Der Fischfang und die Aleuten

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Der Fischfang und die Aleuten
Manuel Eitzinger________________________________________________________________WS 2012/13
Matr.--Nr. 0604591_______________________________________________Univ.-Prof. Dr. Peter Schweitzer
A066/810________________________________________________________________SE Kulturen Alaskas
Der Fischfang und die Aleuten
Fischerei im Zusammenspiel von Indigenität und Modernität
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung_______________________________________________________________________________2
2 Traditionelle Fischerei_________________________________________________________________4
3 Fischerei im Wandel____________________________________________________________________7
4 Fischerei in der Zeit des Limited Entry_______________________________________________9
4.1 Soziokulturelle Merkmale_________________________________________________________________9
4.2 Subsistenz und Identität_________________________________________________________________11
5 Resümee_______________________________________________________________________________13
6 Quellenverzeichnis____________________________________________________________________15
6.1 Bibliographie_____________________________________________________________________________15
6.2 Internetquellen___________________________________________________________________________15
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Landkarte der aleutischen Inselkette____________________________________________2
Abbildung 2: Doppelter Fischerei-Zaun von Umnak___________________________________________5
Abbildung 3: Trawler im Hafen von Unalaska__________________________________________________9
1 Einleitung
Die Inselwelt der Aleuten, gelegen zwischen Last Frontier Alaska und der russischen
Halbinsel Kamtschatka,stellen eine der periphersten von Menschen bewohnten Regionen der Erde dar. Besiedelt seit Jahrtausenden entging die Inselgruppe auch dank ihrer
Lage lange der europäischen Beeinflussung, wurde dann, als die Unterjochung von asiatischer (russischer) Seite vollzogen wurde, jedoch schnell Teil eines Kolonialgefüges,
welches das indigene Leben nachhaltig veränderte. Das Volk der Aleuten, so klein es
auch sein mag (vor etwa 250 Jahren betrug die Bevölkerung etwa 20.000 Menschen, gegen Mitte des vergangenen Jahrhunderts war die Zahl auf unter 1000 gefallen 1, beim
Zensus 2000 gaben 16.978 Personen an, von aleutischer race zu sein, davon 11.941 Personen ausschließlich aleutischer race2), weist trotz aller kulturellen Veränderungen und
einer zwischenzeitlichen Absiedelung eine ungebrochene Tradition auf, die vor allem
mit dem Fischfang in Verbindung steht. Diesem Phänomen, das gleichermaßen von Indigenität als auch von Modernisierung geprägt ist, habe ich beschlossen diese Arbeit zu
widmen.
Abbildung 1: Landkarte der aleutischen Inselkette
Der Fischfang war eh und je eine Notwendigkeit, um die Ernährung und das Überleben des Volkes sicherzustellen, so auch in den modernen Zeiten des technologisierten,
kommerzialisierten Fischfangs, in dem wenig an die traditionellen Fangmethoden, wel1
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che die Ethnographen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch schilderten, erinnert.
Die Zentralität des Fischfangs in der aleutischen Gegenwart spiegelt sich nicht zuletzt
auch in den örtlichen Medien wieder, in denen Artikel mit Fischereibezug eine für österreichische Begriffe nahezu undenkbar penetrante Stellung innehaben. Um dies anhand
eines Beispiels zu verdeutlichen, sei auf das Lokalblatt Dutch Harbor Fisherman hingewiesen, der zum Jahreswechsel eigens einen Fischerei-Jahresrückblick veröffentlichte. 3
Die Frage, die ich mittels dieser Arbeit beantworten will, ist, welche sozialen und kulturellen Konstanten sich durch die Geschichte der aleutischen Fischerei ziehen. Solche
Elemente will ich versuchen auf den Ebenen von Arbeitsteilung, Organisation und Subsistenz festzustellen.
Die Methode, um diese Frage zu beantworten, ist Literaturrecherche. Diese umfasst
zum Einen zwei alte Ethnographien: die des Waldemar Jochelson und die des Lucien M.
Turner. Was die jüngere Literatur betrifft, halte ich es für bemerkenswert, dass mir zum
einen Literatur aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vorliegt – offenbar wurde
die Inselgruppe durch die Wiederbesiedelung nach dem Ende des Pazifikkriegs wieder
für die Forschung interessant – und dann jedoch erst wieder aus den Jahren nach der
Jahrtausendwende. Es ist somit kaum möglich, tatsächliche Kontinuitäten aufzuzeigen,
lediglich ein Vergleich zwischen der traditionellen „alten“ Fischereikultur und der gegenwärtigen des kommerziellen Fischfangs scheint mir angebracht.
Die Arbeit gliedert sich grob in drei Abschnitte: Zuerst will ich die traditionelle Fischfangkultur der Aleuten beleuchten, anschließend auf Veränderungsprozesse eingehen
und schließlich die heutige Kultur der Fischerei auf den Aleuten beschreiben. Meine Antworten bezüglich der Forschungsfrage werden im Resümee der Arbeit dargelegt.
Dabei bleiben viele Elemente der aleutischen Kulturgeschichte ausgespart, da sie für
mein Vorhaben nicht von Belang sind. So ist beispielsweise der Komplex um die in den
vergangenen Jahrzehnten gewachsene Kriminalität in dieser Arbeit nicht mitbehandelt
worden, da zu diesem kein Vergleichsmaterial aus der traditionellen Fischfangkultur
vorliegt. Zudem sind zwar sehr viele, aber nicht alle kulturellen Neuerungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der veränderten Fischfangkultur stehend.
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2 Traditionelle Fischerei
Die Fischerei hat auf der Inselkette der Aleuten eine jahrtausendealte Tradition, wie
archäologische Studien belegen konnten. Viele der 3000 Jahre alten Artefakte, die in einer Ausgrabungsstätte auf der Insel Umnak entdeckt wurden – Harpunen- und Speerspitzen aus Walknochen oder Walrosszähnen4 – weisen deutlich auf den Fischfang hin.
Dass dies kein rein lokales Spezifikum darstellt, sondern das Vorhandensein solcher
Utensilien an verschiedenen Orten der Inselgruppe beweist Theodore Bank in seiner Beschreibung verschiedener archäologischer Fundorte im Artikel Cultural Succession in the
Aleutians.5
Wie Waldemar Jochelson anfangs des 20. Jahrhunderts feststellte, kannten die Unangan verschiedene Arten des Fischfangs, mittels Angeln, Dämmen und Netzen. Schon damals stellte er jedoch fest, dass sich die Methoden des Fischfangs im Laufe der Jahrzehnte verändert hatten: So war der Fischfang mittels Netzen vor dem ersten Kontakt mit
den Russen unbekannt und anstelle von knöchernen Angelhaken wurden nun gekaufte
Haken aus Eisen aus amerikanischer Produktion verwendet.6
Jochelson führt in seiner Ethnographie die verschiedenen Fischarten, emischen Bezeichnungen und einzelnen Fangmethoden weiter aus. Die Fischerei fand nicht nur auf
dem Meer, sondern auch in Flüssen statt und bezweckte nicht nur das Akquirieren von
Nahrung, sondern auch die Gewinnung von Öl. 7
Als spezielle Fangmethode erklärt Jochelson die Fangmethode mittels eines doppelten Zaunes, die er auf der Insel Umnak nahe Nikolski vorfand. Diese Anlage diente der
Versorgung des gesamten Dorfes und konnte während der beiden „Hauptsaisonen“ (Juni
bis August und Februar bis März) jede der 20 Familien im Dorf mit 50 bis 100 Fischen
versorgen, die für den Gebrauch im Winter getrocknet wurden. 8
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Abbildung 2: Doppelter Fischerei-Zaun von Umnak
Ähnlich wie Jochelson beschreibt auch Lucien Turner in seiner Ethnographie über die
1870er- und 1880er-Jahre auf den Aleuten die Fischerei nach Spezies gegliedert in vielen Details, die über das klassische Interesse der Anthropologie hinausgehen.9 Anders
als bei Jochelson findet bei ihm jedoch auch schon eine technologische Weiterentwicklung durch äußere Einflüsse, nämlich der Russen, Erwähnung, die er anhand der verwendeten Angelhaken feststellen konnte. 10 Sowohl Jochelson11 als auch Turner12 erwähnen in ihren Ausführungen, dass die Fischvorkommen zum Zeitpunkt ihrer Forschung
zunehmend waren.
Seiner Beschreibung des Heilbuttfangs ist zu entnehmen, dass die Unangan neben
Booten und den bereits erwähnten Utensilien beim Fischfang auch hölzerne Angelhaken
in Verwendung hatten, außerdem Keulen und Speere, an der Angelleine befestigte, aufgeblasene Robbenmägen.13
Anhand des Makrelenfangs der Bevölkerung der Insel Atka beschreibt Turner außerdem, dass eine Art Gartenhäuser unweit der Fischgründe üblich waren. Der Fischfang
selbst wird als eine männliche Domäne beschrieben, bei der zweisitzige Kanus mit je ei9
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nem Erwachsenen und einem Jungen in Verwendung sind. Die Verwertung der gefangenen Fische wird als Angelegenheit der Frauen dargestellt.14
In weiterer Folge erläutert Turner auch den Rotlachsfang von Attu, an dem sich das
ganze Dorf inklusive der Kinder beteiligen. Die Fische waren im Gemeinschaftsbesitz
und wurden in Seelöwenmägen für den Winter konserviert, wo sie dann verteilt wurden.15
Abgesehen von Fisch und Meeresfrüchten umfasste die Nahrung der Aleuten seit je
her auch Vögel, deren Eier und pflanzliche Kost (Beeren, Blätter und Gräser, aber auch
Gewürzpflanzen).16
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3 Fischerei im Wandel
Fishing in the Aleutians went from bone hooks on woven kelp lines to traps in
salmon streams to beach seines operated by entire villages to massive boats operated by small family-based crews[.]17
Zwar ist es aus heutiger Sicht problematisch, eine scheinbar ahistorische traditionelle
Fischerei als Anfangspunkt anzunehmen und gegenwärtige Fischerei als momentanen,
greifbaren Endpunkt, wie alleine schon die Beschreibung von technologischen Veränderungen in einer Ethnographie aus der Frühzeit unseres Faches und die frühe Einbindung
der indigenen Bevölkerung in die russische Pelztierjagd zeigt, doch verlangen die teils
gravierenden Unterschiede zwischen den beiden „Polen“ einer Beleuchtung der Prozesse, die zu den Veränderungen beigetragen haben.
Lässt sich die aleutische Fischerei vergangener Jahrhunderte prinzipiell als der Subsistenz dienend beschreiben, hat sich dieses Bild in den letzten Jahrzehnten deutlich ge wandelt, auch wenn schon während der Anwesenheit der Russen der Fisch eine Rolle als
Tauschware spielte, noch bevor Tributzahlungen in Pelzen eingeführt waren. 18 Mittlerweile steht der Fisch im Zentrum des aleutischen Aktivitäten zur See, nicht mehr der
Fang von Pelztieren:
The Aleutian Islands’ role on the global stage did not subside after World War II.
The two things that kept the archipelago enmeshed in global affairs were the same
as in the eighteenth century – the strategic location of the islands between Asia and
America, and the rich marine resources of the Bering Sea. Except in today’s world,
the coveted marine resources are fish, not fur, and the military presence is more
technology-based than troop-based.19
Dutch Harbor (Unalaska) war auch nach dem Zweiten Weltkrieg 20 noch ein indigen
geprägtes Dorf, in den 1960ern jedoch zog die expandierende Königskrabbenindustrie
auch Bevölkerungsschichten von außerhalb an, bis Dutch Harbor 1979 der wichtigste Fi17
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Unalaska wurde wie alle Inseln westlich von Unimak 1942 abgesiedelt, REEDY-MASCHNER 2007: 222
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schereihafen der Vereinigten Staaten wurde. Nach dem Kollaps der Krabbenfischerei
1982 etablierte sich der Hafen jedoch schnell neu und beherbergt heute eine internationale Arbeiterschaft – etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in von Firmen bereitgestellten Gemeinschaftsunterkünften.21
An dieser Entwicklung nahmen die heimischen aleutischen Bewohner durchaus aktiv
teil, indem sie diversen Trends folgten und sich etwa der Fuchs-Zucht, dem Walfang
oder der kommerziellen Fischerei anschlossen, wo sie auch prestigeträchtige Positionen
erreichten:22
[A]t the turn of the 20 th century […] Aleuts from nearby villages moved to these
centers [Dörfer mit Konservenfabriken um King Cove, Anm.] to tend fish traps to
supply the canneries and for employment in processing fish. Canneries leased fishing boats to these men, and they gradually became boat owners. Within a few generations, Aleuts went from supporting commercial fishing using cannery-owned dories
and fish traps to being major players as boat owners and later permit owners. 23
Während hier manche Autoren auf die „Verwestlichung“ der aleutischen Praktiken fokussieren, betont Reedy-Maschner, dass die Aleuten vielmehr ihre Orientierung zum
Meer nie abgelegt hätten und die Möglichkeit genutzt hätten, dies an die neuen Umstände anzupassen.24
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4 Fischerei in der Zeit des Limited Entry
Die Limited-Entry-Lizenzen sind ein Versuch des Bundesstaates Alaska auf den Rückgang der Lachsbestände zu reagieren und die Fischerei zu regulieren. Die Umsetzung
dieses Vorhabens erfolgte in den 1970er-Jahren. 25 Für die genauen Details dieses Programms sei auf die Arbeiten26 von Katherine Reedy-Maschner hingewiesen, die sich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. Ich will mich hier auf Aspekte beschränken, welche auf Faktoren wie Indigenität und traditionelle Fischerei Bezug nehmen.
Abbildung 3: Trawler im Hafen von Unalaska
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4.1 Soziokulturelle Merkmale
Laut Katherine Reedy-Maschner spiegelt sich im Limited-Entry-System das traditionelle Rangsystem der Aleuten in gewisser Weise wieder. Der Zugang zur Fischerei (Boot,
Lizenz) ist mit Prestige verbunden, welches hilfreich ist, um in politische Ämter gewählt
zu werden. Jedoch ist Personen ohne Fischereirechte der Zugang zu Ämtern nicht völlig
verwehrt, steht diesen doch der Weg über gute Bildung oder ähnliches einen höheren
Status zu erlangen offen.27 Ähnlich sind Männer mit Fischereilizenzen für die Frauen begehrtere Partner.28
Hinsichtlich der Fischerei und der Verteilung des Fisches (siehe dazu weiter unten)
wird von Personen in Machtpositition erwartet, Nahestehende zu unterstützen, auch
wenn Neptoismus in der Politik auf formelle und informelle Weise unterdrückt wird.
Reedy-Maschner beschreibt die aleutische Sozialorganisation als eine „heterarchische“,
also eine, in der verschiedene Segmente des Lebens verschiedene hierarchische Systeme
kennen.29
Die hohe Wertigkeit des Fischfangs für die aleutische Gemeinschaft zeigt sich auch an
den aleutischen Kindern, die früh in die Fischerei hineinwachsen. Wanderten nach der
Einführung der Lizenzen noch einige Aleuten aus, nimmt deren Bevölkerung nun wieder
zu.30 Der Drang in die Fischerei zu gehen stellt jedoch keinen Selbstzweck dar: Ist die
wirtschaftliche Lage in der Fischerei nicht vorteilhaft, ist es mittlerweile auch für erfahrene Crew-Mitglieder häufiger eine valide Option, auf finanziell lukrativere Jobangebote
am Land einzugehen, auch wenn mit diesen kein Prestige gewonnen werden kann. 31
Auch in der modernen, kommerzialisierten Fischerei sind klare Genderrollen wahrzunehmen: In King Cove, wo Reedy-Maschner ihre Forschungen durchführte, sind sämtliche Kapitäne männlichen Geschlechts, die Crewmitglieder in der Regel männlich, die
Ausnahmen meist mit dem Kapitän in einer Verwandtschaftsbeziehung. Auch dies lässt
sich mit dem traditionellen System in Verbindung setzen, in dem die soziale Anerkennung einer Frau ihrer Arbeit im Haushalt und der Unterstützung ihres Mannes entspringt.32
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In dieser Rolle und angesichts der Abhängigkeit der Männer im Fischereisektor von
der Saison und wirtschaftlichen Lage in der Fischerei ist es oft an den Frauen, für ein beständiges Einkommen außerhalb der Fischereiindustrie zu sorgen. Doch auch gesplittete
Familien, in denen der Mann in der Fischerei und die Frau an Land engagiert ist, sind im
Falle eines Tiefs in der Fischerei von den Auswirkungen betroffen. 33
4.2 Subsistenz und Identität
Trotz der Technologisierung und Kommerzialisierung des Fischfangs umfasst das übliche Nahrungsangebot nach wie vor im Großen und Ganzen dieselben Arten von Lebensmitteln: wild wachsende Pflanzen, Fisch und Meeresfrüchte, Vögel und deren Eier. 34
Jedes dieser Nahrungsmittel hat seine eigene Saison. 35 Die Subsistenzweise ist eine der
bedeutendsten kulturellen Stabilitäten der aleutischen Kultur. 36
Dabei wird Subsistenzfischerei parallel zur kommerziellen Fischerei betrieben, mitunter zeit- und ressourcensparend37 am selben Boot zur selben Zeit, indem ein Teil des
Fangs als „homepack“ den Fischern zur Verfügung gestellt wird. 38 De facto werden kommerzielle und Subsistenzfischerei als eine untrennbare Einheit gelebt. 39
Bedingt durch das Lizenzsystem sind Haushalte ohne Fischereilizenz darauf angewiesen, über – oft verwandtschaftliche – Netzwerke zu ihrem Lachs zu kommen. In derartigen Netzwerke wird jedoch nicht ausschließlich Fisch vertrieben. Der Zugang zu Lachs
hängt somit in erster Linie vom Vorhandensein eines permits und eines Fischerboots ab;
fehlen diese Elemente muss dies durch Netzwerken wettgemacht werden. 40
In King Cove, so schreibt Katherine Reedy-Maschner praktiziert jeder Haushalt, ob
native oder non-native, Subsistenzwirtschaft durch das Einsammeln „wilder“ Nahrungsmittel im Ausmaß von über 100 kg pro Kopf und Jahr. Dennoch wird das Angebot an
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Die Auflistung von REEDY-MASCHNER 2007: 217f nennt zudem, als einzigen Unterschied zu den Ethnographien von Turner und Jochelson, die Karibujagd.
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Speisen mittlerweile um importierte Kost wie Lasagne oder Truthahn gelegentlich ergänzt.41
Auch wenn die Subsistenzwirtschaft gewissermaßen den ruhenden Pol in der aleutischen Identitätskonstruktion darstellt, ist deswegen nicht davon auszugehen, dass die
kommerzielle Fischerei nicht Teil des aleutischen Selbstverständnisses geworden ist.
Die Aleuten wollen als die lokalen Akteure der Fischereiindustrie sowohl als legitime
kommerzielle Fischer als auch als indigenes Volk anerkannt werden. Anders als in anderen Regionen des Bundesstaats Alaska wird in der Region um King Cove der Fischereibetrieb nicht von Personen von außerhalb garantiert – im Gegenteil steht hinter diesen Akteuren eine viele Generationen alte, lokale Fischertradition. 42
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5 Resümee
Somit kommen wir zur Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit. Gemeinsamkeiten zwischen traditioneller und kommerzieller Fischerei finden sich in vielen Details;
manche möchte ich als primär naturgegeben beschreiben, andere sind deutlicher kulturspezifisch.
Zu den naturgegebenen Konstanten zähle ich die Abhängigkeit vom Jahreskreislauf
der Fischwanderungen einerseits und die regionalen Schwerpunkte für bestimmte Spezies andererseits. Diese Dependenz ist nach wie vor gegeben, da nach wie vor nach wildlebenden Tieren gefischt wird. Zwar unterliegen die Fischbestände Schwankungen, was
sich auf die wirtschaftliche Lage auswirkt, doch beeinflusst das nicht den allgemeinen
Jahreskreislauf der Personen, die durchgehend in der Fischerei beschäftigt sind.
Am Schnittpunkt zwischen naturgegebener und kulturspezifischer Konstanz möchte
ich die Subsistenzwirtschaft verorten, die ebenso vom Kreislauf der Jahreszeiten geprägt
ist. In einer Gemeinschaft, in der das Jagen, Fischen und Sammeln wilder Pflanzen und
Tiere identitätsstiftend ist, sind der Subsistenz dienende Tätigkeit selbstverständlich
saisonbedingt. Anbetracht der fortgeschrittenen Technologisierung der Fischerei und
der ethnischen Diversifizierung ist es jedoch weniger selbstverständlich, dass auch die
anderen traditionellen Lebensmittel weiterhin hochgehalten werden – zumal die Subsistenzwirtschaft, wie Reedy-Maschner vorrechnet, unter Miteinberechnung der dafür nötigen Zeit und des Equipments ökonomisch nicht unbedingt effektiver ist als der Einkauf
im Markt.43 Hinsichtlich der Ökonomie fällt auch auf, dass von einem Team gefangen
Fisch zu einem Teil an die Crewmitglieder verteilt wird, die den Fisch über Netzwerke
weiterverteilen. Auch hier finden sich Gemeinsamkeiten zur Lebensweise der Aleuten
vor der kommerzialisierten Fischerei.
Es zeigt sich, dass Faktoren der aleutischen Identität nach wie vor eine hohe Wertigkeit besitzen und weiterhin tradiert werden. So können Status und Prestige einer –
männlichen – Person daran abgelesen werden, ob diese in der Lage ist, ihre Familie mit
Fisch zu versorgen: Das dafür nötige „Kapital“ sind heute ein Boot und ein permit. Für
Frauen wiederum gilt es, soziale Anerkennung durch Unterstützung ihres Mannes und
das Führen des Haushalts zu erlangen. Diese klare Verteilung der Aufgaben auf die Ge-
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schlechter stellt eine Parallele zur traditionellen Fischerei dar, wo ebenfalls die Männer
für den Fischfang und die Frauen für die Fischverarbeitung zuständig waren.
Wie schon in der Einleitung dargelegt, sind diese Parallelen nicht notwendigerweise
lückenlose Kontinuitäten, da für eine solche Aussagen eine von weniger zeitlichen
Lücken beeinträchtigte Recherchegrundlage vonnöten gewesen wäre. Dazu passend beschreibt Katherine Reedy-Maschner die Aleuten als
a product of cosmopolitanism in which their historical identity has been incorporating others, not about boundary maintainance. The Eastern Aleut are concerned with
heritage and take bride in it but, for the most part, do not spend time trying to grapple with their roots.44
Wesentlichstes Merkmal einer angenommenen aleutischen Kontinuität ist, hier gehe
ich mit Reedy-Maschners Ausführungen konform, die „beinahe exklusive marine Orientierung“45, deren Ausprägung sich jedoch zumindest seit der Einflussnahme durch die
russischen Kolonisten immer wieder verändert hat. Vielleicht ist es nach all diesen, teils
gravierenden Veränderungen der Art der marin orientierten Lebensweise angebracht,
die Veränderlichkeit als wesentlichen Teil der aleutischen Kultur anzuerkennen.
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6 Quellenverzeichnis
6.1 Bibliographie
BANK, THEORODE P.:
1953:
Cultural Succession in the Aleutians. Reprint von: American Antiquity, vol. 19, no. 1,
July 1953.
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Aleut Culture. In: Human Organization, vol. 66, no. 2, Summer 2007. S. 210–225.
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Kingston, London, Ithaca: McGill-Queen‘s University Press.
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2007:
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6.2 Internetquellen
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Bureau, abgerufen am 25. Jänner 2012. URL: http://www.census.
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WELCH, LAINE:
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Jänner 2013. URL: http://www.thedutchharborfisherman.com/article/1301a_fishfocused_year_in_review
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