ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF): ZUR INNEREN
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ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF): ZUR INNEREN
TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 15 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 2000, 21. JG. (1), 15 - 38 ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF): ZUR INNEREN KONSISTENZ, VALIDIERUNG UND STRESSDIAGNOSTIK MIT DEM DEUTSCHSPRACHIGEN DAILY STRESS INVENTORY HARALD C. TRAUE, VLADIMIR HRABAL & PETER KOSARZ Medizinische Psychologie, Universität Ulm ZUSAMMENFASSUNG. Skalen zur Erfassung von Alltagsbelastungen, wie das von Brantley, Waggoner, Jones und Rappaport 1987 veröffentlichte Daily Stress Inventory, sind nützliche Instrumente für Studien über den Zusammenhang zwischen Alltagsstress und der Symptomatik von psychosomatischen und chronischen Erkrankungen. Um das Daily Stress Inventory auch in Studien mit deutschsprachigen Probanden anwenden zu können, wird hier eine Übersetzung vorgelegt. In zwei Studien mit einer Stichprobe von 115 gesunden Versuchspersonen und 451 psychosomatisch erkrankten Patienten wurde die Skala hinsichtlich der Übereinstimmung mit den statistischen Kennwerten der Originalskala und der deutschsprachigen Brauchbarkeit überprüft. Daten aus dem 16-PF Fragebogen von Cattell und aus dem Stressverarbeitungsfragebogen von Janke dienten der Bestimmung von konvergenter Validität. Die Ergebnisse beider Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass der Alltagsbelastungsfragebogen (ABF) ein geeignetes Messinstrument zur Erhebung von alltäglichen Belastungen darstellt. SCHLÜSSELWÖRTER: Daily Stress Inventory, Alltagsstress, life event, Stress RELIABILITY, VALIDITY AND STRESS DIAGNOSTIC WITH A GERMAN VERSION OF THE DAILY STRESS INVENTORY ABSTRACT. Daily hassles scales are useful assessment methods to investigate the relationship between everyday stressors and psychosomatic and chronic diseases. Brantley, Waggoner, Jones and Rappaport presented a Daily Stress Inventory (DSI) in 1987 which has been used in several studies since. In order to provide German speaking researchers such a scale the original English version was translated and psychometrically analysed. This article describes this scale (AlltagsBelastungsFragebogen, ABF), and pres- 16 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) ents data from a sample of 115 healthy subjects and a sample of 451 patients suffering of psychosomatic and neurotic disorders. Similarities and differences between the new German and the English version are described. The ABF was correlated with sub-scales of a German version of Cattell’s 16PF questionnaire and a German stress coping inventory. Generalizability coefficients indicate that the german Alltagsbelastungsfragebogen (ABF) has significant homogenity, a useful degree of stability and concurrent validity. Convergent validity is high, since clinical samples show clear differences in comparison with healthy controls. Implications for diagnostic procedures and research designs are discussed. KEY-W ORDS: daily hassles scale, daily stress, life events, stress EINFÜHRUNG Für die Untersuchung von Stress und Krankheit sind unterschiedliche Messmethoden für Belastungen entwickelt und erprobt worden. Bereits in den 50er Jahren wurden Fragebögen zur Erfassung von kritischen Lebensereignissen (life events) und deren subjektiver Bedeutung im Vorfeld einer Erkrankung eingesetzt (Cohen, Karmarck & Mermelstein, 1983; Holmes & Rahe, 1967; Levenstein, et al., 1993; Sarason, Johnson & Siegel, 1978). Die Befunde aus solchen empirischen Erhebungen konnten einen Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen und dem Ausbruch oder der Verschlechterung im Verlauf für zahlreiche Krankheiten nachweisen. Korrelationen fanden sich beispielsweise für koronare Herzerkrankungen (Siegrist, 1980, Siegrist & Dittmann, 1981), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Duffy, Zielezny, Marshall, Weiser, Phillips & Byers, 1991) und psychiatrische Auffälligkeiten (Brown, 1981), um nur einige Beispiele zu nennen. Katschnig (1980) kritisiert die Forschung zu kritischen Lebensereignissen, insofern die Korrelationen zwischen Lebensereignissen und Krankheitssymptomen zwar signifikant, aber meist eher niedrig sind und durch intervenierende Variablen wie Copingstrategien im Umgang mit Stress oder soziale Unterstützung moduliert werden könnten und weil sich die Versuchspersonen retrospektiv bis zu zwei Jahren zurückerinnern müssen. Insbesondere wurde aber auf das Problem konfundierter Messung (Hudgens, 1974) hingewiesen. Folgt man diesem Einwand, dann messen viele Items gängiger Skalen zu kritischen Lebensereignissen eigentlich Krankheitssymptome, wodurch es zu Scheinkorrelationen kommen kann (Dohrenwend, Dohrenwend, Dodson & Shrout, 1984, Kessler, Kronstorfer & Traue, 1996). Einen Übergang von kritischen Lebensereignissen hin zu chronischen Stressoren, die sich aus Alltagsbelastungen ergeben, stellt das Trierer Inventar zur Erfassung von chronischem Stress dar (Schulz & Schlotz, 1999). TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) In Kontrast zur Theorie der kritischen Lebensereignisse betont ein anderer Ansatz die Bedeutung von Alltagsbelastungen für Ätiologie und Chronifizierung einer Erkrankung. Solche Alltagsbelastungen oder „daily hassles” sind wesentlich häufiger als kritische Lebensereignisse, sie können von Tag zu Tag variieren, haben aber einen geringeren Einfluss als kritische Lebensereignisse oder chronischer Stress. Lazarus und DeLongis definieren Alltagsbelastungen als „irritating, frustrating, distressing demands and troubled relationsships that plague us day in and day out“ (1983, S. 247). Von Lazarus und Mitarbeitern wurde angenommen, dass solche Alltagsbelastungen in der Auslösung oder dem Verlauf einer Erkrankung möglicherweise eine größere Rolle spielen als kritische Lebensereignisse (DeLongis, Folkmann & Lazarus, 1988). Kanner, Coyne, Schaefer und Lazarus (1981) konnten zeigen, dass Alltagsbelastungsskalen zur Messung von Stress besser geeignet sind als die bis dahin bevorzugten Skalen mit kritischen Lebensereignissen, denn Alltagsbelastungen haben einen direkteren Einfluss auf die psychische Anpassungsleistung als belastende Lebensereignisse. Sie korrelieren mit psychischen Symptomen unabhängig von kritischen Lebensereignissen und können solche auch nach Bereinigung durch den Effekt von kritischen Lebensereignissen besser vorhersagen. 17 DAS „DAILY STRESS INVENTORY“ Das Daily Stress Inventory (DSI) von Brantley, Waggoner, Jones und Rappaport (1987) für die tägliche Messung von Alltagsstress enthält 58 Items mit potentiell belastenden Alltagsereignissen und 2 Leerkategorien für Ereignisse, die in den Items nicht vorkommen. Die Alltagsbelastungen werden, falls aufgetreten, auf einer 7-stufigen Skala von 1 (das Ereignis ist aufgetreten, hat mich aber nicht belastet) bis 7 (das Ereignis war unerträglich) bewertet. Falls ein Ereignis nicht aufgetreten ist, wird dies auch im Fragebogen gekennzeichnet. Den Autoren zufolge erlaubt dieses Messinstrument eine zufriedenstellende Erfassung und Bewertung von belastenden Ereignissen, die während der letzten 24 Stunden aufgetreten sind. Für jede untersuchte Person werden die Anzahl der aufgetretenen Ereignisse (Frequenz), die Summe der Bewertungen dieser Ereignisse (Summe) und die durchschnittliche Belastung (Summe/Frequenz) bestimmt. Testtheoretisch wurde das DSI von den Autoren an 433 Versuchspersonen überprüft. Diese Daten sprechen für einen einfaktoriellen Itemsatz mit hoher Reliabilität und Validität: Cronbach's Alpha für den Fragebogen beträgt .87, so dass von einer ausreichenden Itemhomogenität ausgegangen werden kann. Entsprechend dem Ziel der Skala, Alltagsstress und dessen tägliche Fluktuation zu messen, korrelieren Messwiederholungen nur mäßig. Wiederholte Messungen führen nicht zu einer Sensibilisierung der Versuchspersonen und damit zu einer Veränderung der 18 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) Angaben in Abhängigkeit von der Zeit. Allenfalls unterscheidet sich der Wert des ersten Beobachtungstags von nachfolgenden Messungen durch eine erhöhte Aufmerksamkeit (Brantley, Dietz, McKnight, Jones & Tully, 1988). Durch ausreichend hohe Korrelationen mit anderen Stressmaßen ist die Validität des Messinstrumentes gesichert (für genaue Angaben siehe Brantley et al., 1987). Die Autoren weisen besonders darauf hin, dass sie mit dem Maß der durchschnittlichen Tagesbelastung den Forderungen von Lazarus et al. (1985) gerecht werden, der die subjektive Komponente in der Bewertung der Ereignisse betont. Mit der einfachen Frequenz der Ereignisse tragen sie aber auch der Kritik der Gruppe um Dohrenwend Rechnung, die fordern, dass Alltagsstress nur stimulusbezogen erfasst werden soll (Dohrenwend et al. 1984, Dohrenwend & Shrout, 1985). Im nun folgenden Teil sollen die deutsche Version dieser Alltagsbelastungsskala und erste statistische Kennwerte sowie Korrelationen im Hinblick auf diskriminative Validität zu Persönlichkeit vorgestellt werden. Die Verarbeitung von Stress wird im Kontext von Coping und protektiven Faktoren untersucht. Insofern Copingmechanismen (emotionszentriertes Coping) und protektive Faktoren (z.B. emotionale Widerstandsfähigkeit, hardiness oder control) eine Ähnlichkeit mit Persönlichkeitsfaktoren aufweisen, sind korrelative Zusammenhänge zu erwarten. Davon unabhängige allgemeine Persönlichkeitsfaktoren (z.B Extraversion) sollen nicht mit Alltagsstress korrelieren. Die übersetzte Form des Fragebogens findet sich im Anhang. Um den Antwortmodus zu erleichtern, wurde in Abänderung des Originals jedem genannten Ereignis die Bewertungsskala angefügt. Die Kategorie „das Ereignis ist nicht aufgetreten“ ist mit einer „0“ kodiert. Ergänzt wurde die Skala um Item Nr.61 mit der Frage nach besonders positiven Erlebnissen an diesem Tag. Dieses Item geht nicht in die Standardauswertung ein. GESUNDE PROBANDEN: STUDIE 1 Untersucht wurden 115 gesunde Versuchspersonen aus einer industriepsychologischen Erhebung. In dieser Studie wurden potenzielle Kfz-Kunden und Angestellte eines Kfz-Betriebes für die Erkennbarkeit von Beulen und Dellen in Autos gewonnen. Die Teilnehmer mussten sich einer augenärztlichen Untersuchung unterziehen, einige studienspezifische Fragebögen ausfüllen und Oberflächenfehler in einer experimentellen Anordnung auffinden. Der Alltagsbelastungsfragebogen wurde in diesem Kontext eingesetzt, um zu überprüfen, ob subjektiv erlebter Alltagsstress zu einer geringeren Akzeptanz von Oberflächenfehlern führt. Für die Teilnahme wurden die Fahrtkosten ersetzt und ein kleines Präsent im Wert von etwa 25,DM bereitgehalten. Selektionsfehler, wie sie für die Untersuchung von normalen Probanden im klinischen Kontext wahrscheinlich sind, ließen sich hier vermeiden. Die Stichprobe setzt sich aus 90 Männern und 25 Frauen zusammen. Das durchschnittliche Alter beträgt 45.3 (SD = TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 14.2) Jahre. Es liegen leider keine Daten über den sozialökonomischen Status vor. Allerdings erlauben die Ergebnisse des Persönlichkeitstests 16PF (Schneewind, Schröder & Cattel 1986) eine Beschreibung der Stichprobe anhand psychologischer Merkmale. Vergleicht man die Mittelwerte der Eichstichprobe mit den Mittelwerten unserer Stichprobe ergeben sich nur geringfügige Abweichungen, die jedoch wegen der großen Eichstichprobe in Schneewind et al. (1986) mit n = 4000 mehrfach signifikant sind (siehe letzte Spalte in Tabelle 1). DESKRIPTIVE STATISTIK Aus Tabelle 2 können Mittelwerte und Standardabweichungen für Frequenz, Summe und durchschnittliche Belastung getrennt für Männer und Frauen entnommen werden. Die Spalte unter USA enthält die Vergleichswerte der amerikanischen Normstichprobe (N = 433) von Brantley et al. (1987). Im Anhang findet man eine Rohwertverteilung des ABF mit den prozentualen Häufigkeiten der Einzelantworten für die Stichprobe gesunder Probanden und der Patienten (Tabelle 2). Im Gegensatz zur amerikanischen Stichprobe, die bei der Summe (SUM) und der durchschnittlichen Tagesbelastung (DB) Unterschiede zwischen Männern und Frauen finden, zeigen sich in unserer Stichprobe in keiner der Variablen Geschlechtsunterschiede. 19 HOMOGENITÄT DES ABF BEI GESUNDEN Um vergleichbare Ergebnisse bemüht, haben wir uns bei der statistischen Analyse am ursprünglichen Vorgehen von Brantley et al. (1987) orientiert, wohl wissend, dass damit eine vollständige testtheoretische Analyse nicht erreicht werden kann. In der vorliegenden Studie geht es zunächst entscheidend um die Vergleichbarkeit der amerikanischen und deutschen Version, da beide Instrumente in ähnlichen diagnostischen Untersuchungen der Verhaltensmedizin eingesetzt wurden. Um die Homogenität der Items des ABF zu bestimmen, wurde Cronbach´s Alpha für FREQ und SUM bestimmt (für DB nicht möglich, da es nur einen Gesamtquotienten pro individuellem Test gibt): Cronbach´s - Alpha für FREQ = .94 Cronbach´s - Alpha für SUM = .96 ALLTAGSSTRESS UND PERSÖNLICHKEITSFAKTOREN Um eine eventuelle Kovariation mit Dimensionen der Persönlichkeit zu klären, wurden Korrelationen zwischen Alltagsbelastung und den Persönlichkeitsdimensionen des 16 PF (deutsche Fragebogenversion) von Schneewind et al., 1986) gerechnet. Bis auf den Sekundärfaktor C - „Emotionale Widerstandsfähigkeit vs. emotionale Störbarkeit“ (r = .19, p = .05) - wurden keine signifikanten Korrelationen gefunden. 20 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) Tabelle 1: Mittelwerte und Standardabweichungen der 16 PF-Skalen für die Stichprobe gesunder Probanden (n = 115). Signifikante Abweichungen von der Eichstichprobe sind in der rechten Spalte inhaltlich beschrieben. Die Berechnung der Signifikanzen ist wegen der multiplen t-Tests alpha korrigiert (t > 4.0) 16 PF-Faktoren M SD A B Sach- vs. Kontaktorientierung Konkretes vs. abstraktes Denken 6.1 6.5 2.1 1.9 C Emotionale Störbarkeit vs. Widerstandsfähigkeit Soziale Anpassung vs. Selbstbehauptung Besonnenheit vs. Begeisterungsfähigkeit Flexibilität vs. Pflichtbewusstsein Zurückhaltung vs. Selbstsicherheit Robustheit vs. Sensibilität Vertrauensbereitschaft vs. skeptische Haltung Pragmatismus vs. Unkonventionalität Unbefangenheit vs. Überlegtheit Selbstvertrauen vs. Besorgtheit Sicherheitsinteresse vs. Veränderungsbereitschaft Gruppenverbundenheit vs. Eigenständigkeit Spontaneität vs. Selbstkontrolle Innere Ruhe vs. innere Gespanntheit 5.9 2.0 6.8 2.0 6.9 2.0 4.4 6.7 5.3 6.1 2.1 1.8 1.9 1.9 mehr Selbstbehauptung (t = 6.8) begeisterungsfähiger (t = 7.3) flexibler (t = 5.8) selbstsicherer (t = 6.3) ns ns 6.5 1.8 unkonventioneller (t = 5.2) 4.6 4.9 6.3 1.9 2.0 1.9 5.2 2.1 unbefangener (t = 4.7) ns veränderungsbereiter (t = 4.2) ns 5.0 5.0 1.7 1.9 ns ns 4.3 2.1 6.6 6.6 1.8 2.1 geringer normgebunden (t = 6.3) belastbarer (t = 5.8) unabhängiger (t = 5.8) 5.1 1.7 ns 6.3 2.7 kontaktbereiter (t = 4.1) E F G H I L M N O Q1 Q1 Q3 Q4 QI geringe vs. hohe Normgebundenheit geringe vs. hohe Belastbarkeit geringe vs. hohe Unabhängigkeit QII QII I QI geringe vs. hohe EntschlussbereitV schaft QV geringe vs. hohe Kontaktbereitschaft Signifikante Unterschiede der gesunden Stichprobe zur Eichstichprobe (n = 4000) ns abstrakter denkend (t = 5.3) ns TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 21 Tabelle 2: Mittelwerte und Standardabweichungen des ABF der deutschen und amerikanischen Stichprobe gesunder Personen (getrennt für Frauen, Männer und die Gesamtstichprobe) FREQUENZ SUMME DB GER USA GER USA GER USA Männer 13.42 (9.43) 17.56 (7.56) 30.34 (29.93) 42.47 (25.24) 2.08 (0.79) 2.36 (0.82) Frauen 16.92 (16.00) 16.99 (7.59) 44.52 (55.40) 48.00 (29.97) 2.25 (0.94) 2.68 (0.97) F 1.92 0.61 2.90 4.17 0.85 13.26* p ns ns ns .04 ns .01 14.18 17.28 33.43 45.23 2.11 2.52 Gesamtstichprobe n (GER, Männer) = 90, n (GER, Frauen) = 25, n (USA, Männer) = 191, n (USA, Frauen) = 242; FREQUENZ = Anzahl der aufgetretenen Ereignisse; SUMME = Summe der Bewertungen der Ereignisse; DB = Durchschnittliche Belastung: SUMME/FREQENZ; In Klammern finden sich die Standardabweichungen, GER deutsche Stichprobe, USA amerikanische Stichprobe; F = One-Way ANOVA F-Wert; p = Signifikanzniveau * wegen des großen F-Wertes in der Originalpublikation haben wir eine Neuberechnung der amerikanischen Geschlechtsunterschiede mit t-Test durchgeführt, die einen plausibleren t-Wert von 3.64 ergab! KLINISCHE STICHPROBE: STUDIE 2 Untersucht wurden 451 psychosomatisch und neurotisch erkrankte Patienten, die sich zum Zeitpunkt der Untersuchung in stationärer Behandlung in der Psychosomatischen Fachklinik Bad Dürkheim aufhielten. Es handelt sich um eine vollständige Erhebung ohne Selektionskriterien innerhalb eines bestimmten Zeitraumes als Teil der psychiatrischen Eingangsdiagnostik bei Kliniksaufnahme. Die Stichprobe setzt sich aus 167 Männern und 284 Frauen zusammen. Das durchschnittliche Alter beträgt 38.7 (SD = 10.7) Jahre. Die diagnostische Zusammensetzung war: Dysthyme Störungen (43%), Angst- und Zwangsstörungen (17%), Funktionelle Störungen (14%), Persönlichkeitsstörungen (5 %), Psychosen (3%) und andere neurotische Störungen (18%). 22 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) DESKRIPTIVE STATISTIK Aus Tabelle 3 können Mittelwerte und Standardabweichungen für Frequenz, Summe und durchschnittliche Belastung getrennt für Männer und Frauen der Patientenstichprobe entnommen werden. (Für Rohwerte siehe Anhang). In dieser klinischen Stichprobe finden sich in der durchschnittlichen Alltagsbelastung (DB) hochsignifikante Geschlechtsunterschiede. HOMOGENITÄT DES ABF BEI PATIENTEN Für die Homogenität der Items des ABF in der klinischen Stichprobe ergab ein Cronbach´s - Alpha für FREQuenz und SUMme den gleichen Wert von .98. Die gefundenen Werte entsprechen den Befunden der gesunden Stichprobe und deuten auf eine große Homogenität der Items in der klinischen Stichprobe hin. Auch hier muss der Einwand von Scheinkorrelationen durch häufige 0-Angaben gemacht werden. RETEST-RELIABILITÄT UND FAKTORENSTRUKTUR Das Ziel des ABF besteht in der Erfassung der täglichen Belastung. Dies bedeutet, dass das Messinstrument in der Lage sein muss, tägliche Fluktuationen abzubilden. Eine hohe Zeitstabilität ist daher nicht wünschenswert. Um die Sensibilität des ABF zu überprüfen, füllten 30 PatientInnen den Fragebogen im Abstand von 20 Tagen ein weiteres Mal aus. Die Korrelationen betragen für FREQ r = .65, für SUM r = .72 und DB r = .36. Das bedeutet, dass die Werte für die durchschnittliche Belastung nur eine mäßige Retestreliabilität aufweisen, während sie im Summenwert und der Häufigkeit ausreichend hoch ist. Die Ergebnisse unserer Testwiederholung entsprechen zahlenmäßig den Werten von Brantley et al. (1987) mit r =. 72, .41 und .26 für Frequenz, Summe und durchschnittliche Belastung. Es kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Messinstrument Tagesschwankungen mit genügender Sensibilität abbildet. Die Summe belastender Ereignisse scheint über die Zeit stabiler zu sein. VALIDIERUNG ANHAND DER PATIENTENSTICHPROBE Für eine erste klinische Validierung wurden die ABF-Werte der klinischen Stichprobe mit den Daten der Stichprobe Gesunder verglichen. Wenn der ABF valide die besonderen Belastungen der psychosomatischen und psychoneurotischen Patienten erfasst, sollten die Stresswerte der gesunden Probanden signifikant und klinisch bedeutsam unter denen der Patienten liegen. (siehe Tabelle 4). Schon auf den ersten Blick weisen die Probanden der Patientenstichprobe zwei- bis dreimal so hohe Stresswerte wie die gesunden Personen auf. Eine Varianzanalyse sichert die offensichtlichen Unterschiede für die Gesamtgruppe statistisch ab. Die Patientenstichprobe erreichte signifikant größere Stresswerte in allen Stressparametern als die Stichprobe der gesunden Probanden. TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 23 Tabelle 3: Mittelwerte des ABF für die Patienten (Frauen, Männer und Gesamtstichprobe) FREQ SUM DB Männer N = 67 25.37 91.16 3.26 Frauen N = 284 24.90 95.69 3.62 F 0.07 0.32 9.89 p ns ns .01 25.07 94.01 3.48 Gesamtstichprobe FREQ = Anzahl der aufgetretenen Ereignisse; SUM = Summe der Bewertungen der Ereignisse; DB = Durchschnittliche Belastung: SUM/FREQ; F = One-Way ANOVA; p = Signifikanzniveau Tabelle 4: Mittelwerte und Standardabweichungen des ABF - Vergleich der Patientenstichprobe mit gesunden Probanden Männer FREQ SUM DB M SD M SD M SD Frauen Gesamtstichprobe Patienten Gesunde Patienten Gesunde Patienten Gesunde 25.37 19.29 91.16 84.65 3.26 1.14 13.42 9.43 30.34 29.93 2.08 0.79 24.9 17.40 95.69 79.83 3.62 1.19 16.92 16 44.52 55.40 2.25 0.94 25.07 18.10 94.01 81.50 3.48 1.19 14.18 11.20 33.43 37.15 2.11 0.82 P (Gruppe) ** ** ** M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; SUM = Summe der Bewertungen der Ereignisse; FREQ = Anzahl der aufgetretenen Ereignisse; DB = Durchschnittliche Belastung; ** Gruppe bzgl. DB (F = 50.11; p < 001); Gruppe bzgl. SUM (F = 24.6; p < .001); Gruppe bzgl. FREQ (F = 17.1; p < .001) 24 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) Im transaktionalen Stresskonzept werden nicht nur die Stressoren selbst auf ihre Bedrohlichkeit hin vom Individuum bewertet, sondern auch die Möglichkeit der Bewältigung (secondary appraisal) als direct action und palliative action. Janke Erdmann & Kallus (1985) unterscheiden aufgrund psychometrischer Untersuchungen 19 unterschiedliche Strategien der Stressbewältigung im StressbewältigungsFragebogen SVF. Es ist zu erwarten, dass das Ausmaß von Alltagsstress mit diesen Strategien der Bewältigung kovariiert. Manche Strategien dürften sich als erfolgreich zur Minderung von Stress erweisen, während andere Strategien eher Alltagsstress erhöhen dürften. Um diesen Zusammenhängen im Sinne einer konvergenten Validität nachzugehen, wurden Korrelationen zwischen den ABF-Werten und den Subskalen des SVF (siehe Tabelle 5) gerechnet. Es finden sich zahlreiche signifikante Korrelationen, die einen Teil der Varianz aufklären. Für die Subskalen „Bagatellisieren“, „Herunterspielen“, „Schuldabwehr“ und „Positives Denken“ finden sich negative Korrelationen und für die Skalen „Vermeiden“, „Fluchttendenz“, „Soziale Abkapselung“, „Gedankliche Weiterbeschäftigung“, „Resignation“, „Selbstbemitleidung“, „Selbstbeschuldigung“, „Aggression“ und „Pharmaka-Einnahme“ positive Zusammenhänge (Tabelle 5). DISKUSSION Die den Alltagsbelastungsskalen zugrunde liegende prinzipielle Idee einer häufigen, möglichst täglichen Erfassung von Alltagsärgernissen in ihrem Einfluss auf psychosomatische und chronische Erkrankungen findet ihre methodische Fundierung in einer von Stone und Shifman (1994) veröffentlichten Forschungsstrategie, die sie „ecological momentary assessment“ EMA nennen. Dieser Forschungsansatz hat vier Merkmale: EMA misst Ereignisse zum Zeitpunkt ihres Auftretens EMA setzt eine sorgfältige zeitliche Planung voraus EMA-Methoden beinhalten in der Regel wiederholte Messungen EMA-Messungen erfolgen in der natürlichen Umgebung der Versuchspersonen Der Alltagsbelastungsfragebogen genügt allen vier Forderungen, da wiederholt und sensitiv tägliche Messwerte aus verschiedenen inhaltlichen Bereichen im natürlichen Umfeld der Patienten erhoben werden können. Die Anwendung des Alltagsbelastungsfragebogen zur Messung der alltäglichen Belastungen setzt voraus, dass psychometrische Kriterien erfüllt werden. Der ABF wurde an einer gesunden und einer klinischen Stichprobe erprobt. Zusätzlich standen die publizierten statistischen Kennwerte aus der Originalpublikation von Brantley et al. (1987) zur Verfügung. Die geringe Fallzahl unserer Stichprobe gesunder Probanden und ihre ungleiche Geschlechtsverteilung mit einem geringen Frauenanteil ist für die vorliegende Studie kritisch zu bewerten. Allerdings zeigt der Vergleich mit der amerikanischen Originalstichprobe (siehe Tabelle 2), TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 25 Tabelle 5: Werte der Korrelationen des ABF mit den Subtests des Stressverarbeitungsfragebogens SVF (Janke et al., 1985) Subskalen des SVF Bagatellisieren BAG Korrelation mit Alltagsstress (DB) - .27 * Herunterspielen durch Vergleich mit anderen HER - .42 ** Schuldabwehr SCHAB - .26 * Ablenkung von Situationen ABL - .05 Ersatzbefriedigung ERS - .06 Suche nach Selbstbestätigung SEBEST - .15 Situationskontrollversuche SITKON - .22 Reaktionskontrollversuche REKON - .005 Positive Selbstinstruktion POSI - .37 ** Bedürfnis nach sozialer Unterstützung BESOZU .03 Vermeidungstendenz VERM .30 * Fluchttendenz FLU .41 ** Soziale Abkapselung SOZA .40 ** Gedankliche Weiterbeschäftigung GEDW .38 ** Resignation RES .54 ** Selbstbemitleidung SEMITL .39 ** Selbstbeschuldigung SESCH .48 ** Aggression AGG .31 * Pharmakaeinnahme PHA .31 * * p = .05; ** p = .01 26 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) dass die Mittelwerte der Frauen in unserer und der amerikanischen Stichprobe nahezu identisch sind. Die Geschlechtsunterschiede in den Häufigkeiten und den Summenwerten für Alltagsbelastungen sind in allen drei Stichproben gering. Lediglich in der durchschnittlichen Belastung weisen Frauen höhere Werte auf als Männer. Dieser Befund sollte aber nicht überinterpretiert werden, da die Retestreliabilität mit r = .36 in der deutschen und r = .26 in der amerikanischen Stichprobe eher gering ist. Personenmerkmale in der Stichprobe gesunder Probanden, die auf eine besondere Robustheit gegenüber Stressoren hindeuten würden, hätten die Unterschiede zwischen den gesunden Probanden und der klinischen Stichprobe verwischen können. Im Vergleich zur Eichstichprobe des Persönlichkeitstests 16PF weisen die Probanden zwar einige Unterschiede auf, aber kaum in den entscheidenden Persönlichkeitsfaktoren, für die Korrelationen mit Stress theoretisch zu erwarten wären. Dies sind emotionale Störbarkeit, Sensibilität, Besorgtheit und innere Gespanntheit. Jedoch ergab sich eine signifikant größere Belastbarkeit bei der gesunden Stichprobe im Vergleich zur Eichstichprobe, so dass sich hieraus eine leichte Überschätzung der Unterschiede im ABF zwischen den Gesunden und den Patienten ergeben könnte. Die Konstruktvalidität folgt aus der Stresskonzeptualisierung, nach der eine Stressmessung sowohl das Auftreten eines Stressors wie dessen Bewertung erfassen sollte. Die Frequenz (FREQ) von Stressoren ist eine Schätzung für das Auftreten von Alltagsstress; Summenwert (SUM) und durchschnittliche Belastung (DB) erfassen die subjektive Wahrnehmung der Stressintensität. Die interne Konsistenz (Homogenität) wurde in beiden Stichproben durch Cronbach’s Alpha berechnet. Die hohen Werte für Cronbach’s Alpha lassen einen homogenen Itemsatz vermuten. Brantley et al. (1987) haben das jedenfalls in dieser Weise interpretiert. Allerdings können die Korrelationen auch auf häufigen 0-Angaben beruhen, weil zahlreiche Ereignisse nicht aufgetreten sein mögen, denn die Fragebögen wurden in den beiden betrachteten Stichproben – für die Bestimmung von Cronbach‘s Alpha nur einmal erhoben. Dies kann zu einer Überschätzung der Skalenhomogenität geführt haben. Da der ABF ein Instrument zur Messung von Alltagsstress darstellt, der beträchtliche Fluktuationen von Tag zu Tag aufweisen kann, wäre eine sehr hohe Retestreliabilität nicht wünschenswert. Die Retestreliabilität für FREQ und SUM betrug .65 und .72 und .36 für die durchschnittliche Belastung. Da diese Daten an der klinischen Stichprobe erhoben wurden, weist das Ausmaß der alltäglichen Belastung aber auch eine gewisse zeitliche Stabilität auf. In einem weiteren Schritt der testtheoretischen Analyse sollten nun die Verläufe der ABF-Scores über einen längeren Zeitraum erfasst werden, um genauere Informationen über die tägliche Fluktuation bzw. zeitliche Stabilität zu gewinnen. Um erste Hinweise auf eine konvergente Validität zu erhalten, wurde der ABF mit den Personenmerkmalen des 16 PF und den Bewälti- TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) gungsstrategien des Stressverarbeitungsfragebogens korreliert. Die schwache, aber doch signifikante Korrelation mit dem C-Faktor Emotionale Labilität entspricht den Erwartungen, obwohl der ABF vor allem die Intensität der situativen Alltagsbelastungen misst und nur im minimalen Ausmaß (hier ca. 4% der Varianz) die Einflüsse der Persönlichkeit berücksichtigen sollte. Ein solcher Einfluss aus Persönlichkeitsdimensionen kann aber dennoch auftreten, da emotional labilere Personen dazu neigen könnten, ihre Alltagsbelastungen deutlicher wahrzunehmen oder generell höher zu bewerten. Dem entsprechen auch die vielfältigen Korrelationen zur Stressverarbeitung. Neben den negativen Korrelationen zu günstigen Verarbeitungen von Stress finden sich zahlreiche positive Korrelationen zwischen Alltagsbelastungen und ungünstigen Copingmechanismen wie „Vermeiden“, „Fluchttendenz“, „Soziale Abkapselung“, „Gedankliche Weiterbeschäftigung“, „Resignation“, „Selbstbemitleidung“, „Selbstbeschuldigung“, „Aggression“ und „Pharmakaeinnahme“. Insgesamt spricht das Ergebnis für die Hypothese, dass ein niedrigeres Stressniveau mit einigen kognitiven Stressbewältigungsstrategien wie positive Selbstinstruktion oder Schuldabwehr einhergeht, die sich damit offenbar als günstig erweisen. Dagegen ist eine größere Stressbelastung offenbar mit ungünstigeren Strategien korreliert. Obwohl diese Interpretation plausibel ist, bleibt die Frage der Kausalität natürlich unbeantwortet. Kritisch ist anzumerken, dass die signifikanten Korrelationen zwischen 27 .30 und .54 liegen, mithin nur zwischen 10% und 30% gemeinsame Varianz aufklären. Aber auch für diesen Befund gilt, dass Personenmerkmale mit einer situativen Skala korreliert werden und deshalb nicht allzu hoch sein können. Beispielsweise korreliert auch die Trierer Skala zur Erfassung von chronischem Stress nur r = .46 mit allgemeiner Stressanfälligkeit (Janning, 1996, zitiert nach Schulz & Schlotz, 1999) KLINISCHE RELEVANZ DER METHODE Täglich erhobene Stresswerte können mit ebenfalls täglich erhobenen Symptomangaben, wie sie beispielsweise Schmerzexperten häufig in Form von Schmerztagebüchern klinisch und wissenschaftlich nutzen (Hrabal, Kessler & Traue, 1991; Jacob, Hrabal, Kessler & Traue, 1995; Kessler, Hrabal & Traue, 1996), so kombiniert werden, dass intraindividuelle Zusammenhänge einer empirischen Analyse zugänglich werden. Dieser Ansatz erlaubt die qualitative und quantitative Überprüfung einer Beziehung zwischen Stress und Symptomatik im zeitlichen Verlauf. Für eine Auswertung der so gewonnenen Daten sind mehrere Möglichkeiten denkbar: Beispielsweise können in einem Extremwertvergleich Zeitpunkte mit niedrigen Alltagsstresswerten mit solchen mit hohen Werten statistisch verglichen werden. Oder: Zeitreihenanalysen nach dem ARIMAModell erlauben die differenzierte Betrachtung der intraindividuellen Kovariation der Verläufe von Symptomen und Stressoren. 28 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) Die Zeitreihenanalyse hat sich in einer Reihe von Studien über die Kovariation von Stress und Krankheit bewährt. Untersucht wurde beispielsweise der Zusammenhang für Asthma (Goreczny, Brantley, Buss & Waters, 1988), Kopfschmerzen vom Spannungstyp/Migräne (Mosley, Penzien & Johnson, 1991), Diabetes mellitus (Goetsch, Wiebe, Veltum & Dorsten, 1990; Halford, Cuddihy & Mortimer, 1990), entzündliche Darmerkrankungen (Garrett, Brantley, Jones & McKnight, 1991; Kosarz & Traue, 1996, Kosarz & Traue, 1997, Traue & Kosarz, 1999) und auch an einem Einzelfall mit dem hier vorgestellten ABF beim atopischen Ekzem (Helmbold, Gaisbauer, Kupfer, Seikowski, Brähler & Haustein, 1996). Brantley, Cocke, Jones & Gorenczny (1988) konnten außerdem zeigen, dass das DSI zufriedenstellend mit endokrinen Stressmaßen korreliert. Die Korrelationen zwischen Urinkortisol und Alltagsbelastungen (auch in Einzelfallstudien, Kosarz et al., 1997) sprechen für einen kleinen gemeinsamen, über die Hypophysen-Nebennierenachse vermittelten Varianzanteil zwischen subjektivem Stresserleben und Symptomatik. Leider liegen keine Untersuchungen vor, in denen die Kovarianzanteile zwischen subjektivem Stresserleben und objektiven bzw. subjektiven Krankheitssymptomen statistisch getrennt werden. Denkbar wäre nämlich, dass es Personen gibt, bei denen das subjektive Stresserleben ausschließlich über kognitive Prozesse mit dem Krankheitsverhalten vermittelt ist. Ebenso kann es Personen geben, bei denen eine solche Verbindung nur über einen psychobiologischen Pfad verläuft. In einem solchen Fall muss nicht zwangsläufig eine Korrelation zwischen Alltagsstress und subjektiven Krankheitssymptomen bestehen. Wirken sich Stressoren im Organismus aus, ohne dass eine Person dieses an sich selbst bemerkt, könnte man dies im Kontext von Alexithymie oder unterdrückter emotionaler Expressivität diskutieren (Traue, Kessler & Lee, 1997; Traue & Pennebaker, 1993). Studien über den Zusammenhang von Alltagsstress und Krankheit, die keinen allgemeinen Zusammenhang finden konnten oder deren Ergebnisse widersprüchlich waren, werden gerne als Beweis gegen Stresshypothese für psychosomatische Erkrankungen ins Feld geführt. Verlangt aber nicht das Stresskonzept mit seinem Fokus auf individuell kognitiv vermittelten Stressreaktionen eine differenzierte Betrachtungsweise, aus der gar nicht zu erwarten ist, dass jedes Individuum mit einer bestimmten psychosomatischen Störung eine Beziehung zwischen Stress und Symptomatik aufweist? Sinnvoller ist es, in einem gegebenen Kollektiv nach Personen zu suchen, die sensibel auf Stressoren reagieren. Auch klinisch wäre es für die Indikation von psychologischen Interventionen äußerst hilfreich eine Stressabhängigkeit diagnostizieren zu können. Eine Grundlage für die Idee von Stressrespondern in verschiedenen klinischen Subgruppen lässt sich aus der Datenübersicht von Tabelle 6 gewinnen. Die Tabelle enthält eine Auswahl von Untersuchungen, die methodischen Ansprüchen an die statistische Analyse von intraindivi- TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) duellen Zusammenhängen (withinsubject-analysis) genügen. Der Anteil von Stressrespondern in den verschiedenen Störungen liegt zwischen 20% und 80 %. Da nicht genügend Studien mit ausreichend hohen Fallzahlen vorliegen, kann 29 man die Störungen untereinander jedoch nicht vergleichen. Fasst man die Daten zusammen, dann erweisen sich etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Patienten mit unterschiedlichen Störungsbildern als Stressresponder (Tabelle 6). Tabelle 6: Anteil von Stressrespondern in verschiedenen klinischen Gruppen Stressresponder Störung Asthma Diabetes (I) Diabetes (II) Morbus Crohn Spannungskopfschmerz Migräne Morbus Crohn Colitis ulcerosa Gesamt Autoren Gorenczny et al. 1988 Halford et al. 1990 Goetsch et al. 1990 Garrett et al. 1991 Methode DSI subjekt. Rating subjekt. Rating DSI absolut prozentual 15 von 39 38 % 7 von 15 4 von 6 2 von 10 47 % 66 % 20 % Mosley et al. 1991 DSI 13 von 20 65 % Mosley et al. 1991 Kosarz & Traue, 1996; Traue & Kosarz, 1999 Kosarz & Traue, 1997 DSI ABF (DSI) 11 von 26 11 von 20 42 % 55 % ABF (DSI) 8 von 10 80% 71 von 126 56 % DSI = daily stress inventory, ABF = Alltagsbelastungsfragebogen Die intraindividuelle Analyse der Kovarianz von Stress und Krankheitssymptomen hat eine beachtliche Bedeutung für die Diagnostik nach dem DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV, 1996), denn dort wird der Nachweis eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen psychischen Belastungen und der Auslösung bzw. der Exacerbati- on von Krankheitssymptomen gefordert. Diese Forderung ist auch sinnvoll, um ätiologische Mechanismen oder aufrechterhaltende Bedingungen bei einem bestimmten Patienten zu identifizieren. Instrumente für die Erfassung von Alltagsbelastungen wie der ABF haben zahlreiche Vorzüge als Forschungsinstrumente und klinisch diagnostische Verfahren. Ihre psy- 30 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) chometrische Qualität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einem Stresskonzept angehören, das Stress höchst individualisiert begreift, weitgehend ohne Bezug auf seine sozialen Beziehungen und Machtstrukturen, in denen das Individuum lebt. Mit der vollständigen Individualisierung des Stresskonzeptes in der mainstream-Stressforschung ist das Verständnis von Belastungen als Konsequenzen bestimmter sozialer Kontexte, historischer Perioden und politischer Verhältnisse verloren gegangen (Newton, 1995). Deshalb darf der diagnostische Prozess - und schon gar nicht die therapeutische Versorgung - bei dieser Individualisierung stehen bleiben. Werden mit Hilfe des hier vorgeschlagenen Instrumentes Indizien für eine StressKrankheitsbeziehung gefunden, müssen sie im Dialog mit dem Patienten inhaltlich geklärt werden. Eine Indikation für Stressbewältigung durch Entspannung, Meditation oder andere Verfahren der Stressbewältigung kann einem Patienten nicht gerecht werden, wenn die Quelle des Stresses in den realen Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Verhältnissen aufgespürt werden muss. ABF Kosarz, Hrabal und Traue, Universität Ulm (Kosarz, Hrabal & Traue, 1997) Nachfolgend finden Sie eine Aufzählung von möglichen alltäglichen Situationen und daneben eine Skala, auf der Sie einschätzen können, wie sehr Sie dieses Ereignis belastet hat. Mit diesem Fragebogen soll herausgefunden werden, wie sehr Sie heute unter Stress standen. Am besten füllen Sie den Stressfragebogen am Abend vor dem Zubettgehen aus. Bitte lassen Sie kein Ereignis aus. Die angegebenen Werte haben folgende Bedeutung: 0: Das Ereignis ist nicht aufgetreten 1: Das Ereignis ist aufgetreten, hat Sie aber nicht belastet 2: Das Ereignis hat Sie sehr wenig belastet 3: Das Ereignis hat Sie ein wenig belastet 4: Das Ereignis hat Sie mäßig belastet 5: Das Ereignis hat Sie stark belastet 6: Das Ereignis hat Sie sehr stark belastet 7: Das Ereignis war unerträglich TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) 1. Ich habe eine Aufgabe nicht gut bewältigt. 2. Wegen anderer Personen habe ich schlechte Leistungen erbracht. 3. Ich dachte an meine unerledigten Arbeiten. 4. Ich musste hetzen, um einen Termin einzuhalten. 5. Ich wurde bei einer Aufgabe oder Arbeit gestört. 6. Jemand hat meine schon erledigte Arbeit mies gemacht. 7. Ich musste etwas machen, was ich nicht richtig konnte. 8. Ich konnte eine Aufgabe nicht zu Ende führen. 9. Ich war durcheinander. 10. Ich wurde kritisiert oder beschimpft. 11. Man hat mich nicht beachtet. 12. Ich musste öffentlich sprechen bzw. etwas vormachen. 13. Ich wurde unfreundlich bedient. 14. Man hat mich beim Sprechen unterbrochen. 15. Obwohl ich nicht wollte, musste ich mit Leuten zusammen sein. 16. Jemand hat ein Versprechen gebrochen/mich versetzt. 17. Ich stand in Konkurrenz zu jemandem. 18. Ich wurde angestarrt. 19. Jemand, an dem mir liegt, hat nichts von sich hören lassen. 20. Ich bin herumgeschubst worden. 21. Ich wurde missverstanden. 22. Man machte mich verlegen. 23. Mein Schlaf wurde gestört. 24. Ich habe etwas vergessen. 25. Ich hatte Angst vor Krankheit oder Schwangerschaft. 26. Mir ging es körperlich nicht gut bzw. ich war krank. 27. Jemand hat sich etwas ausgeliehen, ohne mich zu fragen. 28. Mir ist etwas kaputt gemacht worden. 29. Ich hatte einen kleinen Unfall (mir ist etwas zerbrochen, ein Kleidungsstück wurde zerrissen etc.). 30. Ich dachte an die Zukunft. 31. Lebensmittel oder Gegenstände meines persönlichen Bedarfs sind mir ausgegangen. 32. Ich hatte Streit mit meinem Partner/meiner Partnerin oder meinem Freund/meiner Freundin. 33. Ich hatte mit jemand anderem Streit. 34. Ich musste länger warten, als ich wollte. 35. Ich wurde beim Nachdenken oder Entspannen gestört. 36. Jemand hat sich vorgedrängt. 37. Ich war beim Sport/Spiel schlecht. 38. Ich habe etwas getan, was ich eigentlich nicht wollte. 39. Ich konnte nicht alles erledigen, was ich mir vorgenommen hatte. 40. Ich hatte mit dem Auto Probleme. 31 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 32 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 21/1 (2000) Der Verkehr hat mich nervös gemacht. Ich hatte finanzielle Sorgen. In einem Geschäft fand ich nicht das, was ich wollte. Ich habe etwas verlegt. Das Wetter war schlecht. Ich hatte unerwartete Ausgaben (Bußgeld, Strafmandat). Ich war mit einer Autoritätsperson konfrontiert. Ich erhielt eine schlechte Nachricht. Ich war um mein Äußeres besorgt. Ich war einer bedrohlichen Situation ausgesetzt. Ich habe mich über eine Fernsehsendung, einen Film, ein Buch geärgert. Ich war schlecht gelaunt, weil ich gestört wurde (jemand hat nicht angeklopft, war unhöflich usw.). Ich habe etwas nicht verstanden. Ich habe mir Sorgen um jemanden gemacht. Ich konnte gerade noch einer Gefahr ausweichen. Ich habe eine schlechte Angewohnheit unterlassen (auf Nägel beißen, zu viel essen, Rauchen). Ich hatte mit meinen Kindern Ärger. Ich kam zur Arbeit/zu einer Verabredung zu spät. Welche anderen unangenehmen Ereignisse sind heute aufgetreten? 59. 60. 61. Hatten Sie heute ein besonders angenehmes Erlebnis? Wenn ja, welches? Vielen Dank für Ihre Mitarbeit! 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 01234567 TRAUE ET AL.: ALLTAGSBELASTUNGSFRAGEBOGEN (ABF) LITERATUR Brantley, Ph., Waggoner, C. D. Jones, G. N. & Rappaport, N. B. (1987). A daily stress inventory: Development, reliability, and validity. Journal of Behavioral Medicine, 10, 61-74. Brantley, P. J., Dietz, L. S., McKnight, G. T., Jones, G. N. & Tully, R. (1988). Convergence between the Daily Stress Inventory and endocrine measures of stress. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 56, 549-551. Brantley, Ph. J., Cocke, Th. B., Jones, G. N. & Goreczny, A. J. (1988). The Daily Stress Inventory: Validity and effect of repeated administration. Journal of Psychopathology and Behavioral Assessment, 10, 75-81. Brown, G. W. (1981). 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