Ich bin verloren ohne Band und Publikum!
Transcription
Ich bin verloren ohne Band und Publikum!
INTERVIEW GESELLSCHAFT PORTRAIT Der Blues-Musiker Philipp Fankhauser im Kino Cinématte in Bern: Hier zeigte er Freunden und Partnern erstmals seinen Montreux-Auftritt von 2012, hier sprach er mit SonntagsBlick magazin. Mit seiner exzellenten Band ist Fankhauser noch bis zum Sommer auf Schweizer Tournee. «Ich bin verloren ohne Band und Publikum!» Philipp Fankhauser überzeugte als Coach in «The Voice of Switzerland». Seit mehr als 25 Jahren lebt und spielt er den Blues. Der Thuner Musiker über seine Leidenschaft und seinen Ruhm, die späte Freundschaft zu Claude Nobs und das Ende seiner Beziehung. Text: Frank Hubrath M Fotos: Stefan Walter it 17 Jahren entdeckte ein junger Mann aus dem Berner Oberland das Jazz Festival in Montreux. Im Casino am Genfersee erlebte er sein erstes Blues-Konzert: Für den Auftritt des legendären Gitarristen Albert Collins († 1993) am 8. Juli 1981 fuhr er mit einem Freund in einem geliehenen alten BMW quer durch die Schweiz. Nach dem denkwürdigen Konzert stand fest: Das will er auch machen! Heute ist Philipp Fankhauser der berühmteste Blues-Sänger der Schweiz. 31 Jahre später steht Fankhauser mit seiner eigenen Band auf der Bühne der Miles Davis Hall in Montreux. Der in Thun BE geborene Sänger und Gitarrist ist heute nicht nur ein bekannter, sondern höchst erfolgreicher Musiker. Seine beiden letzten Alben erreichten inder Schweiz Platin-Status und wurden über 30 000-mal verkauft: für ein Nischenprodukt wie Blues eine Sensation. Seit wenigen Tagen steht sein famoser Konzert-Mitschnitt vom 29. Juni 2012 in 26 SonntagsBlick magazin den Plattenläden. «Philipp Fankhauser Plays Montreux Jazz Festival» ist für den 49-Jährigen ein Ritterschlag: «So authentisch haben meine Band und ich auf CD noch nie geklungen!» Er weiss, dass ein Auftritt in Montreux für internationale Agenten ein Gütesiegel ist. Denn wer am Genfersee spielen durfte, der kann garantiert was. Dabei wollte Fankhauser die CD nach Claude Nobs’ plötzlichem Tod am 10. Januar gar nicht herausgeben. Erst als Leute aus dessen Umfeld ihm signalisierten, dass der Gründer des Jazz Festivals Montreux sich sehnlichst wünschte, dass diese Aufnahmen veröffentlicht werden, lenkte er ein. Nobs und Fankhauser fanden sich spät, aber heftig. Der introvertierte Musiker war immer zu scheu, den grossen Nobs anzusprechen. Dennoch liess er ihm stets ein Exemplar seiner neusten CD zukommen. Nobs reagierte nie. «Ich hätte niemals bei ihm angerufen», erzählt Fankhauser, «erstens bin ich zu schüchtern, zweitens zu stolz.» 2011 lernen sich die beiden per Zufall in einer Zürcher Bar kennen. Zur Begrüssung umarmen sie sich. Claude Nobs gesteht ein, dass er sich schäme, sich nie gemeldet zu haben. Es wird eine lange Nacht mit mehr als einigen Caipirinhas. Fankhauser und Nobs haben sich viel zu erzählen. An diesem Abend beginnt eine «wunderbare» Freundschaft. Die beiden besuchen sich gegenseitig und spielen zusammen Blues: Fankhauser mit der Gitarre, Nobs auf der Mundharmonika. Dann folgen erste Signale von Nobs. Er lädt ihn 2011 als Musiker an ein Konzert mit B. B. King und Gästen wie Carlos Santana nach Montreux ein. «Ich hätte unsere Freundschaft niemals für einen Auftritt dort ausnützen wollen», sagt Fankhauser. Ein Jahr später offeriert Nobs dem Sänger und seiner Band den Eröffnungsabend in der Miles Davis Hall. Der Bluesman aus Bern ist stolz auf dieses Konzertalbum, das praktisch ohne Nachbearbeitung veröffentlicht wurde. «Es war ein magischer Abend. Wir ahnten ja nicht, dass dieses Konzert erscheinen würde», erinnert sich Fankhauser. GESELLSCHAFT PORTRAIT Die bemerkenswerte Karriere FankSein grosses Vorbild stirbt 1997. Fankhausers beginnt mit einem Elvis-Song. Als hauser verliert den Boden unter den Füssen. der Bub, der im Tessin aufwächst, im zarten Er muss sich neu orientieren und zieht von Alter von elf Jahren «That’s Alright, Mama» New York nach San Diego. Um über die hört, haut es ihn fast aus den Socken. Dann Runden zu kommen, mäht er Rasen, stutzt schenkt ihm sein Bruder eine LP des BluesHecken, brät Burger. Am Schluss versucht er Sängers Sunnyland Slim. Philipp ist damals noch, teure Töffs zu vermieten. Als diese Geein Aussenseiter und sieht nicht besonders schäfte nicht mehr laufen, zieht es ihn zugut aus. Fankhauser: «Ich war ein trauriges rück in die Heimat. Nach Lehr- und HerrenKind, übergewichtig, schlecht gekleidet und jahren kehrt im Jahr 2000 ein gereifter stets etwas einsam.» Seit er zehn ist, weiss er, Mensch und Musiker in die Schweiz zurück. dass er anders tickt. Der Giel aus Thun ist Der Blues-Sänger glaubt an seinen homosexuell. «Ich spürte früh, dass es so ist. Traum: Seine CDs und Konzerte sollen ihm Die Nähe eines gleichaltrigen Klassenkameund seiner Band ermöglichen, am Ende des raden empfand ich auch ohne jeden sexuelMonats die Miete und alle Rechnungen zu len Gedanken als bezahlen. «Denn», verwirrend.» so Fankhauser, «der Fankhauser erinEinfach Hut und Sonnen- amerikanische Munert sich: «Die Songs siker geht nicht von Sunnyland Slim brille anziehen und ‹Sweet Home Blues spielen. Er haben mir über die Chicago› trällern, hat mit Blues sagt, dass er zur Arnichts zu tun.» Traurigkeit hinwegbeit geht.» Philipp geholfen. Ich dachte, Fankhauser weiss, Philipp Fankhauser dass er auch traurig wovon er spricht. ist. Und ich war mir sicher: Der ist wie ich, Heute ist er dankbar, dass ihn seine Heiobwohl er damals schon über 70 war.» Bis mat nach fast 20 Jahren doch noch umarmt heute ist der schwarze Blues seine Therapie: hat. Und das, obwohl er ein weisser Blues«Wenn ich diese Musik spiele, geht es mir Sänger aus der Schweiz ist. Dies, so der gebesser. Beim Blues bin ich glücklich.» bürtige Thuner, seien eher schlechte VorausIn den Achtzigerjahren wird Fankhauser setzungen für eine Karriere. Lang genug zum Detailhandelsangestellten ausgebildet. musste er sich anhören, dass jemand aus Doch der junge Mann ist vom Blues inThun den Blues schlicht nicht singen könne. fiziert, lernt Gitarre spielen und reist von «Einfach nur Hut und Sonnenbrille anzieKonzert zu Konzert. Er schaut Blues-Ikonen hen und ‹Sweet Home Chicago› trällern, hat wie Buddy Guy, Junior Wells und B. B. King mit Blues nichts zu tun. Leider machen das bei der Arbeit zu. Fankhauser schreibt in viele meiner weissen Kollegen weltweit. Die dieser Zeit regelmässig für ein deutsches verstehen offenbar nicht, dass Blues mehr Blues-Magazin, lernt dabei viele bekannte ist, als drei Akkorde auf den sechs Saiten Musiker persönlich kennen. Mit Johnny runterzuschrubben», meint Fankhauser. Clyde Copeland freundet er sich im Lauf der «Wahrscheinlich haben sich nur wenige so Jahre an. Der berühmte Texas-Blueser wird sein Mentor und gibt ihm die Chance, ihn als Gastmusiker in den USA zu begleiten. 1994 wandert Philipp Fankhauser in die Vereinigten Staaten aus. Er lässt die Checkerboard Blues Band zurück, mit der er seit 1989 vier respektable Alben veröffentlicht Philipp Fankhauser kommt am 20. Februar 1964 in Thun BE zur Welt und wächst mit hat. Als Gast von Copeland spielt er in 120 seinem Bruder Christoph im Tessin auf. 1977 amerikanischen Musikklubs von San Antogründet er seine erste Band, zehn Jahre spänio bis New Orleans, von Boston bis Miami. ter die Checkerboard Blues Band. Der geAbend für Abend muss er hier Topleistunlernte Detailhandelsangestellte lebt von gen bringen, denn das amerikanische Busi1994 bis 2000 in den USA, wo er gemeinness ist gnadenlos. Wer einmal versagt, wird sam mit seinem Mentor Johnny Copeland nicht mehr gebucht. Und: Die Konkurrenz auf Tour geht. Philipp Fankhauser hat in ist riesig. Doch Fankhauser erfüllt die Hoffwechselnden Besetzungen bislang 14 Alben nungen seines musikalischen Ziehvaters. aufgenommen. Seit Januar 2013 war er Ju«Du bist etwas Besonderes, mein Sohn!», rymitglied und Coach in der SRF-Musikshow gibt ihm Johnny Copeland mit auf den Weg. «The Voice of Switzerland». Fankhauser ist aktuell mit seiner Band auf Tour. Infos unter: www.philippfankhauser.com 28 SonntagsBlick magazin « Ein Leben für den Blues tief in die musikalischen und philosophischen Essenzen des Blues vertieft wie ich.» Seit einigen Jahren weiss Fankhauser, dass er an einem leichten Morbus Bechterew leidet, einer versteifenden Wirbelentzündung. Schon als Kind litt er unter der starken Bewegungseinschränkung, wurde deshalb oft auch ausgelacht: Nie konnte er einen Schneidersitz machen oder an einer Stange hochklettern. Auch auf der Skipiste und beim Tschutten konnte er nicht mithalten. Manchmal hat Fankhauser heute Mühe, die Treppen zur Bühne hochzusteigen. Doch kaum steht er oben, bekommt er einen gewaltigen Adrenalinschub: «Dabei entwickle ich so viel Energie, dass ich keine Sekunde lang Schmerzen spüre. Deswegen brauche ich meine Band und mein Publikum so sehr. Mit seinem kürzlich erschienenen Livealbum «Philipp Fankhauser Plays Montreux Jazz Festival» ging für den erfolgreichen Blues-Musiker aus dem Kanton Bern ein Lebenstraum in Erfüllung. Mit dem im Januar verstorbenen Festivalgründer Claude Nobs verband Philipp Fankhauser eine tiefe Freundschaft. Es sind meine Energiespender. Ohne sie wäre ich verloren.» In den letzten Wochen stieg seine Popularität noch einmal enorm: Fankhauser war Coach in der Live-Musikshow «The Voice of Switzerland». Der Bluesman lacht. Dank des SRF-Formats wurde er «an die Oberfläche gespült». Ausserhalb seiner Musik sei er vielleicht nicht so interessant: «Ich erinnere vom Aussehen her eher an einen Buchhalter als an einen Musiker. Ich bin ein relativ normaler, langweiliger Schweizer Bürger», sagt Fankhauser von sich. Der aktuelle Medienhype um ihn sei völlig o. k. – er staune höchstens, wenn er von den Kids in einer Jugendsendung des Schweizer Fernsehens plötzlich thematisiert wird: «Wenn die in zehn Jahren eine CD von mir kaufen oder an ein Konzert kommen – grossartig.» Ohne «The Voice» hätte er das nie erreicht, ist sich Fankhauser sicher. Dabei spürt der 49-Jährige den Blues zurzeit noch intensiver als sonst. Vor einem Monat ging die langjährige Beziehung mit seinem brasilianischen Partner in die Brüche. «Wenn du das Vertrauen nicht mehr hast, musst du einen Schnitt machen. Aber wir sind nicht böse aufeinander.» Philipp Fankhauser blickt auf eine schöne Zeit mit Marcelo zurück. Der Musiker aus Thun und der Sportlehrer aus São Paulo lebten seit 2008 in eingetragener Partnerschaft. Es sei gut so, wie es jetzt ist. Und da sie keine Kinder hätten, sei das Ende auch kein Drama. Doch das Gewissen plage ihn manchmal schon: «Bei mir kommt immer die Musik an erster Stelle. Deswegen musste Marcelo manchmal hinten anstehen. Aber ich habe mich stets um ihn gekümmert, wo ich nur konnte, und versucht, ihm ein guter Partner zu sein.» Positiv sei, dass die Trennung mit einem Schlag Verunsicherung und Zweifel wegnehme, bilanziert Philipp Fankhauser und fügt hinzu: «Für mich stimmt es so. Und ich hoffe, für Marcelo eines Tages auch.» SonntagsBlick magazin 29