Schutzgüte-Nachweis“, später als „Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutztechnischer Nachweis“ (GAB-Nachweis). Diese
Nachweisführung war Grundlage der Zertifizierung von Qualität. Diese Zertifizierung
war nach anfänglicher Verantwortung hierfür bei der Staatlichen Qualitätsprüfung
über das Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung (ASMW – Nachfolger des DAMW) praktiziert, dann aber zunächst bis zu Beginn der 1980er Jahre in
eine Selbstbewertung der Qualität durch die Hersteller übergegangen. Gegen Ende
der 1980er Jahre wurde eine Verknüpfung mit der staatlichen Zertifizierung durch
das ASMW erneut angestrebt. Es war nachzuweisen, ob das Qualitätsmerkmal
Schutzgüte erreicht war oder lediglich allgemein Arbeitssicherheit. Diesem Anliegen
entsprach auch die gängige Formulierung, dass Schutzgüte das „Q“ der Arbeitssicherheit im Sinne des Gütezeichens für höchste Qualität sei.
Der mit den inhaltlichen Forderungen zur Schutzgüte für Arbeitsmittel und Arbeitsstätten, aber gerade auch für Arbeitsverfahren verbundene hohe Qualitätsanspruch
an die Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit kollidierte mit dem hohen
Nachweisaufwand. Der grundsätzliche Weg, mit Schutzgüte den vorgreifenden Gefahrenschutz durchzusetzen, erstickte insbesondere seit den 1970er Jahren in einem
gewissen Formalismus.
Die Arbeitsschutzpolitik hat seit den 1970er Jahren einen ganzheitlicheren Ansatz für
die verschiedenen Möglichkeiten zur Gewährleistung des Arbeitsschutzes verfolgt
(Forschung, Produktgestaltung, Technikgestaltung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsgestaltung, Bildung, Motivation) und war aus einer punktuellen Lösung von Fragestellungen herausgetreten. Vor dem Hintergrund der wachsenden wirtschaftlichen
Schwierigkeiten der DDR und den immer knapperen Investitionsmitteln wurde die
sog. Wissenschaftliche Arbeitsorganisation (WAO) in den späten 1970er und dann
auch in den 1980er Jahren zum wesentlichen Instrument für die Erfüllung der Hauptaufgabe zur Realisierung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik erklärt. Vorrang bei der Aufnahme in die betrieblichen Pläne hatten nun solche Maßnahmen der
WAO, die kurzfristig einen hohen wirtschaftlichen Nutzen und außerdem Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen versprachen. Doch die in die WAO gesetzten
Erwartungen waren - trotz ihres auch im Westen anerkannten hohen theoretischen
Niveaus - überzogen. Der immer höher werdende bürokratische Aufwand für die
Betriebe stand in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen.
143
Lutz Wienhold
Die Kennziffer „Um- und Neugestaltung von Arbeitsplätzen unter Anwendung der
WAO“ war von den Betrieben zu planen und abzurechnen. Die hierfür geltende Definition, was dem Kriterium Neu- und Umgestaltung entsprach, war so ungenau, dass
diese Angaben sehr „großzügig“ in den Betrieben gehandhabt wurden und keine reale Aussagekraft über den Fortschritt bieten. Die real erreichten, eher punktuellen
Fortschritte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier bei Insellösungen
blieb und sich die Arbeitsbedingungen auch bei Verbesserungen der Arbeitsinhaltsgestaltung verschlechterten (vgl. Abb. 7.13).
Legende 10:
Die WAO hat wesentlich zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der DDR
beigetragen.
Die Wahrheit:
Die Erfolge bezogen auf den Arbeitsschutz waren sehr begrenzt. Die potenziellen
Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden nur eingeschränkt genutzt.
Es war in der DDR üblich, lediglich die Entwicklungen zum Abbau von Arbeitserschwernissen zu publizieren, der Zugang blieb vertraulich. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben zum Abbau von Arbeitserschwernissen dabei
eher geschönt wurden, weil eine Überprüfung kaum möglich war. Deutlich wird, dass
der jährliche Zugang von Arbeitserschwernissen den Abbau sehr wesentlich zunichte
machte. Die Wirksamkeit der WAO in der betrieblichen Praxis des Arbeitsschutzes
blieb insofern begrenzt.
Abbau von
Arbeitserschwernissen
Abb. 7.13
144
Zugang von
Arbeitserschwernissen
65.815
1988
50.617
67.415
1987
48.347
77.772
1986
66.892
79.608
1985
52.129
Entwicklung von Arbeitserschwernissen in der DDR gemäß Berichterstattung der Betriebe zur Wissenschaftlichen Arbeitsorganisation
(WAO)
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Der Abbau von Arbeitserschwernissen durch die WAO ging real zurück, der Zugang
verharrte auf relativ hohem Stand.
7.6
Arbeitsschutz und Führungstätigkeit
Management war als Begriff in der DDR verpönt. Das war eine Kategorie des Klassenfeindes. Es gab „Leitung und Planung“! Dies war unter sozialistischem Konzept
schwierig zu praktizieren, aber es gab trotzdem tragfähige Vorgehensweisen. Besonders hervorzuheben ist der Versuch, Arbeitsschutz in die Führung generell zu
integrieren. Ein Herzstück der Führung war die Planung. Der Sozialismus zeichnete
sich durch seine konsequente Planungstätigkeit aus – aber sehr zentralistisch und
mit Problemen behaftet.
Mit dem AGB von 1977 bestand eine prinzipielle Orientierung auf die Einordnung des
Arbeitsschutzes in die betriebliche Organisation. Abs. 1 § 201 des AGB forderte: „Der
Betriebsleiter und die leitenden Mitarbeiter sind verpflichtet, die Erfordernisse des
Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes als Bestandteil der Leitung
und Planung des Reproduktionsprozesses zu verwirklichen.“ Bekannt wurden sehr
viele all-gemeine Orientierungen zur Einordnung des Arbeitsschutzes in die Führung,
die in den Betrieben nicht wirklich Hilfe boten. Pate stand die sog. Leitung und Planung sozialer Prozesse von 1976, wie sie in der Sowjetunion propagiert wurde. Vom
Ansatz her waren eher theoretisch gehaltene Konzepte aus sowjetischen Betrieben
für die DDR nicht praktikabel und übertragbar. Aber sie sollten Modellcharakter haben.
Die betriebliche Arbeitsschutzorganisation war eingeordnet in überbetriebliche Vorgaben und gewerkschaftliche Einflussnahme (vgl. Abb. 7.14). Entscheidend ist die
komplexe Einordnung des Arbeitsschutzes in betriebliche Strukturen und Prozesse.
Dies war in den Betrieben der DDR nur rudimentär und in den strukturellen Grenzen
der Dominanz der Produktivität und des Produktionsausstoßes gegeben. So beklagt
der Jurist Rudi Sander 1974 nach sehr umfassenden Untersuchungen die unzureichende Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der Leitungskräfte: „Aufgaben im
Arbeitsschutz werden nicht exakt genug entsprechend den betrieblichen Gegebenheiten bestimmt. Die Kenntnis der Verantwortung ist aber erste Voraussetzung für
ihre Wahrnehmung.“
145
Lutz Wienhold
Überbetriebliche
Beratungseinrichtungen
zum Arbeitsschutz
Beratungseinrichtungen
d. Min. f. Gesundheitswesens
zur Arbeitsmedizin
Wiss.-Techn. AS-Zentren in
versch. Industrieministerien
Schutzgüteleitstellen
Betriebsärzte (niedergel.)
Betriebspolikliniken, -ambulanzen
Arbeitshygien. Zentren und
Beratungsstellen für Branchen
Innerbetriebliche Organe des Arbeitsschutzes
Sicherheitsinspektor
Schutzgütekommission
Revisionsberechtigte für
überwachungspflichtige Anlagen
Gesundheitshelfer
Gewerkschaftliche Organe im Betrieb
Arbeitsschutzobmann
Abb. 7.14
Arbeitsschutzkomm.
Ehrenamtl. AS-Inspektor
Organe im betrieblichen Arbeitsschutz der DDR
Bezogen auf die Einordnung in Führungsstrukturen und -tätigkeiten sind zwei Entwicklungsrichtungen im Arbeitsschutz erkennbar: Einerseits entwickelte sich eine
Grundorientierung auf Integration des Arbeitsschutzes in betriebliche Führungsarbeit,
in betriebliche Führungs- und Entscheidungsprozesse und andererseits entstanden
in dieser Zeit vielfältige Instrumentarien und Hilfen auf diesem Gebiet. Harry Bastek,
seit den 1960er Jahren bis 1989 der zuständige Abteilungsleiter Arbeitsschutz im
Staatssekretariat für Arbeit und Löhne, drängte insbesondere auf diese Linie der
Einordnung des Arbeitsschutzes in die betriebliche Führungsarbeit (BArch, DQ 3/34,
1977). Gestützt wurde dies durch die sich in dieser Zeit entwickelnde Auswertung
sowjetischer Erfahrungen. Letztlich wurden solche Anforderungen an den Betrieb
dann verbindlich mit der ASVO von 1977. Praktische Relevanz hatte diese rechtliche
Forderung dann insbesondere in den 1980er Jahren. In den 1970er Jahren war keine
spürbare Integration des Arbeitsschutzes in die betriebliche Führung erkennbar.
Nunmehr entstand in den 1980er Jahren eine Art Grundmodell der Einbeziehung des
Arbeitsschutzes in die betriebliche Führung (vgl. Abb. 7.15).
146
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Abb. 7.15
Elemente der Einbeziehung des Arbeitsschutzes in die Führungstätigkeit im Betrieb
Unterschieden wurde einerseits die vorausschauende Führung mit strategischen
Elementen, um insbesondere das präventive Anliegen des Arbeitsschutzes zu befördern. Es ging um die Weiterentwicklung des Niveaus der Arbeitssicherheit. Andererseits wurde auf die operative Führung orientiert, um ständig integriert in die kontinuierliche Führungstätigkeit Arbeitsschutz zu beachten. Hierbei sollte es um die tägliche Gewährleistung der Arbeitssicherheit gehen. Vom Ansatz war es ein integrativer
Gedanke, den Arbeitsschutz nicht isoliert in der betrieblichen Wirklichkeit umzusetzen, sondern mit den verschiedenen betrieblichen Aufgaben verknüpft und insbesondere auch durch Einbezug auf allen Führungsebenen – integriert in die Aufbauund Ablauforganisation. Die Wirksamkeit war punktuell vorhanden, scheiterte aber
insbesondere an der politischen und wirtschaftlichen Situation in den Betrieben.
147
Lutz Wienhold
Legende 11:
Die systematische Einordnung des Arbeitsschutzes in die Leitungstätigkeit brachte
Fortschritte.
Die Wahrheit:
Die Hemmnisse der betrieblichen Leistungsbewertung, die auf Planerfüllung von
Produktion und Gewinn fokussiert war, hemmte eine systematische fortschrittsorientierte Leitung des Arbeitsschutzes.
Fakt ist: Die Breitenanwendung scheiterte, da eine systematische Arbeitsweise auf
diesem Gebiet nicht möglich war. Der Handlungsspielraum des sozialistischen Leiters war durch über- und außerbetriebliche Einflüsse stark eingeschränkt und formalisiert. Parteibeschlüsse, Regierungsdirektiven, vorgegebene Weisungen und
Grundsatzentscheidungen übergeordneter Organe, aber auch Forderungen der Betriebsparteiorganisation, Betriebsgewerkschaftsleitung, sogar der Freien Deutschen
Jugend (FDJ) sowie rechtliche und andere Normen mussten im täglichen Führungsverhalten berücksichtigt werden. Seine Grenzen fand der verbliebene Entscheidungsspielraum in jedem Falle aber dort, wo die Parteiführung befürchten musste, zu
viel Macht aus der Hand zu geben. Damit wurde zum Kernproblem, wie man sozialistische Leiter auf allen Instanzen bei geringer Motivation und beschränkter Entscheidungsfreiheit dahin bringen konnte, hochqualifizierte Leistungen zu erringen. Dafür
hatte der Arbeitsschutz in der betrieblichen Führung aber nicht den gebührenden
Stellenwert, jedenfalls nicht der vorausschauend gestaltende Arbeitsschutz, allenfalls
noch die operative Aufmerksamkeit, dass nichts passiert.
Eine Reihe von Untersuchungen verdeutlicht, dass eine Führungskraft (im Sprachgebrauch der DDR ein Leiter) in der DDR-Wirtschaft zunächst daran gemessen wurde, wie sie den Plan erfüllte. Jeder Leiter in der sozialistischen Industrie war verbindlich an diesen Plan, der Direktivcharakter trug, gebunden. Grundsätzlich war eine
Nichterfüllung des Planes, der durch Beschluss der Volkskammer zum Gesetz erhoben worden war, formell ein Gesetzesverstoß und gab damit Gelegenheit, die Verantwortlichen für die Folgen haftbar zu machen. Ein Abweichen von den zentralen
Vorgaben musste zwangsläufig zu Gleichgewichtsstörungen im DDR-Wirtschaftssystem führen. Bei der Planverwirklichung mussten die Leiter in jedem Fall versuchen, durch „unternehmerische“ Aktivitäten für Planerfüllung zu sorgen, auch dann,
wenn es ihnen gelungen war, dank eigener Geschicklichkeit und Manipulation durch
„weiche“ Planauflagen die Planvorgaben zu reduzieren. In diesem Gefüge war für
den Arbeitsschutz in der betrieblichen Organisation und insbesondere für eine strategische vorausschauende Verbesserung der Arbeitsbedingungen kaum Platz.
148
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Eine spezielle Hauptlinie war die instrumentelle Seite der Einordnung des Arbeitsschutzes in Führung und Planung, einerseits durch die Pflicht zur Einordnung in die
betrieblichen Plandokumente mit entsprechenden Anforderungen an Plankennziffern
und andererseits durch staatliche Berichterstattung der Betriebe zu ihren bestehenden Gefährdungen an den Arbeitsplätzen.
Bereits in den 1960er Jahren waren solche Instrumente entstanden, initiiert durch
den Druck auf verstärkte Planung der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Solche
Planungsanforderungen wurden in den 1970er und 1980er Jahren ständig weiterentwickelt. Von Jahr zu Jahr wurden die Anforderungen an die Plandokumente hinsichtlich der Fixierung von Zielstellungen zum Arbeitsschutz weiter ausgestaltet.
Die Erläuterungen zur Planung der Arbeitsbedingungen gaben Hilfen. Es wurde auf
folgende Kerninhalte zur Planung der materiellen Arbeitsbedingungen orientiert:
Einsparung von Arbeitsplätzen mit Gesundheitsgefährdungen
Beseitigung von Arbeitserschwernissen, Erleichterung körperlich schwerer und
monotoner Arbeit
Gewährleistung der Schutzgüte bei Arbeitsmitteln, Arbeitsverfahren und speziellen
Arbeitsstätten
Beseitigung oder Minderung der Wirkung arbeitsbedingter Unfallfaktoren
Ausprägung eines arbeits- und brandschutzgerechten Verhaltens
Beseitigung der Überschreitung arbeitshygienischer Normen
Verbesserung der Ästhetik der Arbeitsumwelt, einschließlich der Pausen- und
Sozialbereiche
optimale Gestaltung der Produktions- und Arbeitsorganisation, einschließlich der
Arbeitszeit- und Pausenregelungen
Senkung des Krankenstandes
Umgestaltung von Arbeitsplätzen für spezifische Beschäftigtengruppen wie für
Frauen, insbesondere für Mütter mit Kleinkindern, für Jugendliche bis zum
vollendeten 16. Lebensjahr, für Rehabilitanden, für den Wiedereinsatz
gewonnener Arbeitskräfte
Es sollte weitergehend durch die Betriebe auch die gesundheitliche und soziale
Betreuung geplant werden. Hierzu gehörten:
Durchsetzung der Hygienevorschriften
Vervollkommnung der sanitären Einrichtungen
Erweiterung der betrieblichen Gesundheitseinrichtungen
Verbesserung des Betriebsgesundheitsschutzes (Prophylaxe)
149
Lutz Wienhold
Solche vorgegebenen Strukturierungen wurden erläutert durch Beispiele zu konkreten Einzelmaßnahmen. Wesentlich war eine Orientierung auf weitgehende Integration des Arbeitsschutzes in die verschiedenen betrieblichen Planteile. Das Anliegen
bestand darin, eine isolierte Zielstellung zu den Arbeitsbedingungen zu vermeiden,
zumindest zu ergänzen. Gerade bei der Planung der Forschung und Entwicklung,
der technischen und organisatorischen Maßnahmen einschl. der WAO sowie der
Planung der Grundfondsentwicklung sollte der Arbeitsschutz integriert sein. Eine losgelöste konzeptionelle Arbeit zum Arbeitsschutz hatte noch weniger Chancen, als
dies ohnehin schon gegeben war.
Legende 12:
Die Planung des Arbeitsschutzes führte zur zielgerichteten Verbesserung der Arbeitssicherheit.
Die Wahrheit:
Die grundlegende Orientierung auf Erarbeitung betrieblicher Ziele und daraus abgeleitetem Handeln war ein Fortschritt. Die zentralistisch orientierte und rechtlich
verbindliche große Palette von zu erarbeitenden Plankennziffern führte aber zu
Bürokratie und hemmender Eigeninitiative für Zielsetzungen entsprechend der betrieblichen Bedingungen. Die vielen Plankennziffern dienten der Befriedigung zentraler Informationsbedürfnisse, aber nicht flexiblen betrieblichen Erfordernissen.
Es waren im Rahmen der betrieblichen Planung Ziele festzulegen und entsprechende Maßnahmen zu konzipieren. Das hat die Entwicklung von gefährdungsbezogenen
Kennzahlen befördert. Zunächst wurde die Einführung von drei Niveaustufen empfohlen: Gefährdungsfreie Arbeitsplätze, beschränkt gefährdende Arbeitsplätze sowie
gefährdende Arbeitsplätze (SAPMO-BArch, DY 34/24927, 1965). Prävention wurde
somit an der Verringerung der Gefährdungen in den Betrieben festgemacht. 1969
wurde erstmalig eine Berichterstattung der Betriebe über die arbeitshygienischen
Bedingungen nach ausgewählten Schwerpunkten gesundheitlicher Gefährdungen
organisiert. Diese veränderte Betrachtung des Arbeitsschutzes, Anstrengungen nicht
nur am Umfang der Unfälle und arbeitsbedingten Erkrankungen zu messen, sondern
auch am Zustand der Arbeitsbedingungen, ausgedrückt am Umfang der Beschäftigten oder der Arbeitsplätze, die unter solche krankmachenden Bedingungen wie
Lärm, Schwingungen, Schadstoffen usw. tätig sind, stellte ein Meilenstein in der
Entwicklung des Arbeitsschutzes dar. Die Ansätze, die hierzu in den 1960er Jahren
entwickelt wurden, fanden in den 1970er und auch weiter in den 1980er Jahren eine
differenzierte Weiterentwicklung. Unterschieden wurden Kennzahlen der Arbeitshygiene einerseits und Kennzahlen des Niveaus der Unfallsicherheit andererseits. Sol150
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
che Kennziffern waren prinzipiell geeignet, Planungsziele zu begründen und tatsächlich auch Zielsetzungen im Arbeitsschutz zu erarbeiten. Ziele konnten durch eine
entsprechende analytische Basis abgeleitet werden.
Einen Auszug aus der staatlichen Berichterstattung zu den Kennzahlen der arbeitshygienischen Bedingungen enthält die Abb. 7.16.
Abb. 7.16
Betriebliche Berichterstattung zu Exponierten gegenüber arbeitshygienischen Bedingungen
Es entstanden Vorgehensweisen, die ermittelten Gefährdungen nach Risiken zu differenzieren – obwohl der Begriff „Risiko“ politisch betrachtet wurde und nicht verwendet werden durfte. Nach der Arbeitsschutzdoktrin der DDR waren gesundheitliche Risiken prinzipiell nicht akzeptabel und insofern nicht differenziert zu betrachten. Es galt das Gebot einer Risikofreiheit. Also fanden die wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR Umschreibungen. Seit den 1970er Jahren fanden sog. Niveaukennzahlen Eingang in die Betrachtungen. Den seinerzeit üblichen allgemeinen Skalierungsmaßstab nach fünf Stufen enthält Tabelle 7.1. Eine „1“ bedeutete immer den
151
Lutz Wienhold
optimalen, die „0“ den durch obligate Gesundheitsrisiken gekennzeichneten schlechtesten Zustand. Diese Skalierung wurde spezifiziert auf die verschiedenen Gefährdungsfaktoren (wie Lärm, körperliche Schwerarbeit usw.) angewandt. Seit 1976 wurden die arbeitshygienischen Bedingungen in den Betrieben durch die Arbeitshygieneinspektionen aufgearbeitet und ausgewertet und mit Niveaukennzahlen bewertet.
1981 wurde nach Auswertung der vorliegenden Erfahrungen eine verbindliche Berichterstattung der Betriebe mit Dokumentationsbelegen eingeführt.
Tab. 7.1
Allgemeiner Skalierungsmaßstab zur Bewertung von Gesundheitsgefährdungen in der DDR
Gesundheitsgefährdung
Wahrscheinliche Folgen
Kennzahl
Keine
Keine Gesundheitsschäden
1
Gering oder nicht sicher
ausgeschlossen
Keine bleibenden Gesundheitsschäden
0,8
Mittel
Leichter, bleibender Gesundheitsschaden
0,5
Groß
Schwerer, bleibender Gesundheitsschaden
0,2
Sehr groß
Invalidität oder tödlicher Ausgang
0
Zustandskennzahlen (vgl. Abb. 7.17), welche die Gefährdungssituation widerspiegelten, stellten ein potenzielles Steuerungsinstrument im Arbeitsschutz dar, dienten der
Formulierung von Zielen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene. Die Entwicklung solcher Instrumente erfolgte vor dem Hintergrund des politischen Anspruchs,
Arbeitsschutz in die betriebliche Planung einzubeziehen.
Ergebniskennzahlen im Arbeitsschutz
Messen von Wirkungen
von Gefährdungen
Messen von Zuständen
(vorhandene Gefährdungen)
Unfallentwicklung
Gesundheits- bzw. Krankheitsquoten
Anzahl Arbeitsplätze bzw.
Beschäftigte mit Gefährdungen
Anzahl Arbeitsplätze bzw.
Beschäftigte nach Handlungsbedarf
...
Wirkungskennzahlen:
vergangenheitsorientiert
Abb. 7.17
152
Zustandskennzahlen:
gegenwarts-,
zukunftsorientiert
Unterscheidung von Ergebnis- und Zustandskennzahlen
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Diese Entwicklung war begünstigt worden, weil vom Zentralkomitee der SED auf
Auswertung von Erfahrungen der Sowjetunion zur Sozialplanung orientiert wurde.
Die Nutzung von Zustandskennzahlen setzte eine differenzierte Gefährdungsanalyse
voraus. In gewissem Umfang war dies der Vorläufer für die heute in der Bundesrepublik nach dem ArbSchG geforderte und praktizierte Beurteilung der Arbeitsbedingungen.
Zentrale Planung reglementierte u. a., wie eine betriebliche Zielsetzung zum Arbeitsschutz vorzubereiten war. Zugleich war die Bilanzierung sicherheitstechnischer Mittel
und persönlicher Schutzausrüstungen sichtbares Zeichen für zentralisierte Entscheidungen nach dem Sozialismuskonzept. Bereits das Gesetz der Arbeit von 1950 sah
die Schaffung von Normen für Arbeitsschutzkleidung vor, die eine Planungsgrundlage darstellten (BArch, DQ 1/1366, 1950). Die zentralistische Verteilung von Arbeitsschutzmitteln verursachte Mängel in der Versorgung (BArch, DQ 2/3635, 1950) und
eine Bürokratisierung. Beispielsweise lehnte der Sachverwalter der betrieblichen Umlaufmittel des Stahl- und Walzwerkes Hennigsdorf die Reparatur von zwei Treppenstufen mit der Begründung ab, diese Reparatur sei Werte erneuernd und hierfür
müssten Investitionsmittel beantragt werden. Der Leiter der Investitionsabteilung
lehnte die Investition ab, da sie aus betrieblichen Umlaufmitteln zu nehmen sei. So
wurde diese Aufgabe monate-lang hin und her geschoben (SAPMO-BArch, DY
34/19/74/2607). Solche bürokratischen Praktiken waren für volkseigene Betriebe
nicht untypisch.
7.7
Trotz allem: Ständig sinkende Unfallzahlen
Fortschritte im Arbeitsschutz entstanden in den 1980er Jahren durch das Engagement aufgeschlossener Führungskräfte, durch unduldsame und aktive Sicherheitsfachkräfte sowie durch besonderes sicherheitsgerechtes Verhalten der Beschäftigten, aber nicht mehr durch arbeitsschutzgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die sekundäre Prävention wurde auch über den medizinischen Arbeitsschutz
mit ihrer Untersuchungsmedizin ausgebaut, um die durch fehlgesteuerte Wirtschaftsund Investitionspolitik zunehmend vernachlässigte primäre Prävention und die damit
einhergehenden Einflüsse auf die Gesundheit der Beschäftigten zu kompensieren.
Die äußerst positive Entwicklung der Arbeitsunfälle (vgl. Abb. 7.18) steht im Gegensatz zu den vielfältigen Einschätzungen, dass eine nachhaltige Prävention durch
Gestaltung der Arbeitsbedingungen in der DDR nicht möglich war. Es ist dabei in
Rechnung zu stellen, dass die Sensibilisierung der Führungskräfte und auch der Beschäftigten sehr hoch war, sich um Arbeitsschutz zu kümmern. Die vielfältigen Qualifizierungsaktivitäten hatten eine solche Sensibilisierung maßgeblich befördert. Der
153
Lutz Wienhold
Befähigungsnachweis zum Arbeitsschutz musste durch Führungskräfte kontinuierlich
wiederholt werden. Die monatlichen Arbeitsschutzbelehrungen wurden konsequent
und sehr regelmäßig durchgeführt. Dies war tatsächlich Praxis – auch wenn die inhaltliche Ausgestaltung der Belehrungen nicht immer den Anforderungen entsprach.
Kontinuität und permanente Thematisierungen und Schulungen waren ausschlaggebend.
Meldepflichtige
Arbeitsunfälle
je 1.000
Beschäftigte
60,0
56,6
49,5
50,0
48,6
45,2
40,8
40,0
33,0
29,0
30,0
24,1
22,0
20,0
1952
Abb. 7.18
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1989
Entwicklung der Unfallquote in der DDR
Die in der DDR 1989 erreichte sehr niedrige Unfallquote von 22,0 meldepflichtigen
Unfällen pro 1.000 Vollbeschäftigten war unter diesen Bedingungen sehr beachtlich.
In der Bundesrepublik beträgt die Unfallquote im Jahre 1990 54,4 pro 1.000 Vollarbeiter, damit etwa das Zweieinhalbfache der DDR, erreicht auch aktuell im letzten
Jahr noch nicht dieses Niveau der DDR. Obwohl aus vielen anderen Themengebieten der DDR Fälschungen der Statistik bekannt sind, kann dies bislang für die Unfallzahlen nicht nachgewiesen werden. Verschiedene spezielle Untersuchungen zur Unfallstatistik der DDR kommen alle zu dem Ergebnis: Diese Statistiken scheinen nicht
manipuliert.
Ein Teil des Gehalts der Führungskräfte und von Sicherheitsinspektoren in den Betrieben wurde in einer Reihe von Betrieben an die Senkung des Unfallgeschehens
154
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
gebunden. Die Verbesserung des Arbeitsschutzes wurde Kriterium für die Gewährung von Jahresendprämien. Dies orientierte auf schnelle Wirksamkeit von Anstrengungen – und das ging letztlich nur durch Einflussnahme auf das Verhalten der Beschäftigten.
Für rund jeden vierten Beschäftigten waren die Grenzwerte arbeitshygienischer
Normen überschritten, bestand damit nachweisbar die Möglichkeit eines Gesundheitsschadens. Bezogen nur auf das Produktionspersonal waren dies sogar mehr als
ein Drittel. Jeder 5. Arbeitsplatz musste als dringend umgestaltungsnotwendig eingestuft werden, weil Grenzwerte überschritten waren.
Es entstand eine zunehmende Kluft zwischen zentralen Leitideen des rechtlich gefassten und auch wissenschaftlich begründeten Arbeitsschutzes (Primat der sicheren
Technik) und der praktischen Umsetzung technischer Lösungen wegen fehlender
Mittel. Breit anzutreffen waren Erscheinungen völligen Veraltens sicherheitstechnischer Lösungen sowie einer Flut von Ausnahmegenehmigungen und Sonderregelungen zu Arbeitsschutzvorschriften.
Dem Grundanliegen einer Einordnung des Arbeitsschutzes in die betriebliche Führung diente die Qualifizierung der Führungskräfte. Es entstanden im September 1987
neu gefasste Grundsätze zum Erwerb und zur Wiederholung des Befähigungsnachweises des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes für leitende Mitarbeiter, aber auch für Projektanten und anderen Zuständigen in produktionsvorbereitenden Bereichen. Führungskräfte benötigten einen sog. Befähigungsnachweis
des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes (§ 213 AGB von 1977
sowie § 13 Abs. 2 ASVO von 1977). Neben Grundwissen zum Arbeitsschutz war insbesondere betriebs- und verantwortungsbereichsbezogenes Wissen zu erwerben, zu
aktualisieren und über regelmäßig zu wiederholende Prüfungen nachzuweisen. Anforderungen des Arbeitsschutzes sollten so bei Führungskräften präsent gehalten
werden. Als Richtwert für die entsprechenden Qualifizierungsveranstaltungen galten
33 Stunden, also deutlich viel.
In der Weiterbildung wurde aber nicht nur diese besondere Bedeutung der Führungskräfte für den Arbeitsschutz berücksichtigt. Gerade für die Prävention haben die
Mitarbeiter in den produktionsvorbereitenden Bereichen (wie Konstrukteure, Technologen, Mitarbeiter der Forschung und Entwicklung) eine besondere Verantwortung,
um technische Bedingungen und auch die Arbeitsorganisation sicher und gesundheitsgerecht zu gestalten. § 212 des AGB hat festgelegt, dass sich dieser Personenkreis über die für seine speziellen Aufgaben zutreffenden Bestimmungen und Erkenntnisse des Arbeitsschutzes zu informieren und diese bei der Arbeit zu berücksichtigen hat. Die zentrale Arbeitsgemeinschaft Arbeitsschutz bei der Kammer der
Technik bot gezielte Vortragsfolgen hierzu an und entwickelte ein entsprechendes
Rahmenlehrprogramm.
155
Lutz Wienhold
Hier ordnet sich auch das große Engagement der DDR für die Aus- und Weiterbildung im Arbeitsschutz ein. So entstanden hohe Kompetenz und Sensibilisierung für
den Arbeitsschutz. Zugleich wurde damit möglich, fehlende finanzielle Mittel für den
Arbeitsschutz zur Gestaltung der Bedingungen durch Improvisationen und geschultes reaktives Verhalten der Beschäftigten unter den Bedingungen von Gefährdungen
zum Teil aufzufangen. So wurden zur Kompetenzentwicklung folgende Grundlinien
verfolgt:
Vermittlung von Grundkenntnissen des Arbeitsschutzes bereits an Schüler im
„poly-technischen Unterricht“ in den allgemeinbildenden Schulen
Facharbeiter und Meister hatten in ihrer Ausbildung verbindlich Arbeitsschutzwissen zu erwerben
Einordnung des Arbeitsschutzes in die generelle Ingenieurausbildung an den
Hoch- und Fachschulen der DDR (verbindliches Prüfungsfach)
Spezielle Ausbildung von Dipl.-Ing. für Sicherheitstechnik
Weiterbildung zum Facharzt für Arbeitshygiene; postgraduales Studium von naturwissenschaftlichen und technischen Hochschulabsolventen sowie Diplompsychologen und Diplomsoziologen im Gesundheitswesen
Weiterentwicklung der Anforderungen und der Durchsetzung von Befähigungsnachweisen für alle Führungskräfte im Arbeitsschutz
Weiterbildung von Beschäftigten in produktionsvorbereitenden Bereichen
(Konstrukteure, Technologen usw.)
Für alle diese Grundlinien gab es verbindliche Regelungen. Die Aus- und Weiterbildung im Arbeitsschutz war ein tragendes Element der DDR.
Entstanden war ein hohes Grundwissen zu Anforderungen des Arbeitsschutzes, eine
Sensibilisierung gegenüber gesundheitlichen Gefährdungen bei der Arbeit in den
Betrieben – mit der Einschränkung einer sicher nicht hinreichenden Thematisierung
von Gefahrstoffen und psychischen Belastungen. Gerade die Führungskräfte verfügten über ein hohes Grundwissen im Arbeitsschutz. Beim Einsatz in Führungspositionen musste ein spezieller Befähigungsnachweis im Arbeitsschutz erworben und in
regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Die Arbeitsschutzexperten besaßen
eine solide Kompetenz. Der Arbeitsschutz war stringent in der akademischen Ausbildung und auch in der Berufs- und Meisterausbildung verankert. Für alle Ingenieurausbildungen war Arbeitsschutz ein Prüfungsfach. Es bestanden breit verfügbare
Beratungsstellen in den Wirtschaftsbereichen.
Mit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ging der Arbeitsschutz der DDR
unter. Es gab kein Platz für das Arbeitsschutzrecht der DDR, auch nicht für theoretische Ansatzpunkte. Manches ist schade, vieles richtig so. Geblieben ist eine in weiten Teilen anspruchsvolle Arbeitsschutztheorie (wenn heute auch allgemein totge156
Arbeitsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
schwiegen oder diskreditiert) einerseits sowie andererseits die Kompetenz, Lebensund Berufserfahrung der engagierten Sicherheitsinspektoren, Betriebsärzte und anderen Fachexperten, die sich noch heute für die Gesundheit der Menschen aktiv einsetzen.
Abb. 7.19
Dr. Lutz Wienhold (ehem. Systemkonzept) am 24. April 2012 beim
80. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium in Wuppertal.
157
Dirk Moritz
8
Das neue Produktsicherheitsgesetz
(DIRK MORITZ)
81. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Mai 2012
in Wuppertal
Dipl.-Ing. Dirk Moritz
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
Referat III b 5 „Geräte- und Produktsicherheit“, Bonn
8.1
Einleitung
Das neue Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) hat am 1. Dezember 2011 das alte
Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) abgelöst. Auslöser der Gesetzesnovelle war die notwendige Anpassung des GPSG an die neuesten Entwicklungen
auf europäischer Ebene.
Die mit der Gesetzesnovelle verbunden Neuerungen betreffen vor allem folgende
Aspekte:
Das „Bereitstellen von Produkten auf dem Markt“ wird als zentraler Begriff eingeführt, das „Inverkehrbringen“ erhält eine neue Bedeutung.
Der Begriff „Produkt“ wird neu definiert, Verbraucherprodukte bilden darin eine
besondere Gruppe, der Begriff „Technische Arbeitsmittel“ entfällt.
Ein eng an das europäische Recht angelehntes Konformitätsbewertungssystem
wird eingeführt.
Das GS-Zeichen wird durch neue Bestimmungen gestärkt und dabei deutlich
gegen die CE-Kennzeichnung abgegrenzt.
Die Marktüberwachungsbestimmungen werden an europäische Vorgaben
angepasst.
8.2
Anlass der Überarbeitung
Im Jahr 2008 hat der europäische Gesetzgeber drei Rechtsakte verabschiedet, die
zusammen den so genannten „neuen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Pro-
158
Das neue Produktsicherheitsgesetz
dukten“ bilden (New Legislative Framework - NLF). Zwei dieser Rechtsakte1 befassen sich mit dem harmonisierten Produktbereich und betrafen somit auch unmittelbar
das GPSG, da mit dem GPSG elf europäische Harmonisierungsrichtlinien in deutsches Recht umgesetzt wurden. Diese beiden Rechtsakte des NLF sind somit der
Auslöser der Novelle.
Was ist Inhalt dieser beiden europäischen Rechtsakte?
Die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 schafft für Produkte, die europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften unterfallen, einen einheitlichen Rechtsrahmen für Akkreditierung und Marktüberwachung. Elf dieser Harmonisierungsrechtsvorschriften wurden bisher mit dem GPSG in deutsches Recht umgesetzt. Für diese Produkte wirkt
die europäische Verordnung unmittelbar. Vor allem im Bereich der Marktüberwachung sind damit parallel zu beachtende Vorschriften entstanden. Um mögliche Widersprüche auszuschließen, war eine Anpassung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes geboten. Die Novelle des GPSG dient also besonders der Anpassung
der bestehenden Marktüberwachungsbestimmungen an die durch die Verordnung
(EG) Nr. 765/2008 formulierten Regelungen. Gleichzeitig werden Bestimmungen zur
Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 aufgenommen, soweit dies im Hinblick auf das föderale System der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist. Diese
Regelungen zur Marktüberwachung sind im Abschnitt 6 des neuen Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) zusammengefasst und gelten einheitlich für dessen gesamten Anwendungsbereich.
Der Beschluss Nr. 768/2008/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die
Vermarktung von Produkten beinhaltet grundlegende Bestimmungen und Musterartikel, die bei zukünftigen Überarbeitungen oder Neufassungen von Binnenmarktrichtlinien beachtet bzw. in diese übernommen werden sollen. Damit soll zu einer größeren Kohärenz der einzelnen Richtlinien beigetragen werden. Dieser Kohärenzgedanke ist im Bereich des GPSG bereits seit langem verankert: Gleiche Regelungssachverhalte der mit dem GPSG umgesetzten elf Binnenmarktrichtlinien sind im GPSG
umgesetzt worden und damit „vor die Klammer gezogen“, produktspezifische Sachverhalte wurden in der jeweiligen Verordnung zum GPSG geregelt.
1
Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008
über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der
Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates
(ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30)
Beschluss Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über
einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des
Beschlusses 93/465/EWG des Rates (ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 82)
159
Dirk Moritz
Abb. 8.1
Umsetzung europäischen Rechts mit dem Produktsicherheitsgesetz
Dieser systematische Ansatz des GPSG ist mit dem Beschluss Nr. 768/2008/EG
faktisch auf europäischer Ebene nachvollzogen worden. Das neue ProdSG behält
diesen bewährten systematischen Ansatz des GPSG bei. So werden beispielsweise
die Bestimmungen des Beschlusses zu den notifizierenden Behörden sowie den notifizierten Stellen inhaltsgleich in die Abschnitte 3 und 4 des ProdSG übernommen.
8.3
Neue Begriffe im Produktsicherheitsgesetz
Mit dem NLF wurden einige zentrale Begriffe neu eingeführt bzw. neu definiert. Diese
sind weitestgehend in das neue ProdSG übernommen worden. So wird man sich
beispielsweise an den neuen Begriff Bereitstellen auf dem Markt gewöhnen müssen. Er tritt an die Stelle des bisherigen Begriffs „Inverkehrbringen“ und meint „jede
entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch
oder zur Verwendung auf dem Markt der Europäischen Union im Rahmen einer Geschäftstätigkeit“. Mit diesem neuen Begriff wird jede Stufe der Lieferkette (Hersteller,
Importeur und Händler) angesprochen. Der Begriff Inverkehrbringen geht jedoch
nicht vollständig verloren. Er wird zukünftig als erstmaliges Bereitstellen definiert und
erfasst damit (lediglich) die erste Stufe der Lieferkette (Hersteller und Importeure).
160
Das neue Produktsicherheitsgesetz
Mit der Übernahme der europäischen Definition des Begriffs Inverkehrbringen entfällt
im ProdSG der Terminus „wesentliche Veränderung“. Den Sachverhalt an sich wird
es in der Praxis natürlich weiterhin geben und auch zukünftig gilt: Ein gebrauchtes
Produkt, das gegenüber seinem ursprünglichen Zustand mit dem Ziel der Modifizierung seiner ursprünglichen Leistung, Verwendung oder Bauart bedeutend verändert
wird, wird danach wie ein neues Produkt betrachtet.
Ein weiterer zentraler Begriff erfährt mit dem ProdSG eine „echte“ Definition: der
Begriff des Produkts. Im GPSG bildete der Begriff Produkt lediglich eine Klammer
um die Begriffe technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte. Im ProdSG ist er,
angelehnt an den NLF, definiert als „Waren, Stoffe oder Zubereitungen, die durch
einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind“. Er umfasst einerseits Produkte,
die für den Verbraucher bestimmt sind oder von ihm benutzt werden könnten, selbst
wenn sie ursprünglich nicht für ihn bestimmt sind, anderseits auch alle Produkte, für
die diese Einschränkung nicht gilt (z.B. Investitionsgüter).
Mit der neuen Definition für „Produkt“ ist gleichzeitig der Begriff technisches Arbeitsmittel ersatzlos entfallen. Im ProdSG werden an diese Produktgruppe - man könnte
sie als „Nicht-Verbraucherprodukte“ umschreiben - keine besonderen Anforderungen
gestellt; damit entfällt die Notwendigkeit einer eigenständigen Begriffsdefinition. Die
in der Vergangenheit aufgetretenen Abgrenzungsprobleme zwischen den „technischen Arbeitsmitteln“ des GPSG und den „Arbeitsmitteln“ nach der Betriebssicherheitsverordnung werden so vermieden.
8.4
Der Anwendungsbereich des ProdSG
Der Anwendungsbereich wird im § 1 des ProdSG definiert. Er erstreckt sich auf das
Bereitstellen von Produkten auf dem Markt sowie das Ausstellen und das erstmalige
Verwenden von Produkten im Rahmen einer Geschäftstätigkeit. Ausgenommen vom
Anwendungsbereich sind Produkte insoweit, als für sie bereits in anderen Rechtsvorschriften entsprechende oder auch weitergehende Vorschriften gelten (§ 1 Absatz 4).
Der Anwendungsbereich des ProdSG umfasst nur Handlungen „im Rahmen einer
Geschäftstätigkeit“, d.h. der gelegentliche private Verkauf von Produkten (z.B. auf
Flohmärkten oder über das Internet) wird nicht erfasst. Für die Abgabe eines
Produkts im Rahmen einer Geschäftstätigkeit spielt es keine Rolle, ob die Produkte
gegen ein Entgelt oder unentgeltlich abgegeben werden. So wird etwa die unentgeltliche Abgabe von Werbegeschenken durch ein Unternehmen vom Anwendungsbereich des ProdSG erfasst.
Insgesamt ist das ProdSG die zentrale Rechtsvorschrift für das Bereitstellen von
Produkten auf dem Markt ist. Das ProdSG räumt anderen Rechtsvorschriften nur
161
Dirk Moritz
dann Vorrang ein, wenn diese mindestens gleichwertige Bestimmungen enthalten
(§ 1 Absatz 4). In den Fällen, in denen andere Rechtsvorschriften umfassende Regelungen über die Bereitstellung von speziellen Produkten enthalten, tritt das ProdSG
zurück (§ 1 Absatz 3). Sofern in anderen Vorschriften aber nur bestimmte Teilaspekte des Bereitstellens auf dem Markt berücksichtigt werden, ist das ProdSG hinsichtlich der Lücken ergänzend anzuwenden. So werden beispielsweise Bauprodukte im
Bauproduktenrecht bisher nur im Hinblick auf die Bauwerksicherheit betrachtet, obwohl viele Bauprodukte auch als Verbraucherprodukte im einschlägigen Handel frei
verfügbar sind. Hier greifen die Regelungen des ProdSG ergänzend zu denen des
Bauproduktenrechts und tragen somit zu einem verbesserten Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern bei.
8.5
Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes
Im ProdSG finden sich die Anforderungen an das Bereitstellen von Produkten auf
dem Markt im wesentlichen in den Paragrafen 3 und 6. Der § 3 umfasst dabei allgemeine Anforderungen für alle Produkte, während § 6 zusätzliche Anforderungen an
das Bereitstellen von Verbraucherprodukten formuliert.
Abb. 8.2
162
Produktbereiche nach Produktsicherheitsgesetz
Das neue Produktsicherheitsgesetz
Ein Produkt darf – wie bisher auch – nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn
es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und
Gesundheit von Personen nicht gefährdet. Diese allgemeine Sicherheitsforderung
wird in der Regel durch harmonisierte Normen konkretisiert, soweit diese Produkte
europäischen Rechtsvorschriften wie z.B. der Maschinenrichtlinie unterfallen. Für
„nationale“ Produkte erfolgt diese Konkretisierung in „nationalen“ Normen oder anderen technischen Spezifikationen.
Auch gebrauchte Produkte unterfallen, wenn sie auf dem Markt bereitgestellt werden,
grundsätzlich dem ProdSG. Für sie gilt zunächst die allgemeine Sicherheitsforderung
nach § 3 Absatz 2. Gebrauchte Produkte müssen danach bei ihrer Bereitstellung auf
dem Markt sicher sein, sie müssen aber nicht zwingend dem neuesten Stand der
Technik entsprechen, oder anders ausgedrückt: Ein ehemals als sicher auf dem
Markt bereitgestelltes Produkt wird nicht nur deshalb unsicher, weil sich das erreichbare Sicherheitsniveau verändert hat.
8.6
Notifizierte Stellen
Der Beschluss Nr. 768/2008/EG enthält umfangreiche Bestimmungen zu den notifizierten Stellen. Diese wurden inhaltsgleich in den Abschnitten 3 und 4 des ProdSG
abgebildet. An die Kompetenz der notifizierten Stellen werden umfangreiche Anforderungen gestellt, die diese in der Regel im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens gegenüber der deutschen Akkreditierungsstelle DAkkS nachweisen. Dieser
Kompetenzfeststellung folgt dann eine zweite Stufe, die Erteilung der behördlichen
Befugnis durch die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS)2. Hat eine
Stelle alle Hürden genommen, wird sie in die europäische Datenbank NANDO3 aufgenommen.
2
siehe: http://www.zls-muenchen.de
3
NANDO - New Approach Notified and Designated Organisations
(http://ec.europa.eu/enterprise/newapproach/nando/)
163
Dirk Moritz
8.7
Das GS-Zeichen
Das ProdSG eröffnet den Herstellern die Möglichkeit, verwendungsfertige Produkte
freiwillig nach einem vorangegangenen unabhängigen Prüfverfahren mit dem GSZeichen („Geprüfte Sicherheit“) zu versehen und damit auszudrücken, dass das gekennzeichnete Produkt Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes besonders berücksichtigt. Die Geltungsdauer des GS-Zeichens ist auf höchstens fünf Jahre
beschränkt, danach muss der Hersteller eine erneute Überprüfung seines Produkts
mit Erfolg durchführen lassen, sofern er das Produkt weiterhin kennzeichnen möchte.
Das GS-Zeichen richtet sich mit einer klaren und leicht verständlichen Botschaft an
den Käufer oder die Käuferin und ist insoweit ein wichtiger Beitrag zum Verbraucherschutz.
Die Bestimmungen zum GS-Zeichen sind im ProdSG in Abschnitt 5 zusammengeführt, systematisch neu gegliedert und sprachlich verbessert worden. Gleichzeitig
wurden einige neue Bestimmungen aufgenommen, die insbesondere der zunehmenden Zahl gefälschter GS-Zeichen begegnen sollen. So haben zukünftig alle GSStellen eine Liste der von ihr ausgestellten GS-Bescheinigungen zu veröffentlichen.
Findet man ein GS-Zeichen auf einem Produkt, hat man damit eine erste schnelle
Möglichkeit zu überprüfen, ob hinter dem GS-Zeichen auch tatsächlich eine gültige
Bescheinigung steht. Außerdem wurde eine Bestimmung aufgenommen, die Importeure verpflichtet, bereits bei der Einfuhr zu überprüfen, ob ein am Produkt angebrachtes GS-Zeichen auch gültig ist. Insgesamt sollen die neuen Bestimmungen dazu beitragen, das GS-Zeichen nachhaltig zu stärken.
8.8
Marktüberwachung
Der Bereich Marktüberwachung gewinnt für das Funktionieren des Binnenmarktes
zunehmend an Bedeutung. Dementsprechend wurde diesem wichtigen Bereich im
ProdSG ein eigener Abschnitt gewidmet. In diesen Abschnitt sind die Marktüberwachungsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 übernommen worden. Sie
finden damit auf den gesamten Produktbereich des ProdSG Anwendung.
164
Das neue Produktsicherheitsgesetz
Hervorzuheben ist eine Bestimmung, die ihren Ursprung jedoch nicht in der europäischen Verordnung hat, sondern die auf einen Antrag des Bundesrates zurückgeht.
Danach sind die Bundesländer gehalten, im Rahmen ihrer Marktüberwachung einen
Richtwert von 0,5 Stichproben je 1000 Einwohner pro Jahr und Land zu Grunde zu
legen. Dies unterstützt die Forderung des § 25 Absatz 3 ProdSG, nach der die Länder ihre Marküberwachungsbehörden mit den notwendigen Ressourcen auszustatten
haben.
Den für die Marktüberwachung zuständigen Behörden wird im Produktsicherheitsgesetz ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, mit dem die Einhaltung des Gesetzes überwacht und mögliche Gefahren wirksam abgewehrt werden
können. Es entspricht weitgehend jenen Befugnissen, über welche die Behörden bereits im alten GPSG verfügten. Das Spektrum möglicher Maßnahmen ist breit gefächert und reicht u. a. von der Sicherheitsüberprüfung über das Verbot des Aus- und
des Bereitstellens bis hin zur Anordnung eines Rückrufs, einer Rücknahme oder der
Vernichtung des Produkts. Neu ist, dass der Ermessensspielraum der Behörden bei
Produkten, von denen ein ernstes Risiko ausgeht, eingeschränkt wurde: Für diese
Produkte kommen als Maßnahmen ausschließlich der Rückruf, die Rücknahme oder
die Untersagung des Bereitstellens in Frage. Grundsätzlich bleibt es aber dabei,
dass Maßnahmen der Behörde nur eingeleitet oder aufrecht erhalten werden, sofern
die Verantwortlichen nicht selbst geeignete Maßnahmen ergreifen und deren Wirksamkeit nachweisen.
Dem Ziel, die Marktüberwachung zu stärken, dient nicht zuletzt auch die deutliche
Anhebung der Bußgeldobergrenzen. Zukünftig können bei sicherheitsrelevanten
Mängeln Bußgelder bis zu 100.000 Euro (bisher 30.000 Euro) verhängt werden.
8.9
Informationen der Öffentlichkeit
Neben der Marktüberwachung sieht das ProdSG auch Verpflichtungen für die Behörden hinsichtlich der Information der Öffentlichkeit über gefährliche Produkte vor.
So müssen die Marktüberwachungsbehörden im Zusammenwirken mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die Öffentlichkeit z.B. über von
Produkten ausgehende Risiken und getroffene Maßnahmen informieren. Hervorzuheben ist hier die Information über Produktrückrufe, zu denen die BAuA eine unter
der Internetadresse www.rueckrufe.de erreichbare Plattform betreibt. Dort werden
alle der BAuA zur Kenntnis gelangenden Rückrufe aus dem Bereich des ProdSG
gelistet.
Weitere Information zum Thema Produktsicherheit sind auf der von der BAuA betriebenen Internetseite www.produktsicherheitsportal.de zu finden.
165
Dirk Moritz
8.10
Ausblick
Die europäische Kommission hat im November 2011 einen Vorschlag vorgelegt, mit
dem sie 9 Binnenmarktrichtlinien an den Beschluss Nr. 768/2008/EG anpassen will.
Vier dieser Richtlinien (Niederspannungsrichtlinie, Aufzugs-Richtlinie, ATEXRichtlinie sowie die Richtlinie über einfache Druckbehälter) sind mit dem ProdSG
sowie jeweils einer Verordnung nach § 8 ProdSG (Produktsicherheitsverordnung ProdSV) umgesetzt. Außerdem sollen die Richtlinien über die allgemeine Produktsicherheit, über persönliche Schutzausrüstungen sowie über Gasverbrauchseinrichtungen überarbeitet werden.
Es zeichnet sich also ab, dass schon in nicht allzu weiter Zukunft erneuter Änderungsbedarf für das Produktsicherheitsgesetz sowie die jeweiligen Produktsicherheitsverordnungen bestehen wird, getreu dem Motto: Nach der Novelle ist vor der
Novelle.
Abb. 8.3
166
Dipl.-Ing. Dirk Moritz vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(BMAS) aus Bonn beim 81. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium
am 15. Mai 2012 in Wuppertal-Vohwinkel.
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
9
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz –
Wegschauen oder Handeln?
(MARTIN WOLMERATH)
82. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 5. Mai 2012
in Wuppertal
Dr. jur. Martin Wolmerath1
Rechtsanwalt, Hamm
Wegschauen oder Handeln? Diese Frage stellt sich nicht nur im täglichen Leben,
sondern vor allem auch am Arbeitsplatz. Denn wer wegschaut, der lässt im
schlimmsten Fall Entwicklungen und Geschehnisse zu, die unter keinen Umständen
akzeptiert werden können. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Beschäftigte zu
Schaden kommen, ihre Gesundheit leidet. Die Antwort kann daher nur „Handeln!“
lauten. Dies gilt vor allem auch für das Phänomen der psychosozialen Belastungen
am Arbeitsplatz.
9.1
Begriffsbestimmung
Was jedoch sind psychosoziale Belastungen? Spätestens seit dem Inkrafttreten des
Arbeitsschutzgesetzes2 und der darauf fußenden Bildschirmarbeitsverordnung3 ist
uns mit der „psychischen Belastung“ eine Terminologie bekannt, die als ein Oberbegriff zu den psychosozialen Belastungen verstanden werden kann. Psychische Belastungen sind Einflüsse aller Art, die von außen auf die Psyche eines Menschen einwirken4. Diese sind mannigfaltig und kaum zu begrenzen. Hinzu kommt, dass sie auf
1
Dieser Beitrag ist im Anschluss an dem Vortrag in Wuppertal erstellt worden. Einiges, was in den
Räumen des Instituts ASER e.V. referiert und diskutiert wurde, findet sich in diesem Aufsatz nicht
wieder. Dafür dürfte es allerdings auch einzelne Ausführungen geben, die nicht Gegenstand
des Referates sowie der Diskussion gewesen sind. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Kolloquiums werden insoweit um Nachsicht gebeten.
2
Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ist am 21.08.1996 in Kraft getreten.
3
Die Bildschirmarbeitsverordnung ist seit dem 20.12.1996 in Kraft.
4
Siehe auch DIN EN ISO 10075-1.
167
Martin Wolmerath
den Einzelnen höchst unterschiedlich wirken. Was der eine als Pillepalle abtut, ist für
einen anderen höchster Stress.
Bei den psychosozialen Belastungen stehen die Einwirkungen, die sich aus dem sozialen Miteinander von Menschen am Arbeitsplatz ergeben und auf das seelische
Wohlbefinden der dort Tätigen Einfluss nehmen, im Fokus der Betrachtung. Drehund Angelpunkt ist der Mensch, der zugleich „Täter“ und „Opfer“ sein kann5.
9.2
Erscheinungsformen
Als gravierendste Erscheinungsform der psychosozialen Belastungen dürfte das
Mobbingphänomen zu bezeichnen sein, das die deutsche Arbeitswelt seit den 90er
Jahren des letzten Jahrhunderts6 beschäftigt. Grob vereinfacht auf den Punkt gebracht kann man auch von „Psychoterror am Arbeitsplatz“ sprechen7.
Mobbing-Definition von Heinz Leymann8
„Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft
und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem
Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung
empfindet.“
Das wesentliche Kennzeichen von Mobbing ist das Zusammenspiel von Handlung
und Zeit. Vergleichbar einer Perlenkette werden eine Vielzahl von (teilweise höchst
unterschiedlichen) Handlungen – wobei eine jede Handlung eine Perle darstellt –
über einen längeren Zeitraum – symbolisiert durch die Perlenschnur – begangen.
Der Zusammenhang von Handlung und Zeit, wie er auch deutlich in der Begriffsbestimmung von Leymann zutage tritt, ermöglicht zweierlei: die Umschreibung dessen,
was unter Mobbing zu verstehen ist, und eine Abgrenzung zu anderen Phänomenen
in der Arbeitswelt. Dabei ist zu beachten, dass diese anderen Phänomene, bei denen
5
Als Synonym kann daher auch von „psychischen Belästigungen“ gesprochen werden.
6
Die Diskussion wurde von allem durch das Buch „Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie
man sich dagegen wehren kann“ von Heinz Leymann ausgelöst, das im Jahr 1993 erschienen ist.
7
So lautet auch der Untertitel zu dem Buch „Mobbing“ von Heinz Leymann aus dem Jahr 1993;
siehe insoweit die Fußnote 3.
8
Leymann, Einführung: Mobbing, in: Leymann (Hrsg.), Der neue Mobbing-Bericht. Erfahrungen
und Initiativen, Auswege und Hilfsangebote, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 18.
168
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
es sich um andere Erscheinungsformen psychosozialer Belastungen handeln kann,
Bestandteil einer konkreten Mobbingsituation sein können – es aber nicht unbedingt
müssen9.
Als weitere Erscheinungsformen psychosozialer Belastungen sind vor allem die (sexuelle) Belästigung, die Diskriminierung und die Nachstellung10 zu nennen11. Im Gegensatz zu Mobbing kann bei all diesen Erscheinungsformen auf eine gesetzliche
Begriffsbestimmung zurückgegriffen werden – was zumindest den Juristen ihren
Umgang mit diesen Erscheinungsformen psychosozialer Belastungen erleichtert.
Schließlich lehrt die Erfahrung, dass viele Juristen im Zusammenhang mit der Lösung, Bewältigung sowie Aufarbeitung von konkreten Mobbingsituationen vor allem
deshalb Probleme habe, weil es keine gesetzliche Definition des Begriffes Mobbing
gibt12.
Die Belästigung findet ihre Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 3 AGG (Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz). In dieser Regelung, die am 18.08.2006 in Kraft getreten
ist, heißt es: „Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein
von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“
Verständlich wird diese Vorschrift, wenn man den § 1 AGG hinzunimmt, in dem das
Ziel dieses Gesetzes niedergelegt ist. Anliegen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es hiernach, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen; – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Diskriminierungsmerkmale sind
in einem abschließenden Sinn aufgeführt, so dass das Gesetz keine weiteren Merkmale akzeptiert.
9
So kann etwa eine Nachstellung Bestandteil eines Mobbinggeschehens sein. Sie kann aber auch
losgelöst und unabhängig von oder neben einer konkreten Mobbingsituation erfolgen.
10
Bekannt und gebräuchlich ist auch die englische Bezeichnung „Stalking“.
11
Auf die Problematik des Rauchens sowie des Whistleblowing und der Abgrenzung zur
Denunziation wird an dieser Stelle allein aus Platzgründen nicht eingegangen.
Die Leserinnen und Leser werden insoweit um Verständnis gebeten.
12
Vgl. Ruberg, Schikane am Arbeitsplatz – Abhilfe nicht in Sicht? Betrachtungen zu Erfolgsbarrieren
und Erfolgsbedingungen im gerichtlichen Rechtsschutz gegen „Mobbing“, in: Schwickerath/Carls/
Zielke/Hackhausen (Hrsg.), Mobbing am Arbeitsplatz. Grundlagen, Beratungs- und Behandlungskonzepte, Lengerich 2004, S. 152.
Ruberg gibt in seinem Beitrag den dringenden Rat, „beim Gang vor Gericht das Wörtchen ‚Mobbing‘ lieber zu Hause zu lassen! … Den ‚Mobbingschutzprozess‘ ohne seinen ‚Titel‘ zu führen?!“
169
Martin Wolmerath
Wer sich den Halbsatz wegdenkt, der die Brücke zu § 1 AGG schlägt, der erhält eine
recht weitgehende Begriffsbestimmung: „Eine Belästigung ist eine Benachteiligung,
wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde
der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen,
Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld
geschaffen wird.“
Bei genauerer Betrachtung fällt unschwer auf, dass diese (gekürzte) Begriffsbestimmung der Mobbingdefinition von Leymann sehr nahe kommt. Das sieht auch das
Bundesarbeitsgericht so. In seinem Urteil vom 25.10.200713 stellt es fest: „Mit dieser
Definition des Begriffes ‚Belästigung‘ hat der Gesetzgeber letztlich auch den Begriff
des ‚Mobbing‘ umschrieben, soweit dieses seine Ursachen in der Rasse, der ethnischen Herkunft, dem Geschlecht, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, im Alter oder der sexuellen Identität (§ 1 AGG) des Belästigten hat … Dieser in
§ 3 Abs. 3 AGG umschriebene Begriff des ‚Mobbing‘, der sich lediglich auf Benachteiligungen aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe bezieht, kann auf die Fälle
der Benachteiligung eines Arbeitnehmers – gleich aus welchen Gründen – übertragen werden.“ In der weiteren Konsequenz der Sichtweise des erkennenden Achten
Senat ergibt sich, dass die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf die Mobbingproblematik – abhängig von der jeweiligen Fallgestaltung – entweder direkt oder analog angewendet werden können.
Die sexuelle Belästigung wird in § 3 Abs. 4 AGG definiert, die ebenfalls einen Verweis auf eine Bestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes enthält, die
den Anwendungsbereich betrifft: „Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung
in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes
Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu
diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts
sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person
verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen
wird.“ In verallgemeinerter Form ist diese Begriffsbestimmung äußerst brauchbar,
wenn wir die kursiv gesetzten Worte „in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4“ wegdenken. Ganz so neu ist diese Definition zudem nicht, gab es sie doch schon in ähnlicher Form in § 2 BeschSchuG (Beschäftigtenschutzgesetz), das vom 01.09.1994 bis
zum Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im August 2006 galt.
In 75 Abs. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz), der dem § 67 Abs. 1 Satz 1
BPersVG (Bundespersonalvertretungsgesetz) entspricht, wird die Diskriminierung
13
8 AZR 593/06.
170
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
wie folgt definiert: „Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle
im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen
ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen
Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung,
ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung
oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.“ Als Umkehrsatz abstrakt und losgelöst von den gesetzlichen Vorgaben formuliert diskriminiert derjenige, der einen anderen entgegen den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt, mithin gegen den alten Grundsatz „Behandle andere so, wie Du
selbst behandelt werden möchtest“ verstößt.
Als eine besondere Form der Belästigung kann die Nachstellung bezeichnet werden,
die sich – vergleichbar dem Mobbing – aus einer Mehrzahl einzelner Handlungen
zusammensetzt, welche über einen längeren Zeitraum erfolgen14. Die Nachstellung
ist seit dem 31.03.2007 mit einer Strafandrohung versehen, die in § 238 StGB (Strafgesetzbuch) niedergelegt ist. Nach § 238 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, „wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich
1. seine räumliche Nähe aufsucht,
2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der
Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,
3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten
Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,
4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder
Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder
5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt
und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt.“
Dass es Nachstellung auch in der Arbeitswelt gibt, liegt auf der Hand. Gescheiterte
Beziehungen sowie nicht erwiderte Zuneigungen können dazu führen, das einer bzw.
einem Beschäftigten das Leben zur sprichwörtlichen Hölle gemacht wird, aus dem es
kein Entrinnen zu geben scheint.
14
Siehe auch Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 59. Auflage, München 2012, § 238 Rn. 9.
171
Martin Wolmerath
9.3
Erscheinungshäufigkeit
Niemand weiß, wie viele Beschäftigte psychosozialen Belastungen ausgesetzt sind
bzw. darunter leiden. Gesicherte empirische Erkenntnisse dazu gibt es nicht. Allenfalls für die Mobbingproblematik kann auf verwertbares Zahlenmaterial zurückgegriffen werden15. Unter Berücksichtigung einer Mobbing-Prävalenz von 3,5%16 unter allen Erwerbstätigen sind derzeit rund 1,5 Mio. Erwerbstätige Mobbing ausgesetzt. Bei
etwa 3,6 Mio. Unternehmen wäre demnach in nahezu jedem zweiten Unternehmen
eine Beschäftigte bzw. ein Beschäftigter von Mobbing betroffen17.
Sofern man bedenkt, dass Mobbing nur eine – wenn vielleicht auch die gravierendste
– Erscheinungsform der psychosozialen Belastungen ist, dann lässt sich vermuten,
dass die Zahl derer, die unter psychosozialen Belastungen leiden, wesentlich höher
ist. In jedem Unternehmen dürfte es mithin mindestens eine Person geben, die derzeit psychischen Belästigungen ausgesetzt ist.
9.4
Gefahren und Risiken
Aus den uns vorliegenden Untersuchungen wissen wir um die mit Mobbing einhergehenden Gefahren und Risiken, die bisweilen sehr weite Kreise ziehen:18
Bei dem Betroffenen steht nicht nur die Gesundheit auf dem Spiel. Oftmals geht
der Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes damit einher. Im schlimmsten Fall mündet das Mobbing in einem Suizid(versuch).
Der Mobber riskiert eine Sanktionierung seines Tuns. Im Vordergrund stehen dabei arbeits- bzw. dienstrechtliche Konsequenzen. Aber auch strafrechtliche Sanktionsmaßnahmen können drohen. Gesundheitliche Gefahren und Risiken sind
hingegen nicht die Regel. Eine Ausnahme stellt lediglich der „Angst“-Mobber dar,
der nur deswegen mobbt, weil er befürchtet, ansonsten selbst zur Zielscheibe von
Mobbing zu werden.
15
Siehe zum Beispiel Saßmannshausen/Wessels/Deilmann, Mobbing – Zahlen, Daten und Fakten,
in: Wolmerath/Esser (Hrsg.), Werkbuch Mobbing. Offensive Methoden gegen psychische Gewalt
am Arbeitsplatz, Frankfurt am Main 2012, S. 22 sowie Meschkutat/Stackelbeck/Langenhoff, Der
Mobbing-Report. Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland, Dortmund/Berlin 2002.
16
Vgl. Eisermann/de Costanzo, Die Erfassung von Mobbing – Eine Konstruktvalidierung aktueller
Datenerhebungsverfahren, Dortmund/Berlin/Dresden 2011, S. 124.
17
Siehe auch Wolmerath, Mobbing. Rechtshandbuch für die Praxis, 4. Auflage, Baden-Baden 2012,
S. 39 f.
18
Vgl. Wolmerath, Mobbing. Rechtshandbuch für die Praxis, 4. Auflage, Baden-Baden 2012, S. 46 ff.
172
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
Das Mobbinggeschehen bleibt den Arbeitskollegen nicht verborgen; auch sie können darunter leiden. Oftmals verschlechtert sich das Arbeits- bzw. Betriebsklima.
Abhängig von der konkreten Situation kann es zudem die Qualität und Quantität
der Arbeitsergebnisse negativ beeinflussen – was in vielen Fällen nicht ohne Folgen bleiben dürfte.
Der Betriebs- bzw. Personalrat sowie die Personalabteilung werden sich ab einem
bestimmten Zeitpunkt mit der Mobbingproblematik beschäftigen müssen. Das verursacht Kosten (z.B. Beauftragung eines Rechtsanwalts, Zahlung einer Abfindung)
und verschlechtert auf diese Weise das Betriebsergebnis.
Sofern die Mobbingsituation bei den Medien auf Interesse stößt, kann das Ansehen des Unternehmens Schaden nehmen. Das wiederum kann sich auf die Marktchancen und somit auf das Betriebsergebnis nachteilig auswirken.
Muss der Mobbingbetroffene Leistungen der Sozialversicherung (z.B. Krankengeld, Arbeitslosengeld) in Anspruch nehmen, so geht dies grundsätzlich zu Lasten
der Solidargemeinschaft.
9.5
Ursachen
Wo Menschen aufeinandertreffen, da herrscht nicht nur Sonnenschein. Meinungsverschiedenheiten, Streitigkeiten und manchmal auch nicht zu bewältigende Konfliktsituationen sind immer wieder anzutreffen. Das Leben ist halt kein Ponyhof.
Die Ursachen, warum es psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz gibt, sind vielfältig und von Fall zu Fall verschieden. Dies haben die Untersuchungen zur Mobbingproblematik ergeben19. So wenig wie es das eine Mobbing gibt, so wenig gibt es
auch die eine Ursache dafür. In dem einen Fall ist es vielleicht die bewusst eingesetzte Strategie des Mobbers, den Mobbingbetroffenen aus einer bestimmten beruflichen Position zu drängen, in einem anderen Fall resultiert das Mobbing dagegen aus
einer Überforderung des Vorgesetzten.
Leider gibt es keine neueren Erkenntnisse bezüglich der Ursachen für Mobbing – von
den Ursachen hinsichtlich der psychosozialen Belastungen ganz zu schweigen.
Gleichwohl dürfte es auf der Hand liegen, dass es einen Zusammenhang zwischen
der psychosozialen Belastungssituation in einem Betrieb und der Qualität der Arbeitsbedingungen sowie des Arbeitsumfeldes gibt. Je besser sich die Bedingungen
gestalten, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, desto geringer dürfte sich
die Belastungssituation darstellen: Wo man gut miteinander umgeht, dort arbeitet
man auch gut und gerne.
19
Vgl. Wolmerath, Mobbing. Rechtshandbuch für die Praxis, 4. Auflage, Baden-Baden 2012, S. 44 ff.
173
Martin Wolmerath
9.6
Erste Anzeichen erkennen
Auch wenn Verallgemeinerungen fehl am Platz sind, so können unter anderem die
folgenden Erscheinungen bzw. Entwicklungen einen Rückschluss auf psychosoziale
Belastungen am Arbeitsplatz zulassen:
Verschlechterung des Arbeits-/Betriebsklimas;
Anstieg des Krankenstandes;
Anstieg von sonstigen Fehlzeiten;
Einzelne Personen werden „merkwürdig“/auffällig;
Vermehrtes Erheben von Beschwerden (vor allem gegenüber
den Betriebs- bzw. Personalrat);
Anstieg des Maulens hinter vorgehaltener Hand;
Verschlechterung der Kommunikation;
Zunahme von Streitigkeiten und Konflikten;
Auflaufen lassen von einzelnen Personen;
Abnahme kollegialen Verhaltens;
Sinkende Teilnahme an Betriebsfesten und -ausflügen;
Dienst nach Vorschrift;
Erhöhte Fluktuation (z.B. in einer einzelnen Abteilung).
9.7
Handlungsmöglichkeiten für ein besseres miteinander
Umgehen
Das eine, bewährte, allgemeingültige Rezept für ein gutes – oder zumindest besseres – miteinander Umgehen am Arbeitsplatz gibt es leider nicht. Vielmehr müssen
aufbauend auf die konkrete betriebliche Situation praxistaugliche Werkzeuge gefunden und sodann auch angewendet werden, um eine erfolgreiche sowie nachhaltige
Wirkung erzielen zu können.
Ein guter Ansatzpunkt kann hierbei die Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG
(Arbeitsschutzgesetz) sein, wonach der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für
die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln hat, welche
Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Dabei hat er Arbeitgeber die psychischen – und somit auch die psychosozialen – Belastungen zu ermitteln20. Darauf
aufbauend hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes
unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der
Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen, diese sodann auf ihre Wirksamkeit zu prü-
20
Vgl. Kittner/Pieper, Arbeitsschutzrecht, 3. Auflage, Frankfurt am Main 2007, § 5 ArbSchG Rn. 13.
174
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
fen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen (vgl. § 3 Abs.
1 ArbSchG). Auf diese Weise entsteht ein dynamischer Prozess, der im Schulterschluss mit der betrieblichen Interessenvertretung erfolgen sollte21. Denn niemand
kennt die Beschäftigten sowie ihre Sorgen und Nöte am Arbeitsplatz besser als der
Betrieb- bzw. Personalrat.
Als ein weiterer Ansatzpunkt ist das betriebliche Eingliederungsmanagement zu nennen, das seine gesetzliche Normierung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB (Sozialgesetzbuch) IX erfahren hat: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs
Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der
zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst
überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (kurz: BEM) findet auf alle Beschäftigen
Anwendung, auch wenn sich die gesetzliche Regelung im SGB IX befindet, das die
„Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ zum Gegenstand hat. Auf eine
Behinderung oder Schwerbehinderung kommt es insoweit nicht an22. Weiter ist das
BEM auch dann durchzuführen, wenn es keine Interessenvertretung im Sinne des
§ 93 SGB IX – mithin keinen Betriebs- bzw. Personalrat – in dem Unternehmen bzw.
in der Dienststelle gibt23.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement bietet die Chance, eine konkrete psychosoziale Belastungssituation quasi von hinten aufzuzäumen24. Schließlich steht
hierbei nicht etwa ein Mobbingvorwurf, sondern die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Betroffenen im Vordergrund, auch wenn sich diese infolge des erlittenen
Mobbings eingestellt hat. Durch das BEM ändert sich die Perspektive, aus der die
konkrete Situation betrachtet wird – was nicht selten neue Wege eröffnet.
Gleichwohl dürfen die Augen nicht vor dem Umstand verschlossen werden, dass der
Erfolg eines BEM von dem Willen und von dem Können der daran beteiligten Akteure
abhängt. Richtig verstanden handelt es sich bei dem betrieblichen Eingliederungs21
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung gibt, die zu beachten sind. Vgl. insoweit etwa BAG (Bundesarbeitsgericht) vom 12.08.2008 – 9 AZR 1117/96, aber auch BVerwG (Bundesverwaltungsgericht) vom
05.03.2012 – 6 PB 25/11.
22
Vgl. BAG vom 12.07.2007 – 2 AZR 716/06.
23
Vgl. BAG vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09.
24
Siehe dazu ausführlich: Wolmerath, Das betriebliche Eingliederungsmanagement –
Ein bislang kaum beachtetes Werkzeug bei Mobbing, in: Wolmerath/Gallner/Krasshöfer/Weyand,
Recht – Politik – Geschichte, Festschrift für Franz Josef Düwell, Baden-Baden 2011, S. 188.
175
Martin Wolmerath
management um einen unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess25,
bei dem der Erhalt der Beschäftigung im Vordergrund steht. Das Ergebnis eines solchen Suchprozesses kann beispielsweise die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung nach § 74 SGB V sein26.
Das vielleicht wichtigste Werkzeug stellt § 13 Abs. 1 AGG zur Verfügung. Diese Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber zur Einrichtung einer betrieblichen Beschwerdestelle, an die sich jede bzw. jeder Beschäftigte wenden kann, wenn sie bzw. er sich
im Zusammenhang mit ihrem bzw. seinem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, von anderen Beschäftigten oder von Dritten wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes (= Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion,
Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) benachteiligt fühlt. In diesem
Zusammenhang ist zu beachten, dass der Betriebsrat nach einer Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts zwar nicht bei der Errichtung und personellen Besetzung,
wohl aber bei der Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens mitzubestimmen hat27.
Diese Sicht der Dinge ist insoweit zu kritisieren, als die personelle Besetzung nicht
von der Regelung des Verfahrens getrennt werden kann. Diskretion, Verschwiegenheit und Einfühlungsvermögen sind wesentlich Erwartungen der Beschäftigten an die
Akteure einer jeden betrieblichen Beschwerdestelle. Insofern wirkt eine einseitige
Anordnung durch den Arbeitgeber, wer die Beschwerdestelle in personeller Hinsicht
ausfüllen soll, eher kontraproduktiv.
Zahlreiche Unternehmen haben den gesetzlichen Vorgaben bereits Rechnung getragen, weitere werden folgen. Vorreiter waren ohne Zweifel die Ford-Automobilwerke
in Deutschland, auch wenn man hier den umgekehrten Weg gegangen ist. Dort gab
es bereits eine paritätisch besetzte Beschwerdestelle, der nach dem Inkrafttreten des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auch die Funktion der betrieblichen Beschwerdestelle im Sinne des § 13 Abs. 1 AGG übertragen wurde28.
In vielen Fällen dürfte es sich anbieten, dem von Ford eingeschlagenen Weg zu folgen oder sogar darauf aufzusatteln. So kann man mit äußerst wenigen Handgriffen
25
So das BAG in seiner Entscheidung vom 10.12.2009 – 2 AZR 198/09.
26
Beides darf miteinander nicht verwechselt werden, was in der betrieblichen Praxis leider immer
wieder geschieht.
27
Vgl. BAG vom 21.07.2009 – 1 ABR 42/08. Eine Entscheidung des BVerwG gibt es zu dieser
Thematik bislang nicht. Insoweit bietet sich für die Personalvertretung eine Bezugnahme auf
die Entscheidung des BAG an.
28
Siehe dazu Klein, Fell the Difference – oder was machen die bei Ford anders? in: Wolmerath/Esser
(Hrsg.), Werkbuch Mobbing. Offensive Methoden gegen psychische Gewalt am Arbeitsplatz,
Frankfurt am Main 2012, S. 58 sowie Klein/Herold, Wiese, Weshalb, Warum? – darum! Betriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz bei der Ford-Werke AG, dbr (der
betriebsrat) 1/2005, S. 31 und Klein, Wir tun was! Die Betriebsvereinbarung der Ford-Werke
GmbH über partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz, dbr 4/2008, S. 31, jeweils mit einer
Dokumentation des Wortlauts der betreffenden Betriebsvereinbarung.
176
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Wegschauen oder Handeln?
die Zuständigkeit der betrieblichen Beschwerdestelle über den Anwendungsbereich
des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hinaus auf alle Erscheinungsformen
psychosozialer Belastungen ausdehnen. Auf diese Weise erhält das Unternehmen
eine zentrale Stelle, die auf das miteinander Umgehen am Arbeitsplatz positiven Einfluss nehmen und dazu beitragen kann, dass die Beschäftigten in einer guten bzw.
besseren Umgebung arbeiten können. Zugleich wird auf diese Weise vermieden,
dass es in dem Unternehmen unterschiedliche Zuständigkeiten für verschiedene
psychosoziale Belastungen gibt, ein Beschäftigter vielleicht nur deshalb von Pontius
zu Pilatus geschickt wird, weil sich die jeweils angesprochenen Stellen in der konkreten Angelegenheit für unzuständig erklären.
9.8
Ausblick
Gute Arbeit benötigt ein entsprechendes Umfeld. Was heute noch in so manchen
Fällen auf Arbeitgeberseite belächelt wird, kann sich in wenigen Jahren zu einem
beachtlichen Wettbewerbsvorteil am Markt erweisen. Nur wer kurzfristig denkt und
agiert, der vergisst, dass gesunde und motivierte Mitarbeiter ein wesentlicher Garant
für jeden unternehmerischen Erfolg sind. Dies wird jedem Arbeitgeber spätestens
dann bewusst werden, wenn der demographische Wandel in seiner vollen Blüte
steht. Dann wird es allerdings in vielen Fällen zu spät sein, das unternehmerische
Ruder herumzureißen. Wie heißt es doch so schön: „Früh übt sich, was ein Meister
werden will.“
Abb. 9.1
Dr. jur. Martin Wolmerath beim 82. Sicherheitswissenschaftlichen
Kolloquium am 5. Juni 2012 in Wuppertal-Vohwinkel.
177
Yvonne Drewitz
10
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
(YVONNE DREWITZ)
83. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 19. Juni 2012
in Wuppertal
Dr.-Ing. Yvonne Drewitz
Sachverständige bei der TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Berlin
10.1
Einleitung
Zur Ermittlung und Bewertung von Risiken verfahrenstechnischer Anlagen existieren
international verschiedene Vorgehensweisen, die sowohl deterministisch als auch
probabilistisch geprägt sind. In Deutschland ist es geübte Praxis, die Gefährdungen
von Anlagen, die der Störfall-Verordnung unterliegen, mithilfe einer deterministischen
Betrachtungsweise zu beurteilen. Dabei ist in einem Sicherheitsbericht nach § 9 der
Störfall-Verordnung [1] darzulegen, dass die Gefahren von Störfällen ermittelt sowie
alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Störfälle und zur Begrenzung ihrer Auswirkungen auf Mensch und Umwelt ergriffen wurden.
In mehreren Mitgliedsstaaten der EU werden dagegen Quantitative Risikoanalysen
(QRA) zur sicherheitstechnischen Bewertung von Anlagen eingesetzt. Für Deutschland ist nach Auffassung der Störfall-Kommission ein derartiges Vorgehen eine mögliche Ergänzung zur üblichen deterministisch geprägten Betrachtungsweise [2]. Hierbei stellt sich die Frage, wie sich die QRA in das deutsche Störfallrecht einbinden
lassen.
Die zur Verfügung stehenden Methoden und Ansätze zur Ermittlung und Bewertung
des Anlagenrisikos sind sehr unterschiedlich. In diesen Methoden werden oftmals die
sicherheitstechnischen Einrichtungen in der verfahrenstechnischen Anlage nicht
berücksichtigt und stattdessen nur Leckagehäufigkeiten an Anlagenteilen, wie z.B.
Behältern und Rohrleitungen, betrachtet. Diese Sichtweise wird dem Stand der
Sicherheitstechnik in Deutschland nicht gerecht, der nicht nur durch die Beschaffenheitsanforderungen an die Anlagenteile in Übereinstimmung mit einem entsprechenden Prüf- und Überwachungskonzept, sondern auch durch den Einsatz von PLTEinrichtungen einen hohen Sicherheitsstandard gewährleistet.
178
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Vor diesem Hintergrund musste für Deutschland eine Methodik unter Berücksichtigung der Anforderungen der Störfall-Verordnung entwickelt werden, die den Stand
der Sicherheitstechnik bei Errichtung und Betrieb einer Anlage abbildet. Eine solche
Methodik wird im Nachfolgenden vorgestellt.
10.2
Beschreibung der Methodik zur Durchführung einer QRA in
Deutschland
10.2.1
Prinzipieller Ablauf der Methodik
Beschreibung der Anlage und der
Umgebung
Beschreibung der
sicherheitsrelevanten
Anlagenteile und der Stoffe
Beschreibung der
störfallverhindernden bzw. begrenzenden Maßnahmen
Systematische
Gefahrenanalyse
Grundrisiko
Betriebsrisiko
Grundlegende Gefahrenquellen
Betriebliche Gefahrenquellen
Ansätze für die Eintrittshäufigkeit
von Leckgrößen
Fehlerbaumanalyse
Szenarienentwicklung
Ereignisbaumanalyse
Auswirkungsbetrachtungen
Berechnung der
Zündwahrscheinlichkeit
Risikoermittlung
Abb. 10.1
Ablauf der Methodik
179
Yvonne Drewitz
Die Methodik zur Durchführung einer QRA in Deutschland wurde mit der Zielsetzung
einer praxisorientierten Vorgehensweise unter Berücksichtigung des Standes der
Sicherheitstechnik der Anlagenkonzeption, insbesondere der störfallverhindernden
und -begrenzenden Maßnahmen, entwickelt.
Die Methodikentwicklung erfolgte zusätzlich vor dem Hintergrund, transparent sein,
um eine Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse von QRA zu ermöglichen und so zu einer breiten Akzeptanz als probabilistisches Instrumentarium bei Betreibern und Behörden zu führen. Zusätzlich sollte sich die Methodik durch ein vertretbares KostenNutzen-Verhältnis auszeichnen. Der prinzipielle Ablauf dieser Methodik ist in der Abbildung 10.1 zusammengefasst.
10.2.2
Gefahrenanalyse
Die Basis dieser Methodik bildet der bisher in Deutschland etablierte deterministische
Ansatz zur sicherheitstechnischen Bewertung von Anlagen. Hierzu wird u.a. eine
systematische Gefahrenanalyse durchgeführt. Für die einzelnen Gefahrenquellen
werden die Eintrittsvoraussetzungen und die möglichen Auswirkungen ermittelt und
den verhindernden Maßnahmen gegenüber gestellt. Mit dieser Vorgehensweise wird
nachgewiesen, dass der Betreiber ausreichende Maßnahmen getroffen hat um seine
Betreiberpflichten nach § 3 Störfall-Verordnung [1] zu erfüllen.
Im Allgemeinen können die systematischen Gefahrenanalysen den Sicherheitsberichten der Störfallanlagen entsprechend der Störfall-Verordnung entnommen werden. Liegen für die Anlagen keine oder nur unzureichende systematische Analysen
vor, so wird empfohlen das erweiterte Checklistenverfahren anzuwenden.
Die Basis des erweiterten Checklistenverfahrens stellen die im Forschungsvorhaben
des VdTÜV [3] zusammengestellten Gefahrenquellen dar. Dieses Verfahren wurde
um typische Fragestellungen des PAAG-Verfahrens, wie z.B. um die Punkte, die
Stofffreisetzungen infolge von gestörten Reaktionen hinterfragen, ergänzt. In der Tabelle 10.1 sind die generellen Gefahrenquellen sowie die auf das Anlagenteil bezogenen Gefahrenquellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt.
180
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Tab. 10.1
Zusammenstellung der Gefahrenquellen
Nr.
Generelle Gefahrenquelle
Auf das Anlagenteil bezogene Gefahrenquelle
1
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
2
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
Mechanisches Versagen
des Anlagenteils
Stofffreisetzung infolge gestörter Reaktion
Konstruktionsfehler, Fertigungsfehler, falsche Auslegung,
fehlerhafte Aufstellung, Korrosion, Erosion, Kavitation,
Schwingungen, Zusatzbelastungen an Flanschen,
Armaturen, Dichtungen und Messleitungen
Versagen von Wellenabdichtungen an Pumpen und
Verdichtern
zu hoher Druck, zu niedriger Druck, eingeblockte
Teilanlage
zu hohe Temperatur, zu niedrige Temperatur
3
4
5
6
7
8
Stofffreisetzung infolge gestörter Reaktion
9
Stoff geht unkontrolliert in
andere Anlagenteile über
10
Durch menschliches Fehlverhalten geht ein Stoff unkontrolliert in andere Anlagenteile über oder wird freigesetzt
Durch menschliches Fehlverhalten geht ein Stoff unkontrolliert in andere Anlagenteile über oder wird freigesetzt
Bildung einer explosionsfähigen Atmosphäre innerhalb des Anlagenteils
11
12
13
Zündung innerhalb oder
außerhalb des Anlagenteils
Lagerversagen, Lösen bewegter Komponenten
falscher Aggregatzustand, falsche Phase,
Stoffunverträglichkeit
Stoffverwechslung, Stoffverunreinigung, Dosiermenge zu
hoch, Dosiermenge zu niedrig Mengenstrom zu groß,
Mengenstrom zu klein Zeitpunkt zu früh, Zeitpunkt zu
spät, falsche Reihenfolge, Verweilzeit zu kurz, Verweilzeit
zu lang, unzureichende Durchmischung, Konzentration zu
hoch, Konzentration zu niedrig, falsche Stöchiometrie
falsche Korngröße, falscher Aggregatzustand, katalytische Effekte, inhibierende Effekte, Viskosität zu hoch,
Viskosität zu niedrig, Katalysatoraktivität zu gering,
pH-Wert zu sauer, pH-Wert zu basisch, Ausfall Kühlung,
Kühlung zu stark, Ausfall Heizung, Heizung zu stark,
Ausfall Rührer, Rührer dreht zu langsam Ausfall Pumpe,
Verdichter
falscher Förderweg, falsche Förderrichtung, Erstarren,
Verkrusten, Sedimentieren, Verstopfen, Verkleben,
Ablagern, Kondensieren, Auskristallisieren, Ausgasen,
Aufschäumen, Ausflocken, Entmischen, Füllstand zu
hoch, Füllstand zu niedrig, Rückströmen, Abhebern
Bedienungsfehler bei der Produktion, Fehler beim
An- oder Abfahren der Anlage
Fehler bei Reparatur oder Instandhaltung, Beschädigung
des Anlagenteils, Anfahren von Rohrbrücken
Stoffverwechslung, Undichtigkeiten, Einbruch von Luft,
Einbruch von brennbaren/explosionsfähigen Stoffen,
Ausfall Vakuum, Ausfall Inertisierung, Menschliches
Fehlverhalten bei der Prozesssteuerung, Menschliches
Fehlverhalten beim An- und Abfahren der Anlage
heiße Oberflächen, Reibung, Mechanisch erzeugte
Funken, Flammen, heiße Gase, Kompression strömender
Gase, Chemische Reaktion, Bildung entzündend wirkender Stoffe, Elektrostatische Entladung, Ausgleichsströme,
Blitzschlag, Elektrische Funken, Elektromagnetische
Wellen, Ionisierende Strahlung, Ultraschall
181
Yvonne Drewitz
10.2.3
Grund- und Betriebsrisiko
Die systematische Gefahrenanalyse enthält eine Zusammenstellung der möglichen
Gefahrenquellen einer Anlage oder eines Anlagenteils, die daraufhin in die zwei
Gruppen des Grund- und Betriebsrisikos unterteilt werden. Dabei werden die Risiken,
die sich aus Gefahrenquellen ergeben, die der Betreiber nur geringfügig beeinflussen
kann, oder denen keine aktiven störfallverhindernden Maßnahmen entgegengesetzt
werden können, in einem sog. „Grundrisiko“ zusammengefasst. Zu diesen Gefahrenquelle gehören insbesondere:
falsche Auslegung, Konstruktionsfehler oder Fertigungsfehler von Anlagenteilen,
Versagen von Rohrleitungen, Behältern, Pumpen und Verdichtern mit Stofffreisetzung infolge von Korrosion, Erosion, Kavitation, Schwingungen oder
Veschleiss,
Fehler bei Reparatur oder Instandhaltung,
mechanische Beschädigung eines Anlagenteils, wie z.B. das Anfahren
von Rohrbrücken.
Den direkt zu einem Versagen des Anlagenteils führenden Gefahrenquellen, wie z.B.
zu hohe Temperatur oder Druck, kann durch aktive Betriebs- und Schutzeinrichtungen entgegen gewirkt werden. Da diese Gefahrenquellen zumeist während des Betriebs auftreten, werden sie dem sog. „Betriebsrisiko“ zugeordnet.
Die gefährdungsorientierte Unterteilung der Gefahrenquellen in Grund- und Betriebsrisiko stellt ein wichtiges Kriterium dar, um der Zielsetzung einer praxistauglichen Methodik mit einem vertretbaren Kosten-Nutzen-Verhältnis Rechnung zu tragen. Dadurch wird eine Reduzierung des Aufwands einer QRA erreicht, da die Gefahrenquellen des Grundrisikos mittels pauschaler Ansätze abgedeckt werden. Die detaillierteren Untersuchungen dieser Gefahrenquellen bewirken nur einen unwesentlichen Informationsgewinn oder können teilweise nur mit erheblichem Aufwand quantifiziert werden. Ein Beispiel hierzu ist Korrosion an einem Behälter. Beim Aufbringen
des Korrosionsschutzanstrichs am Behälter können verschiedene Fehler aufgetreten
sein, wie z.B. Auftragen bei zu niedriger Außentemperatur oder falsche Farbkomponenten. Die Häufigkeit dieser Fehler kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht beurteilt
werden.
Dagegen werden die Gefahrenquellen des Betriebsrisikos umfassend analysiert, wobei die anlagenspezifischen störfallverhindernden und -begrenzenden Maßnahmen
berücksichtigt werden. Wird ein Behälter z.B. befüllt und kommt es in Folge von verschiedenen Fehlern zur Überfüllung, so wird das Versagen der Sicherheitseinrichtungen, wie z.B. der Druck- und Füllstandbegrenzer, hinterfragt. Die eingangs formulierte Bedingung, die konkrete Sicherheitstechnik der Anlagenkonzeption abzubilden,
wird somit erfüllt.
182
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Die Einteilung in Grund- und Betriebsrisiko erfolgt auf der Grundlage der in Tabelle
10.1 enthaltenen Gefahrenquellen. Die Risiken, die sich aus den in der Tabelle 10.1
unter Nr. 1, 2 und 11 aufgeführten Gefahrenquellen ergeben, werden als Grundrisiko
zusammengefasst. Entscheidend dafür ist, insbesondere für die Gefahrenquellen der
lfd. Nr. 1, dass z.B. die Konstruktions- und Fertigungsfehler sowie der Fehler der falschen Auslegung nur wenig im Einflussbereich des Betreibers liegen. Der Betreiber
kann lediglich die Anforderung erfüllen, nur mit dem deutschen Regelwerk konforme
Anlagenkomponenten zu errichten. Dadurch können aber Konstruktions- und Fertigungsfehler nicht quantifiziert werden. Ähnliche Probleme ergeben sich bei den Gefahrenquellen der Korrosion, Erosion, Kavitation usw. Diese Gefahrenquellen sind
sehr vielschichtig und auf Grund der zumeist geringen Informationsdichte können
keine detaillierten Untersuchungen der jeweiligen Ursachen und deren Quantifizierung vorgenommen werden. Zudem müsste dies für eine Vielzahl von Behältern und
Rohrleitungen erfolgen, was der Zielsetzung der Methodik (praxistauglich, vertretbares Kosten-Nutzen-Verhältnis) widerspricht.
Das Versagen von Dichtungen an rotierenden Teilen von Pumpen und Verdichtern
ist auf Grund von Verschleiß sehr wahrscheinlich. Daher ist ein pauschaler Ansatz
zur Ermittlung der Zuverlässigkeitskenngröße in den meisten Fällen ausreichend.
Sind auf Grund eines hohen Gefährdungspotenzials besondere Schutzeinrichtungen
installiert, so müssen diese detailliert analysiert werden. Die unter der lfd. Nr. 11 aufgeführten Gefahrenquellen können z.B. bei Baumaßnahmen in der Anlage oder
durch den Werksverkehr mit Fremdfahrzeugen (Baukräne) entstehen. Auch hier erscheint ein pauschaler Ansatz sinnvoll, da keine aktiven Gegenmaßnahmen ergriffen
werden können bzw. die quantitative Bewertung der Eintrittshäufigkeit von sehr vielen Einflussfaktoren bestimmt werden.
Den direkt zu einem Versagen des Anlagenteils führenden Gefahrenquellen in Nr. 3
bis 6 kann durch aktive Betriebs- und Schutzeinrichtungen entgegen gewirkt werden.
Diese Gefahrenquellen treten zumeist während des Betriebs auf. Aus diesem Grund
werden sie im Betriebsrisiko zusammengefasst. Die Gefahrenquellen der lfd. Nr. 7
bis 9, 12 und 13, einschließlich des menschlichen Fehlverhaltens (lfd. Nr. 10), werden ebenfalls dem Betriebsrisiko zugeordnet, da diese im engen Zusammenhang mit
dem Betrieb einer Anlage stehen.
Anhand der systematischen Gefahrenanalyse liegt somit eine Zusammenstellung,
sowohl der Gefährdungen durch das Vorhandensein der Anlage (Grundrisiko) als
auch Gefährdungen, die durch den Betrieb der Anlagen (Betriebsrisiko) entstehen
können, vor.
Anschließend erfolgt die Auswahl bzw. die Reduzierung der zu betrachtenden Fälle
unter Zugrundelegen der Zielsetzung der QRA. Da im Rahmen dieser Methodikentwicklung als Zielsetzung die Bestimmung des Risikos in der Nachbarschaft (offsite-
183
Yvonne Drewitz
Risiko) definiert wurde, werden Gefahrenquellen, deren Auswirkungen auf das Betriebsgelände begrenzt bleiben, nicht berücksichtigt.
10.2.4
Ausfalldaten für das Grund- und Betriebsrisiko
Für die weiteren Schritte zur Durchführung einer QRA werden Daten bezüglich des
Ausfallverhaltens von Anlagenkomponenten benötigt. Da anlagenspezifische Daten
in der Regel nicht vorliegen, werden generische Daten verwendet. Um einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Ausfalldaten von Anlagenkomponenten und
zum menschlichen Fehlverhalten zu erhalten, wurden Literaturrecherchen durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Datenbanken ausgewertet (siehe hierzu detaillierte
Ausführungen in [4]).
Abb. 10.2
184
Fehlerbaum für das Behälterbersten
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Für die Bestimmung der Eintrittshäufigkeit des Grundrisikos werden standardisierte
Kombinationen aus den Leckageflächen und -häufigkeiten für Rohrleitungen, Behälter, Pumpen und Verdichter entwickelt oder Abschätzungen auf der Grundlage der
Literaturdaten vorgenommen.
Die Rohrleitungen wurden bspw. in 6 Rohrklassen eingeteilt und für jede Rohrklasse
wurde eine abdeckende Leckgröße für diese Rohrklassen nach dem Ansatz von
Prof. Brötz gebildet. Die Leckagehäufigkeiten wurden hierbei der HSE-Datenbank
entnommen.
Ähnlich der Rohrleitungen können auch an Behältern Lecks auftreten. Für die kleineren Leckgrößen wurde ein Leckdurchmesser von 5 mm gewählt. In Analogie zum
Leitfaden KAS-18 [5] wurden zusätzlich die Leckdurchmesser von 10 mm und 25 mm
vorausgesetzt. Die Leckagehäufigkeiten wurden wiederum aus der Literatur abgeleitet.
Im Unterschied zum Grundrisiko wird das Betriebsrisiko auf der Basis von Fehlerbäumen in Abhängigkeit der Sicherheitskonzeption der Anlage ermittelt. Die Abbildung 10.2 beinhaltet bspw. den Fehlerbaum für ein Behälterbersten.
Für die Ausfalldaten zur Ermittlung des Grund- und Betriebsrisikos wurde ein in sich
konsistenter Datensatz erarbeitet, der für die Berechnungen aller Anlagentypen herangezogen wurde. Hierbei wird nicht der Anspruch erhoben „richtige“ Daten zu verwenden. Vielmehr war das Ziel eine Vergleichbarkeit der Anlagenrisiken zu erhalten
durch Anwendung des gleichen Datensatzes. Eine detaillierte Beschreibung der verwendeten Ausfalldaten befindet sich in [4].
10.2.5
Szenarienentwicklung
Die Szenarienentwicklung des Grund- und Betriebsrisikos wird mit Hilfe der Ereignisbaumanalyse durchgeführt. Hierbei werden die Folgen beim Wirksamwerden einer
Gefahrenquelle sowie deren Eintrittshäufigkeit in Abhängigkeit der Sicherheitskonzeption (störfallbegrenzende Maßnahmen) der Anlage ermittelt.
Um den Aufwand der QRA zu reduzieren, wurde ein Abschneidekriterium festgelegt.
Hiernach werden Szenarien mit einer Eintrittshäufigkeit < 10-8 [1/a] vernachlässigt.
Diese Szenarien verfügen auf Grund der geringen Eintrittshäufigkeit über einen geringen Risikobeitrag im Vergleich zu international verwendeten Risikogrenzwerten
zur Genehmigung von Anlagen und sind eher für den Bereich der Katastrophenschutzplanung relevant.
185
Yvonne Drewitz
10.2.6
Auswirkungsbetrachtungen
Für die Auswirkungsbetrachtungen der untersuchten Szenarien werden bekannte
Modelle, wie sie z.B. auch im Leitfaden KAS-18 [5] eingesetzt worden sind, verwendet. Insbesondere sind folgende Modelle zu nennen:
Gasausbreitung, z.B. Freistrahl nach Schatzmann,
VDI-Richtlinie 3783 Blatt 1 und 2,
Gaswolkenexplosion Multi-Energy-Modell,
Lachenbrandmodell OSRAMO II.
Auswirkungen von Stofffreisetzungen werden in Deutschland mit Grenzwerten verglichen, wie z.B.: AEGL und ERPG-Werte, Explosionsüberdruck, Bestrahlungsstärke.
Eine Alternative hierzu stellen die sogenannten Probit-Functionen dar. Mit Hilfe der
Probit-Functionen kann die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Schädigung in Abhängigkeit der Dosis und der Entfernung zum Freisetzungsort berechnet werden.
10.2.7
Zündwahrscheinlichkeit
Für die Risikoermittlung von Industrieanlagen, bei denen eine Freisetzung von
brennbaren Stoffen nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Zündwahrscheinlichkeit ein relevanter Parameter. Bei diesen Anlagen sind im Wesentlichen Brand- und
Explosionsszenarien ausschlaggebend bei der Berechnung des Risikos.
In der Literatur sind verschiedene Ansätze zur Berechnung der Zündwahrscheinlichkeiten zu finden. Neben konstanten Werten für die Zündwahrscheinlichkeit werden
einfache masse- oder massenstrombasierte Ansätze verwendet und teilweise zwischen sofortiger und verzögerter Zündung unterschieden. In der Veröffentlichung von
Drewitz u. a. [4] wird eine vergleichende Betrachtung der Ansätze von Cox u. a. [6],
Ronza u. a. [7], Daycock u. a. [8], [9], Mansfield [10] und dem Purple Book [11] vorgenommen. Als Ergebnis dieser Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass sowohl
bei der Verwendung von konstanten Werten für die Zündwahrscheinlichkeit als auch
bei den masse- oder massestrombasierten Ansätzen zur Berechnung der Zündwahrscheinlichkeit die konkrete Bebauung des Betriebsbereiches, und damit die einzelnen Zündquellen, und die vom Betreiber getroffenen Explosionsschutzmaßnahmen
nicht berücksichtigt werden.
Um diesen Problemen Rechnung zu tragen, wurde das Modell von Daycock [9] aufgegriffen und weiterentwickelt. Eine Voraussetzung für die Anwendung dieses Modells ist die Unterteilung des Betriebsgeländes in verschiedene Nutzungstypen, wie
z.B. Parkplätze, Straßen, Büros oder Prozessbereiche, für die die Anzahl der Zündquellen pro Fläche und Zündquellenparameter festgelegt wurden. Zündquellenparameter sind die Zeit, in der die Zündquelle aktiv ist, sowie das Zündpotenzial einer
186
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Zündquelle. Dieses berücksichtigt, inwieweit eine Zündquelle die benötigte Energie
zur Zündung einer Gaswolke aufweist. Die einzelnen Nutzungstypen, die an die vorliegenden Gegebenheiten in Deutschland angepasst wurden sowie die verwendeten
Zündquellenparameter werden in [4] ausführlich beschrieben.
Für die explosionsgefährdeten Bereiche der Zonen 0 und 1 wird in Daycock [9] angenommen, dass die Zündwahrscheinlichkeit vernachlässigbar ist, da die Industriebetriebe entsprechende Explosionsschutzmaßnahmen getroffen haben. Diese Zonen
werden in Daycock nicht betrachtet. Dagegen wird in dem Bereich der Zone 2 das
Vorhandensein einer schwachen bzw. selten auftretenden Zündquelle nicht ausgeschlossen.
Um die vom Betreiber getroffenen Explosionsschutzmaßnahmen im Rahmen einer
QRA berücksichtigen zu können, erfolgte eine Weiterentwicklung des Modells nach
Daycock entsprechend der explosionsgeschützten Bereiche der Zone 1 und 0.
Die Zündwirksamkeit einer Zündquelle, d.h. die Fähigkeit zur Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre, hängt nach der Technischen Regel TRBS 2152 Teil 3 [12]
u. a. von der Energie der Zündquelle und von den Eigenschaften der explosionsfähigen Atmosphäre (Zündwilligkeit) ab.
Während im Modell nach Daycock die benötigte Energie der Zündquellen zur Zündung einer Gaswolke mit Hilfe des Zündpotentials einbezogen wird, werden dagegen
die Eigenschaften der explosionsfähigen Atmosphäre nicht besonders betrachtet.
Deshalb wurde zusätzlich ein stoffspezifischer Zündwilligkeitsfaktor auf der Basis der
Temperaturklasse und der Explosionsgruppe abgeleitet. Anhand des Zündwilligkeitsfaktors lässt sich der stoffspezifische Einfluss verschiedener brennbarer Stoffe auf
die Zündwahrscheinlichkeit gut abbilden.
10.3
Anwendungsbeispiele
Die für Deutschland entwickelte Methodik zur Durchführung einer QRA wurde an den
folgenden Beispielanlagen getestet:
Flüssiggaslagerbehälteranlage,
Ammoniakkälteanlage,
Produktionsanlage für Fluorwasserstoff.
Bei diesen Anlagen handelt es sich um real existierende Anlagen, in denen mit
brennbaren und/oder toxischen Stoffen umgegangen wird. Für diese Anlagen werden
verschiedene Untersuchungen durchgeführt, wobei im Rahmen dieses Beitrages nur
auf die Flüssiggaslagerbehälteranlage eingegangen werden soll. Anhand der Unter187
Yvonne Drewitz
suchungen an der Flüssiggaslagerbehälteranlage wurden insbesondere die Einflussfaktoren einer QRA und die Praxistauglichkeit dieser Methode herausgearbeitet.
Bei der Flüssiggasanlage handelt es sich um eine Umschlaganlage für Flüssiggas
nach DIN 51622 mit einer Lagermenge über 200 t (Gruppe D). Die Flüssiggasanlage
ist im Außenbereich einer Gemeinde errichtet worden. Südlich des Betriebsgrundstücks befindet sich die Eisenbahntrasse, von der aus das Stichgleis auf das Betriebsgelände geführt wird (siehe Abbildung 10.3). In nördlicher Richtung verläuft eine Kreisstraße. In direktem Anschluss daran sowie in östlicher Richtung sind landwirtschaftlich genutzte Flächen vorhanden. Westlich wird das Gelände durch einen
weiteren Gewerbebetrieb begrenzt. Die nächstgelegene Wohnbebauung befindet
sich in ca. 280 m in westliche Richtung.
Abb. 10.3
10.3.1
Betriebsbereich der Flüssiggaslagerbehälteranlage
Anlagenrisiko im Vergleich zum Sicherheitsabstand nach TRB 801
Nr. 25 Anlage
In der ersten Berechnung wurde der Vergleich des Anlagenrisikos der Flüssiggasanlage mit dem Sicherheitsabstand nach TRB 801 Nr. 25 Anlage [13] durchgeführt, um
die entwickelte Methodik zu evaluieren.
188
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Der Sicherheitsabstand nach der TRB 801 Nr. 25 Anlage [13] berechnet sich nach
der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 2 [14] aus der ungünstigsten Ausbreitungssituation, bei
der die untere Zünddistanz des Gas-Luft-Gemisches unterschritten wird. Daraus
lässt sich ableiten, dass Personen, die sich innerhalb der Gaswolke befinden, also
der unteren Zünddistanz, durch Erstickung oder durch die Zündung der Gaswolke
den Tod finden würden. Für die Risikoermittlung werden zusätzlich neben diesem
Kriterium, in Anlehnung an den Leitfaden KAS-18 [5], für die Beurteilung der Wärmestrahlung der Grenzwert von 1,6 kW/m2 und für die Druckeinwirkungen der Grenzwert von 0,1 bar verwendet. Im Vergleich der Beurteilungskriterien des Sicherheitsabstandes und der Risikoberechnung untereinander ist festzustellen, dass die Risikoberechnung mit stringenteren Beurteilungskriterien durchgeführt wird und somit
eine konservativere Betrachtung darstellt.
In einem ersten Schritt wurde das Grundrisiko der Flüssiggasanlage berechnet, welches in der Abbildung 10.4 und Abbildung 10.5 dargestellt ist. Alle Abbildungen sind
nach Norden ausgerichtet. Die abgebildeten Risikokonturen des Grundrisikos umfassen einen Bereich von 5*10-6 bis 1*10-7 [1/a], wobei die Berechnung einen maximalen Risikowert von ca. 5,6*10-5 [1/a] ergab. Erwartungsgemäß konzentrieren sich die
Risiken im Bereich der Lagerbehälter sowie der EKW- und TKW-Station.
Abb. 10.4
Grundrisiko der Flüssiggasanlage [1/a]
Abb. 10.5
Betriebsrisiko der Flüssiggasanlage [1/a]
Ursache dafür ist die Überlagerung der Szenarien der Druckbehälter (Lagerbehälter,
EKW und TKW) und der Schlauchszenarien der EKW- und TKW-Stationen, die zu
189
Yvonne Drewitz
einer Addition der einzelnen Risiken führt. Die leichte Ausbreitung der Risikokonturen
in nördliche Richtung ist auf die angegebene Häufigkeitsverteilung der Winde für diesen Standort zurückzuführen. Ursache für die deutlichere Ausbreitung in süd-östliche
Richtung ist dagegen der Einfluss der Windgeschwindigkeit, der über den in [15] beschriebenen Windfaktor abgebildet wird. Zusätzlich zur Windverteilung ist das unterschiedliche Ausbreitungsverhalten der Schwergaswolke in Abhängigkeit der Bebauungssituation von Bedeutung. Dies wird durch die VDI-Richtlinie 3783 Blatt 2 [14]
berücksichtigt, was gegenüber anderen Ausbreitungsmodellen vorteilhaft ist.
In einem weiteren Schritt wurde das Betriebsrisiko der Anlage ermittelt. Die Risikokonturen des Betriebsrisikos der Flüssiggasanlage sind in der Abbildung 5 dargestellt. Das maximale Betriebsrisiko beträgt ca. 2,4*10-4 [1/a] und ist damit ca. eine
Zehnerpotenz größer als das Grundrisiko. Ausschlaggebend dafür ist, dass während
des Betriebes der Flüssiggasanlage wesentlich mehr Fehlermöglichkeiten bestehen
als im Vergleich zum Grundrisiko. Die Berechnungsergebnisse bestätigen somit die
Erfahrungen der Praxis, dass es insbesondere bei den Befüll- und Entleervorgängen
an den TKW- und EKW-Stationen störungsbedingt zu Gasfreisetzungen auf Grund
von menschlichen Fehlern kommen kann.
Das Gesamtrisiko der Flüssiggasanlage (Abbildung 10.6) berechnet sich aus der Addition des Grund- und Betriebsrisikos. Die dargestellten Risikokonturen umfassen
einen Bereich von 5*10-6 bis 1*10-7 [1/a], wobei festzustellen ist, dass an der Grenze
des Betriebsbereiches im Wesentlichen ein Risiko von ca. 5*10-6 [1/a] nicht überschritten wird.
Abb. 10.6
190
Anlagenrisiko (gesamt) der Flüssiggasanlage [1/a]
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
Es stellt sich die Frage, wie der Risikowert von ca. 5*10-6 [1/a] in Bezug zu bestehenden Anlagen in Deutschland einzuordnen ist. Eine Bewertungsgrundlage hierzu
bietet der in Deutschland entsprechend des technischen Regelwerkes, insbesondere
der TRB 801 Nr. 25 Anlage [13], einzuhaltende Sicherheitsabstand zwischen Flüssiggasanlagen und Schutzobjekten. Dieser Sicherheitsabstand soll gewährleisten,
dass bei Abweichung vom bestimmungsgemäßen Betrieb keine Gefährdungen für
Schutzobjekte durch die Auswirkungen einer Gaswolkenexplosion entstehen.
Schutzobjekte sind dabei z.B. Wohngebäude, betriebsfremde Anlagen, Gebäude und
Einrichtungen außerhalb und innerhalb des Werkgeländes, in denen sich dauernd
oder regelmäßig Menschen aufhalten, und öffentliche Verkehrswege.
Nach Abschnitt 7.1.23 der TRB 801 Nr. 25 Anlage [13] wurden auf der Grundlage der
anlagentechnischen Gegebenheiten Sicherheitsabstände von den lösbaren Verbindungen der Anlage, insbesondere der Entnahmeleitung der Lagerbehälter und der
EKW-Station, zu Schutzobjekten von ca. 93 m bzw. 51 m berechnet, die in der Abbildung 10.6 als schwarze Kreise eingetragen wurden.
Dieser Abbildung ist zu entnehmen, dass sich die Risikokontur 5*10-6 [1/a] im Wesentlichen innerhalb des Kreises befindet und man somit davon ausgehen kann,
dass der Sicherheitsabstand nach TRB 801 Nr. 25 Anlage für diese Anlage mindestens einen Risikowert 5*10-6 [1/a] abdeckt. Auf Grund der ähnlichen Bauformen sowie der Einhaltung von sicherheitstechnischen Anforderungen bei Errichtung und
Betrieb von Flüssiggasanlagen kann dieses Ergebnis im Prinzip auf andere Anlagentypen bzw. Gruppen von Flüssiggasanlagen übertragen werden. Außerdem handelt
es sich bei der betrachteten Anlage um eine Umschlagsanlage der Gruppe D, bei der
im Vergleich z. B. zur der Gruppe B ein höheres Gefahrenpotenzial besteht.
In Bezug zur vorgestellten Methodik der QRA kann deshalb geschlussfolgert werden,
dass der erstellte Datensatz in Kombination mit dem weiterentwickelten Zündwahrscheinlichkeitsmodell von Daycock zu plausiblen Ergebnissen führt. Das mit dieser
Methodik ermittelte Risiko entspricht somit dem akzeptierten Risiko in Deutschland,
das von einer Flüssiggasanlage ausgeht. Weiterhin ergibt der Vergleich des ermittelten Risikos mit den Anforderungen an den Sicherheitsabstand gemäß Technischem
Regelwerk einen im Zusammenhang zu international verwendeten Risikogrenzwerten akzeptablen Wert. Insofern kann der erarbeitete Datensatz der Methodik der
QRA sowie der weiterentwickelte Ansatz des Zündwahrscheinlichkeitsmodells nach
Daycock für die folgenden Berechnungen verwendet werden.
191
Yvonne Drewitz
10.3.2
Einfluss der Zündwahrscheinlichkeit auf das Anlagenrisiko
In der Flüssiggasanlage werden brennbare Stoffe gelagert und umgeschlagen. Demzufolge ist die Zündwahrscheinlichkeit im Fall einer Freisetzung dieser brennbaren
Stoffe ein relevanter Parameter, der in der Risikoermittlung zu berücksichtigen ist.
Das Anlagenrisiko (Abbildung 10.6) wurde auf der Basis des weiterentwickelten Ansatzes zur Berechnung der Zündwahrscheinlichkeit von Daycock berechnet [4]. Es
stellt sich die Frage, inwiefern die Verwendung dieses Ansatzes auf der Basis der
verschiedenen Nutzungstypen des Betriebsgeländes das Risiko beeinflusst. Vor diesem Hintergrund wurde eine Vergleichsrechnung mit dem einfachen massestrombasierten Ansatz zur Zündwahrscheinlichkeit nach Cox (siehe Beschreibung in Drewitz
[16]) durchgeführt, deren Ergebnis in der Abbildung 10.7 dargestellt ist.
Abb. 10.7
10.3.3
Anlagenrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] unter Verwendung des Zündwahrscheinlichkeitsmodells von Cox
Einfluss der störfallbegrenzenden Maßnahmen auf das Anlagenrisiko
Eine weitere Stärke des Zündwahrscheinlichkeitsansatzes liegt darin, dass auf dessen Grundlage eine Bewertung der störfallbegrenzenden Maßnahmen möglich ist.
In [4] wird ausgeführt, dass die Kontaktzeit zwischen brennbarem Gas und Zündquelle ein wesentlicher Faktor bei der Berechnung der Zündwahrscheinlichkeit ist, die
durch störfallbegrenzende Maßnahmen beeinflusst werden kann. Werden im Fall
192
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
einer Gasfreisetzung durch die Feuerwehr z.B. Hydroschilder zur Verringerung der
Gaskonzentration aufgestellt [18], [19] oder Lachen mit Schaum abgedeckt [20], so
können die Auswirkungen der Störfälle (Beaufschlagungsdauer, Fläche) und somit
auch die Zündwahrscheinlichkeit verringert werden.
Ausgehend von der Annahme, dass die Feuerwehr nach ca. 15 min nach der Alarmierung vor Ort ist und nach weiteren 5 min mit der Einleitung störfallbegrenzender
Maßnahmen beginnen kann, ist im vorliegenden Fall nur eine sehr geringe Risikoreduzierung erreicht worden (siehe Abbildung 10.8). Eine Erklärung dafür ist, dass bedingt durch die Anlagenkonzeption für viele Szenarien nur begrenzte Stoffmengen
über eine kurze Zeit freigesetzt werden. Das Eingreifen der Feuerwehr, das oftmals
in den Sicherheitsberichten als störfallbegrenzende Maßnahme beschrieben wird, ist
somit kritisch zu hinterfragen. Werden dagegen, wie in Abbildung 10.9 dargestellt,
störfallbegrenzende Maßnahmen durch das Betriebspersonal nach ca. 5 min eingeleitet, ist eine deutlichere Verringerung des Anlagenrisikos, insbesondere im Bereich
der EKW-Verladestation (rote Risikokontur), festzustellen.
Durch den Einsatz der QRA kann die Wirksamkeit der störfallbegrenzenden Maßnahmen quantifiziert und damit durch den Betreiber beurteilt werden.
Abb. 10.8
Anlagenrisiko der FlüssigAbb. 10.9
gasanlage [1/a] unter Berücksichtigung der störfallbegrenzenden Maßnahmen
durch die Feuerwehr
Anlagenrisiko der Flüssiggasanlage [1/a] unter Berücksichtigung der störfallbegrenzenden Maßnahmen
durch das Betriebspersonal
193
Yvonne Drewitz
10.4
Vergleich mit international verwendeten Risikogrenzwerten
Zum jetzigen Zeitpunkt sind für Deutschland keine Risikogrenzwerte veröffentlicht
worden. Die entwickelte Methodik wurde an verschiedenen real existierenden Anlagen erprobt, die entsprechend des Standes der Technik errichtet wurden und betrieben werden. Im Ergebnis der durchgeführten Risikoanalysen wurden für die verschiedenen Anlagen unter den in [4] genannten Randbedingungen an den Betriebsgrenzen die Risikowerte der Tabelle 10.2 festgestellt.
Tab. 10.2
Ermittelte Risikowerte für die verschiedenen Anlagen
Anlagenart
Individualrisiko [1/a]
Flüssiggasanlage
5*10
NH3-Kälteanlagen
1*10 bzw. 1*10
Produktionsanlage für Fluorwasserstoff
5*10
-6
-6
-7
-6
Im Unterschied zu Deutschland existieren international jedoch verschiedene Risikogrenzwerte für unterschiedliche Anwendungsgebiete. Risikogrenzwerte im Kontext
von Genehmigungsverfahren (siehe Tabelle 10.3) sind vorgegeben z.B. in den Niederlanden und Großbritannien.
Tab. 10.3
Risikogrenzwerte im Kontext mit Genehmigungsverfahren
Niederlande:
-5
10 [1/a] an bestehende Gebäude bzw.
-6
10 [1/a] an besonders schutzwürdigen Objekten
Großbritannien
-4
-6
ALARP-Bereich zwischen 10 und 10 [1/a]
gewisses Maß an Risiko wird als vertretbar angesehen
Für die ausgewählten Anlagentypen ergeben sich in Abhängigkeit der verwendeten
Stoffe somit Risikowerte an den Betriebsgrenzen im Bereich von 1*10-7 bis 5*10-6
[1/a], die im Vergleich zu europäischen und international gültigen Risikogrenzwerten
akzeptable Werte darstellten.
194
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
10.5
Fazit und Zusammenfassung
Es wurde eine Methodik zur Durchführung einer QRA entwickelt, die den Stand der
Sicherheitstechnik in Deutschland abbildet. Die Entwicklung erfolgte aus ingenieurtechnisch-praxisorientierter Perspektive, um mit bekannten Ansätzen eine breite Akzeptanz zu erzielen.
Anhand der vorgestellten Methodik der QRA konnte mit verhältnismäßigem Aufwand
das Risiko der Anlagen berechnet werden.
Aufbauend auf der systematischen Gefahrenanalyse erfolgte die Einteilung der Gefahrenquellen in Grund- und Betriebsrisiko. Zur Bestimmung des Grundrisikos wurden einfache Ansätze aus standardisierten Kombinationen der Leckflächen und
-häufigkeiten erarbeitet. Zur Ermittlung des Betriebsrisikos wurde die Fehlerbaumanalyse genutzt, in der die störfallverhindernden Maßnahmen berücksichtigt werden.
Ebenso fließen die störfallbegrenzenden Maßnahmen im Schritt der Szenarienentwicklung mit Hilfe der Ereignisbaumanalyse ein.
Im Ergebnis hat sich die Fehler- und Ereignisbaumanalyse trotz erheblichen Mehraufwands und erforderlichen Abstraktionsvermögens im Gegensatz zur Deterministik
bewährt. Der Grund dafür wird im zusätzlichen Informationsgewinn der Anlagen gesehen, da insbesondere die störfallverhindernden Maßnahmen bzw. deren Wechselwirkung hinterfragt werden.
Zur Bearbeitung der Fehler- und Ereignisbäume wurde ein in sich konsistenter Datensatz auf der Grundlage von Datenbankanalysen und Literaturrecherchen erstellt,
der für alle Risikoberechnungen verwendet wurde. Dabei wurde nicht der Anspruch
erhoben, anlagenspezifisch exakte Daten zu verwenden. Vielmehr wurde dadurch
eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erzielt, die eine Ableitung von Risikogrenzwerten für die untersuchten Anlagentypen ermöglichte.
Zusätzlich wurde das Zündwahrscheinlichkeitsmodell von Daycock entsprechend der
Bedingungen in Deutschland weiterentwickelt und um den Faktor der Zündwilligkeit
ergänzt. So kann z.B. die Forderung der BetrSichV, eine Zoneneinteilung explosionsgefährdeter Bereiche vorzunehmen, im Zündwahrscheinlichkeitsmodell abgebildet
werden. Dies war zuvor nicht zu leisten.
Der Vergleich der ermittelten Risiken für die untersuchten Anlagen in Bezug zu international verwendeten Risikogrenzwerten ergab einen akzeptablen Wert.
Die Zielsetzung eine Vorgehensweise zu entwickeln, die sich durch Kombination Methodik / Risikogrenzwert auszeichnet, ist somit erfüllt.
Als abschließendes Fazit kann festgehalten werden, dass mit dieser Methodik ein
transparentes Instrumentarium für eine harmonisierte Vorgehensweise in Deutschland zur Durchführung einer QRA zur Verfügung steht, das flexibel und praxisnah für
195
Yvonne Drewitz
verschiedene Anwendungsgebiete und Fragestellungen einer QRA nutzbar ist. Das
entwickelte Konzept hält der internationalen Gegenüberstellung stand, wird aber
gleichzeitig der deutschen Sicherheitsauffassung gerecht.
10.6
Literaturverzeichnis
[1]
„Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes
(Störfall-Verordnung - 12. BImSchV)“, in der Fassung der Bekanntmachung
vom 8. Juni 2005 (BGBl. I S. 1598), zuletzt geändert durch Artikel 5 Absatz 4
der Verordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643).
[2]
Störfallkommission - Arbeitskreis Technische Systeme, Risiko und Verständigungsprozesse der Störfallkommission, „Risikomanagement im Rahmen der
Störfall-Verordnung“, Bonn, Leitfaden SFK-GS-41, 2004.
[3]
„VdTÜV-Forschungsbericht Nr. 315; Aufstellen eines Leitfadens zur Erstellung
und Prüfung von Sicherheitsanalysen nach § 7 Störfall-Verordnung“, Bonn,
1990.
[4]
Y. Drewitz, „Methodik zur Durchführung einer Quantitativen Risikoanalyse unter
Berücksichtigung des Standes der Sicherheitstechnik bei Störfall-Anlagen in
Deutschland“, TU Berlin, Berlin, 2011.
[5]
Kommission für Anlagensicherheit - Arbeitsgruppe „Fortschreibung des Leitfadens SFK/TAA-GS-1“, „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen
der Bauleitplanung - Umsetzung des § 50 BImSchG“, Bonn, Leitfaden KAS 18,
Nov. 2010.
[6]
A. W. Cox, F. P. Lees, und M. L. Ang, „Classification of hazardous locations“,
Institute of Chemical Engineers, Rugby, Warwickshire, 1990.
[7]
A. Ronza, J. Vilchez, und J. Casal, „Using transportation accident databases to
investigate ignition and explosion probabilities of flammable spills“, Journal of
Hazardous Materials, Bd. 146, Nr. 1–2, S. 106–123, Juli 2007.
[8]
P. Rew, H. Spencer, und J. H. Daycock, „Off-site ignition probability of flammable gases“, Journal of Hazardous Materials, Bd. 71, Nr. 1–3, S. 409–422, Jan.
2000.
[9]
J. Daycock und P. J. Rew, Development of a method for the determination of
on-site ignition probabilities, Bd. Research Report 226. Sudbury: HSE Books,
2004.
196
Quantitative Risikoanalyse:
Methodik und Anwendungsbeispiele
[10] D. Mansfield, D. Aberdeen, S. Connolly, und M. Scanlon, „Plant specific ignition
probability model and correlations for use in onshore and offshore QRA“, in
IChemE Symposium series no. 151, Manchester, 2006, S. 762–776.
[11] Guidelines for quantitative risk assessment - Purple Book CPR 18 E. The
Hague: Committee for the Prevention of Disaasters, 1999.
[12] „Technische Regel für Betriebssicherheit - TRBS 2152 Teil 3: Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre -Vermeidung der Entzündung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre“, GMBl. Nr. 77, S. 1583, Nov. 2009.
[13] „Technische Regel für Druckbehälter - TRB 801 Nr. 25 Anlage: Flüssiggasbehälteranlagen“, Ausgabe Februar 1984; zuletzt geändert am 28. September
2002, BArbBl. 09/2002, S. 129.
[14] VDI-Richtlinie 3783 Blatt 2: Ausbreitung von störfallbedingten Freisetzungen
schwerer Gase - Sicherheitsanalyse. Berlin: Beuth Verlag, 1990.
[15] Dr.-Ing. Bernd Schalau, „Programmbeschreibung: Programm zur Numerischen
Störfallsimulation - ProNuSs 7“, Sachverständigenbüro für Anlagensicherheit
Dr.-Ing. Bernd Schalau, Berlin, Programmversion 7.1, März 2010.
[16] Y. Drewitz, A. Acikalin, B. Schalau, und D. Schmidt, „Berechnung der Zündwahrscheinlichkeit freigesetzter brennbarer Stoffe im Rahmen einer quantitativen Risikoanalyse“, Technische Überwachung, Bd. 50, Nr. 9, S. 35–40, 2009.
[17] „Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von
Arbeitsmitteln und deren Benutzung bei der Arbeit, über Sicherheit beim Betrieb
überwachungsbedürftiger Anlagen und über die Organisation des betrieblichen
Arbeitsschutzes (Betriebssicherheitsverordnung - BetrSichV)“, vom 27. September 2002 (BGBl. I S. 3777), zuletzt geändert durch Artikel 5 Absatz 7 der
Verordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643).
[18] W. A. Stein und W. Humann, „Wasserschleier zum Verdünnen von Schwergaswolken“, Technische Überwachung, Bd. 32, Nr. 10, S. 355–365, Okt. 1991.
[19] E. Puls, „Ermittlung des Wirkungsgrades von Hydroschilden im Vergleich mit
anderen technischen Vorrichtungen zur Dispersion schwerer Gase“, Universität
Wuppertal, Wuppertal, 2002.
[20] J. Böke, „Experimente und Untersuchungen der Verdampfungsminderungen
durch Löschschäume als Konsequenzminderungsmaßnahme bei Störfällen mit
Flüssiggaslachen“, Universität Wuppertal, Wuppertal, 1994.
197
Yvonne Drewitz
Abb. 10.10 Dr.-Ing. Yvonne Drewitz von der TÜV Rheinland Industrie Service
GmbH aus Berlin beim intensiven Erfahrungsaustausch mit …
Abb. 10.11 … über 30 Fachleuten – trotz parallel laufender UEFA EURO 2012 –
bei der Abendveranstaltung am 19. Juni 2012 in Wuppertal.
198
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
11
Psychische Belastungen als Herausforderungen für die Prävention –
Erfahrungen aus der betrieblichen Beratung
(RALF BUCHSTALLER)
84. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Juni 2012
in Wuppertal
Dr. Ralf Buchstaller
Fachlicher Leiter des Medizinisch-Psychologischen Instituts (MPI)
beim TÜV Nord, Hamburg
11.1
Einführung
Psychische Belastungen und Beanspruchung im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit treten immer stärker in das öffentliche Bewusstsein. Am 29.01.2013 schrieb
die Süddeutsche Zeitung: „Psychische Belastung am Arbeitsplatz. Was die Deutschen stresst. Nervös, niedergeschlagen, ausgebrannt – immer mehr Menschen
macht die Arbeit krank.“ Anders als in früheren Generationen, bei denen in der Regel
der physische Bereich der Arbeitstätigkeit im Vordergrund stand, ist die gegenwärtige
Arbeitswelt durch eine stärkere Betonung der psychischen Anforderungen geprägt.
Diese stärkere Betonung der psychischen Anforderung ist u.a. Folge des gesellschaftlichen Wandels von der Industrie zur Dienstleistungsgesellschaft. Während
1960 noch ca. 50% aller Erwerbstätigen im Industriebereich tätig waren, sind es heute nur noch 23%. Hingegen sind 74% der Erwerbstätigkeit heute im Dienstleistungsbereich beschäftigt (vgl. Bundesamt für Statistik, 2013). Dieser Wandel von einer
überwiegen durch physische Anforderungen geprägte Arbeitswelt zu einer stärker
durch psychischen Anforderungen geprägten, spiegelt sich auch in den Ursachen für
vorübergehende Arbeitsunfähigkeit wider.
199
Ralf Buchstaller
Abb. 11.1
Fälle der Arbeitsunfähigkeit (AU) nach Krankheitsarten in den Jahren
1999 bis 2009, Indexdarstellung 1998 = 100%
(Quelle: Macco & Stallauke, 2010, S. 296)
Wie aus Abbildung 11.1 zu ersehen ist, gab es in den letzten 10 Jahren einen annähernd kontinuierlichen Anstieg der Arbeitsunfähigkeit auf Grund psychischer Krankheiten. Hinsichtlich der Ursachen für die Arbeitsunfähigkeit rangieren die psychischen Erkrankungen nach Muskel- und Skeletterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Verletzungen auf dem 4. Platz. Hinsichtlich der Erkrankungsdauer liegen psychische Entstehungen jedoch auf Rang 2. (vgl. Barmer GEK, 2011). Psychische Erkrankungen sind gekennzeichnet durch eine lange Erkrankungsdauer. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer liegt bei 20,5 Tagen und liegt damit annähernd auf
dem Niveau von Krebserkrankungen (22,2 Tage). Diese Zahlen verdeutlichen, dass
den psychischen Belastungen im Zusammenhang mit Gefährdungsbeurteilungen
deutlich mehr Aufmerksamkeit erfordern, als dies vielleicht in den vergangenen Jahren der Fall war.
200
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
11.2
Rechtliche Grundlagen
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet die Unternehmen an den Arbeitsplätzen Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen (§ 5 Arbeitsschutzgesetz). Die Gefährdungsbeurteilung ist ein zentraler Bestandteil des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes; sie umfasst die systematische Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz.
Tab. 11.1
Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz
§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen
Grundsätzen auszugehen:
• Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;
• Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen;
• bei den Maßnahmen sind der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie
sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen
• Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz
sachgerecht zu verknüpfen;
• individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen;
§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich
sind.
(2) Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Bei
gleichartigen
Arbeitsbedingungen
ist
die
Beurteilung
eines
Arbeitsplatzes
oder einer Tätigkeit ausreichend.
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch
• die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
• physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
• die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von
Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
• die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit
und deren Zusammenwirken, unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten
201
Ralf Buchstaller
Die Gefährdung durch psychische Faktoren wird im Arbeitsschutzgesetz nicht direkt
angesprochen, auch dies mag mit dazu beigetragen haben, dass dieser Bereich
nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, den er angesichts des hohen gesundheitsgefährdenden Potentials verdient, wenngleich aus einer Reihe von Punkten, die in
§ 4 und § 5 genannt werden, eindeutig abzuleiten ist, dass auch psychische Faktoren
mit in die Gefährdungsbeurteilung aufzunehmen sind. Die neue Bedeutung, die diese
Faktoren nun erhalten wird auch daran ersichtlich, dass in einem Gesetzentwurf zur
Überarbeitung des Arbeitsschutzgesetzes folgende Neuerungen vorgesehen sind. In
§ 4 Nr. 1 wird von psychisch und psychischen Gesundheitsgefährdungen gesprochen. In § 5 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz sollen psychische Belastungen bei der Arbeit
als Gefährdungsfaktoren genannt werden, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind.
11.3
Begriffe und Definitionen zu psychischer Belastung und
Beanspruchung
Die Erfassung und Beurteilung der psychischen Belastung durch die Arbeit als auch
Maßnahmen zur Vermeidung von Belastungen müssen dem Stand der gesicherten
arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse, hier besonders der Arbeitspsychologie, entsprechen. Gefährdungsbeurteilungen werden überwiegend von Fachkräften für Arbeitssicherheit und/oder Arbeitsmediziner durchgeführt. Für beide Berufsgruppen ist
die Erfassung der psychischen Belastung keine Selbstverständlichkeit. Arbeits- und
Betriebspsychologen werden nur selten bei Gefährdungsbeurteilungen hinzugezogen. Ferner gibt es bisher nur wenige Standards für die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen im Bereich psychischer Belastung und Beanspruchung. Dies als
auch der Umstand, dass es eine schier unübersehbare Anzahl von Messinstrumenten zur Erfassung von psychischer Belastung und Beanspruchung mit unterschiedlichsten Ansätzen gibt, als auch der Umstand, dass sowohl Arbeitsmediziner
als auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit Gütekriterien für psychologische Testverfahren nur in den seltensten Fällen vertraut sind, lässt viele Praktiker davor zurückschrecken, die psychische Belastung und Beanspruchung in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig darzustellen, dass die Begriffe psychische Belastung und Beanspruchung durch die DIN EN ISO 10075 eindeutig definiert ist. Diese klare Definition stellt einen ungeheuren Vorteil dar. Sorgt sie doch
dafür, dass anders als bei vielen anderen psychologischen Konstrukten, wie etwa
Burnout oder Arbeitszufriedenheit eindeutig definiert ist, was unter psychischer Belastung und Beanspruchung zu verstehen ist. Sicherlich weist auch die Definition der
202
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
DIN ISO 10075 einige Schwächen auf. Stellt sie doch den kleinsten gemeinsamen
Nenner dar, doch bietet sie den unbestreitbaren Vorteil einer ersten sicheren Ausgangsbasis.
11.3.1
Psychische Belastung
Psychische Belastung (Definition nach DIN EN ISO 10075-1)
Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen
und psychisch auf ihn einwirken.
„Im Gegensatz zur Umgangssprache wird der Begriff „Psychische Belastung“ wertneutral und nicht negativ wertend verwendet. Der Mensch braucht psychische Belastung als „Motor“ für die menschliche Entwicklung. Menschen aus Berufen mit hoher
psychischer Belastung haben seit Jahrhunderten die höchste Lebenserwartung
(BAuA, 2010, Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben: Erkennen
– Gestalten, S. 7 zit. nach Scheuch, K, 1997, S. 289–296
Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken ergeben sich auf der Arbeitsaufgabe, aus den physikalischen Bedingungen
des Arbeitsplatzes, soziale und organisationale Faktoren, aber auch aus gesellschaftlichen Faktoren außerhalb der Organisation wie etwa aus der wirtschaftliche
Lage.
11.3.2
Psychische Beanspruchung
Psychische Beanspruchung (Definition nach der DIN EN ISO 10075-1)
Die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.
„Zu den überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen eines jeden Menschen gehören psychische Voraussetzungen wie Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen, Kenntnisse, Anspruchsniveau, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Motivation, Einstellungen, Bewältigungsstrategien sowie andere Voraussetzungen wie Gesundheitszustand, körperliche Konstitution, Alter, Geschlecht, Ernährungsverhalten,
Allgemeinzustand, aktuelle Verfassung, Ausgangslage der Aktivierung (BAuA, 2010,
Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben: Erkennen – Gestalten,
S. 10).
203
Ralf Buchstaller
Ein Beispiel soll den Zusammenhang von psychischer Belastung und Beanspruchung verdeutlichen: Die Aufgabe einer einstündigen Autofahrt (Belastung) führt in
Abhängigkeit von den Fahrfertigkeiten (Fahranfänger in der Fahrschule vs. routinierter Autofahrer) zu gänzlichen unterschiedlichen Beanspruchungen. Das hierbei auch
Punkte wie Ortskenntnisse, Gesundheitszustand usw. Einfluss haben, ist selbstverständlich.
11.3.3
Folgen der psychischen Beanspruchung
Die DIN ISO 10075 unterscheidet nicht nur zwischen psychischer Belastung und Beanspruchung sondern geht auch auf die Folgen der psychischen Beanspruchung ein.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung interessieren hier insbesondere die beeinträchtigenden Effekte. Hier wird die psychische Ermüdung, ermüdungsähnliche Zustände, Monotoniezustände sowie herabgesetzte Wachsamkeit und psychische Sättigung genannt. Hierbei handelt es sich um kurzfristige Folgen der psychischen Beanspruchung.
Ein Nachteil der DIN ISO 10075 ist sicherlich, dass neben den erwähnten Beanspruchungsfolgen auch bedeutsame weitere Beanspruchungsfolgen, wie etwa das ‚Gefühl der Überforderung bzw. Stress gibt.
Stadler (2000) definiert Stress als: „Überforderung oder Unterforderung: Subjektiv
wahrgenommene Diskrepanz zwischen Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten.“
Gerade auf diese bedeutsamen Beanspruchungsfolgen geht die DIN ISO 10 075
nicht ein. Begründet wird dies u.a. mit dem noch unzureichenden Forschungsstand
zum damaligen Zeitpunkt (1991) Mittlerweile ist jedoch unstrittig, dass insbesondere
Stress als bedeutsame Beanspruchungsfolge anzusehen ist.
11.4
Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung
Wie bereits erwähnt, gibt es eine kaum noch überschaubare Anzahl von Messinstrumenten zur psychischen Belastung bzw. deren Teilaspekte. Die DIN ISO 10075
gibt hier also einen guten ersten Hinweis, nach welchen Inhalten entsprechende
Testverfahren ausgesucht werden könnten. Darüber hinaus stellt die DIN ISO 10075
auch Forderungen darüber, „welche Spezifikation bei der Entwicklung von Messverfahren erforderlich sind, damit ein gegebenes Verfahren hinsichtlich seiner
Gebrauchstauglichkeit als Messverfahren für die Erfassung der psychischen Arbeitsbelastung bewertet werden kann.“ Dieser Aspekt erscheint besonders wichtig, da
immer wieder in der betrieblichen Praxis der Wunsch geäußert wird, ein bereits in der
204
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
Firma bestehenden Fragebogen zu verwenden und/oder ein bestehendes Messverfahren nur um einige Fragen zu ergänzen bzw. einige Fragen zu streichen. Häufig ist
nicht bekannt, welch hohen Anforderungen an die Entwicklung von psychologischen
Messverfahren hinsichtlich Objektivität, Reliabilität, Homogenität, und Validität gestellt werden. Ferner muss bekannt sein, mit welchen Verfahren diese Werte ermittelt
wurden, um jederzeit eine Replikationsstudie zu ermöglichen.
Die Vielzahl der bestehenden Messverfahren zur Erhebung der psychischen Belastung und Beanspruchung ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass Messverfahren zu gänzlich unterschiedlichen Zwecken entwickelt wurden und unterschiedliche
Einsatzbereiche unter-schiedliche Grade von Genauigkeiten erfordern. Stellt es doch
einen Unterschied dar, ob ein Fragebogen entwickelt wird für den Einsatz in Bereichen in denen von einem erheblichen Gefährdungspotential auszugehen ist oder ob
mit dem Fragebogen lediglich ein allgemeiner Überblick über verschiedene Belastungen mit unterschiedlichen Arbeitssystemen ermittelt werden soll.. Auch diesem
Umstand trägt die DIN ISO 10075 Rechnung, indem sie in Abhängigkeit des Verwendungszweckes des Messinstruments unterschiedliche Forderungen an die Qualität des Messinstruments stellt. Konkret unterscheidet die Norm drei Messstufen. Die
erste Stufe bezeichnet die höchste Präzessionsstufe. Verfahren dieser Stufe sind
Expertenverfahren. Bei der Stufe zwei handelt es sich um Screeningverfahren mit
einem mittleren Präzessionsniveau. Sie werden überwiegend dort angewandt, wo
Probleme hinsichtlich der psychischen Arbeitsbelastung zu erwarten sind. Diese Verfahren verfügen über eine nachgewiesene höhere Zuverlässigkeit und Validität. Auf
Basis der Befunde sind konkrete beanspruchungsmindernde Maßnahmen abzuleiten.
Auf Stufe drei sind Verfahren für Orientierungszwecke angesiedelt. Diese Verfahren
sollen dem Anwender allgemeine Informationen bezüglich der psychischen Arbeitsbelastung liefern. Sie kommt überwiegend in den Bereichen zum Einsatz, in denen
es keine Hinweise auf unangemessene Arbeitsbelastung gibt und in denen keine
besonderen psychischen Arbeitsbelastungen zu erwarten sind.
Neben diesen unterschiedlichen Präzessionsstufen können auch auf jeder dieser
Präzessionsstufen unterschiedliche Messtechniken, zum Beispiel subjektive Skalierungen oder objektive Aufgaben und Tätigkeitsanalysen, verwendet werden.
205
Ralf Buchstaller
11.5
Systematik zur Erfassung der psychischen Belastung und
Beanspruchung beim TÜV NORD
Aus den theoretischen Überlegungen der DIN ISO 10 075 abgeleitet hat der TÜV
Nord ein Modell zur Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung entwickelt, in dem sowohl die unterschiedlichen Präzessionsstufen als auch unterschiedliche Messtechniken eingebunden sind. In diesem Modell werden auf der Stufe
der orientierenden Verfahren (Stufe 1 in diesem Model) und den screening Verfahren
jeweils zwei unterschiedliche Messtechniken angeboten (objektive Verfahren oder
subjektive Verfahren).
Abb. 11.2
11.5.1
Systematik zur Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung beim TÜV NORD
Orientierendes Verfahren / subjektives Verfahren:
ChEF – Checklisten zur Erfassung von Fehlbeanspruchungsfolgen
Das Verfahren wurde von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
entwickelt und orientiert sich an den Vorgaben der DIN EN ISO 10075.
Die ChEF-Listen sind teilvalidiert und auf Basis der vorläufigen Prüfungsergebnissen
werden die testtheoretischen Gütekriterien für orientierende Verfahren nach ISO
10075-Teil 3 weitestgehend erfüllt. Die in den Checklisten enthaltenen Merkmale
sind literaturgestützt abgeleitet und entsprechen im Wesentlichen den arbeitspsychologischen Erkenntnissen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben
206
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
11.5.2
Orientierendes Verfahren / objektives Verfahren:
KPB – Kurzverfahren psychische Belastung
„Das KPB ist ein einfaches, stufig aufgebautes Verfahren, mit dessen Hilfe eine Beurteilung der psychischen Belastung an Arbeitsplätzen möglich ist“ (Neuhaus, R.,
2009). Das Verfahren wurde vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaften entwickelt und orientiert sich an den Vorgaben der DIN EN ISO 10075.
Das KPB wurde 2007 in einer Überprüfung an 116 Arbeitsplätzen unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Rainer Tielsch (Bergische Universität Wuppertal) in
Kooperation mit dem Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW e.V. einer Analyse bzgl. der Messeigenschaften und Praktikabilität unterzogen. Das Ergebnis ist,
dass das Verfahren die quantitativen Anforderungen der DIN EN ISO 10075-3 für
orientierende Verfahren zur Messung psychischer Arbeitsbelastung erfüllt. Dieser
Nachweis wurde bislang nur für wenige Verfahren mit gleicher Zielrichtung erbracht.
Ziel des Verfahrens ist es, individuumsübergreifende Ursachen zu beschreiben und
Ergebnisse personenunabhängig zu werten, wodurch Merkmale der Arbeitsbedingungen und nicht Eigenschaften bzw. Bewältigungsstrategien der Mitarbeiter beurteilt werden.“
11.5.3
Screening Verfahren / objektives Verfahren:
SIGMA – Screening-Instrument zur Bewertung und Gestaltung von
menschengerechten Arbeitstätigkeiten
Das Instrument SIGMA wurde im Auftrag des ehemaligen Ministeriums für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen am Lehrstuhl für Arbeitsund
Organisationspsychologie
der
Ruhr-Universität
Bochum
entwickelt
(www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-undPraxisbeispiele/SIGMA-und-BASA/SIGMA.html).
SIGMA ist ein Verfahren zur Analyse und Dokumentation von Belastungen, die
gesundheitsgefährdende Folgen nach sich ziehen können. Es lassen sich Arbeitstätigkeiten aus verschiedenartigen Anwendungsbereichen (z.B. im Büro, in der Produktion, in der Krankenpflege usw.) untersuchen. Mit SIGMA werden bestehende
Probleme aufgedeckt, die aus den folgenden Bereichen stammen können:
Arbeitstätigkeit
Arbeitsumgebung
Arbeitsorganisation
Besondere Anforderungen / Spezifische Belastungen“
207
Ralf Buchstaller
11.5.4
Screening Verfahren / subjektives Verfahren:
BASA II – Bewertung von Arbeitsbedingungen - Screening für
Arbeitsplatzinhaber
„BASA ist eine Screeningverfahren, das im Rahmen betrieblicher Gefährdungsbeurteilungen eingesetzt werden kann. Mit dem Verfahren BASA werden Arbeitsplatzinhaber zu den Arbeitsbedingungen an ihren Arbeitsplätzen befragt. Das Ziel von ASA
besteht darin, förderliche und beeinträchtigende Bedingungen der Arbeit zu ermitteln.
Auf der Grundlage der Bewertung der Arbeitsbedingungen können Maßnahmen des
Arbeitsschutzes, ein möglicher Diskussionsbedarf und Ressourcen abgeleitet werden. So werden in BASA Gestaltungserfordernisse, die Durchführung von Expertenanalysen und ein möglicher Qualifizierungsbedarf der Führungskräfte und Mitarbeiter
angezeigt“ (Richter, Schatte, 2011, S.7).
11.5.5
Expertenverfahren:
Moderierte Gefährdungsbeurteilung
Die moderierte Gefährdungsbeurteilung ist ein Expertenverfahren, mit dessen Hilfe
spezielle auf den konkreten Arbeitsplatz bezogene Belastungen identifiziert werden
können und eine genauere Einschätzung des hieraus resultierenden Grades der Beanspruchung möglich ist. Zur Erreichung dieses Ziels werden unter der Leitung von
Diplom-Psychologen im Rahmen eines Workshops von den Arbeitsplatzinhabern die
konkreten Belastungen und Beanspruchungen identifiziert. Ebenfalls wird der von
den Arbeitsplatzinhabern erlebte Ausprägungs-grad von Beanspruchungen erfasst.
Auf der Basis der so durch die Arbeitsplatzinhaber selbst erfassten und skalierten
Fehlbeanspruchungen sollen von den Arbeitsplatzinhabern unter Leitung von Arbeitspsychologen konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der Fehlbeanspruchung
entwickelt werden. Hierbei soll nicht ausschließlich eine defizitorientierte Sichtweise
eingenommen werden, sondern auch berücksichtigt werden, inwieweit bestehende
Ressourcen zur Beseitigung von Fehlbeanspruchungen genutzt werden können.
Es ist selbstverständlich, dass im Rahmen solcher moderierten Gefährdungsbeurteilungen die auf Messwiederholungen ausgelegten Gütekriterien der DIN ISO 10 075
Norm nicht angewendet werden können.
In der Praxis zeigt es sich, dass insbesondere in problematischen Bereichen, etwa
im IT-Bereich, mit den dort gegebenen häufig projektbezogenen typischen psychischen Belastungen durch eine Kombination von Screeningverfahren und moderierte
Gefährdungsbeurteilung sehr gute Ergebnisse sowohl hinsichtlich der Identifizierung
von Belastung und Beanspruchung, abzuleitenden Maßnahmen zur Beanspruchungsminderung und Akzeptanz des Verfahrens bei den Betroffenen erreicht werden können.
208
Psychische Belastungen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
11.6
Zusammenfassung und Ausblick
Es wurde versucht, auf der Basis der Vorgaben der DIN ISO 10075 ein praxistaugliches System zur Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung zu
erstellen, in dem sowohl die in der DIN ISO 10075 genannten unterschiedlichen
Präzessionsstufen als auch unterschiedliche Messtechniken einfließen. Zur Umsetzung dieses Systems wurde auf geeignet und wissenschaftlich anerkannte Verfahren
zurückgegriffen, die im Wesentlichen die Anforderungen an Objektivität, Zuverlässigkeit, Gültigkeit, Messempfindlichkeit und diagnostische Aussagekraft die Forderung
der DIN ISO 10075 erfüllen. Die hohen Qualitätsanforderungen hinsichtlich des Expertensystems werden dadurch gewährleistet, dass die moderierte Gefährdungsbeurteilung ausschließlich durch speziell geschulte Arbeits- und Betriebspsychologen
durchgeführt wird.
In der Praxis zeigte sich jedoch auch, dass bereits der Einsatz von orientierenden
Verfahren durchaus vertiefte Fachkenntnisse hinsichtlich des Konzepts der psychischen Belastung und Beanspruchung erfordert. Diese sind ist bei vielen betrieblichen
Fachkräften häufig nicht vorhanden. Es bedarf hier erhebliche Anstrengung, um die
Verantwortlichen entsprechend zu schulen und auszubilden. Nur so kann gewährleistet werden, dass eine flächendeckende Durchführung der Gefährdungsbeurteilung
psychische Belastung und Beanspruchung möglich ist. Darüber hinaus bedarf es
eindeutiger Vorgaben, mit welchen Inhalten eine Gefährdungsbeurteilung psychische
Belastung und Beanspruchung umzusetzen ist und welche Maßnahmen bei festgestelltem Gefährdungspotential zu ergreifen sind. Hier bestehen zurzeit keinerlei Vorgaben. Dies führt teilweise dazu, dass in der Praxis vollkommen überzogene Erwartungen in Verbindung mit der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung und Beanspruchung gestellt werden, andererseits aber auch vollkommen unberechtigte Befürchtungen hinsichtlich des mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verbundenen Aufwandes und der hieraus abzuleitenden Maßnahmen bestehen.
209
Ralf Buchstaller
Abb. 11.3
Beim 84. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium stellte Dr. Ralf
Buchstaller vom TÜV Nord aus Hamburg ein dreistufiges Verfahren vor.
Abb. 11.4
Am 24. Juni 2012 beteiligten sich rund 30 Fachleute aus NordrheinWestfalen an der sommerlichen Abendveranstaltung in Wuppertal.
210
Autoren- und Herausgeberverzeichnis
12
Autoren- und Herausgeberverzeichnis
Dr. Ralf Buchstaller
Medizinisch-Psychologische Institut (MPI) des TÜV Nord, Hamburg
Dr.-Ing. Yvonne Drewitz
TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Berlin
Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang
Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER),
Wuppertal
Dipl.-Ing. Dirk Moritz
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Referat III b 5
„Geräte- und Produktsicherheit“, Bonn
apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper
Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht der
Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
Dr. Christoph Pistner
Öko-Institut e.V., Darmstadt
Dr. Gabriele Richter
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Gruppe 3.5
„Psychische Belastungen, Betriebliches Gesundheitsmanagement“, Dresden
Dr. Bernd Schalau
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Fachgruppe II.1
„Gase, Gasanlagen“, Arbeitsgruppe „Explosionsschutz und Risikobewertung“,
Berlin
Dipl.-Ing. Ulf Steinberg
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Gruppe 3.1
„Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen“, Berlin
211
Autoren- und Herausgeberverzeichnis
Dipl.-Soz.-Wiss. Kathrin Wahnschaffe
Fachgebiet Sicherheitstechnik / Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
heute: Georg-August-Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliche Fakultät,
Institut für Sportwissenschaften, Arbeitsbereich Sportsoziologie, Göttingen
Dr. Lutz Wienhold
ehem. Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung mbH
(Systemkonzept), Köln
Dr. jur. Martin Wolmerath
Rechtsanwaltsbüro, Hamm
Manfred Zöllmer, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages, Wuppertal / Berlin
212
Veranstaltungsverzeichnis
13
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2004
Neue Wege bei der Prävention:
Das Konzept der Steinbruch-Berufsgenossenschaft (StBG)
1. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 27. April 2004 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Helmut Ehnes
Leiter des Geschäftsbereiches Prävention der
Steinbruchs-Berufsgenossenschaft, Langenhagen
Neugestaltung der rechtlichen Anforderungen der Berufsgenossenschaften
im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz
2. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 8. Juni 2004 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Manfred Rentrop
stv. Leiter der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für
Sicherheit und Gesundheit (BGZ), Sankt Augustin
Responsible Care - eine weltweite Initiative der chemischen Industrie
zur kontinuierlichen Verbesserung bei Sicherheit, Gesundheit
und Umweltschutz
3. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 22. Juni 2004 in Wuppertal
Dr. Birgit Sewekow
Koordinatorin für Responsible Care bei der Bayer Industry Services
GmbH & Co. OHG, Leverkusen
Staatliche Arbeitsschutzaufsicht zwischen Deregulierung,
Verwaltungsreform und neuen Herausforderungen
4. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 27. Juli 2004 in Wuppertal
Dr. rer. nat. Bernhard Brückner
Leiter der Abteilung „Arbeit, Arbeitsschutz“ im Hessischen Sozialministerium,
Wiesbaden
213
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2004/05
Die neue Konzeption der Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit –
Rahmenbedingungen, Inhalte und Erfahrungen
5. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. November 2004 in Wuppertal
Dipl.-Sozialwirt Wieland Wettberg
Leiter der Gruppe 3.1 „Arbeitsschutzorganisation, Qualifizierung“ bei der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund
Neue Entwicklungen bei der sicherheitstechnischen
und betriebsärztlichen Betreuung
6. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 30. November 2004 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Gerhard Strothotte
Leiter der Abteilung „Sicherheit“ bei der Berufsgenossenschaftlichen
Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (BGZ), Sankt Augustin
Gesünder Arbeiten mit System – Chefsache Arbeitschutz:
Ein Angebot des Staatlichen Amtes für Arbeitsschutz in Wuppertal
7. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 14. Dezember 2004 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Elke Lins
Leiterin des Dezernats „Arbeitsschutzsystem, Strahlenschutz“ beim
Staatlichen Amt für Arbeitsschutz Wuppertal, Wuppertal
Nützliche Online-Werkzeuge für Sicherheitsingenieure und
andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit
8. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 18. Januar 2005 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang
Leiter des Bereichs „Sicherheitstechnik und Arbeitsschutz“ beim
Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V.
(ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
214
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2005
Instrumente zur Bewertung der betrieblichen Qualität des Arbeitsschutzes
9. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 10. Mai 2005 in Wuppertal
Dipl.-Psych. Andreas Saßmannshausen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ beim
Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V.
(ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
Produktsicherheit und Wettbewerb: Staatliche Verantwortung
zwischen Verbraucherschutz und Marktwirtschaft
10. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Mai 2005 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Matthias Honnacker
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe 2.1
„Produktbeschaffenheit, Grundsatzfragen“ bei der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund
Management von Sicherheit und Gesundheitsschutz – ein Unternehmensziel
11. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 31. Mai 2005 in Wuppertal
Dr. Albert Ritter
Leiter des Instituts Forschung • Beratung • Training (FBT), Otterberg
Arbeitnehmermitwirkung im europäischen Arbeitsrecht
12. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 14. Juni 2005 in Wuppertal
Prof., Dr., Dr. h.c. Manfred Weiss
Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits-, Wirtschafts- und Zivilrecht
und Professur Arbeitsrecht im Fachbereich Rechtswissenschaft in der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main
Methodik und Erfahrungen mit Audits im Bereich
Sicherheit und Gesundheitsschutz
13. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 12. Juli 2005 in Wuppertal
Dr. Siegfried Böhm
Freier Unternehmensberater, Pulheim
Mitglied des Beraterkreises "Arbeitsschutzmanagement" beim
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), Berlin
215
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2005/06
Gesünder Arbeiten in NRW
14. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 8. November 2005 in Wuppertal
Dr. Gottfried Richenhagen
Leiter des Referates II 2 „Übergreifende Fragen des Arbeitsschutzes,
Arbeitsorganisation, Arbeitsschutzrecht, Arbeitsrecht“ beim Ministerium
für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
(MAGS NRW), Düsseldorf
Älterwerden der Gesellschaft als Herausforderung
für den betrieblichen Arbeitsschutz
15. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 6. Dezember 2005 in Wuppertal
Dr. Thomas Langhoff
Geschäftsführer der Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen GmbH
(Prospektiv), Dortmund
SOBANE - A participative management strategy
to improve health and safety at work
16. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 17. Januar 2006 in Wuppertal
Prof., Dr. Jacques B. Malchaire
Occupational Hygiene and Work Physiology Unit Catholic University of Louvain,
Brüssel
Anforderungen an das betriebliche Arbeitsschutzrecht aus Arbeitgebersicht
17. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Januar 2006 in Wuppertal
RA Saskia Osing
Referentin bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA),
Berlin
Netzwerke für Sicherheit und Gesundheitsschutz: Theorie und Praxis
18. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 31. Januar 2006 in Wuppertal
Dr. Kai Seiler
Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Landesanstalt für Arbeitsschutz
Nordrhein-Westfalen (LAfA NRW), Düsseldorf
216
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2006
Duales Arbeitsschutzsystem in Deutschland Stand der Debatte aus Sicht des staatlichen Arbeitsschutzes
19. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 25. April 2006 in Wuppertal
Dr. Eleftheria Lehmann
Vorstandsvorsitzende vom Verein Deutscher Gewerbeaufsichtsbeamter e.V.
(VDGAB), Berlin
Aktuelle Fragen der Gefahrstoffverordnung 2005
20. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. Mai 2006 in Wuppertal
Dr. Henning Wriedt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Beratungs- und Informationsstelle
Arbeit und Gesundheit, Hamburg (BAG), Hamburg
Neue Qualität der Arbeit: Strategie, Schwerpunkte, Perspektiven
21. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 30. Mai 2006 in Wuppertal
Dipl.-Ing. André Große-Jäger
Leiter des Referates III b 7 „Fachaufsicht BAuA, Arbeitswissenschaft,
Branchenspezifische Fragen des Arbeitsschutzes“ beim
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn
CE-Kennzeichnung von Maschinen - Aktuelle Handlungshilfen
22. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 20. Juni 2006 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Andrea Lange
Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Berufsforschungs- und Beratungsinstitut
für interdisziplinäre Technikgestaltung e.V. (BIT), Bochum
Sifa was nun? Rahmenbedingungen und zeitgemäße Anforderungen
an die Fachkraft für Arbeitssicherheit
23. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 4. Juli 2006 in Wuppertal
Dr. Lutz Wienhold
Geschäftsführer der Gesellschaft für Systemforschung und
Konzeptentwicklung mbH (Systemkonzept), Köln
217
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2006/07
Zur Systematik der Sicherheitswissenschaft
24. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Oktober 2006 in Wuppertal
Univ.-Prof., Dr. rer. pol. Volker Ronge
Professor für Allgemeine Soziologie und Rektor der Bergischen Universität
Wuppertal, Wuppertal
Der Arbeitskampf - Historische und aktuelle Aspekte eines Grundtatbestands
der Arbeitsbeziehungen
25. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 5. Dezember 2006 in Wuppertal
Univ.-Prof. em., Dr. jur. Michael Kittner
em. Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Kassel
und langjähriger Justitiar der IG Metall, Kassel
Integrierte Services zum Themenbereich Beschäftigungsfähigkeit –
Neues Arbeiten in NRW: Erfahrungen und Ausblick
26. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 12. Dezember 2006 in Wuppertal
RGD Dipl.-Ing. Michael Deilmann
Referent im Referat II 2 „Übergreifende Fragen des Arbeitsschutzes, Arbeitsorganisation, Arbeitsschutzrecht, Arbeitsrecht“ Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW), Düsseldorf
Betriebliches Management von Sicherheit und Gesundheitsschutz –
Aktuelle Aktivitäten der Berufsgenossenschaften
27. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. Januar 2007 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Josef Merdian
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (BGN), Nürnberg
Ziele, Entwicklung und Ergebnisse des Entgelt-Rahmen-Abkommens (ERA)
28. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 23. Januar 2007 in Wuppertal
Dipl.-Psych. Axel Hofmann
METALL NRW - Verband der Metall- und Elektro-Industrie
Nordrhein-Westfalen e.V., Düsseldorf
Europäische Chemikalienpolitik (REACh) –
Erfahrungen aus betrieblichen Beratungen
29. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 6. Februar 2007 in Wuppertal
Dipl.-Chem. Kerstin Heitmann
Institut für Ökologie und Politik GmbH (Ökopol), Hamburg
218
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2007
REACh: Eigenverantwortung als Regulierungskonzept –
Spannungsverhältnis zum Anlagen- und Wasserrecht?
30. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 17. April 2007 in Wuppertal
Prof., Dr. jur. Martin Führ
Hochschule Darmstadt, Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse (sofia),
Darmstadt
Seveso, Bhopal, Toulouse keine Ende abzusehen?
Stand und Erwartungen an eine zeitgemäße Störfallvorsorge
31. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. Mai 2007 in Wuppertal
Dr. Hans-Joachim Uth
Umweltbundesamt (UBA), Fachgebiet Anlagensicherheit, Störfallvorsorge, Dessau
Arbeitshygiene - Ein Handlungsfeld für Sicherheitsingenieure
32. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 5. Juni 2007 in Wuppertal
Dr.-Ing. Frank Hamelmann
Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Arbeitshygiene e.V. (DGAH),
Köln
Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
33. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 19. Juni 2007 in Wuppertal
Prof., Dr. jur. Olaf Deinert
Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Bremen
Methodischer Ansatz für ein interdisziplinäres Konzept der Sicherheitstechnik
34. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 10. Juli 2007 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Wolf-Dieter Pilz
Leiter des VDI Arbeitskreises Technische Sicherheit, Düsseldorf / München
219
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2007/08
Menschengerechte Arbeitszeitgestaltung
35. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. November 2007 in Wuppertal
WissD’in Dr. Beate Beermann
Leiterin der Gruppe 1.2 „Politikberatung, Soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA),
Dortmund
Der Wuppertaler Schwebebahnunfall aus juristischer Sicht –
Verantwortung und Haftung
36. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. November 2007 in Wuppertal
RA Andreas Klett
Kanzlei Prellwitz, Klett & Kollegen, Langenfeld
Altersgerechte Montage in der Automobilindustrie
37. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 4. Dezember 2007 in Wuppertal
Prof., Dr. phil. Ekkehart Frieling
Universität Kassel, Institut für Arbeitswissenschaft und Prozessmanagement, Kassel
Sicherheit und Gesundheit in den mittel- und osteuropäischen
Beitrittsstaaten – Erfahrungen aus Twinningprojekten
38. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Januar 2008 in Wuppertal
Dr. rer. nat. Bernhard Brückner
Hessisches Sozialministerium (HSM), Wiesbaden
Arbeitsschutz im Umbruch –
Eine Zeitreise von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart
39. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. Januar 2008 in Wuppertal
Staatssekretär Rudolf Anzinger
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Berlin
Sicheres und gesundes Lernen, Lehren und Forschen
an der Bergischen Universität Wuppertal
40. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 29. Januar 2008 in Wuppertal
Universitätskanzler Hans Joachim von Buchka
Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal
220
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2008
Neue Entwicklungen in der sicherheitstechnischen und
betriebsärztlichen Betreuung
41. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. April 2008 in Wuppertal
Dipl.-Ing Gerhard Strothotte
Abteilung Sicherheit und Gesundheit in der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin
Risikofaktor Arbeitszeit
42. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 20. Mai 2008 in Wuppertal
Prof., Dr. Friedhelm Nachreiner
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg
Unsichere Produkte und Strategien der Marktüberwachung
43. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 17. Juni 2008 in Wuppertal
Dir. und Prof. Dr. Karl-Ernst Poppendick
Leiter des Fachbereichs 2 „Produkte und Arbeitssysteme“ der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund
Aktuelle Aktivitäten des Bundesministerium für Arbeit und Soziales
im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit
44. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. Juni 2008 in Wuppertal
MR Michael Koll
Leiter der Unterabteilung Arbeitsschutz im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn
Methoden zur Ermittlung und Beurteilung von arbeitsbedingten Beschwerden
und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sowie Präventionskonzepte
45. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Juli 2008 in Wuppertal
Dipl.-Ing., M. Sc. André Klußmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik
und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
221
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2008/09
Die Ursachen der juvenilen Adipositas in der modernen Gesellschaft
46. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 28. Oktober 2008 in Wuppertal
Dr. Michael M. Zwick
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Sozialwissenschaften
der Universität Stuttgart, Stuttgart
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie – Anforderungen an das
staatliche Aufsichtshandeln im Arbeitsschutz
47. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 18. November 2008 in Wuppertal
Dr. jur. Jörg Windmann
Leiter der Abteilung 5 „Justiziariat, Fahrpersonalrecht„ im
Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover, Hannover
Gefährdungsfaktor Lärm – Aktuelle Aspekte der Prävention
48. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 9. Dezember 2008 in Wuppertal
WissD Dr. Patrick Kurtz
Leiter der Gruppe 2.6 „Emission von Maschinen, Lärm“ der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund
Die neue Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
49. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 13. Januar 2009 in Wuppertal
MinR’in Rita Janning
Leiterin des Referats „Arbeitsschutzrecht, Arbeitsmedizin, Prävention nach dem
SGB VII“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn
Arbeitsschutz in der Krise – Rechte der Beschäftigten
“S“. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 3. Februar 2009 in Wuppertal
apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper
Leiter des Fachgebiets Sicherheits- und Qualitätsrecht in der
Abteilung Sicherheitstechnik im Fachbereich D der
Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal
222
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2009
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin –
Aufgaben und Perspektiven
50. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 28. April 2009 in Wuppertal
Präsidentin und Prof. Isabel Rothe
Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA),
Dortmund / Berlin / Dresden
Prozessorientierte Produkterstellung mit dem Leitfaden für Hersteller
zur Anwendung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes
51. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. Mai 2009 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Christof Barth
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für Systemforschung
und Konzeptentwicklung GmbH (Systemkonzept), Köln
Vibrationen – Gefährdungen, Maßnahmen, Handlungshilfen
52. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Mai 2009 in Wuppertal
Dr.-Ing. Gerhard Neugebauer
Leiter der Fachstelle „Lärm und Vibrationen“ in der Präventionsabteilung
der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, Düsseldorf
Geräte- und Produktsicherheitsgesetz: Aktuelle Entwicklungen
53. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 9. Juni 2009 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Dirk Moritz
Referent im Referat III c 6 „Geräte- und Produktsicherheit“ des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn
Lebensmittelüberwachung in Wuppertal – Ein Beitrag zum Verbraucherschutz
54. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 30. Juni 2009 in Wuppertal
Dr. Günter Brengelmann
Leiter des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes der Stadt Wuppertal,
Wuppertal
223
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2009/10
Gesundheitsrisikoinformationen für Produkte:
Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts
55. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. Oktober 2009 in Wuppertal
Prof., Dr. Günter Borchert
Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht der Schumpeter School of Business and
Exonomics der Bergischen Universität Wuppertal
Arbeit(s)(nehmer)schutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?
56. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Dezember 2009 in Wuppertal
Dr. Joachim Larisch
Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen
Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe
57. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. Januar 2010 in Wuppertal
PD, Dr. Michael Stein
Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, Abteilung Ergonomie, Manching
Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen?
Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht
58. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Januar 2010 in Wuppertal
MinR, Dipl.-Ing. Thomas Just
Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, Referat III 4B
“Produkt- und Betriebssicherheit“, Wiesbaden
Gesundheitscampus NRW:
Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW
59. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 2. Februar 2010 in Wuppertal
PD, Dr. Andreas Meyer-Falcke
Leiter des Strategiezentrums Gesundheit des Gesundheitscampus
Nordrhein-Westfalen, Bochum
224
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2010
Atypische Beschäftigung – Entwicklung Muster und Regulierungsprobleme
60. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. April 2010 in Wuppertal
Dr. Hartmut Seifert
ehem. Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der
Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf
Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf
das europäische Recht
61. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 11. Mai 2010 in Wuppertal
Ass. jur. Maika Beer
ehem. wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches
und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Witten
Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber
am Beispiel eines Müllheizkraftwerks
62. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 18. Mai 2010 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Holger Rabanus
Leiter Arbeitssicherheit, Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH Wuppertal (AWG)
Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit
63. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Juni 2010 in Wuppertal
Prof., Dr. Christian Jochum
Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS), Bad Soden
Theorie und Praxis der Risikoanalyse
64. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. Juli 2010 in Wuppertal
Dr., Dipl.-Phys. Helmut Spangenberger
Gesellschaft für Anlagen- und Betriebssicherheit mbH, Bad Dürkheim
225
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2010/11
Von Zäunen befreit – Mensch-Roboter-Kollaboration
65. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 9. November 2010 in Wuppertal
M.Sc. Dipl.-Ing. (FH) Björn Ostermann
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA),
Sankt Augustin
Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit und Instandhaltung in den Betrieben
der Braunkohlenindustrie
66. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 23. November 2010 in Wuppertal
Dr. Norbert Roskopf
Geschäftsführender Gesellschafter der Roskopf Vulkanisation GmbH, Aachen
Die Neufassung der Gefahrstoffverordnung 2010
67. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 11. Januar 2011 in Wuppertal
Dr. Helmut A. Klein
Leiter der Referats III b 3 „Gefahrstoffe, Chemikaliensicherheit,
Bio- und Gentechnik, Betriebs- und Anlagensicherheit“ im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn
Zukunft der Arbeit – Entwicklungstrends und Gestaltungsanforderungen
aus Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
68. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 25. Januar 2011 in Wuppertal
Prof. Dr. Rainer Schlegel
Leiter der Abteilung III „Arbeitsrecht, Arbeitsschutz“ des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Berlin
Die sicherheitstechnische und betriebsärztliche Regelbetreuung
nach der DGUV Vorschrift 2
69. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Februar 2011 in Wuppertal
Dr. Frank Bell
Leiter des Referats "Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes" der
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV), Sankt Augustin
226
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2011
Sicherheit von Großveranstaltungen –
Zum Stand der Technik aus Sicht der operativen Gefahrenabwehr
70. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. April 2011 in Wuppertal
Dr. Jörg Schmidt
Stabsstelle Städtisches Krisenmanagement & Bevölkerungsschutz
der Stadt Köln, Köln
Kriterien für die Beurteilung von Gefährdungen durch technische Anlagen
71. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 10. Mai 2011 in Wuppertal
Prof. Dr.-Ing. Ulrich Hauptmanns
ehem. Leiter des Instituts für Apparate- und Umwelttechnik (IAUT) der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg
Ermittlung von Kriterien und Erkenntnissen zu Notwendigkeit, Art und
Umfang sicherheitstechnischer Prüfungen von Arbeitsmitteln
(einschließlich Anlagen)
72. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. Mai 2011 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Christof Barth
Bereichsleitung Technischer Arbeitsschutz der Gesellschaft für Systemforschung
und Konzeptentwicklung mbH (Systemkonzept), Köln
Forschung für die Prävention – Das Institut für Arbeitsschutz der
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
73. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 7. Juni 2011 in Wuppertal
Prof. Dr. Helmut Blome
Direktor des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin
Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen –
Warum wird manipuliert und was kann man dagegen tun?
74. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 28. Juni 2011 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Ralf Apfeld
Leiter des Referats „Maschinen und Anlagen“ des Instituts für Arbeitsschutz
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin
227
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2011/12
Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen
75. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. November 2011 in Wuppertal
Dr. Christoph Pistner
Öko-Institut e.V., Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Darmstadt
Die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse – LMM MA
76. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. Dezember 2011 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Ulf Steinberg
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA),
Gruppe 3.1 „Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen“, Berlin
Risikobasierte Methodik zur Ableitung von Prüfpflichten für Arbeitsmittel
77. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 10. Januar 2012 in Wuppertal
Prof. Dr. Ralf Pieper
Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich D, Abteilung Sicherheitstechnik,
Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht, Wuppertal
Psychische Belastung bei der Arbeit –
Stand der Erkenntnisse und Handlungshilfen
78. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. Januar 2012 in Wuppertal
Dr. Gabriele Richter
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin
Sicherheit im Spannungsfeld von Gefahrenabwehr und Freiheitsrechten
79. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 31. Januar 2012 in Wuppertal
Dipl. Sozialwiss. Kathrin Wahnschaffe
Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich D, Abteilung Sicherheitstechnik,
Fachgebiet Sicherheitstechnik / Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe,
Wuppertal
heute: Georg-August-Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliche Fakultät,
Institut für Sportwissenschaften, Arbeitsbereich Sportsoziologie, Göttingen
228
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2012
Sicherheit von Großveranstaltungen –
Zum Stand der Technik aus Sicht der operativen Gefahrenabwehr
80. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. April 2012 in Wuppertal
Dr. Lutz Wienhold
ehem. Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung mbH
(Systemkonzept), Köln
Das neu Produktsicherheitsgesetz
81. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Mai 2012 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Dirk Moritz
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS),
Referat III b 5 „Geräte- und Produktsicherheit“, Bonn
Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz – Wegschauen oder Handeln?
82. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 5. Juni 2012 in Wuppertal
RA Dr. jur. Martin Wolmerath
Lehrbeauftragter an der TFH Bochum, Lehrbeauftragter an der TU Ilmenau,
Ehrenamtlicher Richter am LAG Hamm, Rechtsanwaltsbüro, Hamm
Quantitative Risikoanalyse: Methodik und Anwendungsbeispiele
83. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 19. Juni 2012 in Wuppertal
Dr.-Ing. Yvonne Drewitz
TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Berlin
Psychische Belastungen – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis
84. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Juni 2012 in Wuppertal
Dr. Ralf Buchstaller
Medizinisch-Psychologische Institut (MPI), TÜV Nord, Hamburg
229
Veranstaltungsverzeichnis
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2012/13
Wirtschafts- und Finanzkrise als Herausforderung für die Zukunft der Arbeitswelt
85. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 13. November 2012 in Wuppertal
Manfred Zöllmer, MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages, Wuppertal / Berlin
Auf dem Weg in die Sicherheitsgesellschaft?
86. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 11. Dezember 2012 in Wuppertal
Prof. Dr. Peter Imbusch
Professur für Soziologie, Bergische Universität Wuppertal
Psychische Belastungen bei der Arbeit aus Arbeitgebersicht
87. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Januar 2013 in Wuppertal
Dipl.-Ing. Norbert Breutmann
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Berlin
Aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit –
Aktivitäten der Kommission für Anlagensicherheit (KAS)
88. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 29. Januar 2013 in Wuppertal
Prof. Dr. Thomas Schendler
Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS);
Direktor der Abteilung II „Chemische Sicherheitstechnik“ der
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin
Stress am Arbeitsplatz – Einflussfaktoren, Auswirkungen und Modelle
89. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 5. Februar 2013 in Wuppertal
Prof. Dr. Johannes Siegrist
Seniorprofessur „Psychosoziale Arbeitsbelastungsforschung“,
Heinrich Heine Universität Düsseldorf
230
Verzeichnis der Forschungsberichte
14
Verzeichnis der Forschungsberichte
SCHAFFELD, W.; LANG, K.-H.; GEBHARDT, HJ.:
Hitzearbeit in der Aluminiumindustrie
Forschungsbericht - Nr. 1, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2001
GEBHARDT, HJ.; LANG, K.-H.:
Beurteilung der Belastungen durch manuelle Handhabung von Lasten
beim Einlegen von Prospekten in der Zeitungsproduktion
Forschungsbericht - Nr. 2, Institut ASER e.V., Wuppertal, August 2001
LANG, K.-H.; SCHRAMM, H.:
Hitzearbeit in der Papierindustrie
Forschungsbericht - Nr. 3, Institut ASER e.V., Wuppertal, Dezember 2001
ECHTERHOFF, W.; KRAFT, C.:
Sicherungssysteme an Gewässern - Analyse verhaltenswissenschaftlicher Bedingungen von Unfällen externer Personen
Forschungsbericht - Nr. 4, Institut ASER e.V., Wuppertal, März 2002
SASSMANNSHAUSEN, A.; LANG, K.-H.:
Evaluation des Umsetzungsstandes der sicherheitstechnischen und
arbeitsmedizinischen Betreuung in den deutschen Niederlassungen
eines internationalen Logistikunternehmens
Forschungsbericht - Nr. 5, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juli 2003
SEILER, K.; RODOULI, F.; LANG, K.-H.; MÜLLER, B.H.:
Untersuchungsergebnisse zur Reflektion beteiligter Netzwerkpartner
am Kooperationsnetzwerk “Gesünder Arbeiten mit System“ der
rheinisch-bergischen Region
Forschungsbericht - Nr. 6, Institut ASER e.V., Wuppertal, November 2003
TASCHBACH, T.; LANG, K.-H.; MÜLLER, B.H.:
Ergonomische Gestaltung von Maschinen: Berücksichtigung von
europäischen Normen bei der Konstruktion von Maschinen
Forschungsbericht - Nr. 7, Institut ASER e.V., Wuppertal, Dezember 2003
231
Verzeichnis der Forschungsberichte
RODOULI, F.:
Commitment und Motivation von Informationsgebern in einem
virtuellen Informations-Netzwerk zum Arbeitsschutz
Forschungsbericht - Nr. 8, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2004
SASSMANNSHAUSEN, A.; RODOULI, F.; LANG, K.-H.; TIELSCH, R.;
SEILER, K.:
Orientierende Bestandsaufnahme zur Beteiligung von Unternehmen
an Kooperationsnetzwerken mit dem Schwerpunkt 'Betriebliche
Gesundheitsförderung'
Forschungsbericht - Nr. 9, Institut ASER e.V., Wuppertal, Mai 2004
LANG, K.-H.:
Stand von Good-Practice-Datenbanken zur Arbeitsgestaltung
in Deutschland
Forschungsbericht - Nr. 10, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2004
LANG, K.-H.; SCHÄFER, A.; SCHAUERTE, N.; SPIELMANN, T.:
Good-Practice-Projekt der Gemeinschaftsinitiative Gesünder Arbeiten
(G2P GiGA) - Machbarkeitsstudie
Forschungsbericht - Nr. 11, Institut ASER e.V., Wuppertal, Februar 2005
LANG, K.-H.; LANGHOFF, T.:
Arbeitsschutzberatung als Teil einer neuen Qualität
der Unternehmensgründung
Forschungsbericht - Nr. 12, Institut ASER e.V., Wuppertal, März 2005
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2004 – 2005 (Band 1)
Forschungsbericht - Nr. 13, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2006
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2005 – 2006 (Band 2)
Forschungsbericht - Nr. 14, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2007
LANG, K.-H., SAßMANNSHAUSEN, A., SCHÄFER, A., NOLTING, K.:
Abschlussbericht zum Pilotprojekt REACH-Net – Langfassung –
Forschungsbericht - Nr. 15, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juli 2007
232
Verzeichnis der Forschungsberichte
LANG, K.-H., SAßMANNSHAUSEN, A., SCHÄFER, A., NOLTING, K.:
Abschlussbericht zum Pilotprojekt REACH-Net – Kurzfassung –
Forschungsbericht - Nr. 16, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2007
LANG, K.-H., DEILMANN, M., NOVER, H.:
Zusammenfassung und Fortschreibung der Ergebnisse
zum Pilotprojekt REACH-Net
Forschungsbericht - Nr. 17, Institut ASER e.V., Wuppertal, November 2007
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2006 – 2007 (Band 3)
Forschungsbericht - Nr. 18, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2008
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2007 – 2008 (Band 4)
Forschungsbericht - Nr. 19, Institut ASER e.V., Wuppertal, April 2009
KLUSSMANN, A.:
Ermittlung und Bewertung von Ansatzpunkten zur Prävention
von Kniegelenksarthrosen im Arbeitsleben
Forschungsbericht - Nr. 20, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2009
MÜHLEMEYER, C., GEBHARDT, HJ., LANG, K.-H.:
Entwicklung einer Einstufungshilfe zur Beurteilung von sonstigen
Umgebungseinflüssen für die Anwendung im Rahmen des ERA-TV BW
Forschungsbericht - Nr. 21, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2009
ROSKOPF, N.:
Kontinuierliche Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz
als Herausforderung und Chance für Fremdfirmen in Unternehmen
der Rheinischen Braunkohlenindustrie
Forschungsbericht - Nr. 22, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2010
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2008 – 2009 (Band 5)
Forschungsbericht - Nr. 23, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2010
233
Verzeichnis der Forschungsberichte
MÜHLEMEYER, CH., K.-H. LANG, A. KLUßMANN, HJ. GEBHARDT
Ermittlung von Erholzeiten bei typischen Arbeitssystemen in der
Metall- und Elektroindustrie
Forschungsbericht - Nr. 24, Institut ASER e.V., Wuppertal, 2010
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2009 – 2010 (Band 6)
Forschungsbericht - Nr. 25, Institut ASER e.V., Wuppertal, April 2011
LEVCHUK, I., A. KLUßMANN, K.-H. LANG, HJ. GEBHARDT
Verfahren der Usability-Evaluation – Methoden und Instrumente zur Prüfung
der Gebrauchstauglichkeit von Produkten
Forschungsbericht - Nr. 26, Institut ASER e.V., Wuppertal, 2011
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2010 – 2011 (Band 7)
Forschungsbericht - Nr. 27, Institut ASER e.V., Wuppertal, März 2012
PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):
Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2011 – 2012 (Band 8)
Forschungsbericht - Nr. 28, Institut ASER e.V., Wuppertal, Mai 2013
234