2014_05_08_09_commentaire va

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2014_05_08_09_commentaire va
Donnerstag, 8. und Freitag, 9. Mai 2014 – 20 Uhr 30
Palais de la musique et des congrès – Salle Erasme
Orchestre philharmonique de Strasbourg
Antoni Wit Leitung
Nikolai Demidenko Klavier
Mieczysław Karłowicz (1876-1909)
Stanisław i Anna Oświecimowie (Stanislaw und Anna Oswiecim) op. 12
22’
Sergei Rachmaninow (1873-1943)
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
22’
Wojciech Kilar (1932-2013)
Kościelec 1909
16’
Bedřich Smetana (1824-1884)
Má Vlast (Mein Vaterland), Auszüge:
Vltava (Die Moldau)
Šárka
12’
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Mieczysław Karłowicz
Stanisław i Anna Oświecimowie (Stanislaw und Anna Oswiecim) op. 12
Mieczysław Karłowicz wurde 1876 im polnischen Wiszniewo (heute Wischnewa in
Weißrussland) geboren, wo seine wohlhabende und kultivierte Familie ein Gut
besaß. Sein Vater war Philologe, Ethnograph und Amateurkomponist. Nach
Aufenthalten in Heidelberg, Prag und Dresden ließ sich die Familie 1887 in
Warschau nieder, wo Mieczysław Geige studierte. Er setzte seine musikalische
Ausbildung in Berlin bei Friedrich Urban fort und beschloss, sich auf das
Komponieren zu konzentrieren. Als er 1901 nach Warschau zurückkehrte, hatte er
bereits mehrere Lieder, seine Sinfonie „Wiedergeburt“ und die Bühnenmusik zu
Jozafat Nowinskis Stück Weißes Täubchen geschrieben. Enttäuscht vom
Warschauer Musikleben, ging er immer öfter auf Reisen und ließ sich schließlich in
Zakopane in der Hohen Tatra nieder. Dort widmete er sich seinen anderen
Leidenschaften neben der Musik: dem Bergsteigen, Skifahren und der Fotografie. Im
Februar 1909 kam er bei einem Skiunfall ums Leben.
Zwischen 1903 und 1908 komponierte Mieczysław Karłowicz fünf Sinfonische
Dichtungen. Das 1907 vollendete Werk Stanislaw und Anna Oswiecim op. 12
beschrieb er selbst als polnische Version von Romeo und Julia. Die Idee zu der
Komposition gab ihm ein Gemälde des polnischen Künstlers Stanislas Bergmann
(1862-1930). Es stellt ein sich liebendes Geschwisterpaar dar, von dem eine Sage
aus dem 17. Jahrhundert handelt. In der Partitur gab Karłowicz folgende Einleitung
(Originalwortlaut): „Da die polnische Sage von den Oswiecims dem Publikum
unbekannt sein dürfte, so sieht sich der Komponist veranlasst, sie an dieser Stelle in
einigen Worten wiederzugeben. Stanislaw, der fern vom Elternschlosse
aufgewachsen war, sah zum ersten Male seine Schwester Anna als schon beinahe
erwachsenes, schönes Mädchen. Sie gewannen sich lieb. Die Sündigkeit dieses
Gefühls tief bewusst, versuchten beide mit ihm zu kämpfen. Doch vergebens.
Stanislaw eilte nach Rom und es gelang ihm nach langem Flehen die päpstliche
Erlaubnis zur Ehe mit seiner Schwester zu erhalten. Als er nun nach dem
Elternhause heimstürmt, hört er die Totenglocke der Schlosskapelle läuten. Anna ist
soeben verschieden. Nicht lange überlebte Stanislaw seine Schwester. Eine
verfallene Kapelle in Krosno birgt dies Liebespaar, das kein Glück auf Erden genoss,
im Tode für Ewigkeit vereint.“ Man fühlt sich an den ersten Aufzug von Wagners
Walküre und die inzestuöse Liebe zwischen Sieglinde und Siegmund erinnert.
Zwei Themen durchziehen Karłowicz Komposition: das überschwängliche StanislawThema und das lyrisch-melodische Thema der Anna. Ein düsteres Motiv, das
zunächst von der Bassklarinette ausgeführt wird, gewinnt im Verlauf des Werks an
Bedeutung und kulminiert in dem ergreifenden Trauermarsch, der die Komposition
beschließt. Der polnische Musikwissenschaftler Adolf Chybiński bezeichnete
Stanislaw und Anna Oswiecim als „grandioseste Sinfonische Dichtung der polnischen
Musik“.
Sergei Rachmaninow
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Im Dezember 1917, unmittelbar nach der Oktoberrevolution, verließ Sergei
Rachmaninow Russland für immer und ließ sich mit seiner Familie in den Vereinigten
Staaten nieder. Nur die Sommermonate würde er künftig in Europa verbringen. Neun
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Jahre lang widmete er sich ausschließlich seiner Karriere als Konzertpianist. Das
Komponieren nahm er erst 1926 mit dem Klavierkonzert Nr. 4 wieder auf. Die
Rhapsodie über ein Thema von Paganini stammt von 1934. Vier Jahre zuvor hatte
Rachmaninow bei einem Schweiz-Aufenthalt die Landschaften um den
Vierwaldstättersee kennen und lieben gelernt und im Kanton Luzern ein Grundstück
erworben. „Diese sanften, friedlichen Täler wecken in ihm die besten Erinnerungen
an Russland. Er kauft ein Grundstück, auf dem ein Haus errichtet werden wird. Es
wird 1934 fertig gestellt und auf den Namen Senar getauft – ein Akronym aus den
Vornamen seiner beiden Besitzer, Sergei und Natalia Rachmaninow.“ Hier, in Senar,
komponierte er zwischen dem 3. Juli und dem 18. August 1934 die Rhapsodie über
ein Thema von Paganini. „Vor zwei Wochen habe ich ein neues Stück beendet. Es
handelt sich um eine Fantasie für Klavier und Orchester in Form von Variationen
über ein Thema von Paganini – dasselbe, über das Liszt und Brahms ihre
Variationen schrieben. Das Stück ist recht lang, 20 bis 25 Minuten, was ungefähr der
Dauer eines Klavierkonzerts entspricht.“ Besagtes Thema stammt aus dem letzten
der 24 Capricci für Violine von Niccolò Paganini. Die Rhapsodie folgt der klassischen
Dreisatzstruktur und kann als Rachmaninows fünftes Klavierkonzert gelten.
Das Werk beginnt mit einer kurzen Introduktion, der noch vor der Exposition des
Themas die 1. Variation folgt. Die ersten zehn Variationen entsprechen einem
Allegro. „Die Handschrift ist elegant, klar und nervös.“ In der 7. Variation taucht
erstmals das Dies Irae auf, die drei folgenden Variationen sind von dramatischerem
Gepräge. Die 11. Variation gleicht einem Andante. Bis zur 15. wird das Tempo
beschleunigt, beruhigt sich dann aber wieder. Ab der 19. Variation beginnt das
Finale, das „zunächst lebhaft, rhythmisch und leicht ist, dann immer kraftvoller wird“.
In der 24. und letzten Variation setzt noch einmal das Dies Irae ein. Die Rhapsodie
fand sofort Gefallen beim Publikum, wohl aufgrund der ihr innewohnenden und
deutlich spürbaren „Freude am Komponieren“. „Auffallend ist, dass Rachmaninow in
diesem Werk einen neuen Stil anwendet. Verschwunden sind die typisch russischen,
melodischen Themen. Durch ihre lakonische Sprache, den sparsamen Einsatz des
Pedals und die trockenen, sich wiederholenden Episoden gleicht die Komposition
einem zeitgenössischen Werk. Die wenigen Variationen, die in Rachmaninows altem
Stil geschrieben sind, heben diesen neuartigen Charakter nur noch mehr hervor.“ Die
Reminiszenzen an den „alten Stil“ sind ein Zeichen der Selbstironie. Rachmaninow
selbst ließ verlauten, er habe die schwärmerische 18. Variation nur für seinen
Impresario komponiert; und die 24. Variation endet mit einer spöttischen Wendung,
die den hochtrabenden Ton dieses letzten Teils infrage stellt.
Die Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43 wurde am 7. November 1934 in
Baltimore mit Rachmaninow am Flügel und dem Philadelphia Orchestra unter Leitung
von Leopold Stokowski uraufgeführt. Zur Musik der Rhapsodie schrieb Michel Fokin
1936 gemeinsam mit Rachmaninow ein Ballett mit dem Titel Paganini.
Wojciech Kilar
Kościelec 1909
Der am 29. Dezember 2013 verstorbene Wojciech Kilar war ein enger Freund von
Antoni Wit, dem Dirigenten des heutigen Abends. Kilar wurde 1932 geboren. Sein
Vater war Arzt, seine Mutter Schauspielerin. Er studierte Klavier und Komposition in
Katowice und setzte seine Ausbildung zwischen 1959 und 1960 bei Nadia
Boulanger in Paris fort. Zurück in Polen gab er Unterricht und tauchte ins
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musikalische Leben ein. Er wurde zum Vizepräsidenten des Verbandes polnischer
Komponisten ernannt, gründete die Karol-Szymanowski-Gesellschaft und engagierte
sich außerdem vielseitig in der Politik seines Heimatlandes.
Kilars Kompositionsstil war anfangs stark vom polnischen und europäischen
Neoklassizismus geprägt. In den 60er Jahren begründete er dann mit Krzysztof
Penderecki und Henryk Górecki eine avantgardistische Strömung, die von
Serialismus und Zwölftonmusik beeinflusst war. Doch alle drei wandten sich später
von dieser Ästhetik ab und einem „klassischeren“ Stil zu. Kilar komponierte
zahlreiche Chor- und Orchesterwerke über volkstümliche oder religiöse Themen.
Internationale Bekanntheit erlangte er jedoch mit seiner Filmmusik. Von den
zahlreichen großen Regisseuren, für die er komponierte, seien Roman Polański,
Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi, Krzysztof Kieślowski, Francis Ford Coppola und
Jane Campion genannt. Insgesamt schrieb er die Musik zu 130 Filmen, darunter:
Sami swoi von Sylwester Chęciński (1967), Struktur des Kristalls (1969) von
Krzysztof Zanussi, Das gelobte Land (1975) von Andrzej Wajda, Der König und der
Vogel (1980) von Paul Grimault, Korczak (1990) von Andrzej Wajda, Dracula (1992)
von Francis Ford Coppola, Fantôme avec chauffeur (1996) von Gérard Oury, Pan
Tadeusz (1999) von Andrzej Wajda und Der Pianist (2002) von Roman Polański.
Kościelec 1909 komponierte Kilar im Jahr 1976 zum 75. Jubiläum der Warschauer
Nationalphilharmonie und in Gedenken an Mieczysław Karłowicz, der am 8. Februar
1909 bei Mały Kościelec in der Hohen Tatra ums Leben gekommen war. Kilar
verspürte eine wachsende Seelenverwandtschaft mit Karłowicz und thematisierte in
dieser Sinfonischen Dichtung den tragischen Unfalltod des Komponisten. Er schrieb:
„Es ist eine Geschichte von Mensch und Berg und ihrer faszinierenden und
tragischen Beziehung, eine Apotheose und ein Epitaph, ein Gesang von Liebe und
Tod.“
Seine Komposition analysierte er wie folgt: „Die dramatis personae in Kościelec
werden, wenn man so will, von drei Themen oder symbolischen Motiven verkörpert.
Das ‚Kościelec-Thema‛ ist eine Art Chor und steigt aus den tiefen Kontrabasslagen
auf wie ein Berggipfel aus dem sich lichtenden Nebel. Nach und nach erhebt sich
das Thema bis in die höchsten Streicherlagen, wird immer dichter und kraftvoller und
gipfelt schließlich in einer ersten, strahlenden Klimax des Werkes. In der Folge wird
der Anstieg des ‚Kościelec-Themas‛ von einem zweiten, parallel verlaufenden Thema
unterbrochen, das ich ‚Abgrund’ genannt habe und das immer mehr an Bedeutung
gewinnt. Es wird zunächst von den Streichern ausgeführt und steigt dann bei den
Holzbläsern in die höchsten Tonlagen hinauf. Die darauf folgenden Verwandlungen
des ‚Kościelec-Themas‛ bereiten auf das dritte, melodisch am stärksten entwickelte
Motiv vor: das ‚Schicksalsthema’. Es handelt sich um eine Art Chorgesang aus
regelmäßigen Achtelnoten, der sich im Gegensatz zu den Gebirgsliedern, die im
‚Kościelec-Thema‛ anklingen, eher an den volkstümlichen Gesängen der polnischen
Täler orientiert. Dieses Thema, das im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Jenseits
kommt, ist sowohl durch seine Symbolkraft, als auch durch seine Rolle im
Spannungsaufbau der Komposition von ganz besonderer Bedeutung. Es bereitet den
exponiertesten Teil des Werkes vor (um einen Ausdruck der Bergsteiger zu
verwenden): die Rückkehr des ‚Abgrund-Themas’ bei den Blechbläsern. Ich wollte
Kościelec als eine einzige, große Gradation gestalten. Die plötzlichen, wiederholten
Unterbrechungen des Spannungsbogens dienen zur Vorbereitung der sukzessiven
Höhepunkte, die immer dramatischer werden.“
Kościelec 1909 wurde am 5. November 1976 unter Leitung von Witold Rowicki in
Warschau uraufgeführt.
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Bedřich Smetana
Má Vlast (Mein Vaterland), Auszüge:
Vltava (Die Moldau)
Šárka
Die Frage der nationalen und kulturellen Identität Tschechiens beschäftigte
zahlreiche Künstler des 19. Jahrhunderts, allen voran Bedřich Smetana. 1860
komponierte er einen der ersten Chöre in tschechischer Sprache (Tschechisches
Lied). „Er war Musiker und Bürger, verstand seine Arbeit als patriotische Mission und
widmete sich dem Unterricht und ab 1861 ausschließlich dem Nationaltheater.“ Mit
47 Jahren machte sich Smetana an die Komposition seiner beiden nationalen
Meisterwerke: Má Vlast (Mein Vaterland) und Libuše (Libusa). Die Arbeit an Mein
Vaterland, einem sechsteiligen sinfonischen Zyklus, begann 1874 mit Vyšehrad und
endete 1879 mit Blaník. 1874 setzte auch jenes Ohrenleiden ein, das schließlich zur
völligen Taubheit Smetanas führen sollte. Die sechs Sinfonischen Dichtungen
thematisieren tschechische Landschaften (Die Moldau, Aus Böhmens Hain und Flur)
und historische Ereignisse, Personen oder Orte (Vyšehrad, Šárka, Tábor, Blaník).
Vltava (Die Moldau), der zweite Teil des Zyklus’, begründete Smetanas
internationalen Ruhm. Das Werk, das er in nur drei Wochen, zwischen November
und Dezember 1874, zu Papier brachte, schildert den Lauf der Moldau und enthält
Klanggemälde von vorimpressionistischer Schönheit. Smetana hat die verschiedenen
Etappen der Flussreise durch Untertitel klar gekennzeichnet. Flöte und Klarinette
repräsentieren „Die beiden Quellen der Moldau“, die sich zum Fluss vereinen und
deren Thema sich durch die ganze Komposition zieht. Es folgen zwei Szenen:
„Waldjagd“ (Blechbläser) und „Bauernhochzeit“ (Polka, ausgeführt von Holzbläsern
und Streichern). Dann wird es Nacht, der Mond spiegelt sich im Wasser und die
Partitur nimmt eine impressionistische Färbung an („Mondschein, Nymphenreigen“).
Doch schon geht es hinab in die „St. Johann-Stromschnellen“, das Hauptthema kehrt
zurück und „zerschellt in gewaltigen Wellenschlägen des Orchesters“. Schließlich
sieht man, wie „Die Moldau in ihrer ganzen Breite“ majestätisch durch Prag fließt,
vorbei an der Burg Vyšehrad (erster Teil des Zyklus’), die sich über dem Fluss erhebt
und deren Thema nun noch einmal erklingt.
Šárka, der dritte Teil des Zyklus’, ist eine Ode „an die starke tschechische Seele, die
erfüllt ist von tiefer und leidenschaftlicher Abscheu gegen alles Unrecht, flammender
und aufopfernder Liebe, überschäumender Freude und einer Neigung zur
Rachsucht“. Die Sinfonische Dichtung erzählt von der Amazonenkönigin Šárka, die
von ihrem Geliebten, dem Prinzen Ctirad, betrogen wurde und der Männerwelt
Rache geschworen hat. Sie lässt sich von ihren Amazonen als Köder an einen Baum
binden und verführt mit ihrem Gesang (Klarinette) den Prinzen Ctirad (Cello), der sie
„befreit“. Es folgt eine kurze Romanze, die beiden feiern Hochzeit, und bei dem
Gelage werden Ctirad und seine Männer mit Met betäubt. Als sie schlafen, ruft Šárka
mit ihrem Horn die Amazonen, und die Männer werden grausam niedergemetzelt.
Šárka wurde am 17. Mai 1877 uraufgeführt.
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Bibliografie
Folgende Werke wurden herangezogen:
Serge Rachmaninoff, Jacques-Emmanuel Fousnaquer, Seuil
La Musique dans les pays tchèques, Guy Erismann, Fayard
Diskografie
Mieczysław Karłowicz
Stanisław i Anna Oświecimowie (Stanislaw und Anna Oswiecim) op. 12
BBC Philharmonic unter Leitung von Yan Pascal Tortelier
Chandos
Warschauer Philharmonie unter Leitung von Antoni Wit
Naxos
Sergei Rachmaninow
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Bernd Glemser (Klavier)
Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks unter Leitung von Antoni Wit
Naxos
Sergei Rachmaninow (Klavier)
Philadelphia Orchestra unter Leitung von Leopold Stokowski
RCA
Wojciech Kilar
Kościelec 1909
Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks unter Leitung von Antoni Wit
Naxos
Bedřich Smetana
Má Vlast (Mein Vaterland)
Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks unter Leitung von Antoni Wit
Naxos
Wiener Philharmoniker unter Leitung von Rafael Kubelik
Decca
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