Wie riskant ist das und was sind die Langzeitfolgen?
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Wie riskant ist das und was sind die Langzeitfolgen?
FORTBILDUNG – SCHWERPUNKT – Dr. med. Thomas Schubert Facharzt für Allgemeinmedizin, Ärztlicher Gutachter Bereich Sozialmedizin, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern, Rosenheim Koautoren: Dr med. U. Jahn, MDK Hof; Dr. med. E. Eben, MDK München; Priv.-Doz. Dr. med. H. J. Deuber, MDK Bamberg Rasche Gewichtsabnahme durch Adipositaschirurgie Wie riskant ist das und was sind die Langzeitfolgen? Mit bariatrisch chirurgischen Eingriffen ist zwar zumeist eine rasche und erhebliche Gewichtsabnahme möglich. Doch nach der Operation sind langfristige konservative Maßnahmen unverzichtbar, um die Gewichtsreduktion zu erhalten. Auch müssen häufig infolge verminderter enteraler Resorption Mikronährstoffe substituiert werden. Dies alles sollte bei der Diskussion über eine Indikations erweiterung der Methode für metabolische Erkrankungen berücksichtigt werden. _ In den Industrienationen nimmt die Prävalenz der Adipositas dramatisch zu. Vielfach wird eine Operation als einzig wirksame und zuverlässige Behandlung einer morbiden Adipositas propagiert. Durch die bariatrische Chirurgie sollen die bei Adipositas verkürzte Lebens erwartung normalisiert und mittel- bis langfristig die Behandlungskosten ge senkt werden [1]. Adipositas gilt als wesentlicher Risi kofaktor vielfältiger Erkrankungen. Al lerdings besteht kein linearer Zusam menhang zwischen Körpergewicht oder Body-Mass-Index (BMI) und Morbidi tät oder Mortalität. Eine Gewichtsre duktion senkt diese nicht unbedingt [2]. Konservative Adipositastherapie und deren Langzeitergebnisse Adipositas entsteht bei entsprechender genetischer Disposition immer infolge einer positiven Energiebilanz, gefördert durch zu geringe körperliche Aktivität und Fehlernährung (Zufuhr energie MMW-Fortschr. Med. Nr. 7 / 2013 (155. Jg.) dichter Lebensmittel) [3]. Derzeit gilt ei ne ärztlich geleitete, konsequente und ausreichend lange multimodale Behand lung (Tab. 1) als in evidenzbasierten Leitlinien anerkannte Therapie der Adi positas. Sie zielt unter Berücksichtigung des BMI in unkomplizierten Fällen auf eine Gewichtssenkung von 5–10% und bei hochgradiger Adipositas von bis zu 30% ohne begleitenden Muskelabbau, gefolgt von einer dauerhaften Gewichts stabilisierung auf dem erreichten Niveau. Körperliche Aktivität steigert die Fit ness und senkt geschlechtsunabhängig Ri sikofaktoren sowie die Mortalität überge wichtiger Personen. Auch kurzdauernde Belastungen haben positive Effekte. Es können auch für extrem Adipöse geeig nete Trainingsformen angeboten werden. Für die Gewichtsstabilisierung ist körper liches Training wichtig, da der Grundum satz mit der Muskelmasse zunimmt [4]. In einer Reihe von Untersuchungen konnte inzwischen gezeigt werden, dass eine konservative Therapie zu erheb Nach Magenbypass-Op. ist eine Reduk tion des Übergewichts um 65% möglich. licher und nachhaltiger Gewichtsabnah me führt [5–9]. Wirkungen und Langzeitergebnisse der Adipositaschirurgie Postoperativ werden eine Reduktion des Übergewichts von ca. 50% (Gastric Ban ding) bzw. ca. 65% (Magenbypass) sowie eine Besserung der diabetischen Stoff wechsellage und der obstruktiven Schlafapnoe, geringere Hyperlipidämie und Hypertonie sowie Sterblichkeit (2,9% vs. 4,4%) beschrieben [10, 11]. Prospektiv erhobene Langzeitdaten bietet bisher nur die „SOS“-Studie. In 47 FORTBILDUNG – SCHWERPUNKT dieser wurden – über einen Zeitraum von bis dahin durchschnittlich 10,9 Jah ren – 2010 Patienten nach bariatrischer Chirurgie mit 2037 Patienten ver glichen, die nicht standardisiert konven tionell behandelt wurden. Der durch schnittliche Gewichtsverlust lag nach bis zu zwei Jahren in der Kontrollgruppe deutlich niedriger als in der operierten Gruppe (< 2% vs. 20–32%). Zehn Jahre nach der Operation betrug der durch schnittliche Gewichtsverlust 14–25%. Während der Studie traten in der Kon trollgruppe 129 (6,3%), bei den ope rierten Patienten 101 Todesfälle (5,0%) auf. Die häufigsten Todesursachen wa ren Herzinfarkt und Krebs [12]. Perioperative Risiken der bariatrischen Chirurgie Als Operationsmethoden stehen restrik tive (Gastric Banding, Schlauchmagen), malabsorptive (Duodenal Switch) und kombinierte Verfahren (MagenbypassOperation) zur Verfügung. Die Eingriffe sind als Hochrisikochirurgie einzustu fen. Bei Patienten mit einem BMI ≥ 60 kg/m² sind postoperative Komplika tionen und die Mortalität signifikant er höht (5% vs. 0,4%) [13]. Bei einem BMI – Tabelle 1 Multimodale konservative Adipositastherapie _ _ _ Spezifische Ernährungsberatung und konsequente Ernährungsumstellung Adäquate Bewegungstherapie (Berücksichtigung individueller Möglichkeiten: Sport, Alltagsaktivitäten) Verhaltensmodifizierende Maßnahmen (ggf. psychotherapeutische Behandlung) ≥ 50 kg/m² wird eine ca. 1,5-fache Mor talität, bei Multimorbidität eine Ein-Jah res-Letalität von 10% angegeben [14]. Komplikationen werden bei 0,1–5,5% bariatrisch-chirurgischer Eingriffe be schrieben (Tab. 2). In der „SOS“-Studie traten in 13% der Fälle noch im Krankenhaus Kompli kationen auf, bei 2,2% waren Reopera tionen wegen Komplikationen erforder lich. Innerhalb von vier Jahren wurden 12% der Patienten erneut operiert, meist wegen zu geringem Gewichtsverlust, sel tener wegen unerwünschter Nebenef fekte [15]. – Tabelle 2 Ausgewählte Komplikationsraten der bariatrischen Chirurgie [nach 10, 16] Mortalität Wundinfektionen oberflächlich tief Pneumonie, Sepsis Tiefe Venenthrombose, Lungenembolie Weitere Komplika tionen Magenband, laparoskopisch ca. 0,1% Magenbypass, laparoskopisch (offen) ca. 0,2% (0,8%) 1,4% 0,1% 0,2% 2,5% (6,3%) 0,6% (1,6%) 0,8% (1,7%) 1,0% (2,1%) 0,7% (1,3%) 0,2% Bandslippage 5,5% Vormagendilatation 5,5% Magenbandleck 3,6% Ösophagusdilatation 3,0% Banderosionen 2,7% Perforationen 0,5% 48 Anastomoseninsuffizienz ca. 2,5% (ca. 0,6%) Anastomosenstriktur 2,0–31% Anastomosenulkus 1–16% (0,8%) Als perioperative Morbidität werden 6–30% angegeben (Anastomoseninsuf fizienz: 0–5%; intra- und postoperative Blutungen: 1–4%; Anastomosenstriktur: 2–31%; Anastomosenulkus: 1–16%; akute Restmagendilatation: 0,6%; Ileusund Subileuszustände 1–4%; innere Hernien 0,5–9%) [16, 17]. Nach Magenbypass-Op. kommt es häufig zu einem Dumping-Syndrom, sel tener zu postprandialer Hypoglykämie. Es besteht das Risiko einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms [30]. Langfristige Folgen der bariatrischen Chirurgie Adipositas wird als chronische Krank heit durch eine Operation nicht beseitigt, weshalb eine konsequente Nachbehand lung der Patienten erforderlich ist [10]. Nach bariatrischen Operationen wurden Eiweiß- (4,7–13%), Eisen- (20– 52%), Vitamin-B12- (8–37%), Folsäure(9–35%), Thiamin- (218 publizierte Fäl le), Vitamin-D- (17–63%), Kalzium(28–50%), Kupfer-, Zink-, Riboflavin-, Niacin-, Pyridoxin-, Vitamin-C- und Vitamin-E-Mangel sowie eine Malab sorption von Magnesium, Kalium und Selen beobachtet [18–20]. Am häufigsten (30–60%) werden nach bariatrisch chirurgischen Eingrif fen Anämie und neurologische Kompli kationen (5–16%) beobachtet [19, 21]. Muskuloskelettale Beschwerden sowie eine Abnahme der Körpergröße („by pass bone disease“) und eine gesteigerte Neigung zur Urolithiasis werden auf den postoperativ gestörten Kalzium-/Vita min-D-Stoffwechsel zurückgeführt [31, 32]. Um derartige Störungen zu erken nen, ist postoperativ lebenslang eine Be treuung der Patienten inklusive Labor kontrollen erforderlich [22]. Nach Magenbypass-Operationen kann sich die Pharmakokinetik oral ap plizierter Medikamente verändern. Psychosomatische Aspekte der bariatrischen Chirurgie Zwischen Adipositas und sozialer Schichtzugehörigkeit sowie psychia trischer bzw. psychosomatischer Ko morbidität bestehen Zusammenhänge. Affektive Störungen, Angst-, Ess- und MMW-Fortschr. Med. Nr. 7 / 2013 (155. Jg.) FORTBILDUNG – SCHWERPUNKT Persönlichkeitsstörungen sind bei Adi pösen häufiger als bei Normalgewich tigen. Zugleich finden sich bei aus geprägter Adipositas fast regelhaft Selbstwertprobleme und depressive Stö rungen. Deshalb ist die Einbeziehung psychiatrischer Expertise in die Adipo sitasbehandlung erforderlich. Bariatrisch chirurgische Eingriffe sind durch psychiatrische bzw. psychosoma tische Komorbiditäten, wenn diese präund postoperativ adäquat diagnostiziert und therapiert werden, nicht grundsätz lich auszuschließen, außer bei instabilen und schweren Erkrankungen. Psychoso ziale Probleme adipöser Patienten bes sern sich nach erfolgreicher Therapie „in der Regel“, wenn auch bei einem Teil der Patienten „nur vorübergehend“ [23]. Nicht unmittelbar adipositasbedingte psychische Probleme können sich nach bariatrischer Chirurgie verschlechtern, da das Essen als Puffer gegen psychische Probleme nur noch in geringerem Aus maß eingesetzt werden kann, was betrof fenen Patienten häufig erst postoperativ bewusst wird. Der Erfolg adipositas chirurgischer Maßnahmen kann durch die Persistenz oder den Gestaltwandel von Essstörungen eingeschränkt werden [24]. Ungeklärt ist die epidemiologische Beobachtung vermehrter suizidbedingter Todesfälle nach bariatrisch chirurgischen Eingriffen. Metabolische Chirurgie Fettgewebe ist nicht nur Energiespei cher, sondern auch ein hoch aktives en dokrines Organ. Eine besondere Bedeu tung scheint viszerales Fettgewebe beim metabolischen Syndrom und bei Diabe tes mellitus Typ 2 sowie bei der nicht alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) zu haben [25]. Da nach adipositaschirurgischen Eingriffen Auswirkungen auf Stoffwech selerkrankungen beobachtet wurden, entstand der Begriff „metabolische“ Chirurgie. Deren Wirkungen sollen nicht allein auf der erzielten Gewichtsre duktion, sondern auf veränderten Wir kungen der gastrointestinalen Hormone, der hormonellen Aktivität des Fettgewe bes und der Leberfunktion beruhen, die allerdings zumindest teilweise auch auf MMW-Fortschr. Med. Nr. 7 / 2013 (155. Jg.) konservativem Wege erreichbar sind. Nach bariatrischen Operationen können sich zumindest vorübergehend kardio vaskuläre Risikofaktoren sowie eine dia betische Stoffwechsellage bessern, viel fach sogar eine Remission der klinischen Manifestation eines Typ-2-Diabetes auf treten [26, 27]. Diskussion Die leitliniengerechte multimodale kon servative Behandlung der morbiden Adipositas (Tab. 1) ist aufwändig und langwierig. Sie ist bislang in Deutsch land nicht etabliert. Während das Magenband eine nur geringe operative Morbidität, aber in re levantem Umfang Spätkomplikationen und Therapieversager aufweist, bewirkt die Magenbypass-Operation meist einen größeren Gewichtsverlust und be schränkt Art und Umfang der Mahl zeiten weniger, beinhaltet aber ein be trächtliches Risiko von Ernährungsdefi ziten sowie insbesondere bei BMI > 50 kg/m² eine höhere (peri-)operative Morbidität und Mortalität. Malabsorptive und kombinierte bariatrisch chirurgische Verfahren be einflussen Nahrungsassimilation, Meta bolismus, endokrine Regulation und Energiestoffwechsel. Es besteht nicht nur ein Risiko problematischer anato mischer Folgezustände im Op.-Bereich, sondern auch die Gefahr von Defiziten an Mikronährstoffen. Deshalb sind eine lebenslange Überwachung sowie eine bedarfsgerechte Substitutionstherapie erforderlich, um Folgeerkrankungen zu verhindern. Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass nach sechs bzw. 24 Monaten bei 59% bzw. 98% der Patienten nach Magen bypass eine gezielte Substitution von Vitamin B12, Eisen, Kalzium/Vitamin D und Folsäure erforderlich war (mittlere monatliche Kosten ca. 35 $). Zusätzlich fielen Kosten für umfangreiche Blut untersuchungen im zweijährigen Nach sorgezeitraum (insgesamt ca. 2100 $) an [28]. Diese Kosten sind nur bedingt auf Deutschland übertragbar. Sie zeigen aber, dass auch nach der Op. Kosten ent stehen, die in gesundheitsökonomische Modelle zur bariatrischen bzw. „meta bolischen“ Chirurgie integriert werden müssen. Aufgrund vieler offener Fragen und möglicher Risiken sollte die bariatrische Chirurgie zur Therapie der morbiden Adipositas in Übereinstimmung mit der seit 2003 nicht modifizierten Rechtspre chung des Bundessozialgerichts [29] nur als „Ultima Ratio“ bei sorgfältig ausge wählten Patienten nach erfolglos ausge schöpfter konservativer Behandlung in Betracht gezogen und möglichst im Rah men langfristig angelegter Studien durch geführt werden. Zur Feststellung der „Ultima Ratio“ müssen psychologische/ psychiatrische Komorbiditäten sorgfäl tig abgeklärt und ggf. prä- und postope rativ behandelt werden. Literatur bei den Verfassern Für die Verfasser: Priv.-Doz. Dr. med. Heinz Jürgen Deuber Medizinischer Dienst der Krankenver sicherung (MDK) Bayern Kirschäckerstraße 23 D-96052 Bamberg E-Mail: heinz-juergen.deuber@ mdk-bayern.de ■D ie Langfassung dieses Beitrags finden Sie im Originalien-Ergänzungsband Nr. I/2013 vom 21.3.2013 Fazit für die Praxis Eine bariatrische Operation ermöglicht eine relativ rasche und im Vergleich zur konservativen Therapie häufig höhere Gewichtsabnahme, birgt aber relevante peri- und postoperative Risiken. Zu beachten sind potenzielle Langzeitfolgen und -risiken adipositaschirurgischer, insbesondere malabsorptiver Verfahren aufgrund einer Malassi milation von Mikronährstoffen. Das bedeutet grundsätzlich eine lebenslange, interdisziplinäre Nachsorge und in vielen Fällen eine individuell angepasste, dauerhafte Substitution von Mikronährstoffen mit entsprechenden Untersuchungs- und Behandlungs kosten. Keywords Bariatric surgery – significance, risks and long term consequences Obesity – bariatric surgery – side effects – long term consequences 49