Die Konstruktion und Instrumentalisierung von Identität und

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Die Konstruktion und Instrumentalisierung von Identität und
AIPA 2/2014
Arbeitspapiere zur Internationalen Politik
und Außenpolitik
Michaela Zimmermann
Die Konstruktion und
Instrumentalisierung von Identität und
Geschlecht im War on Terror
Lehrstuhl Internationale Politik
Universität zu Köln
ISSN 1611-0072
AIPA 2/2014
Arbeitspapiere zur Internationalen Politik
und Außenpolitik
Michaela Zimmermann
Die Konstruktion und
Instrumentalisierung von Identität und
Geschlecht im War on Terror
ISSN 1611-0072
Lehrstuhl Internationale Politik
Universität zu Köln, Gottfried-Keller-Str. 6, 50931 Köln
Redaktionelle Bearbeitung: Linda Kramer und Laura Lemmer
Köln 2014
Abstract
In dieser Arbeit wird geprüft, wie die Geschlechterbilder im Zusammenhang mit
kollektiven
Identitätskonstruktionen
eine
zentrale
symbolische
Ressource
darstellen. Dazu zählen die sozial konstruierten Vorstellungen über Männlichkeit
und Weiblichkeit sowie die damit einhergehenden Erwartungen und das daraus
resultierende geschlechtsspezifische Verhalten.
Am Beispiel des War on Terror und der Operation Enduring Freedom in Afghanistan
2001 wird gezeigt, wie die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten George
W. Bush gezielt Identitäten und insbesondere Geschlechterrollen konstruiert und zu
ihrem Zweck – die Mobilisierung von Verbündeten und die Legitimation des
Einsatzes – instrumentalisiert hat.
Eine inhaltsanalytische Untersuchung der verschiedenen Darstellungen von
Identität und Geschlecht seitens des Weißen Hauses erklärt, wie die Rekonstruktion
von Deutungsmustern, das politische Handeln angeleitet beziehungsweise
gerechtfertigt hat.
Michaela Zimmermann
hat Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und der Philipps-Universität
Marburg studiert. Kontakt: [email protected].
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................................... 5
2. Theoretischer und begrifflicher Rahmen ......................................................................... 3
2.1. Fragestellung und Forschungsmethode ................................................................. 3
2.2. Das Konzept des homo sociologicus ....................................................................... 6
2.3. Der Doing-Gender-Ansatz ........................................................................................ 8
3. Forschungsfeld: Konflikt, Identität und Geschlecht...................................................... 9
3.1. Der Einzug von Geschlecht in die Friedens- und Konfliktforschung................. 13
3.2. Militär und Geschlecht ............................................................................................ 15
3.3. Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe .................................................................... 17
4. Die Konstruktion von Geschlechterrollen ..................................................................... 19
4.1. Frieden und Weiblichkeit ........................................................................................ 19
4.2. Krieg und Männlichkeit .......................................................................................... 23
4.3. Sind Geschlechterrollen veränderbar? .................................................................. 25
5. War on Terror - Hintergründe und Akteure ................................................................... 26
5.1. Die Beziehungen zwischen den USA und den Taliban ...................................... 26
5.2. Die Situation der Frauen in Afghanistan unter den Taliban.............................. 28
5.3. Die Operation Enduring Freedom (OEF)................................................................. 30
5.4. Embedded media: Die Rolle der Medien .................................................................. 32
5.5. Embedded feminism: Die Instrumentalisierung von Frauenrechten .................... 34
5.6. Die Rolle der US-amerikanischen Frauenbewegung .......................................... 37
6. Analyse: Die Konstruktion und Instrumentalisierung von Identität und
Geschlecht im War on Terror ................................................................................................ 39
6.1. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring....................................................... 39
6.2. Analyseergebnisse: Faktor Eigenidentität .............................................................. 42
6.3. Analyseergebnisse: Faktor Fremdidentität ............................................................. 45
6.4. Analyseergebnisse: Faktor Geschlechtliche Implikationen ..................................... 51
7. Die Auswirkungen des War on Terror ............................................................................ 57
7.1. Diskussion der Analyseergebnisse ........................................................................ 57
7.2. Die Auswirkungen auf die Lage der Frauen in Afghanistan............................. 61
7.3. Ausblick: Ein Krieg ohne Ende .............................................................................. 64
8. Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 67
Die Konstruktion und Instrumentalisierung von
Identität und Geschlecht im War on Terror
1. Einleitung
Am 20. September 2001 eröffnete der damalige US-Präsident George W. Bush in
seiner Rede vor dem US-Kongress den War on Terror1 mit den Worten:
Our war on terror begins with Al Qaida, but it does not end there.
It will not end until every terrorist group of global reach has been
found, stopped, and defeated (Bush 2001g).
Auslöser waren die Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Attentäter hatten
damals mehrere Passagierflugzeuge entführt und auf das World Trade Center in
New York sowie das Pentagon in Washington gelenkt. Zu den Anschlägen bekannte
sich Al-Qaida, ein Terrornetzwerk, das in Afghanistan mit Unterstützung der
Taliban zahlreiche Ausbildungslager unterhielt (Nachtigall 2012, S. 9).
Unzählige Forschungsarbeiten beschäftigen sich seither mit der Entstehung,
der Entwicklung und den Auswirkungen des islamistischen Terrorismus und dem
internationalen Kampf für seine Eindämmung. Bei den Akteuren, die in diesem
Zusammenhang von der Wissenschaft beleuchtet werden, handelt es sich um
Staaten, Regierungen, Militär sowie internationale Organisationen und die
Terrorgruppen selbst. Frauen oder die Bedeutung von Geschlecht spielen bei diesen
Untersuchungen nur selten eine Rolle. Wenn Frauen sichtbar werden, dann meist
als Mütter von gefallenen Soldaten, Opfer von repressiven Diktatoren oder arme
1 In Deutschland ist die gängige Bezeichnung Kampf gegen den Terrorismus oder auch Anti-TerrorKampf. Im Folgenden wird die Kursivschreibweise nicht als Mittel zur Hervorhebung verwendet,
sondern um konstruierte und dadurch mit einer besonderen Bedeutung versehene Begriffe sichtbar zu
machen. Zusätzlich werden englische Begriffe sowie Titel von Werken und Zeitschriften kursiv
gesetzt.
2
Identität und Geschlecht im War on Terror
Witwen, die nach Ende des Krieges um ihre Existenz fürchten (Klaus und Kassel
2008, S. 267). Doch gewaltförmige Konflikte werden auf geschlechtsspezifischem
Terrain konstruiert, geführt und legitimiert.
Angesichts der fortwährenden Aktualität und der aus feministischer
Perspektive offensichtlichen Notwendigkeit zum Anti-Terror-Kampf Stellung zu
beziehen, hat sich in der englischsprachigen Forschung eine regsame Debatte
entwickelt. Zudem hat sich in der feministischen Diskussion auch eine politische
Konfrontationslinie herausgebildet, denn ebenso wenig wie Frauen ausschließlich
Opfer von kriegerischer und terroristischer Gewalt sind, sprechen sie sich
ausnahmslos gegen den Anti-Terror-Krieg aus. Gerade im Westen ziehen viele
Feministen und Feministinnen die Befreiung anderer Frauen zur Legitimation von
staatlicher Gewalt heran2. Die deutschsprachige Debatte steht diesbezüglich an
einem anderen Punkt: Obwohl die Auswirkungen vom Anti-Terror-Kampf in den
letzten Jahren durchaus Einzug in Politik und Öffentlichkeit gehalten haben, kann
von keinem feministischen Forschungsfeld zu Terror und dem Kampf gegen den
Terrorismus im engeren Sinne gesprochen werden (Brunner, Eichler und
Purkarthofer 2008, S. 135-136). „To whatever extent women are visible in this war
on terror, the dynamics of gendered power remain problematically undertheorized” (Hunt und Rygiel 2006, S. 1).
Forschungsleitend für die vorliegende Arbeit ist die These, dass
Geschlechterbilder im Zusammenhang mit kollektiven Identitätskonstruktionen
eine zentrale symbolische Ressource darstellen. Sie verschärfen beziehungsweise
verstärken die diskursiven hierarchisierenden Prozesse, die die Grenze zwischen
eigener und fremder Identität ziehen. Es ist wichtig zu verstehen, wie die diskursive
Konstruktion von Eigen- und Fremdidentität sowie Geschlecht den US-geführten
Angriff auf Afghanistan als legitime Reaktion auf die Anschläge vom 11. September
2001 dargelegt hat. Zum Beispiel durch den Rückgriff auf die mutmaßliche
2
Siehe Kapitel 5.6.
M. Zimmermann
3
Frauenfeindlichkeit des Islam, die zu einer Zuspitzung der vermeintlichen
Differenzen zwischen Islam und dem Westen geführt hat.
Krieg und nun auch Terrorismus werden als rein männliche
Angelegenheit dargestellt und mit Frauenhass und Sexismus
erklärt, die wiederum als spezifisches Merkmal des Islams
gekennzeichnet werden (Nachtigall 2012, S. 43).
Durch die Untersuchung der verschiedenen Darstellungen von Identität und
Geschlecht in der Zeit nach den Terroranschlägen bis zum Amtsantritt der
afghanischen Übergangsregierung wird erklärt, wie die Rekonstruktion von
Deutungsmustern, das politische Handeln angeleitet beziehungsweise gerechtfertigt
hat.
Deutungsmuster
organisieren
individuelle
beziehungsweise
kollektive
Erfahrungen und implizieren meist Vorstellungen angemessenen Handelns.
Dadurch spiegeln Deutungsmuster die politische Wirklichkeit nicht einfach nur
wider. Indem sie bestimmte Themen, Ereignisse und Akteure betonen, erzeugen sie
eine spezifische Perspektive und legen dadurch eine bestimmte Bewertung der
Geschehnisse nahe (Nachtigall 2012, S. 77).
2. Theoretischer und begrifflicher Rahmen
2.1. Fragestellung und Forschungsmethode
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deutlich zu machen, dass Identität und
Geschlecht eine signifikante Rolle in der Konfliktanalyse spielen. Dazu zählen die
sozial konstruierten Vorstellungen über Männlichkeit und Weiblichkeit sowie die
damit
einhergehenden
Erwartungen
und
das
daraus
resultierende
geschlechtsspezifische Verhalten. Da das soziale Geschlecht in gewaltsamen
Konflikten ein komplexes Feld darstellt, beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf
die Konstruktion und Instrumentalisierung von Identität und Geschlecht in der
4
Identität und Geschlecht im War on Terror
Konflikt-Eskalationsphase.3 Die Frage, welche Rolle Geschlechterverhältnisse,
Geschlechterdiskurse und geschlechtsspezifische Identitäten im Entstehungskontext
gewaltsamer Konflikte spielen, gilt als untertheoretisiert und unterbeforscht.
Zwar ist die Forderung nach "Gendersensibilität" in der
Betrachtung gewaltsamer Konflikte und im Peacebuilding so
etwas wie eine neue Orthodoxie geworden; das bedeutet aber
nicht, dass Gender als Analysekategorie tatsächlich etabliert wäre
(Seifert 2006, S. 2).
Am Beispiel des Krieges gegen den Terror und der Operation Enduring Freedom in
Afghanistan 2001 wird gezeigt, wie die US-Regierung unter dem damaligen
Präsidenten
George
W.
Bush
gezielt
Identitäten
und
insbesondere
Geschlechterrollen konstruiert und zu ihrem Zweck – die Mobilisierung von
Verbündeten und die Legitimation des Einsatzes – instrumentalisiert hat.
Wie Krista Hunt und Kim Rygiel bereits 2006 in ihrem Werk (En)Gendering the War
on Terror klar gemacht haben:
As this conflict grows, spreads and deepens, it is more important
than ever to examine how diverse international actors are using
the war on terror as an opportunity to reinforce existing, and
create new, gendered inter/national relations (Hunt und Rygiel,
2006, S. 2).
Der deskriptive Teil der Arbeit klärt die wesentlichen Begriffe und Konzepte vor
dem Hintergrund der Fragestellung. Der Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses
liegt auf der Empirie: Wie wird Eigen- und Fremdidentität sowie Geschlecht
konstruiert und instrumentalisiert? Eine Theorie, die den Rahmen für diese Praxis
erklärt, ist das Handlungskonzept des homo sociologicus von Ralf Dahrendorf. Es
beruht auf der Annahme, dass Menschen die Träger sozialer Rollen sind, die
3 Die Friedens- und Konfliktforschung unterscheidet drei Phasen des Konflikts: die KonfliktEskalationsphase, die Zeit des offenen Konflikts und die Nach-Konflikt-Phase.
M. Zimmermann
5
Ansprüche der Gesellschaft von zweierlei Art beinhalten: Zum einen die Ansprüche
an das Verhalten der Träger von Positionen (Rollenverhalten) und zum anderen
Ansprüche
an
sein
Aussehen
(Rollenattribute)
sowie
seinen
„Charakter“
(Dahrendorf 2010, S. 35).
Daran knüpft das Doing-Gender-Konzept an, das nicht das konkrete
Handeln, aber die Reproduktion von Geschlecht erklärt. Beide Konzepte bilden die
Grundlagen für die spätere empirische Analyse.
Im empirischen Teil der Arbeit werden das methodische Vorgehen sowie die
Analyseergebnisse erläutert. Für die gewählte Fragestellung wurde die qualitative
Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring als Forschungsmethode ausgewählt, da diese
qualitativ-inhaltsanalytische Technik die Analyse des manifesten und latenten
Wissens
um
die
Bedeutung
einer
Handlungssituation
ermöglicht.
Die
Inhaltsanalyse wertet Material aus, das aus irgendeiner Art von Kommunikation
stammt. Dabei geht man systematisch, regel- und theoriegeleitet vor. Nicht nur
manifeste Inhalte, sondern auch formale Punkte sowie latente Sinnstrukturen
werden erfasst. Ziel ist der wissenschaftlich kontrollierte Nachvollzug bestimmter
Aspekte der Kommunikation (Mayring 2007, S. 11-13).
Kritiker dieses Forschungsansatzes sehen im induktiven Vorgehen keinerlei
Gewähr, dass die für den Einzelfall gewonnenen Befunde auch für eine größere
Gesamtheit gelten. Der qualitativen Inhaltsanalyse wird zudem vorgeworfen,
beliebiges Interpretieren zu zulassen und keinerlei Mittel zu generieren, um die
intersubjektive Überprüfbarkeit der Interpretationsbefunde zu sichern (Mayring
2007, S. 7).
Durchaus gibt es auch bei dieser Methode Einschränkungen, die beachtet
werden müssen: Zum einen muss diese spezifische Auswertungstechnik mit
Techniken der Datenerhebung und Datenaufbereitung kombiniert werden. Zum
anderen darf die Inhaltsanalyse nicht zu starr werden und muss auf den konkreten
Forschungsgegenstand ausgerichtet sein. Die Angemessenheit gegenüber dem
Untersuchungssachverhalt ist hierbei wichtiger, als die Systematik, denn so stellt
6
Identität und Geschlecht im War on Terror
die qualitative Inhaltsanalyse eine offene Methode dar, die Standards methodisch
kontrollierten Vorgehens genügen und sich an sozialwissenschaftlichen und
spezifisch inhaltsanalytischen Gütekriterien messen lassen kann (Mayring 2007, S.
116-117).
Abschließend werden diese kritisch im Hinblick auf die Fragestellung
reflektiert und den Ergebnissen vergleichbarer empirischer Untersuchungen
gegenüber gestellt. Gegebenenfalls können Empfehlungen formuliert werden, die
aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse dieser Arbeit an die Berufspraxis
beziehungsweise die Forschung weitergegeben werden können.
2.2. Das Konzept des homo sociologicus
Geschlecht ist ein soziologisches Phänomen, das sich weder auf die Makro- noch auf
die Mikroebene beschränken lässt. Auf der Makroebene weist es die Eigenschaften
eines Kollektivs auf. Es geht nicht um die Handlungen von Einzelpersonen, sondern
um Handlungsmuster innerhalb einer Gesellschaft. Daher müssen Ursachen und
Folgen von Geschlechterkonstruktionen unter anderem auf der Makroebene liegen.
Das Geschlecht richtet sich aber auch an Individuen, die auf gesellschaftliche
Rahmenbedingungen reagieren und damit einen kausalen Zusammenhang
zwischen einer bestimmten Ausgangsposition und dessen Wirkung auf die
Wahrnehmung von Geschlecht erzeugen (Lück 2009, S. 65-66).
Ein Modell, das die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft, Akteur und
Handlung aufgreift, ist das Konzept des homo sociologicus von Ralf Dahrendorf. In
Abgrenzung zum homo oeconomicus sowie dem psychological man beruht die
Handlungstheorie darauf, dass die Menschen als Träger sozial vorgeformter Rollen
verstanden werden. Soziale Rollen umfassen das erwartete Verhalten des Einzelnen,
der sich einer Gesellschaft gegenüber sieht, die den Einzelnen mit gewissen
Ansprüchen konfrontiert. Wie der Einzelne sich angesichts solcher Erwartungen
tatsächlich verhält, gewinnt an spezifischer Bedeutung. Die Kategorie der sozialen
M. Zimmermann
7
Rolle zeigt sich in drei Aspekten als Element soziologischer Analyse: 1) Soziale
Rollen sind gleich Positionen, die — unabhängig vom Einzelnen — Komplexe von
Verhaltensvorschriften bilden, 2) ihr Inhalt wird von der Gesellschaft bestimmt und
verändert sowie 3) diese gebündelten Verhaltenserwartungen haben eine gewisse
Verbindlichkeit, so dass sich der Einzelne nicht ohne Sanktionen entziehen kann
(Dahrendorf 2010, S. 39-40).
Darin zeigt sich normorientiertes Handeln, denn das unmittelbare Ziel
besteht darin, positive Sanktionen für das Verhalten zu ernten oder negative
Sanktionen zu verhindern. Es ist unerheblich, inwieweit der Akteur die Normen
und Erwartungen als richtig ansieht oder gar von ihnen profitiert (Lück 2009, S.
109).
Der homo sociologicus ist nicht autonom und geht vollständig in den
Erwartungen seines sozialen Umfeldes auf. Daher ist die Rollentheorie nur in Bezug
auf solche Fälle plausibel, in denen die Handlungen nicht das Ergebnis eines
bewussten rationalen Reflektierens sind. Ein homo sociologicus funktioniert nicht
ohne Gesellschaft, denn die entscheidenden Rahmenbedingungen sind die in dem
sozialen Milieu geltenden sozialen Normen sowie
die Erwartungen der
dazugehörigen Personen. Es sind nicht die strukturellen, sondern die sozial
konstruierten Umstände, die den homo sociologicus beeinflussen. In Bezug auf
geschlechtsspezifisches Verhalten betrifft das Situationen, in denen uns bestimmte
Normen und Erwartungen dazu verleiten, beispielsweise für Mädchen den
Strampelanzug in rosa und für Jungen in blau auszuwählen (Lück 2009, S. 83-85,
96).
Das Konzept des homo sociologicus kann zwei für diese Arbeit relevante
Punkte erklären: Zum einen warum „geschlechtsspezifisches Verhalten“ so weit
verbreitet ist und zum anderen, warum es selbst bei einem radikalen Umsturz der
Rahmenbedingungen (wie beispielsweise in einem gewaltsamen Konflikt) so
schwer fällt von diesen Geschlechterrollen abzurücken (Lück 2009, S. 83-85).
8
Identität und Geschlecht im War on Terror
2.3. Der Doing-Gender-Ansatz
Daran knüpft das Doing-Gender-Konzept von Candace West und Don H.
Zimmerman an, das sich mit der Analyse von sozialen Prozessen beschäftigt, die
zwei Geschlechter hervorbringen und stetig rekonstruieren. Es wird explizit
hinterfragt, wie Frauen und Männer zu verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft
werden (Wetterer 2008, S. 127).
Es gehört zu den
Selbstverständlichkeiten des Alltags von einer
Geschlechtszugehörigkeit der Personen auszugehen. Hinzu kommt die Festlegung
auf die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen, das heißt der Mensch wird entweder
dem einen oder dem anderen Geschlecht zugeordnet. Diese Zugehörigkeit steht von
Geburt an fest und kann im Laufe des Lebens nicht gewechselt werden. An den
Genitalien bleibt sie zweifelsfrei erkennbar und gilt daher als eine natürliche
Gegebenheit, auf die wir keinen Einfluss haben (Hagemann-White 1984, S. 81).
That is, difference between men and women is habitually
represented. And, simultaneously, it is reinforced as a norm. It is
represented as natural, rooted in biology and confirmed in history.
Sex roles and responsibilities are accepted, even idealized, as
contrasted and complementary (Cockburn 2001, S. 14).
Das Doing-Gender-Konzept versteht die soziale Wirklichkeit hingegen als Ergebnis
historischer Entwicklungsprozesse und einer fortlaufenden sozialen Praxis, die
wiederum zur Festigung dieser Alltagstheorie von Zweigeschlechtlichkeit beiträgt.
Demnach hat sich eine geschlechtsspezifische Routine eingeschlichen, die aus einem
kulturellen Leitbild resultiert, das wir aufgrund von (un-)bewussten Erfahrungen
permanent im Kopf haben. Im Gegensatz zu den Ansätzen der Frauen- und
Geschlechterforschung,
die
sich
auf
Basis
der
Unterscheidung
zwischen
biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) auf die Analyse von letzterem
konzentrieren, wird damit in der Konsequenz auch das biologische Geschlecht
historisiert und als Effekt sozialer Praxis begriffen (Wetterer 2008, S. 126).
M. Zimmermann
9
Wir halten uns in unserem Handeln an das, was wir fortwährend
als unser soziales Geschlecht erlernen. […]. Wir dienen anderen als
Vorbild, werden selbst imitiert und reproduzieren auf diese Weise
Gender (Lück 2009, S. 86).
Das
Doing-Gender
Herstellungsprozess.
repräsentiert
Das
primäre
einen
interaktiven
Instrument
sozialer
und
situativen
Handlungen
ist
Kommunikation, demnach ist Sprache hierbei das entscheidende Mittel im DoingGender-Prozess: In Gesprächen werden individuelle Aktualisierungen der sozialen
Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit vollzogen. Regeln des Sprachsystems
tragen dazu bei, überindividuelle Geschlechterkonzepte zu festigen. Beispielsweise
gehört zur allgemeinen Praxis, immer auch die Geschlechtszugehörigkeit der
Personen mit anzugeben (durch Anreden, Verwandtschaftsbeziehungen usw.).
Durch den Sprachgebrauch wird so die Geschlechterdifferenz hervorgehoben.
Neben dem Zwang zur Kategorisierung implizieren die Normen des Sprachsystems
auch Bewertungen. Männer werden als das überlegene Geschlecht angenommen,
weil der Gebrauch von generischen Maskulina eine sprachliche und kognitive
Überrepräsentation des männlichen Geschlechts darstellt. Bis auf wenige
Ausnahmen werden feminine Personenbezeichnungen von den maskulinen
abgeleitet. Weil diese Normen sehr früh im Spracherwerb erlernt werden, gelten sie
als natürlich und unveränderlich (Gottburgsen 2000, S. 33-34).
Der
Doing-Gender-Ansatz
beschreibt
eine
Wechselbeziehung
von
kulturellem Leitbild und normgeleitetem Handeln, damit erklärt er nicht das
konkrete Handeln, aber die Reproduktion von Geschlecht (Lück 2009, S. 86).
3. Forschungsfeld: Konflikt, Identität und Geschlecht
Das Bedürfnis nach kollektiver Identität in Form von Sprache, Kultur und Religion
spielt in der Friedens- und Konfliktforschung eine entscheidende Rolle. Identitäten
10
Identität und Geschlecht im War on Terror
werden dabei als historisch konstruiert aufgefasst, da sie im Zusammenspiel
sozialer Rollen und Beziehungen sowie institutioneller und ökonomischer
Strukturen entstehen. Identitäten sind nicht fix, sondern variabel, konkurrierend
und kontextabhängig. Kollektive Identitäten sind von Interesse, da sie mit dem
Konfliktverlauf in einem Verhältnis der wechselseitigen Beeinflussung stehen.
Jedoch ist Identität „weder Ursache bewaffneter Konflikte noch eine unabhängige
Variable ihrer Entstehung oder ihrer Verläufe“ (Engels 2008, S. 18). Identitäten
können aber gezielt geformt werden, um Gefahren und Ängste zu schüren und
dadurch ein Mobilisierungspotenzial für Gewalt freizusetzen. Wiederum sind
gewaltförmige Konflikte4 Teil der Konstruktionen von Identität. Die Eigengruppe
Wir wird über vermeintliche gemeinsame Wertvorstellungen und Verhaltensweisen
definiert. Es folgt eine klare Abgrenzung zur Fremdgruppe, den Anderen. Die
Konstruktion kollektiver Identität verlangt die Anpassung nach innen und die
Exklusion nach außen. Die Kohäsion einer Gruppe wird daher durch die Betonung
der Gleichartigkeit erhöht (Engels 2008, S. 17-18). „Gefühle der Zugehörigkeit zu
einer Gruppe sind weder angeboren noch unveränderlich. Ihre Entstehung basiert
auf dem Wunsch nach Anerkennung“ (Engels und Chojnacki, 2007, S. 6).
Bisherige
Forschungsarbeiten
über
gewaltsame
Konflikte
und
ihre
Auswirkungen weisen eine markante Leerstelle auf: Es wird nicht ausreichend
thematisiert, dass Männer und Frauen von kollektiver Gewalt jeweils anders
betroffen sind und dass es geschlechtsspezifische Risiken und Kosten gibt. Männer
und Frauen sind verschiedenen Gefahren ausgesetzt und haben unterschiedlichen
Zugang zu Sicherheitszonen und Überlebensressourcen (Seifert 2006, S. 3).
Die Untersuchung von kollektiven Identitäten kann daher nicht ohne die
Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht erfolgen, denn das Geschlecht ist immer
ein Identitätsmerkmal, ob nun innerhalb von Nation, Ethnie oder Religion. Die
4 An einem Konflikt sind mindestens zwei Parteien beteiligt, die unterschiedliche, unvereinbare Ziele
verfolgen oder dasselbe Ziel anstreben, das aber nur eine Partei erreichen kann. Möglich ist auch, dass
die Konfliktparteien unterschiedliche, unvereinbare Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles
anwenden wollen (Meyer 2011, S. 30).
M. Zimmermann
11
Konstruktion von Identität verläuft — wie die von Geschlecht — über einen
hierarchischen Dualismus.
It shapes individual identities and it is also symbolically mapped
out
on
a
set
of
masculine/feminine,
binary
oppositions
culture/nature,
e.g.
public-private
rational/emotional,
mind/body, formal/informal etc and on an institutionally
sanctioned sexual division of labour. At a structural level gender
legitimises a web of power relations based on these dualism
(Cooper 2007, S. 2)
Die Geschlechterperspektive zeigt auf, wer in der Konstruktion von kollektiven
Identitäten Definitionsmacht inne hat und wer davon ausgenommen ist und
marginalisiert wird (Engels 2008, S. 19-21).
Die Kategorie 'Geschlecht' […] referiert […] auf eine soziale
Konstruktion,
die
'Männlichkeit'
bzw.
in
Aushandlungsprozessen
'Weiblichkeit'
kulturspezifisch
jeweils
herstellt,
zueinander in ein hierarchisches Verhältnis setzt und als
heteronormatives Muster andere Formen der Geschlechtlichkeit
ausschließt (Virchow, Thomas und Thiele 2010, S. 20).
Besonders gewaltförmigen Konflikten liegt meist eine kulturelle Konstruktion von
Identität zugrunde, die maßgeblich geprägt ist von Annahmen über Weiblichkeit
und Männlichkeit, Geschlechterrollen und -verhältnisse. Denn obwohl der Feind für
Menschen einer anderen Nation, Ethnie oder Religion steht, bestehen diese dennoch
auch aus Männern und Frauen. Es gibt Beispiele, wo die Konstruktion des Feindes
mit dessen Feminisierung einher geht — er wird als weibisch und dadurch schwach
dargestellt beziehungsweise Nationen werden in Kriegszeiten als weibliches, zu
eroberndes Territorium deklariert (Thiele 2010, S. 62).
Darüber hinaus ernähren sich kollektive Identitäten von gemeinschaftlicher
Symbolik, die immer auch geschlechtlich codiert ist. In Zeiten von gewaltförmigen
12
Identität und Geschlecht im War on Terror
Konflikten werden solche geschlechtlichen Symboliken gezielt intensiviert.
Männern wird die Aufgabe zugeteilt, die Eigengruppe nach außen zu verteidigen
sowie Frauen und Kinder zu schützen. Frauen wiederum stehen unter Druck durch
Reproduktion die Eigengruppe zu erhalten und den Kindern deren Werte und
Symbole zu vermitteln. „Frauen werden zum Symbol der Eigengruppe, zu
„Müttern der Nation“ und zu Trägerinnen und Hüterinnen kultureller Identität“
(Engels 2008, S. 23).
Ein weiteres Argument für die Berücksichtigung von Geschlecht in der
Konfliktanalyse zielt auf die sozialen Positionen von Frauen ab, die von
entscheidender Bedeutung für den Wiederaufbau und bei der Herstellung einer
lebensfähigen Gemeinschaft sind. Darüber hinaus ist für die Herstellung
demokratischer Verhältnisse auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen
nötig:
Wenn Demokratie eine Vorbedingung für friedliche Verhältnisse
ist,
dann
ist es offensichtlich, dass die gleichberechtigte
Beteiligung von
Frauen
im Friedensprozess und an der
Neugestaltung der Gesellschaft unabdingbar ist (Seifert 2006, S. 4).
Die angeführten Punkte sind für die Begründung von Geschlecht als eigene und
separate Kategorie in der Konfliktanalyse von Bedeutung. Insbesondere ist sie aber
unabdingbar für die Beziehung zwischen Konflikt und Identität, da diese Felder mit
Geschlecht in einem Dreiecksverhältnis wechselseitiger Beeinflussung stehen. Auf
der gesellschaftlichen Makroebene sind implizite oder explizite Annahmen und
Normen über Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse zentrale Faktoren
jeder
soziokulturellen
Konstruktion
kollektiver
Identität.
Stehen
sich
konkurrierende Identitätsgruppen gesellschaftlicher Identität gegenüber, wird die
soziale, kulturelle und rechtliche Stellung von Frauen zu einem umkämpften Teil
des Konflikts. Auf der individuellen Mikroebene wiederum begünstigt der
Zusammenbruch geschlechtlicher Identitäten Gewalt als Mittel des Konfliktaustrags
(Engels und Chojnacki 2007, S. 5).
M. Zimmermann
13
Geschlecht ist daher als zentrale Kategorie gesellschaftlicher Ordnung
anzusehen, da es durch vorausgegangene gesellschaftliche Prozesse strukturiert
und dabei auch auf aktuelles und zukünftiges Geschehen einwirkt. Es bezieht sich
nicht nur auf eine biologisch bzw. anthropologisch begründete Unterscheidung von
Geschlecht. Durch die in der Regel unterschiedliche Bewertung der zugewiesenen
Eigenschaften
und
Handlungsoptionen
wird
Geschlecht
zum
gesellschaftspolitischen Problem (Sturm 2010, S. 405-406).
3.1. Der Einzug von Geschlecht in die Friedens- und
Konfliktforschung
Die Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt sich mit den Ursachen und
Bedingungen der Gewaltanwendung und wägt die Möglichkeiten und Grenzen
friedlichen
Konfliktverhaltens
ab.
Ziel
ist
die
Verringerung
organisierter
Gewaltpotenziale sowie kollektiver und individueller Gewaltanwendung. Aus
feministischer Sicht haben sowohl Theorie als auch Praxis in diesem Feld eine
männlich geprägte Orientierung. Konzepte und Begriffe müssen daher erst einmal
aus einer weiblichen Perspektive beleuchtet werden.
Die vorherrschende androzentrische Sichtweise blendet die
spezifischen Lebenszusammenhänge von Frauen in einem System
des Unfriedens aus, was in geschlechtsspezifischer Hinsicht zu
verzerrten Ergebnissen führt (Hinterhuber 2003, S. 189).
Insbesondere Krieg und gewaltförmige Konflikte sind vergeschlechtlicht, das heißt
auf
verschiedenen
Geschlechterverhältnissen
Ebenen
mit
verwoben.
Geschlechterkonstruktionen
Einerseits
ist
damit
die
Ebene
und
der
symbolischen und diskursiven Repräsentation und Zuschreibungen von Geschlecht
gemeint, die Bilder und Vorstellungen von Krieg und Frieden sowie des
Militärischen
grundlegend
formen.
Anderseits
geht
es
um
die
14
Identität und Geschlecht im War on Terror
geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Folgen von gewaltförmigen Konflikten5
sowie die unterschiedliche Partizipation von Männern und Frauen innerhalb des
kriegerischen Geschehens6. Daher können Forschungsarbeiten über gewaltsame
Konflikte und ihre Auswirkungen nicht umfassend ohne die Kategorie Geschlecht
analysiert werden (Nachtigall 2012, S. 33).
Die Frauen- und Geschlechterforschung wirft daher einen kritischen Blick
auf die Mechanismen und Strukturen, die zur Ausblendung und Unterdrückung
des weiblichen
Geschlechts führen
und entwirft
entsprechend sensiblere
Analysemodelle.
Durch eine Reformulierung des analytischen Instrumentariums
der
Friedens-
und
Konfliktforschung
aus
einer
Gender-
Perspektive soll ein höheres Maß an Objektivität erreicht werden
(Hinterhuber 2003, S. 189).
Beide Disziplinen verfolgen demnach ein emanzipatorisches Forschungsinteresse:
Die Friedens- und Konfliktforschung möchte die Formen struktureller, direkter und
kultureller
Gewalt
offen
legen
und
überwinden.
Die
Frauen-
und
Geschlechterforschung zielt auf die Analyse und Aufhebung hierarchischer und
gewaltförmiger Geschlechterverhältnisse ab (Hinterhuber 2003, S. 187-188).
Beide Forschungszweige fanden jedoch erst Anfang der 1990er Jahre
zueinander, als die Geschlechterperspektive auf Konflikt, Sicherheit und Frieden
Einzug in die internationalen Beziehungen erhielt. Neben den Erklärungslücken die
konventionelle
Ansätze
nicht
zu
schließen
wussten,
führten
auch
der
gesellschaftliche Druck durch die Frauen- und Friedensbewegung sowie die
verstärkte Berichterstattung über die sexualisierte Gewalt gegen Frauen in den
Kriegen auf dem Balkan und dem Völkermord in Ruanda zu mehr Aufmerksamkeit
auf die Kategorie Geschlecht in Krieg und Frieden (Gayer und Engels 2011, S. 10-11).
5
Siehe Kapitel 3.3.
6
Siehe Kapitel 3.2.
M. Zimmermann
15
3.2. Militär und Geschlecht
In der Vergangenheit war die Militärwissenschaft stets männlich besetzt und das im
doppelten Sinne: Frauen waren von der sozialen Praxis im Militär nahezu
ausgeschlossen und die Militärwissenschaft war vorrangig für Männer reserviert.
Mittlerweile haben sich die Forschung sowie das Militär für Frauen geöffnet, so dass
die Zahl der interdisziplinären Studien über den Zusammenhang von Militär und
Geschlecht gestiegen ist. Inhaltlich werden vor allem drei Themenfelder fokussiert:
Die Konstruktionen von Männlichkeit, die Beteiligung von Frauen am Krieg und ihr
jüngster Zugang zu den Streitkräften (Apelt 2005, S. 13).
Die Bedeutung des Militärs für die Konstruktionen von Männlichkeit sowie
die
Beziehung
zwischen
Krieg
und
Maskulinität
wird
unterschiedlich
konzeptualisiert.
Boys become men through, among several things, military service
and by participating in war. By contrast, participation in war or
military service is not normally considered a significant event in
the social identity construction process of women (Skjelsbæk 2001,
S. 61).
Einige Ansätze sehen Männlichkeit als determinierende Variable an, andere meinen,
dass die soziale Praxis des Krieges die Reproduktion von Männlichkeitsbildern
benötigt. Eine weitere These geht schließlich von einer beidseitigen Konstituierung
und Verstärkung aus:
Militaries have been shown to be central institutions for the
making of masculinities and the shaping, through socialization, of
the connections between men's identities, men’s bodies, male
power, male citizenship and society (Tallberg und Valenius 2008,
S. 86-87).
Ein zweites Forschungsfeld untersucht die Beteiligung von Frauen am Krieg, was
bereits zu dem Ergebnis führte, dass Frauen einen wesentlich größeren Anteil am
16
Identität und Geschlecht im War on Terror
militärischen Geschehen hatten, als dies bis dato angenommen wurde. Mitte der
1980er Jahre mündete die, innerhalb der Frauenbewegung äußerst kontrovers
geführte Diskussion über die Rolle von Frauen, in Kriegszeiten im sogenannten
Historikerinnenstreit. Man warf den Forscherinnen, die den Nationalsozialismus
sowie den Zweiten Weltkrieg untersucht hatten vor, die historischen Akteurinnen
lediglich als Objekte einer frauenfeindlichen Politik und Ideologie zu sehen und sie
damit zu Opfern zu stigmatisieren und die Täterinnen systematisch auszublenden.
Aus feministischer Perspektive ergab sich also eine gewisse Zwangslage: Einerseits
ging es darum, Frauen in ihrem Sein und ihrem Handeln sichtbar zu machen,
andererseits musste man sich dadurch auch mit Frauen auseinanderzusetzen, deren
Handeln und Verhalten eigenen Überzeugungen möglicherweise widersprachen
(Thiele 2010, S. 68-69).
Nira Yuval-Davis hebt hervor, dass „militaries and warfare have never been
just a 'male zone'. Women have always fulfilled certain, often vital, roles within
them” (Yuval-Davis 1997, S. 93). In beiden Weltkriegen haben Frauen dem Krieg
zugearbeitet, zum einen durch kriegswirtschaftliche Erwerbsarbeit, zum anderen
durch Propaganda.
The historic representation that invigorates women's collective
self-recognition as essentially caring, concerned, nonviolent beings
who can, however, be mobilized as wartime civic cheerleaders and
home-front helpmeets […] is the Just Warrior’s better half, the
Beautiful Soul (Elshtain 1987, S. 140).
Beispielsweise forderte die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst 1914 die Frauen
dazu auf, in den Fabriken zu arbeiten, um die Männer für die Front freizustellen.
Bei einer Versammlung sagte sie:
If you go to this war and give your life, you could not end your life
in a better way, for to give one’s life for one’s country for a great
cause is a splendid thing (Klein 2003, S. 2).
M. Zimmermann
17
Ein dritter Forschungsschwerpunkt bildet in diesem Zusammenhang die
uneingeschränkte Öffnung der Streitkräfte für Frauen. Die einen sehen darin einen
Orientierungswandel, der das Verhältnis der Geschlechter untereinander neu
bestimmt (Apelt 2005, S. 14). Die anderen vermuten die Motive eher in den
Rekrutierungsschwierigkeiten
und
die
zunehmende
Bedeutung
der
Funktionsbereiche abseits der Front, wie zum Beispiel Verwaltung und Logistik.
Susanne A. Friedel hat die Bedeutung der Institution des Militärs für die
gesellschaftliche Konstruktion von weiblicher Geschlechtsidentität am Beispiel der
israelischen Armee untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass das Ideal des
guten Soldaten der Israel Defense Forces (IDF) traditionell vom männlichen
Kampfsoldaten verkörpert wird. Diese und andere Studien stützen daher die These,
dass die Berechtigung von Frauen als Soldatinnen zu fungieren, keineswegs per se
zu einem Aufbrechen traditioneller, patriarchaler Geschlechterverhältnisse führt
(Friedel 2010, S. 103, 115).
Sylvia Schießer hat dazu den Umgang mit dem Militäreintritt von Frauen
innerhalb der Bundeswehr, insbesondere in deren Printmedien, untersucht. Die
Ergebnisse der Studie zeigen, dass Frauen weiterhin als Mutter und Ehefrau oder
Verführerin klassifiziert werden. In den militärischen Verbänden erfahren die Frauen
jedoch in der Regel dieselbe Abwertung und Rollenzuteilung wie in der sozialen
Gesellschaft. Die Einbindung von Frauen als Soldatinnen, Truppenbetreuerinnen
und Rekrutierungshelferinnen weisen daher weniger auf eine Veränderung, als
vielmehr auf die Festigung bestehender Geschlechter-verhältnisse hin (Schießer
2002, S. 48).
3.3. Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe
Frauen werden in Konflikten häufig Opfer von sexualisierter Gewalt, die sich
sowohl in Zwangsprostitution und sexualisierter Folter, als auch durch kollektive
Vergewaltigung und erzwungene Schwangerschaften äußern kann. Die These des
sexuellen Notstands bei Militärangehörigen, als Begründung für die sexuellen
18
Identität und Geschlecht im War on Terror
Übergriffe, wird von feministischer Seite vehement bestritten. Vergewaltigung sei
kein aggressiver Ausdruck von Sexualität, sondern ein sexueller Ausdruck von
Aggression. Vorrangiges Ziel ist nicht die sexuelle Befriedigung des Täters, sondern
die Erniedrigung des Opfers. Gewalt gegen Frauen ist kein Nebenprodukt des
Krieges (Hinterhuber 2003, S. 191-192). Sexuelle Gewalt ist kein Ausdruck oder
Folge von Kriegen, sondern Instrument in gewaltsamen Konflikten. Frauen
fungieren — zumindest ideologisch — als Verteidigungsmotiv. In vielen gewaltsam
ausgetragenen Konflikten stellen Frauen, die es zu beschützen gilt, eine wesentliche
Ressource der Mobilisierung der Kriegsführenden dar. Der Schutz vor Verletzung
und Besitznahme durch feindliche Männer wird zum Gegenstand kultureller und
medialer Propaganda. Sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung gehören somit zur
Strategie der Konfliktparteien. Dabei wird deutlich, dass Gewalt gegen Frauen in
kriegerischen Konflikten verschiedene Funktionen erfüllt: Während des Krieges
dient sie als Angriff auf das männliche Beschützergebot und die Kultur sowie die
ethnische Identität des Gegners, nach dem Ende des Krieges gelten sie als Trophäen
(Hinterhuber 2003, S. 192).
In
Erinnerungsdiskursen, die auf rhetorische
Opferfiguren
zurückgreifen, wird die Nation als (weibliches) Opfer konstruiert,
das „geschändet“ wird bzw. wurde und deshalb durch die
(männliche) Kriegerfigur mit Gewalt geschützt, verteidigt und
gerächt werden muss (Jalušiæ 2004, S. 42).
Der Übergriff auf Frauen macht diese zum passiven Objekt des Handelns anderer
Männer. Die eigenen Männer können damit ihren Teil des ungeschriebenen
Vertrages der Geschlechter — Schutz gegen Fürsorge — nicht einhalten und werden
damit in ihrem Verständnis von Männlichkeit angegriffen (Virchow, Thomas und
Thiele 2010, S. 29-30).
Die öffentliche Anerkennung systematischer Anwendung von Gewalt gegen
Frauen als weitverbreitete Kriegsstrategie erfolgte durch das Kriegsgeschehen im
ehemaligen Jugoslawien. Durch das Bekanntwerden der sogenannten rape camps, in
M. Zimmermann
19
denen Frauen nicht nur zum seriellen Geschlechtsverkehr, sondern auch zur
Austragung der Kinder aus diesen Vergewaltigungen gezwungen worden sind.
Dies diente nicht nur der persönlichen, sondern auch der kollektiven Erniedrigung
der betreffenden Kriegspartei, weil dadurch der Feind als Kindsvater Einzug in die
Familie hielt (Zwingel 2002, S. 178).
There are two aspects of reproductive labour consider: Rape to
impregnate, making women beat children for the 'enemy'
community, and rape to prevent women from becoming mothers
in their own community, by making them unacceptable to their
community or by so injuring them physically that they are unable
to bear children (Turshen 2001, S. 62).
Elisabeth Jean Wood hat das Thema von einer anderen Seite beleuchtet: In ihrer
Studie untersuchte sie bewaffnete Gruppen und die Abwesenheit von sexueller
Gewalt und kam zu dem Ergebnis, dass „if some groups do not engage in sexual
violence, then rape is not inevitable in war as is sometimes claimed, and there are
stronger grounds for holding responsible those groups that do engage in sexual
violence” (Wood 2009, S. 131).
Es ist jedoch Fakt, dass Mädchen und Frauen weltweit, sowohl in Zeiten des
Krieges, als auch des Friedens, die größte Bevölkerungsgruppe sind, die von
sexualisierter Gewalt betroffen ist (Virchow, Thomas und Thiele 2010, S. 29-30).
4. Die Konstruktion von Geschlechterrollen
4.1. Frieden und Weiblichkeit
In gewaltförmigen Konflikten werden geschlechtliche Symboliken und Stereotypen
besonders hervorgehoben. Jean Bethke Elshtain schuf dazu 1987 in ihrem Werk
Women and War die Prototypen beautiful soul und just warrior.
20
Identität und Geschlecht im War on Terror
For when we speak of the constitutive role of prototypical
symbols, we refer not to interests people may have, or to rational
calculations of possible costs and benefits they may compute, but
to what in fact people are and have become: it is a question of
identities, not easily sloughed off external garments (Elshtain 1987,
S. 6).
Die beautiful souls sind Teil der Familie, der privaten Sphäre und bilden die Einheit
Frauen und Kinder, die es zu beschützen gilt. Demnach wird ihnen die passive
Opferrolle zugewiesen. Die Männer als just warrior sind dem öffentlichen Raum
zugedacht. Sie müssen über eine aktive Kampfbereitschaft verfügen, um ihre
Frauen und Kinder zu beschützen. Das heißt Männlichkeit wird an Militarismus
geknüpft und mit Aggression aufgewogen (Elshtain 1987, S. 4).
These tropes on the social identities of men and women, past and
present, do not denote what men and women really are in time of
war, but function instead to re-create and secure women's location
as noncombatants and men's as warriors (Elshtain 1987, S. 4).
Die weißrussische Schriftstellerin Svetlana A. Aleksievič hat in ihrem 1985 erstmals
erschienenen Werk Der Krieg hat kein weibliches Gesicht Frauen interviewt, die im
zweiten Weltkrieg gekämpft, aber auch weit hinter der Frontlinie gearbeitet haben.
Vor diesem Hintergrund ist Aleksievič zu dem Entschluss gekommen, dass Frauen
eine völlig andere Sichtweise auf Krieg haben: Im Gegensatz zu Männern sei Krieg
für Frauen immer Mord, sie würden keinen Sinn im gegenseitigen Töten sehen
(Aleksievič 1987, S. 7).
All unser Wissen um die Frau läßt sich am genauesten mit dem
Begriff Barmherzigkeit umschreiben. Gewiß, es gibt auch andere
Wörter: Schwester, Ehefrau, Freundin und das höchste von allen –
Mutter. […]. Die Frau schenkt das Leben, die Frau schützt das
M. Zimmermann
21
Leben – Frau und Leben sind synonymische Begriffe (Aleksievič
1987, S. 7).
Man begründet diese ausgeprägte Wertschätzung des Lebens dadurch, dass
überwiegend Frauen mit der Pflege von Kindern und Angehörigen vertraut sind,
wodurch sie einen intensiveren Zugang zur Reproduktion des Lebens haben. Diese
tief verwurzelte Ansicht, Mutterschaft sei untrennbar mit den Aufgaben der
Fürsorge sowie dem Schutz vor Gewalt verbunden, verstärkt den traditionellen
weiblichen Geschlechterrollenstereotyp (Hinterhuber 2003, S. 196).
Women are reminded that by biology and by tradition they are the
keepers of hearth and home, to nurture and teach children 'our
ways'. Men by physique and tradition are there to protect women
and children, and the nation, often also represented as 'the
motherland' (Cockburn 2001, S. 19).
Insbesondere im ethnisch-nationalistischen Kontext wird dem Gebären und
Erziehen der Kinder eine Stärkung des eigenen Kollektivs — auch hinsichtlich des
Militärs — gesehen (Virchow, Thomas und Thiele 2010, S. 25).
The centrality of the military has been a cornerstone of men’s
masculine identity, and the centrality of the family a cornerstone
of women’s feminine identity. The encounter of the two
institutions has become a genderizing social mechanism which
reconstitutes the gendered division of roles (Virchow, Thomas und
Thiele 2010, S. 26).
Der bipolaren Logik zur Folge werden Frauen in kriegerischen Konflikten vor allem
als passiv Leidende dargestellt und entsprechend wahrgenommen: trauernde
Soldatenmütter, arme Flüchtlinge mit Kindern, Opfer von Gewalt und Verfolgung.
Das weibliche Geschlecht stellt in kriegerischen Konflikten stets den Prototypen
eines Opfers dar (Klaus und Kassel 2008, S. 267).
22
Identität und Geschlecht im War on Terror
Jedoch sind Frauen keine homogene soziale Gruppe. Es bedarf daher einer
genaueren Untersuchung, welche Rollen sie in kriegerischen Konflikten einnehmen
und welche Folgen diese Auseinandersetzungen für ihre Lebenswelt haben7, denn
die friedfertige Natur der Frau ist nicht nur eine sozial definierte Erwartungshaltung,
sondern wirkt vor allem handlungsorientiert. Daher ist sie auch in der Diskussion
um Frauen und Militär sowie Frauen und Krieg zu berücksichtigen (Wasmuth 2002, S.
93).
Jean Bethke Elshtain führt auch die historische Selbstdarstellung der
Frauenbewegung an, die sich mit der Friedensbewegung gleichgesetzt hat. Dadurch
hätten die von der Gesellschaft geprägten Identitäten wie die friedfertige Frau —
durch die aktive Unterstützung der Frauen selbst — eine normative Kraft
entwickelt.
Pacifism historically has drawn women to its ranks, including preFirst World War feminist internationalists and current feminist
anti-militarists. Given representations of women as the pacific
Other, pacifist identity is perhaps more accessible to women than
to men. Pacifist constructions reinforce and reaffirm dominant
cultural images of women […] but challenge
masculine
representations, calling into question male identities as fighters,
warriors, protectors (Elshtain 1987, S. 139).
Die Polarisierung führt zur Unterstützung eines Dualismus, denn die friedfertige
Frau kann ohne ihr Pendant, dem kriegerischen Mann nicht in diesem Ausmaß
existieren.
Aufgrund
ihrer
anthropologischen
oder
psychologischen
Ausstattung stellen Frauen demnach eher ein Friedenspotential
dar als Männer. Analysen von Krieg und gewaltsamen Konflikt, so
die
These,
müssen
sich
daher
im
Wesentlichen
den
7 Dieser Diskussionsstrang kann aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit nicht berücksichtigt
werden.
M. Zimmermann
23
psychologischen bzw. psychoanalytischen Fragen männlicher
Identitätsbildung
zuwenden.
Frauen
sind
generell
als
friedensfähiger als Männer einzuordnen (Seifert 2006, S. 3).
4.2. Krieg und Männlichkeit
Der starke Mann ist auch eine sozial definierte Erwartungserhaltung, die zahlreiche
Attribute mitliefert, zum Beispiel nicht zu weinen, hart zu sein und bei Bedarf mutig in
den Krieg zu ziehen, um Frau und Kind zu verteidigen. Wer daher von einer
friedfertigen Frau ausgeht, unterstützt auch das soziale Konstrukt des kriegerischen
Mannes als Norm (Wasmuth 2002, S. 93).
Während
des
Konflikts
wird
das
Verhalten
der
Konfliktparteien
entscheidend von den übertriebenen Selbst- und Fremdbildern beeinflusst, was
auch Auswirkungen auf die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit hat. Der
Raum für abweichendes Verhalten schränkt sich — insbesondere für Männer — ein.
Sie werden zu Kriegern, die zur Anwendung von Gewalt bereit sein müssen. Wer
kein Krieger werden kann oder sein möchte, hat keinen Platz mehr in der Mitte der
Gesellschaft (Dittmer 2010, S. 94).
Auch Männer profitieren nicht von Konflikten: Für sie sind die
Möglichkeiten, für sich selbst aushandeln zu können, inwieweit sie
sich mit einer militarisierten Männlichkeit identifizieren wollen
oder können, stark eingeschränkt. Ihnen steht in eskalierenden
Konfliktsituationen in vielen Fällen nur jene Identität zur
Verfügung, die Gewalt als legitimes politisches Mittel ansieht
(Dittmer 2010, S. 94).
Zur Stärkung dieser geschlechtsspezifischen Sozialcharaktere ist auch der Umgang
mit Sexualität von Bedeutung. Die Personifizierung und Sexualisierung von
(kriegerischen)
Konflikten
offenbart
den
Zusammenhang
zwischen
dem
24
Identität und Geschlecht im War on Terror
männlichen Sozialcharakter und der Zerstörung: Das Eindringen in einen fremden,
unterlegenen (weiblichen) Körper — im übertragenen Sinne der Geschlechtsakt —
ist ein häufig genutztes Bild der Konfliktparteien. Die Besitznahme von Territorium
des Gegners und seiner Frauen wird gleichgesetzt (Wasmuth 2002, S. 96)8.
Der Krieg als Ausdruck aggressiver Männlichkeit bietet den Rahmen und
die Legitimation, um den Angehörigen des Feindes alle Formen von Gewalt zu
zufügen. Vergewaltigung ist Teil dieses Spektrums und dient als Beweis männlicher
Macht, als Bescheinigung der Fähigkeit von Eroberung und Kontrolle. Diese
Erotisierung von Gewalt ist fest verankert mit der Kampfbereitschaft. Solange es die
Konstruktion von legitimer Gewaltanwendung zwischen den Geschlechtern gibt,
solange wird es auch immer wieder die Mobilisierung zum Krieg und sexualisierter
Gewalt geben (Wasmuth 2002, S. 97).
Männlichkeitswahn, Krieg und Vergewaltigung sind keine von
der Weltgesellschaft losgelösten Ausnahmeerscheinungen, sie sind
von Menschen gegen Menschen gemacht, sie sind historisch
gewachsen und sozial verankert (Wasmuth 2002, S. 99).
Edgar Forster hat sich in einem Beitrag mit Krieg und Männlichkeit vor dem
Hintergrund der US-amerikanischen Reaktionen auf die Terroranschläge vom 11.
September 2001 beschäftigt. Er stellt die These auf, dass der Krieg zwar männlich
ist, jedoch nicht allein weil er von Männern geführt wird oder es Eigenschaften
bedarf, die als typisch männlich gelten. Anhand von Nachrichten, politischen
Statements und Reportagen identifizierte Forster eindeutig das monotone Bild des
kriegerischen Mannes. Es zeigten sich die männlichen Heldengeschichten, die von
Frauen als unschuldige Opfer und trauernde Angehörige verziert worden waren.
Darüber hinaus erkannte man Männer nicht nur als Helden, sondern auch als
Feinde. Sie repräsentierten ein zu verachtendes Männlichkeitsbild von Autorität
und Gewalttätigkeit, besonders gegenüber Frauen (Forster 2003, S. 31-34).
8
Siehe Kapitel 3.3.
M. Zimmermann
25
4.3. Sind Geschlechterrollen veränderbar?
Statt einem essentialistischen Identitätsverständnisses, das davon ausgeht, dass
individuelle und soziale Identität durch einen nicht flexiblen inneren Kern bestimmt
ist, schlägt die konstruktivistische Perspektive vor, sich mit Prozessen der
Identitätsbildung auseinanderzusetzen. Demnach ist Geschlecht eine durchlässige
soziale Kategorie, die von den jeweiligen Akteuren und Akteurinnen in
unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten anders ausgestaltet wird.
Findet eine Veränderung gesellschaftlicher Normen und Strukturen statt, kann dies
Geschlechterverhältnisse neu konfigurieren und ausdifferenzieren (Virchow,
Thomas und Thiele 2010, S. 20).
Die Dichotomie von Geschlechterrollen, die in Zeiten des Friedens sichtbar
ist, wird in Zeiten des gewaltsamen Konflikts noch stärker reproduziert. Dies steht
nicht unbedingt im Widerspruch zu der Tatsache, dass die bestehende soziale
Ordnung oft während und nach einem Krieg umgeworfen wird (Klaus und Kassel
2005, S. 339).
The disruption of the traditional gender arrangements is one of the
consequences of war with families being torn apart and with
women fulfilling tasks extending the narrow confines of ‘proper’
female behavior (Klaus und Kassel 2005, S. 339).
Ein gewaltsamer Konflikt führt zu einer Situation des Chaos, die manchmal den
Weg für eine neue Definition oder eine Überarbeitung traditioneller GeschlechterArrangements ebnet. Cordula Reimann stützt diese These mit ihrer Definition von
Geschlecht anhand von drei verschiedenen Dimensionen: 1) Identität, 2) Symbolik
und 3) Struktur. 1) In der Interaktion zwischen Geschlechter-Zuschreibungen und
(Selbst-)Konstruktionen bilden sich Geschlechtsidentitäten von Männlichkeit und
Weiblichkeit aus. 2) In vielen Konflikten werden Frauen zum Symbol banalisiert —
für die Reinheit der Nation, zu Gebärenden oder schutzbedürftigen Opfern.
Unterdessen besteht die Vorstellung, nur Krieger seien echte Männer. 3) Die
26
Identität und Geschlecht im War on Terror
strukturelle
Dimension
meint
die
geschlechtliche
Arbeitsteilung
und
die
geschlechtliche Prägung von Institutionen, z.B. des Nationalstaats und militärischer
Verbände (Reimann 2002, S. 3).
The individual gender identity is a fluid and transformative
construction derived from certain notions of femininity and
masculinity (the gender symbolism) which, in turn, are very much
based on the distribution of labour in the public and private
sphere (the gender structure) (Reimann 2002, S. 3).
Alle drei Dimensionen stehen für Reimann in einem Dreiecksverhältnis und machen
nur in ihrer Kombination Sinn:
One dimension like the gender structure in form of the gendered
division of labour has little, if any, theoretical and political
meaning without taking into account the gender symbolism and
the individual gender identity which produce and re-produce the
gender structure (Reimann 2002, S. 5).
Kommt es innerhalb einer Dimension zu einer entscheidenden Veränderung, hat
dies auch Auswirkungen auf die anderen Dimensionen des Dreiecks. Werden
beispielsweise in Zukunft mehr Frauen in Männerberufen tätig, kann dies zu einer
Modernisierung des Geschlechterbildes und der Erwartungen der Gesellschaft
bezüglich dem typischen Verhalten von Männern und Frauen führen (Reimann
2002, S. 5).
5. War on Terror - Hintergründe und Akteure
5.1. Die Beziehungen zwischen den USA und den Taliban
Für die geostrategischen und sicherheitspolitischen Überlegungen der USA spielte
das historisch als kaum beherrschbar geltende Afghanistan zunächst keine Rolle.
M. Zimmermann
27
Dies änderte sich mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen im Jahr 1979. Die
USA unter Präsident Jimmy Carter unterstützten fortan die Mujahedin. Auch
Amtsnachfolger Ronald Reagan, der die Mujahedin als „Freiheitskämpfer gegen die
kommunistische Bedrohung“ bezeichnete, setzte die finanzielle und logistische
Unterstützung fort (Stabile und Kumar 2005, S. 766-767).
With the help of Pakistani intelligence, the US armed and trained
mujahideen fighters from Afghanistan and elsewhere in camps set
up in Pakistan and Afghanistan. One of these recruits was a Saudi
businessman, Osama bin Laden, who made contacts at these
camps that enabled him to form al Qaeda in the early 1990s
(Stabile und Kumar 2005, S. 767).
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 befand sich Afghanistan
in einem furchtbaren Zustand: Über zwei Millionen Bürger und Bürgerinnen waren
während der sowjetischen Besatzung gestorben und Afghanistan war übersäet von
Landminen. Anstatt die finanziellen Ressourcen in den Wiederaufbau umzuleiten,
verließ die USA das Land und damit die Menschen, die für sie stellvertretend gegen
die Sowjetunion gekämpft hatten. Zeitgleich entfachte sich ein Machtkampf unter
den verschiedenen Fraktionen der Mujahedin. Als 1992 schließlich eine Koalition
aus sieben Mujahedin-Fraktionen den Islamischen Staat Afghanistan ausrief,
verschärften sich die prekären Bedingungen, insbesondere für Frauen, deren
Verbannung aus dem öffentlichen Leben bereits beschlossen war (Stabile und
Kumar 2005, S. 768).
The ascendance of the mujahideen government in 1992, who
would later form the Northern Alliance, meant that women’s
rights were severely curtailed. What rights remained would be
summarily denied when the Taliban came to power in 1996
(Stabile und Kumar 2005, S. 768).
28
Identität und Geschlecht im War on Terror
Der Aufstieg der Taliban zur dominanten Kraft in Afghanistan war eine Folge des
Legitimationsverlustes der in sich zerstrittenen Bürgerkriegsparteien sowie der
guten sozialen Verankerung, die die Taliban im traditionalen Milieu Afghanistans
aufweisen konnten (Kreile 2005, S. 48).
Ihr flächendeckender Erfolg, der im Mai 1997 zur Eroberung fast
des
gesamten
Landes
führte,
wäre
aber
ohne
direkte
Unterstützung durch die pakistanische Regierung nicht möglich
gewesen, die wiederum mit Billigung der Vereinigten Staaten und
Saudi Arabiens erfolgte (Kreile 2005, S. 48).
Das vorrangige Ziel der Taliban bestand in der Errichtung einer moralischen
Ordnung in einem reinen islamischen Staatswesen auf Basis der Scharia. Ein
Kernpunkt bildete dabei die Ehre und Demut der Frauen, das heißt der zentrale
Aspekt des Machtgewinns und dessen Erhalt war eine radikale patriarchalische
Politik (Kreile 2005, S. 48).
Trotz dieser offenen Verletzungen der Frauenrechte unterstützten die USA
die Taliban, um sich den Zugang zum Öl-Vorkommen am Kaspischen Meer zu
sichern. Jedoch verschob sich das Gleichgewicht der Macht in Afghanistan weg von
den Moderaten, die für Beziehungen mit den USA und den Vereinten Nationen
offen waren, hin zu den nationalistischen und fundamentalistischen Kräften. In
dieser Konstellation war das Regime nicht empfänglich für die Pläne der USA, eine
Öl-Pipeline vom Kaspischen Meer durch Afghanistan zu legen. Diese wäre ein
wichtiger Bestandteil der weltweiten Ölversorgung — unter Kontrolle der USA —
geworden (Cloud 2004, S. 298).
5.2. Die Situation der Frauen in Afghanistan unter den Taliban
Elaheh Rostami Povey hat in einer qualitativen Umfrage im Jahr 2002 126
afghanische Frauen in Kabul zu ihren Erfahrungen und ihr Rollenverständnis vor,
während und kurz nach Ende der Taliban-Herrschaft befragt. Viele Frauen
M. Zimmermann
29
empfanden ihre Situation vor der Machtergreifung der Taliban als prekärer, da
während des Bürgerkrieges viele Frauen von den Mujahedin vergewaltigt und
ermordet worden sind. Nachdem die Taliban die Warlords entmachtet hatten,
etablierten sie jedoch — ebenfalls mit Gewalt und Brutalität — ihr eigenes System
von Recht und Ordnung (Povey 2004, S. 172-173).
As among the mujahedin there were no women among the Taliban
who exercised power. Moreover, Taliban interpretation of Islam
appears even more stringent than the mujahedin view (Khan 2008,
S. 165).
Die ersten Handlungen der Taliban nach ihrem Siegeszug durch Afghanistan
schränkten zunächst die Bewegungsspielräume der Frauen ein (Kreile 2005, S. 111 112).
While the mujahedin allowed veiled women on the street, women
in areas under Taliban control were initially orders to stay indoors
(Khan 2008, S. 165).
Dabei zeigten sich die geschlechterpolitischen Reglementierungen jedoch mit
beachtlichen Unterschieden bezüglich Art der Durchsetzung, Reichweite und
Akzeptanz. Dies lag unter anderem an den unterschiedlichen sozialen, regionalen
und personalen Konstellationen. Die meisten Frauen lebten abseits in ländlichen
Gebieten, ihr Alltag wurde von den geschlechterpolitischen Anordnungen der
Taliban wenig berührt. Anders verhielt es sich mit den gebildeten Frauen aus der
städtischen Mittelschicht. Ihnen wurde der Zugang zu Bildung und Beruf verwehrt.
Auch wenn die grundlegenden patriarchalischen Wertvorstellungen der Taliban
mehrheitlich von der afghanischen Bevölkerung getragen wurden, gab es dennoch
Kritik an der radikalen Umsetzung — auch seitens der Männer. Durch ihre
Anordnungen von oben, verloren diese ihr Vorrecht selbst zu entscheiden, wie ihre
Frauen sich zu kleiden haben oder welche Bewegungsspielräume sie ihnen
30
Identität und Geschlecht im War on Terror
eingestehen (Kreile 2005, S. 111 - 112). Dies impliziert, dass die Frauen bereits vor
der Machtergreifung der Taliban keinerlei Recht auf Selbstbestimmung hatten.
In dieser Zeit kam es außerdem zum Stillstand der ökonomischen
Entwicklung. Armut und Hunger zwangen viele Frauen in die Prostitution oder zur
Heirat mit einem Taliban-Führer (Povey 2004, S. 173).
Nach dem Sturz der Taliban waren viele Frauen optimistisch und
entschlossen ihre Rechte zurückzufordern.
Afghan women activists did attempt to use the fall of the Taliban
in November to spawn a new movement for women's rights
(Smith 2002).
Sie begannen Zeitungen herauszugeben und ihre Netzwerke, die sie vorher
versteckt vor den Taliban unterhielten, zu erweitern. Insbesondere die schulische
Bildung von jungen Mädchen und Frauen stand im Vordergrund. Jedoch gab es
auch gewaltige Rückschläge9.
5.3. Die Operation Enduring Freedom (OEF)
Die erste militärische Antwort auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 war
die Operation Enduring Freedom (OEF). Der Militäreinsatz stand unter der Führung
der USA und wurde im Rahmen der internationalen Terrorismus-bekämpfung auch
von den Bündnispartnern unterstützt. Grundlage für die militärische Offensive war
der Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, der die Terroranschläge als einen Angriff
auf die USA wertete und damit einen Akt der Verteidigung möglich machte. Dies
wurde am 12. September 2001 vom NATO-Rat beschlossen und mit der UNResolution 1368 über das Recht zur Selbstverteidigung nach Terrorangriffen vom
04. Oktober 2001 bekräftigt (Viehrig 2010, S. 44).
9
Siehe Kapitel 7.2.
M. Zimmermann
31
Trotz dieser Einigkeit wurden die Angriffe nahezu im USamerikanischen Alleingang vollzogen. Sowohl die NATO als auch
die EU blieben als Akteure unsichtbar (Ramsperger 2009, S. 82).
Vor Beginn der OEF gab die US-Regierung ein Ultimatum aus, das die TalibanRegierung aufforderte, unter anderem alle führenden Al-Qaida-Mitglieder wie
Osama bin Laden10 auszuliefern sowie alle Aktivisten terroristischer Vereinigungen
vor Gericht zu stellen. Außerdem wollten die Amerikaner Zugang zu allen
Terrorcamps im Land:
And tonight the United States of America makes the following
demands on the Taliban: Deliver to United States authorities all
the leaders of Al Qaida who hide in your land. […]. Close
immediately and permanently every terrorist training camp in
Afghanistan, and hand over every terrorist and every person in
their support structure to appropriate authorities. […]. These
demands are not open to negotiation or discussion (Bush 2001g).
Da den Forderungen nicht nachgekommen wurde, begann am 07. Oktober 2001 die
OEF mit einem Bombardement der US-Luftwaffe auf zentrale Stellungen der
Taliban. Parallel versuchte die Nordallianz von Norden aus, mit der logistischen
Unterstützung von USA und Großbritannien, die Kampflinien der Taliban zu
durchbrechen. Der Widerstand brach etwa ein Monat nach Beginn der
Kampfhandlungen zusammen, als am 08. November 2001 die Nordallianz Mazar-i
Sharif einnahm. Es folgte fünf Tage später der Rückzug der Taliban aus der
Hauptstadt Kabul. Am 25. November 2001 kam es schließlich auch zur kampflosen
Übergabe Kunduz, der letzten Kampfstätte im Norden an die Nordallianz. Als am
08. Dezember 2001 mit Kandahar die letzte Anlaufstelle der Talibankämpfer
10 Während das Taliban-Regime gestürzt und die Infrastruktur Al-Qaidas in Afghanistan empfindsam
geschwächt wurde, blieb die Suche nach Osama bin Laden erfolglos. Erst im Mai 2011 — fast 10 Jahre
nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 — wurde er von einer US-Spezialeinheit
aufgespürt und erschossen (Nachtigall 2012, S. 10).
32
Identität und Geschlecht im War on Terror
verloren ging, flüchteten sie in die paschtunischen Stammesgebiete in der
unzugänglichen pakistanischen Grenzregion (Schetter 2011, S. 17).
Nach zwei Monaten war das Taliban-Regime gestürzt und die offiziellen
Kampfhandlungen
beendet.
Der
von
den
Vereinten
Nationen
betreute
Mediationsprozess galt mit dem Petersberger Abkommen vom 05. Dezember 200111
als abgeschlossen. Der Staatsbildungs- und Wiederaufbauprozess sollte mit der
Übergangsregierung unter Präsident Hamid Karzai eingeleitet werden (Hühnert
2011, S. 454).
5.4. Embedded media: Die Rolle der Medien
In demokratischen Gesellschaften benötigt die politische Herrschaft für ihre
Handlungen eine gewisse öffentliche und gesellschaftliche Zustimmung. Um eine
bewaffnete
Auseinandersetzung
zu
führen
ist
es
daher
notwendig,
die
Öffentlichkeit von diesem Vorhaben zu überzeugen, da es sich um keine legitime
Form der Konfliktlösung handelt. Es muss ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen
werden. Die Medien bieten hierfür eine geeignete Plattform. Sie stellen ein Forum
für den Meinungsaustausch dar, den sie jedoch durch eine quantitative oder
qualitative
Gewichtung
entscheidend
beeinflussen
können.
Insbesondere
Massenmedien zeigen sich von entscheidender Bedeutung in der politischen
Sinnstiftung (Nachtigall 2012, S. 28).
Medien versehen die Ereignisse mit spezifischen Bedeutungen
und
stellen
selektive
Interpretationsangebote
bereit;
sie
produzieren, befestigen und verstetigen dadurch Meinungen, die
11 Vom 27. November bis zum 05. Dezember 2001 fand auf dem Petersberg bei Bonn die erste
Afghanistan-Konferenz statt, an der vier Delegationen verschiedener afghanischer Gruppen
teilnahmen. Thema war der politische und wirtschaftliche Wiederaufbau Afghanistans. Die Konferenz
endete mit der Verabschiedung des Petersberger Abkommens, das einen Ablaufplan zur
Machtübergabe an eine demokratisch legitimierte Regierung nach der Entmachtung der Taliban
umfasste.
M. Zimmermann
33
etwa einen Krieg als legitim oder nicht legitim erscheinen lassen
können (Nachtigall und Bewernitz 2011, S. 28).
Gewaltsame Konflikte erfordern eine starke Identifikation mit der eigenen
Gemeinschaft in Form von Nation, Kultur oder Werten. Dies geschieht über die
Konstruktion von Feindbildern und die Betonung der Unterschiede im Vergleich zu
der eigenen Identität (Nachtigall 2012, S. 28).
Journalismus in Kriegszeiten, das ist das überwältigende Ergebnis
der Forschung zur Kriegskommunikation, hinterfragt diese
Kriegslogik in der Regel nicht, sondern folgt ihr, stützt und
verbreitet sie (Klaus und Kassel 2008, S. 268).
Im Irakkrieg 2003 bildete sich eine neue Ebene zwischen Politik und Medien unter
Einbeziehung des Militärs heraus: Unter den Begriffen embedded journalism oder
embedded media wurden zivile Kriegsberichterstatter gezielt einer militärischen
Einheit im Konfliktgebiet zugeteilt. Sie lebten, arbeiteten und reisten unter gewissen
Auflagen mit der ihnen zugewiesenen Truppe, um ausführlich aus Sicht der USStreitkräfte berichten zu können (US Department of Defense 2003).
We need to tell the factual story – good or bad – before others seed
the media with disinformation and distortions, as they most
certainly will continue to do. Our people in the field need to tell
our story – only commanders can ensure the media get to the story
alongside the troops (US Department of Defense 2003).
Das
US-Verteidigungsministerium
sah
zudem
in
dieser
neuen
Art
der
Medienkooperation eine Unterstützung für die Erreichung der politischen Ziele wie
Sicherheit und Stabilität in der Region. Dies stellt natürlich die Unabhängigkeit der
Berichterstattung in Frage. Zwar waren die Journalisten noch nie zuvor — mit
Einverständnis des Militärs — so nah am Geschehen, jedoch warnen Kritiker vor
der Zensur des US-Militärs und die Umwandlung zum Sprachrohr der USRegierung:
34
Identität und Geschlecht im War on Terror
Zu Recht spricht man in diesem Zusammenhang nicht mehr allein
von der Instrumentalisierung, sondern gar von der Militarisierung
der Medien (Unmüßig 2011).
Die mediale Berichterstattung ist durch ihre fortlaufende Rekonstruktion von
Identitäten schon immer von zentraler Bedeutung gewesen. Dies ist eine
entscheidende Voraussetzung dafür, dass Frauenrechte instrumentalisiert werden
können. Die geschlechtsspezifischen Stereotypen in den Medien erwirken
besondere Nachwirkungen und Funktionen: Zum einen die Reproduktion der
binären Geschlechterordnung und zum anderen die damit verbundenen impliziten
und expliziten Kriegslegitimierungen (Nachtigall und Bewernitz 2011, S. 29).
Diese dominanten Identitäten erweisen sich für die Begründung
politischen
Handelns
als
funktional
und
werden
seit
Jahrhunderten zur Vorbereitung und während eines Krieges
gezielt eingesetzt, um staatliche und militärische Gewalt zu
legitimieren (Nachtigall und Bewernitz 2011, S. 27).
Die Medien gliedern die Frauenrechte in die dualistische Konstruktion von Freundund Feindbildern mit ein. Hierbei steht nicht die Sorge um das Wohlergehen der
Frauen im Vordergrund, sondern die Instrumentalisierung für das entsprechende
Anliegen — die Legitimation des kriegerischen Konflikts (Klaus und Kassel 2008, S.
269).
5.5. Embedded feminism: Die Instrumentalisierung von
Frauenrechten
Immer häufiger — insbesondere im Kampf gegen den Terror — werden
feministische Interessen und Forderungen für die Kriegslegitimation kooptiert.
Dieser embedded feminism leitet sich von dem bereits ausgeführten Konzept embedded
media ab. Er steht für die Eingliederung von feministischen Interessen in politische
M. Zimmermann
35
Projekte. Man gibt vor, für die Anliegen der Frauen zu kämpfen, aber letztendlich
sind diese Forderungen untergeordnet oder sogar verzichtbar (Hunt 2006, S. 52-53).
Die Begrifflichkeit embedded feminism ist zwar erst vor wenigen Jahren
aufgetaucht, jedoch ist das Konzept dahinter bereits zu Kolonialzeiten zu finden.
Die Unterstützung der Feministen und Feministinnen wurde dabei mit
Behauptungen geködert, dass der Erfolg politischer Projekte eine Emanzipation der
Frauen zur Folge hätte. Frühere Studien zeigen darüber hinaus bereits die negativen
Auswirkungen, die der eingebettete Feminismus in nationalistischen und
revolutionären Bewegungen auf die Frauenrechte hatte (Hunt 2006, S. 53).
This reality, juxtaposed to the rhetoric that the war would liberate
women, provides an important example of how appeals to
women’s rights are used to gain feminist support for projects that
ultimately undermine women’s rights (Hunt 2006, S. 51-52).
Jan Jindy Pettman konstatiert dazu, dass die Unterordnung von feministischen
Interessen unter das nationale revolutionäre Anliegen, die Debatte um Frauenrechte
immer auf unbestimmte Zeit vertagt hat. Dadurch wurden die Frauen in die
Unterstützerrollen gedrängt und in der postrevolutionären Zeit spiegelte sich dies
in
den
Geschlechterverhältnissen
wieder,
in
dem
eine
gesellschaftliche
Verbesserung für Frauen höchstens von ihrem männlichen Part abgeleitet wurde.
Sprich: Nationale Befreiung bedeutete bereits früher keine Befreiung der Frauen. Es
wurde zwar Emanzipation versprochen, doch der embedded feminism stärkte mehr
die Revolution, als den Kampf für Frauenrechte (Hunt 2006, S. 53). „Embedded
feminism is exposed as a far-reaching process of appropriating and subverting
feminism through appeals to women's rights” (Hunt 2006, S. 53).
Der Verweis auf Geschlechterverhältnisse erfüllt darüber hinaus eine
symbolische Funktion. Die Skandalisierung von beispielsweise Gewalt gegen
Frauen und die Forderung nach Frauenrechten werden in die kriegsnotwendige
Konstruktion von Freund und Feind integriert (Nachtigall und Bewernitz 2011, S.
43).
36
Identität und Geschlecht im War on Terror
Sie dienen als Beleg für Brutalität und Grausamkeit des Gegners
bei
gleichzeitiger
Legitimierung
des
eigenen
heldenhaften
Vorgehens und Stärkung des Selbstbildes einer auf Freiheit und
(Geschlechter-) Gleichheit beruhenden Nation (Nachtigall und
Bewernitz 2011, S. 43).
Der Rückgriff auf Frauenrechtsverletzungen, ohne dadurch im Interesse von Frauen
zu agieren, zeigt sich auch in der Kriegsberichterstattung. Susanne Kassel hat in
einer Analyse der beiden deutschen Wochenmagazine Der Spiegel und Fokus
aufgezeigt, dass die Präsentation von Frauen nicht gleichbedeutend mit einer
Berichterstattung über Frauen ist. In beiden Magazinen spielten die Belange von
Frauen in Afghanistan keine nennenswerte Bedeutung. Der Fokus lang eindeutig
auf Dauer und Umfang des Krieges. Dies änderte sich für den Zeitraum vom Tag
der Terroranschläge bis zum Einmarsch in Kabul. Wurden innerhalb der
Gesamtberichterstattung Frauen erwähnt, so geschah dies mit Verweis auf die
Burka oder das Kopftuch. Lebensbedingungen, politische Aktivitäten oder
Zukunftsperspektiven waren nur von untergeordneter Bedeutung. Nach dem
Einmarsch der westlichen Gruppen haben sich die Bilder entsprechend gewandelt:
Frauen ohne Burka und Kopftuch als Zeichen für ihre Befreiung. Der Schleier ist im
Westen zu dem entscheidenden Symbol für die Unterdrückung der Frauen
geworden, daher dient er als Mittel der Emotionalisierung und als Ersatz für
Argumente (Klaus und Kassel 2008, S. 275-276).
Da diese Darstellungen fast ausschließlich im Zusammenhang mit
Berichten über das 'islamistische' Regierungssystem der Taliban
stehen, kann die Berichterstattung über Frauen als Bestandteil der
Konstruktion eines radikalen, fundamentalistischen Islam gesehen
werden, der in der dualistisch angelegten Kriegslogik gegenüber
dem „Westen“ als fremd und unzivilisiert konnotiert ist (Klaus
und Kassel 2008, S. 276).
Die vielfältigen anderen Bedeutungen des Schleiers bleiben unerkannt.
M. Zimmermann
37
5.6. Die Rolle der US-amerikanischen Frauenbewegung
Um die Frauenbewegung für den War on Terror zu gewinnen, hielt der damalige
Außenminister Colin Powell am internationalen Frauentag eine maßgeschneiderte
Rede, in der er den Krieg gegen den Terror mit dem Anliegen der Frauen
verknüpfte. Powell sprach zunächst von dem Siegeszug, den die USA in Sachen
Menschenrechte sowie dem Wohlergehen von Frauen und Minderheiten in der
Vergangenheit zurückgelegt hätten. “Women's issues affect not only women; they
have profound implications for all humankind. Women's issues are human rights
issues” (Powell 2002).
Er betonte, dass es keine Rolle spiele, unter welchen Umständen, in welchem
Land oder Kulturkreis die Menschen- und Frauenrechtsverletzungen begangen
werden. Die Brutalität gegen Frauen, der Frauenhandel und die Vergewaltigung
von Frauen könnten niemals gerechtfertigt sein. Das wäre auch ein Anliegen im
Krieg gegen den Terror:
As President Bush has said, we have a great opportunity during
this time of war against terrorism to lead the world toward the
values that will bring lasting peace. We have no intention of
imposing our culture, but America will always stand firm for the
non-negotiable demands of human dignity, including respect for
women (Powell 2002).
Nachdem Powell die Interessen generiert und die gemeinsamen Ziele betont hatte,
rief er dazu auf eine Allianz zu bilden:
The women of Afghanistan are eager to participate, and they have
a great deal to offer. And I've spoken to a number of them here
already this evening who are ready, willing and able to get back
into the fight (Powell 2002).
Viele Feministen und Feministinnen in den USA und darüber hinaus zeigten sich in
ihrer Reaktion skeptisch gegenüber Bushs Erklärung die afghanischen Frauen retten
38
Identität und Geschlecht im War on Terror
zu wollen. Zu deutlich war sein Desinteresse für dieses Thema vor den Anschlägen
vom 11. September 2001 (Hunt und Rygiel 2006, S. 9). Kritiker und Kritikerinnen
fragten sich offen, wie die Unterstützung der Nordallianz, die in ihrer
Regierungszeit von 1992 bis 1996 systematisch Frauenrechte verletzt hat, mit der
Rettungsmission vereinbar wäre. Daher sprach sich eine überwältigende Mehrheit
von Feministen und Feministinnen gegen Bushs War on Terror aus, mit der
Begründung, dass dieser die Situation der Frauen nur verschlechtern würde.
Those interested in winning genuine liberation for Afghan women
must firmly reject the notion that U.S. bombs can advance the
interests of women – in Afghanistan or anywhere else. U.S.
military intervention advances only the interests of U.S. rulers,
who care nothing about women's rights (Smith 2002).
In einem Krieg sind die Frauen dazu gezwungen ihre Häuser zu verlassen, sie
müssen mit der Gefahr leben, ins Kreuzfeuer zu geraten und sind der
geschlechtsspezifischen Gewalt ausgesetzt, die ein Konflikt in der Regel auch nach
seinem Ende zur Folge hat. Wenn die Bush-Regierung ein wirkliches Interesse an
der Verbesserung der Situation der Frauen in Afghanistan hätte, würde sie auf die
afghanischen Frauenrechtlerinnen hören, die aufgrund des Anti-Terror-Kampfes
eine Stärkung des Fundamentalismus und erhebliche Einschränkungen im Kampf
für Demokratie und Menschenrechte befürchteten (Hunt 2006, S. 57).
As long as women are not permitted to speak for themselves, they
provide the perfect grounds for an elaborate ventriloquist act, in
which they serve as the passive vehicle for the representation of
US interests (Stabile und Kumar 2005, S. 778).
Natürlich gab es auch Stimmen abseits dieser Argumentationslinie: Die
Schriftstellerin und feministische Aktivistin Robin Morgan hebt zumindest die
Tatsache positiv hervor, dass die Situation der Frauen in Afghanistan nun endlich
öffentlich thematisiert wird, nachdem die US-amerikanische Frauenbewegung
M. Zimmermann
39
selbst jahrelang vergeblich versucht hätte, die US-Regierung darauf aufmerksam zu
machen (Morgan 2003, zitiert nach Hunt 2006, S. 57).
6. Analyse: Die Konstruktion und Instrumentalisierung
von Identität und Geschlecht im War on Terror
6.1. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
Für die Bearbeitung der Dokumente wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach
Philipp Mayring angewendet. Die Analyse umfasst neun Schritte: 1) Zunächst wird
das Material ausgewählt, in denen sich der Interviewpartner explizit und bewusst
zum Gegenstand der Forschungsfrage äußert. 2) Dabei werden Informationen über
den Entstehungskontext dokumentiert. 3) Es muss darüber hinaus erkennbar sein,
in welchem Format das Material vorliegt und 4) in welche Richtung die Analyse
geht. 5) Die Fragestellung muss daher vorab theoretisch differenziert werden. 6) Als
nächstes wird aus den drei Verfahren – Zusammenfassung, Explikation,
Strukturierung – die Analysetechnik festgelegt. 7) Daran anschließend erfolgt eine
Definition der Analyseeinheit: Es werden die Teile eines Interviewprotokolls
bestimmt, die ausgewertet werden sollen. Hierfür werden Kategorien gebildet, die
der Analyst durch Lektüre ermittelt hat, um den Text beschreiben zu können. 8)
Zum Ende hin findet schließlich die eigentliche Analyse des Materials statt, 9) deren
Ergebnisse im letzten Schritt in Richtung der Fragestellung interpretiert werden. Bei
der qualitativen Inhaltsanalyse ist es möglich qualitative und quantitative
Analyseschritte miteinander zu verbinden. Der Prozess der Kategorienbildung und
die Zuordnung der Textstellen sind eindeutig qualitative Schritte, in der Regel
werden dann aber Kategorienhäufigkeiten erhoben und quantitativ analysiert
(Mayring 2007, S. 54).
1) Bei der folgenden Analyse zur Konstruktion und Instrumentalisierung
von Identität und Geschlecht im War on Terror handelt es sich um eine
40
Identität und Geschlecht im War on Terror
Dokumentenanalyse, da das Material zur Auswertung nicht erst durch die
Datenerhebung geschaffen werden muss: Das American Presidency Project, eine
Plattform von John T. Woolley und Gerhard Peters von der University of California,
ist eine Online-Ressourcendatenbank, die unter anderem öffentliche Dokumente,
Statements und Presseprotokolle seitens der amerikanischen Präsidenten sammelt.
2) Für den Untersuchungszeitraum 11. September bis 31. Dezember 2001 hat die
Datenbank 153 öffentliche Dokumente archiviert, die die Region Afghanistan
erwähnen. Davon beinhalten 68 Dokumente zusätzlich auch den Terminus Frauen.
3)
Für
den
Kontext
der
Arbeit
sind
davon
vier
Pressebriefings,
drei
Radioansprachen und drei Statements in Zusammenhang mit verschiedenen
Anlässen aussagekräftig. 4) Die Analyse orientiert sich an folgenden Leitfragen: Wie
erfolgt die Selbstdarstellung im Verhältnis zur Konstruktion des Feindes? Wie sind
die verschiedenen Aussagen über Frauen im Gesamtkontext des War on Terror
eingelassen? Wo sind Brüche im dichotomen Verständnis von Weiblichkeit und
Männlichkeit erkennbar? 5) Diese Aspekte werden vor dem Hintergrund der
Kernfrage – Wie die US-Regierung unter George W. Bush im War on Terror gezielt
Identitäten und insbesondere Geschlechterrollen konstruiert und zu ihrem Zweck
instrumentalisiert hat – beleuchtet.
6) Als Analysetechnik stehen bei der qualitativen Inhaltsanalyse drei
Verfahren – Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung – zur Auswahl. Die
Zusammenfassung zielt darauf ab, das Material so zu reduzieren, dass die
wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, aber besser überschaubar werden. Da diese
Methode
eine
Streichung
von
ausschmückenden,
wiederholenden
und
verdeutlichenden Wendungen verlangt, ist dieser Weg vor dem Hintergrund der
Forschungsfrage unbrauchbar. Auch die Explikation, die interpretationsbedürftige
Textstellen voraussetzt, die durch zusätzliches Material verständlich gemacht
werden, eignet sich für diese Arbeit nicht. Die verwendete Analysetechnik ist daher
die Strukturierung: Das Ziel ist dabei unter vorher festgelegten Ordnungskriterien
einen Querschnitt durch das Material zu legen. Bei einer Strukturierung sind
M. Zimmermann
41
verschiedene Untergruppen zu differenzieren: die formale, inhaltliche, typisierende
oder skalierende Strukturierung. In Anbetracht des Forschungsinteresses wird das
Material in einzelnen Dimensionen auf Ausprägungen in Form von Skalenpunkten
eingeschätzt. Es handelt sich daher um eine skalierende Strukturierung (Mayring
2007, S. 58).
7)
Als
Analyseeinheiten
gelten
die
vollständigen
Texte
der
Auswahleinheiten, da sie sich ausschließlich zum Forschungsinteresse äußern und
sich daher eine Reduzierung auf bestimmte Textstellen nicht anbietet. Demnach
werden vier Pressebriefings, drei Radioansprachen und drei Statements zu
verschiedenen Konferenzen ausgewertet.
Dafür wurde ein Kategorienschema12 angefertigt, das für eine skalierende
Strukturierung notwendig ist. In Anlehnung an die vorgestellten Konzepte homo
sociologicus
und
Doing-Gender
werden
bei
der
Kategorisierung
das
Rollenverhalten und die Rollenattribute berücksichtigt. Der erste Faktor, der
untersucht wird, ist die Eigenidentität. Eigenidentität meint die Selbstdarstellung
Amerikas im War on Terror, explizit im Untersuchungsmaterial aufgeführt als
amerikanische Nation, das amerikanische Volk oder auch vertreten durch das
amerikanische Militär sowie seine Soldaten und Soldatinnen. Als Variablen dienen
hierfür Souveränität und Dominanz. Souveränität wird verstanden als – nach innen
und außen – unabhängige staatliche Herrschaftsmacht und Entscheidungsgewalt,
die legitimiert ist. Dominanz misst sich an einer Verhaltens- oder Ausdrucksweise,
die Stärke und Entschlossenheit demonstriert: „America is determined to oppose
the state sponsors of terror“ (Bush 2001c). Sie kann im Untersuchungsmaterial aber
auch implizit auftauchen.
Der zweite Faktor beschäftigt sich mit der Fremdidentität. Fremdidentität
meint die Darstellung des Feindes im War on Terror, explizit im Untersuchungsmaterial genannt als Taliban, Al-Qaida, Terroristen, islamische Fundamentalisten
oder Osama Bin Laden. Die Variablen zur Auswertung sind ebenfalls Souveränität
12
Siehe Anlage 1.
42
Identität und Geschlecht im War on Terror
und Dominanz, um eine Vergleichbarkeit der Eigen- und Fremdidentität zu
ermöglichen.
Der dritte Faktor beschäftigt sich mit den geschlechtlichen Implikationen.
Geschlechtliche Implikationen sind Aussagen über Männlichkeit und Weiblichkeit,
die meist implizit getroffen werden. Trotz ihrer Nichterwähnung strukturieren sie
Denk- und Handlungsmuster des Politischen. Sie finden ihren Ausdruck in der
Symbolik und Struktur. In vielen gewaltförmigen Konflikten werden Frauen zu
Gebärenden oder schutzbedürftigen Opfern. Unterdessen besteht die Vorstellung,
nur Krieger seien echte Männer. Es findet eine geschlechtliche Arbeitsteilung
(private / öffentliche Sphäre) und Formung von Institutionen, z.B. des Militärs statt.
Die Ausprägung der geschlechtlichen Implikationen kann stark, mittel oder
schwach sein. Bei einer starken Darstellung werden Frauen sowohl als Opfer
klassifiziert, als auch über ihre Rolle als Mütter und/oder Hausfrauen definiert.
Findet in den Ausführungen nur eine der beiden Zuschreibungen statt, gilt dies als
mittlere Ausprägung. Der Skalenpunkt schwach erfasst Aussagen, bei denen Frauen
zwar genannt werden, dies aber ohne Rollenverhalten oder im gleichrangigen
Verhältnis zu Männern geschieht. Zum Beispiel in der Aussage: “Yet we are equally
determined to respect and help the men and women those regimes oppress” (Bush
2001c)
8) Alle Äußerungen aus dem Analysematerial13 , sprich Satz für Satz, werden
mit dem eben vorgestellten Kategorienschema codiert14.
9) Die Ergebnisse werden schließlich im letzten Schritt in Richtung der
Fragestellung interpretiert.
6.2. Analyseergebnisse: Faktor Eigenidentität
Die US-Regierung strotzt in ihren Ausführungen über die eigene Identität —
namentlich im Untersuchungsmaterial als amerikanische Nation oder das
13
Siehe Anlage 3.
14
Siehe Anlage 2.
M. Zimmermann
43
amerikanische Volk aufgeführt und durch das amerikanische Militär und seine
Soldaten und Soldatinnen
in Afghanistan vertreten — vor Stärke und
Entschlossenheit:
I make this promise to all the victims of that regime: The Taliban's
days of harboring terrorists and dealing in heroin and brutalizing
women are drawing to a close. And when that regime is gone, the
people of Afghanistan will say with the rest of the world, "Good
riddance" (Bush 2001c).
Dominanz ist von allen untersuchten Merkmalen die am häufigsten auftretende
Variable und in ihrer starken Ausprägung besonders für die Konstruktion der
Eigenidentität entscheidend. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg
gibt es kaum ein Eingeständnis von Schwäche. Lediglich in den ersten Wochen nach
den Anschlägen vom 11. September 2001 räumt die US-Regierung — wenn auch
nur indirekt — ihre Verwundung durch die Terrorattentate ein. Dabei zeigt sich,
dass der Anerkennung von Verlust oder Schwäche stets eine entschlossene
Kampfansage folgt:
Taliban regime has made that nation into a sanctuary and training
ground for international terrorists, terrorists who have killed
innocent citizens of many nations, including our own. […]. The
Taliban has been given the opportunity to surrender all the
terrorists in Afghanistan and to close down their camps and
operations. Full warning has been given, and time is running out
(Bushn 2001f).
In Bezug auf die Rechtfertigung der unmittelbar auf die Terroranschläge gefolgten
Operation Enduring Freedom wird angeführt, dass es nicht nur um die Vereitelung
weiterer Terrorakte — sprich Schutz und Sicherheit — geht. Die US-Regierung führt
als Motiv auch die Bedeutung und Durchsetzung von Menschenrechten an:
44
Identität und Geschlecht im War on Terror
We work for a new era of human rights and human dignity in that
country. […]. In Afghanistan, America not only fights for our
security, but we fight for the values we hold dear (Bush 2001a).
Die eigene Seite wird mit erheblichen Wertezuschreibungen ausgeschmückt. Auch
vormals feministische Forderungen wie Gleichberechtigung und Emanzipation der
Frau werden als eigene und schon immer geltende Grundsätze dargelegt:
So obviously, the reign of the Taliban has been horrific for women.
And that is something the President thinks is important to be
taken into account when the future Afghanistan is discussed. The
United States won't dictate what that should be, but it's part of
America's values and America will say that (Fleischer 2001b).
Explizit betont wird in diesem Kontext neben der Achtung der Frauen auch die
Rechtsstaatlichkeit. Die Variable Souveränität — verstanden als legitime staatliche
Herrschaftsmacht und Entscheidungsgewalt — trat in ihrer negativen Ausprägung
nicht ein einziges Mal in Bezug auf die eigene Darstellung auf. Man verzichtet
grundsätzlich darauf, auf eventuelle Mängel oder Defizite des eigenen Profils
hinzuweisen.
Die Sprecher der US-Regierung verwenden Amerika zudem nicht einfach nur
als Name des Landes, sie inszenieren ihn immer wieder als Ausdruck einer
geschlossenen Einheit, die seinesgleichen sucht:
The overwhelming support for this legislation sends a clear
message: As we drive out the Taliban and the terrorists, we are
determined to lift up the people of Afghanistan. [...]. This great
Nation will work hard to bring them hope and help. To the bill's
sponsors, thank you from the bottom of our hearts. You show the
true compassion of this great land (Bush 2001a).
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder auf die Armut der
afghanischen Bevölkerung hingewiesen, die die US-Regierung seit vielen Jahren mit
M. Zimmermann
45
ihrer humanitären Hilfe einzudämmen versuche. Diese Unterstützung würde man
trotz der terroristischen Aktivitäten in Afghanistan fortführen, da die afghanische
Bevölkerung selbst ein Opfer ihrer eigenen Regierung wäre und ohnedies schon
schrecklich leiden müsse.
America has long been the largest source of food and
humanitarian assistance to Afghanistan. This week I announced an
additional $320 million in aid to the Afghan people […].
Conditions permitting, we will bring help directly to the people of
Afghanistan by airdrops. This aid will help Afghans make it
through the upcoming winter (Bush 2001f).
Insgesamt zeigt die Analyse, dass die Eigenidentität mit einer starken Ausprägung
der Variablen Souveränität und Dominanz einhergeht. Die Selbstdarstellung
Amerikas im War on Terror wird begleitet von Zuschreibungen wie souverän und
demokratisch sowie Stärke, Entschlossenheit und Standhaftigkeit. Die negativen
Ausprägungen dieser Eigenschaften finden kaum bis gar nicht Erwähnung.
6.3. Analyseergebnisse: Faktor Fremdidentität
Die Vorstellungen des Eigenen und des Fremden gehen im gewaltförmigen Konflikt
einher mit der binären Reduktion von Komplexität. Im Regelfall werden starre
Freund- und Feindbilder entworfen, in denen Zwischentöne und Differenzierungen
sowie historische Verortungen keinen Platz haben. Die vielschichtigen politischen,
sozialen
und
historischen
Zusammenhänge,
die
das
Phänomen
Terror
hervorgebracht hat, werden beispielsweise einfach heruntergebrochen. Das
asymmetrische Paar lautet im War on Terror: Zivilisation oder Terrorismus. In einer
Radioansprache vom 06. Oktober 2001 — am Vortag des Beginns der Operation
Enduring Freedom — weist Präsident George W. Bush entsprechend auf die Eigenund Fremdgruppe kollektiver Identität im internationalen Kampf gegen den
Terrorismus hin:
46
Identität und Geschlecht im War on Terror
Stand with the civilized world, or stand with the terrorists. And
for those nations that stand with the terrorists, there will be a
heavy price (Bush 2001f).
Die Repräsentation der Akteure im War on Terror ist von der Konstruktion
kollektiver Identität und der kriegsnotwendigen Unterscheidung von Freund und
Feind eigentlich kaum zu trennen. Dennoch betont Ari Fleischer — von sich aus —
bei einer Pressekonferenz am 25. September 2001, den Unterschied zwischen dem
afghanischen Volk und den Taliban:
The President said that we have respect for the Afghani people. I
remind you that the Taliban regime is not comprised entirely - it's
comprised
substantially
of
non-Afghanis
who
came
into
Afghanistan for the purpose of sponsoring terror and bringing it to
the rest of the world (Fleischer 2001c).
Auf Nachfrage eines Journalisten wiederholt er wenig später, dass die Afghanen
kein Synonym für die Taliban wären, die zu einem entscheidenden Teil von anderen
Nationen und Regionen der Welt stammen würden und die das Fehlen einer
starken Zentralregierung genutzt hätten, um in Afghanistan ihre Plattform für einen
internationalen Terrorismus zu schaffen. Weitere Differenzierungen, wie zum
Beispiel von welchen Nationen oder aus welchen Regionen die Taliban stammen,
werden jedoch nicht vorgenommen (Fleischer 2001c). Auch US-Präsident George W.
Bush versucht zumindest klar zu stellen, wer nicht zu den Gegnern gehört:
Our enemy is not the Arab world. [...]. Our enemy is not Islam, a
good and peace-loving faith that brings direction and comfort to
over one billion people, including millions of Americans. And our
enemy is not the people of any nation, even when their leaders
harbor terrorists (Bush 2001f).
Das Anliegen deutlich zu machen, dass der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus kein Feldzug der westlichen Welt gegen die arabischen Länder und
M. Zimmermann
47
den Islam darstellt, kann natürlich ein politisches Kalkül sein, um nicht noch
weitere gesellschaftliche Gruppen in Aufruhr zu versetzen.
Das würde auch erklären, warum die First Lady, die in ihrer Radioansprache
vom 17. November 2001 sonst keinerlei Differenzierungen tätigt, ausgerechnet den
Umgang mit Frauen seitens des Taliban-Regimes von der islamischen Religion und
der sozialen Praxis der arabischen Staaten abgrenzen möchte:
The severe repression and brutality against women in Afghanistan
is not a matter of legitimate religious practice. Muslims around the
world have condemned the brutal degradation of women and
children by the Taliban regime. The poverty, poor health, and
illiteracy that the terrorists and the Taliban have imposed on
women in Afghanistan do not conform with the treatment of
women in most of the Islamic world (Bush 2001b).
Dennoch werden in Amerikas Darstellung über den Kampf gegen den Terrorismus
die Differenzen durch einen großen Unterschied repräsentiert: Freiheit gegenüber
Terror. Die Merkmale, die Identität herstellen und repräsentieren, sind meist durch
eine Äquivalenzbeziehung verbunden, das heißt eine Eigenschaft kann eine andere
ersetzen oder für alle anderen stehen. Demnach führt es nicht zu einer
Differenzierung der Identität, wenn man ihr eine neue Eigenschaft hinzufügt. Im
Gegenteil, die Vielfältigkeit wird auf asymmetrische Paare wie gut/böse oder
Freund/Feind reduziert (Forster 2003, S. 35-36). Amerika wird reflektiert als Land
der Freiheit, die Taliban stehen für Unterdrückung. Beide Charakterisierungen
ermöglichen eine Äquivalenzkette: Freiheit = Mut = Heldentum = Stolz im
Gegensatz zu Unterdrückung = Radikalität = Gewalt = Destruktion.
Die Variable Souveränität zeigt sich in Bezug auf die Konstruktion der
Fremdidentität als dahin aussagekräftig, als dass die US-Regierung nicht ein
einziges Mal das Taliban-Regime als legitime Regierung gelten lässt:
There's no question the Taliban is a repressive regime. [...].
48
Identität und Geschlecht im War on Terror
It's just by all definitions of the free world and other world a
repressive regime. [...].
The United States has never recognized the Taliban regime as a
legitimate government (Fleischer 2001c).
Im Gegenteil, wesentlich häufiger als man sich selbst Demokratie und
Gesetzmäßigkeit zuschreibt, spricht man sie dem Feind ab. Hinzu kommt die
Ausmalung der Schreckensherrschaft, bei der die US-Regierung insbesondere
Frauen als Leittragende des Taliban-Regimes in den Fokus rückt:
This is a regime that brutalizes its population, that brutalizes
women in particular, that executes its citizens summarily in a
stadium that was given to it by the United Nations for sports
games (Rice 2001).
Um den Feind entsprechend negativ dastehen zu lassen, wird der eigentlichen
Anklage — die Unterstützung von Terroristen — auch jedes weitere Übel im
Umfeld des Gegners zugeschrieben:
And my country grieves for all the suffering the Taliban have
brought upon Afghanistan, including the terrible burden of war
(Bush 2001c).
Nicht nur für die Intervention in Afghanistan ist das Taliban-Regime selbst
verantwortlich. Auch gravierende Probleme wie Armut und Hunger gehen nach
Aussagen der US-Regierung auf das Konto der Gegner. Dabei wird ihnen nicht nur
mangelndes Krisenmanagement vorgeworfen, sondern auch die Behinderung von
Hilfslieferungen seitens der Vereinten Nationen wie Condoleezza Rice am 08.
November 2001 auf einem Pressebriefing klar stellt:
Let's remember that the humanitarian crisis in Afghanistan started
well before September 11th, with the systematic starvation of parts
of the country because the Taliban was unwilling to let U.N.
M. Zimmermann
49
workers work there in a way that they could get humanitarian
relief (Rice 2001).
Außerdem zieht der US-Präsident mehrfach im Untersuchungsmaterial eine direkte
Linie vom Zweiten Weltkrieg zu den Taliban und dem Kampf gegen den
internationalen Terrorismus. Durch den Vergleich mit den Faschisten wird dem
Feind endgültig der Stempel der Abscheulichkeit aufgedrückt:
Like the Fascists and totalitarians before them, these terrorists – Al
Qaida, the Taliban regime that supports them, and other terror
groups across our world – try to impose their radical views
through threats and violence. We see the same intolerance of
dissent, the same mad global ambitions, the same brutal
determination to control every life and all of life (Bush 2001d).
Wie die Faschisten am Ende des Zweiten Weltkriegs würden auch die Terroristen
von den Amerikanern zur Strecke gebracht werden:
In a Second World War, we learned there is no isolation from evil.
We affirmed that some crimes are so terrible, they offend
humanity itself. And we resolved that the aggressions and
ambitions of the wicked must be opposed early, decisively, and
collectively, before they threaten us all. That evil has returned, and
that cause is renewed (Bush 2001c).
In seiner Ansprache zur Anti-Terror-Konferenz der ost- und mitteleuropäischen
Staaten am 06. November 2001 ist es US-Präsident George W. Bush ein deutliches
Anliegen den Terrorismus vom amerikanischen zum weltweiten Problem zu
erheben:
These terrorist groups seek to destabilize entire nations and
regions. They are seeking chemical, biological, and nuclear
weapons. Given the means, our enemies would be a threat to
every nation and eventually to civilization, itself (Bush, 2001d).
50
Identität und Geschlecht im War on Terror
Indem er den internationalen Terrorismus Möglichkeiten wie die Beschaffung von
Massenvernichtungswaffen zuschreibt, erreicht das Bedrohungsszenario eine neue
Dimension. Viele Strategien der Prävention und Bekämpfung wären auf dieser
Ebene nicht wirkungsvoll genug.
These same terrorists are searching for weapons of mass
destruction, the tools to turn their hatred into holocaust. They can
be expected to use chemical, biological, and nuclear weapons the
moment they are capable of doing so (Bush 2001c).
In der Konflikteskalationsphase fangen die negativen Faktoren des sozialen
Konfliktes an ihre Wirkung zu entfalten. Sie führen dazu, dass sich die Positionen
verhärten und die Bilder von einander noch negativer und stereotyper werden. Die
Möglichkeit Kompromisse zu schließen oder kreative Lösungen auszuhandeln,
verlieren sich in der Polarisierung und sozialen Mobilisierung. Diesbezüglich zeigt
sich, wie die US-Regierung auf ein zeitnahes Handeln pocht:
So we're determined to fight this evil and fight until we're rid of it.
We will not wait for more innocent deaths. We will not wait for
the authors of mass murder to gain the weapons of mass
destruction. We act now because we must lift this dark threat from
our age and save generations to come (Bush 2001d).
Entgegen bisheriger Ausführungen, kann die Analyse die Konstruktion der
Fremdidentität entlang nationaler und kultureller Linien nicht bestätigen. Die USRegierung hat wiederholt klar gestellt, dass sowohl der Islam, als auch die arabische
Welt und auch das afghanische Volk nicht den Feind repräsentieren. Jedoch zeigen
die Variablen Souveränität und Dominanz, dass man kein gutes Haar in Form von
Legitimität oder Stärke an den Feind kommen lässt. Die starke Ausprägung tritt —
entgegen dem Ergebnis bei der Konstruktion der Eigenidentität — kaum bis gar
nicht auf.
M. Zimmermann
51
6.4. Analyseergebnisse: Faktor Geschlechtliche Implikationen
Im Diskurs des Anti-Terror-Kampfes werden Aussagen über Männlichkeit und
Weiblichkeit meist implizit getroffen. Geschlechtliche Implikationen, die die Denkund Handlungsmuster des Politischen trotz ihrer Nichterwähnung strukturieren,
bedürfen daher einer hermeneutischen Interpretationsarbeit.
Das Gendering des Krieges lässt sich nicht isoliert von anderen
Aspekten der amerikanischen Identitätspolitik begreifen […]. Der
Feind ist nicht nur männlich, er ist auch fanatisch (religiös),
gewalttätig (gegenüber Frauen), intolerant (Forster 2003, S. 35).
Um die Reproduktion binärer Geschlechterstereotype15 durch die Analyse selbst zu
vermeiden, ist es wichtig, auch Brüche und Irritationen zu erfassen (Nachtigall 2012,
S. 83). Dazu diente bei der Variable Symbolik und Struktur die schwache
Ausprägung, die Aussagen erfasste, in denen Frauen weder als Opfer, noch als
Mutter dargestellt oder aber im gleichrangigen Verhältnis zu Männern erwähnt
wurden. Von allen Ausprägungen dieser Variable, trat die schwache Form am
wenigstens auf. Betrachtet man die entsprechenden Äußerungen, so erfolgt
lediglich eine einfache Nennung von Personen, die sowohl Frauen als auch Männer
bezeichnen können:
This work begins by ensuring the essential rights of all Afghans.
[…]. This is a great goal, and that's why I'm so pleased that
Afghanistan's new government will respect the rights of all
people, women and men (Bush 2001a).
Es
sind
keine,
sich
wiederholenden
Konstruktionen,
die
die
typischen
Geschlechtergrenzen unterlaufen, zu erkennen. Ein einziges Mal fanden Frauen in
einer Radioansprache des Präsidenten am 13. Oktober 2001 entgegen gesetzt zu den
15 Geschlechterstereotype werden definiert als kognitive Strukturen, die sozial geteilte Annahmen
über charakteristische Merkmale von Frauen und Männern enthalten. Sie dienen als das Alltagswissen
über die Differenzen zwischen den Geschlechtern (Gottburgsen 2000, S. 59).
52
Identität und Geschlecht im War on Terror
Geschlechterstereotypen Frieden und Weiblichkeit sowie Krieg und Männlichkeit
Erwähnung:
Our men and women in uniform are performing as they always
do, with skill and courage, and they have achieved the goals of the
first phase of our campaign (Bush 2001e).
Dies blieb jedoch im Untersuchungsmaterial die einzige Ausnahme. Insbesondere
afghanische Frauen wurden nahezu ausschließlich als Opfer gruppiert, wobei sich
auch
eine
deutliche
Steigerung
bezüglich
der
Verweise
auf
Frauenrechtsverletzungen im Laufe des Untersuchungszeitraums erkennen lässt:
Vor und zu Beginn der Operation Enduring Freedom erfolgt nur ein kurzer Hinweis
auf die Unterdrückung der Frauen durch die Taliban. Während der Pressekonferenz
am 25. September 2001, bemerkt Ari Fleischer lediglich: “There's no question the
Taliban is a repressive regime. Women have no rights” (Fleischer 2001c). Weitere
Schilderungen erfolgen dazu nicht. Auch die Journalisten und Journalistinnen
kommen nicht darauf zurück. Im November häuft sich daraufhin nicht nur die
Erwähnung, sondern auch der Umfang, in dem das Schicksal der Frauen
thematisiert wird. Dies kann mit der Dauer des Einsatzes und der Mobilisierung
von Verbündeten für den Wiederaufbau Afghanistans sowie dem öffentlichen
Bedürfnis nach Legitimation zusammen hängen.
Außerdem verschiebt sich die Art der Ausführungen von sachlichen
Feststellungen
hin
zu
einer
bildhaften
Veranschaulichung.
In
einer
Satellitenansprache vom 06. November 2001 anlässlich einer Anti-Terror-Konferenz
von ost- und mitteleuropäischen Staaten in Warschau schildert Bush das Schicksal
von Frauen und Kindern in Afghanistan wie folgt:
Women are imprisoned in their homes and are denied access to
basic health care and education. [...]. Children are forbidden to fly
kites or sing songs or build snowmen. A girl of 7 is beaten for
wearing white shoes (Bush 2001d).
M. Zimmermann
53
Ähnlich illustrativ ist Bushs Stellungnahme auf der Generalversammlung der
Vereinten Nationen in New York am 10. November 2001:
Women are executed in Kabul's soccer stadium. They can be
beaten for wearing socks that are too thin (Bush 2001c).
Die Operation Enduring Freedom wird im politischen Diskurs über zwei narrative
Traditionen und Praktiken legitimiert: das Schutz-Szenario und der Orientalismus.
Beide Überlieferungen ziehen ihre rhetorische Kraft aus Diskursen über den
Imperialismus. Das Argument um den Schutz von Frauen, als Rechtfertigung für
die Bombardierung Afghanistans, verbindet Elemente beider Traditionen (Stabile
und Kumar 2005, S. 769).
Bei einem Pressebriefing am 08. November 2001 mit der damaligen
nationalen Sicherheitsberaterin von US-Präsident Bush, Condoleezza Rice,
hinterfragt ein Journalist oder eine Journalistin16 die Befreiungskampagne:
Q: Dr. Rice, what is your current assessment of the attitudes of the
Afghani people themselves to the American bombing and to the
Taliban regime? There are some indications that the bombing has
been counter-productive in rallying the Afghan people to liberate
themselves.
Condoleezza Rice: […]. The Taliban regime has been perhaps the
most brutal in the world and the most brutal against its own
people. It's very hard to imagine that the people of Afghanistan
have forgotten that suddenly (Rice 2001).
Um die militärische Intervention weiterhin als notwendige Rettungsmission für die
afghanischen
Frauen
darzulegen,
wurde
Laura
Bush
als
unnachgiebige
Repräsentantin dieses Anliegens der Weltöffentlichkeit zugeführt. In einer
Radioansprache des Präsidenten vom 17. November 2001, die sie stellvertretend als
16 Die Identität oder das Geschlecht der Fragesteller (Q) sind im Untersuchungsmaterial nicht
aufgeführt.
54
Identität und Geschlecht im War on Terror
erste Gattin eines US-Präsidenten hielt, trat sie eine regelrechte Hetzkampagne im
Namen der Frauenrechte los:
I'm delivering this week's radio address to kick off a world-wide
effort to focus on the brutality against women and children by the
al-Qaida terrorist network and the regime it supports in
Afghanistan, the Taliban (Bush 2001b).
Obwohl die Revolutionary Association of Women of Afghanistan (RAWA) gleich
nach der Kriegserklärung vehement dagegen protestierte17, sprach die USRegierung weiterhin im Namen der Frauen Afghanistans, die sie unterschiedslos als
Opfer von Unterdrückung und Gewalt darstellten. Durch die homogenisierende
Subsumierung von Frauen als Opfer und von Terroristen als unzivilisierte Barbaren,
impliziert die US-Regierung, dass Terroristen und die Unterdrückung von Frauen
untrennbar
miteinander
verbunden
wären.
Dabei
werden
die
jeweiligen
kontextuellen Bedingungen und damit die Veränderbarkeit von des Status der
Frauen beziehungsweise die Tatsache ihrer Handlungsfähigkeit nicht mit
einbezogen (Langenberger 2008, S. 215-216).
Eine Folge davon ist, dass der Krieg im Namen so genannter
„orientalischer,
unterdrückter
Frauen“
in
einem
radikalmuslimischen Land genau jene Erfahrung von Frauen
ignoriert,
in
deren
Namen
westliche
Vertreterinnen
von
Frauenrechten angetreten sind (Langenberger 2008, S. 216).
Die Rechtfertigung im Namen der „zivilisierten Menschheit“, diese unterdrückten
Frauen durch Krieg zu befreien, basiert außerdem auf der systematischen
Ausblendung der alltäglichen Misshandlung von Frauen in den USA und anderen
Teilen der Welt, die unsichtbar bleiben oder keiner Einmischung für wert befunden
17 RAWA hat viele Jahre für Abrüstung und Friedenstruppen gekämpft. Sie haben sich auch
unverschleiert für ein säkulares, demokratisches Afghanistan ausgesprochen. Doch alles, was die Welt
gehört und reflektiert hat, waren die Exzesse der Taliban. In der militärischen US-Intervention sah
RAWA keine Rettung, sondern hauptsächlich Not und Verlust auf die Frauen zu kommen (AbuLughod 2002, S. 789-790).
M. Zimmermann
55
werden, was ein Journalist oder eine Journalistin bei einem Pressebriefing am 19.
November 2001 im Weißen Haus hinterfragt:
Q: There is a question, I guess some have been commenting about
the First Lady's campaign kicking off. Why not talk about other
countries which don't afford women rights and freedoms, such as
Saudi Arabia? Why -- is this campaign going to extend to other
countries beyond the Taliban -MR. FLEISCHER: Well, first of all, I don't think you can find
another nation in the world that had a government that was as
repressive to women as the Taliban were. Different nations have
different cultures and different traditions, but no one has done
what the Taliban has done (Fleischer 2001b).
Bei der Verabschiedung eines Hilfspaketes, das afghanische Frauen und Kinder
einen besseren Zugang zu Nahrung und medizinischer Versorgung sichern sollte,
sprach US-Präsident George W. Bush gar von einem Krieg, den die Taliban gegen
die Frauen führen würden:
For several years, the people of Afghanistan have suffered under
one of the most brutal regimes – brutal regimes – in modern
history, a regime allied with terrorists and a regime at war with
women (Bush 2001a).
Der Terminus Frauen und Kinder wurde sehr oft seitens der Bush-Regierung
verwendet, was den Frauen nicht nur die Opfer-, sondern auch die Mutterrolle
zuwies:
America is beginning to realize that the dreams of the terrorists
and the Taliban were a waking nightmare for Afghan women and
their children. […]. We strongly reject their brutality toward
women and children (Bush 2001a).
56
Identität und Geschlecht im War on Terror
Frauen und Kinder werden oft als geschlossene Einheit gesehen. Sie stehen für
familiäre Werte, die es nach Ansicht der Gesellschaft mehr als alles andere zu
schützen gilt. Frauen werden so zu Müttern, Hüterinnen der Familie, die die
nationale Einheit und den Wohlstand sichern. Die Inszenierung von Frauen und
Kinder als Opfer unterstützt die US-Regierung, in ihrem Anliegen, der
amerikanischen Öffentlichkeit eine emotionale Reaktion zu entlocken und so
Unterstützung für den Krieg gegen den Terror zu generieren.
The representations of Afghan women in the days following 11
September 2001, and their cynical usage by US politicians, were
solely aimed at supporting the US case for intervention (Stabile
und Kumar 2005, S. 776).
Jedoch schließt die Verknüpfung von Frau- und Muttersein viele Frauen aufgrund
ihres Alters, ihrer Sexualität und sonstiger Umstände aus. Zudem wird durch die
Gleichsetzung der Lage von Frauen und Kindern eine Relativierung der
spezifischen Situation von Frauen vorgenommen (Langenberger 2008, S. 217).
Die First Lady nimmt in ihrer Kommunikation diese Rollenzuschreibungen
ebenfalls vor und verstärkte diese Konstruktionen, in dem sie die Beispiele ihres
Mannes wiederholt und mit bildhaften Beispielen unterstreicht:
Long before the current war began, the Taliban and its terrorist
allies were making the lives of children and women in
Afghanistan miserable. […]. Life under the Taliban is so hard and
repressive, even small displays of joy are outlawed - children
aren't allowed to fly kites; their mothers face beatings for laughing
out loud (Bush 2001b).
Weiterhin vermischt Laura Bush die Terroristen der Anschläge vom 11. September
2001 mit dem Taliban-Regime, durch die Aussage, dass „the brutal oppression of
women (is) a central goal of the terrorists“ (Bush, 2001b). Dabei wird nicht nur das
Anliegen der Attentäter vom 11. September 2001 verwischt, sondern auch der
M. Zimmermann
57
totalitaristische und patriarchale Charakter des Taliban-Regimes in Afghanistan
(Langenberger 2008, S. 218).
Schließlich kommt Laura Bush auf die Angst der westlichen Welt zu
sprechen, der im öffentlichen Diskurs über die Befreiung der afghanischen Frauen
wohl zu wenig Platz eingeräumt wurde:
Civilized people throughout the world are speaking out in horror
– not only because our hearts break for the women and children in
Afghanistan, but also because in Afghanistan we see the world the
terrorists would like to impose on the rest of us (Bush 2001b).
Die eigentliche Aufregung ergibt sich daher vielleicht nicht so sehr aus der
grausamen Behandlung der Frauen in Afghanistan, sondern entspringt vielmehr
der Hypothese, dass westliche Frauen auch Opfer einer solchen Ordnung werden
könnten (Langenberger 2008, S. 218).
Die Analyse bestätigt die Symbolik und Struktur, die Frauen als
schutzbedürftige Opfer und Mütter zeigen. Sowohl die starke, als auch die mittlere
Ausprägung der Variable tauchen mit großen Häufigkeiten auf. Konstruktionen, die
jenseits
der
typischen
Geschlechtergrenzen
verlaufen,
sind
im
Untersuchungsmaterial nicht präsent.
7. Die Auswirkungen des War on Terror
7.1. Diskussion der Analyseergebnisse
Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass in den offiziellen Stellungnahmen
der US-Regierung zu Beginn des Anti-Terror-Krieges und dem damit verbundenen
Einsatz in Afghanistan explizit und implizit binäre Zuschreibungen in Bezug auf die
Eigen-
und
Fremdidentität
gemacht
worden
sind.
Bestehende
kulturelle
Auffassungen sind (re-)produziert worden, jedoch hat man zumindest versucht zu
differenzieren, wer nicht zu den Feinden gehört. In den dichotomen Freund-Feind-
58
Identität und Geschlecht im War on Terror
Konstruktionen hielt auch die symbolische Kraft der Geschlechterbilder Einzug: Die
diskursive Konstruktion von Weiblichkeit nahm eine entscheidende Position bei der
Wahrnehmung, Erklärung und Bewertung der Ereignisse sowie der damit
verbundenen politischen (kriegerischen) Handlungsoptionen ein. Die Frauenrechtsverletzungen erwiesen sich als funktional, um vermeintliche kulturelle Differenzen
zwischen dem Westen und Islam plausibel zu machen und das Handeln der
jeweiligen Akteure zu begründen und zu bewerten. Der Einsatz in Afghanistan
hatte dadurch eine moralische Legitimation und wurde in der Bevölkerung als eine
humanitäre und zivilisatorische Maßnahme wahrgenommen.
Die Ergebnisse vergleichbarer Analysen bestätigen diese Schlussfolgerung:
Matthew T. Bowles und Fatima Ayub untersuchten in ihrer Fallstudie Liberating
Muslim Women, wie die USA mit einer anti-muslimischen Rhetorik und der
Ausrichtung auf geschlechtsspezifische Dimensionen den Einsatz in Afghanistan im
Jahr 2001 begründet hat. Ihr Fokus lag auf der Verwendung des Schleiers bei der
Konstruktion der unterdrückten muslimischen Frau und die diskursive Verwendung
von Befreiung muslimischer Frauen als Euphemismus für die westliche kulturelle,
wirtschaftliche und militärische Eroberung der muslimischen Welt (Bowles und
Ayub 2004, S. 2).
Ihre Ergebnisse zeigen, dass in der Zeit nach den Anschlägen vom 11.
September 2001 das öffentliche Klima in den USA von anti-muslimischer und
geschlechtsspezifischer Rhetorik dominiert und verschärft wurde. Nach Bowles und
Ayub resultiert diese Entwicklung aus den bereits existierenden OrientalismusDiskursen, die vom Westen über die muslimische Welt entwickelt wurden, um
Eroberung und Kolonialismus in den letzten zwei Jahrhunderten zu rechtfertigen.
Wie damals beim Aufbau der französischen und britischen Kolonien im 19.
Jahrhundert, wurde auch heute das Bild der unterdrückten muslimischen Frau
instrumentalisiert, um die territoriale, kulturelle und wirtschaftliche Eroberung
muslimischer Länder wie Afghanistan zu verteidigen (Bowles und Ayub 2004, S. 1819).
M. Zimmermann
59
We observe that the veil has been the primary icon used to
forward the image of the 'subjugated Muslim woman' and the
symbol by which the West constructs and defines the Muslim
woman and her experiences (Bowles und Ayub 2004, S. 18-19).
In Anbetracht der Ergebnisse der vorangegangenen qualitativen Inhaltsanalyse
kann — zumindest für die politischen Akteure — die Instrumentalisierung des
Schleiers
nicht
bestätigt
werden.
Nicht
ein
einziges
Mal
tauchen
im
Untersuchungsmaterial die Begriffe Schleier oder Burka auf. Da Bowles und Ayub
die These vom Schleier als Symbol für Erniedrigung und Unterdrückung anhand
von Medienberichten bestätigt haben, ist davon auszugehen, dass diese
Komponente aufgrund seines starken bildlichen Ausdrucks von Seiten der
Journalisten und Journalistinnen ins Spiel gebracht worden ist. Das wurde
wiederum von der US-Regierung genutzt, wie es Dana L. Cloud in ihrer Analyse 'To
veil the threat of terror' nachgewiesen hat. Cloud untersuchte die Vorstellungen
über die afghanische Bevölkerung in der westlichen Welt und ihre Rolle für die
öffentliche Unterstützung der Operation Enduring Freedom. Sie wirft der USRegierung die Annahme und aktive Nutzung der medialen Aufbereitung von
verschleierten Frauen und deren notwendige Befreiung vor:
Bush shares the narrative strategy of the Time photographs and
constructs a new image of the Afghan people, not as pre-modern
Others but as “friends” in his claim that U.S. forces led to freedom.
The phrasing suggests that the women before intervention were
Others, but that they now have been folded into U.S. identity as
friends (Cloud 2004, S. 298).
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die narrative Logik der Befreiung der
unterdrückten Frauen, die seitens der Politik und der Medien verfolgt wurde, die
militärische Operation als eine legitime Reaktion auf die Terroranschläge vom 11.
September 2001 getarnt hat (Cloud 2004, S. 296).
60
Identität und Geschlecht im War on Terror
The cultivation of attitudes toward enemy Others in mass media is
central to the rallying of public support for war. Most imagery
about war is produced, mass mediated, and controlled by a mere
handful of multinational media corporations beholden to state
power (Cloud 2004, S. 299).
Die Medien fütterten die Aussagen der US-Regierung stetig mit bildreichen
Geschichten. Insbesondere mit dem proklamierten Erfolg der Operation Enduring
Freedom wurde der Schleier als Symbol wieder verstärkt verwendet.
Images of Afghan women and men establish a binary opposition
between a white, Western, modern subject and an abject foreign
object of surveillance and military action. These images construct
the viewer as a paternalistic savior of women and posit images of
modern civilization against depictions of Afghanistan as backward
and pre-modern (Cloud 2004, S. 286).
Die Befreiung ging mit der Entschleierung der Frauen in Bild und Schrift einher: In
der Time vom 3. Dezember 2001 war auf dem Titel des Magazins das
unverschleierte Gesicht einer afghanischen Frau zu sehen. Die Überschrift lautete
Lifting the Veil. Die zahlreichen Fotos bewegten sich zwischen den Impressionen von
Unterdrückung und Befreiung, dementsprechend wurden auch die Texte platziert –
Geschichten über Frauen unter islamischer Diktatur gegenüber Aktivitäten von
Frauen, die nach der Ankunft der US-Truppen hinter ihrem Schleier hervorkamen
(Cloud 2004, S. 294-295).
Krista Hunt und Kim Rygiel haben mit ihrer Untersuchung (En)gendering the
war on terror ebenfalls sichtbar gemacht, inwiefern der Kampf gegen den
Terrorismus vermännlicht, militarisiert, ethnisiert und sexualisiert wird, um die
Funktion des Krieges zu gewährleisten und wie diese Dynamiken oft unbemerkt
geschehen, bewusst ignoriert oder gar von den offiziellen Repräsentanten des
Krieges vertuscht werden. Sie behaupten weiter, dass der politische Zweck von
offiziellen Kriegsdarstellungen darauf abzielt die wahren Grundsätze, Programme
M. Zimmermann
61
und Interessen zu tarnen und darüber hinaus Zustimmung für den Krieg gegen den
Terror zu gewinnen (Hunt und Rygiel 2006, S. 3). Dies ist mit der
Instrumentalisierung der Frauenrechte im Anti-Terror-Krieg deutlich geworden:
In retrospect, the coverage of Afghan women that followed from
11 September 2001 can only be understood as a cynical and
opportunistic use of women. Few journalists and reporters could
have believed that the sudden interest in Afghan women was
anything other than a cover for the Bush administration’s dreams
of empire, particularly given the absence of coverage of issues
involving women and violence in the US media in general (Stabile
und Kumar 2005, S. 776).
Obwohl sich die Situation der Frauen in Afghanistan seit 1995 kontinuierlich
verschärfte,
erfolgte
eine
entsprechende
Thematisierung
erst
nach
den
Terroranschlägen vom 11. September 2001:
Before this point, the condition of women in Afghanistan and the
injustices of Islamic dictatorship had not been of concern to the
United States. Thus, there is a contradiction between the rhetoric
of moral inferiority and the mercenary motives of the war (Cloud
2004, S. 298).
Es stellt sich dennoch die Frage, ob das Vorgehen der US-Regierung zu einer
Verbesserung der Lebensbedingungen der Frauen in Afghanistan geführt hat.
7.2. Die Auswirkungen auf die Lage der Frauen in Afghanistan
Im War on Terror hat die Bush-Regierung als Teil ihrer Strategie feministische
Diskurse und Aktivitäten kooptiert. Mit diesem embedded feminism sollte eine
öffentliche Wahrnehmung für den Afghanistan-Einsatz erzeugt werden, die sich auf
die Befreiung der Frauen konzentriert, um so die Unterstützung für die
„Zivilisierung Afghanistan“ voran zu treiben (Hunt 2006, S. 55-56).
62
Identität und Geschlecht im War on Terror
Bereits 42 Tage nach dem Einmarsch in Afghanistan erklärte die First Lady
triumphierend, dass die Befreiung der Frauen — dank der amerikanischen
Operation — geglückt sei:
Because of our recent military gains in much of Afghanistan,
women are no longer imprisoned in their homes. They can listen
to music and teach their daughters without fear of punishment.
[…]. That regime is now in retreat across much of the country, and
the people of Afghanistan – especially women – are rejoicing
(Bush 2001b).
Auch Ari Fleischer spricht wenige Tage später auf einer Pressekonferenz am 27.
November 2001 im Weißen Haus über die positiven Erfahrungen, die die
afghanischen Frauen durch ihre Befreiung sammeln können:
Having said that, thanks to the United States, the life of women in
Afghanistan has improved immeasurably. The condition of
women in Afghanistan today, compared to what it was three, even
four weeks ago before the fall of the Taliban, has led to a dramatic
improvement in the quality of lives of women in Afghanistan. […].
The situation has changed immensely for the better (Fleischer
2001a).
Die
US-Regierung
gibt
damit
einen
Erfolg
aus,
der
von
afghanischen
Frauenrechtsgruppen und internationalen Menschenrechtsorganisationen seither
bestritten wird. Tatsächlich wurde das Leben der Frauen von dem Einmarsch der
Amerikaner sogar negativ beeinträchtigt: Durch die problematische Sicherheitslage,
insbesondere außerhalb der Hauptstadt Kabul, gestaltete sich die Beteiligung der
afghanischen Frauen am öffentlichen Leben äußert schwierig. Die permanente
Präsenz von schwer bewaffneten Soldaten auf der Straße verursachte gewiss mehr
als ein beängstigendes Gefühl. Hinzu kamen die Verwüstungen und Zerstörungen
des fortdauernden Krieges, die viele Frauen heimatlos und zu Flüchtlingen gemacht
M. Zimmermann
63
haben. Keinerlei Aufmerksamkeit hatte die Bush-Regierung auch für die (sexuelle)
Gewalt gegen Frauen und ihre Last durch die Pflege von Alten und Verwundeten in
Folge des Krieges. Die Erfahrungen der afghanischen Frauen handeln daher kaum
von Eindrücken einer essentiellen Befreiung (Kreile 2005, S. 102-103).
Dies
bestätigen
auch
afghanische
Frauenrechtsorganisationen
und
internationale Menschenrechtsgruppen, die die Situation in Afghanistan seit dem
Sturz der Taliban kritisch beobachten. Amnesty International geht sogar in manchen
Bereichen von einer Zuspitzung der Lage für Frauen in Afghanistan aus.
Beispielsweise haben die konservativen Kräfte in Afghanistan den Widerstand
gegenüber Frauenrechten verschärft, da sie die Rhetorik der Bush-Regierung
bezüglich der Befreiung der Frauen als Angriff auf ihre Kultur und Religion werten
(Hunt 2006, S. 51).
It has come to be assumed in much of the Muslim world that to be
a proponent of women’s rights is to be pro-Western… [W]e see
that women have long been the pawns in a struggle between the
elite modernists, usually defined as pro-Western, and the religious
and tribal-based traditionalists (Amiri 2001).
Zwar können Frauen mittlerweile in manchen Regionen ohne männliche Begleitung
einkaufen gehen, aber viele Grundrechte werden ihnen weiterhin verwehrt. Viele
Mädchen dürfen weiterhin nicht zur Schule gehen. Immer wieder werden Fälle
bekannt, in denen Frauen noch nach islamischen Gesetzen bestraft werden. Die
Durchsetzung der Frauenrechte war für keine afghanische Regierung nach dem
Sturz der Taliban von höherer Priorität. Komplexere Ursachen der Diskriminierung
und der Gewalt gegen afghanische Frauen werden bis heute kaum thematisiert
(Stabile und Kumar 2005, S. 775-776).
The role of women in fighting for their own liberation has been left
completely out of the equation. Afghan women activists fought for
their rights throughout the reign of the Taliban. […]. Since the war,
the numbers of women who are ready to organize and fight have
64
Identität und Geschlecht im War on Terror
grown more still – despite the lack of enthusiasm displayed by the
interim government (Smith 2002).
Dennoch hält George W. Bush auch noch im Januar 2004 an seinem hoffnungsvollen
und heldenhaften Einsatz in Afghanistan fest:
As of this month, that country has a new constitution,
guaranteeing free elections and full participation by women.
Businesses are opening, health care centers are being established,
and the boys and girls of Afghanistan are back in school (Bush
2004).
Wenn man sich die gegenwärtige Situation der Frauen in Afghanistan anschaut,
kann man davon ausgehen, dass die US-Regierung nie ernsthaft die Durchsetzung
von Frauenrechten und die Verbesserung ihrer Lebensumstände verfolgt hat.
President Bush said that in Afghanistan today, "women are free"
[…]. But then, as now – over two years after the US invasion –
Afghanistan’s social structure and standard of living remains
largely the same as it was under the Taliban, and life for women
on most fronts remains unchanged (Bowles und Ayub 2004, S. 17).
Der Krieg war kein Kampf für Frauenrechte, er wurde vielmehr auf ihrem Rücken
ausgetragen.
Kritiker
und
Kritikerinnen
sehen
in
einer
derartigen
Instrumentalisierung der Geschlechterverhältnisse wie dem embedded feminism gar
einen Rückschritt in der Bekämpfung der Geschlechterungleichheit (Hunt und
Rygiel 2006, S. 11).
7.3. Ausblick: Ein Krieg ohne Ende
Die Operation Enduring Freedom und der Kampf gegen den Terrorismus haben
vielleicht das undemokratische und frauenfeindliche Taliban-Regime gestürzt, aber
keinen Weg für die Stärkung von Frauenrechten aufgezeigt.
M. Zimmermann
65
Without critical feminist scholarship […] of the war on terror miss
the way this war has been constructed, waged and legitimized on
gendered terrain and ignore the detrimental effects that the Bush
administration's manipulation of women's issues has had on
millions of women both in the United States and around the world
(Hunt und Rygiel 2006, S. 2).
Es braucht daher auch weiterhin Studien, die erklären, wie Frauen marginalisiert
werden und welche Auswirkungen ihre Abwesenheit in Theorie und Praxis der
internationalen Beziehungen haben. Die politischen Stellungnahmen und die
medialen Deutungsmuster werfen darüber hinaus — insbesondere im Rahmen der
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik — weitere Forschungsfragen bezüglich der
Reproduktion von Identitäten auf, wie die Intersektionalität von Geschlecht und
Ethnie. Beispielsweise welche Auswirkungen der Kampf gegen den Terrorismus auf
die Minderheiten im eigenen Land hat. Krista Hunt und Kim Rygiel gehen davon
aus,
dass
unter
dem
Deckmantel
der
Bekämpfung
des
Teufels
und
undemokratischer Regierungen in bestimmten Regionen, der War on Terror dazu
dient, die wahren politischen Absichten zu verschleiern oder umstrittene lokale
Praktiken zu rechtfertigen. Beispielsweise würden Grenzkontrollbestimmungen
und
Sicherheitsüberprüfungen
eigentlich
darauf
abzielen,
Gruppen
wie
Einwanderer, Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigungen in ihren
Aktivitäten und ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.
Thus, official war stories about fighting terrorism serve to
camouflage other forms of terrorism made possible in the post9/11 environment, such as intimidation, harassment arrests, and
control over the movement of certain groups of peoples already
marginalized based on differences of class, gender, race, religion,
immigration status and nationality (Hunt und Rygiel 2006, S. 14).
Hunt und Rygiel weisen außerdem daraufhin, dass der Kampf gegen den
Terrorismus seine eigene Schreckens- und Befehlsgewalt generiert, beispielsweise
66
Identität und Geschlecht im War on Terror
durch die Einschüchterung und Verfolgung von potenziellen Terroristen auf
Grundlage
von
racial
profiling
oder
durch
die
Reglementierung
von
Kleiderordnungen im Kopftuchstreit. Eigentlich würde der Krieg gegen den Terror
dazu genutzt werden, um eine Politik der absoluten Kontrolle zu tarnen. Eine
Politik, die davon abhängig ist, Außenstehende auf Basis von Merkmalen wie
Geschlecht, Ethnie, Religion, Nationalität und Klasse zu definieren (Hunt und
Rygiel 2006, S. 15).
Bereits in der finalen Phase des US-Wahlkampfs 2004 räumte George W.
Bush in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender NBC ein, dass der
Krieg gegen den Terror ein nie endender globaler Krieg gegen einen gestaltlosen
Feind ist. Damit öffnete er den Kreis der Terroristen für eine wachsende Anzahl an
Feinden über die fundamentalistischen Islamisten hinaus (Hunt und Rygiel 2006, S.
17).
Eines ist jedenfalls unbestritten, der internationale Kampf gegen den
Terrorismus wird die internationalen Beziehungen auch in den nächsten Jahren
dominieren.
M. Zimmermann
67
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