Der Lotse verlässt das Schiff Der Lotse verlässt das Schiff

Transcription

Der Lotse verlässt das Schiff Der Lotse verlässt das Schiff
Der Lotse verlässt das Schiff
Es ist uns aufgetragen, am Werk zu arbeiten,
aber es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden.
Talmud
… dass dies alles eben in einer Art wahr ist,
weil es in einer Art falsch ist.
Augustinus
Diese Illusion gehört bewusstseinsmäßig zum Menschen, er besitze besondere
Kenntnisse von sich selbst und vom Wesen anderer. Dabei wissen wir in Wahrheit
wenig vom Menschen und verfügen über nur sehr unzulässige Maßstäbe. Von
daher ergibt sich aber auch jenes Verlangen, unsere Welt wie die des anderen zu
begreifen.
Die Welt des anderen … Dieser andere, der jetzt geht, der nach Jahrzehnten im
Dienst für die Pfarrei, die Gemeinde den Weg ins Privatleben antritt, Leonhard
Pilorz, wer ist er gewesen, wer ist er? Es kann ja nicht anders sein, mir geht es
jedenfalls so: wenn man Jahrzehnte mit jemandem gearbeitet hat, man hat ein
Bild gewonnen, er steht vor einem, in persona oder auch nicht, wobei gerade
diese Verfestigung der Vorstellung manchen Irrtum bedingt.
„Aber einmal, anlässlich einer Kommunion-Fahrt in die Eifel, zu der Kinder, die
Eltern und die Geistlichen der Gemeinde gemeinsam ein Wochenendausflug
unternahmen. Damals, einmal habe ich geglaubt, von der Existenz des Leonhard
Pilorz etwas zu erfassen. Es war keine große oder gar gewaltige Situation, eher
war die Situation nach außen hin unauffällig – Pastor Leonhard Pilorz zeigte sich
von einer ganz anderen Seite, nämlich als schwungvoller Entertainer, der es
verstand Eltern und Kinder mit seinem Akkordeon in den Bann zu ziehen.
Unvergessen: seine Schlagfertigkeit, seine vor Lebenslust sprühenden
Bemerkungen zwischendurch und seine Kunst Jung und Alt gleichermaßen in eine
Wochenendbegegnung einzubinden, die allen in Erinnerung bleiben musste. Hier
wurde Glaube gelebt … und vergessen war die manchmal arg konservativ
angelehnte Liturgie so manches Sonntags.“
Und dann sah ich Leonhard Pilorzs Gesicht: ein Hauch von Verachtung, dass der
Mensch mit dem Menschen so sinnlos-kleinlich umgeht, und dann, ein Lächeln
auf dem Gesicht: Erleichterung, Glück, Zuversicht. Einer, der um Unbeständigkeit
und Unzuverlässigkeit der Menschen weiß, einer, der sich zugleich geborgen weiß
in der Sicherheit seiner Vorstellungen. Ein Hauch auch von wissender
Gelassenheit ohne jede Aufdringlichkeit. „Fortan besuchte ich noch lieber den
Sonntagsgottesdienst. Bei Pastor Leonhard Pilorz Ausführungen zur Predigt
verstand und spürte ich besser, dass uns hier Dinge für das Leben in
konzentriertester Form gesagt wurden, für die man sonst lange nachlesen müsste
……… es sei denn man geht in die Kirche und in Pastor Leonhard Pilorz Messe.
(Sebastian Klein, Gemeinde St. Georg)“ „Dies war aber nur dadurch möglich, dass seine
Gesprächsführung geprägt ist von gegenseitigem Respekt, Akzeptanz für die
Meinung anderer, gegenseitigem Informationsaustausch, klaren Absprachen,
gezielter Delegation und Übertragung von Verantwortung. Aber vor Allem seine
Herzlichkeit und Wärme in den Gesprächen haben wir immer sehr geschätzt.
Für diese Art der Kommunikation wird Pastor Leonhard Pilorz uns allen ein Vorbild
bleiben. (Reimund Felderhoff , Gemeinde St.Georg)“
Und da habe ich mich mehr als einmal gefragt, was gibt diesem Mann Nerven und
Kräfte.
Was gibt diesem Menschen den Mut zu einem solchen Unternehmen?
Biographisches („Er wurde geboren in .., studierte in …, wurde im Alter von …“)
bringt wenig Erhellendes. Weiterführend ist sicher die Tatsache, dass Leonhard
Pilorz in geordneten Verhältnissen mit eindeutig strengen Vorstellungen
aufwuchs, ein Umstand, der auch Belastendes mit sich bringen kann, aber
durchaus zugleich Freiheit und Bindung ins Transzendierende, im Glauben. Keiner
steckt diesen Glauben wie eine Münze in die Tasche und hätte ihn denn, keiner
glaubt ohne Anfechtung, aber irgendwann hat Leonhard Pilorz die Zweifel
losgelassen und sich in seiner gesamten Existenz IHM überlassen, dessen Namen
die Israeliten nicht aussprachen: dieses Vertrauen gibt Ruhe in aller Unruhe: ER
weiß Rat, Weg für den Tag und den jüngsten auch.
„Der Lotse verlässt das Schiff“ – Anspielung auf die „Punch“ – Karikatur von 1890,
als Bismark am 20. März sich ins Privatleben zurückzog, noble Umschreibung für
die Tatsache, dass er in Wahrheit aus allen Ämtern gejagt war von einem
ruhmsüchtigen Wilhelm II. Der Vergleich mit einem Pastor kann, wie eben alle
Vergleiche, nur hinken. Bismark verließ ein Schiff, von dem er am ehesten
gewusst hat, wie sehr es auf seine Person hin gezimmert gewesen ist. Aber in
einer andern Weise hat der Vergleich auch sein Wahres: selbst wenn richtig sein
mag, dass jeder ersetzbar ist, so bezieht sich die Richtigkeit doch auf die Funktion.
Jeder Mensch hat als Individuum sein Prägendes, seine Unverwechselbarkeit
auch. Es mag mit dieser Gemeinde St. Georg weitergehen, wie es will, nicht lange,
und es wird sich herausstellen, wie glücklich diese Zeit von 15 Jahren gewesen ist,
in der Leonhard Pilorz den Mikroorganismus Gemeinde St. Georg und die Pfarrei
St. Josef essen Ruhrhalbinsel geprägt hat, wobei „geprägt“ meint, dass er mit
unvergleichlichem Gespür Jede und Jeden an seinem Platz in der Gemeinde hat
wirken lassen, wohl beobachtend, eingreifend nie, es sei denn, nach Hilfe wurde
gerufen, oder die Dinge standen nicht gut. Wer diese Haltung in ihrer
Besonderheit verkennt, wird als erster am Pilorzdenkmal bauen. Führungsstil hat
mit wichtigtuerischer Besserwisserei so viel zu tun wie Demokratie mit Despotie,
und das ist nicht viel.
Dieser, der jetzt geht, der ein so kühles und klares Menschenbild hat, der
außerhalb der Illusionen der vielen lebt, übrigens auch außerhalb der
Geschwätzigkeit, dieser hat Irrwege vermieden, Auswege gekannt und Wege
gewiesen, seinen Kollegen und seiner Pfarrei und seiner Gemeinde.
Ach sicher: es steht niemand an der Spitze eines Unternehmens und würde nicht
kritisiert. Aber jeder Kritiker sollte wohl bedenken, dass dieser Pastor geleitet
gewesen ist von der Vorstellung, gutes zu bewirken und Helfer zu sein. Und er hat
mehr Hilfe geleistet und Schutz geboten, als vielen deutlich sein kann.
Es ist zum überwiegenden Anteil sein Erfolg und seine Leistung,
dass folgende Ziele in St. Georg erreicht werden konnten:
1) Die Stärkung des Standortes durch erhebliche Renovierungs- und
Ausbaumaßnahmen an Kirche und Pfarrzentrum;
2) Stabilisierung des Haushaltes durch Aufgabe von Kaplanei und Pfarrhaus
und Übertragung des Grundstückes an der Kreuzstraße auf das Altenheim;
3) Einvernehmliche Lösungen mit allen Mitarbeitern im Zuge des
Personalabbaus
4) Der Erhalt einer qualitativ hochwertigen Kirchenmusik mit den dazu
erforderlichen personellen Maßnahmen.
Das ist, was bleibt. Und dafür wird Ihm die Gemeinde immer dankbar sein.
(Reimund Felderhoff ,Gemeinde St. Georg)“
Allen stand er bei und jedem in seiner Weise und nach Kräften.
Vorbei – ein Nachfolger wird kommen: möge es ihm gelingen, mit glücklicher
Hand weiter zu gestalten. Dem scheidenden Pastor Leonhard Pilorz aber gelten
Anerkennung und tiefer Dank: für St. Georg, Heisingen, die Pfarrei st. Josef Essen
Ruhrhalbinsel hat er Beachtliches und Entscheidendes geleistet.
Leonard Pilorz geht, und eine Ära geht zu Ende. Was mich persönlich dabei
anlangt: ich sehe ihn fortgehen, nachdenklich und nicht ohne Wehmut.
MS