Herr Dr. Andreas Degkwitz, Humboldt-Universität

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Herr Dr. Andreas Degkwitz, Humboldt-Universität
„Infinite Possibilities“ der digitalen Transformation - Bericht zur 79. IFLAWLIC 2013 in Singapur
Andreas Degkwitz - Humboldt-Universität zu Berlin
Abstract: Mit „Future Libraries: Infinite Possibilities“ als Claim der 79. IFLA-WLIC in
Singapur lässt sich die Phase der Transformation, die alle Bibliotheken weltweit betrifft, kaum besser charakterisieren. Nahezu alle Aktivitäten von öffentlichen und
wissenschaftlichen Bibliotheken sind geprägt von der Digitalisierung der Medien und
aller Geschäftsprozesse. Dass sich die sich daraus ergebenden Möglichkeiten bestehende Grenzen überschreiten, ist dabei ebenso spürbar wie die Veränderungen, die
sich mit diesem Wandel in den Bibliotheken vollziehen.
Vor diesem Hintergrund bot die gemeinsam von den Standing Commitees ‚Academic and Research Libraries’ und ‚Knowledge Management’ organisierte Veranstaltung einen sehr guten Überblick zu den Herausforderungen, die sich mit der digitalen Transformation stellen: Agile management: strategies for achieving success in
rapidly changing times 1. Der Beitrag von Peter Burnhill (EDINA, University of Edinburgh, Edinburgh, Scotland UK) and Francoise Pelle (ISSN International Centre /
Centre International de l'ISSN, Paris, France): Who is looking after your e-journals?
Telling tales about the keepers registry & your digital shelves 2 befasste sich mit
dem Thema der Langzeitarchivierung für elektronische Zeitschriften. Laufende Aktivitäten zur Archivierung von E-Journals auf der Basis von CLOCKSS und PORTICO
sowie die Aktivitäten von Nationalbibliotheken, einzelner Einrichtungen und Netzwerken tragen wesentlich dazu bei, dass diese Aufgabe wahrgenommen wird. Doch
wie Peter Burnhill aufzeigte, sind bisher nur gut 20 Prozent der insgesamt erscheinenden, elektronischen Zeitschriften auf diese Weise dauerhaft gesichert. Von daher bestehe für die kommenden Jahre ein dringender Bedarf die Langzeitarchivierung von Zeitschriften massiv voranzutreiben, bevor es zu spät ist. Um entsprechende Aktivitäten verfolgen zu können, empfiehlt sich die Registrierung archivierter Bestände im Kontext der ISSN, um die langfristige Verfügbarkeit von E-Journals
quasi an erster Stelle nachzuweisen. Mit den digitalen Medien ist zugleich ein sehr
ausgeprägtes Aufkommen neuer Kommunikationswerkzeuge feststellbar, wie es
1
S. http://conference.ifla.org/ifla79/session-98
2
S. http://library.ifla.org/121/1/098-burnhill-en.pdf
zum einen in den sog. social media - Margaret Tan (Nanyang Technological University, Singapore): Implementing agile management through collaborative social
computing 3 - und zum anderen in Online-Kursen im Rahmen der Lehre, wie das
Beispiel von ‚massive open online courses’ (MOOCs) wahrgenommen werden kann.
Dabei ist bemerkenswert, dass auf diesem Wege verstärkt Inhalte ausgetauscht
werden, was einerseits zu neuen Formen des knowledge managements beiträgt und
andererseits die Bibliotheken als content provider herausfordert. Dabei ergibt sich
bei den social media für Bibliotheken die Chance, die Nutzer zu navigieren und damit zur Qualitätssteigerung des Wissenstransfers beizutragen. Andere Herausforderungen stellen sich bei ‚MOOCs’, die sich stärker auf lizenzrechtliche Fragen bei der
Bereitstellung und Nutzung von Artikeln und Beiträgen aus E-Books und E-Journals
beziehen; in diesem Zusammenhang sind neue Modelle der Überprüfung von Zugangsberechtigung
und
der
Bezahlung
von
Lizenzgebühren
notwendig,
wie
Mariellen F. Calter (Stanford University, Stanford, CA, USA): MOOCs and the library: engaging with evolving pedagogy 4 und Joyce Chao-Chen Chen (National Taiwan
Normal University, Taipei, Taiwan, China): Opportunities and challenges of MOOCs:
perspectives from Asia 5 zeigten. Beide Beispiele belegen, wie sich das Knowledge
Management zunehmend ins Internet verlagert und sich daraus ganz neue Fragestellungen für die bibliothekarische Arbeit ergeben. Diese Entwicklungen verdeutlichen auch die neuen Formen der Recherche und Auffindbarkeit von Inhalten. Discovery ist in diesem Kontext das Stichwort, das einen signifikanten Wandel bibliothekarischer Rechercheinstrumente charakterisiert. Wie Tamar Sadeh (Ex Libris, Jerusalem, Israel): From search to discovery 6 eindrucksvoll zeigte, führen DiscoverySysteme zu einer bemerkenswerten Erweiterung des Recherchepotenzials und zu
einer erheblichen Qualitätssteigerung von Rechercheergebnissen, wie sie mit den
traditionellen ‚Online Publikumskatalogen’ nicht zu erreichen sind. Das Potenzial
geht aufgrund der Möglichkeiten, auf Artikelebene mit Hilfe von Facettierung zu recherchieren, deutlich darüber hinaus und lässt die Nutzerinnen und Nutzer nicht nur
finden, sondern auch ‚entdecken’, indem Ergebnisse ausgeworfen werden, die über
den Suchbegriff im engeren Sinne hinausgehen und damit neue Kontexte aufzeigen
3
S. http://library.ifla.org/259/1/098-tan-en.pdf
4
S. http://library.ifla.org/160/1/098-calter-en.pdf
5
S. http://library.ifla.org/157/1/098-chen-en.pdf
6
S. http://library.ifla.org/104/1/098-sadeh-en.pdf
und vermitteln. Zugleich wird so das Potenzial digitaler Recherchemethoden sehr
viel stärker als bei OPACs ausgeschöpft, was insbesondere bei digitalen Medien die
Bedeutung herkömmlicher Katalogisierungsverfahren mehr und mehr abnehmen
lässt. Der damit angesprochene Wandel bibliothekarischer Aufgaben wirkt sich in
der weiteren Folge dann auch auf das Management von Bibliotheken und dessen
notwendige Veränderung aus. Dies wurde von Andrew Wells (University of New
South Wales, Sydney, Australia): Agile management: strategies for success in
rapidly changing times: an Australian University Library perspective am Beispiel der
von ihm geleiteten Bibliothek aufgezeigt. Die digitale Transformation hat eine permanente Überprüfung bestehender Aufgabe und Strukturen zur Folge, um sicherzustellen, dass Bibliotheken den Anforderungen und Erwartungen an eine digitale Informationsversorgung gerecht werden. Die sich daraus ergebenden Veränderungen
setzen über den Einsatz neuer Technologien auch ein Change-Management voraus,
das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Chance gibt, neue Wege erfolgreich
zu beschreiten.
Dass Bücher und Texte als Leitmedien bibliothekarischer Arbeit im Zuge der Digitalisierung der Medien durch Daten und Datenbestände unterschiedlicher Formate
und Herkunft ersetzt werden, gehört auch zu den prägenden Komponenten der
Transformation. Auf diese Weise ergeben sich neue Möglichkeiten der Inhaltsrecherche wie beispielsweise das Data- und Text-Mining. Durch die Aufbereitung von
Datenbeständen zu Linked Open Data (LOD) auf der Grundlage des Resource Description Format (RDF) wird darüber hinaus die Kontextualisierung von Daten möglich, so dass wesentlich besser als bisher auf der Grundlage automatisierter Verfahren Beziehungen und Bezüge zwischen Namen, Orten, Publikationen etc. hergestellt
werden können. Mit den beiden folgenden Veranstaltungen wurden wesentliche Aspekte dieser Thematik behandelt: „Gold mining! Text and data mining of journals:
librarians, publishers and researchers excavating the treasure trove” 7 und “Expanding MARC metadata services with linked open data” 8. In der Veranstaltung zum
Text- und Datamining wurde ein Überblick zu geeigneten Verfahren der Daten- und
Textauswertung von Artikeln von E-Journals gegeben und auf bestehende Einschränkungen ihres Einsatzes hingewiesen, die technisch und urheberrechtlich be-
7
S. http://conference.ifla.org/ifla79/session-165 and: Ann Okerson: Text & data mining. A
librarian overview – http://library.ifla.org/252/1/165-okerson-en.pdf
8
S. http://conference.ifla.org/ifla79/session-222
dingt sind. Denn der Einsatz dieser Verfahren setzt die Zustimmung der Rechteinhaber der E-Journal-Portfolios (Publisher) voraus, was in den Verträgen zu EJournal-Paketen zu berücksichtigen ist. Zugleich sind übergreifende Artikelrecherchen mit technischen Herausforderungen konfrontiert, die die Aufbereitung von Inhalten sowie die dafür verfügbaren technischen Ressourcen (Storage) betreffen.
Nicht zuletzt ist die Nachfrage auf Nutzerseite bisher noch nicht sehr stark ausgeprägt – dieser Sachverhalt könnte sich aber wesentlich schneller verändern als bisher angenommen. Denn die neuen Möglichkeiten der Daten- und Textrecherche
enthalten ein Potenzial, das Nutzer und Nutzerinnen besser als mit traditionellen
Katalogsuchen fündig werden lässt und nur in digital verfügbaren Inhalten möglich
ist. Für die Kontextualisierung von Datenbeständen durch Verlinkung von RDFstrukturierten Datenbeständen bieten strukturiert vorliegende Metadaten bibliothekarischer Katalog- und Normdaten beste Voraussetzung. Entscheidend ist allerdings, dass sich mit Hilfe dieser Verfahren die bisher überwiegend als Arbeitsgrundlage genutzten Datenbestände nun zu integralen Bestandteilen des Semantic WEB
entwickelt lassen – bibliografische Daten, die zur Herstellung semantischer Beziehungen beitragen, sind von großem Interesse, wie nicht zuletzt die Integration der
Gemeinsamen Normdatei (GND) in Wikipedia-Einträge zu erkennen gibt.
Neben der Auseinandersetzung mit der Auswertung, Recherche und Verfügbarkeit
von Texten spielen vor allem bei alten und wertvollen Bibliotheksbeständen Bildmaterialen und Bebilderungen in mittelalterlichen Handschriften, Inkunabeln und
Druckschriften des 17. und 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Für die Erforschung der Bestände und ihres Umfeldes sowie als Quelle der historischen Forschung sind diese Materialien von großer Bedeutung. Zugleich ist die Auffindbarkeit
von Bildern in Buchbeständen keineswegs trivial, so dass die Entwicklung ITgestützter Verfahren und Werkzeugen dafür ganz neue Möglichkeiten bietet. Die
Veranstaltung „Images, lost and found: innovative approaches to discovery and use
of visual material found in rare books, manuscripts, and special collections - Art
Libraries with Rare Books and Manuscripts” 9 eröffnete mit der Präsentation entsprechender Lösungen ganz neue Perspektiven. Besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Giles Bergel, Alexandra Franklin, Michael Heaney, Relja Arandjelovic, Andrew Zisserman, Donata Funke: Content-based image recognition on printed
9
S. http://conference.ifla.org/ifla79/session-202
broadside ballads: The Bodleian Libraries' ImageMatch Tool10 und Klaus Ceynowa:
The image is the record - similarity-based image search for visual materials in digitized library collections: The approach of the Bavarian State Library 11. Mit den beiden Beiträgen wurden die in Oxford und München eingesetzten Verfahren für die
Recherche und den Vergleich von Abbildungen in digitalisierten Druckbeständen
vorgestellt. Dabei kommen einerseits die Möglichkeiten der Mustererkennung (Oxford) und andererseits das Potenzial einer parameterbezogenen Vermessung von
Bildmaterial (München) zum Einsatz. Ob solche Verfahren auch für die Erfassung
und Erschließung von Bibliotheksbeständen eingesetzt können, wird die weitere
Entwicklung zeigen. In jedem Fall wird an diesen Beispielen deutlich, dass die digitale Transformation zu vollkommen neuen Arbeitsweisen und Nutzungsformen von
Bild- und Buchbeständen führt.
Insgesamt gab der 79. IFLA-WLIC zu erkennen, auf welchen Feldern und in welcher
Weise die digitale Transformation weltweit Bibliotheken verändert und weiterentwickelt. Ebenso erfrischend wie spannend ist, dass alle diese Entwicklungen noch
nicht zum Abschluss gekommen sind. Transformation und Wandel auf unterschiedlichen Feldern bibliothekarischer Arbeit so ganz unmittelbar mitzuerleben, ist mit Sicherheit auch ein Abenteuer, das sich niemand – auch keine Bibliothekskollegin
oder Bibliothekskollege - wirklich entgehen lassen möchte.
10
S. http://library.ifla.org/209/1/202-bergel-en.pdf
11
S. http://library.ifla.org/180/1/202-ceynowa-en.pdf