Der Drache - Christho2001.de

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Der Drache - Christho2001.de
Der Drache
von
Jewgeni Schwarz
- nur zum Gebrauch in der Vorlesung
Bildsprache WS 03/04 -
Die Personen
Besetzung
Der Drache
1. Kopf
2. Kopf
3. Kopf
Lanzelot
Charlesmagne
Elsa, seine Tochter
Bürgermeister
Heinrich, sein Sohn
Mariechen, der Kater
Esel
Die zwei Weber:
Großmeister der Mützen- und Hutmacherzunft
Schmied
Meister der Instrumentenbauerzunft
Die Freundinnen Elsas
Anna, 1. Freundin
Erna, 2. Freundin
Berta, 3. Freundin
Wachtposten
Gärtner
1. Bürger
2. Bürger
1. Bürgerin
2. Bürgerin
Junge
Straßenhändler
Kerkerkommandant
Lakaien des Bürgermeisters
1. Lakai
2. Lakai
2
Erster Akt
3
Kater
Fft!
Lanzelot
Hallo?! Niemand zu Hause?! Herr Kater! Kommen Ihre Herrschaften bald zurück? Sie schweigen?
Kater
Wenn dus warm und weich hast, tust du am klügsten, wenn du vor dich hindöst und schweigst,
mein Bester.
Lanzelot
Nun sag mir schon, wo deine Leute sind.
Kater
Sie sind ausgegangen, und das ist äußerst angenehm.
Lanzelot
Du liebst sie nicht?
Kater
Und ob ich sie liebe. Mit jedem Häärchen meines Fells, aber ich kann nur so richtig von Herzen
ausruhen, wenn sie aus dem Haus gehen, denn es droht ihnen großes Leid.
Lanzelot
Kater? Was geht hier vor? Antworte mir. Also! Ich bin imstande und rette sie. So was kommt bei
mir vor. Nun?
Kater
Wenn dus warm und weich hast, tust du am klügsten, wenn du vor dich hindöst und schweigst.
Lanzelot
Wie rufen sie dich?
Kater
Mariechen.
Lanzelot
Ich dachte, - du bist ein Kater.
Kater
Ja, ich bin ein Kater, aber die Menschen sind so unaufmerksam. Meine Menschen wundern sich
immer wieder, daß ich noch nie Junge gekriegt habe.
Lanzelot
Sag - Wer sind sie, deine Menschen?
Kater
Herr Archivar Charlesmagne und seine einzige Tochter, die so weiche Pfötchen hat, die liebe,
gute, stille Elsa.
Lanzelot
Was steht ihnen bevor?
Kater
Wenn dus warm und weich hast...
Lanzelot
...tust du am klügsten, wenn du vor dich hindöst und schweigst. Ich weiß. Also!?
4
Kater
Miau! Es sind bald vierhundert Jahre, daß sich auf unserer Stadt ein Drache breitmacht.
Lanzelot
Ein Drache? Ausgezeichnet!
Kater
Unsere Stadt ist ihm tributpflichtig. Jedes Jahr sucht er sich eine Jungfrau aus. Wir geben sie ihm,
ohne miau zu sagen. Er führt sie in seine Höhle. Dort muß sie ihn lausen, und sie stirbt vor Ekel.
Er hat sich dieses Jahr unsere Elsa ausgesucht.
Lanzelot
Wie viele Köpfe hat er?
Kater
Drei.
Lanzelot
Nicht schlecht. Und Tatzen?
Kater
Vier.
Lanzelot
Na ja. Mit Krallen?
Kater
Ja! Fünf Krallen an jeder Tatze. Jede einzelne ist so groß wie ein Elefantenzahn.
Lanzelot
Ernsthaft. Und diese Krallen, sind sie scharf?
Kater
Messerscharf.
Lanzelot
Speit er Feuer?
Kater
Die Wälder brennen.
Lanzelot
Ich bin im Bilde. Steckt er in einem Schuppenpanzer?
Kater
In einem Schuppenpanzer.
Lanzelot
Und der Schuppenpanzer ist wahrscheinlich sehr hart?
Kater
Wie sich das gehört.
Lanzelot
Nun sag schon!
Kater
Ein Diamantschneider rutscht ab.
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Lanzelot
Soso. Kann mirs jetzt vorstellen. Die Größe?
Kater
Wie die Kirche.
Lanzelot
Alles klar.
Kater
Werden Sie sich mit ihm schlagen?
Lanzelot
Wollen sehen.
Kater
Fft! Ich flehe Sie an - fordern Sie ihn zum Kampf. Er wird Sie natürlich umbringen, aber während
des ganzen Hin und Her kann man davon träumen, daß Sie ihn durch Zufall oder durch ein
Wunder, so oder so, wenn nicht auf die eine Art, dann auf die andere, vielleicht doch irgendwie
plötzlich töten.
Lanzelot
Na vielen Dank, Kater.
Kater
Stehen Sie auf.
Lanzelot
Was ist los?
Kater
Sie kommen.
Lanzelot
Wenn sie mir doch gefiele! Das hilft sehr...
Kater
Still.
Wünsche Gesundheit! Wollen wir Abendbrot essen, meine lieben Freunde.
Lanzelot
Wünsche Gesundheit, guter Herr und schönes Fräulein.
Charlesmagne
Wünsche Gesundheit, junger Mann.
Lanzelot
Ihre Tür stand weit offen, und ihr Haus sah einladend aus, so daß ich unaufgefordert eintrat.
Verzeiht mir.
Charlesmagne
Nicht doch. Unsere Türen stehen jedem offen.
Charlesmagne biete Wein an / Elsa bezieht sich später darauf
Setzen Sie sich, junger Freund. Ich sehe Fremdlinge gern. Das kommt daher, ich bin mein Leben
lang aus dieser Stadt nicht herausgekommen. Wo sind Sie her?
Lanzelot
Von Süden.
6
Charlesmagne
Hatten Sie viele Abenteuer unterwegs?
Lanzelot
Mehr als mir lieb waren. gelogen
Elsa
Sie sind sicher müde. Setzen Sie sich. Weshalb stehen Sie?
Lanzelot
Danke.
Charlesmagne
Sie werden sich bei uns gut ausruhen. Unsere Stadt ist still. Hier passiert nichts.
Lanzelot
Nichts? Blick zum Kater
Charlesmagne
Nichts. Vorige Woche allerdings gab es starken Wind. Er hätte fast ein Dach davongetragen.
Aber das ist kein Ereignis.
Elsa
Setzen sie sich doch. Was ist Ihnen?
Lanzelot
Verzeihen Sie ... Sie sagten, Ihre Stadt sei still?
Elsa
Freilich.
Lanzelot
Und der Drache?
Charlesmagne
Ach, der... Wir haben uns an ihn gewöhnt. Er lebt schon vierhundert Jahre bei uns.
Lanzelot
Wie ich höre, soll Ihre Tochter...
Elsa
Herr Wanderer
Lanzelot
Ich heiße Lanzelot.
Elsa
Herr Lanzelot, verzeihen Sie mir, aber ich muß Sie bitten, darüber kein Wort. Daran ist nichts zu
ändern.
Lanzelot
Ach!?
Charlesmagne
Ja, daran ist nichts zu ändern. Wir haben einen Spaziergang durch den Wald gemacht und haben
alles schön ausführlich besprochen. Wenn der Drache sie morgen hinweggeführt hat, sterbe
auch ich.
Elsa
Papa
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Lanzelot
Erlauben Sie mir eine Frage. Hat niemand versucht, mit dem Drachen zu kämpfen?
Charlesmagne
In den letzten zweihundert Jahren - nein.
Lanzelot
Ich verstehe - Es will niemand gegen ihn kämpfen? Das hat ihn sicher dreist und überheblich
gemacht.
Charlesmagne
Nein, ich bitte Sie! Er ist so gut!
Lanzelot
Gut!?
Charlesmagne
Aber gewiß. Als unserer Stadt die Cholera drohte, hat er auf Bitten des Stadtarztes sein Feuer
auf den See gehaucht und ihn zum Kochen gebracht. Die ganze Stadt trank abgekochtes Wasser
und wurde von der Epidemie verschont.
Lanzelot
Ist das lange her?
Charlesmagne
Aber nein. Vor zweiundachtzig Jahren. Gute Taten vergißt man nicht.
Lanzelot
Was hat er sonst Gutes vollbracht, euer Drache?
Charlesmagne
Er hat uns von den Zigeunern befreit.
Lanzelot
Was habt Ihr gegen Zigeuner.
Charlesmagne
Das sind Vagabunden von Natur aus und von Bluts wegen. Zwar habe ich in meinem Leben noch
keinen Zigeuner gesehen, aber sie sind Feinde jedes Staatssystems, sonst würden sie sich
irgendwo niederlassen und nicht von Ort zu Ort ziehen. Ihren Liedern fehlt Männlichkeit, und
ihre Ideen sind zerstörerisch. Sie stehlen Kinder. Und dringen überall ein. Jetzt haben wir uns
von ihnen reingewaschen, aber noch vor hundert Jahren mußte jeder Dunkelhaarige beweisen,
daß er kein Zigeunerblut in sich hat.
Lanzelot
Was frißt er, euer Drache?
Charlesmagne
Unsere Stadt gibt ihm tausend Kühe, zweitausend Schafe, fünftausend Hühner und zwei Zentner
Salz im Monat. Im Sommer und im Herbst kommen hierzu noch zehn Gärten Salat, Spargel und
Blumenkohl.
Lanzelot
Er frißt euch arm!
Charlesmagne
Aber nein, was denken Sie! Wir beklagen uns nicht. Wie sollte es anders sein? Solange er da ist,
wagt kein anderer Drache, uns anzurühren.
Ich versichere Ihnen, es gibt nur eine Möglichkeit, vom Drachen verschont zu bleiben: man muß
einen eigenen Drachen haben.
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Lanzelot
Ich werde euch helfen?
Elsa/Charlesmagne
Wie wollen Sie uns helfen?
Lanzelot
Ich fordere den Drachen zum Kampf.
Elsa
Nein! Er wird Sie töten, und ich werde die letzten Stunden meines Lebens verfluchen.
Kater
Miau!
Lanzelot
Ich fordere den Drachen zum Kampf!
Kater
Wenn man von ihm spricht! Man hört das ohrenbetäubende Pfeifen einer landenden
Düsenmaschine. Sound!
Es klopft
Charlesmagne
Herein!
Lakai
Der Herr Drache.
Charlesmagne
Ich lasse bitten!
Mann kommt forschen Schrittes herein. Er scheint es eilig zu haben und schaut nur mal eben
nach dem Rechten.
Kinder, wie gehts? Elsa, guten Tag, Kleines! Besuch. Wer ist das?
Charlesmagne
Das ist ein Fremdling, ein Wanderer.
Mann
Was? Die Meldung laut und deutlich, wie sichs für einen Soldaten gehört.
Charlesmagne
Ein Fremdling!
Mann
Kein Zigeuner?
Charlesmagne
Ich bitte Sie! Das ist ein lieber Mensch.
Mann
Was?
Charlesmagne
Ein lieber Mensch.
Mann
Gut. Fremdling! Warum siehst du mir nicht in die Augen? Was glotzt du aus dem Fenster?
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Lanzelot
Ich warte auf den Drachen.
Mann
Ha, ha! Ich bin der Drache.
Lanzelot
Sie? Man sagte mir, Sie hätten drei Köpfe, Krallen und so weiter.
Drache
Ich mache heute keine Umstände, bin ohne Rangabzeichen.
Charlesmagne
Der Herr Drache lebt schon so lange unter uns Menschen, daß er sich gelegentlich selber in einen
Menschen verwandelt und uns freundschaftlichen Besuch abstattet.
Drache
Ja! Lieber Charlesmagne, ich bin wirklich euer Freund. Ja mehr, ich bin der Freund eurer
Kindheit. Ich bin der Freund der Kindheit eurer Väter, der Kindheit eurer Großväter, ja der
Kindheit eurer Urgroßväter. Mitnichten! Ihren Ururgroßvater habe ich gekannt in kurzen Hosen.
Teufel! Eine Träne. Der Fremdling glotzt. Solche Gefühle hattest du nicht von mir erwartet, wie?
Antworte! Er findet keine Worte, der Hundesohn. Schon gut. Macht nichts. Elsa!
Elsa
Ja, Herr Drache.
Drache
Setz dich. Gib Pfötchen. Schelmin. Närrchen. Ein warmes Pfötchen. Schnütchen höher! Lächle. So.
Was hast du, Fremdling?
Lanzelot
Ich ergötze mich.
Drache
Bist in Ordnung. Antwortest knapp. Ergötze mich. Bei uns gehts schnurstracks. Nach Soldatenart.
He? Warum bist du hier?
Lanzelot
Berufliche Gründe.
Drache
Was?
Lanzelot
Aus beruflichen Gründen.
Drache
Also sprich. Vielleicht helfe ich dir. Was willst du hier?
Lanzelot
Dich töten.
Drache
Lauter!
Elsa
Nein. Er macht Spaß. Nicht wahr Herr Lanzelot.
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Lanzelot
Nein.
Elsa
Wünschen Sie noch einmal meine Hand, Herr Drache?
Lanzelot
Ich fordere dich zum Kampf, Drache, hörst du? Zum drittenmal - ich fordere dich zum Kampf
Drache brüllt
Dummkopf. Da schweigst du? Hast Angst, was?
Lanzelot
Nein.
Drache
Nein?
Lanzelot
Nein.
Drache
Na schön. Der Drache wechselt den Kopf
Kater flüstert
Staune nicht, Lanzelot. Er hat drei Köpfe und wechselt sie nach Bedarf.
Lanzelot
Aha.
Drache
Sie heißen Lanzelot?
Lanzelot
Ja.
Drache
Sie sind ein Nachkomme des fahrenden Ritters Lanzelot?
Lanzelot
Ja, er ist ein entfernter Verwandter von mir.
Drache
Ich nehme ihre Herausforderung an. Fahrende Ritter sind wie Zigeuner. Sie müssen vernichtet
werden. Nehmen Sie bitte Platz.
Lanzelot
Danke.
Drache
Rauchen Sie? Rauchen Sie ruhig. Genieren Sie sich nicht.
Lanzelot
Danke.
Drache
Wissen Sie übrigens, wann ich zur Welt kam? Am Tage einer mörderischen Schlacht. Attila wurde
vernichtend geschlagen, und das will was heißen. - Die Erde triefte von Blut. Die Blätter der
Bäume wurden gegen Mitternacht braun. Und im Morgengrauen wuchsen unter diesen Bäumen
große schwarze trichterförmige Pilze - Totentrompeten genannt. Und hinter diesen
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Totentrompeten her kroch ich aus der Erde. Ich bin Sohn des Krieges. Der Krieg, das bin ich. In
meinen Adern fließt das Blut der toten Hunnen - das Blut ist kalt. Und so bin ich im Kampf kalt,
ruhig und treffsicher.
Er schießt eine Flamme zu Lanzelot
Lanzelot
Danke.
Drache
Es steht Ihnen also ein ruhmloser Untergang bevor. Verstehen Sie jetzt?
Lanzelot
Nein.
Drache
Was? Sie sind nach wie vor entschlossen?
Lanzelot
Mehr denn je.
Drache
Sie sind ein würdiger Gegner. Elsa, bring den Besen!
Elsa
Den Besen?
Drache
Ich mache den Kerl zu Asche, und du fegst ihn weg. Sterben Sie jetzt tapfer, still und ruhmlos.
Charlesmagne
Halt!
Drache
Was ist los?
Charlesmagne
Sie dürfen nicht. Als Archivar verwahre ich ein Schriftstück, das Sie vor
dreihundertzweiundachtzig Jahren unterschrieben haben.
Drache
Na und?
Charlesmagne
Jeder Herausforderer des Drachen ist bis zum Tag des Kampfes unantastbar und darf den Tag
des Kampfes selbst bestimmen. So stehts im Schriftstück. Sie haben unterschrieben. Und weiter:
Die ganze Stadt soll dem Herausforderer beistehen, und niemand wird dafür bestraft. Das ist
auch unterschrieben.
Drache
Wann wurde das aufgesetzt?
Charlesmagne
Vor dreihundertzweiundachtzig Jahren.
Drache
Ja, da war ich ein Jüngling, leichtgläubig, unerfahren.
Charlesmagne
Das Schriftstück ist aber rechtskräftig.
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Drache
Schluß mit dem Schriftstück. Wir sind erwachsene Menschen.
Charlesmagne
Ich protestiere!
Drache
So, jetzt radiere ich das ganze Nest aus.
Lanzelot
Dann erfährt die ganze Welt, daß Sie feige sind.
Drache
Durch wen?
Kater verschwindet durch das Fenster
Durch mich, alter Echserich.
Drache
Wie Sie wünschen. Wir werden uns morgen schlagen. Ab
Charlesmagne
Ich fühle mich entsetzlich schwach. Ich leg mich hin. Nein, begleite mich nicht. Bleib bei unserem
Gast. Entschuldigt mich. Pause
Elsa
Warum haben Sie sich das in den Kopf gesetzt? Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, aber alles war
so klar und voller Würde. Es macht mir nichts aus, jung zu sterben.
Lanzelot
Und ihr Bräutigam?
Elsa
Woher wissen Sie, daß ich einen Bräutigam habe?
Lanzelot
Haben sie keinen?
Elsa
Der Drache hat Heinrich, um ihn zu trösten, zu seinem persönlichen Sekretär ernannt.
Lanzelot
Aber Ihre Heimatstadt?
Elsa
Ich sterbe für meine Heimatstadt.
Ab Sonntag werde ich tot sein. Und bis zum Dienstag wird die ganze Stadt in Trauer gehen. Drei
Tage lang wird niemand Fleisch essen. Zum Tee wird man besondere Brötchen reichen, die mir
zum Gedächtnis ,,Arme Jungfrau" genannt werden. Mariechen kommt.
Mariechen!
Kater
Acht meiner bekannten Katzen und achtundvierzig meiner Katzenkinder sind alle Häuser
abgelaufen und haben von dem bevorstehenden Kampf erzählt. Der Bürgermeister kommt
gelaufen. Miau!
Bürgermeister stürmt herein
Wünsche Gesundheit, Elsa! Wo ist der Fremdling?
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Lanzelot
Hier bin ich.
Bürgermeister
Vor allem seien Sie so gut und sprechen Sie leise, möglichst ohne Gesten, bewegen Sie sich
alngsam und unauffällig, aber vor allem sehen Sie mir nicht in die Augen. Meine Nerven sind in
einem entsetzlichen Zustand. Glauben Sie, es ist leicht, unter dem Drachen Bürgermeister zu
sein?
Lanzelot
Beruhigen Sie sich. Ich zerschlage den Drachen, und Sie haben es leichter.
Bürgermeister
Ha, ha! Leichter? Ha, ha! Leichter! Ha, ha! Leichter! Fällt in einen hysterischen Zustand. Trinkt
Wasser. Beruhigt sich Daß Sie sich erdreisten, unsern Herrn Drachen zu fordern, ist ein Unglück.
Alles lief wie am Schnürchen. Unser Herr Drache hat durch seinen Einfluß meinen Stellvertreter
zahm gemacht. Er ist ein derartiger Halunke...
Lanzelot
Der Drache?
... mein Stellvertreter - daß ich zwei Städte opfern würde, um ihn zu vernichten. Lieber fünf
Drachen als dies Scheusal von Stellvertreter. Jetzt kommt alles durcheinander. Ich flehe Sie an,
reisen Sie ab.
Lanzelot
Ich reise nicht ab. Verstehen Sie doch, ich rette die Stadt.
Bürgermeister
Ha, ha! Die Stadt? Ha, ha! Die Stadt! Die Stadt! Ha, ha!
trinkt Wasser, beruhigt sich
Herzlichen Glückwunsch! Ich habe einen Anfall von Katalepsie.
Erstarrt mit einem bitteren Lächeln im Gesicht, Lanzelot bespritzt ihn mit Wasser, kommt zu sich
Sehen Sie zum Fenster hinaus. Die besten Bürger der Stadt sind hergerannt und fordern Sie auf,
sich aus dem Staub zu machen. Meine Freunde, sagt Lanzelot, was ihr von ihm wollt Nun? Eins!
Zwei! Drei!
Bürger
Fort von hier! Heute noch!
Lanzelot
Ich denke nicht daran.
Bürgermeister
Herzlichen Glückwunsch. Jetzt habe ich eine leichte Geistesstörung...
Lanzelot
Ob ihr wollt oder nicht...
Bürgermeister
Ich bin eine Teekanne
Lanzelot
Ich bringe die Sache in Ordnung. Bürgermeister
Brüht mich! Es klopft
Elsa
Tretet ein. Derselbe Lakai tritt ein, der das Kommen des Drachen angemeldet hat
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Bürgermeister
Guten Tag, Sohn.
Lakai
Guten Tag, Vater.
Bürgermeister
Du kommst von ihm? Es wird nicht gekämpft, wie? Du bringst den Befehl, Lanzelot ins Gefängnis
zu stecken, was?
Lakai
Der Herr Drache befiehlt: erstens, der Kampf ist auf morgen festgesetzt, zweitens, Lanzelot wird
mit Waffen ausgerüstet, drittens, mit dem Kopf denken!
Bürgermeister
Herzlichen Glückwunsch, meine Gedanken haben sich hinter meinem Kopf versteckt. Kuckuck!
Gedanken! Gebt Antwort! Zeigt euch!
Lakai
Ich habe Befehl, mit Elsa unter vier Augen zu sprechen.
Bürgermeister
Ich gehe, ich gehe. Kuckuck! Ich gehe! Kommen sie Herr Lanzelot, sprechen sie selbst mit den
Bürgern der Stadt.
Lakai
Wünsche Gesundheit, Elsa.
Elsa
Wünsche Gesundheit, Heinrich.
Heinrich
Du hoffst, Lanzelot wird dich retten?
Elsa
Nein, und du?
Heinrich
Ich auch nicht.
Elsa
Was befahl der Drache, mir auszurichten?
Heinrich
Er befahl, dir auszurichten, du sollst Lanzelot töten, wenn es nötig werden sollte.
Elsa
Was?
Heinrich
Mit einem Messer. Mit diesem hier. Es ist vergiftet...
Elsa
Ich will nicht!
Heinrich
Darauf befiehlt der Herr Drache zu sagen, er wird deine drei Freundinnen umbringen.
Elsa
Gut. Sag ihm, ich werde mich bemühen.
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Heinrich
Darauf befiehlt der Herr Drache zu sagen: jedes Schwanken wird als Ungehorsam bestraft.
Elsa
Ich hasse dich!
Heinrich
Darauf befiehlt der Herr Drache zu sagen, treue Diener weiß er zu belohnen.
Elsa
Lanzelot wird deinen Drachen töten.
Heinrich
Darauf befiehlt der Herr Drache zu sagen: abwarten!
VORHANG
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Zweiter Akt
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Marktplatz der Stadt. Rechts das Rathaus mit einem Türmchen, auf dem ein Wächter steht.
Hinten ein riesiges düsteres braunes Gebäude ohne Fenster und mit einer übergroßen
gußeisernen Tür, die vom Fundament bis zum Dach reicht, Auf der Tür steht mit gotischen
Buchstaben geschrieben:
,,Zutritt für Menschen auf keinen Fall gestattet". Links eine breite altertümliche Festungsmauer.
In der Mitte des Platzes ein überdachter Brunnen mit geschnitzter Umzäunung. Heinrich, ohne
Livree, mit einer Schürze angetan, putzt die kupfernen Verzierungen an der gußeisernen Tür.
Aus dem Rathaus kommt der Bürgermeister gelaufen. Er steckt in einer Zwangsjacke
Bürgermeister
Wünsche Gesundheit, Sohn. Du hast nach mir geschickt?
Heinrich
Wünsche Gesundheit, Vater. Ich wollte hören, wie bei euch die Dinge laufen. Ist die Sitzung der
städtischen Selbstverwaltung beendet?
Bürgermeister
Wo denkst du hin! Die ganze Nacht haben wir gesessen und es mit Ach und Krach geschafft, die
Tagesordnung zu bestätigen.
Heinrich
Hast dich abgequält?
Bürgermeister
Was dachtest du? Während der letzten halben Stunde hat man mir dreimal die Zwangsjacke
auswechseln müssen. Gähnt Es gibt morgen Regen; meine verfluchte Schizophrenie macht sich
wieder bemerkbar. Ich phantasiere, ich phantasiere .. Halluzinationen, fixe Ideen, dieses, jenes.
Rauchen wir eine. Heinrich steckt dem Bürgermeister eine Zigarette in den Mund - Sie rauchen
Heinrich
Wann löst ihr endlich das Problem der Waffe?
Bürgermeister
Welcher Waffe?
Heinrich
Für Lanzelot.
Bürgermeister
Für welchen Lanzelot?
Heinrich
Was ist los mit dir? Hast du den Verstand verloren?
Bürgermeister
Natürlich. Du bist mir ein schöner Sohn. Vergißt, wie schwerkrank dein Vater ist. Schreit Oh,
Menschen, Menschen, liebet einander! Ruhig Da siehst du, wie schlimm es um mich steht.
Heinrich
Papa, sag mir - du bist älter als ich ... erfahrener... Sag, was hältst du von dem bevorstehenden
Kampf? Bitte, antworte mir.
Bürgermeister
Bitte, Sohn, ich antworte dir frei von der Leber weg. Er wird siegen, der liebe Gute! Ich bin DraDra, verstehst du das, Kleiner, innig verbunden! Ich würde sogar, wie soll ich dir das sagen, mein
Leben für ihn hergeben. Bei Gott, wenn das nicht die Wahrheit ist, will ich hier auf der Stelle in
die Erde versinken! Er siegt, das Wundertierchen-Zundertierchen! Mein Schnucki-Putzi-Butz!
Mein Zugvögelchen! Mein geschäftiges! Och, wie ich ihn liebe! Nein, wie ich ihn liebe! Ich liebe
ihn eben. Da hast du die ganze Antwort.
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Heinrich
Papa, du willst mit deinem einzigen Sohn nicht offen reden?
Bürgermeister
Noch bin ich nicht verrückt. Das heißt, ich bin natürlich verrückt, aber nicht so. Hat Dra-Dra dir
befohlen, mich auszuhorchen?
Heinrich
Aber, Papa!
Bürgermeister
Du kannst was, Sohn! Das Gespräch hast du sehr gut geführt. Ich bin stolz auf dich als Fachmann.
Hast du dir gemerkt, was ich dir geantwortet habe?
Heinrich
Selbstverständlich: Wundertierchen-Zundertierchen, Zugvögelchen, mein geschäftiges.
Bürgermeister
Schnucki-Putzi-Butz!
Heinrich
Schnucki-Putzi-Butz - Alles gemerkt.
Bürgermeister
Dann mußt dus ihm auch hinterbringen!
Heinrich
Gut, Papa.
Bürgermeister
Ach, du mein einziger, mein kleiner Spion du... Er macht Karriere, der Kleine. Brauchst du Geld?
Heinrich
Nein, vorläufig nicht, danke, Papa.
Bürgermeister
Nimm doch, genier dich nicht. Ich habs. Gestern hatte ich wieder einen Anfall von Kleptomanie.
Nimm...
Heinrich
Ich erinnere Sie daran, Herr Bürgermeister, daß von Minute zu Minute die feierliche Zeremonie
der Waffenübergabe an den Helden stattfinden muß. Es ist möglich, daß Dra-Dra
höchstpersönlich die Zeremonie durch seine Anwesenheit zu beehren wünscht, und du hast noch
nichts fertig.
Bürgermeister
Also dann, ich gehe. Irgendeine Waffe suchen wir ihm im Handumdrehen aus. Er wird zufrieden
sein. ... Da kommt er ja!
Heinrich
Führ ihn weg von hier! Gleich kommt Elsa, ich muß mit ihr sprechen.
Bürgermeister
Heil dir, Hosianna, Heiliger Georg, Drachentöter. Verzeihen Sie, habe ich Sie verwechselt?
Lanzelot
Das macht nichts, Georg ist ein entfernter Verwandter von mir.
Bürgermeister
Die Mitglieder der städtischen Selbstverwaltung wollen Sie persönlich sehen, um eine
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Vorstellung zu bekommen, welche Waffe am besten zu Ihnen paßt, Herr Lanzelot. Kommen Sie,
zeigen wir uns ihnen!
Elsa kommt
Heinrich
Ich ließ dich rufen, um dich zu fragen, ob du meine Frau werden willst.
Elsa
Hör auf!
Heinrich
Ich scherze nicht. Ich bin bevollmächtigt, dir folgendes auszurichten: wenn du gehorsam bist und
Lanzelot tötest, dann gibt Dra-Dra dich zur Belohnung frei.
Elsa
Ich will nicht.
Heinrich
Laß mich ausreden. An deiner Stelle wird eine andere, vollkommen unbekannte Jungfrau aus
dem einfachen Volk auserwählt. Sie war sowieso für das nächste Jahr vorgesehen. Wähle, was
besser ist - den Tod oder ein Leben, erfüllt mit Freuden, die du bisher nur träumen konntest.
Elsa
Er hat Angst?
Heinrich
Wer? Dra-Dra? Ich kenne seine Schwächen. Er ist ein Dickkopf, ein Grobian, ein Parasit - nur kein
Feigling.
Elsa
Ich kann keinen Menschen töten!
Heinrich
Und doch hast du das Messer bei dir. Da ist es, in deiner Tasche. Ich muß gehen, aber ich gehe
beruhigt. Du führst den Befehl aus, um deinet- und um meinetwillen. Überleg dirs. Das Leben,
das ganze Leben liegt vor uns - wenn du es willst. Überlege, mein Liebling. geht ab
Elsa
Das Maß ist voll! Ich war die Gefügigste in der Stadt. Alles habe ich geglaubt. Und was kam
dabei heraus? Sie haben mich alle geachtet, aber das Glück wurde anderen zuteil. Sie sitzen jetzt
zu Hause, suchen sich ein schmuckes Kleid aus, bügeln die Rüschen, drehen sich Locken und
schicken sich auf den Weg, mein Unglück zu begaffen. Ich will nicht! Ich will alles sehen, alles
hören, riechen, fühlen. Ich will glücklich werden!
Lanzelot
Elsa! Ein Glück, daß ich Sie treffe!
Elsa
Warum?
Lanzelot
Mein schönes Fräulein, heute ist ein schwieriger Tag für mich, das Herz verlangt nach Rast, und
sei es nur eine kurze Minute.
Elsa
Sie waren auf der Sitzung?
Lanzelot
Ja.
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Elsa
Weshalb hat man Sie kommen lassen?
Lanzelot
Sie haben mir Geld angeboten, damit ich vom Kampf zurücktrete.
Elsa
Und was haben Sie gesagt?
Lanzelot
Ich habe gesagt: ,,Ihr armseligen Dummköpfe!" Aber reden wir nicht davon. Elsa, heute sind Sie
noch schöner als gestern. Das ist ein sicheres Zeichen, daß Sie mir gefallen. Glauben Sie, daß ich
Sie retten werde?
Elsa
Nein. Elsas Freundinnen kommen angelaufen, plappernd
Erste Wir Zweite sind Erste Elsas Zweite beste Erste Freundinnen.
Zweite
So viele Jahre lebten wir
Erste Herz Zweite an Herz,
Erste seit unserer Kindheit.
Zweite
Sie war die Klügste...
Erste
Sie war die Beste von uns.
Zweite
Kommen wir auch nicht zu spät?
Erste
Sie wollen wirklich mit ihm kämpfen?
Zweite
Wir müssen den Kampf sehen!
Erste
Er wird sie sicher töten! peinliche Pause
Zweite
Nun sind Sie uns sicher böse.
Und wollen nicht mit uns sprechen.
Erste
Dabei sind wir wirklich keine schlechten Mädchen.
Zweite
Sie denken, wir wollen Sie aus Boshaftigkeit hindern, von Elsa Abschied zu nehmen.
Erste
Das tun wir nicht aus Boshaftigkeit.
Heinrich hat uns befohlen, Sie nicht mit ihr allein zu lassen.
Zweite
Er hat uns befohlen zu schwatzen...
21
Erste
Und da schwatzen wir nun.
Charlesmagne kommt aus dem Rathaus
Charlesmagne
Die Sitzung ist geschlossen, Herr Lanzelot. Der Beschluß über Ihre Waffe ist gefaßt. Vergeben Sie.
Vergeben Sie uns armen Mördern, Herr Lanzelot.
Trompetensignale. Die Wachen kommen aus dem Rathaus gelaufen, breiten Teppiche aus und
stellen einen großen und reichgeschmückten Sessel in die Mitte. Der Bürgermeister kommt
heraus umgeben von Mitgliedern der städtischen Selbstverwaltung. Er ist sehr aufgeräumt.
Heinrich in seiner Paradelivree ist auch dabei
Bürgermeister
Kommt, kommt, Herrschaften. Gleich haben wirs geschafft.
Der Bürgermeister verneigt sich vor dem leeren Sessel haspelt schnell herunter
Erschüttert und gerührt von dem Vertrauen, das Sie, Exzellenz, uns erweisen, indem Sie uns
gestatten, einen so wichtigen Beschluß zu fassen, bitten wir Sie, den Platz des Ehrenvorsitzenden
einzunehmen. Wir bitten einmal, wir bitten zweimal, wir bitten dreimal. Wir sind betrübt, aber
da kann man nichts machen. Fangen wir also alleine an. Setzt euch, Herrschaften. Ich erkläre die
Sülzung... Pause Wasser! Wache bringt Wasser. Der Bürgermeister trinkt
Ich erkläre die Salzung... Wasser! trinkt - mit sehr dünner Stimme Ich erkläre... In tiefem Baß die
Sitzung... Wasser! trinkt - Dünn Danke, mein Teuerster. Baßtimme Fort mit dir, Schurke! Mit
seiner eigenen Stimme Herzlichen Glückwunsch, Herrschaften, bei mir setzt Bewußtseinsspaltung
ein. Mit Baßstimme Was machst du da, dumme Trine? Dünn Siehst du das nicht, ich führe den
Vorsitz. Mit Baß Seit wann ist das Weibersache? Dünn Ich bin selber nicht erbaut davon, Schatzi.
Hau mir aber nicht gleich die Hucke voll, ich verlese jetzt das Protokoll. Mit natürlicher Stimme
Antrag lautet auf Ausrüstung eines gewissen Lanzelot mit Waffen. Beschluß: Ausrüsten, auch
wenns das Herz abdrückt. Ihr da, bringt die Waffe!
Trompetensignale Wache reicht Lanzelot eine kleine Messingschüssel, an der schmale Riemchen
befestigt sind
Lanzelot
Das ist ein Barbierbecken.
Bürgermeister
Ja, aber wir haben es dazu bestimmt, die Funktion eines Helms auszuüben. Das Messingtablett
ist als Schild gedacht. Einen Ritterharnisch haben wir leider nicht auf Lager, aber einen Speer
haben wir. Übergibt Lanzelot einen Bogen Papier Damit wird Ihnen bescheinigt, daß der Speer
sich in Reparatur befindet, was durch Unterschrift und beigefügtes Siegel beglaubigt wird.
Während des Kampfes halten Sie die Bescheinigung dem Herrn Drachen vor, und alles wird
bestens zu Ende gehen. Mit Baßstimme Schließe die Sülzung, dumme Trine! Mit dünner Stimme
Und ob ich schließe, und ob ich schließe, verflucht soll sie sein. Was das Volk sich bloß immer
aufregt und aufregt. Es weiß selber nicht, warum es sich aufregt. Singt Eins, zwei, drei, vier, Herr
Ritter gehet zum Turnier... Baßstimme Mach Schluß, verfluchtes Weib! Mit dünner Stimme Ich
bin doch dabei! Singt Kommt der Drache angekrochen, hat den Ritter totgestochen... Kieks,
Kieks, oi, oi, oi, piff paff, ich erkläre die Salzung für geschlossen.
Lautsprecher
Stillgestanden! Augen zum Himmel! Seine Exzellenz sind über den Grauen Bergen aufgetaucht
und fliegen mit schrecklicher Geschwindigkeit hierher.
Alle springen auf und erstarren, den Kopfgen Himmel erhoben Entferntes Getöse, das mit
erschreckender Geschwindigkeit anwächst. Auf der Bühne wird es dunkel. Völlige Dunkelheit
Das Getöse bricht ab
Stillgestanden! Seine Exzellenz schwelt wie eine Wolke über uns und hat die Sonne verdeckt.
Haltet die Luft an!
Zwei grünliche Lichter zucken auf
22
Lautsprecher
Stillgestanden! Seine Exzellenz stürzen sich kopfüber auf den Marktplatz herab.
Ohrenbetäubendes Pfeifen und Brüllen. Das Licht flammt auf In dem großen Sessel sitzt mit
angezogenen Beinen ein winziges, todbleiches altes Männchen
Bürgermeister
Exzellenz! In der mir anvertrauten städtischen Selbstverwaltung keine Vorkommnisse. In der
Umgebung eins. Anwesend sind...
Drache
Mit etwas brüchiger kleiner Tenorstimme sehr ruhig Fort mit dir, fort mit allen!
Alle gehen ab Auf der Bühne Lanzelot und der Drache Wie gehts?
Lanzelot
Danke, ausgezeichnet.
Drache
Was sind das für Schüsseln auf der Erde?
Lanzelot
Meine Waffen.
Drache
Das haben sich meine Leute ausgedacht?
Lanzelot
So ist es.
Drache
Flegel. So was kann einen kränken.
Lanzelot
Nein.
Drache
Du lügst. Ich habe kaltes Blut, aber das würde sogar mich kränken. Meine Untertanen sind sehr
schrecklich. Solche findest du nirgends. Sie sind mein Werk. Ich hab sie zugeschnitten.
Lanzelot
Und trotzdem sind es Menschen.
Drache
Nur von außen. Wenn du ihre Seelen sehen könntest, du würdest erzittern.
Lanzelot
Nein.
Drache
Du würdest fliehen. Solcher Krüppel wegen würdest du nicht sterben wollen. Ich habe sie selbst
zu Krüppeln gemacht, mein Lieber, so wie ich sie brauchte, hab ich sie mir verkrüppelt.
Menschliche Seelen, mein Lieber, sind zählebig. Zerhackst du den Körper in zwei Hälften,
verreckt der Mensch. Wenn du ihm aber die Seele zerhackst, passiert gar nichts, er wird gefügig.
Kettenseelen, Spürhundseelen, durchlöcherte Seelen, käufliche Seelen. Schade, daß sie
unsichtbar sind.
Lanzelot
Das ist Ihr Glück. Wenn die Menschen sehen könnten, was Sie aus ihnen gemacht haben, würden
sie etwas dagegen tun.
23
Drache
Also fangen wir an?
Lanzelot
Bitte.
Drache
Nimm Abschied von dem Mädchen, für das du in den Tod gehst, Bursche!
Heinrich eilt herbei
Die Elsa!
Heinrich lauft davon
Gefällt dir das Mädchen, das ich mir ausgesucht habe?
Lanzelot
Sie gefällt mir.
Drache
Freut mich zu hören. Mir gefällt sie auch. Ein hervorragendes Mädchen. Ein gehorsames
Mädchen.
Elsa und Heinrich treten auf
Komm näher, meine Liebe. Sieh mir in die Augen. So. Schön. Die Äuglein sind klar. Du darfst mir
die Hand küssen. So. Brav. Schöne warme Lippen. Möchtest du von Herrn Lanzelot Abschied
nehmen?
Elsa
Wie sie befehlen, Herr Drache.
Drache
Ich befehle. Geh. Sprich zärtlich mit ihm. Leise Küß ihn zum Abschied. Du darfst das. Und dann
töte ihn. Es ist nichts dabei. Ich bin bei dir. Schieb ab. Du kannst weiter weggehen mit ihm. Ich
sehe sehr gut. Ich sehe alles. Schieb ab.
Lautsprecher
Stillgestanden! Augen zum Himmel! Seine Exzellenz sind über den Grauen Bergen aufgetaucht
und fliegen mit schrecklicher Geschwindigkeit hierher.
Alle springen auf und erstarren, den Kopfgen Himmel erhoben Entferntes Getöse, das mit
erschreckender Geschwindigkeit anwächst. Auf der Bühne wird es dunkel. Völlige Dunkelheit
Das Getöse bricht ab
Stillgestanden! Seine Exzellenz schwelt wie eine Wolke über uns und hat die Sonne verdeckt.
Haltet die Luft an!
Zwei grünliche Lichter zucken auf
Lautsprecher
Stillgestanden! Seine Exzellenz stürzen sich kopfüber auf den Marktplatz herab.
Ohrenbetäubendes Pfeifen und Brüllen. Das Licht flammt auf In dem großen Sessel sitzt mit
angezogenen Beinen ein winziges, todbleiches altes Männchen
Bürgermeister
Exzellenz! In der mir anvertrauten städtischen Selbstverwaltung keine Vorkommnisse. In der
Umgebung eins. Anwesend sind...
Drache
Mit etwas brüchiger kleiner Tenorstimme sehr ruhig Fort mit dir, fort mit allen!
Alle gehen ab Auf der Bühne Lanzelot und der Drache Wie gehts?
Lanzelot
Danke, ausgezeichnet.
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Drache
Was sind das für Schüsseln auf der Erde?
Lanzelot
Meine Waffen.
Drache
Das haben sich meine Leute ausgedacht?
Lanzelot
So ist es.
Drache
Flegel. So was kann einen kränken.
Lanzelot
Nein.
Drache
Du lügst. Ich habe kaltes Blut, aber das würde sogar mich kränken. Meine Untertanen sind sehr
schrecklich. Solche findest du nirgends. Sie sind mein Werk. Ich hab sie zugeschnitten.
Lanzelot
Und trotzdem sind es Menschen.
Drache
Nur von außen. Wenn du ihre Seelen sehen könntest, du würdest erzittern.
Lanzelot
Nein.
Drache
Du würdest fliehen. Solcher Krüppel wegen würdest du nicht sterben wollen. Ich habe sie selbst
zu Krüppeln gemacht, mein Lieber, so wie ich sie brauchte, hab ich sie mir verkrüppelt.
Menschliche Seelen, mein Lieber, sind zählebig. Zerhackst du den Körper in zwei Hälften,
verreckt der Mensch. Wenn du ihm aber die Seele zerhackst, passiert gar nichts, er wird gefügig.
Kettenseelen, Spürhundseelen, durchlöcherte Seelen, käufliche Seelen. Schade, daß sie
unsichtbar sind.
Lanzelot
Das ist Ihr Glück. Wenn die Menschen sehen könnten, was Sie aus ihnen gemacht haben, würden
sie etwas dagegen tun.
Drache
Also fangen wir an?
Lanzelot
Bitte.
Drache
Nimm Abschied von dem Mädchen, für das du in den Tod gehst, Bursche!
Heinrich eilt herbei
Die Elsa!
Heinrich lauft davon
Gefällt dir das Mädchen, das ich mir ausgesucht habe?
Lanzelot
Sie gefällt mir.
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Drache
Freut mich zu hören. Mir gefällt sie auch. Ein hervorragendes Mädchen. Ein gehorsames
Mädchen.
Elsa und Heinrich treten auf
Komm näher, meine Liebe. Sieh mir in die Augen. So. Schön. Die Äuglein sind klar. Du darfst mir
die Hand küssen. So. Brav. Schöne warme Lippen. Möchtest du von Herrn Lanzelot Abschied
nehmen?
Elsa
Wie sie befehlen, Herr Drache.
Drache
Ich befehle. Geh. Sprich zärtlich mit ihm. Leise Küß ihn zum Abschied. Du darfst das. Und dann
töte ihn. Es ist nichts dabei. Ich bin bei dir. Schieb ab. Du kannst weiter weggehen mit ihm. Ich
sehe sehr gut. Ich sehe alles. Schieb ab.
Elsa tritt zu Lanzelot
Herr Lanzelot, mir wird befohlen, von Ihnen Abschied zu nehmen.
Lanzelot
Gut, Elsa. Nehmen wir Abschied für alle Fälle. Der Kampf wird hart sein. Alles Mögliche kann
passieren. Ich möchte Ihnen zum Abschied sagen, Elsa, ich liebe Sie.
Elsa
Mich?
Lanzelot
Ja, Elsa. Schon gestern haben Sie mir gut gefallen, Dann stellte ich fest, daß Sie mir bei jeder
Bewegung schöner und schöner vorkamen. Aha, dachte ich. Und dann, als Sie dem Drachen die
Hand küßten, hat mich Ihr Gehorsam nur traurig gestimmt. Ich wurde nicht zornig. Da war mir
alles klar.
Elsa
Ich glaubte, Sie hätten den Drachen auch so zum Kampf gefordert, auch wenn ein anderes
Mädchen an meiner Stelle gewesen wäre.
Lanzelot
Natürlich hätte ich ihn gefordert. Ich kann sie nicht ausstehen, diese Drachen. Aber um
ihretwillen würde ich ihn mit bloßen Händen erwürgen, obwohl das sehr widerlich wäre. Oh
wenn ich denke, daß ich gestern, an der Kreuzung der drei Wege, statt nach links fast nach
rechts abgebogen wäre, wir hätten uns nie getroffen. Schrecklich, nicht?
Elsa
Ja.
Lanzelot
Ja. Jetzt gibt es auf der Welt keine, die mir so lieb ist wie Sie. Ihre Stadt ist meine Stadt. Wenn
ich ... kurz, wenn wir uns nicht wiedersehen, vergessen Sie mich nicht?
Elsa faßt Lanzelot bei der Hand
Nein.
Drache
Gut, das Mädchen. Jetzt macht sie ihn zahm.
Heinrich
Ja. Sie ist nicht dumm, Exzellenz.
Lanzelot
Ich bin ein Wanderer, wissen Sie, federleicht, mein ganzes Leben bestand aus schweren
Kämpfen. Hier ein Drache, da ein Menschenfresser, dort Riesen. Viel zu tun... Mühselige Arbeit,
26
undankbar. Aber ich wurde nicht müde, und ich war oft verliebt.
Elsa
Oft?
Lanzelot
Natürlich. Man zieht kreuz und quer durch die Welt, kämpft und lernt Mädchen kennen. Da
kommt es eben vor - man verliebt sich. Aber so wie jetzt war es nie...
Elsa
Sprich nicht weiter. Ich bitte dich.
Lanzelot
Furcht, Müdigkeit und Zweifel verbrennen, verschwinden auf ewig. So sehr kann man lieben.
Selbst die Bäume im Wald können zärtliche Worte mit uns wechseln und die Vögel und die
wilden Tiere, weil Liebende alles verstehen und sich eins fühlen mit der ganzen Welt.
Drache
Was flötet er da?
Aha! Sie legt ihm die Hand auf die Schulter. Prachtmädel!
Elsa
Liebster, ich wußte nicht, daß es Menschen wie dich auf der Erde gibt. Gestern war ich noch
gehorsam wie ein Hündchen, wagte nicht, an dich zu denken. Trotzdem stieg ich nachts ganz
leise in die Küche und trank den Wein, den du in deinem Glas gelassen hattest. Und so habe ich
dich in der Nacht geküßt, weil du für mich kämpfen willst. Ich liebe dich. Küßt Lanzelot
Drache
Gleich tut sies, gleich tut sies, gleich tut sies!
Elsa
Siehst du das Messer? Der Drache hat befohlen, daß ich dich umbringen soll.
Drache
Na!
Heinrich
Tus, tus!
Elsa
Sieh her! Schleudert das Messer fort
Heinrich
Blöde Gans!
Drache
Du wagst es!
Elsa
Schweig! Glaubst du, ich lasse mich von dir beschimpfen, nachdem er mich geküßt hat. Ich liebe
ihn. Er wird dich töten.
Lanzelot
Das ist die reine Wahrheit, Herr Drache.
Drache
So? Dann auf zum Kampf. Offen gestanden, es ist mir nicht zuwider. Ich habe mir unlängst einen
interessanten Tatzenschlag ausgedacht, Richtung n nach x. Und den probieren wir jetzt an
deinem Körper aus. Lauf, Bursche, ruf die Wache.
Marsch, marsch, nach Hause, Dummerchen, wir sprechen uns nach dem Kampf.
27
Heinrich kommt mit der Wache
Hör zu, Wache, was wollte ich sagen... ja... Geleite dieses Mädchen nach Hause und bewache sie.
Schieb ab!
Lanzelot drückt die Wache in die Knie
Elsa
Laß. Schone deine Kräfte. Wenn du ihn erschlagen hast, holst du mich. Ich werde auf dich
warten.
Lanzelot
Und ich werde kommen.
Drache
So, das wärs. Schieb ab!
Die Wache führt Elsa davon
Bursche, rufe den Wachtposten vom Turm und schicke ihn ins Gefängnis. Heute nacht wird ihm
der Kopf abgehackt. Er hat gehört, wie das Ding mich angeschrien hat, er könnte in der Kaserne
schwatzen. Dann kommst du und reibst mir die Krallen mit Gift ein.
Heinrich läuft davon. Zu Lanzelot
Du bleibst hier stehen, hörst du! Und wartest. Wann ich anfange, sage ich dir nicht. Ein richtiger
Krieg beginnt schlagartig. Verstanden? Wo sind meine Untertanen? die Bürger erscheinen
Ich befehle, daß jeder dem Kampfe beiwohnt.
Heinrich
Wollt ihr diesen Kampf und denSieg des Drachen?
Bürger
Ja! Ja! Ja!
Der Drachen fliegt in die Höhe und entfaltet sich. Während dessen gehen die Begeisterungsrufe
der Masse in Musik über und man hört eine Soundcollage mit weiteren Begeisterungsrufen.
Marschmusik. Orginalrede: Goebbels, Hitler usw. Ausblenden und Lichtwechsel/Der eiserne
Vorhang geht zu
Lanzelot vor dem Vorhang/Der Kater tritt auf
Vor dem eisernen Vorhang
Kater
Lanzelot, schau nach rechts. Siehst du diese Leute dort? Es sind Freunde und sie wollen dich
sprechen.
Lanzelot
Kommt näher Freunde. Was wollt ihr? Die Handwerker erscheinen - vorsichtig
Heinrich tritt auf - eilig
Was macht ihr hier?
Weber
Wir bringen Ware zum Markt, Eurer Ehren.
Heinrich mißtrauisch
Was für Ware?
Weber
Teppiche,
Schmied
Hausrat,
Schneider
Kleidung Euer Ehren.
28
Stimme des Drachen
Bursche!
Heinrich
Weitergehen, weitergehen! Wir haben den Notstand verhängt. Größere
Menschenansammlungen sind strengstens verboten.
Läuft eiligst in den Palast
Weber
Guten Tag, Herr Lanzelot.
Schmied
Wir sind Freunde.
Weber
Viele Teppiche habe ich geknüpft, aber der schönste hier ist für Sie.
Lanzelot
Schöne Arbeit.
Weber
Ja, ein Teppich der Sonderklasse, doppelt geknüpft, Wolle in Seide. Die Farben nach
Geheimrezept zubereitet. Doch nicht das macht den Wert des Teppichs aus. Es ist ein fliegender
Teppich.
Lanzelot
Gut. Die Bedienung.
Weber
Einfach, Herr Lanzelot. Dies ist der Zipfel der Höhe, die Sonne ist darin eingewebt. Dies ist der
Zipfel der Tiefe, die Erde ist darin eingewebt. Dies ist der Zipfel der Zick-zack-Flüge, Schwalben
sind darin eingewebt. Und dies ist der Zipfel der Sturzflüge. Ein leichter Druck, und man fliegt
steil nach unten, dem Feind direkt auf den Kopf. Ich - wir alle haben so auf sie gewartet.
Hutmacher
Wünsche Gesundheit, mein Herr! Darf ich bitten! Den Kopf so. Und so. Vorzüglich, mein Herr, ich
bin Großmeister der Mützen- und Hutmacherzunft. Ich mache die besten Hüte und Mützen der
Welt. Ich nehme nicht Maß. Ich werfe einen Blick auf den Kunden, und es entstehen Dinge, die
den Menschen wunderbar zum Schmuck gereichen, und daran habe ich meine Freude. Heute
habe ich die ganze Nacht für Sie gearbeitet, mein Herr, und wie ein Kind vor Kummer geweint.
Lanzelot
Warum?
Hutmacher
Das ist eine tragische, besondere Fasson von Kappe. Es ist eine Tarnkappe.
Lanzelot
Gut!
Hutmacher
Nein!!! Bitte nicht! Wer sie aufsetzt, wird unsichtbar, und ich erfahre nie, ob ihnen die Kappe
steht oder nicht. Nehmen Sie sie, aber setzen Sie sie nicht in meiner Gegenwart auf. Ich ertrage
das nicht! Nein, das ertrage ich nicht!
Schmied
Da! Nimm! Wir haben die ganze Nacht geschmiedet. ,,Hals-und Beinbruch".
Schneider
Ich bin verdienter Meister des Schneider und Rüstungshandwerks, Herr Lanzelot. Schon meine
frühen Vorfahren begannen an dieser Kampfausrüstung zu bauen. Ein Geschlecht nach dem
29
anderen hat daran gewirkt, und so wurde es zu einem Kunstwerk der Rüst.- und Schneiderkunst.
Dieses Kleid gibt dem Träger Mut, Tapferkeit und Zutrauen in die eigenen Kräfte. Bitte ziehen
Sie es an und geben sie uns ein Fünkchen Hoffnung, daß sich unser Leben und das unserer
Kinder und Enkel ändern wird.
Hutmacher
Hunderte von Jahren haben wir auf Sie gewartet, Herr Lanzelot. Der Drache hat uns still werden
lassen. Und nun ist es soweit.
Schmied
Töten Sie ihn!
Schneider
Schenken Sie uns die Freiheit.
Musik - Lanzelot zieht die Kleidung an - die Handwerker helfen ihm
Brüllen aus dem Drachenpalast
Kater
Der Kampf beginnt, fort mit euch!
Handwerker ab. (schneller Umzug) Eiserener Vorhang auf. Lanzelot stellt sich auf den Teppich,
nimmt die Waffen, zieht die Tarnkappe hervor, setzt sie auf und verschwindet
Akkurate Arbeit. Vorzügliche Meister. Bist du noch da, Lanzelot?
Stimme Lanzelots
Nein, ich steige langsam in die Höhe. Auf Wiedersehen, Freunde.
Kater
Auf Wiedersehen, Bester. Gebrüll des Drachen
Drache
Lanzelot! Lanzelot!
In Rauch und Flammen sieht man undeutlich mal drei riesige Köpfe mal riesige Tatzen mal
funkelnde Augen
Heinrich
Er hat sich verkrochen, Exzellenz.
Schwertgeklirr. Der Drache stöhnt auf
Drache
Wer wagt es, mich zu schlagen?
Lanzelots Stimme
Ich, Lanzelot!
Kampfeslärm
Der Marktplatz füllt sich mit Volk. Das Volk ist ungewöhnlich still Alle flüstern und schauen zum
Himmel
Erster Bürger
Der Kampf dauert!
Zweiter
Schon zwei Minuten.
Erster
Es ist gleich alles vorbei.
30
Zweiter
Unsre Ruh ist hin. Es ist Essenszeit - aber man hat keinen Appetit.
Auftritt Gärtner
Guten Tag, Herr Gärtner. Warum so traurig?
Gärtner
Heute sind mir die Teerosen, die Brotrosen und die Weinrosen aufgeblüht, man schaut hin, ist
satt und trunken. Der Herr Drache hatte versprochen, vorbeizukommen und sie sich anzusehen.
Er wollte mir Geld für weitere Versuche geben. Jetzt kämpft er. Das kann mich die Früchte
langjähriger Mühen kosten.
Hausierer
Mit geschäftigem Flüstern Rauchglas gefällig? Rauchglas gefällig? Wenn man durchschaut, sieht
man Dra-Dra geräuchert.
Alle kaufen Gläser
Erster
Unverschämter Kerl! Ha, ha, ha!
Zweiter
Dra-Dra geräuchert. Hi, hi, hi! Kampflärm
Junge
Mama, vor wem reißt der Drache aus?
Alle
Tsss!
Erster
Er reißt nicht aus, mein Junge, er manövriert.
Junge
Und warum zieht er den Schwanz ein?
Alle
Tsss!
Erster
Den Schwanz, mein Junge, zieht er nach wohlüberlegtem Plan ein.
Erste Bürgerin
Man stelle sich das vor! Der Krieg dauert jetzt sechs Minuten, und noch ist kein Ende abzusehen.
Alle sind aufgeregt. Der Milchpreis hat schon dreimal aufgeschlagen.
Zweite Bürgerin
Ach was, Milchpreis. Auf dem Wege hierher gab es ein Schauspiel, das einem die Seele vereiste.
Zucker und Butter krochen totenbleich aus den Läden ins Lager zurück. Kaum hören sie
Kampfgetümmel, gleich verkriechen sie sich.
Schreckensrufe. Die Menge weicht zur Seite Charlesmagne tritt auf
Charlesmagne
Wünsche Gesundheit, Herrschaften!
Schweigen
Erkennt ihr mich nicht?
Erster
Natürlich nicht. Seit gestern abend sind Sie nicht wiederzuerkennen.
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Charlesmagne
Wieso denn?
Gärtner
Schrecklich, diese Leute. Nehmen Fremde auf. Verderben dem Drachen die Laune. Schlimmer, als
wenn jemand über den Rasen latscht. Und dann noch fragen - wieso denn?
Zweiter
Ich kenne Sie überhaupt nicht mehr, seit die Wache Ihr Haus beschattet.
Charlesmagne
Ja, schrecklich, nicht wahr? Die Wache läßt mich nicht zu meiner Tochter. Sie sagt, der Drache
hat befohlen, niemand zu Elsa zu lassen.
Erster
Na und? Von seinem Gesichtspunkt aus hat Exzellenz vollkommen recht.
Kampfgetümmel
Junge
Er ist umgekippt und streckt die Beine hoch. Irgendwer schlägt ihn, daß die Funken fliegen!
Alle
Tsss!
Trompetensignal Heinrich tritt auf
Heinrich
Hört meinen Erlaß. Zur Vermeidung einer Epidemie der Augenkrankheiten, und nur deshalb,
wird jetzt verboten, in den Himmel zu blicken. Was am Himmel vor sich geht, erfahrt ihr aus den
Kommuniqués, die der persönliche Sekretär des Herrn Drache - also ich - nach Bedarf herausgibt.
Trompete
Erster
Sehr richtig!
Zweiter
Hätte längst passieren müssen.
Junge
Mama, warum dürfen wir nicht sehen, wie er geschlagen wird?
Alle
Tsss!
Erste Freundin
Zehn Minuten dauert der Krieg schon! Warum ergibt er sich nicht?
Zweite
Er weiß doch, daß der Drache unbesiegbar ist.
Erste
Er will uns einfach quälen.
Zweite
Wenn dieser Fremdling nicht wäre, hätte der Drache Elsa längst zu sich geholt. Und wir könnten
in Ruhe zu Hause sitzen und weinen.
Hausierer
Ein interessantes wissenschaftliches Instrument, Spieglein genannt, gefällig? Man sieht zur
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Erde und sieht den Himmel. Für fünf Groschen hat man Dra-Dra zu seinen Füßen.
Alle kaufen
Erster Bürger
Unverschämter Kerl! Ha, ha, ha!
Zweiter
Dra-Dra zu seinen Füßen! Hi, hi, hi!
Erbitterter Kampflärm
Erste Bürgerin
Das ist schrecklich!
Zweite Bürgerin
Der arme Drache!
Erste
Er speit schon keine Flammen mehr.
Zweite
Es kommt nur noch Rauch.
Erste
Wie kompliziert er manövriert.
Zweite
Meiner Meinung nach... ich schweige lieber!
Heinrich
Hört das Kommuniqué der städtischen Selbstverwaltung. Der Kampf nähert sich seinem Ende.
Der Feind hat sein Schwert verloren. Seine Lanze ist zerbrochen. Im fliegenden Teppich hat man
eine Motte entdeckt, die mit niedagewesener Geschwindigkeit die Flugkraft des Feindes
zersetzt. Von seiner Basis entfernt, kann der Feind keine Mottenkugeln auftreiben und hascht
nach der Motte durch Schläge mit der flachen Hand, was ihn der nötigen Manövrierfähigkeit
beraubt. Nur aus Liebe zum Krieg vernichtet der Drache den Feind nicht. Er ist der Heldentaten
noch nicht satt und will sich an Wundern der eigenen Tapferkeit weiden.
Trompete
Erster Bürger
Jetzt ist mir alles klar.
Junge
Aber, Mamachen, sieh doch, also ganz bestimmt, jemand haut auf seinen Hals.
Erste Bürgerin
Er hat drei Hälse, mein Junge.
Junge
Seht hin, jetzt kriegen alle drei Hälse was ab.
Bürgerin
Das ist eine optische Täuschung, mein Junge!
Erster Bürger
Nehmen Sie das Kind weg.
Zweiter
Ich traue meinen Augen nicht! Einen Arzt, einen Augenarzt!
33
Erster
Er stürzt ab.
Gärtner
Das überlebe ich nicht!
Erster Bürger
Drängelt nicht so! Wir wollen alle was sehen!
Ein Drachenkopf fällt polternd auf den Platz Trompete
Heinrich
Hört ein Kommuniqué der städtischen Selbstverwaltung. Der geschwächte Lanzelot hat alles
verloren und ist teilweise in Gefangenschaft geraten.
Zweiter
Wieso teilweise?
Heinrich
Eben teilweise. Das ist Kriegsgeheimnis. Seine übrigen Teile leisten vereinzelt Widerstand.
Übrigens hat unser Herr Drache einen seiner Köpfe vom Kriegsdienst befreit und ihn zur Reserve
einbeordert.
Trompete
Zweiter
Versteht das wer
Erster Bürger
Was gibt es da nicht zu verstehen? Sie haben Ihre Milchzähne auch verloren.
Zweiter
Allerdings.
Erster
Sehen Sie. Und quietschvergnügt leben Sie weiter.
Zweiter
Aber meinen Kopf habe ich noch nicht verloren.
Erster
Warten Sie ab. Das kann Ihnen noch passieren.
Trompete
Heinrich
Hört einen Kommentar zu den laufenden Ereignissen. Thema: Warum ist zwei genaugenommen
mehr als drei? Zwei Köpfe sitzen auf zwei Hälsen. Ergibt vier. So. Außerdem haften Sie besser.
Der zweite Drachenkopf poltert donnernd auf den Platz herab
Der Kommentar wird aus technischen Gründen unterbrochen.
Trompete Heinrich ab. Tritt wieder auf Trompete
Hört ein Kommuniqué. Die Kampfhandlungen entwickeln sich planmäßig.
Zweiter
Nanu?
Heinrich
Vorläufig nichts weiter.
Trompete
Zweiter
Zwei Drittel Achtung vor dem Drachen habe ich verloren.
34
Erster
Charlesmagne! Bester Freund!. Warum stehen Sie abseits?
Zweiter
Kommen Sie doch zu uns.
Erster
Hat man je so etwas gehört? Die Wache läßt Sie nicht zur eigenen Tochter. Das ist
niederträchtig.
Zweiter
Warum sagen Sie nichts?
Erster
Sie sind doch nicht etwa beleidigt?
Charlesmagne
Nein, aber ich finde keine Worte.
Gärtner
Charlesmagne, nicht grübeln! Das deprimiert. Wenn ich daran denke, wieviel Zeit ich vergeudet
habe, diesem dreiköpfigen Ungeheuer in den Arsch zu kriechen. Wie viele Blumen hätte ich in
der Zeit züchten können!
Trompete
Heinrich
Hört einen Kommentar zu den Ereignissen!
Gärtner
Ruhe!
Erster
Uns reichts!
Heinrich
Kann ich was dafür? Wir haben Krieg. Durchhalten! Ich fange an. Ein Gott, ein Mond, eine
Sonne, ein Kopf auf den Schultern unseres Gebieters. Nur einen Kopf zu haben, das ist
menschlich, das ist human im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem ist das günstig, auch in
militärischer Hinsicht. Dadurch wird die Front wesentlich verkürzt. Einen Kopf verteidigen ist
dreimal leichter als drei.
Der dritte Drachenkopf poltert donnernd auf den Platz herab. Explosion von Ausrufen. letzt
reden alle sehr laut
Erster Bürger
Nieder mit dem Drachen!
Zweiter
Man hat uns von Kind an betrogen!
Erste Bürgerin
Wie schön! Jetzt kann jeder machen was er will!
Zweite
Ich bin trunken, Ehrenwort.
Hausierer
Das neueste Spielzeug gefällig? Der Kartoffeldrache! Schwupps - der Kopf ist ab!
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Alle lachen aus voller Kehle
Erster Bürger
Geistreich. Schwupp, der Kopf ist ab.
Erste Bürgerin
Hurra!
Gärtner
Ein Pfundskerl. Dra-Dra als Hackfrucht. Hurra!
Erster Bürger
Hurra!
Zweite Bürgerin
Nieder mit ihm!
Zweiter Bürger
Kartoffeldrache!
Erster
Schlagt ihn, wo ihr ihn trefft
Trompete
Heinrich
Hört ein Kommunique!
Gärtner
Schnauze.
Erste Bürgerin
Wir jubeln, wies uns paßt!
Zweite
Und johlen, wie es uns paßt!
Erster Bürger
Schlag zu!
Zweiter
Hurra!
Bürgermeister
Wache!
Die Wache kommt auf den Platz gerannt. Zu Heinrich
Sprich zu ihnen sachte, aber dann hau zu. Stillgestanden.
Alle Verstummen
Heinrich
Sehr weich Bitte, hört ein Kommuniqué. An den Fronten ist buchstäblich, also rein gar nichts von
Bedeutung vorgefallen. Alles steht überaus günstig. Wir verhängen jetzt den
Belagerungszustand. Wer Gerüchte verbreitet, dem wird der Kopf abgehackt.
Der Platz leert sich
Wieso lächelst du?
Bürgermeister
Schweig, Sohnemann.
Dumpfer schwerer Schlag der die Erde erzittern läßt
Das war sein Leib. Er ist hinter der Mühle aufgeplumpst!
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Heinrich
Weshalb reibst du dir die Hände, Papa!
Bürgermeister
Junge! Mir fällt die Macht von selbst in den Schoß. Ich werde sie aufgreifen und gebrauchen wie
ich will.
Es läuft wie geschmiert, Heinrich. Der Gewesene hat die Stadt so abgerichtet, daß sie sich von
jedem reiten läßt, der die Zügel straff in die Hand nimmt.
Heinrich
Hast du keine Angst vor Lanzelot, Papa?
Bürgermeister
Nein, Sohn. Denkst du etwa, das war ein Kinderspiel, den Drachen zu töten? Glaub mir, Lanzelot
liegt entkräftet auf seinem Fliegenden Teppich, und der Wind treibt ihn von unserer Stadt fort.
Heinrich
Wenn er aber plötzlich landet...
Bürgermeister
Glaub mir, er ist fertig. Unser Entschlafener verstand sich aufs Kämpfen, das muß man ihm
lassen. Komm. Wir diktieren die ersten Erlasse.
Komm, komm. Verlieren wir keine Zeit.
Sie gehen ab
Auf dem Platz erscheint Lanzelot. Er steht auf dem Fliegenden Teppich und stützt sich auf sein
verbogenes Schwert. In seinen Händen die Tarnkappe. Das Instrument liegt ihm zu Fußen
Lanzelot
Tot ist er, aber mir gehts auch nicht viel besser. Die Arme gehorchen nicht. Ich sehe schlecht. Ich
höre immerzu, wie jemand meinen Namen ruft: ,,Lanzelot, Lanzelot". Die Stimme kenne ich. Ich
mag ihr nicht folgen. Aber diesmal muß ich wohl. Was meinst du, Wundergeige - sterbe ich?
Das Instrument antwortet
Das klingt erhaben und edel. Aber ich fühle mich elendig schwach. Ich bin zu Tode verwundet.
Warte noch, Tod. Elsa! Ich habe ihn besiegt! Aber ich sehe dich nicht. Du siehst mir nicht in die
Augen, du küßt mich nicht, du fragst mich nicht: ,,Lanzelot, was ist mit dir? Warum bist du
betrübt? Warum dreht sich dir der Kopf? Warum schmerzen deine Schultern? Wer ruft beständig
nach dir - ,,Lanzelot, Lanzelot"? Es ist der Tod, der mich ruft. Ich sterbe. Das ist sehr traurig,
findest du nicht auch?
Das Instrument antwortet
Das ist ärgerlich. Sie verstecken sich alle. Ist mein Sieg ein Unglück? Warte noch, Tod. Du kennst
mich. Ich fürchte dich nicht, ich reiße dir nicht aus. Laß mich noch eine Minute nachdenken. Sie
verstecken sich alle. Aber sie besinnen sich. ,,Warum haben wir dieses Scheusal gefüttert und
gehätschelt? Jetzt stirbt unsretwegen auf dem Marktplatz ein Mensch, mutterseelenallein. Aber
von nun an werden wir klüger sein! Haben wir nicht gesehen, was für ein Kampf sich am Himmel
abspielte? Nein, jetzt ist ein für allemal Schluß! Wegen unserer Schwachheit mußten die
Stärksten, die Besten, die Unbeugsamsten fallen." Ja, daraus würden selbst Steine Lehren ziehen,
und sie sind immerhin Menschen. Ja, so besinnen sie sich jetzt in jedem Haus. Stimmts?
Das Instrument antwortet
Ja, ja. Genau so. Also sterbe ich nicht umsonst. Leb wohl, Elsa. Ich wußte, daß ich dich mein
Leben lang lieben würde ... aber nicht, daß mein Leben so schnell enden würde. Leb wohl, Stadt,
leb wohl, Tag, Morgen, Mittag, Abend. Und jetzt kommt schon die Nacht! Hallo, ihr! - Der Tod
drängt... die Gedanken verwirren sich... Etwas wollte ich noch sagen. - Hallo, ihr! Habt keine
Angst. Das schafft ihr. - Witwen und Waisen schützen. Und einander beistehen, das ist auch nicht
verboten. Das ist die Wahrheit, die reine Wahrheit, die reinste Wahrheit. Das wollte ich auch
noch sagen. Lebt wohl.
Vorhang
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Dritter Akt
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Prachtvoll ausgestatteter Saal im Palast des Bürgermeisters Hinten und auf beiden Seiten Türen,
halbrunde Tische, die zum Abendessen gedeckt sind. Vor ihnen in der Mitte ein mittelgroßer
Tisch, auf dem ein dickes Buch in Goldeinband liegt. Wenn der Vorhang sich öffnet, dröhnt ein
Orchester. Eine Gruppe von Bürgern schaut auf die Tür und ruft. Heinrich hört ab, während der
Kerkerkommandant wartend abseits steht
Bürger
Leise im Chor Eins, zwei, drei. Laut Es lebe der Drachentöter! Leise Eins, zwei, drei. Laut Es lebe
unser Befreier! Leise Eins, zwei, drei. Laut Wie sind wir glücklich. Leise Eins, zwei, drei. Laut Wir
hören seine Schritte!
Erster Bürger
Du unser ruhmreicher Gebieter. Genau vor einem Jahr wurde der verfluchte antipathische,
taktlose, widerliche Hundesohn von einem Drachen durch dich vernichtet. Wir wissen nicht
wohin vor Glück! Pieperepiep! Hurra!
Alle
Hurra!
Heinrich
Hervorragend, die übrigen Stellen haben wir schon geprobt?
Bürger
Jawohl, Herr Bürgermeister.
Heinrich
Schön. Der Drachentöter, der Präsident der befreiten Stadt, wird gleich zu euch kommen. Denkt
daran - nicht zackig sprechen, herzlich, menschlich, demokratisch!
Wachtposten
Stillgestanden! Seine Exzellenz der Präsident der befreiten Stadt kommen den Korridor
entlanggelaufen.
Das Orchester dröhnt Die Wachen nehmen Achtungstellung ein. Der Bürgermeister tritt auf
Heinrich
Exzellenz, Präsident, Oberhaupt, Vater dieser befreiten Stadt. Du Weiser, du! Wohltäter du!
Bürgermeister
Wünsche Gesundheit, Bürgermeister. 0, Blumen, nanu Drückt Bürgermeister die Hand
Bürgermeister? Für mich?
Heinrich
Unsere Mitbürger haben nicht vergessen, Herr Präsident, daß Sie vor genau einem Jahr den
Drachen getötet haben. Sie sind herbeigeeilt, Sie zu beglückwünschen.
Bürgermeister
Welch angenehme Überraschung! Schießt los.
Bürger
Leise Eins, zwei, drei. Laut Es lebe der Drachentöter! Leise Eins, zwei, drei. Laut Es lebe unser
Befreier!
Bürgermeister
Wünsche Gesundheit, Kerkerkommandant.
Kerkerkommandant
Wünsche Gesundheit, Exzellenz.
Bürgermeister
Zu den Bürgern Danke, meine Herren. Ich weiß auch so, was ihr mir sagen wolltet. Zum Teufel,
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eine Träne. Spritzt die Träne mit einer Handbewegung weg Bitte versteht, ich heirate heute, da
gibt es allerhand zu erledigen. Trollt euch. Aber zur Hochzeitsfeier seid ihr alle wieder da.
Verstanden! Der Alpdruck ist weg, wir wollen es uns wohlsein lassen! Stimmts?
Bürger
Jawohl, Herr Präsident!
Bürgermeister
Genauso. Wißt ihr noch, was ich unter dem verfluchten Drachen war? Ein Kranker, ein Irrer. Und
jetzt? Gesund wie zehn Gurken. Also lebhaft! Heinrich, bring sie raus!
Die Bürger und die Musiker ab
Bürgermeister
Wie stehts bei dir im Gefängnis?
Kerkerkommandant
Alles voll.
Bürgermeister
Was macht mein ehemaliger Stellvertreter?
Kerkerkommandant
Er quält sich.
Bürgermeister
Lügst du auch nicht?
Kerkerkommandant
Beim Recht, er quält sich.
Bürgermeister
Geschieht ihm recht! Widerlicher Hund. Wie oft hat er mir einen Bart gezeigt, wenn ich einen
Witz erzählt hab. Dafür sitzt er. Hast du ihm mein Bild gezeigt?
Kerkerkommandant
Gewiß!
Bürgermeister
Welches? Das, wo ich lächle?
Kerkerkommandant
Selbstverständlich.
Bürgermeister
Und?
Kerkerkommandant
Er hat geweint.
Bürgermeister
Du lügst? Gut! Und die Weber, die diesem ... den Fliegenden Teppich verschafft haben? Haben
sie gesagt, wo dieser... geblieben ist?
Kerkerkommandant
Nein!
Bürgermeister
Läßt du sich auch richtig hungern?
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Kerkerkommandant
Das will ich meinen!
Bürgermeister
Und der Schmied?
Kerkerkommandant
Der hat schon wieder das Gitter durchgefeilt. Ich mußte ein diamantenes an seinem
Zellenfenster anbringen.
Bürgermeister
Gut, gut, scheue keine Ausgaben. Aber hat er immer noch nicht gestanden, wo dieser... ist?
Kerkerkommandant
Kein Wort.
Bürgermeister
Und der Hutmacher, der Instrumentenbauer auch nicht?
Kerkerkommandant
Nein.
Bürgermeister
So, so. Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Kerkerkommandant
Gut. Bloß geschrieben wird viel.
Bürgermeister
Was?
Kerkerkommandant
,,L", das bedeutet Lanzelot.
Bürgermeister
Unsinn, "L" bedeutet - lieber Präsident.
Kerkerkommandant
Dann soll ich die, die das schreiben, nicht einsperren.
Bürgermeister
Warum nicht. Immerzu. Sperr sie ein. Was wird noch geschrieben?
Kerkerkommandant
Der Präsident ist ein Rindvieh. Sein Sohn ist ein Lump... Am meisten aber schreiben sie "L".
Bürgermeister
Blödes Volk. Immer wieder dieser Lanzelot. Hört man wirklich nichts von ihm?
Kerkerkommandant
Er ist wie vom Erdboden verschluckt.
Bürgermeister
Friede seiner Asche. Wer da?
Heinrich
tastet den Sessel ab Hier ist niemand. Papa, setz dich.
Bürgermeister
Lächle nicht so dumm. Mit seiner Tarnkappe kann er sich überall hinschleichen.
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Setzt sich Nun, Sohn, mein Kleiner, laß uns von unseren Geschäften sprechen. Du stehst in
meiner Schuld, Sohnemann!
Heinrich
Wieso, Papa?
Bürgermeister
Du hast wieder drei meiner Lakaien bestochen. Sie sollen mir nachspionieren, meine Papiere
durchlesen und so weiter. Stimmt’s?
Heinrich
Ich bitte dich, Papa.
Bürgermeister
Siehst du, ich wiederum habe den Lakaien fünfhundert Taler aus der eigenen Tasche gezahlt,
damit sie dir nur das melden, was ich genehmige. Du schuldest mir also fünfhundert Taler.
Heinrich
Nein, Papa. Als ich das herausbekam, legte ich sechs hundert hinzu.
Bürgermeister
Das dacht ich mir, und deshalb legte ich tausend hinzu, du Ferkel! Ja, du Kalbskopf! Du
Tausendsassa! Willst auf Papas Platz.
Heinrich
Ich bitte dich, Papa.
Bürgermeister
So was gibts! Aber lassen wir das. Ich schlage dir folgendes vor: Wenn wir in Zukunft einander
nachspionieren, machen wir es ohne Umstände, als gute Verwandte, von Vater zu Sohn. Wozu
Außenstehende einspannen! Das kostet nur Geld!
Heinrich
Was bedeutet schon Geld!
Bürgermeister
Da hast du recht. Wenn man dich um die Ecke gebracht hat, nützt dir kein Geld mehr.
Hufgeklapper und Glöckchengeläut
Ah, die Equipage, die Equipage! Ganz mit Drachenschuppen verziert! Und Elsa darin! Das
Wunder aller Wunder. Ganz in Spitzen! Nein, wer an der Macht sitzt, der kanns aushalten...
Verhöre Sie!
Heinrich
Wen?
Bürgermeister
Elsa. Vielleicht weiß sie doch, wo dieser... Schaut sieh um... Lanzelot steckt.
Heinrich
Fängst du schon wieder an?
Bürgermeister
Red nicht. Frag sie vorsichtig aus. Ich verstecke mich. Versteckt sich
Elsa und Charlesmagne treten ein
Heinrich
Elsa, ich begrüße dich. Du wirst mit jedem Tag schöner. Setze dich in den Sessel. Sie warten im
Vorzimmer, Charlesmagne, ja?
Charlesmagne geht mit einer Verbeugung hinaus
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Elsa, ich freue mich. Ich wollte mich schon lange mit dir allein unterhalten, offen,
freundschaftlich. Hörst du mir zu?
Elsa
Nein,
Heinrich
Bin ich dir wirklich so fremd geworden? Wo wir doch als Kind so gute Freunde waren. Weißt du
noch?
Elsa
Ja.
Heinrich
Komm, unterhalten wir uns wie in alten Zeiten, wie Bruder und Schwester.
Elsa
Ich bin jetzt gehorsam wie nie zuvor. Mit mir kann man machen, was man will. Unterhalten wir
uns.
Heinrich
Warum bist du in letzter Zeit so schweigsam?
Elsa
Wozu reden? Mir ist alles egal.
Heinrich
Und Lanzelot? Das war ein wunderbarer Mensch. Wir stehen alle in seiner Schuld. Ob wirklich
keine Hoffnung besteht, daß er zurückkommt?
Elsa
Du kannst dich beruhigen, er kommt nicht mehr.
Heinrich
Ich weiß nicht, warum, aber mir scheint, wir sehen ihn doch wieder.
Elsa
Ich will dir etwas sagen. Genau vor einem Jahr lief unsere Katze Mariechen auf den Platz vorm
Palast. Dort sah sie Lanzelot neben den toten Drachenköpfen stehen. Er stützte sich auf sein
Schwert und war leichenblaß. Die Katze wollte mich zu Hilfe rufen. Aber die Wache hielt mich so
streng unter Aufsicht, daß keine Fliege ins Haus gefunden hätte. Und die Soldaten verjagten die
Katze.
Heinrich
Hundesöhne.
Elsa
Darauf rief sie ihren Freunde den Esel, legte den Verwundeten auf seinen Rücken, und sie
schlichen durch finstere Gassen aus der Stadt.
Heinrich
Warum das?
Elsa
Sie trauten der Stadt nicht. Lanzelot war so schwach, daß ihn eine Maus erschlagen hätte. So
zogen die Tiere über Schleichwege in die Berge. Der Kater saß neben dem Verwundeten und
lauschte auf seinen Herzschlag.
Heinrich
Sein Herz schlug hoffentlich noch?
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Elsa
Aber schwächer und schwächer. Dann rief die Katze: ,,Anhalten!" und der Esel blieb stehen. Es
war schon Nacht. Sie waren weit oben in den Bergen, ringsum war es still und kalt. ,,Machen wir
kehrt!" sagte die Katze. ,,Jetzt tut ihm keiner mehr was. Elsa soll Abschied von ihm nehmen, und
dann wird er begraben."
Heinrich
Also tot!
Elsa
Der Esel wollte nicht kehrtmachen. Er ging weiter. Aber die Katze lief zurück und erzählte mir
alles. Seitdem warte ich auf niemand mehr.
Bürgermeister
Danke, Elsa! Wer wagt jetzt zu behaupten, ich hätte den Drachen nicht erschlagen? Wer? Wer?
Das Fest beginnt, die Hochzeitsgäste kommen.
Elsa
Papa!
Charlesmagne kommt eiligst ins Zimmer
Charlesmagne
Nicht doch, beruhige dich. Was können wir machen? Hier ist nichts mehr zu machen.
Bürgermeister
Läuft zum Fenster Die Pferde mit Bändern geschmückt. An den Deichselgabeln schaukeln
Laternen. Wie herrlich lebt es sich doch auf der Welt, wenn man weiß, daß einem niemand mehr
an den Kragen kann. Lächle, Elsa. Auf die Sekunde, zur festgesetzten Zeit wird dich der Präsident
der befreiten Stadt persönlich in die Arme schließen.
Die Musik dröhnt los. Die Türen fliegen auf, und die Gäste kommen
Herzlich willkommen, liebe Gäste.
Die Gäste treten ein und gehen paarweise an Elsa und dem Bürgermeister vorbei. Sie sprechen
ehrerbietig fast flüsternd
Erster Bürger
Wir gratulieren dem Bräutigam und der Braut. Wir sind alle so froh.
Zweiter
Die Häuser sind illuminiert.
Erste, zweite Freundin
Auf der Straße ist es taghell!
Gärtner
Gestatten Sie mir, Ihnen Glockenblumen zu schenken. Sie läuten etwas traurig, aber das macht
nichts, morgen früh sind sie sowieso welk und stumm.
Erste Freundin
Elsa, Liebes, sei bitte lustig. Sonst fange ich wieder an zu weinen und verderbe mir die Wimpern
Sie sind mir heute so gut gelungen!
Zweite
Er ist immerhin besser als der Drache... Er hat Arme und Beine und keine Schuppen.
Erste
Und er ist ein Mann. Morgen erzählst du uns alles. Hach, das wird interessant!
Bürgermeister
Zählt halblaut die Gäste Eins, zwei, drei, vier. Dann die Bestecke Eins, zwei, drei ... aha... Da
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scheint mir ein Gast zuviel zu sein... Ach der Junge... Heul nicht gleich. Du ißt mit deiner Mama
von einem Teller. Wir sind komplett, Herrschaften, bitte zu Tisch. Das Vermählungsritual
erledigen wir bescheiden und schnell, und dann beginnt der Hochzeitsschmaus. Ich habe einen
Fisch aufgetrieben, der zum Essen da ist. Er quiekt vor Freude, wenn man ihn kocht, und er gibt
dem Koch Bescheid, wenn er gar ist. Und dann gibts Pute, die mit ihren eigenen Küken farciert
ist. Das Spanferkel ist nicht nur gemästet, sondern extra für unseren Tisch erzogen worden Es
hört aufs Wort und gibt Pfötchen, auch wenns gebraten ist. Quak nicht, Junge, das ist nicht zum
Quaken, das ist drollig. Wie angenehm ist es, reich zu sein.
Die Kapelle bläst einen Tusch. Alle gehen an den Tisch und stürzen sich aufs Essen
Halt, halt, noch nicht essen, erst ist die Trauung. Augenblick! Elsa! Gib Händchen!
Elsa gibt dem Bürgermeister die Hand
Schelmin, kleiner Schlingel! Was für ein warmes Pfötchen! Schnute höher! Lächle! Alles fertig,
Heinrich?
Heinrich
Zu Befehl, Herr Präsident.
Bürgermeister
Schieß los.
Heinrich
Ich bin ein schlechter Redner, Herrschaften, und ich fürchte, daß ich etwas konfus sprechen
werde.
Applaus
Die Distel gemeiner Sklaverei wurde vor einem Jahr mit der Wurzel aus dem Boden unseres
gesellschaftlichen Wirkungsfeldes gerissen
Applaus
Die dankbare Stadt beschließt folgendes:
Applaus
Wenn wir dem verfluchten Unhold unsere besten Mädchen hingaben, dann werden wir doch
unserem lieben Befreier dieses bescheidene und natürliche Recht nicht versagen!
Applaus
Um die Erhabenheit des Präsidenten einerseits und den Gehorsam und die Ergebenheit der Stadt
andererseits zu unterstreichen, vollziehe ich also jetzt als Bürgermeister das Trauungsritual. Orgel, Vermählungshymne!
Die Musik dröhnt los
Bräutigam, antworte mir nach bestem Wissen und Gewissen. Willst du dieses Mädchen zur Frau
haben?
Bürgermeister
Zum Wohl meiner Heimatstadt bin ich zu allem bereit.
Heinrich
Schreiber! Schreib auf und klecks nicht! So. Das wäre alles. Ach, Entschuldigung! Braut! Du bist
natürlich einverstanden, die Frau des Herrn Präsidenten der befreiten Stadt zu werden?
Elsa
Nein.
Heinrich
Dann ist alles in Ordnung. Schreib, Schreiber, sie ist einverstanden.
Elsa
Das dürft ihr nicht.
Heinrich
Elsa, stör uns nicht bei der Arbeit.
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Bürgermeister
Sie stört gar nicht. Wenn ein Mädchen ,,nein" sagt, dann heißt das ,,ja", Schreib, Schreiber!
Elsa
Nein, das dürfen Sie nicht, ich reiße diese Seite aus. Ich zerfetze sie!
Bürgermeister
Jungfräuliches Schwanken! Tränen, Träume, dies und das. Vor der Hochzeit heulen die Mädchen,
danach fühlen sie sich befriedigt.
Elsa
Ich will etwas sagen.
Heinrich
Schnauze!
Bürgermeister
Schrei nicht so. Alles geht seinen Gang. Die Braut bittet ums Wort, wir geben der Braut das Wort,
der offizielle Teil ist beendet, wir sind doch unter uns. Bitte, Elsa.
Elsa
Besinnt euch! Ist der Drache nicht gestorben, hat er sich nur, wie so oft, in einen Menschen
verwandelt? Dann hat er sich dieses Mal in viele Menschen verwandelt, die mich opfern wollen.
Seid ihr denn Steine?
Bürgermeister
So, das wärs. Die Braut hat ihre Ansprache beendet. Das Leben geht seinen alten Gang.
Heinrich
Schreib, Schreiber: Die Ehe ist geschlossen.
Alle stürzen sich aufs Essen. Klopfen an der Tür
Bürgermeister
Ist da jemand?
Schweigen
Alle stürzen sich aufs Essen. wieder klopft es
Die Türen bleiben zu!
Die Tür fliegt von selber auf Dahinter steht niemand
Heinrich, zu mir!
Heinrich
Papa, das ist die alte Geschichte. Die Klagen der unschuldigen Jungfrau haben diese naiven Fluß, Wald- und Teichbewohner aufgeschreckt. Der Hausgeist kriecht vom Dachboden, der
Wassergeist steigt aus dem Brunnen... Sollen sie doch... Was können sie uns anhaben? Sie sind
genauso unsichtbar und machtlos wie das sogenannte Gewissen. Wir werden zwei, drei,
schreckliche Träume sehen und basta.
Bürgermeister
Nein, er ist da!
Heinrich
Wer?
Bürgermeister
Lanzelot. Er hat die Tarnkappe auf. Er steht neben uns und hört, was wir reden. Sein Schwert
schwebt über meinem Kopf.
Heinrich
Papa! Wenn Sie nicht bald zu sich kommen, übernehme ich die Macht.
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Bürgermeister
Musik! Spiele!
Musik setzt chaotisch ein
Liebe Gäste! Verzeiht die Verzögerung, aber ich fürchte nichts mehr als Zugluft Und durch
Zugluft ging eben die Tür auf...
Ein erschrockener Lakai kommt angerannt
Lakai
Retten Sie mich! Retten Sie mich!
Bürgermeister
Was hast du?
Lakai
Er wird uns für unsere Schandtaten erschlagen. Läuft davon
Bürgermeister
Wer erschlägt uns, Heinrich?
Ein zweiter Lakai kommt angelaufen
Zweiter Lakai
Er kommt den Korridor entlang! Er sieht weder nach links noch nach rechts. Oh, jetzt wird uns
alles heimgezahlt! Läuft davon
Die Musiker flüchten auch
Bürgermeister
Heinrich!
Heinrich
Benimm dich! Einfach nicht beachten. Ganz gleich, was kommt.
Der Kerkerkommandant erscheint, er geht rückwärts und ruft ins Leere
Kerkerkommandant
Ich bin unschuldig. Ich bringe Zeugen! verschwindet
Bürgermeister
Heinrich, sieh nach!
Heinrich
Einfach nicht beachten! Verdammt noch mal.
Lanzelot tritt auf mit den Treibern
Bürgermeister
Oh! Wünsche Gesundheit! Sie hätten wir nicht erwartet. Aber dessen ungeachtet - herzlich
willkommen. Wir feiern hier Hochzeit, sozusagen. Im kleinen Kreis... Machen Sie sich doch
bekannt. Wo sind die Gäste? Ach, sie haben etwas fallenlassen und sitzen unterm Tisch. Das ist
mein Sohn Heinrich. So jung und schon Bürgermeister. Es ging schnell voran, seit ich ... seit wir...
seit der Drache tot ist.
Elsa
Warum sagst du nichts?
Bürgermeister
Ja, wirklich! Wie war die Reise? Wollen Sie nicht ausruhen von der langen Reise? Die Wache
geleitet Sie.
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Elsa
Lanzelot! Deine Hände sind warm, du bist es! Du lebst! Komm, trink Wein, Liebster. Oder nein,
nimm nichts von denen.
Charlesmagne
Wenn Sie wüßten, wie man sie gequält hat.
Bürgermeister
Wer hat das gewagt? Warum haben Sie sich nicht an mich gewandt? Ich hätte sofort
Maßnahmen ergriffen!
Heinrich
Er lügt, werter Herr Lanzelot. Er lügt schamlos. Solche Maßnahmen hätte ich ergriffen. Er hätte
für Elsa nicht den kleinen Finger gerührt. Sie können sich nicht vorstellen, wie schäbig er sich
während Ihrer Abwesenheit aufgeführt hat. Schäbig, weiter sage ich kein Wort.
Bürgermeister
Du Lump!
Heinrich
Selber Lump. Ich kann Ihnen ein lückenloses Verzeichnis seiner Schandtaten aufstellen. Er hat
seine Macht mißbraucht. Er hat sich von den Bürgern dieser Stadt die Hände küssen lassen, Herr
Lanzelot. Ich habe ein lückenloses Verzeichnis
Bürgermeister
Aber ich kann doch nichts dafür! Sie haben sich mir von selbst aufgedrängt. Alle! Ich konnte
mich kaum wehren. Am liebsten hätten sie mir den Hintern geküßt. He, Fleischer, komm her!
Der Fleischer kriecht unter dem Tisch hervor. Es ist der erste Bürger aus II/20
Hast du nicht vor Begeisterung geweint, als du mir vorhin zuriefst ,,Heil dir, Drachentöter!"?
Fleischer
Ja, ich habe geweint. Aber aus Scham darüber, daß ich mich derart verstellen mußte, Herr
Lanzelot.
Bürgermeister
Gärtner!
Der Gärtner kriecht unter dem Tisch hervor
Hast du nicht versucht, dem Löwenmaul beizubringen ,,Hurra, der Präsident" zu schreien?
Gärtner
Ja, aber bei jedem ,,Hurra" zeigt mir das Löwenmaul die Zunge. Was sollte ich tun? Ich brauchte
doch Geld für meine Versuche, Herr Lanzelot.
Bürgermeister
Gerber!
Der Gerber kriecht unter dem Tisch hervor. Er ist der zweite Bürger aus II/2
Gerber
Er hat meinen Sohn in den Kerker werfen lassen.
Bürgermeister
Hast du mir nicht eine Pfeife mit der Inschrift ,,Ewig dein" geschenkt?
Gerber
Ja, wie hätte ich sonst sein Herz erweichen können, Herr Lanzelot?
Bürgermeister
Sie sehen, lieber Lanzelot, diese Schufte haben selbst schuld. Geben Sie sich nicht weiter mit
ihnen ab. Das ist keine Arbeit für Sie. Heinrich und ich werden besser mit ihnen fertig. Am
besten, Sie schnappen sich jetzt die Elsa und lassen uns leben, wies uns gefällt. Das wäre human,
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das wäre demokratisch. Überhaupt
Lanzelot
Schweig, du Stück Vieh!
Bürgermeister
Ach, du lieber Gott. Wenn man mit mir unzufrieden ist, gehe ich in den Ruhestand.
Er will gehen. Heinrich ebenfalls
Lanzelot
Halt, ihr Verbrecher!
Heinrich
Papa, er wird grob, wir gehen.
Lanzelot
Halt! Ich bin nicht mehr der, der ich voriges Jahr war. Ich habe euch die Freiheit geschenkt, und
was habt ihr aus ihr gemacht?
Alle
Schnattern unter dem Tisch durcheinander
Zweite Bürgerin und Freundinnen
Was sollten wir tun? Fleischer
Es kam alles so plötzlich! Erste Bürgerin
Wir kamen kaum zur Besinnung. Gärtner und Gerber
Retten Sie uns, Herr Lanzelot!
Lanzelot
Ruhe! Zu den Handwerkern, den Webern, dem Schmied dem Hut- und Mützenmacher, dem
Instrumentenbauer Auch ihr habt mich enttäuscht, meine Freunde. Ich dachte, ihr werdet ohne
mich mit ihnen fertig. Weshalb ließt ihr euch widerstandslos ins Gefängnis werfen? Ihr seid doch
so viele.
Die Weber
Sie ließen uns keine Zeit. Sie sind hinterhältig.
Lanzelot
Führt sie ins Gefängnis. Den Bürgermeister und seinen Sohn.
Heinrich und der Bürgermeister werden abgeführt. Alle kommen unter dem Tisch vor
Was soll ich jetzt mit euch allen machen?
Gärtner
Haben Sie Geduld mit uns, ich flehe Sie an, Herr Lanzelot, haben Sie Geduld! Einen
angekränkelten Baum pfropft man um. Wir werden uns selbst umpfropfen. Wir werden unser
Unkraut ausreißen, vorsichtig, damit die gesunden Wurzeln nicht zu Schaden kommen.
Schmied
Quatsch, Wurzeln. Zupacken müssen wir!
Jetzt reden plötzlich alle Städter durcheinander
Die Weber
Sehr richtig, zupacken!
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Erster Bürger
Ja, jetzt muß erst einmal Demokratie herrschen!
Straßenhändler
Jetzt sind wir frei! Wir brauchen ein Kraftwerk!
Zweiter Bürger
So einfach geht das nicht!
Gärtner
Sehr richtig, aber was ich mit den Wurzeln meinte, ist
Erste Bürgerin
Wie geht es denn? Sagen Sies doch, wenn Sies besser wissen.
Hutmacher
Von Wurzeln kann gar keine Rede sein. Bevor wir ein Kraftwerk brauchen, brauchen wir Mehl.
Charlesmagne
Zankt nicht, es wird sich alles geben!
Gärtner
Dazu ist aber nötig, daß wir zuerst Roggen
Erster Bürger
Es muß einfach Demokratie herrschen.
Hutmacher
Wir brauchen auch Fleisch.
Zweiter Bürger
Reden Sie leiser, es sind Frauen hier!
Straßenhändler
Die Preise müssen...
Zweite Bürgerin
Reg dich nicht auf!
Zweiter Bürger
Und ob ich mich aufrege.
Die Weber
Jawohl, und Tuche! Tuche müssen hergestellt werden!
Zweite Bürgerin
Was soll Herr Lanzelot von uns denken!
Gärtner
Ich sagte doch
Straßenhändler
Schweigen Sie doch, die Preisgestaltung
Schmied
Am besten, wir bauen gleich eine Eisengießerei.
Erster Bürger
Ruhe! Lanzelot soll sprechen!
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Gärtner
Ich protestiere.
Die Weber
Ruhe!
Charlesmagne
Was sagen Sie, Herr Lanzelot?
Instrumentenbauer
Erz liegt genug in der Höhle des Drachen.
Zweiter Bürger
Wollen Sie uns helfen?
Gärtner
Ich habe mich zu Wort gemeldet. Ich verlange, daß man mich anhört!
Zweite Bürgerin
Sprechen Sie!
Lanzelot
Ja, ich will euch helfen. Aber ich fürchte, das wird viel Kleinarbeit geben. Schlimmer als Stricken.
Das ist ungewohnt für mich! Doch ich denke, so überwinden wir den Drachen am besten, der
noch in euch steckt. Und du, Elsa? Hast du gar keinen Wunsch?
Erste Freundin
Und ob sie einen hat!
Zweite Freundin
Sie wagt ihn nur nicht auszusprechen.
Erste Freundin
Sie ist verliebt bis über beide Ohren.
Zweite Freundin
Das sieht doch jedes Kind.
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