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JAN WE I LER M E I N L E B E N ALS MENSCH Der Kummer mit dem Namen Nick Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco A ls ich ein kleiner Junge war, wollte ich viel lieber „Sven“ heißen. Ich kann mich nicht genau daran erinnern, warum ich „Sven“ heißen wollte, aber eine Zeitlang war es mein sehnlichster Wunsch. Vielleicht verhieß der Name „Sven“ Abenteuer. Oder ich fand den Klang schön. Oder es gab in der Schule einen coolen Sven, aber wenn der damals existierte, so habe ich ihn lange vergessen. Ich dachte wohl ebenfalls über „Andreas“ nach, aber diesen Namen gab es in meiner und den drei Parallelklassen zehnfach. Die Welt gehörte zu jener Zeit den in den sechziger Jahren geborenen Andreassen, den Thomasens, den Stefans und den Michaels. Alles lange stolze Namen. Mein eigener Name erschien mir zu kurz. Da ich zudem auch nicht besonders groß gewachsen war, kam ich mir immer vor wie ein halbierter Riese mit einem amputierten Namen. Obwohl „Sven“ ebenfalls einsilbrig war, verfügte dieser Vorname dennoch über einen Buchstaben mehr und eine gewisse skandinavische Exotik, die meinem Namen gänzlich fehlte. Allenfalls für einen Holländer wurde man damit gehalten und die waren am linken Niederrhein nicht selten und schon gar nicht exotisch. „Ian“ hätte ich besser gefunden, dann hätte man mich wenigstens für einen Briten gehalten. Ich musste außerdem damit leben, dass ich mich immer gerufen fühlte, wenn jemand von weitem „Ja“ rief, was viel öfter geschieht, als Sie glauben. Mein kleiner Stummelname wurde später sehr populär und in den neunziger Jahren sogar zum beliebtesten Jungennamen Deutschlands. Jahrelang dominierte „Jan“ die Beliebtheits-Statistiken. Das ist für mich heute sehr von Vorteil, denn mein Name regt bisweilen zu dem angenehmen Missverständnis an, ich sei viel jünger als 43. Das ist ein Effekt, den der 60jährige Thomas Gottschalk bestimmt auch kennt. Er wurde ein knappes Jahrzehnt vor dem Boom seines Vornamens geboren. Die Thomasse, die heute fünfzig sind, halten ihn für einen aus ihrem Jahrgang. Auf jeden Fall habe ich mich mit meinem Nämelchen gut abgefunden, er ist nämlich auch praktisch. Ich muss ihn nie buchstabieren oder erklären. Da haben es viele Mitmenschen viel schwerer als ich. Immer, wenn ich ein Buch mit der Widmung „Für Kathrin“ signieren soll, muss ich fragen: „Mit „C“ oder „K“ und mit „t“ oder „th“? Jedes Mal. Ich bin immer froh, wenn jemand ein Buch für Peter oder Ute oder eben Jan haben möchte, denn das geht ganz schnell, weil man nicht darüber nachdenken muss. Ich habe großes Verständnis für Namensänderungen, aus welchen Gründen auch immer sie erfolgen mögen und sogar, wenn es gleich um eine ganze Stadt geht. Mönchengladbach hieß zum Beispiel bis 1950 „München Gladbach,“ wollte dann aber nicht mehr mit einer bayerischen Gemeinde verwechselt werden. Ich habe auch gelesen, dass der kleine Ort „Detroit“ ab sofort lieber „Detroit Lake“ genannt werden möchte, weil die Namensgleichheit zwischen dem großen und dem kleinen Detroit auch einen unglücklichen Imagetransfer von der Auto– und Verbrechensmetropole in Michigan auf die ländliche Kleinstadt in Oregon bedeutet. Nur bei meinem Sohn teile ich dessen Einwände gegen seinen Namen eher nicht. Nick findet, er würde heißen wie ein Schluckauf. Das erklärte er mir neulich abends, nachdem ich ihm vorgelesen hatte. Ich wollte das Licht löschen, als er mich fragte, ob ich sehr traurig wäre, wenn er anders heißen wolle. Ich antwortete ihm, dass ich es schon schade fände, weil ich mir auch gar keinen anderen Namen für ihn vorstellen könne. Daraufhin erläuterte er mir die Sache mit dem Schluckauf und dass er deshalb lieber einen anderen Vornamen hätte. „Welchen denn?“ „Bernard,“ sagte er und sprach den Namen amerikanisch aus. „Oder Jason.“ „Oder beides,“ sagte ich, um ihm die Entscheidung abzunehmen. Er war einverstanden. Heute Morgen fiel ich der Länge nach über seine Gummistiefel. Ich brüllte: „Jason Bernard, sofort herkommen und aufräumen.“ Es tat sich nichts. Ich brüllte: „Nick!“ und er kam. Ich denke, wir bleiben dabei. Jason Bernard ist kein guter Name für pädagogische Maßnahmen. 08 . NOVEMBER 2010