prinzipien der therapie der hiv-infektion

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prinzipien der therapie der hiv-infektion
Prinzipien der HIV-Therapie
PRINZIPIEN DER THERAPIE DER HIV-INFEKTION
INHALT
Einführung...........................................................................................................................1
Zusammenfassung der Therapeutischen Prinzipien für die HIV-Infektion ..................2
Wissenschaftliche Prinzipien ..............................................................................................4
Wissenschaftlicher Hintergrund ......................................................................................21
Prinzipien der HIV-Therapie
Vorbemerkung
Die hier erörterten Prinzipien und Schlußfolgerungen basieren auf einem Dokument,
welches im ersten Halbjahr 1997 von einem internationalen Expertenpanel (siehe Anhang)
bestehend aus Klinikern, Grundlagenwissenschaftlern, Public Health-Experten und
Repräsentanten von Hauptbetroffenengruppen erarbeitet wurde. Dieser Diskussionsentwurf
wurde in seiner deutschen Version an einigen Punkten modifiziert und ergänzt.
Da fortlaufend neue Erkenntnisse über die Pathogenese der HIV-Krankheit
zusammengetragen werden, woraus sich neue Ziele für die Entwicklung zusätzlicher
antiretroviraler Medikamente und noch wirksamerer Behandlungsstrategien ergeben
können, ist damit zu rechnen, daß diese Prinzipien im Lichte neuer Informationen in
gewissen Abständen geändert und erweitert werden müssen.
Die deutsche Überarbeitung erfolgte durch:
Dr. Stephan Dupke, HIV-Schwerpunktarzt, Berlin
Dr. Jörg Gölz, HIV-Schwerpunktarzt, Berlin, sowie
Dr.Ulrich Marcus, AIDS-Zentrum, Robert Koch-Institut, Berlin
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Prinzipien der HIV-Therapie
Zusammenfassung der Therapeutischen Prinzipien
für die HIV-Infektion
1.
Die kontinuierliche Vermehrung von HIV führt zu einer Schädigung des
Immunsystems und zu einer Progression zum Vollbild AIDS. Eine HIV-Infektion führt
nahezu immer zu einer Schädigung des Immunsystems und ein Langzeitüberleben (>
12 Jahre) ohne klinisch signifikante Funktionsstörung des Immunsystems ist selten.
2.
Die HIV-RNS-Plasmaspiegel geben die Größenordnung der HIV-Replikation und die
damit verbundene Geschwindigkeit der Zerstörung der CD4-Zellen an, während die
CD4-Zellzahlen den bereits erlittenen Grad der HIV-induzierten Schädigung des
Immunsystems deutlich machen. In regelmäßigen Zeitabständen sind Bestimmungen
der HIV-RNS-Werte im Plasma und der CD4-Zellzahlen erforderlich, um bei einem
HIV-Infizierten das Risiko einer Krankheitsprogression zu ermitteln. Diese Meßwerte
dienen als Grundlage für die Entscheidung über den Beginn einer antiretroviralen
Therapie bei asymptomatischen HIV-Infizierten und über eine Änderung des
Therapieschemas nachdem eine Therapie bereits eingeleitet worden ist.
3.
a) Die Geschwindigkeit der Krankheitsprogression ist individuell verschieden, und das
Risiko des einzelnen Patienten kann nach derzeitigem Wissen am besten abgeschätzt
werden, wenn sowohl der HIV-RNS-Plasmaspiegel als auch die CD4-Zellzahlen
berücksichtigt werden. Diese beiden Parameter stellen daher die beiden wichtigsten
Laborkriterien für Entscheidungen zum Therapiebeginn und Therapieverlauf dar.
b) Darüberhinaus sind jedoch weitere Aspekte bei Therapieentscheidungen von
wesentlicher Bedeutung, insbesondere die Bereitschaft und Fähigkeit eines Patienten,
die Therapie diszipliniert und konsequent durchzuführen.
4.
Der wichtigste Grund für das Versagen einer antiretroviralen Therapie ist die Selektion
resistenter HIV-Varianten. Die Entwicklung einer Resistenz kann nach derzeitiger
Kenntnis am besten durch eine möglichst vollständige Unterdrückung der HIVReplikation verhindert oder zumindest verzögert werden.
Andere Strategien, den Wirkungsverlust von Medikamenten durch
Resistenzentwicklung zu vermeiden, sind entweder nur begrenzt wirksam (Lamivudin)
oder noch nicht ausreichend geprüft (Hydroxyurea).
Gleichzeitig mit der Hemmung der Virusreplikation wird auch die
Krankheitsprogression verzögert. Bezüglich der Krankheitsprogression ist jedoch nicht
bekannt ob es wesentliche qualitative Unterschiede zwischen einem niedrigen, noch
nachweisbaren HIV-RNS-Spiegel und einem nicht mehr nachweisbaren HIV-RNSSpiegel gibt. Die Begründung für das Therapieziel einer möglichst vollständigen
Suppression der HIV-Replikation ergibt sich daher in erster Linie aus der
Verhinderung einer Resistenzentwicklung.
5.
Das effektivste Mittel zur Erzielung einer dauerhaften Suppression der HIVReplikation ist die gleichzeitige Einleitung einer Kombinationstherapie mit wirksamen
Anti-HIV-Medikamenten, mit denen der Patient zuvor noch nicht behandelt worden ist
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Prinzipien der HIV-Therapie
und die keine Kreuzresistenz mit antiretroviralen Pharmaka aufweisen, die der Patient
schon einmal erhalten hat.
6.
Jedes der antiretroviralen Medikamente, die bei Kombinationstherapien verwendet
werden, sollte stets in optimalen Therapieschemata und Dosierungen eingesetzt
werden. Um die unregelmäßige und fehlerhafte Einnahme von Kombinationstherapien
zu vermeiden, muß der behandlungswillige Patient in verständlicher Form über die
Wirkungsweise der Medikamente und die Risiken einer inkonsequenten Therapie
aufgeklärt werden.
7.
Es steht nur eine begrenzte Zahl wirksamer antiretroviraler Medikamente und
Wirkmechanismen zur Verfügung, und zwischen bestimmten Substanzen ist eine
Kreuzresistenz belegt. Durch die Entwicklung einer Resistenz gegen ein bestimmtes
Therapieschema werden daher die künftigen Therapiemöglichkeiten mit anderen, auch
bis dahin nicht verwendeten Medikamenten in unterschiedlichem Ausmaß
eingeschränkt.
8.
Die Problematik der antiretroviralen Therapie während einer Schwangerschaft wird in
diesem Dokument zwar dargestellt, Behandlungsempfehlungen werden aber derzeit
erst erabeitet und später in das Dokument integriert.
9.
Für HIV-infizierte Kinder und Erwachsene gelten die gleichen Prinzipien der
antiretroviralen Therapie. Bei der Behandlung HIV-infizierter Kinder sind jedoch
pharmakologische, virologische und immunologische Besonderheiten zu
berücksichtigen.
10. Personen, bei denen eine akute primäre HIV-Infektion diagnostiziert werden kann,
sollte eine antiretrovirale Kombinationstherapie angeboten werden, um die
Virusreplikation unter die Nachweisgrenze empfindlicher HIV-RNS-Plasmaassays zu
senken. Theoretisch besteht die Möglichkeit, durch eine zu einem derart frühen
Zeitpunkt begonnene Therapie das HI-Virus wieder aus dem Körper zu eliminieren
oder wenigstens den Virus-set-point herabzusetzen und damit den Infektionsverlauf zu
bremsen. Ein praktischer Beweis dafür steht aber noch aus, so daß über die
erforderliche Dauer und Erfolgsaussicht einer solchen Therapie keine Angaben
möglich sind.
11. HIV-Infizierte müssen auch dann, wenn ihre Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze
liegt, als infiziert und potentiell infektiös gelten. Bezüglich der Verhinderung einer
Weiterübertragung von HIV durch Blut und andere potentiell infektiöse
Körperflüssigkeiten sind die selben Vorsichtsmaßnahmen wie bei unbehandelten HIVInfizierten zu empfehlen. Antiretroviral behandelte Personen sollten darüber informiert
werden, daß sie gegebenenfalls resistente Viren weitergeben können und u.U. auch die
Möglichkeit besteht, daß bei ungeschützten Kontakten zwischen zwei infizierten
Personen Superinfektionen mit resistenten Virusvarianten stattfinden könnten.
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Prinzipien der HIV-Therapie
Wissenschaftliche Prinzipien
Prinzip 1 Die kontinuierliche Vermehrung von HIV führt zu einer Schädigung des
Immunsystems und zu einer Progression zum Vollbild AIDS. Eine HIV-Infektion führt
nahezu immer zu einer Schädigung des Immunsystems und ein Langzeitüberleben (> 12
Jahre) ohne klinisch signifikante Funktionsstörung des Immunsystems ist selten.
Die aktive Replikation von HIV ist die Ursache einer fortschreitenden Schädigung des
Immunsystems infizierter Personen (1-10). Ohne eine wirksame Hemmung der HIVReplikation durch eine antiretrovirale Therapie kommt es bei allen Infizierten zu einer
laufenden Verschlechterung der Immunfunktion, die sie für opportunistische Infektionen,
Malignome, neurologische Erkrankungen und Kräfteschwund anfällig werden läßt und
letztlich zum Tode führt (11, 12).
Bei Erwachsenen in Industriestaaten beträgt die mittlere Zeitdauer nach der Erstinfektion
bis zum Auftreten von AIDS ohne antiretrovirale Therapie oder bei älteren Schemata einer
Monotherapie mit einem Nukleosid-Analogon (z.B. Zidovudin [AZT]) rund 10-11 Jahre
(11). Manche Menschen (ca. 20%) weisen schon 5 Jahre nach der Erstinfektion AIDS auf,
während andere ( 5%) über einen langen Zeitraum hinweg (> 10 Jahre) eine symptomfreie
HIV-Infektion ohne Absinken der CD4-Zellzahlen unter 500 Zellen/mm³ erleben. Nur ca.
2% oder weniger aller HIV-Infizierten scheinen in der Lage zu sein, über einen langen
Zeitraum (> 12 Jahre) die HIV-Replikation auf einem extrem niedrigen Wert zu halten und
laufend stabile CD4-Zellzahlen innerhalb des Normalbereichs zu erreichen, und bei vielen
dieser Personen weisen die Laborwerte auf eine Schädigung des Immunsystems hin (12).
Die HIV-Infektion nimmt insofern eine außerordentliche Stellung unter den
Virusinfektionen des Menschen ein, als sie bei einem so hohen Prozentsatz der Infizierten
eine Krankheit verursacht.
Selbst wenn bei einer sehr kleinen Zahl von HIV-Infizierten auch ohne antiretrovirale
Therapie die HIV-Erkrankung nicht fortschreitet, lassen sich diese Menschen im vorhinein
nicht eindeutig erkennen. Bei allen HIV-Infizierten ist deshalb von der Gefahr einer
fortschreitenden Erkrankung auszugehen. Die Therapieziele bei einer HIV-Infektion
sollten darin bestehen, durch eine wirksame Suppression der HIV-Replikation eine
ausreichende Immunfunktion zu erhalten, die Progression der Krankheit zu verhindern, das
Überleben zu verlängern und die Lebensqualität zu erhalten. Um diese Ziele zu erreichen,
sollte die Therapie nach Möglichkeit eingeleitet werden, noch bevor es zu einer
irreversiblen Schädigung des Immunsystems gekommen ist. Dieser Zeitpunkt ist derzeit
nicht exakt zu bestimmen, wahrscheinlich aber ist die Zerstörung der
Lymphknotenarchitektur und-struktur ein Meilenstein bei diesem Prozeß, der nicht mehr
reversibel ist. Diese Lymphknotenveränderungen werden in der Regel bei CD4-Werten
zwischen 150 und 250/mm3 beobachtet. Andere Untersuchungen weisen darauf hin, daß es
etwa 1-1½ Jahre vor einer AIDS-Manifestation zu einem Verlust qualitativ bedeutsamer
Komponenten der Immunantwort gegen HIV kommt (4, 105). Ein Therapiebeginn sollte
daher möglichst vor diesem Zeitpunkt erfolgen.
Auch bei einem späteren Therapiebeginn kann durch den Einsatz von
Kombinationstherapien der Krankheitsverlauf aufgehalten und die Viruslast unter die
Nachweisgrenze der verfügbaren Testmethoden gedrückt werden, das Risiko einer
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Prinzipien der HIV-Therapie
unvollständigen Virussuppression und einer Resistenzentwicklung steigt jedoch mit dem
Ausmaß des Immundefektes an, ebenso wie das Risiko von Nebenwirkungen und
Wechselwirkungen mit anderen zur Therapie und Prophylaxe von opportunistischen
Infektionen notwendigen Medikamenten.
Prinzip 2 Die HIV-RNS-Plasmaspiegel geben die Größenordnung der HIV-Replikation und
die damit verbundene Geschwindigkeit der Zerstörung der CD4-Zellen an, während die
CD4-Zellzahlen den bereits erlittenen Grad der HIV-induzierten Schädigung des
Immunsystems deutlich machen. In regelmäßigen Zeitabständen sind Bestimmungen der
HIV-RNS-Werte im Plasma und der CD4-Zellzahlen erforderlich, um bei einem HIVInfizierten das Risiko einer Krankheitsprogression zu ermitteln. Diese Meßwerte dienen als
Grundlage für die Entscheidung über den Beginn einer antiretroviralen Therapie bei
asymptomatischen HIV-Infizierten und über eine Änderung des Therapieschemas nachdem
eine Therapie bereits eingeleitet worden ist.
Die Progressionsrate einer HIV-Erkrankung wird anhand der Größenordnung der aktiven
HIV-Replikation bei einem Infizierten (die sich in der sogenannten Viruslast niederschlägt)
prognostiziert (5-10, 13-18). Eine Messung der Viruslast mit Hilfe quantitativer HIV-RNSPlasmaassays ermöglicht eine Beurteilung des relativen Risikos der Krankheitsprogression
und der zu erwartenden Überlebensdauer (5-10, 13-18). Mit HIV-RNS-Plasmaassays läßt
sich auch die Wirksamkeit antiretroviraler Therapien bei einzelnen Patienten beurteilen (1,
2, 13, 19-25). Diese Messungen sind notwendige Bestandteile von Therapiestrategien zur
möglichst effektiven Anwendung antiretroviraler Medikamente. Es ist zu beachten, daß die
bisher verfügbaren Testsysteme für den in den Industriestaaten vorherrschenden HIV-1Subtyp B entwickelt wurden und teilweise Probleme bei der Erkennung anderer Subtypen
und generell von HIV-1 Subtyp O und HIV-2 aufweisen. Bestehen anamnestisch
Anhaltspunkte dafür, daß eine Infektion in Afrika, Asien oder Osteuropa oder über einen
Partner aus diesen Regionen erworben wurde oder bestehen Zweifel an den
Meßergebnissen wegen unerwartet niedriger Werte ist gegebenenfalls eine Subtypisierung
zu empfehlen. Nach bisher vorliegenden Vergleichsanalysen lieferte das bDNATestverfahren bei Infektionen mit nicht-B-Subtypen von HIV die verläßlichsten
Ergebnisse. Eine weiterentwickelte Version des RT-PCR-Tests mit zusätzlichen Primern,
die nicht-B-Subtypen von HIV-1 besser erkennt, ist seit Ende November 1997 in
Deutschland verfügbar. Verfahren zur Bestimmung der Viruslast bei HIV-1-O- und HIV-2Infektion sind bislang nicht kommerziell verfügbar.
Der Grad der bei einem HIV-Infizierten bereits erfolgten Schädigung des Immunsystems
ergibt sich aus den CD4-Zellzahlen (11, 26-29), mit denen sich das Risiko spezifischer
opportunistischer Infektionen und anderer Folgen einer HIV-Infektion beurteilen läßt. Bei
Verwendung zusammen mit Viruslastbestimmungen steigert die Bewertung der CD4Zellzahlen die Genauigkeit, mit der sich die Gefahr einer Krankheitsprogression und des
Todes vorhersagen läßt (27).
Spezielle Fragen der laboratoriumsmedizinischen Beurteilung der HIV-RNS-Werte im
Plasma und CD4-Zellzahlen bei HIV-infizierten Säuglingen und Kleinkindern werden in
Prinzip 9 erörtert (14-18, 25, 30).
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Prinzipien der HIV-Therapie
2.1. Bei einem neu diagnostizierten Patienten sollten die Ausgangs-HIV-RNSPlasmaspiegel in klinisch stabilem Zustand kontrolliert werden. Die während der ersten
6 Monate einer initialen HIV-Infektion gemessenen HIV-RNS-Werte im Plasma erlauben
keine genaue Prognose des individuellen Progressionsrisikos (31). Dagegen stabilisieren
sich die HIV-RNS-Plasmaspiegel rund 6-9 Monate nach der initialen HIV-Infektion („SetPoint“) und gestatten dann eine Vorhersage des Risikos einer Krankheitsprogression (510). Nach ihrer Stabilisierung können die HIV-RNS-Plasmaspiegel bei vielen HIVInfizierten monate- bis jahrelang auf dem selben Niveau bleiben (7, 10). Allerdings können
Immunisierungen und zwischenzeitige Infektionen zu einem vorübergehenden Anstieg der
HIV-RNS-Plasmaspiegel führen (32-34). Demzufolge müssen innerhalb von rund
4 Wochen nach solchen Ereignissen gewonnene Werte den wirklichen Ausgangs-HIVRNS-Plasmaspiegel eines Untersuchten nicht unbedingt genau widerspiegeln. Um einen
genauen Ausgangswert zu erhalten, werden zwei Proben empfohlen, die (mit 1-2 Wochen
Abstand gewonnen) mit optimalen, validierten Verfahren verarbeitet und anhand der
gleichen quantitativen Methode analysiert wurden. Die Verwendung von zwei
Ausgangsmessungen dient zur Verringerung der Variabilität der HIV-RNS-Plasmaassays
infolge technischer und biologischer Faktoren (19, 22, 35, 36).
2.2
Aus Untersuchungen über Populationen von HIV-Infizierten geht hervor, daß die
HIV-RNS-Werte im Plasma nach der Infektion im Laufe der Zeit ansteigen (10). Eine
steilere Anstiegsrate ist mit einem erhöhten Risiko der Krankheitsprogression verbunden.
Beim einzelnen Patienten läßt sich die Veränderungstendenz der HIV-RNS-Plasmaspiegel
nicht vorhersagen, doch können die Plasmakonzentrationen sehr plötzlich ansteigen.
Darum sind regelmäßige Kontrollen der HIV-RNS-Plasmaspiegel erforderlich, um das
Risiko der Krankheitsprogression besser beurteilen zu können. (Siehe Richtlinien.)
2.3
Auf der Grundlage von Studien zur Kinetik der HIV-Replikation bei Infizierten
sollten die HIV-RNS-Werte im Plasma innerhalb weniger Tage nach Einleitung einer
wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapie meßbar zurückgehen (1, 2, 20, 21, 37).
Bei Patienten, bei denen die Neuinfektionen von CD4-Zellen wirksam blockiert wird,
müßten die HIV-RNS-Werte im Plasma binnen 2 Wochen nach Therapiebeginn auf rund
1% ihres Ausgangswerts absinken und innerhalb von ungefähr 8 Wochen einen Tiefpunkt
erreichen (im Idealfall unterhalb der Nachweisgrenze empfindlicher HIV-RNSPlasmaassays). Menschen mit sehr hohen Anfangswerten der HIV-RNS im Plasma
brauchen nach Einleitung einer wirksamen antiretroviralen Therapie unter Umständen
länger bis zu einem solchen Tiefstand der Plasma-RNS-Werte (bis zu etwa 16 Wochen).
(Siehe Richtlinien.)
2.4 HIV-RNS-Plasmaassays vermitteln den besten Eindruck von der Aktivität der
antiretroviralen Therapie bei HIV-Infizierten. Ein Wiederanstieg der HIV-RNS-Werte im
Plasma nach zunächst erfolgreicher Suppression durch eine antiretrovirale Therapie kann
auf das Wachstum arzneimittelresistenter HIV-Varianten hindeuten. Andere Gründe für
einen Wiederanstieg der Werte können die unregelmäßige oder fehlende Einnahme eines
oder mehrerer Medikamente einer Kombinationstherapie, Resorptionsstörungen,
Interaktionen mit anderen Medikamenten oder Veränderungen bei der Verstoffwechslung
der Medikamente, interkurrente Infekte und Immunisierungen sein (siehe weitere
Betrachtungen hierzu unter Prinzip 7). Wenn der gewünschte Grad der Suppression der
HIV-Replikation bei behandelten Patienten innerhalb von ca. 16 Wochen nach Einleitung
oder Änderung eines antiretroviralen Therapieschemas erreicht wird, sollten die Werte der
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Prinzipien der HIV-Therapie
HIV-RNS im Plasma regelmäßig kontrolliert werden, um die anhaltende Wirksamkeit des
gewählten antiretroviralen Therapieschemas zu dokumentieren.
2.5 Die HIV-RNS-Werte können bei klinisch stabilen HIV-Infizierten bei wiederholten
Messungen (innerhalb von Tagen oder Wochen) in jeder Richtung um etwa das Dreifache
(0,5 log10) variieren (19, 22, 35, 36). Veränderungen um mehr als 0,5 log10 lassen sich
gewöhnlich nicht mit der innewohnenden oder assayimmanenten Variabilität erklären und
spiegeln wahrscheinlich eine biologisch und klinisch relevante Änderung der Werte der
HIV-RNS im Plasma wider. Dabei ist der Hinweis wichtig, daß die Variabilität der
derzeitigen HIV-RNS-Plasmabestimmungen an der unteren Empfindlichkeitsgrenze größer
ist. Bei sehr niedrigen Werten der HIV-RNS im Plasma kann es also bei
Wiederholungsmessungen zu Unterschieden von mehr als 0,5 log10 kommen, hinter denen
keine signifikanten biologischen oder klinischen Veränderungen stehen müssen.
2.6 Bei allen Patienten mit einer neu diagnostizierten HIV-Infektion sollten die CD4Zellzahlen ermittelt werden (28, 29).
2.7 CD4-Zellzahlen unterliegen wegen der biologischen und klinisch-chemischen
Methodik einer signifikanten Variabilität (26) und können bei wiederholten Messungen
ohne Änderung des klinischen Status um bis zu 30% abweichen. Es ist darum wichtig,
Zeitverläufe zu verfolgen, statt Therapieentscheidungen auf eine einzelne Bestimmung zu
gründen.
2.8 Bei nicht mit einer antiretroviralen Therapie behandelten Patienten sollten die CD4Zellzahlen regelmäßig kontrolliert werden, um die Patienten im Hinblick auf eine
offensichtliche Krankheitsprogression zu überwachen. (Siehe Richtlinien.)
2.9 Bei Patienten, die eine antiretrovirale Therapie erhalten, sollten regelmäßig die CD4Zellzahlen kontrolliert werden, um den anhaltenden immunologischen Nutzen zu
dokumentieren und die jeweilige Ausprägung der Immunschwäche zu beurteilen (28, 29).
(Siehe Richtlinien.)
2.10 Es ist noch nicht bekannt, ob als Reaktion auf eine antiretrovirale Therapie erreichte
CD4-Zellzahlen eine genauso gute Beurteilung der Funktionstüchtigkeit des
Immunsystems ermöglichen und den gleichen Prognosewert für das Risiko
opportunistischer Infektionen wie bei Nichtdurchführung einer Therapie ermittelte CD4Zellzahlen besitzen. Die potentiell unvollständige Erholung der T-Zell-Funktion und die
Vielfalt der Antigenerkennung ungeachtet des durch die antiretrovirale Therapie
induzierten CD4-Zellanstiegs haben die Befürchtung entstehen lassen, die Patienten
könnten bei höheren CD4-Zellzahlen empfindlich für opportunistische Infektionen bleiben.
Solange keine weiteren Erkenntnisse hierüber vorliegen, sollte eine medikamentöse
Prävention fortgesetzt werden, wenn die CD4-Zellzahlen infolge der Einleitung wirksamer
antiretroviraler Therapien über die empfohlenen Schwellenwerte ansteigen (d.h. die
Prävention sollte sich auf die niedrigste zuverlässig bestimmte CD4-Zellzahl stützen) (28).
2.11 In der Vergangenheit wurden oft die p24-Antigen-, Neopterin- und β-2Microglobulin-Spiegel gemessen, um das Risiko der Krankheitsprogression zu beurteilen.
Diese Bestimmungen sind jedoch weniger zuverlässig als HIV-RNS-Plasmaassays und
liefern keine bedeutsamen prognostischen Informationen zusätzlich zu den HIV-RNS-
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Prinzipien der HIV-Therapie
Werten und den CD4-Zellzahlen. Diese Laboruntersuchungen brauchen daher nicht mehr
in die Routineversorgung HIV-infizierter Patienten einbezogen zu werden. Ausgenommen
davon sind Infektionen mit HIV-2 und evt. HIV-1 Subtyp O, solange keine dafür
validierten RNS-Plasmaassays zur Verfügung stehen.
Prinzip 3 a) Die Geschwindigkeit der Krankheitsprogression ist individuell verschieden,
und das Risiko des einzelnen Patienten kann nach derzeitigem Wissen am besten
abgeschätzt werden, wenn sowohl der HIV-RNS-Plasmaspiegel als auch die CD4Zellzahlen berücksichtigt werden. Diese beiden Parameter stellen daher die beiden
wichtigsten Laborkriterien für Entscheidungen zum Therapiebeginn und Therapieverlauf
dar.
b) Darüberhinaus sind jedoch weitere Aspekte bei Therapieentscheidungen von
wesentlicher Bedeutung, insbesondere die Bereitschaft und Fähigkeit eines Patienten, die
Therapie mit der erforderlichen Disziplin und Konsequenz durchzuführen.
Das Risiko der Krankheitsprogression und die Ausprägung des Immundefektes sind die
wichtigsten medizinischen Kriterien bei der Entscheidung über den Zeitpunkt, zu dem bei
einem HIV-Infizierten mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird. Theoretisch
wären von der Einleitung einer antiretroviralen Therapie zum frühestmöglichen Zeitpunkt
auch die stärksten und nachhaltigsten Effekte auf die Erhaltung der Gesundheit HIVInfizierter zu erwarten. Bei der Betrachtung spezifischer Werte der Viruslast oder der CD4Zellzahlen, bei denen eine Therapie eingeleitet werden sollte, ist anzumerken, daß das
Risiko einer Progression der Erkrankung eine kontinuierliche Funktion darstellt (5, 6, 10,
27), d.h.. es ist keine absolute Schwelle der HIV-Replikation bekannt, unterhalb derer es
schließlich nicht zu einer Progression der Krankheit kommt. Gegenwärtig ist bei
Empfehlungen für die Einleitung einer Therapie aber der Tatsache Rechnung zu tragen,
daß die Art und die Anzahl verfügbarer antiretroviraler Medikamente begrenzt ist, für
einen Teil der Medikamente noch keine Erfahrungen über Langzeitwirkungen (> 2 Jahre)
und -nebenwirkungen vorliegen und die Therapieschemata z.T. sehr anspruchsvoll und
kompliziert sind. Es wird derzeit an der Entwicklung weiterer, z.T. voraussichtlich
wirksamerer, besser verträglicher und bequemer zu dosierender Arzneimittel gearbeitet. Es
ist daher zu erwarten, daß sich bereits in den kommenden zwei bis drei Jahren (d.h. bis
zum Jahr 2.000) die Möglichkeiten zur Therapie erweitern und verbessern werden. Dies
sollte bei Entscheidungen für die Einleitung einer Therapie berücksichtigt werden.
3.1 Ärzte und HIV-Infizierte sollten bei Entscheidungen bezüglich der Einleitung einer
antiretroviralen Therapie das anhand der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma und der
CD4-Zellzahlen eingrenzbare Risiko der Krankheitsprogression berücksichtigen. (Siehe
Richtlinien.) Vor der Einleitung einer Kombinationstherapie, die vor allem für
asymptomatische Patienten eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität durch
komplizierte Einnahmeschemata, große Tablettenmengen und mögliche Nebenwirkungen
bedeuten kann, muß durch umfassende und verständliche Aufklärung der zu behandelnden
Person sichergestellt werden, daß die Notwendigkeit einer genauen und kontinuierlichen
Medikamenteneinnahme verstanden wird. Eine auf die individuellen Lebensverhältnisse
eingehende Abklärung möglicher Complianceprobleme sollte auf entsprechende
individuelle Lösungsstrategien abzielen. Ein kontinuierlicher Dialog zwischen Arzt und
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Prinzipien der HIV-Therapie
Behandeltem ist auch im Behandlungsverlauf erforderlich, um frühzeitig auftauchende
Complianceprobleme zu erkennen und angemessen darauf reagieren zu können.
3.2 Es liegen noch keine Erkenntnisse vor, mit denen sich die Größe des therapeutischen
Nutzens bei Personen mit relativ hohen CD4-Zellzahlen und einer niedrigen Anzahl von
HIV-RNS-Kopien im Plasma (z.B. CD4-Zellzahlen >500/mm³ und <10.000 HIV-RNSKopien/ml Plasma) definieren ließe. Neue Erkenntnisse über die Pathogenese der HIVKrankheit erlauben zwar die Prognose, daß eine antiretrovirale Therapie für solche
Patienten von Vorteil sein könnte, aber bei Personen mit geringem Risiko einer
Krankheitsprogression müssen Entscheidungen über den Beginn einer antiretroviralen
Therapie auch den möglichen Schwierigkeiten bezüglich einer längerfristigen Compliance
und der Toxizität der verfügbaren antiretroviralen Medikamente Rechnung tragen. Bei
einer Entscheidung, die Therapie aufzuschieben, sollten entsprechend der Empfehlung in
den Richtlinien regelmäßig die Anzahl der HIV-RNS-Kopien und die CD4-Zellzahlen
kontrolliert werden.
3.3 Personen, bei denen die Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma bei gleichzeitig
hohen CD4-Zellzahlen niedrig liegt (siehe auch Progressionstabellen in den Richtlinien),
tragen für die nähere Zukunft ein geringes Risiko einer Progression der Krankheit. Der
mögliche Nutzen einer Therapie für diesen Personenkreis ist nicht bekannt. Wird ein
Aufschub der Therapie beschlossen, sollten entsprechend der Empfehlung in den
Richtlinien regelmäßig die Anzahl der HIV-RNS-Kopien und die CD4-Zellzahlen
kontrolliert werden.
Bei Patienten im Spätstadium der Krankheit (mit klinisch sich manifestierenden
Auswirkungen einer fortgeschrittenen Immunschwäche oder sehr niedrigen CD4Zellzahlen, z.Β. <50 Zellen/mm³) hat sich eine geeignete antiretrovirale Therapie als
nützlich erwiesen, was durch ein vermindertes Risiko einer weiteren Progression der
Krankheit oder des Todes belegt wird (23, 28). Bei solchen Patienten kann eine
antiretrovirale Therapie auch dann von Nutzen sein, wenn kein Anstieg der CD4Zellzahlen zu beobachten ist. Ein Absetzen der antiretroviralen Therapie sollte darum vor
diesem Hintergrund nur dann erwogen werden, wenn die verfügbaren antiretroviralen
Behandlungen die HIV-Replikation nicht meßbar unterdrücken, die Toxizität der
Medikamente schwerer wiegt als der erwartete klinische Nutzen und von der
antiretroviralen Therapie keine Verbesserung des Überlebens und der Lebensqualität
erwartet wird (z.B. bei Patienten im terminalen Stadium).
Prinzip 4 Der wichtigste Grund für das Versagen einer antiretroviralen Therapie ist die
Selektion resistenter HIV-Varianten. Die Entwicklung einer Resistenz kann nach
derzeitiger Kenntnis am besten durch eine möglichst vollständige Unterdrückung der HIVReplikation verhindert oder zumindest verzögert werden.
Andere Strategien, den Wirkungsverlust von Medikamenten durch Resistenzentwicklung
zu vermeiden, sind entweder nur begrenzt wirksam (Lamivudin) oder noch nicht
ausreichend geprüft (Hydroxyurea).
Gleichzeitig wird durch die Hemmung der Virusreplikation auch die Krankheitsprogression verzögert. Bezüglich der Krankheitsprogression ist jedoch nicht bekannt ob es
wesentliche qualitative Unterschiede zwischen einem niedrigen, noch nachweisbaren HIV-
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Prinzipien der HIV-Therapie
RNS-Spiegel und einem nicht mehr nachweisbaren HIV-RNS-Spiegel gibt. Die Begründung
für das Therapieziel einer möglichst vollständigen Suppression der HIV-Replikation ergibt
sich daher in erster Linie aus der Verhinderung einer Resistenzentwicklung.
Untersuchungen zur Biologie und Pathogenese der HIV-Infektion bilden die Grundlage für
eine Anwendung antiretroviraler Medikamente mit dem Ziel einer nachhaltigen und
dauerhaften Suppression der HIV-Replikation. Die Fähigkeit von HIV zur Entwicklung
einer Arzneimittelresistenz stellt das größte Hindernis für die Langzeitwirksamkeit der
antiretroviralen Therapie dar (21). Neuere klinische Erkenntnisse weisen jedoch darauf hin,
daß sich eine solche Resistenzentwicklung durch die rationelle Anwendung von
Kombinationstherapien verzögern oder gar verhindern läßt. Bestandteile dieser
Kombinationstherapien sind neuentwickelte potente Substanzen, mit denen sich die HIVReplikation auf Werte senken läßt, die sich auch mit empfindlichen HIV-RNSPlasmaassays nicht nachweisen lassen (23, 39, 40). Bei einer so ausgeprägten
Unterdrückung der nachweisbaren HIV-Replikation nimmt die Möglichkeit einer
Akkumulation von Mutationen ab, aus denen arzneimittelresistente Virusvarianten
entstehen könnten. Darüber hinaus ermöglichen der Grad und die Dauer der Hemmung der
HIV-Replikation durch eine antiretrovirale Therapie eine Prognose über die
Größenordnung des von der Behandlung zu erwartenden klinischen Nutzens (9, 13, 2325). Die mögliche Toxizität der Therapie wie auch die Lebensqualität des Patienten und
seine Fähigkeit zur Befolgung eines komplizierten antiretroviralen Therapieschemas
sollten gegen den zu erwartenden klinischen Nutzen einer maximalen Suppression der
HIV-Replikation und die mutmaßlichen Risiken einer unvollständigen Suppression
abgewogen werden.
4.1 Sobald die Einleitung einer antiretroviralen Therapie beschlossen worden ist, sollte
das Behandlungsziel im Idealfall in der Suppression der aktiven HIV-Replikation unter die
Nachweisgrenze empfindlicher HIV-RNS-Plasmaassays bestehen.
4.2 Läßt sich keine Suppression der HIV-Replikation auf nicht nachweisbare Werte
erzielen, sollte die Therapie auf eine möglichst weitgehende und möglichst lang anhaltende
Suppression der Virusreplikation abzielen. Eine weniger komplette Suppression der HIVReplikation dürfte auch einen weniger ausgeprägten und nicht so dauerhaften
immunologischen und klinischen Nutzen zur Folge haben. Je höher die HIV-Replikation
unter einer Therapie ist, desto größer wird das Risiko für eine schnellere Ausbildung einer
Resistenz gegen die eingesetzten antiretroviralen Medikamente und eine entsprechende
Abschwächung des klinischen Nutzens. Ohne eine wirksame Suppression der
nachweisbaren HIV-Replikation läßt sich zur Zeit kein genaues Ziel für die Suppression
der HIV-Replikation angeben, das prognostizierbare klinische Vorteile mit sich bringt. Aus
neueren Erkenntnissen geht jedoch hervor, daß eine Suppression der Anzahl der HIVRNS-Kopien unter 5.000/ml wahrscheinlich einen signifikanteren und dauerhafteren
klinischen Nutzen als eine weniger vollständige Suppression bringen dürfte (24).
4.3 Die zur Verfügung stehenden HIV-RNS-Assays weisen ähnliche Empfindlichkeitsschwellen auf (19, 41-46; siehe Tabelle 1). Ende 1997/Anfang 1998 wurden in
Deutschland sog. ultrasensitive Versionen dieser Testverfahren verfügbar, die die
Nachweisgrenze um eine weitere log-Stufe verringern (von 200-500 Kopien/ml auf ca.
20.50 Kopien/ml). Das Idealziel der antiretroviralen Therapie sollte in der Suppression der
HIV-RNS-Werte unter die Nachweisgrenze dieser empfindlicheren Assays bestehen. Eine
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Prinzipien der HIV-Therapie
weniger nachhaltige Suppression der HIV-Replikation ist mit einer größeren
Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Arzneimittelresistenz verbunden (23, 40).
4.4 Auch wenn eine Suppression der HI-Virämie unter die Nachweisgrenze
empfindlicher HIV-RNS-Assays auf eine nachhaltige Hemmung neuer
Virusreplikationszyklen hindeutet, ist damit noch keine Eradikation der Infektion erfolgt
oder die Virusreplikation völlig zum Stillstand gebracht (37, 47, 48). Die HIV-Replikation
geht unter Umständen in verschiedenen Geweben (wie dem lymphatischen Gewebe und
dem Zentralnervensystem) weiter, obwohl das Virus sich mit HIV-RNS-Assays nicht mehr
im Plasma nachweisen läßt. In experimentellen Studien werden Strategien für eine
potentielle Eradikation vorangetrieben, doch ist die Erfolgswahrscheinlichkeit ungewiß
(37, 49). Bei Patienten, die mit Hilfe einer antiretroviralen Therapie ein Absinken der
Anzahl der HIV-RNS-Kopien unter die Nachweisgrenze erreichen konnten, sind die
entsprechenden Werte laufend zu überwachen, da diese Wirkung unter Umständen nur
vorübergehend ist. (Siehe Richtlinien.)
4.5 Eine alternative Strategie zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der
Empfindlichkeit von HIV gegenüber Nukleosidanaloga ist die Veränderung des
Verhältnisses zwischen „falschen“ und „richtigen“ Nukleotiden durch Verminderung der
intrazellulär verfügbaren Nukleotide. Das erste klinisch geprüfte Beispiel für diese
Strategie ist die Kombination von ddI mit Hydroxyurea. Hydroxyurea vermindert die
Konzentration der zellulären Nukleotide, mit denen ddI um den Einbau in die DNS
konkurriert. Dadurch wird ein genotypisch resistentes Virus phänotypisch wieder
empfindlich für die Medikamentenwirkung. Da Hydroxyurea auf ein zelluläres Enzym
wirkt, kann das Virus gegen diese Wirkung keine direkte Resistenz entwickeln. Der
gleichzeitige myelosuppressive Effekt von Hydroxyurea verhindert jedoch einen dem
Viruslast-Rückgang entsprechenden CD4-Zellanstieg. Weitere Wirkmechanismen wie eine
Hemmung der Zellaktivierung werden diskutiert, ihre Bedeutung ist aber bislang nicht
geklärt.
4.6 Eine weitere Strategie zur Verzögerung der Resistenzentwicklung ist die Ausnutzung
bestimmter Wechselwirkungen zwischen Resistenzmutationen. Einziges bisher bekanntes
klinisch relevantes Beispiel für diese Strategie ist die Lamivudin-Resistenzmutation am
Kodon 184, die teilweise zur Wiederherstellung der Empfindlichkeit auf Zidovudin (und
Stavudin?) bzw. zur Verlängerung der Wirksamkeit dieser Substanzen führt. Der genaue
Mechanismus dieser Wechselwirkung ist noch nicht geklärt; es wird eine höhere
Genauigkeit der reversen Transkription nach Auftreten der 184er Mutation sowie eine
Zunahme der erforderlichen Resistenzmutationen zur Ausbildung einer höhergradigen
Resistenz gegen Zidovudin oder Stavudin diskutiert. Es handelt sich um eine zeitlich
begrenzte Verzögerung in der Resistenzausbildung. Die Ausnutzung des vollen
antiretroviralen Effektes von Lamivudin unter Vermeidung der Resistenzmutation am
Kodon 184, wie sie in stark wirksamen Kombinationsregimen erreicht werden kann,
erscheint vorteilhafter.
Prinzip 5 Das effektivste Mittel zur Erzielung einer dauerhaften Suppression der HIVReplikation ist die gleichzeitige Einleitung einer Kombinationstherapie mit wirksamen
11
Prinzipien der HIV-Therapie
Anti-HIV-Medikamenten, mit denen der Patient zuvor noch nicht behandelt worden ist und
die keine Kreuzresistenz mit antiretroviralen Präparaten aufweisen, die der Patient schon
einmal erhalten hat.
Bei der Kombination der zur Therapie eines HIV-Infizierten einzusetzenden
antiretroviralen Medikamente sollte eine Reihe von Aspekten bedacht werden. Die
Wirksamkeit einer bestimmten antiretroviralen Kombinationstherapie hängt nicht nur von
der Zahl der eingesetzten Arzneimittel ab. Die wirksamsten antiretroviralen Medikamente
besitzen eine hohe Wirkungsstärke und vorteilhafte pharmakologische Eigenschaften, und
es kommt bei ihnen erst dann zu einer ausgeprägten Arzneimittelresistenz, wenn das HIV
in dem entsprechenden HIV-Zielgen multiple Mutationen erworben hat. Darüber hinaus
können durch eine Behandlung mit bestimmten antiretroviralen Medikamenten selektierte
arzneimittelresistente HIV-Varianten unter Umständen weniger gut in der Lage sein, sich
bei Infizierten zu replizieren (verminderte „Fitness“) (21). In Kombination angewandte
Medikamente sollten eine additive oder synergistische antiretrovirale Wirkung aufweisen,
frei von antagonistischen pharmakokinetischen oder antiretroviralen Eigenschaften sein
und sich in ihrer Toxizität nicht überschneiden. Im Idealfall besitzen die gewählten
Pharmaka molekulare Wechselwirkungen, die die Wirkung der antiretroviralen Therapie
verstärken oder das Auftreten einer Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente
verzögern. Stehen für eine Kombinationstherapie mehrere Optionen zur Verfügung, sollten
spezifische antiretrovirale Medikamente so eingesetzt werden, daß künftige
Therapieoptionen erhalten bleiben, falls die zuerst gewählte Behandlung nicht zum
gewünschten Ergebnis führt. Nach Möglichkeit sollte die Therapie stets mit einer
rationellen Kombination antiretroviraler Medikamente, einem vorgegebenen Ziel für den
gewünschten Suppressionsgrad der HIV-Replikation und einem vorher festgelegten
alternativen antiretroviralen Therapieschema eingeleitet (oder modifiziert) werden, sollte
das angestrebte Ziel nicht erreicht werden. (Siehe Richtlinien)
5.1 Die bei Therapiebeginn oder -änderung eingesetzte Kombination antiretroviraler
Medikamente muß sorgfältig ausgewählt werden, da sie sich auf spätere Optionen einer
wirksamen antiretroviralen Therapie auswirkt, falls das gewählte Therapieschema nicht zu
einer zufriedenstellenden Suppression der HIV-Replikation führt.
5.2 Die beste Aussicht auf eine maximale Suppression der Virusreplikation, eine
Minimierung des Risikos des Auftretens arzneimittelresistenter HIV-Varianten sowie eine
Maximierung des Schutzes vor einer laufenden Schädigung des Immunsystems bietet die
Anwendung wirksamer antiretroviraler Medikamente bei Patienten, die zuvor noch keine
Anti-HIV-Therapie erhalten haben.
5.3 Kein einziges der gegenwärtig verfügbaren antiretroviralen Medikamente - auch
nicht die potenteren Protease-Inhibitoren - vermag als Einzelpräparat („Monotherapie“)
reproduzierbar eine signifikante, dauerhafte Suppression der HIV-Replikation
herbeizuführen. Darüber hinaus birgt die Anwendung potenter antiretroviraler
Medikamente als Monotherapeutika die große Gefahr der Ausbildung einer
Arzneimittelresistenz und der möglichen Entwicklung einer Kreuzresistenz gegenüber
verwandten Pharmaka in sich. Die antiretrovirale Monotherapie ist somit keine empfohlene
Option mehr für die Behandlung von HIV-Infizierten (siehe Richtlinien). Eine Ausnahme
ist die Anwendung von Zidovudin nach dem ACTG 076-Schema (AIDS Clinical Trials
Group), um gezielt das Risiko einer perinatalen HIV-Übertragung bei Schwangeren zu
12
Prinzipien der HIV-Therapie
verringern, die sich noch nicht auf der Grundlage der eigenen gesundheitlichen
Indikationen für die Einleitung einer antiretroviralen Therapie entschieden haben (50-52).
Diese zeitlich begrenzte Anwendung von Zidovudin zur Verhinderung der perinatalen
HIV-Übertragung hat für Säuglinge bedeutsame Vorteile und dürfte die Fähigkeit der
Mutter, in Zukunft aus einer antiretroviralen Kombinationstherapie Nutzen zu ziehen,
kaum nennenswert in Frage stellen.
5.4 Antiretrovirale Medikamente wie Lamivudin (3TC) oder die nicht-nukleosidischen
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTIs: Nevirapin und Delavirdin), die eine starke
Wirkung besitzen, gegen die HIV jedoch leicht eine ausgeprägte Resistenz entwickelt,
sollten nicht in Therapieschemata verwendet werden, die nur zu einer unvollständigen
Suppression der nachweisbaren HIV-Replikation führen dürften.
5.5 Eine dauerhafte Suppression einer nachweisbaren HIV-Replikation wird gegenwärtig
am besten durch Verwendung von zwei Nukleosid-Analoga-Reverse-TranskriptaseInhibitoren in Kombination mit einem potenten Protease-Inhibitor oder einer ProteaseInhibitor-Zweifachkombination erzielt. Bei noch nie zuvor mit antiretroviralen
Medikamenten behandelten Patienten wird auch für die Anwendung von zwei NukleosidAnaloga-RT-Inhibitoren in Kombination mit einem NNRTI (z.B. Zidovudin, Didanosin
und Nevirapin [40]) über eine Suppression der nachweisbaren HIV-Replikation berichtet.
Die Rolle dieses Ansatzes als antiretrovirale Initialtherapie sollte jedoch noch besser
bestimmt werden, bevor er als Basisstrategie empfohlen werden kann. Darüber hinaus ist
dieses Vorgehen bei Patienten, die vorher schon mit Nukleosid-Analoga-ReverseTranskriptase-Inhibitoren behandelt wurden, deutlich weniger wirksam (53-55). Bei der
Teilmenge der zuvor behandelten Patienten, die auf solche Therapieschemata anfänglich
ansprechen, ist die Suppression der HIV-Replikation oft nur vorübergehend und der damit
verbundene klinische Nutzen begrenzt.
5.6 Eine Reihe von HIV-Infizierten und ihre Ärzte sehen die Anwendung einer
Kombination von weniger als drei antiretroviralen Medikamenten unter Umständen als
Option an. Diese Option kann dann erwogen werden, wenn die Lebensumstände des
Patienten keine ausreichende Compliance erwarten lassen und/oder der Einsatz von
Protease-Inhibitoren für einen späteren Zeitpunkt reserviert werden soll. Bei dieser
Entscheidung ist jedoch zu bedenken, daß bisher noch keine Kombination von zwei
gegenwärtig verfügbaren Nukleosid-Analoga-RT-Inhibitoren regelmäßig eine signifikante
und dauerhafte Suppression der HIV-Replikation erbracht hat. Auch wenn der anfängliche
Rückgang der Anzahl der HIV-RNS-Kopien nach einer Therapie mit zwei RTI’en
ermutigend sein mag, hat die Nachhaltigkeit des Ansprechens über 24-48 Wochen hinaus
in kontrollierten Studien enttäuscht (40, 54-58). Darüber hinaus kann die Selektion
arzneimittelresistenter HIV-Varianten durch antiretrovirale Therapieschemata, die keine
dauerhafte Suppression der HIV-Replikation zu bewirken vermögen, die Bandbreite
künftiger Behandlungsoptionen einschränken. Als eines der Argumente für den Einsatz
von Zweifachkombinationen von Nukleosid-Analoga wird die leichtere Compliance mit
einer solchen Therapie aufgrund geringerer Tablettenmengen und eines einfacheren
Einnahmeschemas angeführt. Erfahrungen mit anderen Langzeittherapien zeigen, daß
komplizierte Einnahmeschemata ein größeres Problem für die Compliance darstellen als
die reine Anzahl von Tabletten. Falls daher Complianceprobleme erwartet oder befürchtet
werden, sollte zunächst nach dem konkreten Grund für die erwarteten Probleme gesucht
und über entsprechende Lösungsmöglichkeiten nachgedacht werden. Es gibt
13
Prinzipien der HIV-Therapie
Dreifachkombinationen, die nur eine zweimal tägliche Einnahme erfordern. Mit
zusätzlichen einfacheren Kombinationstherapie-Schemata ist in absehbarer Zukunft zu
rechnen.
5.7 Auch bei noch nie zuvor mit antiretroviralen Medikamenten behandelten Patienten
wird die Anwendung von NNTRI’en in Kombination mit Nukleosid-Analoga-RTI’en nicht
als eine Therapieoption der ersten Wahl empfohlen, da die Gefahr einer Selektion NNRTIresistenter HIV-Varianten bei Therapieschemata, die keine Suppression der nachweisbaren
HIV-Replikation bewirken, sehr groß ist (1, 59). In mehreren Studien wurde über eine
Suppression der nachweisbaren HIV-Replikation durch bestimmte Kombinationen von
zwei Protease-Inhibitoren - mit oder ohne zusätzliche Gabe von Nukleosidanaloga berichtet (60, 61). Die zweimal tägliche Dosierung, die bei dieser Behandlungsoption
möglich ist, und die relativ gute Verträglichkeit sind Argumente dafür, solche
Medikamentenkombinationen als Initialtherapie in Erwägung zu ziehen. Derzeit ist aber
noch unklar, wie sinnvoll bzw. notwendig es ist, ein oder zwei Nukleosidanaloga mit den
zwei Protease-Inhibitoren zu kombinieren (siehe Richtlinien).
5.8 Wird bei einem zuvor schon behandelten Patienten eine Änderung der
antiretroviralen Therapie erwogen, kommt der bisherige Anti-HIV-Therapieanamnese
entscheidende Bedeutung zu. Die als Komponenten eines neuen antiretroviralen
Therapieschemas ausgewählten Pharmaka sollten keine Kreuzresistenz gegenüber zuvor
eingesetzten antiretroviralen Medikamenten besitzen (oder im Zusammenhang mit der
Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente ähnliche Mutationsmuster aufweisen) (siehe
Prinzip 7 zu weiteren Betrachtungen). Welche Rolle geno- und phänotypische
Resistenzbestimmungen bei der Auswahl geeignter Kombinationspartner spielen können
bedarf weiterer Klärung.
5.9 Bei der Umstellung von einem erfolglosen Therapieschema muß unbedingt mehr als
eine Komponente des Schemas geändert werden. Die Hinzunahme einzelner
antiretroviraler Medikamente wird wahrscheinlich, auch wenn es sich um sehr potente
Substanzen handelt, für die Entwicklung einer Virusresistenz gegen den neuen Wirkstoff
prädisponieren.
Prinzip 6 Jedes der antiretroviralen Medikamente, die bei Kombinationstherapien
verwendet werden, sollte stets in optimalen Therapieschemata und Dosierungen eingesetzt
werden. Um die unregelmäßige und fehlerhafte Einnahme von Kombinationstherapien zu
vermeiden, muß der behandlungswillige Patient in verständlicher Form über die
Wirkungsweise der Medikamente und die Risiken einer inkonsequenten Therapie
aufgeklärt werden. Faktoren, die die Therapietreue (Compliance) des Patienten
beeinflussen, sind aber nicht alleine im Verstehen des Patienten begründet. Auch eine
mangelnde Berücksichtigung seiner Lebenssituation und Verhaltensänderungen, die von
Therapien erzwungen werden, können die Compliance negativ beeinflussen. Positiv
können sich auswirken eine gemeinsam von Arzt und Patient gefundene Zielsetzung , eine
kontinuierliche Erörterung der Therapie und der Austausch innerhalb des sozialen
Umfeldes.
Die Anwendung von Kombinationen antiretroviraler Medikamente mit dem Ziel einer
konstanten, maximalen Suppression der HIV-Replikation ist der beste Weg, um die
14
Prinzipien der HIV-Therapie
Entwicklung arzneimittelresistenter Varianten von HIV zu verhindern oder zumindest zu
verzögern.
6.1 Bei einer Kombinationstherapie sollte mit allen Präparaten gleichzeitig begonnen
werden (im Idealfall in einem Abstand von 1-2 Tagen). Antiretrovirale Substanzen sollten
nicht sequentiell hinzugenommen werden. Die schrittweise Einführung einzelner
antiretroviraler Medikamente erhöht die Wahrscheinlichkeit einer unvollständigen
Suppression der HIV-Replikation, was eine zunehmende Häufung von Mutationen erlaubt,
die Resistenz gegen mehrere antiretrovirale Präparate verleihen können. Statt zu
versuchen, die Akzeptanz des Patienten für die Therapie durch sequentielle Hinzunahme
antiretroviraler Medikamente zu erhöhen, ist es sinnvoller, die Patienten vor einer
antiretroviralen Therapie eingehend zu beraten und aufzuklären, auch wenn das den
Therapiebeginn ein wenig verzögen kann.
6.2 Eine antiretrovirale Kombinationstherapie sollte nach Möglichkeit nur in den
empfohlenen Arzneimitteldosierungen gegeben werden. Nach Therapiebeginn sollte eine
Unterdosierung eines jeden in einer Kombination eingesetzten Präparats oder die Gabe nur
eines Teils der Medikamente einer Kombinationstherapie stets vermieden werden. Eine
Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente ist weniger wahrscheinlich, wenn jede
antiretrovirale Therapie vorübergehend eingestellt wird, als wenn die Dosierung reduziert
oder eine Komponente aus einer wirksamen Suppressionstherapie herausgenommen wird.
Kommt es infolge einer unzureichenden oder nicht vorschriftsmäßigen Dosierung
antiretroviraler Medikamente zu einer Resistenzentwicklung gegen diese Präparate, kann
auch die spätere regelmäßige Gabe dieser Arzneimittel in den empfohlenen Dosierungen
kaum noch eine wirksame Suppression der HIV-Replikation herbeiführen.
6.3 Die Befolgung eines antiretroviralen Therapieschemas durch die Patienten ist für den
Erfolg der Therapie entscheidend. Werden antiretrovirale Medikamente in unzureichender
Dosierung oder nur intermittierend eingesetzt, erhöht sich das Risiko der Entwicklung
arzneimittelresistenter HIV-Varianten beträchtlich. Die effektive Befolgung komplizierter
medizinischer Therapieschemata setzt noch vor dem Beginn der Behandlung eine
umfassende Aufklärung des Patienten über die Zielsetzungen und Beweggründe der
Therapie sowie eine laufende aktive Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient voraus,
nachdem die Therapie eingeleitet worden ist. Eine sorgfältige Beachtung der
Dosierungsintervalle, der Möglichkeit der gleichzeitigen Gabe mehrerer Arzneimittel
sowie des Zusammenhangs zwischen der Arzneimittelgabe und den Mahlzeiten sind
erforderlich.
6.4 Die zur Zeit verfügbaren wirksamen Schemata für die antiretrovirale
Kombinationstherapie verlangen, daß der Patient zu bestimmten Tageszeiten mehrere
Medikamente einnimmt. Für Personen mit instabilen Lebensverhältnissen oder begrenzter
Unterstützung aus dem sozialen Umfeld kann es möglicherweise besonders schwierig sein,
die empfohlenen antiretroviralen Therapieschemata zu befolgen. Verhindern die Umstände
die Einhaltung der effektivsten heute verfügbaren antiretroviralen Therapieschemata,
dürfte die Behandlung dem Patienten auf lange Sicht kaum Vorteile bringen, und das
Risiko der Selektion arzneimittelresistenter HIV-Varianten wird zunehmen. Patienten,
denen eine antiretrovirale Kombinationstherapie angeboten wird, sollten deshalb unbedingt
ein Mindestmaß an Stabilität bezüglich ihrer Lebensverhältnisse sowie eine ausreichende
soziale Unterstützung aufweisen. Ärzte und Selbsthilfegruppen sollten zusammenarbeiten,
15
Prinzipien der HIV-Therapie
um HIV-Infizierten die Einhaltung antiviraler Therapieschemata zu ermöglichen und zu
erleichtern. Ärzte sollten eine Beurteilung der Compliancefähigkeit individuell vornehmen
und nicht davon ausgehen, daß ein bestimmter Personenkreis von vorneherein nicht zur
Compliance in der Lage ist.
Prinzip 7 Es steht nur eine begrenzte Zahl wirksamer antiretroviraler Medikamente und
Wirkmechanismen zur Verfügung, und zwischen bestimmten Substanzen ist eine Kreuzresistenz belegt. Mit jeder Änderung der antiretroviralen Therapie werden die künftigen
Therapiemöglichkeiten entsprechend eingeschränkt.
Entscheidungen über eine Änderung der Therapie hängen in hohem Maße von der
Beurteilung klinischer Fragen sowie der Zahl der verfügbaren alternativen antiretroviralen
Medikamente ab. Jede beschlossene Therapieänderung kann künftige
Behandlungsoptionen einschränken. Dehalb dürfen verfügbare Präparate nicht verfrüht
abgesetzt werden. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob die pathogenen Folgen einer meßbaren
HIV-Replikation unter einer Therapie denen eines entsprechenden Replikationsgrads bei
einem Unbehandelten entsprechen. Vorläufige Erkenntnisse deuten allerdings darauf hin.
Die Intensität, mit der sich die HIV-Replikation unter einem antiretroviralen
Therapieschema fortsetzt, das die Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma nicht unter die
Nachweisgrenze gesenkt hat, sollte darum als Anhaltspunkt dafür gesehen werden, wie
dringend eine Therapieänderung erforderlich ist.
7.1 Ein Anstieg der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma eines mit einer
antiretroviralen Therapie behandelten Patienten kann auf eine Reihe von Faktoren
zurückgehen. Die Ermittlung des auslösenden Faktors stellt, wo immer sie möglich ist, ein
wichtiges Ziel dar. Hinweise auf eine verstärkte HIV-Replikation können auf fehlende oder
zu gering dosierte Einnahme von Medikamenten, das Auftreten arzneimittelresistenter
HIV-Varianten, eine wegen physiologischer Veränderungen oder ArzneimittelWechselwirkungen modifizierte Verstoffwechselung der Medikamente oder eine
zwischenzeitige Infektion hindeuten.
7.2 Vor einer Entscheidung über eine Änderung der antiretroviralen Therapie wegen
einer Zunahme der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma müssen die Messungen der
HIV-RNS-Kopien unbedingt wiederholt werden, damit nicht wegen irreführender oder
verfälschter HIV-RNS-Werte (z.B. aufgrund einer zwischenzeitigen Infektion oder
mangelhafter Compliance) unnötige Änderungen vorgenommen werden.
7.3 Die antiretrovirale Therapie sollte geändert werden, wenn HIV-RNS-Kopien im
Plasma wieder nachweisbar werden und ihre Anzahl bei einem Patienten, bei dem sie
zuvor unter die Nachweisgrenze gesenkt worden war, weiter ansteigt. Bei Personen, bei
denen die Suppression zuvor unvollständig geblieben war, sollte ein rascher Anstieg der
Zahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma an eine Änderung der antiretroviralen Therapie
denken lassen. (Siehe Richtlinien.) Von einem Therapieversagen sollte aber nur dann
ausgegangen werden, wenn der Anstieg der Viruslast durch eine
Wiederholungsuntersuchung bestätigt und andere mögliche Ursachen wie z.B.
unzureichende Compliance, Immunisierungen und zwischenzeitliche Infekte
ausgeschlossen worden sind.
16
Prinzipien der HIV-Therapie
7.4 Auch Anzeichen einer Toxizität oder Unverträglichkeit antiretroviraler Medikamente
stellen einen wichtigen Anlaß dar, über Änderungen der medikamentösen Therapie
nachzudenken. In bestimmten Fällen können diese Erscheinungen vorübergehend sein, und
die Therapie kann unter Beachtung der erforderlichen Beratung und einer fortlaufenden
Kontrolle und Betreuung des Patienten fortgeführt werden. Muß die Therapie wegen
Toxizität oder Unverträglichkeit geändert werden, sollten entsprechend der erwarteten
Wirksamkeit und des Fehlens einer ähnlichen Toxizität alternative antiretrovirale
Medikamente ausgewählt werden. In einer solchen Situation ist es sinnvoll, ein
Medikament (im Idealfall aus der gleichen Substanzklasse und mit der gleichen oder einer
höheren antiretroviralen Wirksamkeit) anstelle eines anderen zu geben, die übrigen
Komponenten des Therapieschemas aber beizubehalten.
Prinzip 8 Antiretrovirale Therapie von Frauen während einer Schwangerschaft.
8.1 Die Anwendung einer antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten Schwangeren wirft
spezielle Fragen auf (62) (siehe auch Richtlinien). Eine HIV-Beratung und das Angebot
von HIV-Tests für schwangere Frauen werden in Deutschland empfohlen. Zur Versorgung
HIV-infizierter Schwangerer sollte eine Zusammenarbeit zwischen dem die Frau außerhalb
ihrer Schwangerschaft behandelnden HIV-Spezialisten, ihrem Geburtshelfer, dem später
das Kind weiterbetreuenden Kinderarzt und der Schwangeren selbst gehören.
8.2 Therapieempfehlungen für HIV-infizierte Schwangere sollten auf der Überlegung
aufbauen, daß für Frauen bekanntermaßen vorteilhafte Behandlungen diesen während ihrer
Schwangerschaft nicht vorenthalten werden sollten, es sei denn es liegen bekannte
unerwünschte Wirkungen auf die Mutter, den Fetus oder das Neugeborene vor, die
schwerer wiegen als der potentielle Nutzen für die Frau (62). In bezug auf eine
antiretrovirale Therapie während der Schwangerschaft stellen sich zwei gesonderte, aber
dennoch miteinander verbundene Fragen: a) Anwendung einer antiretroviralen Therapie
aus gesundheitlichen Indikationen der Mutter und b) Einsatz antiretroviraler Medikamente
zur Verringerung des Risikos einer perinatalen HIV-Übertragung. Es steht fest, daß eine
Zidovudin-Monotherapie die Gefahr einer perinatalen HIV-Übertragung signifikant
reduziert. Darüber hinaus belegen eine Reihe von Studien und Beobachtungen, daß durch
eine frühzeitige Schnittentbindung, möglichst vor Einsetzen der Geburtswehen, die HIVTransmissionsrate von der Mutter auf das Kind ebenfalls reduziert werden kann.
Gegenwärtig gilt eine Kombination beider Maßnahmen in Deutschland als das
erfolgversprechendste Vorgehen.
8.3 Für den Einsatz antiretroviraler Medikamente bei Schwangeren gelten ganz
besondere Erwägungen, unter anderem potentielle Änderungen der erforderlichen
Dosierungen wegen der schwangerschaftsbedingten physiologischen Veränderungen und
der möglichen Wirkungen des Pharmakons auf den Feten und das Neugeborene (z.B.
Plazentagängigkeit des Arzneimittels und vorklinische Daten, die auf eine potentielle
Teratogenität, Mutagenität oder Kanzerogenität hinweisen) (siehe Richtlinien).
8.4 Über die Anwendung antiretroviraler Medikamente während der Schwangerschaft
stehen keine Langzeit-Sicherheitsstudien zur Verfügung. Da das erste Trimenon der
Schwangerschaft (Woche 1-14) im Hinblick auf die Teratogenität am anfälligsten ist
17
Prinzipien der HIV-Therapie
(insbesondere die ersten 8 Wochen), erscheint es ratsam, eine antiretrovirale Therapie nach
Möglichkeit erst ab der 14. Schwangerschaftswoche einzuleiten.
8.5 Zum Zeitpunkt der Diagnose ihrer Schwangerschaft bereits mit antiretroviralen
Medikamenten behandelte Frauen können diese Behandlung fortsetzen. Andererseits kann
eine früh im ersten Trimenon (vor 8 Wochen) vermutete oder festgestellte
Schwangerschaft auch dazu veranlassen, die antiretrovirale Therapie aufgrund von
Bedenken wegen möglicher Teratogenität nach Möglichkeit bis zur
14. Schwangerschaftswoche auszusetzen. Zur Zeit reichen die Erkenntnisse noch nicht aus,
um Bedenken wegen einer möglichen Teratogenität zu untermauern oder zu verwerfen.
Wird eine antiretrovirale Therapie im ersten Trimenon aus irgendeinem Grund
abgebrochen, sollten alle Medikamente gleichzeitig abgesetzt werden. Ebenso sollten sie
gegebenenfalls auch gleichzeitig wieder verabreicht werden.
8.6 Die Therapie einer Schwangeren mit einer antiretroviralen Medikation, mit der sich
die HIV-Replikation nicht unter die Nachweisgrenze senken läßt, bringt wahrscheinlich
eine Selektion arzneimittelresistenter HIV-Varianten mit sich und schränkt die Fähigkeit
der Frau ein, künftig positiv auf wirksame Kombinationstherapien anzusprechen. Die
Ausbildung arzneimittelresistenter HIV-Varianten während einer unvollständigen
Suppression der HIV-Replikation bei einer Schwangeren kann die Fähigkeit eben dieser
antiretroviralen Medikamente zu einer effektiven Senkung des Risikos einer perinatalen
Übertragung bei einer Verabreichung intra partum und/oder an das Neugeborene
einschränken.
8.7 Eine Übertragung von HIV von der Mutter auf den Säugling kann auf jedem Niveau
der mütterlichen Viruslast stattfinden, auch wenn eine höhere Viruslast generell mit einem
höheren Übertragungsrisiko in Verbindung gebracht wird (51, 63). Die Behandlung mit
Zidovudin vermag die perinatale HIV-Übertragung ungeachtet der mütterlichen Viruslast
nachweislich wirksam zu verringern (51, 52). Deshalb sollte der Einsatz von Zidovudin mit
allen HIV-infizierten Schwangeren ungeachtet der Anzahl von HIV-RNS-Kopien im
Plasma erörtert und ihnen angeboten werden (52).
Prinzip 9 Für HIV-infizierte Kinder und Erwachsene gelten die gleichen Prinzipien der
antiretroviralen Therapie. Bei der Behandlung HIV-infizierter Kinder sind jedoch pharmakologische, virologische und immunologische Besonderheiten zu berücksichtigen.
Die Erkenntnisse, auf die sich die oben umrissenen Prinzipien der antiretroviralen Therapie
stützen, stammen zumeist aus Untersuchungen an HIV-infizierten Erwachsenen. Es ist
jedoch sehr unwahrscheinlich, daß die Grundprinzipen derr HIV-Krankheit bei HIVinfizierten Kindern anders aussehen. Die aus Studien bei HIV-infizierten Säuglingen und
Kindern verfügbaren Daten deuten darauf hin, daß die gleichen grundlegenden
virologischen Prinzipien gelten und auch die optimalen Therapieansätze dürften ähnlich
sein (14-18, 25). Deshalb sollten HIV-infizierte Kinder, wie es schon bei den HIVinfizierten Erwachsenen beschrieben wurde, mit wirksamen Kombinationen antiretroviraler
Medikamente und dem Ziel behandelt werden, eine dauerhafte Suppression der HIVReplikation unter die Nachweisgrenze zu erreichen.
18
Prinzipien der HIV-Therapie
Leider stehen nicht alle antiretroviralen Medikamente, die sich in Kombinationstherapien
bei Erwachsenen als wirksam erwiesen haben, in für Säuglinge und Kleinkinder
(insbesondere unter 2 Jahren) geeigneten Darreichungsformen (z.B. wohlschmeckende
flüssige Formulierungen) zur Verfügung. Darüber hinaus müssen bei Kindern erst noch
pharmakokinetische und pharmakodynamische Studien über bestimmte antiretrovirale
Medikamente durchgeführt werden. Es kommt deshalb darauf an, bei Kindern wirksame
antiretrovirale Therapien zu studieren und ihre altersspezifischen pharmakologischen
Eigenschaften zu definieren. Für die Behandlung von HIV-infizierten Kindern ausgewählte
antiretrovirale Medikamente sollten nur verwendet werden, wenn ihre pharmakologischen
Eigenschaften in der entprechenden Altersgruppe des Patienten ermittelt wurden. Der
Einsatz antiretroviraler Medikamente vor der Ermittlung dieser Eigenschaften kann zu
unerwünschter Toxizität ohne virologischen oder klinischen Nutzen führen.
Die Ermittlung einer HIV-Infektion bei exponierten Kindern unmittelbar nach der
Entbindung oder während der ersten Wochen nach der Geburt bietet Möglichkeiten zur
Therapie der primären HIV-Infektion und ermöglicht vielleicht einen besonders effektiven
Einsatz der antiretroviralen Therapie (16-18, 64). Somit können durch die Ermittlung
HIV-infizierter Frauen durch freiwillige Tests, begleitet von Beratung, das Angebot einer
antiretroviralen Therapie für Mutter und Kind zur Verminderung des Risikos einer MutterKind-Übertragung, eine Schnittentbindung vor Einsetzen der Wehen und die sorgfältige
Untersuchung von Säuglingen HIV-infizierter Mütter auf Anzeichen einer HIV-Infektion
das Risiko und die Folgen einer perinatalen HIV-Infektion drastisch vermindert werden.
Die spezifischen HIV-RNS-Kriterien für Entscheidungen über den Therapiebeginn bei
infizierten Erwachsenen gelten nicht direkt für Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder
(14-18). Die während der ersten Lebensjahre bei HIV-infizierten Kindern beobachtete
absolute Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma ist oft höher als bei ähnlich lange
infizierten Erwachsenen, und die Festlegung eines „Set-Point“ nach der Primärinfektion
dauert bei infizierten Kindenr deutlich länger (15-18). Die Notwendigkeit und die
potentiellen Vorteile der frühzeitigen Einleitung einer wirksamen antiretroviralen Therapie
dürften bei Kindern noch größer als bei Erwachsenen sein, was darauf hindeutet, daß die
meisten, wenn auch nicht alle HIV-infizierten Kinder mit einer wirksamen antiretroviralen
Kombinationstherapie behandelt werden sollten.
Die größere Empfänglichkeit von Kindern gegenüber opportunistischen Infektionen,
insbesondere einer Pneumocystis carinii-Pneumonie (PCP), bei höheren CD4-Zellzahlen
als HIV-infizierte Erwachsene (30) deutet darauf hin, daß die CD4-Zellzahl-Kriterien, die
als Richtschnur für die Einleitung einer antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten
Erwachsenen vorgeschlagen werden, bei Therapieentscheidungen in bezug auf infizierte
Kinder keine geeignete Hilfe bieten. Es wurden schon früher Empfehlungen für die
Prävention bei HIV-infizierten oder perinatal HIV ausgesetzten Kindern veröffentlicht
(30).
Prinzip 10 Personen, bei denen eine akute primäre HIV-Infektion diagnostiziert werden
kann, sollte eine antiretrovirale Kombinationstherapie angeboten werden, um die
Virusreplikation unter die Nachweisgrenze empfindlicher HIV-RNS-Plasmaassays zu
senken. Theoretisch besteht die Möglichkeit, durch eine zu einem derart frühen Zeitpunkt
begonnene Therapie das HI-Virus wieder aus dem Körper zu eliminieren oder wenigstens
19
Prinzipien der HIV-Therapie
den Virus-set-point herabzusetzen und damit den Infektionsverlauf zu bremsen. Ein
praktischer Beweis dafür steht aber noch aus, so daß über die erforderliche Dauer und
Erfolgsaussicht einer solchen Therapie keine Angaben möglich sind.
Untersuchungen zur Pathogenese der HIV-Infektion stützen die Theorie von den Vorteilen
einer antiretroviralen Therapie für Personen, bei denen eine primäre HIV-Infektion
diagnostiziert wurde und die vorliegenden Erkenntnisse aus kleineren klinischen Studien
decken sich mit diesen Prognosen (49, 64-70). Es wurde die Vermutung geäußert, eine
antiretrovirale Therapie während einer Primärinfektion könne zur Erhaltung der Funktion
des Immunsystems beitragen, indem sie die hohe HIV-Replikationsrate und die während
dieser Phase auftretenden Schädigungen des Immunsystems reduziere sowie potentiell die
„Set-Points“ der HIV-Replikation herabsetze, wodurch der spätere klinische Verlauf der
Infektion günstig beeinflußt werde. Dafür fehlt jedoch noch der förmliche Beweis.
Außerdem wird die beste Chance für eine Eradikation der HIV-Infektion in der Einleitung
einer antiretroviralen Therapie mit einer hochwirksamen Arzneimittelkombination während
der Primärinfektion vermutet (49).
Die Frage der antiretroviralen Therapie einer Primärinfektion wird derzeit aktiv in Studien
untersucht, ohne daß abschließende Ergebnisse vorliegen. Der langfristige Nutzen einer
wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapie der Primärinfektion ist daher noch nicht
bekannt. Eine antiretrovirale Kombinationstherapie mit dem Ziel der Suppression der HIVReplikation unter die Nachweisgrenze sollte Personen, bei denen eine HIV-Primärinfektion
diagnostiziert werden kann, angeboten werden. Die Betroffenen müssen aber darauf
hingewiesen werden, daß eine antiretrovirale Suppressionstherapie bei der akuten HIVPrimärinfektion zunächst zeitlich unbegrenzt fortgeführt werden sollte, bis klinische
Studien Erkenntnisse über die angemessene Therapiedauer erbracht haben. Die in den
Richtlinien angeführten Risiken eines frühen Therapiebeginns sollten bei der
Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
Prinzip 11 HIV-Infizierte müssen auch dann, wenn ihre Viruslast unterhalb der
Nachweisgrenze liegt, als infiziert und potentiell infektiös gelten. Bezüglich der
Verhinderung einer Weiterübertragung von HIV durch Blut und andere potentiell
infektiöse Körperflüssigkeiten sind die selben Vorsichtsmaßnahmen wie bei unbehandelten
HIV-Infizierten zu empfehlen. Antiretroviral behandelte Personen sollten darüber
informiert werden, daß sie gegebenenfalls resistente Viren weitergeben können und u.U.
auch die Möglichkeit besteht, daß bei ungeschützten Kontakten zwischen zwei infizierten
Personen Superinfektionen mit resistenten Virusvarianten stattfinden könnten.
Es liegen erste Erkenntnisse darüber vor, daß auch HIV-Infizierte, bei denen eine
antiretrovirale Therapie (gemäß Analysen der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma) zu
einer Suppression der HIV-Replikation auf Werte unterhalb der Nachweisgrenze geführt
hat, die Infektion auf andere zu übertragen vermögen. Ebenso kann derzeit auch die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß sie von jemand anderem mit einer
mehrfachresistenten HIV-Variante „superinfiziert“ werden könnten. Darüber hinaus
können mit antiretroviralen Medikamenten behandelte HIV-Infizierte auch weiterhin
andere Infektionskrankheiten weiterübertragen (z.B. Hepatitis B und C und sexuell
20
Prinzipien der HIV-Therapie
übertragbare Infektionen wie das Herpes simplex-Virus, das humane Papillomavirus,
Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle und eine Chlamydieninfektion) und können sich auch
selbst mit sexuell und durch Blut übertragbaren Erregern infizieren, darunter solchen, die
für immunsupprimierte Patienten schwere Folgen haben können (unter anderem
Zytomegalie-Virus und humanes Herpes-Virus 8 [auch KSHV genannt]). Deshalb muß
allen HIV-Infizierten, auch wenn sie mit wirksamen antiretroviralen Medikamenten
behandelt werden, die Befolgung von safer sex- und safer use-Empfehlungen nahegelegt
werden.
Wissenschaftlicher Hintergrund
Eine HIV-Infektion führt bei fast allen Infizierten zu einer fortschreitenden Schädigung
des Immunsystems.
Die ersten Bemühungen um die Aufstellung eines in sich geschlossenen Modells der
pathogenen Folgen der HIV-Infektion gingen von der Vorstellung aus, daß bei Infizierten
nur sehr wenige Zellen HIV enthalten oder erzeugen und die Virusreplikation während der
klinischen Latenzzeit begrenzt ist. Die damaligen Virusnachweisverfahren waren jedoch
wenig empfindlich, und mit neueren, empfindlicheren Hilfsmitteln konnte gezeigt werden,
daß die Virusreplikation während des gesamten Infektionsverlaufs aktiv ist und weitaus
mehr Zellen betrifft, als man zuvor geglaubt hatte. Die HIV-Replikation wird direkt mit
dem Vorgang der Zerstörung und Verminderung der T-Lymphozyten in Verbindung
gebracht. Darüber hinaus ist wahrscheinlich die laufende HIV-Replikation in Gegenwart
einer aktiven, aber nicht ausreichend wirksamen antiviralen Immunantwort für die
Sekundärerscheinungen der HIV-Krankheit - einschließlich des körperlichen Verfalls und
der Demenz - verantwortlich.
Schon mit den ersten Zyklen der Virusreplikation in dem neu infizierten Wirt führt die
HIV-Infektion zur fortschreitenden Zerstörung der Population von CD4+ T-Lymphozyten
(CD4-Zellen), die bei der Erzeugung und Aufrechterhaltung der Immunantwort
entscheidende Aufgaben wahrnehmen (1-10). Die bevorzugten Zielzellen der HIVInfektion und deren Depletion ergeben sich daraus, daß das Zelloberflächenmolekül CD4
vom HIV-Hüllprotein (Env) erkannt wird, wenn das Virus sich an Wirtszellen bindet und
in diese eindringt, um den Zyklus der Virusreplikation einzuleiten (71). In jüngster Zeit
wurden weitere Zelloberflächenmoleküle, die normalerweise als Chemokin-Rezeptoren
fungieren, als wesentliche Korezeptoren erkannt, die für das Eindringen von HIV in
Zielzellen erforderlich sind (72). Makrophagen und ihre Entsprechung im
Zentralnervensystem, die Mikrogliazellen, exprimieren ebenfalls Zelloberflächen-CD4 und
geben Ziele für eine HIV-Infektion ab. Da Makrophagen den zytopathischen Folgen der
HIV-Infektion besser zu widerstehen vermögen als CD4-Zellen und im gesamten Körper
anzutreffen sind, spielen sie bei der Persistenz einer HIV-Infektion unter Umständen eine
entscheidende Rolle, indem sie ein Reservoir chronisch infizierter Zellen bereitstellen.
Obwohl sich die meisten immunologischen und virologischen Beurteilungen HIVInfizierter auf Untersuchungen von Lymphozyten im peripheren Blut konzentriert haben,
21
Prinzipien der HIV-Therapie
machen diese Zellen nur rund 2% des gesamten Lymphozytenbestands des Körpers aus.
Die Bedeutung der lymphatischen Organe, die die große Mehrheit der CD4-Zellen
enthalten, wird durch die Beobachtung unterstrichen, daß die Viruskonzentrationen und die
Prozentanteile HIV-infizierter CD4-Zellen in Lymphknoten (wo die Immunantwort erzeugt
wird und für die HIV-Infektion sehr empfindliche aktivierte und proliferierende CD4Zellen im Vordergrund stehen) deutlich höher sind als im peripheren Blut (3, 4, 48). Auch
wenn die Verringerung der CD4-Zellen nach einer HIV-Infektion somit am leichtesten in
einer peripheren Blutprobe zu erkennen ist, findet die Schädigung des Immunsystems doch
in lymphatischen Organen des gesamten Körpers statt (3, 4). Aus noch unbekannten
Gründen kommt es im Laufe der Zeit zu einer allmählichen Zerstörung der normalen
Lymphknotenarchitektur, die wahrscheinlich die Fähigkeit von HIV-Infizierten
beeinträchtigt, eine wirksame Immunantwort zu erzeugen und wegen der HIV-Infektion
bereits verloren gegangene CD4-Zellen durch eine Ausweitung der reifen T-ZellPopulationen im peripheren Lymphgewebe zu ersetzen. Der Thymus ist auch ein frühes
Ziel der HIV-Infektion und einer solchen Schädigung, so daß auch bei jüngeren Menschen,
deren im Thymus erfolgende Produktion von CD4-Zellen aktiv ist, die Fortsetzung der
effektiven T-Zell-Produktion eingeschränkt wird (73, 74). Bei Erwachsenen wie bei
Kindern beeinträchtigt die HIV-Infektion also beide potentiellen Quellen der T-ZellProduktion, so daß die Geschwindigkeit der Wiederauffüllung des T-Zellbestands den
Zellverlust nicht auszugleichen vermag. Demzufolge geht die Gesamtzahl der CD4-Zellen
bei HIV-Infizierten allmählich zurück.
Nach der Erstinfektion ist die Geschwindigkeit, mit der sich eine Immunschwäche
entwickelt und Empfänglichkeit für opportunistische Infektionen entsteht, mit der
Verlustrate der CD4-Zellzahlen verbunden (11, 26, 27). Die Rate, mit der diese Zellzahlen
zurückgehen, ist individuell sehr verschieden und nicht in allen Stadien der Infektion
gleich. Eine schnellere Abnahme der CD4-Zellen kündigt eine Progression der Krankheit
an. Über die virologischen und immunologischen Vorgänge in dieser Phase ist wenig
bekannt, doch werden oft eine Beschleunigung der HIV-Replikation, das Auftreten von
Viren mit verstärkter zytopathischer Wirkung auf CD4-Zellen und ein Rückgang der
wirtszellvermittelten Anti-HIV-Immunantwort beobachtet (12, 75). Aus noch unbekannten
Gründen bricht die kompensatorische Wirtsantwort, die die Homöostase des T-ZellGesamtbestands (CD4-Zellen + CD8-Zellen) aufrechterhält, bei HIV-Infizierten etwa
18 Monate vor dem Auftreten des Vollbilds AIDS zusammen, wodurch es im peripheren
Blut zu einem Nettoverlust beim T-Zell-Gesamtbestand kommt und der Kollaps des
Immunsystems sich ankündigt (76).
Auch wenn die Progression der HIV-Krankheit am leichtesten an den abnehmenden CD4Zellzahlen zu erkennen ist, gibt es darüberhinaus Belege für den sequentiellen Verlust
spezifischer Typen der Immunantwort (77-79). CD4-Gedächtniszellen dienen einer HIVInfektion als bevorzugtes Ziel, und bei HIV-Infizierten wird noch vor einem signifikanten
Rückgang der CD4-Gesamtzellzahlen ein frühzeitiger Verlust der Zellreaktion der CD4Gedächtniszellen beobachtet (77, 78). Im Laufe der Zeit kann die allmähliche Schwächung
der antigenspezifischen CD4-Zell-abhängigen Immunerkennung das Spektrum der
Immunantwort einengen, über das der Körper effektiv verfügen kann, so daß der Wirt für
eine Infektion durch opportunistische Erreger empfänglich wird (79).
22
Prinzipien der HIV-Therapie
Die HIV-Replikationsrate bei Infizierten läßt sich durch Bestimmung der HIVBlutspiegel genau erfassen.
Noch vor kurzem krankten die Methoden zur Überwachung der HIV-Replikation (der
sogenannten Viruslast) bei Infizierten an geringer Sensivitivität und Reproduzierbarkeit
oder waren technisch so aufwendig, daß sie für klinische Routineuntersuchungen nicht
geeignet waren. Neue Verfahren für den empfindlichen Nachweis und die genaue
Quantifizierung der HIV-RNS-Kopien im Plasma von Infizierten liefern nun aber überaus
nützliche Meßergebnisse zur Aktivität der Virusreplikation (1, 2, 19, 20, 37, 41-43). Die
HIV-RNS im Plasma befindet sich in zirkulierenden Viruspartikeln oder Virionen, von
denen jedes zwei Kopien der genomischen RNS von HIV in sich trägt. Die HIV-RNSPlasmakonzentrationen lassen sich entweder durch Zielverstärkung (z.B. quantitative RTPolymerase-Kettenreaktion [PCR; Amplicor, Roche Molecular Systems], durch
nukleinsäuresequenz-basierte Verstärkung [NASBA; Organon Teknika] oder auch durch
Signalverstärkung (branched DNA Assay [bDNA], Quantiplex, Chiron) quantifizieren (42,
43). Die bDNA-Signalverstärkungsmethode (41) verstärkt das Signal, das mit Hilfe
sequentieller Oligonukleotid-Hybridisierungsschritte von einem aufgefangenen HIV-RNSTarget gewonnen wurde, während die Amplicor-Analyse und der NASBA-Assay die ZielHIV-RNS mit enzymatischen Methoden in meßbaren Mengen eines Nukleinsäureprodukts
verstärkt darstellen (41-43). Ziel-HIV-RNS-Sequenzen werden je nach verwendeter
Analyse durch einen Vergleich mit internen oder externen Referenzstandards
mengenmäßig erfaßt. Versionen beider Analyseverfahren sind jetzt im Handel erhältlich,
und der Amplicor-Assay wurde vor kurzem von der FDA für die Beurteilung des
Progressionsrisikos sowie zur Überwachung einer antiretroviralen Therapie bei HIVInfizierten zugelassen. Zielverstärkungsanalysen sind empfindlicher (ca. 400 HIV-RNSKopien/ml Plasma) als der bDNA-Assay der ersten Generation (ca. 10.000 HIV-RNSKopien/ml Plasma), doch konnte die Empfindlichkeit der letzteren Methode in jüngster
Zeit gesteigert werden (ca. 500 HIV-RNS-Kopien/ml Plasma). Empfindlichere Versionen
jedes dieser Assays (Nachweisgrenzen ca. 20-100 Kopien/ml) sind seit kurzer Zeit
verfügbar.
Alle im Handel befindlichen Assays ermöglichen eine genaue quantitative Bestimmung der
HIV-RNS-Werte im Plasma innerhalb eines breiten Konzentrationsspektrums (dem
sogenannten dynamischen Bereich). Zwar sind die Ergebnisse der drei Analysenmethoden
stark miteinander korreliert, doch können die in ein und derselben Plasmaprobe
gemessenen absoluten HIV-RNS-Werte um 100% oder mehr auseinanderliegen (44-46).
Solange mit verschiedenen Assays ermittelte Werte nicht anhand eines gemeinsamen
Standards normalisiert werden können, empfiehlt sich die konsequente Entscheidung für
ein bestimmtes Analysenverfahren, wenn die HIV-RNS-Werte von Infizierten zur
therapeutischen Entscheidungsfindung herangezogen werden sollen.
Die Leistungsmerkmale und empfohlenen Probengewinnungsmethoden für die einzelnen
HIV-RNS-Assays sind in der Tabelle 1 dargestellt. Um zuverlässige Ergebnisse zu
erzielen, müssen bei der Plasmavorbereitung für HIV-RNS-Bestimmungen unbedingt die
empfohlenen Blutprobengewinnungs- und -verarbeitungsverfahren angewendet werden.
Die verschiedenen Assays zur Ermittlung der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma
erfordern unterschiedliche Plasmamengen (wichtig bei Säuglingen und Kleinkindern) und
werden am besten an Blutproben vorgenommen, die in spezifische Antikoagulanzien
23
Prinzipien der HIV-Therapie
enthaltende Sammelröhrchen (z.B. Ethylendiamintetraessigsäure [EDTA] oder ACDStabilisator) gegeben wurden (siehe Tabelle 1) (44-46).
Eine quantitative Bestimmung der HIV-RNS-Werte im Plasma kann auf zweierlei Weise
ausgedrückt werden: a) als Anzahl der HIV-RNS-Kopien pro Milliliter und b) als
Logarithmus (zur Basis 10 der Anzahl der HIV-RNS-Kopien pro Milliliter). Bei klinisch
stabilen HIV-infizierten Erwachsenen können die mit den im Handel erhältlichen HIVRNS-Plasmaassays erzielten Ergebnisse bei wiederholten Messungen an demselben Tag
oder an verschiedenen Tagen um rund 200% (ca. 0,5 log10) nach oben oder nach unten
variieren (35, 36). Die Variabilität der derzeitigen HIV-RNS-Plasmaassays ist an ihrer
unteren Nachweisgrenze größer, so daß in der Nähe der Nachweisgrenzen der Methoden
ohne Veränderung des klinischen Status Unterschiede von über 0,5 log10 HIV-RNS-Kopien
zu verzeichnen sind (35). Unterschiede von über 200% (ca. 0,5 log10 Kopien) bei
wiederholten Bestimmungen der HIV-RNS-Plasmawerte weisen wahrscheinlich auf
biologisch und klinisch relevante Veränderungen hin. Die höhere Variabilität nahe an der
Nachweisgrenze der Methoden stellt einen wichtigen Aspekt dar, da das empfohlene Ziel
für die Suppression der HIV-Replikation durch die antiretrovirale Therapie jetzt als HIVRNS-Werte unterhalb der Nachweisgrenze der HIV-RNS-Plasmaassays definiert wird.
Eine Aktivierung des Immunsystems (durch Immunisierungen oder zwischenzeitliche
Infektionen) kann zu erhöhten Zahlen aktivierter CD4-Zellen und damit auch zu
gesteigerter HIV-Replikation führen (die sich in einem signifikanten Anstieg der Anzahl
der HIV-RNS-Kopien im Plasma gegenüber den Ausgangswerten niederschlägt), die
solange fortbestehen, wie der Auslöser vorhanden bleibt (32-34). In zeitlicher Nähe zu
solchen Vorkommnissen vorgenommene Messungen spiegeln darum nicht unbedingt den
wirklichen Steady State der HIV-RNS-Werte im Plasma des Patienten wider. Im Gegensatz
zu Bestimmungen der CD4-Zellzahlen weist die Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma
keine tageszyklische Variabilität auf (26, 36). Innerhalb des großen dynamischen Bereichs
der meßbaren HIV-RNS-Plasmawerte (mehrere log10 Kopien) ist die beobachtete
Analysenvariabilität gering (Tabelle 1). Zur Verringerung der Auswirkungen der
Variabilität der HIV-RNS-Plasmaassays wird die Bestimmung von zwei Proben bei
klinisch stabilen Patienten in der Ausgangssituation empfohlen (19), und Daten aus
jüngster Zeit stützen diese Vorgehensweise (22).
Der Grad der Virämie, wie er aus der Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma hervorgeht,
spiegelt das Ausmaß der Virusreplikation bei einem Infizierten genau wider (1, 2, 20, 37).
Zwar sind die lymphatischen Gewebe wie die Lymphknoten und die übrigen
Kompartimente des retikuloendothelialen Systems die Hauptlokalisationen der aktiven
Virusproduktion bei HIV-Infizierten, doch werden in diesen Geweben erzeugte Viren in
den peripheren Kreislauf entlassen, wo sie leicht in Proben erfaßt werden können (3, 4,
48). Die HIV-RNS-Plasmakonzentrationen geben also den Grad der aktiven
Virusreplikation im gesamten Körper an, auch wenn nicht bekannt ist, ob spezifische
Kompartimente (z.B. das Zentralnervensystem) Infektionsstellen sind, die mit dem
peripheren Virenpool nicht in unmittelbarer Verbindung stehen.
Die Größenordnung der HIV-Replikation bei Infizierten bestimmt die
Progressionsgeschwindigkeit der Krankheit.
24
Prinzipien der HIV-Therapie
Plasma-HIV-RNS ist bei so gut wie allen HIV-Infizierten nachzuweisen, auch wenn ihre
Konzentration je nach Infektionsstadium (siehe Abbildung 1) und nur zum Teil
verstandenen Aspekten der Wirt-Virus-Interaktionen sehr unterschiedlich sein kann.
Während der Primärinfektion bei Erwachsenen, wenn zahlreiche Zielzellen ohne
kompensatorische Immunantwort für eine HIV-Infektion empfänglich sind, können die
HIV-RNS-Werte mehr als 107 Kopien/ml betragen (80). Das HIV breitet sich in dieser
Phase im gesamten Körper aus, und viele - wenn auch nicht alle - Neuinfizierte weisen
Symptome einer akuten Virenerkrankung auf, darunter Fieber, Müdigkeit, Pharyngitis,
Ausschlag, Muskelschmerzen und Kopfschmerzen (81-83). Gleichzeitig mit dem Auftreten
der antiviralen Immunantwort gehen die HIV-RNS-Plasmakonzentrationen schlagartig (um
2-3 log10 Kopien oder mehr) zurück. Nach einer (oft ein halbes Jahr oder länger
anhaltenden) Fluktuationsphase stabilisieren sich die HIV-RNS-Werte im Plasma um einen
sogenannten „Set-Point“ herum (5, 6, 10, 27, 31, 83). Die Determinanten dieses „SetPoint“ sind nur zum Teil geklärt, umfassen jedoch wahrscheinlich die Anzahl der für eine
Infektion verfügbaren empfänglichen CD4-Zellen und Makrophagen, den Grad der
Immunaktivierung und den Tropismus und die Replikationsfreudigkeit (oder Fitness“) des
vorherrschenden HIV-Stamms zu verschiedenen Zeiten nach der Erstinfektion sowie auch
die Wirksamkeit der Anti-HIV-Immunantwort des Wirts. Anders als Erwachsene weisen
HIV-infizierte Kinder oft sehr hohe HIV-RNS-Werte im Plasma auf, die mit der Zeit
langsam zurückgehen und erst mehr als ein Jahr nach der Infektion den „Set-Point“
erreichen (14-18).
Infizierte Patienten weisen im Steady State unterschiedliche Grade der HIV-Replikation
auf. Querschnittsuntersuchungen bei HIV-infizierten Erwachsenen zeigen eine umgekehrte
Korrelation zwischen den HIV-RNS-Werten im Plasma und den CD4-Zellzahlen (84, 85).
Bei jeder beliebigen CD4-Zellzahl weist die Anzahl der HIV-RNS-Kopien im Plasma
allerdings eine ausgeprägte interindividuelle Variabilität auf (84, 85). Bei einer
nachgewiesenen HIV-Infektion reichen die persistierenden HIV-RNSPlasmakonzentrationen von unter 200 Kopien/ml bei Menschen mit anscheinend nichtprogredienter HIV-Infektion (eher ungewöhnlich) bis zu über 106 Kopien/ml bei Patienten
in fortgeschrittenen Stadien der Immunschwäche. Bei den meisten unbehandelten HIVinfizierten Erwachsenen liegen die Set-Point-HIV-RNS-Werte im Plasma zwischen 103
und 105 Kopien/ml. Patienten mit höheren Set-Point-Werten der Plasma-HIV-RNS im
Steady State verlieren im allgemeinen schneller CD4-Zellen, weisen eine schnellere
Progression zum Vollbild AIDS auf und sterben früher als Patienten mit niedrigeren HIVRNS-Set-Point-Werten (5-7, 10, 27) (Abbildungen 2-4). Liegen die HIV-RNS-Set-PointWerte erst einmal fest, können sie monate- oder jahrelang recht konstant bleiben.
Untersuchungen bei HIV-infizierten Populationen deuten jedoch auf einen mit der Zeit
nach der Infektion allmählich ansteigenden Trend hin zu höheren HIV-RNS-Werten hin
(10). Bei HIV-Infizierten kann sich die Anstiegsgeschwindigkeit der HIV-RNS-Werte im
Plasma allmählich, schlagartig oder auch fast überhaupt nicht ändern (10). Zunehmend
höhere HIV-RNS-Plasmakonzentrationen können unabhängig von dem anfänglichen „SetPoint“ auf eine fortschreitende Immunschwäche hinweisen (10, 75).
Die HIV-RNS-Werte im Plasma sind bessere Prädiktoren des Risikos einer Progression hin
zum Vollbild AIDS und zum Tode als die CD4-Zellzahlen. Allerdings stellt die
kombinierte Messung beider Werte eine noch genauere Methode zur Beurteilung der
Prognose HIV-Infizierter dar (27). Der Zusammenhang zwischen den bei einer großen
Kohorte HIV-infizierter Erwachsener gemessenen HIV-RNS-Ausgangswerten und ihrer
25
Prinzipien der HIV-Therapie
späteren Abnahmerate der CD4-Zellzahlen wird in Abbildung 3 verdeutlicht (27). Es zeigt
sich, daß in allen Bereichen der HIV-RNS-Ausgangswerte im Plasma ein zunehmender
Verlust an CD4-Zellen zu beobachten ist, doch sind signifikant schnellere Abnahmeraten
bei Personen mit höheren Plasma-HIV-RNS-Ausgangswerten zu erkennen (Abbildung 3)
(27). Ebenso ist auch bei steigenden HIV-RNS-Ausgangswerten im Plasma ein klarer
Risiko-Gradient bezüglich Krankheitsprogression und Tod festzustellen (5, 6, 10, 27)
(Abbildungen 2 und 4). Dabei muß hervorgehoben werden, daß die in den Abbildungen 24 angegebenen absoluten HIV-RNS-Werte im Plasma wegen suboptimaler Methoden der
Gewinnung und Verarbeitung der in dieser Studie zur Messung der HIV-RNS-Werte
verwendeten Methoden die „wahren“ HIV-RNS-Konzentrationen zu niedrig darstellen. Es
wird angenommen, daß die in den Abbildungen 2-4 angegebenen Werte etwa 50-60% der
Konzentrationen betragen, die bei Befolgung der derzeitigen Empfehlungen für die
Bestimmung der HIV-RNS-Werte im Plasma gemessen worden wären (19, 27). Deshalb
sollten die in den Abbildungen 2-4 angegebenen absoluten Werte in der klinischen Praxis
nicht direkt für Therapieentscheidungen bei einzelnen Patienten verwendet werden.
Das HIV repliziert sich in allen Infektionsstadien aktiv.
Die Steady State-Konzentration der HIV-RNS im Plasma wird durch die Produktions- und
Clearancegeschwindigkeit - den Turnover - des zirkulierenden Virus bestimmt (1, 2, 20,
21, 37). Eine wirksame antiretrovirale Therapie stört diesen Steady State und ermöglicht
eine Beurteilung der ihm zugrunde liegenden kinetischen Vorgänge. Sowohl die VirusClearance als auch die Größenordnung der Virusproduktion und die Lebensdauer der
Viren-produzierenden Zellen können also gemessen werden. Neue Studien, bei denen auf
diese Weise bei Personen mit mittelschwerer bis fortgeschrittener HIV-Krankheit der
Turnover der Viren und der infizierten Zellen gemessen wurde, machen deutlich, daß dem
scheinbar statischen Steady State der HIV-Virionen im Plasma ein überaus dynamischer
Prozeß der Virusproduktion und Virus-Clearance zugrunde liegt (1, 2, 20, 21, 37).
Innerhalb von 2 Wochen nach Einleitung einer potenten antiretroviralen Therapie fallen
die HIV-RNS-Werte im Plasma auf rund 1% ihres Ausgangsniveaus (20, 37)
(Abbildung 5). Die Steigung dieser anfänglichen Abnahmekurve zeigt die Beseitigung des
Virus aus dem Kreislauf und die Lebensdauer der vor kurzem infizierten CD4-Zellen und
ist bei verschiedenen Patienten bemerkenswert konstant (1, 2, 20, 37). Die Halbwertszeit
der Virionen im Blutkreislauf ist überaus kurz - 6 Stunden oder weniger. Damit wird im
Durchschnitt die Hälfte der Population der Plasmavirionen alle 6 Stunden „umgeschlagen“.
Angesichts einer so schnellen Virus-Clearance müssen jeden Tag schätzungsweise 109 bis
1010 (oder mehr) Virionen produziert werden, um die Steady-State-HIV-RNS-Werte im
Plasma aufrechtzuerhalten, die bei Patienten mit mittelschwerer bis fortgeschrittener HIVKrankheit typischerweise anzutreffen sind (20). Werden neue Schübe der Virusreplikation
durch potente antiretrovirale Medikamente blockiert, geht die Virusproduktion in den
meisten infizierten Zellen (ca. 99%) nur eine kurze Zeitlang (im Mittel etwa 2 Tage) weiter
(1, 2, 20, 37). HIV-infizierte CD4-Zellen gehen - wahrscheinlich infolge direkter
zytopathischer Wirkungen der Virusinfektion - mit der durchschnittlichen Halbwertszeit
einer infizierten Zelle von etwa 1,25 Tagen verloren (20). Die geschätzte HIVGenerationsdauer (die Zeit von der Freisetzung eines Virions, bis es eine andere Zelle
infiziert und die Freisetzung einer neuen Generation von Virionen auslöst) liegt bei rund
2,5 Tagen, was einer Replikationsrate des Virus von annähernd 140 Zyklen pro Jahr bei
26
Prinzipien der HIV-Therapie
einem Infizierten entspricht (20, 21). Bei der mittleren Zeitdauer, die die Erstinfektion von
der Diagnose AIDS trennt, ist jedes bei einem HIV-Infizierten vorhandene Virusgenom
durch deutlich mehr als eintausend Generationen von dem Virus getrennt, daß die
Infektion auslöste.
Nach dem anfänglich schnellen Rückgang der HIV-RNS-Werte im Plasma im Anschluß an
die Einleitung einer potenten antiretroviralen Therapie ist ein langsameres Abfallen des
verbleibenden 1% der anfänglichen HIV-RNS-Plasmakonzentrationen zu beobachten (37)
(Abbildung 5). Die Länge dieser zweiten Phase des Abfalls der Virämie ist individuell
verschieden und dauert rund 8-28 Tage. Die Restvirämie soll weitgehend aus infizierten
Makrophagen stammen, die mit einer durchschnittlichen Halbwertszeit von etwa
2 Wochen untergehen, während der verbleibende Teil nach Aktivierung latent infizierter
CD4-Zellen produziert wird, die mit einer mittleren Halbwertszeit von etwa 8 Tagen
untergehen. Innerhalb von 8 Wochen nach der Einleitung einer potenten antiretroviralen
Therapie (bei noch unbehandelten Patienten) sinken die HIV-RNS-Werte im Plasma
gewöhnlich unter die Nachweisgrenze auch der empfindlichsten verfügbaren HIV-RNSAssays (Empfindlichkeit ca. 25 Kopien HIV-RNS/ml), was darauf hindeutet, daß neue
HIV-Infektionsschübe nachhaltig unterdrückt werden (Abbildung 5) (37).
Glücklicherweise scheint dieser Suppressionsgrad der HIV-Replikation bei den meisten
Patienten, die eine wirksame antiretrovirale Kombinationstherapie befolgen, länger als
16 Monate aufrechterhalten zu werden (39). Allerdings wird nicht einmal bei dieser
ausgeprägten pharmakologischen Beeinträchtigung der HIV-Replikation bisher über die
Eradikation einer bestehenden Infektion berichtet (39). Bei den wenigen Personen, die
untersucht wurden, nachdem sie im Anschluß an monatelange HIV-RNS-Werte unterhalb
der Nachweisgrenze eine wirksame antiretrovirale Kombinationstherapie abgesetzt hatten,
war ausnahmslos ein baldiges Emporschnellen der HIV-Replikation zu verzeichnen. Die
Reservoirs der HIV-Restinfektion, die die Infektion ungeachtet der nachhaltigen Hemmung
der HIV-Replikation durch wirksame antiretrovirale Kombinationstherapien persistieren
lassen, sind nicht bekannt (37, 47, 48). Die HVI-Infektion im Zentralnervensystem stellt
einen potentiellen Schutzraum für die Viruspersistenz dar, da viele der jetzt verfügbaren
antiretroviralen Medikamente die Blut-Hirn-Schranke nicht wirksam durchdringen.
Die aktive HIV-Replikation erzeugt laufend gegen antiretrovirale Medikamente
resistente Virusvarianten.
Die HIV-Replikation hängt von einem viral codierten Enzym - der Reversen Transkriptase
(RT) (einer RNS-abhängigen DNS-Polymerase) - ab, die in einem für den Lebenszyklus
des Virus entscheidenden Schritt das einsträngige virale RNS-Genom in eine
doppelsträngige DNS kopiert (21). Anders als zelluläre DNS-Polymerasen, die im Zuge
der Zellreplikation zum Kopieren der chromosomalen DNS der Wirtszellen Verwendung
finden, fehlt der RT eine 3’-Exonuklease-Aktivität, die gewissermaßen „Korrektur liest“,
d.h. während der Transkription des HIV-Genoms aufgetretene Fehler repariert.
Dementsprechend ist die HIV-RT ein „fehlerträchtiges“ Enzym, das beim Kopieren der
RNS in die DNS oft Fehler macht und dadurch in der in infizierten Zellen erzeugten
Nachkommenschaft der Virusgenome zahlreiche Mutationen hervorruft. In Schätzungen
der durch die Ungenauigkeit der HIV-RT hervorgerufenen Mutationsrate wird im Mittel
das Auftreten einer Mutation auf 1-3 kopierte Genome vorhergesagt (21, 86). Eine
zusätzliche Variabilität kommt bei der sich replizierenden Population von HIV-Varianten
27
Prinzipien der HIV-Therapie
infolge der genetischen Rekombination zustande, die während der reversen Transkription
mittels Template-Switching zwischen den beiden HIV-RNS-Molekülen erfolgt, die in
jedem Viruspartikel enthalten sind (21, 87). Viele Mutationen, die während der reversen
Transkription in das HIV-Genom eingebracht wurden, beeinträchtigen die Infektiosität des
Virus oder heben sie ganz auf. Andere Mutationen sind dagegen mit der Virusinfektiosität
vereinbar. Die tatsächliche Häufigkeit, mit der bei HIV-Infizierten verschiedene genetische
Varianten von HIV zu beobachten sind, hängt von deren Replikationsfreudigkeit
(„Fitness“) und der Art des Selektionsdrucks ab, der unter Umständen auf den zahlreichen
vorhandenen genetischen Varianten lastet (21). Beispiele für einen bedeutsamen
eventuellen Selektionsdruck bei HIV-Infizierten sind deren Anti-HIV-Immunantwort, die
Verfügbarkeit von Wirtszellen, die für eine Virusinfektion in verschiedenen Geweben
empfänglich sind und die Anwendung antiretroviraler Medikamente.
Die Häufigkeit des Auftretens genetischer Varianten von HIV bei Infizierten wird durch
die Zahl der Virusreplikationszyklen bestimmt, die während der Infektion stattfinden (20,
21). Da bei Infizierten jeden Tag zahlreiche HIV-Replikationsschübe erfolgen, kann eine
Vielzahl von Virusvarianten erzeugt werden, darunter auch solche, die eine herabgesetzte
Empfindlichkeit gegenüber antiretroviralen Medikamenten aufweisen. Bei einem
Infizierten tritt wahrscheinlich jeden Tag viele Male an jeder Position des HIV-Genoms
eine Mutation auf, und die entstehenden HIV-Varianten können sich in
aufeinanderfolgenden Virusreplikationszyklen in der residenten Viruspopulation
akkumulieren (21). Infolge der großen genetischen Vielfalt der residenten HIV-Population
sind bei Infizierten wahrscheinlich schon vor der Einleitung einer antiretroviralen Therapie
Viren mit Mutationen vorhanden, die Resistenz gegen ein bestimmtes antiretrovirales
Medikament verleihen (21). So sind bei HIV-Infizierten, die noch nie mit antiretroviralen
Medikamenten behandelt worden waren, Mutationen festgestellt worden, die Resistenz
gegen Nukleosid-Analoga-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, nicht-nukleosidische
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) und Protease-Inhibitoren verleihen (59, 88,
89). Nach Einleitung einer medikamentösen Therapie kann die schon vorhandene
Population arzneimittelresistenter Viren schnell eine vorherrschende Stellung einnehmen.
Bei Pharmaka wie 3TC und Nevirapin (sowie anderen NNRTI) kann die Veränderung
eines einzigen Nukleotids im HIV-RT-Gen die Empfindlichkeit gegenüber der Substanz
auf ein Hundertstel oder gar ein Tausendstel des sonstigen Werts senken (1, 59, 90-92).
Obwohl diese Wirkstoffe potente Inhibitoren der HIV-Replikation sein können, wird die
antiretrovirale Wirkung dieser Substanzen innerhalb von 4 Wochen nach Therapiebeginn
wegen des schnellen Heranwachsens arzneimittelresistenter Varianten weitgehend
aufgehoben (1, 59, 90, 91). Die Schnelligkeit, mit der unter diesen Bedingungen
arzneimittelresistente Varianten in Erscheinung treten, deckt sich mit dem Bestehen
arzneimittelresistenter HIV-Subpopulationen bei infizierten Patienten vor der Einleitung
der Therapie (21, 59). Da eine Behandlung mit vielen der verfügbaren antiretroviralen
Medikamente HIV-Varianten selektiert, die die gleichen oder verwandte Mutationen in
sich tragen, können spezifische Therapien das Heranwachsen von HIV-Varianten
selektieren, die gegen Arzneimittel resistent sind, mit denen der Patient überhaupt nicht
behandelt wurde (sogenannte Kreuzresistenz) (93, 94).
Unter einer medikamentösen Behandlung in Erscheinung tretende arzneimittelresistente
Viren replizieren sich den Prognosen zufolge weniger gut (d.h. sie sind nicht so „fit“) wie
ihre Wildtyp-Entsprechungen und erreichen demnach eine geringere Steady-StateViruslast, als sie vor Therapiebeginn vorhanden war (21). Erkenntnisse über eine solche
28
Prinzipien der HIV-Therapie
geringere „Fitness“ arzneimittelresistenter Viren stammen aus Untersuchungen bei mit
Protease-Inhibitoren oder 3TC behandelten Patienten, doch hat sich diese Wirkung bei mit
NNRTI’en (z.B. Nevirapin oder Delavirdin) therapierten Patienten nicht gezeigt (1, 59). Je
nach ihrer relativen „Fitness“ vermag die arzneimittelresistente Variante selbst nach
Absetzen der antiretroviralen Therapie, durch die sie selektiert wurde, auf recht hohem
Niveau zu persistieren. Bei Nevirapin-resistenten HIV-Varianten konnte gezeigt werden,
daß sie auch noch über ein Jahr nach dem Absetzen der Nevirapin-Therapie persistieren
(59). Auch bei Zidovudin-resistenten HIV-Varianten sowie gegen Zidovudin wie
Nevirapin resistenten Varianten wurde bei Infizierten Persistenz sowie eine ausreichende
Replikation festgestellt, um auf einen anderen Menschen übertragen werden zu können
(95). Da gegen Protease-Inhibitoren resistente HIV-Varianten zumeist weniger „fit“ sind
als arzneimittelempfindliche Viren, kann ihre Prävalenz bei Patienten, die eine ProteaseInhibitoren-Resistenz entwickeln, nach dem Absetzen der Substanz zurückgehen. Solche
Varianten nehmen nach dem Absetzen des Präparats zwar ab, können jedoch bei Patienten
unter Umständen mit höheren Werten als ursprünglich persistieren und schnell selektiert
werden, sollte das gleiche antiretrovirale Medikament (oder ein Kreuzresistenz
aufweisender Protease-Inhibitor) erneut verabreicht werden (94).
Die Definition von mit einer Resistenz gegen spezifische antiretrovirale Medikamente
verbundenen Mutationen und das Aufkommen genetischer Verfahren zum Nachweis
arzneimittelresistenter Varianten bei behandelten Patienten haben die Möglichkeit
geschaffen, HIV-infizierte Patienten im Vorfeld von Therapieentscheidungen auf das
Vorhandensein von HIV-Varianten zu überprüfen (89, 96). Dieses Vorgehen ist im
Augenblick jedoch noch als experimentell einzustufen und dürfte in Zukunft auch nur sehr
schwer zu verwirklichen sein, bedenkt man die komplexen Mutationsmuster, die zu einer
Resistenz gegen einige antiretrovirale Medikamente führen. Darüber hinaus dürfte die
Prävalenz klinisch bedeutsamer Populationen arzneimittelresistenter Varianten bei vielen
HIV-Infizierten wohl deutlich unterhalb der Nachweisgrenze der verfügbaren
Analysenmethoden liegen und damit unter Umständen zu unbegründet optimistischen
Prognosen über die Wirksamkeit der medikamentösen Therapie führen (21, 59).
Eine antiretrovirale Kombinationstherapie, die die HIV-Replikation unter die
Nachweisgrenze senkt, kann das Auftreten arzneimittelresistenter Virusvarianten
verzögern oder verhüten.
Die derzeitigen Strategien für eine antiretrovirale Therapie sind deutlich wirksamer als die
zuvor verfügbaren, und die Wirksamkeit dieser Vorgehensweisen bestätigt Prognosen aus
grundlegenden Studien zur Biologie der HIV-Infektion. Diese Studien haben zu einer
Reihe wichtiger Prinzipien geführt, die als Hilfestellung bei der Anwendung
antiretroviraler Therapien in der klinischen Praxis dienen können. Erstens ist an die
Wahrscheinlichkeit zu denken, daß bei unbehandelten Patienten bereits HIV-Varianten
vorhanden sind, die gegen einzelne Arzneimittel (und möglicherweise auch gegen
Arzneimittelkombinationen) resistent sind. Zweitens nimmt die Wahrscheinlichkeit des
Vorhandenseins arzneimittelresistenter Varianten bei einem HIV-Infizierten mit steigender
Anzahl der als Kombination angewendeten nicht-kreuzresistenten antiretroviralen
Medikamente ab. Drittens ist bei unbehandelten Patienten ebenfalls mit einer geringeren
Prävalenz von HIV-Varianten zu rechnen, die bereits gegen antiretrovirale Medikamente
resistent sind, bei denen das Zielgen des Virus Mehrfachmutationen aufweisen muß, um
29
Prinzipien der HIV-Therapie
eine ausgeprägte Arzneimittelresistenz zu erreichen. So ist für eine ausgeprägte Resistenz
gegen Protease-Inhibitoren wie Ritonavir und Indinavir das Vorhandensein multipler
Mutationen im HIV-Protease-Gen erforderlich. Einige dieser Mutationen beeinflussen die
tatsächliche antivirale Wirkung des Pharmakons, während andere kompensatorische
Mutationen darstellen, die die „Fitness“ der arzneimittelresistenten HIV-Varianten steigern
sollen (93, 94, 97). Die Prävalenz von HIV-Varianten, die bereits alle für eine ausgeprägte
Resistenz gegen diese Arzneimittel erforderlichen Mutationen in sich tragen, dürfte bei
unbehandelten Patienten niedrig sein. Viertens können antiretrovirale Medikamente, die
zum Teil außer Funktion gesetzte Viren (mit geringerer „Fitness“) selektieren, dem Wirt
dadurch zugute kommen, daß sie den Umfang der Virusreplikation (und damit auch der
Schädigung) verringern, die erfolgt, auch nachdem arzneimittelresistente Mutanten
arzneimittelempfindliche Viren „überwuchert“ haben. Fünftens ermöglicht eine
unvollständige Suppression der HIV-Replikation (wie sie aus weiterhin nachweisbaren
HIV-RNS-Kopien im Plasma hervorgeht) eine fortgesetzte Akkumulation von Mutationen,
die eine ausgeprägte Arzneimittelresistenz verleihen und fördert damit letztlich ein
Anwachsen der resistenten Virenpopulation während der weiteren Behandlung (23, 29). Je
wirksamer neue Zyklen der HIV-Infektion supprimiert werden, desto weniger Gelegenheit
besteht für die Akkumulation neuer Mutationen, die das Aufkommen
arzneimittelresistenter Varianten erlauben (94, 97). Somit stellen die Einleitung und die
Aufrechterhaltung einer Therapie mit optimal dosierten potenten antiretroviralen
Medikamentenkombinationen mit dem Ziel der Senkung der HIV-Replikation unter die
Nachweisgrenze empfindlicher HIV-RNS-Plasmaassays die aussichtsreichste Strategie dar,
um dem Aufkommen arzneimittelresistenter Viren vorzubeugen (oder dieses zu
unterbinden) und bieten ein Höchstmaß an Schutz vor einer HIV-induzierten Schädigung
des Immunsystems.
Eine Hemmung der HIV-Replikation durch eine antiretrovirale Therapie läßt klinische
Vorteile erwarten.
Da die aktive HIV-Replikation unmittelbar mit der fortschreitenden Abnahme der CD4Zellzahlen in Verbindung steht, läßt eine Senkung des Umfangs der Virusreplikation durch
eine medikamentöse antiretrovirale Therapie eine Korrelation mit den bei behandelten
Patienten beobachteten klinischen Vorteilen erwarten. Erkenntnisse aus immer mehr
klinischen Prüfungen mit antiretroviralen Medikamenten stützen diese Prognose sehr
deutlich und weisen darauf hin, daß eine nachhaltigere Suppression der HIV-Replikation
größeren klinischen Nutzen bringt (9, 13, 23, 38-40, 54). So ergaben neue virologische
Analysen von ACTG 175 (eine Studie über eine Zidovudin- oder Didanosin-Monotherapie
im Vergleich mit Zidovudin + entweder Didanosin oder Zalcitabin), daß eine Senkung der
HIV-RNS-Plasmaspiegel auf 1,0 log unter den Ausgangswert 56 Wochen nach
Therapiebeginn mit einer Verringerung des Progressionsrisikos der klinischen Erkrankung
um 90% verbunden war (13). In einer gepoolten Analyse von sieben verschiedenen
ACTG-Studien war die dauerhafte Suppression der HIV-RNS-Werte im Plasma unter
5.000 Kopien HIV-RNS/ml 1-2 Jahre nach Therapiebeginn mit einem mittleren Anstieg
der CD4-Zellzahlen um rund 90 Zellen/mm³ verbunden (24). Patienten, deren HIV-RNSWerte im Plasma nicht stabil unter 5.000 Kopien/ml gesenkt werden konnten, wiesen
während der gleichen Phase eine fortschreitende Abnahme der CD4-Zellzahlen auf (24).
30
Prinzipien der HIV-Therapie
Ein durch eine antiretrovirale Therapie induzierter Rückgang der HIV-RNS-Werte im
Plasma ist ein deutlich besserer Indikator des klinischen Nutzens als das Ansprechen der
CD4-Zellen (9, 13, 24). Darüber hinaus ist der klinische Nutzen bei Patienten mit
fortgeschrittener HIV-Krankheit mit einem therapiebedingten Rückgang der HIV-RNSWerte im Plasma korreliert, auch wenn kein Anstieg der CD4-Zellzahlen zu beobachten
ist. Sind bei manchen behandelten Patienten trotz Suppression der HIV-Replikation keine
erhöhten CD4-Zellzahlen festzustellen, kann dies auf eine irreversible Schädigung der
Regenerationsfähigkeit des Immunsystems in den späteren Stadien der HIV-Krankheit
hinweisen.
Das umfassendste Datenmaterial über den Zusammenhang zwischen der Größenordnung
der Suppression der HIV-Replikation durch eine antiretrovirale Therapie und dem Grad der
Verbesserung des klinischen Ergebnisses fiel bei Studien über eine Monotherapie oder
Kombinationstherapie mit Nukleosid-Analoga-RT-Inhibitoren an (9, 13, 24). Diese
Behandlungen bewirken eine weniger nachhaltige und dauerhafte Suppression der HIVReplikation als heute verfügbare Kombinationstherapieschemata, die potente ProteaseInhibitoren einschließen (und die HIV-Replikation unter die Nachweisgrenze der HIVRNS-Plasmaassays zu senken vermögen) (23, 37, 39). Somit wird der Zusammenhang
zwischen der Suppression der HIV-Replikation und dem klinischen Nutzen noch deutlicher
hervortreten, wenn mehr Erfahrungen mit potenten Kombinationstherapien vorliegen.
Nach wirksamer Hemmung der anhaltenden HIV-Replikation und Schädigung durch
eine antiretrovirale Pharmakotherapie wird die Funktion des Immunsystems unter
Umständen nur unvollständig wiederhergestellt.
Wie oben dargestellt wurde, ergibt sich die Krankheitsprogression bei HIV-infizierten
Patienten aus einer aktiven Virusreplikation, die die Funktion des Immunsystems und
seiner Strukturbestandteile - des lymphatischen Gewebes - auf Dauer schädigt. Wegen des
klonalen Charakters der antigenspezifischen Immunantwort dürfte ohne Erzeugung
immunkompetenter CD4-Zellen aus unreifen Vorläuferzellen die T-Zell-Antwort nach dem
Verlust nicht wiederzuerlangen sein, auch wenn sich neue HIV-Infektionsschübe durch
eine wirksame antiretrovirale Therapie aufhalten lassen (77, 79, 98). Ebenso ist auch nicht
bekannt, ob die beschädigte Architektur der lymphatischen Organe bei Menschen mit
mittelschwerer bis fortgeschrittener HIV-Krankheit nach einer antiretroviralen Therapie
wiederinstandgesetzt werden kann. Darüber hinaus wird bei später Einleitung einer
antiretroviralen Therapie, wenn das proliferative Restpotential von CD4- und CD8-Zellen
mit zunehmender Dauer der HIV-Infektion und angesichts der Größenordnung des
kumulierten Verlusts und der Regeneration der Lymphozytenpopulationen zurückgehen
sollte, unter Umständen nur in begrenztem Umfang wieder eine ausreichende Zahl
funktionsfähiger Lymphozyten gebildet werden können. Deshalb besteht die Ansicht, daß
die Einleitung einer antiretroviralen Therapie vor dem Eintreten signifikanter Schäden am
Immunsystem wirksamer dazu beitragen kann, die Fähigkeit von HIV-Infizierten zur
Nutzung einer schützenden Immunantwort zu erhalten und zu verbessern.
Es stehen heute nur wenige zuverlässige Methoden zur Verfügung, um die Integrität der
menschlichen Immunantwort zu beurteilen. Die Anwendung spezifischer Methoden zur
Untersuchung der Immunantwort bei HIV-Infizierten vor und nach der Einleitung einer
antiretroviralen Therapie weist jedoch darauf hin, daß eine immunologische Erholung auch
31
Prinzipien der HIV-Therapie
dann unvollständig bleibt, wenn die HIV-Replikation unter die Nachweisgrenze absinkt.
Bei den meisten mit antiretroviralen Medikamenten behandelten Patienten kehren die
CD4-Zellzahlen nicht mehr in den Normalbereich zurück, und der Grad des CD4Zellanstiegs ist zumeist begrenzter, wenn die Therapie in den späteren Stadien der HIVKrankheit einsetzt (79). Jüngste Erkenntnisse weisen darauf hin, daß das Repertoire der
antigenspezifischen CD4-Zellen bei sinkenden Zellzahlen immer stärker eingeengt wird
(79). Bei Patienten mit Anzeichen eines eingeschränkten T-Zell-Repertoires vermag eine
antiretrovirale Therapie zwar die Gesamtzahl der CD4-Zellen zu erhöhen, kann die Vielfalt
des Antigenerkennungspotentials jedoch nicht steigern(79).
Einzelne Berichte über opportunistische Infektionen bei antiretroviral behandelten
Patienten mit wesentlich höheren CD4-Zellzahlen, als sie typischerweise mit der
Empfänglichkeit für spezifische opportunistische Infektionen verbunden sind, geben Anlaß
zu der Besorgnis, daß die protektive Immunantwort sich möglicherweise nur unvollständig
wiederherstellen läßt, selbst wenn eine wirksame Suppression der anhaltenden HIVReplikation erzielt werden kann (99). In anderen Einzelberichten werden dagegen Fälle
beschrieben, in denen sich die klinische Symptomatik vorbestehender opportunistischer
Infektionen besserte (100-102) oder nach Einleitung einer wirksamen antiretroviralen
Kombinationstherapie eine neue Entzündungsantwort auf vorbestehende, aber subklinische
opportunistische Infektionen zu erkennen war (103, 104). Diese Beobachtungen lassen
vermuten, daß die Immunfunktion sich selbst bei Patienten mit fortgeschrittener HIVKrankheit etwas verbessern läßt, wenn vor der Einleitung der wirksamen antiretroviralen
Therapie noch eine ausreichende Anzahl erregerspezifischer CD4-Zellen vorhanden ist.
Inwieweit eine antiretrovirale Therapie, die bei Patienten in verschiedenen Stadien der
HIV-Krankheit eingeleitet wird, die Immunfunktion wiederherzustellen vermag, ist zur
Zeit nicht bekannt, stellt aber eine wesentliche Frage für künftige Forschungen dar.
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Prinzipien der HIV-Therapie
populations suggest regulatory responses linked to loss of CD4 lymphocytes. J Acqu Imm Def Syn 1993; 6: 153161
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Prinzipien der HIV-Therapie
Anhang
Die hier erörterten Prinzipien und Schlußfolgerungen basieren zu wesentlichen Teilen auf einem Dokument,
welches im ersten Halbjahr 1997 von einem internationalen Expertenpanel erarbeitet wurde.
Mitglieder des Panels waren:
Charles Carpenter, M.D., Panel Chair, Brown University, The Miriam Hospital Providence, RI
Mark Feinberg, M.D., Ph.D., Executive Secretary, National Institutes of Health Bethesda, MD
Wade Aubry, M.D., Blue Cross/Blue Shield Association, San Francisco, CA
Dawn Averitt, Women’s Information Service and Exchange (WISE), Atlanta, GA
John Coffin, Ph.D., Tufts University, School of Medicine Boston, MA
David Cooper, M.D., National Center for HIV Epidemiology and Clinical Research, Sydney, NSW, Australia
Stephen Follansbee, M.D., Davies Medical Center, San Francisco, CA
Peggy Hamburg, M.D., New York City Department of Health, New York, NY
Mark Harrington, Treatment Action Group, New York, NY
Julia Hidalgo, S.C.D., Center for AIDS Services Planning and Development, Baltimore, MD
Harold Jaffe, M.D., Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, GA
Dan Landers, M.D., Magee Women’s Hospital, Pittsburgh, PA
Henry Masur, M.D., National Institutes of Health, Bethesda, MD
Philip Pizzo, M.D., Children’s Hospital/Harvard Medical School, Boston, MA
Douglas D. Richman, M.D., University of California, San Diego, La Jolla, CA
Michael Saag, M.D., University of Alabama at Birmingham, Birmingham, AL
Robert Schooley, M.D., University of Colorado Health Sciences Center, Denver, CO
Valerie Stone, M.D., M.P.H., Brown University School of Medicine, Pawtucket, RI
Melanie Thompson, M.D., AIDS Research Consortium of Atlanta, Atlanta, GA
Didier Trono, M.D., The Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, CA
Stefano Vella, M.D., Instituto Superiore di Sanita, Laboratory of Virology, Rome, Italy
Bruce D. Walker, M.D., Harvard Medical School, Boston, MA
Patrick G. Yeni, M.D., X. Bichat Medical School, Paris, France
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