Kapitel 1 - Hans Brakhage

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Kapitel 1 - Hans Brakhage
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1. Band
"Das Buch der Liebe"
Ich trage
den schwarzen Diamant
des nie geborenen Licht´s
in der Asche
meiner Hand
weiß von allem
und weiß von nichts
Paul Hartmann
Für Rolf und Gitta
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Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden, und basiert dennoch auf biografischen und
autobiografischen Tatsachenberichten bzw. Geschehnissen in der Bundesrepublik
Deutschland der 70er Jahre. Handlungen, Orte, Namen und Personen sind auch frei
erfunden, aber basieren auf Personen, die so stark in ihrem Erscheinungsbild und ihrer
Persönlichkeit verändert wurden, dass selbst die hinter diesem Roman stehenden RealPersonen große Mühe hätten, sich selbst zu identifizieren. Daher sind Ähnlichkeiten mit
lebenden oder verstorbenen Personen nicht gewollt und rein zufällig. Der Grundtenor des
Romans jedoch ist kein Zufall, ebenso wie die Schlussfolgerungen, sondern bewusste und
zwangsläufige Absicht.
Denn hinter obrigkeitsstaatlichen Entdemokratisierungs-Prozessen stehen immer die Opfer
als gesellschaftliche und geschichtliche Realität, die nie zur Kenntnis genommen werden,
weil sie tatsächliche Menschen aus Fleisch und Blut sind, untrennbar mit ihrem eigenen
Schicksal verbunden.
Copyright und alle Rechtsansprüche auf das Manuskript liegen bei Hans Brakhage,
Bülowstr.24 in 40476 Düsseldorf
Nachdruck, Vervielfältigung oder Veröffentlichung - auch auszugsweise - sind ohne
Genehmigung des Autors ausdrücklich untersagt und verboten. Bei Zuwiderhandlung
erfolgt Urheberrechtsklage beim Landgericht Düsseldorf.
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Der Autor Hans B.
Vita / persönliche Daten
Hans Brakhage Geb.am : 21.02.1950 Staatsangehörigkeit : Österreich
Beruf : People-Fotograf mit Ausbildung und Studium in Essen-Folkwang und Bremen
Mehrere Jahre in der Werbung und Theaterfotografie tätig
Verschiedene Ausstellungen und Fotoprojekte / Buchveröffentlichungen
aus gesundheitlichen Gründen (Narkolepsie) seit 1989 im Frührentnerstatus
Autor seit 1968 - Mitglied im Westdeutschen Autorenverband Düsseldorf
Gründer des Düsseldorfer Arbeitskreises für „Gebrauchsliteratur“ von 1982 – 1989
Co-Autor und Co-Herausgeber der „Tympan“ Literatur-Zeitschrift
Inititiator des Düsseldorfer Arbeitskreises „Schreiben als Selbsterfahrung – Selbsterfahrung
durch Schreiben“ 1983 – 1985
Literatur- und Schreibprojekt mit Psychiatrie-Patienten 1986 – 1987
Autor und Herausgeber kleiner Veröffentlichungen im Autorenverlag „10 Mark-ScheinProduktion“
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„Mann aus Eisen“ u.a.
zahlreiche Anthologie-Veröffentlichungen in versch. Verlagen – siehe Homepage
seit Nov. 2009 aufgenommen in die Sammlung der schönsten deutschen Liebesgedichte
vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart http://www.deutsche-liebeslyrik.de/
Autor der unveröffentlichten Roman-Trilogie „Die Geschichte von Katharina & Paul“
Wohnort : Bülowstr.24 40476Düsseldorf / NRW T.: 0211-444357
Persönl. Homepage: www.brakhage.info
e-books:
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neuestes Romanprojekt: „Dunkle Tage der Kindheit“ weitgehend autobiografische
Tatsachenerzählung über die Heimkinder der 50er Jahre in bundesdeutschen
Waisen- und Kinderheimen, seit 2.12.2010 als e-book erschienen.
ledig - keine Kinder – 188 cm groß – Übergewicht – klischeehaft typischer Fische-Mann –
Bauchentscheider – Tagträumer mit Bodenhaftung – unbelehrbarer Idealist - unbequemer
und unangepasster Querdenker – kein Intellektueller
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Danksagung
... für Unterstützung, Beratung und Hintergrund-Informationen bei sehr umfangreichen
Recherchen zu diesem Roman danke ich ganz besonders all denen, die mich mit
konstruktiver Kritik und Anregungen jahrelang begleitet und gestützt, die mir geholfen
haben, diesen Roman doch noch - trotz aller Skepsis - zu einem guten Ende zu bringen.
Mit besonderem Dank an: Gitta - Rolf - Johanna - Thomas - Marianne - Thorsten Anna - Katharina und Stefan, die mir gestattet haben sehr tiefe, und intime Einblicke in ihre
Leben zu nehmen, - und mit besonderem Dank an Rene Karsten für seine viele,
nervenaufreibende Arbeit bei meiner Einführung in PC Kenntnisse, der Erstellung des
Titelbildes und des Roman-Manuskriptes ins Internet.
Dank auch am Archivangestellte und Mitarbeiter des Verlagshauses
Gruner & Jahr
Der Spiegel
Frankfurter Rundschau
Staatsarchiv Niedersachsen
Staatsarchiv Schleswig-Holstein
Staatsarchiv Nordrhein Westfalen
Verfassungsschutzberichte des BMI von 1970 - 1982
Statistisches Bundesamt / Statistische Jahrbücher von 1970 - 1982
Blinden-Verbände aus Oldenburg - Bremen und Düsseldorf *
*mit besonderem Dank an Frau Ingrid Detering als Blindenberaterin
Mitarbeiter, Dozenten und Leiter der Blinden-Universität Marburg
Vorstände und Aktivisten der B U U - Bürgerinitiative-Umweltschutz-Unterelbe
Vorstände und Aktivisten des B B U - Bundesverband-Bürgerinitiativen-Umweltschutz
Günter Zint ("Von Brokdorf bis Bonn - Atomkraft)
Stefan Aust ("Brokdorf - Symbol einer politischen Wende")
Die Grünen - Landesbüro NRW und Bundesvorstand
Daten und einzelne Fakten sind folgenden Büchern entnommen:
„Berufsverbote in der BRD – eine Analyse“ „Daten und Fakten der alternativen Bewegung in der BRD“ „Anders leben – anders denken – Daten, Fakten, Meinungen, Erfahrungsberichte" "Komm in" - ein Kommunikationszentrum als politisches Model "Daten und Fakten der Anti-Atom-Bewegung in der BRD" Daten und Fakten der deutschen Rock-Szene" "Rock-Lexikon von 1970 - 1980 "Gegenkultur in Deutschland - Analysen, Daten, Fakten" "Daten und Fakten der politischen Entwicklung in der BRD "Schwarzbuch CDU - eine Skandal-Analyse" "Schwarzbuch Franz-Josef Strauß - eine Analyse" "Im Dienste der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung - Altnazis und ihre Macht in
den Parteien der BRD"
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Material und Hintergrund-Informationen habe ich zusätzlich aus eigenem Erleben und
Wissen hinzugefügt, aus Erfahrungsberichten und handschriftlichen Protokollen vieler
Freunde und Wegbegleiter entnommen, in nächtelangen Diskussionen und Auseinandersetzungen bei Zigaretten, Tee, Kaffee mit Menschen zusammengetragen, die ihren eigenen
Standpunkt, ihren alternativen Weg durch und aus den mitverschuldeten Sachzwängen
dieser Konsum- und Wegwerf-Gesellschaft gesucht haben oder noch immer suchen.
Vielen Dank auch an viele tief besorgte Genossen aus den 70ern, die mit paranoidem
Verfolgungswahn zu jeder Zeit, an jedem Ort, die Gewalt des Staates lautstark geißelten,
aber Brandsätze und Steine werfend, Stahlkugeln verschießend, niemals ihre Mitschuld an
der Entwicklung zu immer menschenverachtenderer Gewalt erkennen wollten, die schon
damals auf dem linken Auge blind waren und nicht sehen wollten, welche Verbrechen in
den Staaten des real existierenden Sozialismus begangen wurden, die sie bis heute
leugnen.
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Vorwort
Dieser Roman basiert auf biografischen, autobiografischen, zeitgeschichtlich recherchierten
und sehr vielen möglichen, aber rein fiktiven Erlebnissen von Menschen, insbesondere der
6 Hauptpersonen in dem Roman, in der Bundesrepublik Deutschland in den 70er Jahren.
Heute wird diese Zeit von vielen dabei gewesenen Protagonisten oft schon mit diffusen
Nostalgiegefühlen verklärt, als eine Zeit des Auf- und Umbruchs dieses Staates, seiner
politischen Entwicklung in ein neues Denken und gesellschaftlicher Reformen, die schon
viel zu lange überfällig waren. Ausgelöst durch die Symbolfigur dieser Zeit - Bundeskanzler
Willi Brandt.
Zweifellos und geschichtlich betrachtet ist an dieser Einschätzung sehr viel wahr, aber eben
nicht nur - und eine winzige Spiegelscherbe, die symptomatisch ist für diese Zeit, will dieser
Roman aufzeigen.
Erzählt wird diese Geschichte aus der Sicht von Paul.
Es ist meine Sprachform - aber seine Gedanken und Erinnerungen, seine Betrachtungen
und Wahrnehmungen der realen Wirklichkeit, wie er sie empfand, oft prägend und beeinflussend, oft witzig, unterhaltsam und auch feinsinnig erzählt.
Zentralfiguren durch alle 3 Bände sind eine geburtsblinde, ziemlich exzentrische junge Frau
- Katharina - die aus einer Familie stammt, wo seit mehreren Generationen die Töchter
aufgrund einer genetischen Erbkrankheit blind geboren wurden. Sie muss mit diesem
Schicksal leben, und ihren Platz in dieser Erfolgsgesellschaft finden, wo Behinderte nach
Möglichkeit nicht vorkommen oder vorkommen sollen, damit sie die Nichtbehinderten in
ihrer Leichtlebigkeit nicht stören können.
Die andere Zentralfigur ist Paul, ein ausgesetztes Findelkind, der von sich selbst als
"weggeworfenes Kind" spricht, mit ganz schlimmen Kindheitserfahrungen, ohne jegliche
Familien-Bindung oder -Erfahrung. Er ist für sich selbst eine weitgehend wurzellose
Persönlichkeit, aber mit viel Vergangenheit und gewachsener Identität, der es mit kreativer
Klugheit und begrenztem Durchhaltevermögen versucht seinen Platz in dieser Gesellschaft
zu finden, - immer auf der Suche nach einem Menschen, der ihn liebt um seiner Selbst
willen, der ihm einen Platz anbietet, wo er Zuhause ist.
Aber eigentlich weiß er noch nicht so richtig, was und wohin er will.
Der 1. Band handelt weitgehend von der eher zufälligen Begegnung dieser beiden
Zentralfiguren des Romans, ihrem zuerst zögernden, misstrauischen Versuch eventuell
einen Teil ihres Lebens gemeinsam zu verbringen, in einer Zeit, wo es noch nicht chic war
"cool" zu sein, wo mehr die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit zählte.
Beide fühlen sich zueinander hingezogen, trotz anfänglichen Leugnens, trotz ihres
tiefsitzenden wechselseitigen Misstrauens. Wie sie einander wehtun und verletzen können,
haben sie folgerichtig sehr bald herausgefunden. Sodass sie genügend Grund haben damit
aufzuhören, und herausfinden wollen, ob sie auch Gemeinsamkeiten in den angenehmen
Bereichen des Zusammenlebens finden können.
Mit Einfühlsamkeit und intensivem Sprachgebrauch wird der Leser/in in das Leben einer
geburtsblinden Frau eingeführt, ihre Möglichkeiten und Beschränkungen, ihre Erfahrungen,
Träume und Emotionen, ihre Hoffnungen und Wunsche, ihre Exzentrik und ihre Sanftmut,
ihre erotische Ausstrahlung und ihren oft unbeherrschten Zorn, der immer wieder ungerecht
ein Opfer sucht und findet.
Aber der/die Leser/-in wird auch zurückgeführt auf bittere und auf situationskomische
Erfahrungen, wenn Blinde und Sehende sich begegnen, wenn "Sehende" Blinde wie
Kranke und Schwachsinnige behandeln.
Katharina sagt von sich: "Ich bin nicht behindert, nur blind ... Dummheit ist viel schlimmer,
als Blindheit ...“
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Hellsichtig und behutsam wird durch detailgetreue Schilderungen, die wie nebensächlich in
die Haupthandlung eingeflochten sind, die Möglichkeit eröffnet mitzuerleben, wie Paul
versucht Katharinas Welt zu verstehen, die so dicht neben seiner existiert. Bisher hat er die
aber nicht einmal wahrgenommen. Sie ist vollkommen anders, als die, die er kennt.
Dieser Teil basiert auf Erfahrungen von Blinden und "Nichtblinden", die mir zugetragen
wurden. Aber ich habe auch selber Dinge und Handlungen ausprobiert, mir sehr genau
angesehen, und in Erzählsprache umgewandelt.
Der/die Leser/-in wird sogar ganz dicht in die Situation von Paul durch meine Sprachanwendung und den Erzählstil hineingeführt. Er kann die Brüche und Widersprüche, die
Unsicherheiten miterleben, die Pauls Weg ungewollt mit sich bringt, - und für sich entscheiden, ob er den Mut und die Kraft hätte, sich auf so etwas einzulassen.
Dies erforderte natürlich sehr umfangreiche Recherchen durch mich, intensivste Auseinandersetzung mit den tatsächlich lebenden Personen, die in diesem 3-bändigen Roman
wieder ein neues, verändertes, persönlichkeitsgeschütztes Leben gewinnen, ohne dabei an
Authentizität zu verlieren.
Aber ich führe dabei nicht nur Rückblicke auf das Leben einer geburtsblinden jungen Frau,
sondern auch auf die von Paul, ein Kind, das in Heimen aufwuchs, ohne Bezugspersonen.
Das verwaltete Kinderelend schlechthin, ohne dass auf der Mitleids- und Mitfühlwelle
irgendwelche Verhaltensmuster entschuldigt werden. Sie werden lediglich individualisiert
und großzügig zur Bewährung ausgesetzt. Paul ist ein begabter, aber mäßig selbstbewusster Kunststudent (ich habe mir die Freiheit genommen meine Berufsausbildung als
Parameter an meine Romanfigur auszuleihen), ebenso mäßig politisch engagiert, aber
durchaus politisiert durch die Person Willi Brandts und seiner zu anfangs völlig reformorientierten Politik. Sie weckte in vielen jungen und älteren Menschen damals große Hoffnungen.
Paul ist wie viele Menschen in den 70er Jahren aufgerüttelt, im Umbruch, provoziert und
motiviert, seine Vorstellungen einer aufrichtig, menschlicheren Gesellschaft zu überdenken,
seine eigenen und gesellschaftsrelevanten Utopien zu entwerfen, geleitet und manipuliert
vom heftigen politischen Meinungskampf durch Parteien, Verbände, Presse und außerparlamentarischer Opposition.
Paul fühlt sich wie viele in den 70er Jahren persönlich angesprochen von der Aufbruchstimmung, die die Regierung Brand/Scheel ausgelöst hat. Aber er beginnt auch die Widersprüche und Ungereimtheiten immer deutlicher zu erkennen, die eklatante Diskrepanz
zwischen politischem Anspruch und tagtäglicher Alltagswirk-lichkeit.
Ausgerechnet Paul, der sein Leben eigentlich sehr improvisiert gestaltet, gerät nun an eine
Frau, die in ihrem und seinem Maßstab wirklich Selbstbewusstsein hat, die ihn mit
gedankenloser Spontanität und Lebensfreude, ihren exzentrischen Späßen und ihrem oft
ungerechten Zorn, - und ihrer Blindheit, die auf vielen Gebieten eine völlig klare, gänzlich
andere Lebensführung verlangt und bedingt, - völlig überfordert.
Durch meinen Erzählstil versuche ich diese Auseinandersetzung und den Dialog zwischen
Katharina und Paul lebendig werden zu lassen. Auch Außenstehende erhalten so die
Möglichkeit in diesen Roman einzutauchen, Verständnis, Sympathie und Abneigung gegen
einzelne Hauptpersonen zu entwickeln, oder wieder zu verwerfen. Man wird in die
Geschichte hineingesogen, ein wenig zum Teil der Handlung, die beinahe plastisch, wie ein
laufender Film mit Bildern spielt, mit Erinnerungen an andere Zeiten, die einem vertraut
vorkommen, die man aber so in Wirklichkeit nie erlebt hat, - und die trotzdem sehr
realitätsnah erscheinen.
Dabei habe ich versucht in allen Lebenslagen meiner Hauptpersonen aufrichtig und ehrlich
zu sein, nicht wegzusehen, wenn es mir vielleicht ein wenig zu intim mit meinen Protagonisten wird. Sie sind für mich im Prozess des Schreibens reale und lebende Menschen
geworden, die es nicht verdient hatten wegzusehen, wenn es vielleicht zu persönlich wird.
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Der Untertitel des 1. Buches "Das Buch der Liebe" erscheint hier fast als Programm, denn
das 1. Buch ist in der Tat hauptsächlich eine Liebesgeschichte, eine manchmal sehr
sinnlich-erotische Liebesgeschichte.
Da wird Lust zur Sprache, und Sprache zur Lust, mit Feingefühl und mit Witz, mit
poetischer Zärtlichkeit und Sanftheit, sehr wild und leidenschaftlich, genau hinschauend,
aber ohne entblößenden Voyeurismus, - und immer unterhaltsam. Ohne falsche Schamhaftigkeit versuche ich durch Sprache die sexuelle Begegnung von zwei Menschen zu
erzählen, die sich vertraut und fremd sind, ganz dicht und hautnah, manchmal mit Worten
wie strotzende Lust. Liebevoll und zärtlich, verrückt und ein wenig schamlos schildere ich
auf emotionaler Ebene jene von allen gefürchteten Unsicherheiten, die alle Menschen
schon einmal in der sexuellen Begegnung erlebt haben.
Dabei musste ich auch an meine eigenen Grenzen gehen, neue Werte suchen, mein
Eindringen in die Intimsphäre von zwei Menschen - die für mich in diesen Momenten nicht
nur auf dem Papier und in meiner Fantasie existierten - vor mir selber rechtfertigen. Ich
habe dies langsam und ganz bewusst getan, denn ich halte es für verlogen und falsch eine
Erzählung auszublenden, nur weil es sehr intim wird. Die eigene Zensurschere in meinem
Kopf war dabei mein schärfster Feind, den ich bezwingen musste, jeden Tag auf s Neue, und ohne versehentlich in eine Form von Pornografie abzugleiten.
Für manchen Leser/-in mag das vielleicht hier und da ein wenig zu weit gehen, aber ich
kann und will diese Meinung nicht teilen. Liebe und Sexualität haben viel mit Sehen,
Riechen, Hören und Schmecken zu tun, - und ganz besonders mit Spaß und Lebensfreude.
Jeder von uns hat das schon erlebt, wie lebendig man sich nach oder während der Liebe
fühlt. Nur sprechen darüber fällt uns ausgesprochen schwer. Mir ist es aber sehr wichtig,
erotische Erzählungen und Sprache nicht irgendwelchen Männer-Magazinen zu überlassen, mich durchaus auch außerhalb der gesellschaftlichen Akzeptanz zu bewegen. Ich will
auch als Autor, und als Mensch und Mann, einen Weg und eine Sprache wiederfinden, die
praktisch in mehr oder weniger verschleierten Formen immer existiert hat, aber aus
scheinmoralischen Gründen viel zu wenig genutzt wird. Die Argumente dafür sind hohl,
vorgeschoben und eine schlechte Kaschierung der eigenen Lustfeindlichkeit durch
"Kopfmenschen", die nicht mehr in der Lage sind ihrem Bauch zu vertrauen.
In der laufenden Erzählung, die ja auch ein Stück zeitgeschichtliche Wiedergabe sein soll,
habe ich meiner Lust zu den feinen, scheinbar so unwichtigen Details gefrönt, die die
Leser/-in einmal in die Position des Sehenden, dann wieder in die der Blinden führen, die
beim Lesen immer wieder und lustvoll ihren eigenen Gefühlen, und denen der Hauptpersonen folgen müssen, um sich darin vielleicht selbst wiederzufinden, - und um in den
darauf folgenden Passagen erneut in einen Spannungsbogen hineingesogen zu werden.
Der 1. Band ist ebenso ein Spiegel des Denkens einer Generation, ohne Repräsentativanspruch zu erheben, die von der politischen Wende 1968 neu motiviert und politisiert
wurde, ihre Ideologien und Utopien entdeckte, ihre Rechte und Pflichten, weit weg vom
Untertanen-Denken der Väter und Mütter. Eine Generation, die tatsächlich an eine geistigmoralische und gesellschaftspolitische Wende glaubte, - eine Vorstellung, die aus heutiger
Sicht fast naiv scheint. Denn sehr schnell, innerhalb von wenigen Jahren, wurden diese
Hoffnungen von Parteien und Politikern verraten und enttäuscht. Ernüchtert und erbittert
wandten sich viele junge Menschen von dieser Gesellschaft ab. Einige sind noch heute
politisch heimatlos, andere radikalisierten sich in vielen verschiedenen - teilweise sehr
fragwürdigen und menschenfeindlichen - Organisationen, die längst von der Zeitgeschichte
entlarvt wurden. Mit ausführlichen Hintergrund-Recherchen wurde von mir aus individuell
subjektiver Sicht durch Paul ein Einblick geschaffen, wie Staats-, Parteien- Politikverdrossenheit durch Dummheit und Ignoranz der selbstgerechten Politiker- und Volksvertreter-Gilde in den Parlamenten geschaffen wurde.
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Das Ohnmachtsgefühl einer ganzen Generation gegenüber der bigotten Politiker-Clique
wurde zum Anstoß für einen Prozess der Gewaltbereitschaft durch Resignation, der bis
heute nicht beendet ist. Gefördert und durch Ignoranz immer weiter geschürt, ohne eine
Sekunde des Nachdenkens über die Erbitterung und Enttäuschung einer Wählerschaft zu
verschwenden. Es war, und ist das alte Spiel, das bis heute immer so weiterläuft, dass die
parlamentarische Volksvertretung nicht in der Lage ist, dem Wähler die Freiheit zu geben,
dass er der Souverän ist.
So wird der Graben und die Unglaubwürdigkeit der Politiker immer grotesker und mundet
genau in diesem Satz aus den 70er Jahren:
Volksvertreter dienen in erster Linie den Interessen der Volksvertreter - und nicht dem Volk.
Und wenn das dem Volk nicht passt, dann kann es ja gehen.
Eingewoben und nahtlos verknüpft in die Begegnung von Katharina und Paul, in ihre
vorsichtig erblühende Liebe, in ihren Alltag, ihren Spaß und ihre Betroffenheit, - wird
Sprache durch mich und durch Paul auch zur Waffe gegen Unrecht, gegen Heuchelei und
Unaufrichtigkeit, wird der Leser/-in mit den Gedankengängen einiger Menschen dieser
Generation vertraut gemacht. Sie sind weder sensationell, noch repräsentativ, nicht einmal
ungewöhnlich, aber sicherlich ein Spiegel zur heutigen Generation, die damit vielleicht nicht
so vertraut ist, sich aber darin durchaus wiederfinden kann.
Und zweifellos wurden sie so nie von vielen Menschen hinterfragt.
Durch meinen Roman hat man nun nicht nur die Chance mit der zeitgeschichtlichen
Distanz diese Gedankengänge neu zu durchdenken und mitzuerleben, kann in sie
eintauchen, sich vielleicht eigene Schlüsse daraus ziehen, sich wiedererkennen, wenn man
diese Jahre miterlebt hat, die Enttäuschungen und Frustrationen. Hautnah, wie die Liebesgeschichte, habe ich versucht auch diesen Teil des 1. Bandes zu schreiben und miterleben
zu lassen, wie Menschen, die sich an ihre Träume klammern, an ihre Ideen und Ideale, von
der kalten Realpolitik und der Machtverwaltungs-Bürokratie zertrümmert werden.
Es wird ganz leise und heimlich ein wenig verständlich, warum und wie aus Menschen
Demokratiefeinde werden können, wenn sich die Staatsmacht antidemokratischer Mittel
bedient.
Vieles ging damals in Scherben, und es waren nicht nur Kaufhaus-Schaufenster. Die
Mauern und Gräben, die heute mehr denn je große Gruppen unserer Bevölkerung voneinander trennen, sie wurden damals mit Wut ausgehoben, mit Tränen und Blut errichtet, und
scheinen heute fast unüberwindbar. Sie legten den Grundstein für jene zerstörerische
Gewaltbereitschaft breiter Bevölkerungsschichten in den späten 70er Jahren, die eben
nicht nur, wie wir in den Zeitungen gelesen haben, aus jungen Menschen bestanden.
Am Ende des 1. Bandes scheint die unmögliche Möglichkeit einer Möglichkeit zwischen
den beiden Hauptprotagonisten des Romans gescheitert zu sein. Sie haben ihre Liebe
durch ihre Furcht vor Konfrontation, durch ihr Reden übereinander statt offen miteinander,
leichtsinnig auf´s Spiel gesetzt – und verloren.
Gedankenlos erbittert durch politische Ereignisse, die sie förmlich überrollen, - scheitern
sie, richten sie ihren berechtigten Zorn gegeneinander. Die Gemeinsamkeiten zerbrechen
im Sturm der Ereignisse.
Hier könnte der Roman durchaus ein bitteres, abruptes Ende nehmen. Doch viele Fragen
sind noch nicht gestellt und bleiben unbeantwortet.
Ich habe nicht versucht, Patentrezepte für das Leben zu zweit anzubieten, denn die gibt es
nicht.
Ich habe nicht versucht, Schuld allein den Schuldigen zuzuweisen. Denn ich weiß, wir alle
tragen die Schuld an der Entwicklung dieser Gesellschaft und der Politik, weil wir es
entweder stillschweigend hingenommen, oder schuldhaft selbst verantwortet haben.
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Die zahllosen offenen Fragen jedoch sind es, die den/die Leser/-in unbefriedigt zurücklassen, die Lust auf eine Fortsetzung machen, ein 2. Buch, - und das wird den Titel tragen:
"Das Buch des Sturms"
Jedes Buch aber könnte auch für sich ein abgeschlossener Roman sein. Man muss das 1.
nicht zwingend gelesen haben, um sich in das 2. hineinzulesen.
In diesem Sinn habe ich alle sechs Bände geschrieben.
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Prolog 1
Brief der erblindeten Selma - an Paul, auf der Schreibmaschine geschrieben:
Loeber Paul,
ich hoffe, dass icj nicht allzu vielw Fehler in diesen Brieg tippe,
aber Du kennsz ja meine Fehlee als Blinde auf fer Sxhreibmasxhine.
Braille-Schrigt hingefen wirst Di wohl nienals lerben, und
Katharina kann sicj nichz immer als Dokmetscherin betätihen. Ich
konnre leider niemandeb finden, dem icg das Schreoben diesws
Briefes abvertrauem wollte. Wie gesaht, ich hoffr er isz halbwegd
lesnar.
Nun seif ihr Beide, und wure Freunde selbszverständlich, in
Portugak und fangt ein neues Leben an. Under Abschiedsabend war ja
seht schön, trautig und voel zu kurz, fpr meinen Geschmack. Ich
gabe wirkkich versucht nixht zu weinen, aber es felanh mir eindach
nicht.
Lanhe habe ich mir euch, uns besonders nit Kazharina über euren
Wegganh geredet, aber si richtig verstansen habe iches nie.
Einigea hab ich con Sabrina erfajren, dpch es isz lückenhaft, Ich
habr auch nie begriffem. warum das alles so komplitiert unf
schwierif mit euch war, und wue sich das alled entwockelt hat.
Warim habt ihr es ezch so schwer gemacht, - oder habr ihr es euch
einfach nur keicht gemacht?
Di hasz mir mal vor Manozen versprichen, nir das alles zu ertählen.
Aber dann ist das ja alles so schbell gegangem mit eurem Umzuh nach
Portuhal. Deb Namen von der Stadt kann icg eindach nichr schreiben.
Vielleicjt findest Du hetzt die Zeit, mir das im einen langem Brieg
zu
ertählen.
Vielleixht verstehe ich es dann unf kann anderem Paaren, wo eib
Partner blins ist, von euten Erfahrungen weizergenen. Fu kannst
ruhif segr ausführlij scgreiben, den Du weiár ja sicherkich noch,
wir ichausfphrliche Feschichten loebe. Mit dem neuem Lesegerät, das
uch jetzt habe, kann uch das sehr gut lesen. Es ust viel schneller,
als doe älteren Mpdelle und ein wagres Wunderwerl der Zechnik.
Wenn ihr mögz, würde icg euch gerne aich einmal besucjen. Ich wprde
Wibke gerne mal woedersehen.
Grüße Katgaraina von mir, eure Freundr und findet einem guten
Anfang fpr euer nwues Leben. Sage Katharina, dass icj sie sehr
liebe, und sie spll ab und tu auch mal kieb zu dir sein.
Ist es un Portugal oegentlich immer warn, wie im Sommer=
Schreo mir unbedingz und seit hertlich umarmt
Eure Selma
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Prolog 2
Antwortbrief von Paul an Selma auf Schreibmaschine geschrieben, damit sie ihn mit dem neuen
Lesegerät fließend selber lesen kann
Liebe Selma,
es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich alles detailliert schreiben konnte. Aber
ich dachte mir aus Erfahrung, dass du es bestimmt ganz genau erzählt haben willst.
Du bist zwar, wie ich mir denken kann, sehr viel beschäftigt, denn das bist Du ja eigentlich
immer, aber ich kenne doch deine Freude an langen, ausführlichen Geschichten. Du warst
schon immer eine Frau, die gut zuhören kann, Erfahrungen sammeln will und nahezu alles
versteht.
Katharina geht es sehr gut, sie hat herzlich gelacht, als sie hörte, dass sie lieb zu mir sein
soll. Sie behauptet, dass sie geradezu unglaublich lieb zu mir wäre, und zwar immer. Und
sie hat mir verboten, das irgendwie zu kommentieren, sonst will sie mir Salz in den Kaffee
schütten. Wibke geht es beinahe noch besser, ebenso unseren Freunden und Alexander.
Marias Schwangerschaft nähert sich endlich ihrem Ende. Sie ist sehr launisch und äußerst
reizbar, aber sie hofft mit Jo auf einen Jungen. Die beiden haben sich schlicht geweigert
schon vorher das Geschlecht vom Arzt zu erfahren.
Unser Leben hier wird mit jedem Tag mehr Alltag, obwohl wir noch immer die Fremden hier
sind. Unser Umbau ist nahezu abgeschlossen, Katharina hat einen guten Arbeitsplatz in
Albufeira gefunden, so heißt übrigens die Stadt nicht weit von hier. Wir anderen versuchen
mit aller Kraft aus diesem alten Bauernhof ein richtig schönes Zuhause zu machen.
Jo hat endlich einen Vertrag mit der Schule abschließen können und darf hier Lehrer
werden, Maria ist ein Job für später angeboten worden. Vier von uns haben jetzt Arbeit, und
ich habe mir ein Foto-Studio eingerichtet, nichts Grandioses, aber praktisch.
Der Innenhof ist bereinigt, der Brunnen mit einem sicheren Gitter abgedeckt, wegen der
Kinder. Hannathee hat begonnen mit Thomas sehr sorgfältig Rasenflächen, Blumenbeete
und einen Gemüsegarten anzulegen, sodass sich die Pflanzen gegenseitig vor Ungeziefer
schützen.
Hier ist nicht immer Sommer, und im Gegensatz zu früher leben wir hier sehr bescheiden,
ohne großen Luxus, den wir hier aber auch nicht unbedingt brauchen. Aber wir sind sehr
glücklich hier, weil die Menschen so freundlich, so unverdorben und nachbarschaftlich sind.
Marias Portugiesisch ist immer noch lausig. Katharina versucht sie zu unterrichten, aber
wenn Maria nicht ungeduldig und schlecht gelaunt ist, dann ist misslaunig und ungeduldig.
Ich bin sicher, dass sie selber froh ist, wenn die Schwangerschaft endlich zu Ende ist.
Unsere Nachbarn können sich noch immer nicht so recht vorstellen, wovon wir hier leben
wollen. Wir haben uns ein paar Hühner zusammengekauft, ein Kaninchen für Wibke, einen
Schäferhund-Welpen für uns alle, und wir leben praktisch wie die Bauern der Umgebung.
Nur betreiben wir keine Landwirtschaft. Bis nach Albufeira ist es nicht sehr weit, Jo ist
schon mit dem Fahrrad hingefahren. Oft fahren wir runter ans Meer, was den Kindern
natürlich sehr gut gefällt. Wenn es nach ihnen ginge, würden wir nicht hier, sondern direkt
im Meer wohnen und leben.
Ich soll dich ganz herzlich von allen grüßen, besonders von Katharina. Auf dem Extrablatt
haben alle einen kleinen handschriftlichen Gruß hinterlassen. Katharina fand das
blödsinnig, weil Du das ja gar nicht sehen und lesen kannst. Aber ich finde es trotzdem gut.
Vielleicht kann dir ja jemand die Grüße vorlesen. Ich würde dich übrigens auch ganz gerne
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wiedersehen, Du bist ganz herzlich eingeladen, uns hier zu besuchen. Vor dem Fliegen
musst Du keine Angst haben, ich hole dich dann am Flughafen Albufeira ab.
Nun ja, es ist eine gigantische Menge Papier, die da in dem Karton vor dir liegt, aber es ist
immer noch nur ein Teil unserer Geschichte. Später schicke ich dir mehr, da Du ohnehin
eine ganze Weile mit dem beschäftigt sein wirst. Und ab und zu muss ich je wenigstens
den Eindruck erwecken, als versuche ich auch ein bisschen Geld zu verdienen.
Las es dir gut gehen, bleib´ gesund und fühle dich von uns allen aus der Ferne umarmt und
geküsst und gegrüßt
dein Paul
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1. Kapitel
Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte, dass es das Einzige war, was mir noch blieb,
wenn ich mir nicht weiter etwas vormachen und mich belügen wollte.
Dennoch hatte ich das Gefühl, ein Verlierer zu sein, der wieder einmal eine Niederlage
akzeptieren musste. Ich fühlte mich beschissen, einsam und elend verlassen.
Dabei war mir durchaus klar, dass es bis zu "Sassa" und dem "Dammtor", meiner Lieblingskneipe, nur ein kleiner Weg war.
Doch andererseits wusste ich auch, dass ich mich in meiner seelischen Verfassung wahrscheinlich ziemlich besaufen würde, wenn ich jetzt dorthin ging, um ein wenig Ablenkung zu
finden. Zudem würde ich dort eine Menge Bekannte, Studienkollegen und Freunde treffen,
die Brigitte kannten und mich nahezu nur in ihrer Begleitung erlebt hatten, in letzter Zeit.
Kam ich ohne sie, und das würde zweifelsfrei der Fall sein, wüsste jeder sofort, dass wir
uns getrennt hatten, dass diese unselige, zukunftslose Beziehung endlich ein Ende
gefunden hatte.
Und ich wollte mich weder besaufen, noch meine Niederlage sichtbar werden lassen, mich
als Verlierer vor meinen Bekannten enttarnen. Ich wollte auch nicht vor meinen Gefühlen
weglaufen, am wenigsten vor mir selbst. Innere Abklärung, Auseinandersetzung, Reflexion
der Ereignisse und meines Zustandes, meines Liebes- und Seelenlebens, erschien mir
wesentlich sinnvoller und wichtiger.
Aber das konnte ich nicht in meiner depressiven Stimmung.
Nach diesem einsamen und scheinbar endlos langen Wochenende, das ich irgendwo in der
norddeutschen Tiefebene verbracht hatte, um den bohrenden Trennungsschmerz von
Brigitte zu betäuben, wollte ich weder mit Selbstmitleid, noch mit einer Sauforgie vergessend machen, mich nicht wieder in meinen seelischen Schmerz kopfüber hineinstürzen.
Von dem, was ich gewollt hatte, verstand Brigitte absolut gar nichts. Das lag vielleicht
daran, dass wir einfach viel zu wenig Gemeinsamkeiten besaßen. Klar geworden war mir
das schon lange, - aber ich wollte es nicht wahrhaben.
Dabei musste man schon ziemlich blind sein, um nicht zu erkennen, dass es kaum eine
Ebene gab, auf der wir uns ergänzten. So hatten wir uns am Ende nahezu nichts mehr zu
sagen.
Anfangs war ich beinahe froh und erleichtert gewesen, als es dann endlich vorbei war, aber der klare Trennungsschnitt hatte mir dennoch sehr weh getan. Über ein Jahr vergebliche Versuche von Zusammensein und Partnerschaft konnte ich nicht einfach abstreifen,
wie eine gebrauchte Unterhose.
Brigitte hatte mir deutlich das Gefühl vermittelt, dass sie mich verlassen und von mir
getrennt hatte. Sie wollte selbst am Ende noch den Eindruck bei mir hinterlassen, dass sie
genau wüsste, wo es langgeht, dass ich andererseits keine Ahnung davon hätte. Sie tat
das mit Absicht sehr brutal und kalt, indem sie mich ohne ein Wort der Erklärung oder des
Bedauerns alleine ließ, einfach so, von einer Minute zur anderen.
Vielleicht war es ein letzter Versuch, mir wehzutun, vielleicht aber auch nur ihr Mangel an
weichen, zärtlichen Gefühlen, von denen sie nicht die Spur besaß. Möglicherweise war es
aber auch eine Art Selbstschutz von ihr, ihre Art und Weise keinerlei ungute und hemmende Gefühle an sich heranzulassen. Ich glaube, sie hatte längst begriffen, dass da für sie
nichts mehr zu gewinnen war, dass unsere Affäre - denn mehr war es eigentlich wirklich
nicht - weder Zukunft, noch eine Perspektive hatte.
Dabei war ich genau wie sie bereit gewesen, die Beziehung als beendet zu betrachten, die
Trennung zu vollziehen. Nur war ich einfach nicht mehr dazu gekommen, es auszu-
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sprechen. Hätte ich die Zeit gehabt den ersten entscheidenden Schritt in diese Richtung zu
machen, so glaubte ich, hätte ich mich besser gefühlt, ihr was zum Nachdenken gegeben,
ohne dass sie überfordert gewesen wäre. In gewisser Weise hätte ich wenigstens einmal in
all den Monaten eine Art Sieg davongetragen.
Aber das konnte Brigitte natürlich nicht zulassen.
Sie hatte mich auf ihre Weise gezwungen wort- und kommentarlos das Ende unserer
Beziehung zu akzeptieren, - und war stumm und stolz erhobenen Kopfes gegangen.
Meine Niederlage war damit besiegelt.
Mir blieb nur anzuerkennen, dass es das einzigst Vernünftige und absolut logisch konsequent war.
Aber hilfreich gegen meine Niedergeschlagenheit war das wirklich nicht.
Wenn schon, dann hätte ich zahllose Gründe gehabt, sie zu verlassen.
Aber sie hatte ihre Sachen gepackt, die bei mir herumlagen, die leeren Pfandflaschen noch
rasch umgetauscht, denn Brigitte hatte nicht zu verschenken, dann das gemeinsame
Wochenende mit einer läppischen Handbewegung ausgeschlagen und sausen lassen, und war gegangen.
"Ich geh weg ... und ich werde nicht wiederkommen ... ruf mich bitte nicht an ...“, war alles,
was sie mir noch zu sagen hatte, ehe sich zum allerletzten Mal die Tür hinter ihr schloss, ehe ich auch nur ein Wort, eine Frage oder mehr stellen konnte.
Ja, vielleicht war es das, dass Brigitte es geschafft hatte, mich ein allerletztes Mal zu demütigen, auf meinen Gefühlen herumzutrampeln. Mir war es nie gelungen, mich in unserer
Beziehung zu behaupten. Immer hatte ich mich von ihr unterbuttern lassen. Sie mochte
meine Freunde nicht, fand das "Dammtor" schlampig und dreckig, stillos. Motorradfahren
fand sie schick, aber nicht unbedingt auf meiner "Alten Lady".
Ich fühlte mich völlig überfahren, übervorteilt und um meinen Triumph gebracht.
Zudem hatte sie noch Schulden bei mir, keine Riesensumme, aber dieses Geld würde ich
nie wiedersehen, da machte ich mir keine Illusionen, das konnte ich getrost abschreiben.
"Soll sie doch zum Teufel geh`n ...“
Ich musste daran denken, dass sie sich wahrscheinlich irgendwann mit ihrer Clique darüber
hämisch amüsieren würde, dass sie mir es noch einmal zum Abschied so richtig gezeigt
hatte, mir selbst den letzten möglichen Sieg in unserem beständigen Beziehungs-Fight
genommen zu haben. Sie konnte sich wahrhaft als die große Siegerin fühlen.
Dabei waren mir die Mitglieder ihrer Clique ziemlich egal, denn ich besaß praktisch keine
Beziehung zu ihnen. Die Frauen erschienen mir wie pubertäre Mädchen, ein bisschen zu
oberflächlich und infantil, außer Mode und neue Frisuren, und allem anderen Schnickschnack, besaßen sie praktisch keine tiefschürfenden Themen. Sie würden Brigitte schnell
dazu verhelfen, dass sie einen potenten und ansehnlichen Nachfolger für mich finden
würde, - denn mit mir hatten sie ohnehin vom ersten Tag an nur Schwierigkeiten gehabt.
Ein Student, der kein Auto, sondern Motorrad fuhr, der wenig Geld hatte, oft unrasiert typisch Künstler - durch die Gegend lief. Einer von denen, die das "Tiffany", eine HardrockDiskothek, einer schicken Bar vorzog.
Ich konnte umgekehrt mit ihnen genauso wenig anfangen.
Keine Ahnung, wie oft ich diese und ähnliche Gedanken an diesem Tag schon hin und her
gewendet hatte. Ich hatte mich schon mehrfach gefragt, wie ich eigentlich auf diese blöde
Idee gekommen war, mich überhaupt auf Brigitte einzulassen. Wir hatten schließlich nicht
nur in unseren Lebens-Grundeinstellungen keine Gemeinsamkeiten, sondern auch in zahlreichen Details. Dabei wusste ich leider nur zu gut, dass viel geschmeichelte Eitelkeit von
meiner Seite dahintersteckte, - denn alle möglichen Bekannten und Freunde hatten mich
um Brigitte beneidet. Sie war zweifellos eine Frau, die optisch eine Menge hermachte.
Immer war sie modisch gekleidet, immer sehr eng geschnittene Mode, immer mit tiefen
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Dekolletés, bei einer zugegeben wirklich erstklassigen Figur, auf die sie sehr viel Wert
legte.
Unbestreitbar, sie sah wirklich Klasse aus.
Und sie hatte sich für mich interessiert.
Dabei kam sie daher, als wäre sie gerade vom intensiven Shopping gekommen, immer
gepflegt und gut geschminkt, sexy und sehr, sehr aufregend, eine Frau, die einem Mann
Herzklopfen verursachen konnte.
Dumm war sie wirklich nicht, aber sehr eingleisig in ihren Denkmustern, suchte hauptsächlich eine gewisse Sicherheit bei einem Mann, damit sie irgendwann nicht mehr
fremden Menschen die Haare waschen, schneiden und legen musste.
Immerhin war es ihr gelungen für ein halbes Jahr meinen Ehrgeiz für mein Foto-Studium zu
wecken, - was an sich schon eine echte Leistung war. Normalerweise ließ ich nämlich
meine Arbeit an der Kunsthochschule ziemlich locker schleifen, so mehr oder weniger am
Rande mitlaufen. Nicht, dass es wesentlich Wichtigeres für mich gegeben hätte, was mich
mehr beschäftigte. Aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das angestrebte Ziel wirklich
erreichen wollte. Dabei konnte ich nicht leugnen, dass da auch eine Menge Ego-Image
dahintersteckte, weil das doch so typisch für einen Künstler schien, die Realitäten des
Lebens nicht ganz ernst zu nehmen. Dem hatte Brigitte versucht ein kurzes Ende zu
setzen, denn sie sah mich schon als erfolgreichen, gut verdienenden Werbefotografen,
wozu ich zwar durchaus die Voraussetzungen, aber nicht die Zielstrebigkeit besaß. Es gab
ohnehin eine Menge Kommilitonen, die schon jahrelang ihren Studienplatz blockierten,
ohne dass ein Ende auch nur ansatzweise sichtbar wurde. Sie schoben das ebenfalls ihrem
"Künstler Image" zu, was aber streng betrachtet reine Ziellosigkeit und mangelnden Fleiß
bedeutete. Schließlich war es bequem jeden Monat Bafög zu bekommen, nebenher ein
bisschen Geld zu verdienen, und in planloser Regelmäßigkeit an der Kunsthochschule die
Noch-Anwesenheit zu beweisen.
Das traf in gewisser Weise auch auf mich zu.
Brigitte hatte das kräftig abgeblockt und in die Hand genommen, suchte mich zu einem
baldmöglichen Abschluss zu bewegen. Einige Kommilitonen waren regelrecht verblüfft, als
ich plötzlich fast täglich an der Hochschule auftauchte. Andere hatten mich noch nie
gesehen oder kennengelernt, hielten mich für einen Erstsemestler. Brigittes Ziel aber war
eine Eigentumswohnung, ein schicker Sportwagen, nicht mehr arbeiten zu müssen, weil ich
soviel Geld verdiente, dass sie sich ohne weiteres auf´s Kinderkriegen beschränken konnte. Dafür musste sie mich nur an das richtige Ziel bringen und mich ein wenig drängeln ihre
Träume zu erfüllen.
Der Traum war jetzt ausgeträumt, sie musste weiter Haare schneiden, sich von Hausfrauen
und "Möchte-gern-Feminas" herumkommandieren lassen.
Der Gedanke daran stimmte mich fast schon wieder etwas versöhnlicher mit mir selbst. Ich
fing sogar an wieder so etwas wie Erleichterung darüber zu empfinden, dass ich sie - oder
sie mich - gerade noch rechtzeitig losgeworden war, ehe ich womöglich wirklich anfing
regelmäßig und zielstrebig meinem Berufsziel näherzukommen, ehe Brigitte mein gesamtes Leben unter Kontrolle gebracht hatte.
Andere Mütter hatten schließlich auch schöne Töchter, und wir lebten immerhin in einer
Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs, wo die reale Chance bestand, dass irgendeine
brave Tochter genau so einen unangepassten Foto-Kunst-Studenten wie mich schon lange
gesucht hatte.
Der Gedanke brachte mich tatsächlich zum Grinsen, ein Beweis dafür, dass es mir deutlich
besser ging.
Als ob ich nicht genau gewusst hätte, dass ich viel zu zurückhaltend und fast schüchtern
war, um mich diesen schönen Töchtern nahe genug zu nähern, damit sie auch eine
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Chance hatten, mich wahrzunehmen. Wenn es so richtig Spaß machen sollte, dann musste
ich aber ganz dicht ran an die interessierten Kandidatinnen.
Das ganze Wochenende hatte ich auf meinem Motorrad rasend auf irgendwelchen Straßen
zugebracht, war hin und wieder an irgendeinem Seeufer oder Strand voll innerem Zorn
entlanggestampft, um dann wieder mit dröhnendem Motor meine Verletztheit und meine
Aggressionen im Fahrtwind zu kühlen. Schöne Töchter von weniger schönen Müttern
hatten mich in diesen schier endlosen Stunden überhaupt nicht interessiert. Ich hätte nicht
einmal sagen können, ob da irgendwo welche gerade unterwegs gewesen waren.
Andererseits war ich nicht gerne allein, davon hatte ich in meinem Leben schon viel zu viel
gehabt. Und ins "Dammtor" verirrten sich mehr als eine schöne Tochter mit planbarer
Regelmäßigkeit, weil die Kneipe als Studententreff bekannt war, wo auch eine Menge
lockerer Typen verkehrten, von kleinen Angestellten bis hin zu Althippies. Wenn man ein
bisschen was erleben wollte in Oldenburg, und nicht unbedingt auf eine Bar oder eine
gutbürgerliche Kneipe Lust hatte, dann war das "Dammtor" genau die richtige Adresse. Ich
wusste genau, dass dort auch viele "schöne Töchter" aufkreuzten, die zweifelsfrei Solo und
auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer waren, mit einem netten jungen Mann, einem
Studenten oder Ähnlichem.
Einige von ihnen waren mir nicht einmal völlig unbekannt, denn sie zählten bereits zu den
Stammgästen. Vielleicht ließ sich da heute was machen, selbst wenn es nur für eine Nacht,
eine heiße und schnelle Nummer, ein feuchtheißes Lustverlangen, gewesen wäre. Mit der
Entschuldigung für beide Seiten, dass sie zu viel getrunken und ein wenig die Kontrolle
verloren hatten. Das beruhigte das eigene Gewissen ganz gut.
Mir würde es die Wunden kühlen, meinem Selbstbewusstsein einen mächtigen Schwung
verleihen.
Wenn da nichts zu machen war und gar nicht lief, dann konnte ich immerhin die neueste
gute und sehr laute Musik hören, ein paar banale Gespräche führen, Erdnüsse knabbern,
die frei auf allen Tischen standen, ein oder mehrere Bier trinken, - vielleicht sogar Freunde
und gute Bekannte treffen.
Und mich vielleicht doch noch besaufen.
Erst, als ich schon auf dem halben Weg war, fiel mir ein, dass wir Sonntagabend hatten, die
Wochenendflirts längst gelaufen, die freien Frauen verteilt und kurzfristig besetzt sein
würden. Ich konnte bestenfalls eine von den Restfrauen interessieren, die sonst keiner
haben wollte, oder die zwar an einem netten Abend, aber nicht unbedingt an einem sexuellen Abenteuer interessiert waren.
Zusätzlich war ich seit zwei Tagen unrasiert, und auch nicht unter die Dusche gekommen.
Selbst einigen übriggebliebenen und interessierten Frauen, erst recht nicht den "schönen
Töchtern", würde das einen Eindruck vermitteln, der mich für sie unwiderstehlich machte.
Aber jetzt zurückzugehen, die Entscheidung für das "Dammtor" wieder kippen, das wäre
mir dann doch zu blöde gewesen, zumal ich jetzt doch Lust auf ein Bier oder mehrere hatte.
Ein paar nette Gespräche wollte ich auch suchen, selbst wenn die potenziellen Partner
mich ansonsten eher gelangweilt hätten.
Im "Dammtor" war es wie immer sehr voll, verqualmt und laut. Kaum dass ich die Tür
geöffnet hatte, wogten mir auch schon dicke blaugraue Schwaden entgegen. Ein vielstimmiger, furioser Klang-Teppich flog mir um die Ohren und vermischte sich mit Lachen,
Gläserklirren, dröhnender Rock`n Roll-Musik und einigen Flüchen, Kreischen und anderem.
Ich kannte hier eine Menge Leute, war selber oft hier, und das "Dammtor" war die Kneipe
für das junge progressive Publikum in Oldenburg, wo man auch schon mal einen Joint
rauchen konnte, ohne dass es eine echte Drogenszene gegeben hätte. Hier war ich
bekannt wie ein bunter Hund, an den sich einige erinnerten. Ich wurde an der Theke mit
Schulterklopfen und kurzen Sprüchen begrüßt. Vieles entstammte sicher schon der Bierund Kornseligkeit, aber andererseits gab es durchaus Leute, die mich schätzten, - und
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umgekehrt. Immerhin war ich dankbar dafür, dass niemand Brigitte zu vermissen schien,
dass niemand nach ihr fragte, - denn das hätte ich jetzt nicht ertragen können.
Der Ruhepol in dem ganzen Durcheinander war Sassa hinter der Theke, ein wenig dickbäuchig, mit langen schwarzen Haaren, die meistens zum Zopf zusammengebunden
waren, während sie sich vorne deutlich zu lichten begannen. Angeblich war er Franzose
oder französischer Abstammung, aber manche meinten auch er wäre in Wahrheit ein
Armenier, der schon lange in Deutschland lebte. Selbst bei größtem Andrang, vielen Anfragen nach Bier, Schnaps oder Rotwein, blieb er ruhig und gelassen, zapfte Bier, legte mit
einer freien Hand noch Platten auf. Er nahm sich einfach die Zeit, selbst wenn an der
Theke schon Unruhe entstand, Erdnüsse auf die verschiedenen Sitz- und Stehtische zu
verteilen, lehrte dabei gleich die Aschenbecher und sammelte leere Gläser ein. Oder er bat
mit immerwährender Freundlichkeit seine Gäste solche kleinen Aufgaben für ihn zu
übernehmen. Er hätte sich bei seinen Einnahmen leicht eine Kellnerin leisten können. Aber
das tat er nur an den Tagen, wo er genau wusste, dass der Andrang so groß werden
werde, dass er keine Chance hatte, die Arbeit allein zu bewältigen. Schon manche Studentin hatte sich am Freitagabend bei ihm ein sehr erfreuliches Taschengeld verdient.
Aber es war durchaus ein harter Job, denn das "Dammtor" hatte meistens bis 3 Uhr
morgens geöffnet. Ich konnte mich nicht erinnern Sassa jemals zu irgendeinem Gast
unfreundlich erlebt zu haben. Er behielt immer seine freundliche Ruhe, war Ansprechpartner und Freund, manchmal sogar Vertrauter seiner Gäste. Er duldete keine Handgreiflichkeiten, keine volltrunkenen Gäste, für die er dann unauffällig ein Taxi bestellte, um sie
nach Hause bringen zu lassen. Anschreiben machte er nur für Gäste, die er schon lange
kannte. Aber er vertraute ihnen auch soweit, dass er Bierdeckel ausgab, auf denen jeder
seinen derzeitigen Kostenstand leicht ablesen konnte. Sassa war beliebt, und ich glaube,
dass er auch hin und wieder mit einigen weiblichen Gästen Affären hatte.
Männlicher- und weiblicherseits waren die meisten Gäste allerdings ohnehin intensiv mit
sich selbst beschäftigt, weil man sich entweder schon länger oder erst seit dem Freitagabend frisch zusammengewürfelt kannte. Jetzt versuchte man herauszufinden, ob die
Persönlichkeit des anderen Menschen mit der Eigenen kompatibel war, indem man sich
kleine Scherze bereitete, Witze machte, Gespräche führte, sich gegenseitig Zigarettenrauch zärtlich um die Nase blies, als Ersatz für Anklopfen an die Seele des Anderen, ob da
etwas sein könnte, was zum Verweilen lohnte.
Vielleicht war da ja noch wesentlich viel mehr an Substanz, als die Befriedigung, die sie
beim Knutschen und mehr spätnachts an der Haustür, oder in der fremden Wohnung, dem
fremden, viel zu weichen Bett, immerhin frisch überzogen, vor mehr als zwei Nächten
empfunden hatten. Mit ein bisschen Glück und Großmut ließ sich vielleicht daraus etwas
machen, was sehr brauchbar und genussvoll sein konnte, für eine kurze oder längere Zeit.
Solo-Frauen konnte ich kaum ausmachen, - und die, die ich sah, waren nur die ständigen
Alleinunterhalterinnen, um diese Uhrzeit wie immer schon deutlich angetrunken, oder die
aus-was-weiß-ich-für-Gründen niemals engeren Kontakt zu Männern suchten, fanden und
aufnahmen. Manche eine von ihnen wollte vielleicht auch gar keinen.
Maria - das war jetzt genau der helle Lichtblick, den ich brauchte, der mir gut tun würde.
Ich hatte mich vergeblich nach einem freien Platz umgesehen, war vorerst an der Theke
stehengeblieben, musste mich anrempeln und bedrängeln lassen, hatte aber auch einen
ganz guten Überblick über die gesamte Kneipe, und wurde selber gut gesehen.
Auch Maria war mitten im Gewühl, saß aber an einem der Ecktische, hatte ein Bier vor sich,
ein paar Bekannte und Kommilitonen neben sich. Auf der anderen Seite saß eine mir völlig
unbekannte Frau mit pechschwarzem Lockenhaar, die Maria zwar zu kennen schien, aber
die ich noch nie hier gesehen hatte.
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Und bei Maria gegenüber wurde tatsächlich in dem Moment, wo wir uns ansahen, ein Stuhl
frei, weil ein ziemlich abgefülltes Pärchen eng umschlungen das Weite, den Weg nach
Hause, oder sonst was suchte.
Maria winkte mir hektisch zu, wies auf den freien Platz gegenüber, und einen Interessenten
für diesen Stuhl darauf hin, dass er besetzt sei.
Sie strahlte mich förmlich an, sodass ich den Verdacht hatte, dass sie mich schon vorher
gesehen und die Abwesenheit von Brigitte bemerkt hatte, denn die beiden hatten sich auch
auf Anhieb nicht gemocht.
Ihr Lächeln wirkte richtig warm und wohltuend, obwohl ich nicht genau wusste, warum. Wir
kannten uns schon ziemlich lange, wobei ich nicht mehr nachvollziehen konnte, wann und
wie wir uns erstmals getroffen und kennengelernt hatten. Wir hatten sogar schon einmal
miteinander zu flirten versucht, uns geküsst, sogar sehr intensiv geküsst, eine etwas engere Verbindung versucht. Aber es war nie über diesen einen Flirt und den einen langen,
intensiven Kuss hinausgegangen. Wir wussten, was uns unsere Freundschaft bedeutete,
wesentlich mehr, als uns eine Liebesaffäre jemals bringen konnte.
Dabei sah sie wirklich Klasse aus, hatte eine tolle Figur, nicht zu dünn oder schlank, mit
sehr fraulichen Rundungen genau da, wo Männer es lieben. Sie hatte langes blondes Haar,
ein Gesicht wie ein Blondtraum aus einem Werbeprospekt über Norddeutschland, - und sie
besaß so viel lebensfrohen Humor, verbunden mit einem ansteckenden Lachen, dass sich
dem niemand entziehen konnte. Schlechte Laune war bei ihr ausgesprochen selten, und
sie hielt nicht damit hinter dem Berg, wenn es ihr wirklich gutging. Maria besaß Charme,
und sie setzte ihn auch ein, unbewusst mehr oder weniger, aber mit durchschlagendem
Erfolg. Ich kannte mindestens ein Dutzend Studenten und Stammgäste, die alles Mögliche
getan hätten, um ihr ganz nahe zu kommen. Sie war zu einem Flirt nie abgeneigt, schlief
sich aber nicht wie viele andere im Zeitgeistdenken durch die Gegend.
Und ich wusste, dass sie zurzeit garantiert ohne eine feste oder lockere Bindung war.
Vielleicht, so schoss es mir schlagartig durch den Sinn, sollte ich doch noch einmal versuchen, mit ihr in engeren Kontakt zu kommen. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass
es mir mit ihr gut gehen würde. Sie akzeptierte Menschen so, wie sie waren, und hasste es
sie zu manipulieren, sie so zu verändern, wie sie nicht sein wollten. Mit Sicherheit würde sie
nicht versuchen meinen Ehrgeiz auf mein Studium so richtig anzustacheln. Sie war nicht
gedankenlos, nicht gleichgültig, aber auch nicht diktatorisch, mit Verständnis für nahezu
jeden Menschen, selbst wenn sie sein Handeln absolut missbilligte.
So zögerte ich nicht eine Sekunde, mir durch einiges Gedrängel den freien Platz ihr gegenüber zu erobern.
Die schwarzgelockte Frau neben ihr hatte mich keines Blickes gewürdigt. Das wäre sicher
auch etwas schwierig gewesen, denn sie trug in offen zur Schau getragener Dekadenz eine
nachtdunkle, runde Sonnenbrille auf der Nase, die vollkommen ihre Augen verdeckte. Und
das bei den ohnehin nicht sehr intensiven Lichtverhältnissen im "Dammtor". Zugegeben, es
hatte was, es sah sehr geheimnisvoll und eine Spur elegant aus. Doch von modisch eleganten Frauen hatte ich erst einmal auf Jahre die Nase voll.
Also beachtete ich sie gar nicht erst weiter.
"Moin ... Alter, du hast auch schon mal besser ausgesehen", war Marias erster lachender
Kommentar, als ich endlich den Tisch und den Stuhl erreichte, wir uns zur Begrüßung die
Hand gaben, "und auch schon besser gerochen ...“
Sie hielt meine Hand noch immer, sah mich prüfend an, weil ich höchstens eine Sekunde
zögerte, da mich ihre Worte ziemlich verlegen machten.
"Sei froh, dass es ... endlich vorbei ist", fuhr sie gnadenlos fort, und bestätigte damit alle
Gerüchte, dass sie eine feine Nase besaß, sehr schnell eine Situation überblicken, durchschauen und erfassen konnte, und ebenso schnell und hart unangenehme Dinge aussprach, weil sie genau wusste, dass es nichts bringt, sie vor sich herzuschieben. Sie stand
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in dem Ruf, das manchmal ohne Rücksicht auf Verluste zu tun, wie jetzt - wo ich noch
vergeblich nach einer Erwiderung suchte.
"Ich hab mich ehrlich gesagt öfter gefragt", fuhr Maria fort, "über was du eigentlich mit der
Kuh geredet hast ... nach dem Bumsen ... Die passte doch gar nicht zu dir ... oder zu
deinem Weltbild ...“
Das hatte gesessen, und beschrieb auf eine sehr offene, brutale Weise, was mir schon
lange selbst klargeworden war. Zwar hatte ich impulsiv das Gefühl Brigitte wie aus einem
Reflex heraus verteidigen zu müssen, denn sie hatte ja auch durchaus gute Seiten an sich
gehabt, - aber ich tat es nicht. Ich fand einfach keine Antwort mehr darauf, hatte sie längst
alle verbraucht, und keine Lust mehr unsere gemeinsame Zeit in irgendeiner Weise vor mir
oder anderen zu rechtfertigen.
So zog ich es vor, mit einer brummend undeutbaren Murmelantwort das Thema zu umgehen. Ich war absolut nicht bereit und gewillt, jetzt über die Frau zu reden, die mich verlassen
und zu dem einsamen Wochenende auf Norddeutschlands Straßen veranlasst hatte. Mein
Ziel war allein ein bisschen Entspannung und Spaß.
Maria sah meinen Unmut, gepaart mit Verlegenheit, kannte mich einfach zu lange und zu
gut, fuhr mir mit den Fingern durch mein wirres Haar, und küsste mich mit einem kurzen
Vorbeugen freundschaftlich auf die Wange.
Damit machte sie sich selber, mir und ihrer Nachbarin mit der schwarzen Lockenpracht und
der Sonnenbrille deutlich, dass das Thema damit für alle abgeschlossen war.
Die hatte offenbar und unvermeidlich Marias kleine Rede gehört, und sie mit einem leicht
schadenfrohen Grinsen begleitet. Zum Glück bekam ich genau in diesem Augenblick mein
Bier durchgereicht, inklusive einem Deckel mit meinem Namen darauf. So konzentrierte ich
mich etwas mühsam auf das ansteckende Lachen von Maria und ihre Worte, verdaute den
Rest von Unbehagen wegen ihrer Offenheit und ihrer Worte, - und wusste schlagartig, dass
dieser Abend für mich gelaufen war. Ich befand mich viel zu sehr in der Defensive, um
locker irgendein Gespräch oder einen Flirt mit irgendeiner Frau anzufangen.
Trotzdem gelangen uns wechselseitig einige Anspielungen über alle möglichen Themen,
während um uns herum der Kneipenlärm tobte. Wir sprachen über unsere Jobs neben dem
Studium, kamen so langsam ins Plaudern, besonders als Maria eine neue Runde Bier für
ihre Nachbarin und mich ausgab. Marias ansteckend guter Laune konnte sich niemand
einfach entziehen.
Das heißt - genauer gesagt - Maria und ich kamen ins Gespräch, denn ihre Begleiterin mit
den schwarzen Locken hielt sich total aus dem Gespräch heraus, schien nur beständig
aufmerksam und still zuzuhören. Sie lächelte ab und zu bei verbalen Schlagabtauschen,
und schien ansonsten nicht an unserem lockeren Abend beteiligt.
So war es kein Wunder, dass ich sehr schnell wieder entspannter wurde, Marias Nähe zu
genießen begann, ein paar harmlose Flirtversuche mit ihr machte, und ihre Tischnachbarin
sehr schnell vergaß. Das war sicher nicht sehr freundlich, sie einfach so auszuschließen,
aber es ergab sich so. Es war so, als sei sie zwar körperlich, aber gedanklich überhaupt
nicht anwesend, - und Maria sagte ebenso wenig zu ihr.
Doch sie war es auch, die sie plötzlich ganz unerwartet wieder in die Runde zurückholte,
als sich gerade der letzte Kommilitone verabschiedete, und ich über unsere zahlreichen
Gemeinsamkeiten zu spekulieren begann. Mir erschien das als eine gute Ausgangsbasis,
um Maria dazu zu bringen, über etwas mehr zwischen uns, als eine platonische Freundschaft nachzudenken. Ich stellte mir das durchaus hochinteressant vor. Maria jedoch lachte
nur freundschaftlich über diese kleinen Versuche, und wimmelte sie charmant ab.
"Das hier ...“, sie wies auf die Frau neben sich, "ist übrigens Katharina." Ihre Handbewegung war eher flüchtig, mit der sie auf die schwarzgelockte Sonnenbrillenträgerin neben
sich wies. "Meine neue Mitbewohnerin."
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Dieses Mal sah ich eine Sekunde länger hin, sah die Frau etwas steif lächeln und mir
zunicken, und erinnerte mich daran, dass Maria schon seit längerer Zeit immer wieder mit
wechselnden Frauen zusammenwohnte. Sie tat das, um sich ihre große, schöne und nicht
gerade billige Wohnung leisten zu können, die sie auf keinen Fall aufgeben wollte, direkt
am Theaterplatz im Dobbenviertel. Früher hatte sie die mit einem potenziellen Lebenspartner geteilt, mit dem sie ganz jung zusammengezogen war. Ich hatte den nie persönlich
kennengelernt, denn als Maria und ich uns begegneten, war er schon Vergangenheit, hatte
sie sich bereits von ihm getrennt. Geblieben war ihr die schöne, großräumige Wohnung, an
der ihr Herz hing. Ich wusste weder, wie die Beziehung zu dem Mann verlaufen war, noch
wie sie geendet hatte, woran sie scheiterte und zerbrach. Maria sprach niemals darüber,
schien da einen wunden Punkt in ihrem Leben zu besitzen. Ich akzeptierte das unausgesprochen. Mir war auch bekannt, dass Maria immer wieder andere Studentinnen als Mitbewohnerinnen suchte, und dass diese häufiger wechselten. Ob Maria zu anspruchsvoll, oder
die Mitbewohnerinnen zu laut und schlampig waren, ob sie schlicht einfach den Studienort
gewechselt, oder zu Maria keine Beziehung entwickelt hatten, wusste ich nicht. Maria konnte durchaus unangenehm werden, wenn ihr etwas absolut gegen den Strich ging. Aber ich
konnte mir keinen Grund vorstellen, warum ihre Mitbewohnerinnen so oft wechselten.
Einmal hatte sie eine Andeutung von Mietschulden gemacht, aber mehr auch nicht.
Ihre neue Mitbewohnerin war auf jeden Fall eine sehr attraktive, modische und scheinbar
etwas sehr exzentrische Frau, die nicht unbedingt wie eine typische Studentin wirkte.
Soweit ich das einschätzen konnte, war sie etwas größer als Maria, sehr schlank, ohne
tatsächlich dünn zu sein. Auffallend war ihre leicht gebräunte Haut, als wäre sie eine Südländerin, oder läge gern und viel am Meer in der Sonne. Sie schien durchaus sympathisch,
wandte mir noch einmal kurz das Gesicht zu und lächelte sparsam. Ich war offenbar
überhaupt nicht ihr Typ, aber sie auch nicht unbedingt meiner, denn ihre dunkle Sonnenbrille irritierte mich noch immer. Es fiel mir schwer nachzuvollziehen, was sie mit dieser
Dekadenz zu erreichen suchte.
Während ich noch einen kurzen Gedanken darüber verlor, mich wieder Maria zuwandte,
erklärte die mir wie nebenbei, dass ihre neue Mitbewohnerin endlich mal keine Studentin
wäre, sondern als Schreibkraft bei der Stadtverwaltung arbeitete. Sie habe einige Bewerberinnen für die Wohngemeinschaft gehabt, sich aber für Katharina entschieden, weil die
ihr gleich sympathisch gewesen sei.
Ich wusste, dass kleine, preiswerte Wohnplätze und Zimmer in der stetig wachsenden
Universitätsstadt Oldenburg sehr knapp waren. Viele Studenten suchten vergeblich nach
Zimmern und schlossen sich dann zu Wohngemeinschaften zusammen. Marias Hauptsympathie, so vermutete ich, beruhte wohl auf der Tatsache, dass ihre neue Mitbewohnerin
höchstwahrscheinlich prompt die Miete bezahlen würde und konnte.
Sie erzählte mir, dass sie jetzt schon über 14 Tage zusammenwohnten, und dass sie praktisch schon nach ein paar Tagen Freundschaft geschlossen hatten. Heute hatten sie
gemeinsam beschlossen, dass es nicht schaden könne, wenn ihre neue Mitbewohnerin mal
etwas mehr von Marias Leben kennenlernen würde und mit ins "Dammtor" käme.
Schließlich sei Katharina völlig neu in der Stadt und kenne keinen Menschen hier. Vorher
hatte sie im nahen Ammerland gewohnt und gelebt. Es kamen noch ein paar Informationen
über diese weitgehend schweigsame Frau, die ich aber nur am Rande mitbekam, weil ich
zum einen fasziniert davon war, wie geschickt Maria meine Flirtversuche abgeblockt hatte,
ohne auch nur eine Spur unfreundlich zu werden. Zum Anderen sah ich mir ihre neue
Mitbewohnerin jetzt doch mal genauer an, und war dabei einen Augenblick völlig konzentriert.
Ja, sie sah wirklich gut aus, anziehend und - aus mir noch nicht ganz klarem Grund äußerst geheimnisvoll. Ihre Sonnenbrille nahm sie auch jetzt nicht ab, wo sie meine Blicke
auf sich deutlich mitbekam, ohne allerdings wirklich darauf zu reagieren.
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Sie sagte kein Wort, lächelte ein ganz klein wenig unverbindlich. Ihr Gesicht war dabei
weniger mir, als Maria zugewandt.
Ich musste ihr zugestehen, dass sie eine ungewöhnlich gute, konzentrierte Zuhörerin war.
Doch hatte ich auch das Gefühl, dass es da noch etwas gab, was diese beiden Frauen
miteinander verband, - etwas, was ich nicht zu erkennen vermochte.
Auch Katharinas Profil wirkte ein wenig südländisch, und so fragte ich sie mehr aus
Höflichkeit, um überhaupt etwas zu ihr zu sagen, ob sie Ausländerin wäre.
Doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf.
Sie hatte sehr sinnliche Lippen, das war das Nächste, was mir jetzt auffiel, ungeschminkt,
aber von intensiver Farbgebung, mit wunderschönem Schwung, besonders in der Oberlippe. Es wirkte ungeheuer lasziv, oder fast erotisch, wie sie knapp lächelnd mit einer eher
nachlässigen Geste einmal eine verirrte schwarze Haarlocke aus der Stirn strich. Dann flüsterte sie Maria etwas ins Ohr, worauf die nur lachend nickte.
Mir fiel nichts ein, was ich noch zu ihr hätte sagen können. Sie bot so gar keinen Ansatzpunkt, und es hätte etwas seltsam gewirkt, wenn ich über ihr attraktives Äußeres mit ihr zu
sprechen versucht hätte.
Dass sie über mehr finanzielle Mittel als Maria verfügte, war schon auf den ersten Blick an
der Kleidung ablesbar.
Während Maria in den üblichen, unvermeidlichen Jeans und einem weiten, dunkelgrünen
Selbststrick-Pullover aus schöner feingesponnener Wolle steckte, den sie oft trug, - war
diese Katharina mit einer dunklen Tuchhose, einer ziemlich eleganten, cremefarbenen
Bluse und einer weiten, auberginefarbenen Lederjacke bekleidet, die offensichtlich nicht
billig gewesen war.
Sie erschien mir eine Spur zu dekadent und modisch. Die teure Lederjacke und die
Sonnenbrille passten perfekt zu diesem Eindruck, den sie bei mir hinterließ. Dass sie etwas
sehr schweigsam war, eigentlich gar nicht zu dem Gespräch zwischen Maria und mir
beitrug, verstärkte dieses Bild von der etwas hochnäsigen, eingebildeten Frau noch.
Auf jeden Fall musste sich Maria keine Sorgen um die pünktliche Mietzahlung machen, wie
bei früheren Mitbewohnerinnen. Diese Frau hatte wahrscheinlich genug Geld, um stets
pünktlich zu zahlen.
Aber ich hatte meine Zweifel daran, dass das zwischen den Beiden gut gehen konnte, dass
sie auf Dauer, ob kurz oder lang, miteinander harmonisch zusammenleben konnten. Maria
war eine absolut typische Studentin, immer knapp bei Kasse, ein bisschen zu alternativ für
eine schicke Modebewusste, politisch an der Hochschule engagiert, und sehr gut im
Improvisieren ihrer Lebensumstände. Und ich fragte mich, wieso sie bei Maria wohnen wollte, wenn sie offenbar genug Geld hatte, um sich auch eine eigene Wohnung leisten zu
können.
Es konnte natürlich sein, dass sie mehr Spaß daran fand, mit einer Frau in einer WG zu
wohnen. Da war sie abends nicht allein, hatte einen guten Erstkontakt in der fremden Stadt,
- auch wenn Oldenburg nicht so groß war, dass man sich darin verlieren und verlaufen
konnte. Es gab zweifelsfrei genug schicke Kneipen und Bars, Treffpunkte und Möglichkeiten, wo sie ihre Kontakte in Oldenburg auf- und ausbauen konnte. Vielleicht hatte sie aber
auch nur bisher noch keine passende Wohnung gefunden.
Das würde für Maria bedeuten, dass sie sich schon bald wieder nach einer neuen Mitbewohnerin umsehen musste. Dabei war sie doch unbedingt auf diese Zahlungen von Mitbewohnerinnen angewiesen, denn als Studentin an der vor kurzen gegründeten Universität,
mit jeder Menge Mängel an jobmäßiger Infrastruktur, musste sie sich ganz schön finanziell
strecken, um über die Runden zu kommen. Erst in zwei Jahren würde ihre Zeit als Referendarin und Lehramtsanwärterin kommen. Bis dahin war es noch eine ziemlich lange Zeit,
und sie stets auf der Suche nach allen möglichen Jobs, um nicht pleite zu gehen, sich
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zwischendurch auch mal die eine oder andere Kleinigkeit leisten zu können, ohne dass es
gleich in eine Art Luxus ausartete.
Katharina, ihre neue Mitbewohnerin, schien finanziell gut dazustehen, kam wahrscheinlich
aus gutbürgerlichem Haus, war eine gewisse Form von Luxus gewöhnt. Sicherlich war sie
keine linksalternative Frau.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie diese beiden Frauen miteinander wohnen und
harmonieren wollten.
In diesem Augenblick wandte sie mir zum ersten Mal offen ihr Gesicht zu, schien mich
durch ihre Sonnenbrille genauer anzusehen. Scheinbar hatte sie doch bemerkt, dass ich
sie genau musterte, und mir Gedanken über sie machte. Auf diese Weise wollte sie mich
wohl nachmachen. Aber immerhin, sie lächelte mir ein wenig zu, mehr als vorher, tuschelte
dann unhörbar mit Maria, und lächelte dann - zu meiner Verblüffung - erneut zu mir herüber. Jetzt aber war es Maria, die ihr etwas ins Ohr flüsterte. Doch auch jetzt sagte sie kein
Wort zu mir, sah mich nur lächelnd an.
Ich brauchte kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass sie gerade über mich tuschelten.
Das verunsicherte mich schlagartig auf´s Neue.
Maria kannte mich recht gut, wusste eine ganze Menge über mich, konnte wahrscheinlich
eine Menge persönlicher Details über mich erzählen. Doch was konnte das schon sein, was
so eine Frau über mich wissen wollte?
Konnte die überhaupt an mir irgendein Interesse haben, unrasiert und mit dem leicht
abgestandenen Geruch nach Schweiß?
Der Gedanke gefiel mir - und gefiel mir gar nicht.
Eines war unleugbar klar, mit so einer Frau in der Begleitung, selbst nur für kurze oder
begrenzte Zeit, konnte jeder Mann - und ich natürlich auch - eine Menge Eindruck
schinden.
Brigitte wäre sicher geplatzt vor Wut, wenn mich eine derart gut aussehende Frau auch nur
mehr als eines Blickes würdigte.
Andererseits passte sie zu mir noch wesentlich weniger, als zu Maria.
Wenn ich allein daran dachte, dass diese Frau auf dem Sozius meines Motorrades mitfahren würde, so war das fast unvorstellbar. Sie würde wahrscheinlich die ganze Zeit von der
Angst getrieben sein, sich die Klamotten mit Öl zu verschmieren.
Mein Leben war ziemlich improvisiert und ungeordnet, was wiederum überhaupt nicht zu
dieser Frau passte.
Sie war zweifellos etwas dekadent, hatte einige kostspielige Wunsche an einen Mann, hohe
Ansprüche an seine Liquidität. Dafür konnte sie ihm gutes Aussehen, und versnobt, kühle
Eleganz bieten, gepaart mit vornehmer Distanz.
Das war genau das, was ich überhaupt nicht brauchen konnte oder suchte.
Ich war weder absolut solide und liquide, noch konnte ich irgendeiner Frau kostspielige
Geschenke oder Angebote machen. Meine beste Qualität waren meine Emotionen als
sensibler Gefühlsmensch, der viel zu viele seiner Entscheidungen aus dem Bauch, statt mit
dem Verstand traf.
Ohne jeden Zweifel war Katharina eine der attraktivsten Frauen, die ich seit Langem
gesehen hatte. Sie passte gar nicht so richtig ins "Dammtor".
Dann wurde mir plötzlich schlagartig klar, dass ich mir ganz schön viele Gedanken um
diese Frau machte, dass sie es spielend geschafft hatte meine Blicke und Augen an sich zu
binden. Das wiederum war etwas, was ich nicht genau zu deuten wusste, was ich allein mit
meinem Unterbewusstsein wahrnahm. Es war so eine Art sinnliche Ausstrahlung, beinahe
körperlich spürbar, und sichtbar ausgedrückt in jeder Bewegung, die sie machte, in jeder
kleinen Geste.
Dennoch hatte ich noch immer den Eindruck, dass sie keinen einzigen überflüssigen Blick
auf mich verschwendete, ein wenig an mir vorbei sah, als wäre ich das gar nicht wert oder
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nicht wirklich anwesend. Meine Vermutung ging mit einer winzigen Spur Gekränktheit
dahin, dass bei ihr die interessanten Männer erst ab der Klasse eines Abteilungsleiters im
modischen Fischgrät-Anzug, oder bei einem Sportwagenfahrer anfingen.
Aber warum tuschelte sie dann mit Maria über mich?
Tat sie das denn überhaupt?
Oder hätte ich das gerne einfach nur so gehabt, weil es meiner Eitelkeit geschmeichelt
hätte?
Irrte ich mich, oder hatte Maria gerade grinsend zu mir herüber gesehen, als diese Katharina ihr irgend etwas ins Ohr flüsterte?
Ich war mir nicht sicher, wusste nicht einmal, ob die Beiden über mich flüsterten, - und
wollte es eigentlich auch gar nicht wissen, - und es dennoch gerne erfahren.
Ich konnte nicht leugnen, dass Katharina genau diese Art von Ausstrahlung und Aura
besaß, die mich magisch anzog. An diese Frau heranzukommen, sie womöglich im Arm zu
halten, oder einfach nur neben mir sitzen zu haben, hätte meine männliche Eitelkeit
unzweifelhaft auf bisher unbekannte Höhen und Dimensionen emporgehoben. Eine Frau
wie sie konnte jeden Mann über jeden noch so schlimmen Verlust hinwegtrösten.
Als ob Maria meine Gedanken lesen könnte, sah sie plötzlich erneut zu mir herüber und
blinzelte mir grinsend zu.
Ich spürte sofort, dass ich bis an die Haarwurzeln errötete, fühlte mich wie bei etwas
Unrechtem ertappt, kalt erwischt.
Aber das schien es nur noch schlimmer zu machen, denn Maria lachte glockenhell auf, und
ihre neue Mitbewohnerin lachte unerwartet ausgelassen mit.
Ganz so distanziert, wie ich gedacht und beobachtet hatte, war sie offenbar doch nicht,
oder nicht mehr.
Nur hatte ich den Eindruck, dass sie über mich lachten, wodurch ich fühlbar noch stärker
errötete.
Maria durchschaute die Situation sofort, beugte sich zu mir über den Tisch, und beteuerte
mit Unschuldsmiene, dass sie keineswegs über mich lachten. Katharina habe nur gerade
etwas zu ihr gesagt, was sehr komisch und lustig gewesen wäre.
Ich hatte überhaupt noch kein Wort dazu gesagt, fühlte mich aber erneut ertappt. Dabei
wollte ich Maria nur zu gerne glauben, aber sie überzeugte mich nicht wirklich. Ich fühlte
mich unsicher, versuchte ein halbwegs unbefangenes Grinsen, - auch hinüber zu jener
Frau, die für mich der Schlüssel zu der ganzen Situation war, die mich im Moment ein
wenig zu sehr für meinen Geschmack interessierte.
Die Reaktion von ihrer Seite war absolut ernüchternd, denn sie fand einfach nicht statt.
Katharina ignorierte mich, ließ mit keiner noch so kleinen Geste, einem winzigen Lächeln
oder einer Kopfbewegung erkennen, dass sie mich überhaupt wahrnahm. Stattdessen holte
sie eine Packung Tabak aus der Tasche, fischte Blättchen heraus und drehte sich sehr
schnell und geschickt eine Zigarette. Die sinnliche Art, wie zum Schluss das Papier mit
spitzer Zunge anleckte, ließ mir fast den Atem stocken.
Da war sie wieder, diese überaus sinnlich-erotische Ausstrahlung, dieses unbewusste oder
bewusste Spiel mit erotischen Signalen, die sie deutlich aussandte, die mich bis ins Mark
elektrisierten.
Aber ich war auch aus anderen Gründen verwirrt, denn mein bisheriges Bild über diese
schwarzgelockte Frau geriet erneut ins Wanken. Sie, die elegant und kühl Distanzierte, die
offenbar über gut ausreichende Geldmittel verfügte, die nicht leicht ins "Dammtor" zu
integrieren war, die wahrscheinlich hohe Ansprüche an potenzielle Partner und Freunde
stellte, drehte sich ihre Zigaretten selber?
Es hätte mich überhaupt nicht gewundert, wenn sie entweder überhaupt nicht geraucht
hätte, oder diese ziemlich teure und exklusive Marke im goldenen Hartcover, mit Goldfilter.
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Genauso wie es die Werbung in Fernsehen und Kino suggerierte, die Zigarette für die Frau
mit dem etwas teureren Geschmack.
Aber genau dieser Typ Frau, wie diese Katharina offenbar einer war, drehte sich seine
Zigaretten selbst. Und offenbar nicht als Ausnahme, denn so präzise, leichtfingrig und
geschickt hatte ich das selten gesehen. Sie musste also eine Menge Übung darin haben.
Ich konnte einfach nicht glauben, was ich gesehen hatte.
Dann aber, als erneuten Widerspruch, ließ sie sich sehr umständlich von Maria Feuer
geben, mit ganz spitzen Lippen, den Kopf leicht schräg gelegt, - als rauche sie das erste
Mal in ihrem Leben, und wüsste nicht genau, wie man das anmutig elegant bewältigen sollte.
Plötzlich erschien sie mir überhaupt nicht mehr so leicht durchschaubar, wie in dem
Moment, wo Maria sie mir vorgestellt hatte.
Bevor ich mein Erstaunen jedoch in eine neue innerliche Frage wandeln konnte, kam
Sassa gerade zufällig an unserem Tisch vorbei, warf eine Handvoll Erdnüsse auf den
Tisch, und nahm mit einem freundlichen Kopfnicken meine Bierbestellung entgegen.
Wenigstens verpasste ich nicht die Gelegenheit, auch für Maria und ihre neue Mitbewohnerin gleich mitzubestellen. Meine Möglichkeit, mit ihr durch "Feuergeben" in ein direktes
Gespräch einzusteigen, hatte ich schließlich schon vor Verblüffung verpasst, - was sie mir
aber keineswegs übelzunehmen schien. Sie lächelte mir dankbar wegen meiner Bestellung
zu, und wir prosteten einander zu.
Bier war allerdings dabei auch etwas, was ich ihr nicht zugerechnet hätte. Vielleicht Rotoder Weißwein, aber kein Bier, und schon gar nicht einen Klaren, den sie noch rasch mit
einem halblauten Ruf bei Sassa orderte. Sie erschien mir plötzlich eher undurchschaubar.
Katharina war also eine ziemlich modisch und teuer gekleidete, etwas exzentrische, abends
in der Kneipe Sonnenbrilletragende, Zigaretten selbst drehende, Bier und Klaren trinkende
Frau.
Das passte für meinen Geschmack alles überhaupt nicht zusammen.
Zum Glück fiel mir gerade noch rechtzeitig wieder ein, dass Katharina sowohl meine Blicke
auf sie, als auch mein Zulächeln völlig ignoriert hatte. So konnte ich wenigstens einen kleinen Teil meiner Beurteilung über sie retten. Sie war immerhin arrogant und kühl distanziert,
und ich ein Typ Mann, der sie in keiner Weise interessierte.
Ich brauchte mich also gar nicht erst bemühen, mit ihr irgendein Gespräch anzufangen.
Offensichtlich war ich ihr weitgehend gleichgültig, und sie lächelte nur ab und an zu mir
herüber, weil sie nicht völlig unhöflich einen Freund von Maria sichtlich ablehnen wollte. In
Wahrheit aber würdigte sie mich keines Blickes.
"Ich ... ich bin übrigens Künstler ... Kunststudent ... ich meine, ich studiere Kunst ...“, sagte
ich plötzlich gänzlich unmotiviert zu niemand Besonderen an unserem Tisch und kannte
dennoch ganz genau das lebende Ziel meines Versuches. Mein eindeutiger Blick in Richtung der weiblichen Lockenpracht konnte das kaum oder schlecht verhüllen.
Ich hätte mich im selben Moment dafür ohrfeigen können.
Warum in aller Welt hatte ich das bloß in diesem Augenblick gesagt?
Hatte ich ernsthaft geglaubt, ihr damit zu imponieren?
Selbst Maria schien irritiert und erstaunt, sah mich fragend mit hochgezogener Augenbraue
an und schien mich zu fragen, was das denn solle.
Ihre neue Freundin zog ebenfalls eine Augenbraue hoch, fixierte mich offenbar durch ihre
Sonnenbrille, als wolle sie meine künstlerischen Fähigkeiten im finanziellen Aspekt taxieren, - und lächelte.
"Ja, ... ich weiß ...“
Immerhin, sie wandte mir lächelnd das Gesicht zu und antwortete darauf, mit einer Stimme,
die mich elektrisierte, so voll und melodisch.
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"Ach ... ach ja, ... woher ...?“ Ich war durch mein eigenes Vorpreschen völlig verunsichert
und ahnte, dass ich nur Blödsinn stammelte, "hat ... Maria ...?“
"Nein, ... ich habe vorhin zugehört."
Na bitte, ich hatte mich zum Narren gemacht.
Maria starrte mich grinsend mit großen Augen an, schien überhaupt nicht zu verstehen,
was ich da versuchte oder tat.
Ich beschloss lieber das Thema zu wechseln, statt mich weiter lächerlich zu machen. Mir
war ohnehin selber nicht klar gewesen, auf was ich dabei hinauswollte, was dabei herauskommen sollte.
Schlagartig war der Gesprächsfaden nicht nur zwischen ihr und mir, sondern auch zu Maria
wie abgeschnitten. Der Lärm der Kneipe um uns herum erschien mir glatt doppelt so laut.
Wir schwiegen im Sonntag-Abend-Kneipen-Lärm, und ich war mir sicher, dass dieses
Schweigen uns alle drei etwas unangenehm belastete. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, sah Katharina ihren Korn in einem Schluck herunterkippen, und wollte mich
am liebsten bewusstlos saufen, um diese Peinlichkeit irgendwie wieder auszubügeln.
Wenn man sich wie ein Idiot fühlt, dann ist es verdammt schwer ein steckengebliebenes
Gespräch wieder in Gang zu bringen, wenigstens ein wenig Small-Talk. In meinem Kopf
herrschte ein ziemliches Durcheinander aus Gedanken und Gefühlen, das ich im Moment
nicht ordnen konnte. Dabei hatte ich nicht einmal zu viel Bier bis dahin getrunken.
Das Ganze, das war mir jetzt auch klar, war ein totaler Fehlschuss gewesen, mit dem ich
mich nicht nur zum Narren, sondern zu einem angeberischen Narren gemacht hatte. Der
kleine Flirt mit Maria war vorüber und aussichtslos, und ich hatte bei dieser Katharina
bestenfalls noch mehr Boden verloren, als ich vorher schon erst gar nicht gehabt hatte.
Dann fiel mir wie ein Geistesblitz das Open-Air-Konzert nächste Woche in Bremen ein, und ehe ich mir genug Zeit geben konnte, darüber nachzudenken, ob das vielleicht ein
guter Neueinstieg in ein unterhaltsames Gespräch sein könnte, platzte ich auch schon
damit heraus, - und fragte ganz unverblümt, ob die beiden Frauen nicht vielleicht auch
dahin wollten.
Erst als ich es ausgesprochen hatte, fiel mir ein, dass das unter Umständen das Fiasko,
das ich bereits angerichtet hatte, noch verschlimmern könnte.
Doch das war eindeutig zu spät.
Das augenzwinkernde Grinsen von Maria belohnte mich erst einmal für meine angestrengten Bemühungen in vollem Ausmaß. Erst recht, als sie meine Frage bejahte, dass sie sich
genau wie ich, bereits vor Tagen eine Karte gekauft hatte.
"Und ... willst du auch mitkommen?"
Ich hielt mich wieder für geradezu genial, denn das war doch endlich mal eine konkrete
Frage an diese schöne Frau gegenüber. Eine winzige Sekunde war ich ausgesprochen
zufrieden mit meiner erbrachten Leistung.
Doch das verging mindestens genauso rasch wieder, denn als Reaktion kam nur ein abwägendes Schulterzucken und eine so leise gemurmelte Antwort, dass ich nur erahnen konnte, dass sie es noch nicht überlegt hatte.
"Ich könnte dich ... auf dem Motorrad mitnehmen ...“
Wie konnte ich bloß annehmen, dass diese gutgekleidete Frau auf ein Open-Air-Konzert
mit Toilettenwagen und Zelt gehen würde?
Und wie konnte ich ernsthaft glauben, dass diese Frau, trotz aller Widersprüche, die ich
innerhalb von ein paar Stunden an ihr wahrgenommen hatte, mit mir auf dem Motorrad
mitfahren wollte?
Sie fuhr wahrscheinlich einen netten Kleinwagen, und war absolut nicht auf mich angewiesen. Notfalls konnte sie sogar in Marias schmutzig grauen, alten "Rost-Käfer" mitfahren.
Mich brauchte sie ganz gewiss nicht, um nach Bremen zu kommen, wenn sie überhaupt
dahin wollte.
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Doch erstaunlicherweise kam wieder eine gänzlich andere Reaktion, als ich erwartet hatte.
Katharina wandte mir ihr Gesicht zu, schien mich eine Sekunde lang sehr ernst anzusehen,
versetzte mich in die Erwartung einer herablassenden Absage, - lächelte dann aber freundlich und offenbar nicht abgeneigt, und zuckte halb zustimmend mit den Achseln.
"Das wäre ... eventuell ein Angebot ...“
Ich war wie vom Blitz getroffen und vom Donner gerührt, denn das hatte ich wahrlich nicht
erwartet. Marias neue Freundin sprach zwar sehr leise zu mir, vielleicht eine Spur unsicher,
aber keineswegs abweisend.
In meinen Ohren klang das wie eine überschwänglich erfreute und glückliche Zusage.
War ich also doch nicht völlig uninteressant für sie?
Wenn ich ihr schon nicht heute Abend auch nur eine Spur näher kommen konnte, so würde
es auf meinem Motorrad, meiner "Alten Lady", nahezu unvermeidlich sein. Ich war mir
durchaus der Tatsache bewusst, dass so eine röhrende Maschine ihren ur-eigenen Charme
auf Frauen ausstrahlte, und natürlich auch auf mich, denn ich war schließlich der Fahrer
und stolze Besitzer.
Da hatte ich keinen Zweifel. Ich brauchte nur richtig Gas zu geben, dann würde mir diese
schöne, geheimnisvolle Frau von ganz allein so dicht wie möglich auf den Leib rücken.
Vielleicht war sie doch nicht so falsch und unerreichbar für mich, wie ich bis dahin geglaubt
hatte.
Ihre Fingernägel waren nicht lackiert, - es war schon seltsam, dass mir ausgerechnet das in
diesem Moment auffiel.
Nicht einmal Glanz- oder Perlmutt-Lack hatte sie aufgetragen.
Vielleicht war sie nicht ganz so mondän, wie ich angenommen hatte. Ihre Hände waren
zartgliedrig, aber auch kraftvoll muskulös zugleich. Katharina war offenbar trotz ihres
gepflegten und sehr modischen Äußeren eine Frau, die auch richtig zupacken konnte,
wenn es darauf ankam.
Sie wirkte sportlich und gut trainiert, was vielleicht der Grund sein mochte. Ich hatte keine
Ahnung, versuchte aber aus dem, was ich sah, eine Vorstellung von ihr zu konkretisieren.
Katharina war so gut wie gar nicht geschminkt, - das fiel mir jetzt ebenfalls zu ersten Mal
auf. Auch dies passte wieder überhaupt nicht in das Bild, das ich mir von ihr zurechtgelegt
hatte. Das unterschied sie sehr deutlich von fast allen anderen Frauen hier. Selbst Maria,
die über wenig Geld verfügte, würde nicht ohne schwarzen Augenkajal, Wimperntusche
und Lidschatten ins "Dammtor" gehen, von Lippenstift ganz zu schweigen.
Zweifellos gehörte ihre neue Mitbewohnerin nach meinem Empfinden klar zu den Frauen,
die auf solche Dinge großen Wert legten. Aber es bestand kein Zweifel, sie trug kein Makeup und keinen Lippenstift. Vielleicht ein wenig Kajal, aber das konnte ich wegen der dunklen Brille nicht erkennen.
Oder hatte sie sich nur für das "Dammtor" nicht geschminkt, um hier nicht zu sehr aufzufallen, in einer linken Szene- und Studenten-Kneipe?
Was immer ich auch für schnelle Überlegungen anstellte, irgendwie passten sie alle nicht
richtig zusammen. Und dann diese fast sensationsreife Erwägung, mit mir auf einem
Motorrad zu einem Open-Air-Konzert zu fahren, - ich kriegte das nicht in eine logische
Reihenfolge.
Wie auch immer, wenn ich nichts überstürzte, erst mal frisch geduscht, rasiert und
geschönt war, dann sollten sich meine Chancen mächtig verbessern. Ich musste nur
dranbleiben, und versuchen meinen Charme einzusetzen, wenn ich nicht gerade wieder zu
unsicher war. Mit etwas Glück ließ sich aus dieser Begegnung vielleicht etwas machen,
was jetzt noch nicht einmal absehbar war.
Doch ich kam nicht mehr dazu, mir irgendwelche schlauen Einfälle über die Lippen oder
durch den Geist sprudeln zu lassen, denn diese schwarzlockige Undurchschaubare neigte
sich lässig zu Maria, flüsterte ihr etwas zu, und sofort standen beide auf. Dabei fiel mir auf,
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dass Maria ihrer neuen Mitbewohnerin - fast wie ein Gentleman - ausgesprochen behilflich
war, ihr den Stuhl zur Seite schob.
"Wollt ihr etwa schon gehen ...?“
Die Frage war schneller ausgesprochen, als ich überhaupt eine Chance hatte, mir über
Ursache und Wirkung einen Gedanken zu machen, einfach so schnell herausgerutscht.
Im Klaren war ich mir nur darüber, dass ich wenig Lust verspürte die beiden Frauen,
besonders Katharina, so sang- und klanglos abziehen zu lassen. Ich wollte nicht schon
wieder den Anschluss verlieren, ehe ich nicht wenigstens einen kleinen Schritt weiter war, oder mir zumindest einbilden durfte, einen Schritt vorangekommen zu sein.
"Nein ...“
Maria lachte derart verschwörerisch auf, dass mir sofort klar war, dass sie meine sämtlichen Haupt- und Hintergedanken durchschaut hatte. Doch Katharina bedachte mich mit
einem schmalen Lächeln, das mich an mitleidige Herablassung erinnerte.
"Wir müssen bloß pinkeln gehen ...“
Das haute mich beinahe um, ließ mir fast den Unterkiefer auf die Brust sinken. So eine
Direktheit hatte ich absolut nicht erwartet. Vielleicht eine lahme Ausrede, einen diskreten
Hinweis, wie Nase pudern oder so was. Aber so unbefangen und ein bisschen frech zu
sagen, dass sie pinkeln gehen wollten, - das beeindruckte mich, denn es wirkte überhaupt
nicht elegant oder hochnäsig.
Andererseits fand ich das Ganze auch ein wenig lächerlich, weil ich noch nie verstanden
habe, warum Frauen so gerne und bereitwillig zusammen auf die Toilette gingen. Irgendwie
hatte ich dabei immer das leicht unbehagliche Gefühl, dass sie diesen für Männer strikt
verschlossenen Raum dazu nutzten, Urteile und Meinungen über uns Männer auszutauschen, Strategien zu besprechen, wie sie weiter vorgehen wollten.
Uns blieb dann nur die Möglichkeit, uns in den längst ausgelegten Fallen und Netzen zu
verstricken.
Ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie sie sich gegenüber standen, den Daumen hoben
oder senkten, zum Zeichen "vergiss ihn" oder umgekehrt. Mit Glück konnten Männer noch
froh darüber sein, wenn Frauen sich auf der Toilette nur lustig über sie machten. Meine
Erfahrung sagte mir zudem, dass Frauen sich enorm viel Zeit ließen, ehe sie endlich
zurückkehrten.
Sollten die Männer ruhig mal auf sie voller Ungeduld warten. Es schien ein unausgesprochen abgesprochenes Spiel zu sein, dass die Frauen ungeheuer liebten. Kamen sie
zurück, verloren sie mit Verschwörerblicken kein einziges Wort über das, was sie auf dem
WC getan hatten, - außer das Übliche, aber das wurde sowieso nicht erläutert.
Die Damen-Toilette war für mich wie ein Hort der Frauen-Geheimnisse, wo mit Sicherheit
die vernichtendsten Urteile über Männer gefällt wurden.
Irgendwie hatte ich ohnehin das Gefühl, mich mit meiner unbedachten Frage ziemlich
deklassiert zu haben.
Und warum mussten Frauen wie diese Katharina und Maria nicht nur zu zweit, sondern
auch noch untergehakt gemeinsam zur Toilette gehen, wie zwei ewige Freundinnen oder
Verschwörerinnen.
Ich hatte kaum noch Zweifel daran, dass ich jetzt fällig war, dass sie bereits auf dem Weg
zum WC dabei waren, ein Urteil über mich zu besprechen.
Durchgefallen bei der 1.Prüfung - auf allen Ebenen.
Oder nutzten sie die Toilette etwa nur zu ausgedehntem Tratsch über mich?
Bildete ich mir etwa schon an diesem Punkt grundsätzlich zu viel ein?
Vielleicht fing ich auch aus nachklingendem Zorn auf Brigitte an, leicht paranoid zu werden.
Wieso sollte es Marias neue Freundin so eilig haben alle möglichen Informationen über
mich einzuholen, möglichst viel über mich zu erfahren?
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Hatte sie - oder könnte sie vielleicht viel mehr Interesse an mir haben, als ich bisher
angenommen hatte?
Oder sprach da nur die typisch männliche Eitelkeit aus mir?
Es dauerte in der Tat eine ganze Weile, bis sie beide zurückkamen, - und noch immer
waren sie untergehakt, lachten, tuschelten und freuten sich wie zwei Frauen, die etwas
Tolles ausgeheckt hatten.
Für mich war das ein ganz klares Signal, mein Verdacht bestätigt. Die hatten sich gegenseitig darüber lustig gemacht, dass ich erst einen Flirt mit Maria, und dann mit Katharina
versucht hatte. Es konnte jetzt nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie mich voll auflaufen
ließen. Für die beiden Frauen war ich sozusagen absolut erledigt, nett und freundlich, aber
nicht mehr.
Es traf mich fast wie ein Hieb, als Katharina sofort und ohne besonderen Anlass das Wort
an mich richtete, sogar noch, ehe sie auf ihrem Stuhl saß.
War das pure Ungeschicklichkeit, oder war sie ein wenig zu sehr auf mich konzentriert,
dass sie sich so umständlich dabei anstellte?
Sie fragte mich, ob ich denn noch eine Karte besorgen könnte, da sie keine Zeit dazu und
etwas Schwierigkeiten damit hätte.
Ich klappte meinen Mund auf wie ein Idiot, brachte es dann aber doch noch fertig ihr zu
sagen, dass es kein Problem sei.
Ich war angenehm überrascht, Maria schien ebenfalls viel mehr von mir zu halten, als ich je
angenommen hatte. Zumindest hatte sie ihrer neuen Mitbewohnerin offenbar nur Gutes und
Nettes über mich weitertragen können. Anders konnte ich die deutliche Veränderung, die
sie plötzlich sehr lebendig und anteilnehmend machte, nicht erklären.
Es sei denn, mein unübersehbarer Charme aus leicht fettigen, zerzausten Haaren, unrasiertem Kinn, Schweißgeruch und ziemlich einfallslosen Flirtversuchen hatte ihr völliges
Interesse auf mich gezogen.
Schenkte sie mir jetzt tatsächlich mehr, als nur rein randläufige Beachtung?
Ich war verwirrt und suchte in meinen Taschen nach Zigaretten.
Katharina reichte mir locker entspannt sofort eine von ihren Selbstgedrehten, fing aber
auch sofort von neuem mit der Neuproduktion an. Sie arbeitete dabei äußerst geschickt
und sparsam in ihren Bewegungen, fast wie eine Finger-Artistin. Perfektion schien ihr ein
äußerst wichtiges Kriterium zu sein. Und zum Schluss wieder diese sinnlich spitze, rosafarbene Zunge, die bedächtig das Blättchen anleckte. Wohl wissend, dass es durchaus sein
konnte, dass sie das aus purer Notwendigkeit tat, hatte es doch etwas ungeheuer Erotisches für mich, wirkte fast eine Spur obszön. Ohne hinzusehen, rollte sie ihre Zigarette
zwischen zwei Fingern, und schon war sie fertig.
Selbst dabei nahm sie nicht eine Sekunde ihre Sonnenbrille ab, oder spähte darüber
hinweg. Diesen Rest von Dekadenz behielt sie eisern bei.
Ich konnte tun, was ich wollte, ich verstand es nicht, konnte diese Frau in keine meiner
Kategorien einordnen.
Sie war locker und animierend - und war es nicht. Sie war schweigsam und verschlossen und war es nicht. Sie war eine modebewusste, junge Frau mit einem gut ausgeprägten
Selbstbewusstsein, souverän und sinnlich, ganz gleich ob unbewusst oder nicht, - und
drehte sich so geschickt und flinkfingrig ihre Zigaretten, als wäre das ihr heimlicher Nebenberuf, mit dem sie ihre Geldmittel aufmöbelte. Sie wirkte elegant, kühl und distanziert,
benutzte aber kein Make-up oder Lippenstift, - und lächelte mir gerade zu auffordernd zu.
Sie ignorierte mich zwischenzeitlich - und tat es dann wieder nicht, wollte sogar mit mir auf
dem Motorrad nach Bremen fahren, zu einem Open-Air-Konzert mit Rockbands aus aller
Welt. Entweder besaß sie die raffinierteste Flirt-Strategie, von der ich je erfahren und
gehört hatte, oder sie war völlig sprunghaft, tat nur, was ihr gerade in diesem Augenblick
gefiel, wo sie es tat.
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Das Gespräch zwischen uns Dreien kam nahezu mühelos wieder in Gang, als wäre nichts
vorgefallen, was es gehemmt hätte. Dieses Mal aber hatte ich ganz stark den Eindruck,
dass Katharina die Dinge in die Hand nahm, die Führung an sich riss, als wolle sie möglichst wenig dem Zufall überlassen, sich irgendeinen Vorteil schaffen.
Mich konnte mittlerweile ohnehin nichts mehr überraschen.
Viele Jahre später konnte ich, trotz intensiven Grübelns, nie mehr rekonstruieren, wer
welche Fragen stellte, wer die Initiative vorantrieb, wer welchen Anteil am Rest des Abends
hatte. Inhalte waren mir ebenso weitgehend entfallen, obwohl es sich angeblich so ziemlich
um alle möglichen Lebensbereiche gedreht haben soll. Wir erzählten uns von unserer
Arbeit, im Büro, beim Studium, kleine lustige Alltagsgeschichten aus unserem Umfeld, und
über alles, was uns so in den Sinn kam.
Nicht, dass Katharina plötzlich unglaublich redselig geworden wäre, aber sie stand nicht
mehr weitgehend außerhalb. Sie nahm Anteil, brachte sich ein, lachte und lächelte, stellte
Fragen, hakte nach, trank an ihrem Bier, gab eine Runde aus, und unaufgeforderte
Kommentare ab. Sie stellte sowohl Maria, als auch mir interessierte Fragen, machte ab und
zu ein paar sparsame Gesten. Und ich hatte sehr deutlich den Eindruck, dass sie immer
häufiger auf mich konzentriert war, mit zugewandtem Gesicht. Ich hätte viel darum gegeben
in diesen Sekunden, ihre Augen zu sehen, was sie mir wohl zu erzählen hatten. Denn noch
immer vermittelte ihre Sonnenbrille den Eindruck von Restdistanziertheit.
Doch eines fiel mir noch ganz deutlich auf, wann immer ich irgend etwas sagte oder erzählte, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass diese Frau gegenüber, mit ihrem sinnlich charmanten Lächeln und den glänzend rabenschwarzen Haaren, mir mit totaler Konzentration
zuhörte, den Kopf leicht schief gelegt. Es war, als wolle sie jedes einzelne Wort ungefiltert
in sich aufsaugen, nur um sie innerlich zu drehen, zu wenden, auf ihren Inhalt zu diagnostizieren.
Vielleicht erhoffte sie sich ein haargenaues Bild von mir machen zu können, vielleicht war
es auch nur vorübergehendes, intensives Interesse, weil sonst alles andere langweilig
schien.
Ich wusste es nicht und konnte es nicht einschätzen.
Mein Gedanke reichte dahin, dass sie sich ein möglichst präzises Urteil über mich zurechtlegen wollte, ehe sie zu mir, einem Kunststudenten, auf ein Motorrad stieg und durch die
Gegend donnerte.
Einmal konnte ich sogar für mehrere Sekunden beobachten, dass sie derart konzentriert
zuhörte, und mich dabei nicht aus den Augen hinter ihrer Sonnenbrille ließ, dass sie nicht
einmal einen Blick auf den Tisch zwischen uns vergeudete, sondern mit der Hand vorsichtig
darauf herumtastete, weil sie ihr Feuerzeug für eine Zigarette brauchte. Dabei wandte sie
nicht eine Sekunde ihr Gesicht von mir ab. Maria war es schließlich, die es ihr gab, mich
gleichzeitig mit einem undeutbar fragenden Blick bedachte. Den nahm ich aber nur am
Rande wahr, und ordnete ihn als berechtigten Vorwurf ein, weil ich nicht auf die Idee
gekommen war, Katharina Feuer zu geben. Meine Hauptaufmerksamkeit galt in dieser
Sekunde der Tatsache, dass diese Frau mir selbst in dieser Sekunde, als Maria ihr das
Feuerzeug in die Hand legte, Face-to-Face blieb, als wolle sie keinen Wimpernschlag von
mir verpassen.
Das war mir schon fast eine Spur unheimlich.
Irgendwie fand ich das ziemlich verunsichernd, aber auch ein wenig schmeichelhaft. Nur
fragte ich mich, wie ich das denn zustande gebracht hätte, dass diese wunderschöne,
begehrenswerte Frau mir unaufgefordert soviel Aufmerksamkeit schenkte, selbst wenn wir
nur Small-Talk führten. Ich war noch nie einer Frau begegnet, die so präzise und konzentriert zuhörte, wenn ich etwas sagte.
Kurzfristig ablenken ließ sie sich nur, genau wie Maria und ich, wenn Sassa gerade eine
Platte auflegte, die uns oder ihr ganz besonders gut gefiel, wo wir uns dem Rhythmus und
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Beat einfach nicht entziehen konnten. Aber das waren immer nur ein paar Sekunden, dann
war die Lautstärke um uns her nur Kulisse. Irritierend fand ich nach wie vor, dass sie nicht
eine Sekunde ihre Sonnenbrille abnahm. Wozu brauchte sie nur unbedingt diese künstliche
Distanz zwischen uns, die sie um keinen Millimeter verkürzen wollte?
Ich war und bin ein Mensch, der seinem Gegenüber bei einem persönlichen Gespräch
gerne in die Augen sieht, seine Ideen, Gedanken daraus zu lesen versucht, seine Emotionen. Das war hier absolut nicht möglich.
Es machte mich wegen des Geheimnisvollen hinter den dunklen Gläsern aber auch doppelt
neugierig. Versuchte ich jedoch auch nur einen Blick auf die Augen dahinter zu erhaschen,
indem ich ein wenig den Kopf neigte, so folgte Katharina dieser Bewegung nahezu unmerklich und rasch. Jeder Versuch, durch das dunkle Glas in ihre Augen zu sehen, war aussichtslos.
Sie verstand es mühelos, sich zu präsentieren, meine Aufmerksamkeit wieder von ihren
Augen abzulenken, meine Aufmerksamkeit zu fesseln, was mich immer mehr an ihr entdecken ließ.
Diese kleinen abwägenden Fingerbewegungen ihrer schlanken Hände voller Anmut, wenn
sie ohne hinzusehen nach den letzten Erdnüssen auf dem Tisch tastete, sie schälte und
aß. Dabei war sie sich ziemlich erschrocken zusammengezuckt, als Sassa im Vorbeigehen
einmal eine Handvoll auf unseren Tisch warf. Sie sagte etwas zu Maria, die antwortete
irgend etwas leise, bekam eine Nachfrage und lachte erneut.
"Nein, die sind umsonst ... die kannst du nicht bestellen ...“
Anfangs fand sie es offenbar irritierend, dass es völlig normal und fast schon so etwas wie
Tradition sein sollte, die Schalen einfach auf den Boden zu werfen bzw. sie auf dem Tisch
zu verteilen, weil Sassa sie irgendwann in einem Plastikeimer einsammeln oder nach Feierabend zusammenkehren würde. Doch dann machte sie es genauso wie alle anderen
Gäste, und knabberte zwischendurch an den ungesalzenen Nüssen. Die waren trotzdem
auch Berechnung, denn sie machten durstig, und durstige Gäste brachten höhere Umsätze, während die Erdnüsse nur Kleingeld kosteten.
Dann war da noch dieses blitzschnell huschende Lächeln um Katharinas Mundwinkel,
diese blitzenden Zähne. Manchmal konnte ich gar nicht schnell genug schauen, um es
überhaupt richtig zu sehen. Das alles faszinierte mich ungeheuer, - so sehr, dass ich gar
nicht merkte, wie schnell uns die Zeit zwischen den Fingern entglitt.
Und dann - immer wieder - ihr scheinbar widerspenstig ordnungsloses, tiefschwarzes Haar,
das wie zufällig in glänzenden Locken in ihre Stirn fiel, mit einer raschen Bewegung, oder
mit einem kleinen kräftigen Pusten einfach aus dem Gesicht verbannt. Dieser Glanz auf
dem Haar, wenn sich das warmgelbe Licht der alten Porzellanlampen von der Decke darauf
widerspiegelte. Wie sich die Locken um ihre manchmal sichtbar werdenden Ohren ringelten, wie Katharina verspielt eine von ihnen um einen Zeigefinger wickelte, sich immer
wieder fast andächtig vor Sinnlichkeit mit leicht gespreizten Fingern hindurch fuhr, um die
geradezu atemberaubende Unordnung darin aufrecht zu erhalten, - das alles hatte etwas
unwiderstehlich Anziehendes.
War das wirklich unbewusstes Lockenspiel, oder genau durchdachte Taktik durch Haarpracht, die Marias neue Freundin zielgerichtet und bewusst einzusetzen verstand?
Ich sah keinen Weg es herauszufinden.
Was aber offensichtlich war, und mit jeder Minute unleugbarer wurde, war die Tatsache,
dass mich diese Katharina total fesselte, in ihren Bann zog. Es kostete mich Überwindung
nicht ab und an zu ihr hinüber zu greifen, sie anzufassen. Ich wollte nur zu gern ihr Haar in
meinen Fingern fühlen, damit spielen, es sanft genießerisch durch die Finger gleiten
lassen. Es grenzte an enorme Selbstbeherrschung, und war fast frustrierend, nicht nach
dieser feingliedrigen Hand zu greifen, sie zu halten, ihre Wärme zu spüren, die weiche
Haut, mit einem Finger zärtlich über den Handrücken zu streichen.
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Noch schwieriger war es mit diesen sinnlichen Lippen, an denen immer öfter mein Blick
regelrecht festklebte. Da war ein enorm starkes Verlangen, diese Lippen zu küssen, ganz
sanft mit meinen darüber zu streichen, - und trotzdem jedem einzelnen Wort zu lauschen,
das mit melodischer Stimme darüber floss.
Manchmal war ich so bezaubert verzaubert, dass ich ins Träumen geriet, kaum etwas von
dem wahrnahm, was Katharina sagte oder tat, weil ich mich stark darauf konzentrieren
musste, sie nicht einfach in den Arm zu nehmen, und zu küssen. Statt dessen musste ich
mich nahezu noch zurückhaltender benehmen, als ich es ohnehin schon war.
Tauchte ich wieder aus den Sekundenträumen auf, sah mich Maria mit amüsiertem Lächeln
an, und auch um Katharinas Lippen spielte ein kleines Lächeln.
Und dennoch, die Distanz zwischen und erschien mir eigentlich nicht wesentlich geringer,
als am Anfang. Dabei hatte ich das Gefühl, dass die Spannung, die zwischen uns knisterte,
jeder im Umkreis von mindestens 5 Metern bemerken musste. Es erschien mir unmöglich,
dass sie das nicht auch bemerkte, eine großzügige Geste machte, und mich offen ansah.
Doch allein diese dunkle Sonnenbrille schuf und erhielt zwischen uns eine unüberwindliche
Grenze, die ich nicht zu durchbrechen vermochte.
Vielleicht fehlte uns beiden der letzte große Anstoß, diesen Punkt, diese Grenze niederzureißen, um uns sehr viel näher zu kommen.
Ich konnte dabei nicht einmal sagen, ob diese dunkle, sichtbare Einschränkung kühle
Berechnung oder Marotte, ob sie irgendeinem Hollywoodfilm - den ich verpasst und nicht
gesehen hatte - entnommen, oder schlicht Katharinas ganz persönliche Eigenart war. Diese
Sonnenbrille störte mich, - und ich hätte sie mir nicht wegdenken können, weil sie inzwischen längst zu diesem Gesicht gehörte. Sie besaß eine Präsenz, als wäre sie auf der
Nase festgewachsen, als wäre diese wunderschöne, interessante und spannende Frau
gegenüber, mit ihren nachtschwarzen Lockenhaaren und dieser Sonnenbrille bereits so
geboren worden.
Wie auch immer, sie verstand es wirklich ohne erkennbare Mühen oder Anstrengung meine
Aufmerksamkeit voll an sich zu binden. Ich kam mir vor wie der kleine Junge, der schon
öfter vom wahren Leben, von großen Abenteuern und gigantischen Erlebnissen gehört
hatte, sogar glaubte, schon einige davon durchlebt zu haben, - bis er plötzlich mit großen
Augen staunend einem wirklichen, echten Abenteuer gegenüber steht. Da war es kein
Wunder, dass er sich ziemlich hilflos fühlte - aber eben auch herausgefordert.
Ich konnte durchaus an diesem späten Abend mit der letzten Distanz zwischen uns leben,
fühlte mich beschwingt, ganz leicht und fröhlich. Um den Kontakt zu dieser Frau aufrecht zu
erhalten, sie wiederzusehen, keine Ahnung, was ich alles dafür getan hätte. Schon längst
nicht mehr waren geschmeichelte Eitelkeit und Triumph meine Hauptantriebsfedern für
mich, sondern magisch unerklärbares Hingezogenfühlen.
Wenn wir uns nur wiedersehen würden, so dachte ich, hatte ich eine reale Chance die
sichere Umfriedung dieser Frau zu durchbrechen, in ihre inneren Kreise vorzudringen, dort
Unruhe und ähnliche Gefühle mir gegenüber auszulösen. Es bestand eine reale Möglichkeit, so schätzte ich das ein, diese Frau ein wenig aus der Fassung zu bringen, ihre
Selbstbeherrschung zu überwinden. Mit jeder Minute reizte mich das mehr, dieser ausstrahlungsstarken Frau nahe zu kommen, zu sein, meine streckenweise Unsicherheit mit
ihr zu teilen, - und mich als der Stärkere zu erweisen, dem sie nicht widerstehen konnte.
Es war in der Tat eine Art gut getarnter Kampf zwischen uns.
Und ich neigte dazu, selbstgefällig meine Möglichkeiten zu überschätzen.
Noch gab es keine Sieger, keine Verlierer. Aber ich wollte und musste einfach herausfinden, ob es mir möglich sein würde, Katharinas Herz genauso heftig und nervös schlagen zu
lassen, - so wie sie meines schlagen ließ. Ich träumte schon davon, wie sehr ich es genießen würde, ihr Herz heftig pochen zu hören, es zu fühlen, ihren Herzschlag, ihre Erregung,
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ihren warmen, schneller werdenden Atem, die Wärme ihrer Haut, den leichten Schweißfilm
darauf, die pulsierenden Nerven ganz dicht unter der Oberfläche.
In Träumen ist es immer leicht, seine gesteckten Ziele spielerisch leicht zu erreichen.
Doch mir war es jede Anstrengung wert, die ich erbringen musste.
Kurz gesagt, ich war Feuer und Flamme, begeistert und hingerissen, - und es erschreckte
mich etwas, dass das alles so schnell gegangen war.
Wenn ich so kurz nach der Trennung von einer Frau bereits wieder Feuer fing, dann war
dies in der Tat etwas Besonderes für mich. Denn ich war nicht der Typ für rasche, unkomplizierte Beziehungswechsel, ohne den letzten Misserfolg ausgiebig analysiert, reflektiert
und verdaut zu haben. Unbekümmertes "Bäumchen-wechsle-dich-Spiel" war nicht so meine Sache.
Doch diese Frau, die mir so nahe, so vertraut und völlig fremd gegenüber saß, mir Rätsel
und Nervosität bescherte, war scheinbar die effektivste Mischung aus Sinnlichkeit, Raffinesse und spielerisch herumtanzender, infantiler Naivität, die mir jemals begegnet war, von
der ich je gehört hatte. Sie war wie Medizin für meine verwundete Seele. Neben zahlreichen Ungereimtheiten strahlte sie eine innere Stärke und Selbstbewusstsein aus, die junge
Frauen in ihrem und meinem Alter, so gut wie nie besaßen. Katharina wirkte durchdacht
und stark, gekünstelt und völlig unaffektiert, arrogant und sanftmütig, sinnlich und eine
deutliche Spur "Kumpelhaftigkeit", eine Frau zum "Pferde stehlen".
Alles zu einem Hexenkessel Widersprüche durcheinander gebraut und gequirlt.
Und ich - ich konnte nicht einmal einschätzen, ob sie sich ihrer Wirkung auf Männer
bewusst war.
Innerhalb weniger Stunden vergaß ich beinahe völlig, dass ich eine Frau namens Brigitte
überhaupt jemals gekannt hatte, wer sie gewesen war, ob sie jemals existierte. Mein
grummelnder Zorn war wie weggeblasen. Ebenso meine schlechte Laune, und mein Ziel
irgendeine Frau an diesem Abend herumzukriegen, um meine Wunden zu heilen, die ich
selbst mitverschuldet hatte. Ich konnte meinem Bauch nur einmal mehr in meinem Leben
danken, dass er mich dazu verleitet hatte, an diesem Abend doch noch ins "Dammtor" zu
gehen. Denn sonst hätte ich vielleicht diese schwarzhaarige Frau - Katharina - nie kennengelernt.
Zugegeben, das war ein wenig zu euphorisch, denn vermutlich hätte ich sie irgendwann an
Marias Seite getroffen. Aber ich machte mir nichts vor, es war die Stimmung, die Atmosphäre, die ganze unfassbare Zusammenbrauung verschiedenster Elemente und Kleinigkeiten, die dieses erste Treffen für mich so beeindruckend machten.
Meine Hautoberfläche schien wie elektrisch aufgeladen. Mein Adrenalinspiegel erklomm
ungeahnte Höhen, ließ mir die Knie zittern, meine Nerven flattern, - und mein Geist
erschien mir so verwirrt und gleichzeitig kristallklar, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Normalerweise rauche ich wie ein Schlot, wenn ich nervös war und unter Anspannung
stand. Aber an diesem späten Abend, obwohl ich müde von dem langen Fahrtwochenende
war, an diesem Tisch zusammen mit Maria und Katharina sitzend, inmitten des üblichen
Lärms im "Dammtor", während Melanie gerade einiger ihrer großen Hits sang, hatte das für
mich nahezu keine Bedeutung. Ich fühlte mich aufgekratzt, entspannt und fröhlich, so fröhlich, dass ich beinahe vergaß, dass Maria auch noch da war. Ganz ohne böse Absicht, und
unbewusst entzog ich ihr immer mehr meine Beachtung und Aufmerksamkeit, konzentrierte
mich locker auf die zweite Frau am Tisch, - Katharina.
Maria schien das nicht einmal übelzunehmen, war sicherlich nicht verärgert darüber. Sie
grinste mich nur hin und wieder verschwörerisch an, zwinkerte mir aufmunternd zu.
Mir hingegen fielen alle diese kleinen, dumm intelligenten und netten Wortspiele ein, die ich
ganz selten - oder gar nicht - in solchen Augenblicken aus dem Hut zu zaubern verstand.
Wo ich sonst eher schüchtern und zurückhaltend agierte, versprühte ich jetzt förmlich
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meinen Charme, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass er so reichlich existierte. Ich
lächelte und flirtete, was das Zeug hielt.
Zugegeben, ich brachte es nicht fertig eine oder mehrere Schmeicheleien gleich in meine
Worte einzuflechten, soweit reichte mein Mut nicht. Denn soviel wir auch Spaß an- und
miteinander hatten, so gut wir uns auch verstanden, wie prächtig der Abend der Abend für
mich und für uns beide zu laufen schien, wie sehr mein Herz auch nach ein paar Stunden
schon in Flammen stand, sodass ich meine Euphorie nur noch mühselig im Zaum halten
konnte, - Katharina schien immer noch etwas ruhiger zu bleiben, überlegen, freundlich,
charmant, witzig und geistreich, aber sie blieb auch deutlich eine Spur distanzierter als ich.
Zweifellos bildete ich mir das nicht grundlos ein, dass sie auch mich sympathisch fand,
sogar sehr sympathisch, aber es blieb immer dieser Rest von Distanz zwischen uns
bestehen.
Eine direkte Annäherung machte er absolut unmöglich.
Aber das konnte mich nicht abschrecken. Ich hatte die Zusage am nächsten Wochenende
gemeinsam mit ihr auf meinem Motorrad zu den Weserwiesen zum Open-Air-Konzert zu
fahren. Das war schon jetzt mehr, als ich mir vor ein paar Stunden auch nur in meinen
wildesten Träumen hätte vorstellen können.
Wahrscheinlich sogar mehr, als ich je an einem Abend bei einer Frau erreicht hatte.
Das ließ mir weitaus genug Hoffnungen auf eine Fortsetzung, auf ein mögliches Weiterkommen. Schon jetzt hätte ich am liebsten hier ganz öffentlich jubeln mögen vor Begeisterung und mich mal wieder zum Narren gemacht. Es fiel mir trotzdem schwer, es nicht zu
tun.
Die Zeit verging wie im Flug, Minuten und Stunden rasten dahin, - und so war ich eindeutig
überrascht, als Maria plötzlich ohne Vorbereitung zum Aufbruch drängte. Im ersten Augenblick glaubte ich, sie wäre ein wenig verärgert, weil sie so eindeutig abgehängt worden war
in unserer kleinen Runde.
Doch in Wirklichkeit war es weit nach Mitternacht.
Die Musik lief zwar noch, die Luft war zum Schneiden dick, aber es waren schon sehr viele
Gäste gegangen, die Tische halbleer. Überall standen gebrauchte Gläser herum, einige
nicht einmal vollkommen gelehrt. Wer jetzt hereingekommen wäre, hätte sich im Gegensatz
zum üblichen Andrang einen schnellen Überblick verschaffen können. Um uns herum wurde zwar noch geknutscht und betrunken, herrschte immer noch Stimmengewirr, aber
wesentlich ausgedünnter. Ein paar Gäste trafen letzte Verabredungen, ehe sie sich auch
davonmachten, - und wir saßen mittlerweile nur noch allein an unserem kleinen Tisch.
Dieser unerwartete Aufbruch traf mich relativ unvorbereitet, denn ich hatte von mir selbst
den Eindruck, dass ich kurz davor war, zu meiner Höchstform aufzulaufen.
Er unterbrach schlagartig diese kribbelnde Atmosphäre, und brachte mir offenbar meine
gelegentliche Sprachbehinderung zurück, die mich eher schweigsam erscheinen ließ. Ich
wählte wie ein Besessener rasch in meiner Ideenauswahl, um noch einen kleinen Aufschub
zu erreichen, denn eigentlich wollte ich nicht gerade jetzt dieses spannende kleine Spiel
zwischen Katharina und mir beenden. Vielleicht, so dachte ich hektisch, könnte ich wenigstens eine passende Abgangsrede für diesen wunderbaren Abend hervorkramen. Ich fühlte
mich überrumpelt und überrascht genug, um am Liebsten um eine halbe Stunde Aufschub
zu bitten. Das hätte mir vielleicht die richtige Idee gebracht, um den Abschied unvergesslich
zu machen. Irgend etwas Melodramatisches, Romantisches oder schwer Beeindruckendes
sollte es schon sein, um bei Katharina eine bleibende Erinnerung zu hinterlassen.
Doch es war wie verhext.
Erstens fiel mir nichts halbwegs Intelligentes ein, und zweitens ließen beide Frauen, sowohl
Maria, als auch Katharina keinen Zweifel daran, dass sie beide dringend ins Bett wollten.
Der Abgang war beschlossen, während ich noch stumm und widerstandslos auf meinem
Stuhl saß. Maria stand als Erste auf, und ich fragte mich erneut, ob sie vielleicht doch ein
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wenig sauer sein könnte, ob ich sie zu sehr vernachlässigt haben könnte, sodass sie so
etwas wie eifersüchtig war. Ihrem Gesicht war darüber nichts abzulesen. Sie strahlte wie
immer ihre Heiterkeit aus, nur mit einer überdeutlichen Spur Müdigkeit vermischt. Sie zwinkerte mir sogar fröhlich zu, als sie Katharina galant beim Aufstehen half, ihr den Stuhl aus
dem Weg schob, sich bei ihr einhängte.
Es war nicht das erste Mal, dass ich das bewusst wahrnahm, dass es mich stutzig machte.
Aber Maria hatte ja bereits ganz am Anfang erwähnt, dass sie beide richtige Freundinnen
geworden wären.
Also fragte ich mich wortlos, warum mir meine Intuition vorhielt, dass das nicht den normalen Verhaltensmustern entsprach.
Doch ich kam nicht dazu, darüber rasch nachzudenken, denn Maria beugte sich grinsend
über den Tisch, zog mich ein wenig zu sich heran und brachte ihre Lippen dicht an mein
Ohr.
"Sie ist ... eine tolle Frau nicht wahr ...?“
Ich wollte mich ihr zuwenden, mein Erstaunen ausdrücken, doch sie legte mir schnell die
Hand auf die Lippen und unterdrückte so meine Worte.
"Keine Sorge ...“, flüsterte sie mir leise zu, "du siehst sie ja nächsten Freitag schon wieder
...“
Sie schien genau gecheckt zu haben, was ich dachte, wie ich mich fühlte.
Und sie war offensichtlich nicht verärgert über meine Interessen-Verlagerung. Ich schob
alle auch nur möglichen Gedankenflüge energisch zur Seite.
"Ich lade euch ein ...“
Vielleicht konnte ich wenigstens mit meiner Großzügigkeit Eindruck schinden.
"Kommt nicht in Frage", mein Angebot wurde freundlich, aber bestimmt durch Katharina
zurückgewiesen, "ich werde zwar Maria einladen, aber du bist genauso ein armer
Schlucker ... wie alle Studenten. Außerdem zahle ich immer selbst ...“
Hatte ich mich getäuscht, oder schuf sie da schon wieder eine größere Distanz zwischen
uns durch ihre Erwiderung?
Selbst wenn, es wäre mir jetzt egal gewesen, denn das war genau das, was ich jetzt nicht
hören wollte. Dazu war ich noch viel zu tief in meinem Gefühlstaumel. Also stimmte ich
ohne weiteren Widerspruch zu, begleitete die beide Frauen an die Theke zu Sassa, der
abgekämpft und müde die Bierdeckel abkassierte.
Ich zahlte meinen Anteil, versuchte mich so unauffällig wie möglich in Katharinas Nähe zu
drängeln. Vielleicht, so hoffte ich, gelang es mir ja wie zufällig einen Arm um ihre Schultern
zu legen.
Bildete ich mir das nur ein, oder schnitt Maria mir immer den Weg ab?
Wie ich mich auch bewegte oder drängelte, um Katharina ein klein wenig körperlich näherzukommen, Maria stand mir immer irgendwie im Weg. Sie blieb beharrlich an ihrer Seite,
wie angebunden. Sie hängte sich bei ihr ein, war nicht zu verdrängen, ohne dass mein
Gedankenwunsch zu offensichtlich geworden wäre.
Und wieder warnte mich meine Intuition, mein noch halbwegs waches Unterbewusstsein, nur dass ich nicht zuhören wollte.
Ich begriff die Situation einfach nicht ganz.
Wie konnte Maria, die doch offensichtlich gemerkt hatte, wie Klasse ich Katharina fand, so
ungeschickt sein und sich mir ungewollt ständig in den Weg stellen?
Oder war das vielleicht gar nicht ungewollt?
Hatte Katharina sie gebeten, mich von ihr ein wenig fernzuhalten, - weil sie mich zwar nett
fand, aber ansonsten rein gar nichts von mir wollte?
Vielleicht war sie viel weniger an mir interessiert, als mir meine kochenden Hormone weiszumachen suchten.
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Und vielleicht lag das daran, dass ich heute nicht gerade einen halbwegs gepflegten
Eindruck machte.
Damit wollte ich mich nicht anfreunden, und auch nicht darüber nachdenken. Eine andere
Erklärung erschien mir viel logischer, denn wir hatten alle drei ziemlich viel getrunken,
Katharina zwischendurch den einen oder anderen Korn. Sie konnte zwar offenbar eine
Menge vertragen, aber vielleicht war sie jetzt nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen.
Vielleicht war es ihr auch peinlich vor mir zu offenbaren, dass sie ein wenig zu viel getrunken hatte.
Es gab sicher eine Menge Gründe, warum sich Maria so beharrlich bei ihr einhängte, und
mich damit auf kleiner Distanz hielt.
Doch ich bekam zum Glück nicht genügend Zeit, darüber ausgiebig zu grübeln. Der
Augenblick des Abschieds für diesen Abend war gekommen.
"Danke ... für den netten ... für den schönen Abend ...“
War das wirklich ernst gemeint?
Hatte Katharina den Abend mit mir - und Maria - wirklich genossen?
Mein Puls machte einen schnellen Schlagwirbel und fegte alle geistreichen Worte, die ich
mir zurechtgelegt hatte, aus meinem Hirn. Katharinas Händedruck war fest und sanft
zugleich, vermittelte mir etwas von Aufrichtigkeit - wenn ich mich nicht täuschte.
"Ich freu´ mich ... Ich freu´ mich wirklich ... auf´s nächste Wochenende ...“
Nie hätte ich mir mehr gewünscht, einen besseren Worteinfall für einen vorläufigen
Abschied mit Wiedersehensmöglichkeit zu haben.
Ich fühlte mich benebelt und ein wenig gelähmt.
Länger als unbedingt nötig hielt ich Katharinas Hand, und sie machte keinerlei Anstalten,
sie mir zu entziehen. Und ihrer Mimik glaubte ich anzusehen, dass auch sie gerne noch
etwas zu mir gesagt hätte.
Doch das konnte täuschen, denn wegen der Sonnenbrille konnte ich noch immer nicht ihre
Augen sehen. Und ich wusste aus Erfahrung ganz genau, dass die Augen die Aufrichtigkeit
von Worten widerlegen oder bestätigen konnten.
Jetzt hätte ich fast alles dafür gegeben, doch Katharina machte keinerlei Anstalten, sie
abzunehmen, meinen heimlichen Wunsch zu erfüllen. Und ich wagte nicht, sie offen darum
zu bitten. Sicherlich auch aus Furcht, eine Abfuhr zu erhalten.
"Wir werden sehen ...“
Da war sie wieder, diese Unverbindlichkeit, diese Distanz, die diese Frau so angestrengt
aufrecht zu erhalten suchte. Doch noch immer fand ich keine einsichtige Begründung dafür.
So ein übler Kerl war ich doch wirklich nicht - schätzte ich mich ein.
"Machs gut, Paul ... bis nächsten Freitag ...“
Maria nahm mich für eine Sekunde liebevoll in den Arm, küsste mich auf die Wange.
Halbherzig erwiderte ich die Geste, war im Geiste weitgehend mit dieser unerwünschten
Unverbindlichkeit ihrer neuen Freundin beschäftigt.
Die Tatsache, dass dieser schwesterlich liebevolle Kuss die Bestätigung dafür war, dass
Maria mir tatsächlich nicht böse war, ging mehr nebensächlich an meiner Wahrnehmung
vorbei.
Wie eine Windhose wirbelten alle möglichen Fragen - Antworten und Ungereimtheiten in
meinem Kopf durcheinander.
Was hatte ich falsch gemacht?
War ich dieser Frau zu sehr auf die Pelle gerückt?
Mir war nicht unbekannt, dass ich manchmal zu sehr meinem Bauch und damit meinen
Gefühlen folgte, und dann im Emotionsrausch den Überblick über die Realitäten verlor.
Aber ich hatte nicht wirklich den Eindruck, dass ich Katharina zu sehr bedrängt hatte. Ich
hatte intensiv mit ihr geflirtet, soweit ich das noch nachvollziehen konnte, aber ich war nicht
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der Meinung hart rangegangen zu sein. Ich fand einfach keine Erklärung, war verwirrt und
verpasste so den Abgang der beiden Frauen aus der Kneipe.
Ich fand mich selber dicht vor der Tür wieder, glaubte noch einen Hauch dieser Wärme und
Nähe zu spüren, die mich so aufgewühlt hatten.
Ein paar neue Gäste drängten an mir vorbei, während ich stumm betroffen vor mich hinsinnierte, nicht genau wissend, ob ich trotzdem glücklich und zufrieden, oder eher etwas
traurig sein sollte.
Keine Frage, sie waren beide weg.
Ich war allein - abgesehen von den anderen Gästen, die auch noch im "Dammtor" waren,
die ich aber kaum wahrnahm. Doch ich fühlte mich ein wenig unglücklich wegen des
schnellen, einsilbigen Abgangs. Selbst dieses unterbewusste Glücksgefühl, eine Art inneres Strahlen vor Freude über diese Begegnung, konnte das nicht überdecken.
"Hey, ... Paul ... wer war denn das?"
Rolf, einer meiner besten Bekannten, fast so etwas wie ein wirklicher Freund, stand plötzlich neben mir, ein Glas Bier in der Hand. Er war auch Student wie ich, aber in Bremen am
aufstrebenden Bereich Elektronik und Elektro-Technik. Wir hatten schon eine Menge Spaß
und Unsinn miteinander verbrochen, manche Nacht durchgesoffen bei endlosen Zigaretten,
und auch schon einige Feten gefeiert.
Eigentlich war er so im großen Ganzen derjenige, den ich als meinen besten Freund und
Kumpel bezeichnen würde.
"Nun sag schon, ... war ja `ne scharfe Frau ...“
Ich glotzte ihn an, als hätte ich kein Wort verstanden, verspürte für eine Sekunde das
dringende Bedürfnis meine noch nicht einmal annähernd eroberte und begehrte Katharina
vor solchen eher groben Äußerungen zu beschützen. Doch erkannte und wusste ich auch,
dass Rolf kein übler Typ war, dass er das nicht so meinte, auch wenn er das so sagte.
Zusätzlich war er mindestens so wenig nüchtern, wie ich selber.
Daher atmete ich nur tief durch, grinste dämlich und zuckte mit den Achseln. So wortkarg
hatte mich selbst Rolf noch selten erlebt. Hoffentlich dachte er nur, dass ich ganz schön
angesoffen wäre. Denn mein Durcheinander der widerstreitenden Gefühle wollte ich weder
mit ihm, noch mit irgend jemandem anderen teilen.
So ganz langsam sickerte mir die Erkenntnis ein, dass ich trotz allem im Moment ganz
glücklich war. Das konnte ich mir natürlich nicht wirklich eingestehen, musste dem noch
etwas Widerstand entgegensetzen, weil da so viele Ungereimtheiten und Widersprüche
waren.
Ich hatte mich fast schon zum Weitergehen entschlossen, wollte jetzt nicht mit Rolf reden.
Doch dann blieb ich stehen, drehte mich zu ihm um, grinste ihn an, und legte ihm kumpelhaft meinen Arm auf die Schulter.
"Keine Ahnung ...“, entgegnete ich spät und leise, „... keine Ahnung ... Ich weiß nur, sie ...
sie heißt Katharina ...“
Ich grinste ihn derart blöde an, dass er wohl wirklich denken musste, ich wäre völlig betrunken, oder vorübergehend geisteskrank.
Sein verdutztes Gesicht sprach Bände.
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2. Kapitel
Ich wurde krank, regelrecht krank.
Mit allem, was so an möglichen Symptomen dazugehört, wenn ein Mensch sich einen Virus
eingefangen hat: gesteigerte Übelkeit - Nervosität - deutliche Schlafstörungen - ständiger
Hunger - fiebrige Anfälle - extreme Reizbarkeit - Unkonzentriertheit, verbunden mit leichten
Halluzinationen und unerklärbaren Unruhezuständen.
Im Laufe der Woche kam dann noch zwei Mal leichter Durchfall dazu, - alles psychosomatisch, alles ziemlich übel.
Ich glaube, so oft wie in dieser Woche, bin ich noch nie vorher Bekannten, Kommilitonen
oder Freunden auf die Nerven gegangen.
Sämtliche Nervenbahnen in meinem Körper schienen befallen und zu brennen. Ich bekam
sogar Muskelverspannungen und Gliederschmerzen, - und Männer wie ich sind ziemlich
schmerzempfindlich, nicht sehr leidensfähig. Eine Weile glaubte ich tatsächlich, ich hätte
mir vielleicht eine Sommer-Grippe eingefangen, doch ein paar Stunden später ging es mir
wieder erstaunlich gut. Danach ging es von vorne los.
Ich war alles andere als glücklich.
Es war kaum auszuhalten.
Dabei fing es schon gleich am Montagmorgen beim Frühstück an.
Zunächst fiel wir - wie aus heiterem Himmel - der Name Katharina ein, sodass ich sofort ihr
Gesicht vor meinem geistigen Auge sah, - und ich spürte, dass es mich lächeln ließ.
Gleichzeitig überfiel mich ein nicht unangenehmer Schauder, kroch mir eine kribbelnde
Ameisenarmee über den Rücken und löste eine riesige Gänsehaut aus.
Ich musste zur Uni, mich auf eine Klausur vorbereiten, Mal wieder bei einer Vorlesung
auftauchen, Wissen auffrischen, praktische Arbeiten vorbereiten, Seminare besuchen, und
meine Semester-Ferien-Arbeit kontaktieren. Das Seltsame war, dass ich an diesem Morgen
eine richtig große Lust dazu verspürte, weil es mir die Chance bot, mit einigen Kommilitonen über meine aufregende Wochenenderoberung zu sprechen, ein wenig anzugeben,
vielleicht die Dinge ein wenig zu übertreiben und sehr gut dazustehen in meinem Ansehen.
Doch es kam gar nicht dazu, weil ich zerstreut und unkonzentriert war, mehr vor mich
hinträumte. Ständig glaubte ich irgendwo im Raum dieses Gesicht zu sehen, diese total
zerlockten schwarzen Haare, die sich wie eine wuchernde Pflanze durch das Gebäude
ringelten, und die sinnlichen Lippen, die ich so gerne geküsst hätte.
Jede noch so andersartige Sonnenbrille erinnerte mich an Marias neue Mitbewohnerin, und da wir einen warmen, sonnendurchfluteten Spätsommer hatten, trugen eine Menge
Menschen Sonnenbrillen.
Ein Mal bildete ich mir sogar ein ihre klangvoll melodische Stimme zu hören, die zu mir
sprach. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass eine Kommilitonin mir schon
vierMal dieselbe Frage gestellt hatte, vergeblich nach verbalem Kontakt suchte, während
ich nur vor mich hinträumte. Ich gab irgendeine ausweichende Antwort, die aber auch nur
zur Folge hatte, dass ich von allen anderen, die uns zugehört hatten, belustigt angestarrt
wurde.
Um die Misere abzuschließen, wurde ich zu allem Übel auch noch vor Verlegenheit
flammend rot im Gesicht, - und kam mir wie ein Idiot vor.
Also versuchte ich mich selbst zu disziplinieren, auf meine Arbeiten zu konzentrieren, - was
aber kläglich misslang.
Schon nach zwei Tagen war ich völlig aus jeglichem Konzept, überdreht und etwas
sonderlich, putzte wie ein Verrückter meine kleine Wohnung, warf die schmutzige Wäsche
in die Maschine, putzte Staub und räumte die nicht sehr übersichtliche Küche auf.
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In meinem Kellerlabor suchte ich endlich die seit Monaten herumfliegenden Fotoarbeiten
und Abzüge zusammen, sortierte aus, was mir jetzt doch nicht mehr gefiel und tatsächlich
weggeworfen werden konnte.
Sogar mein Teppich erhielt eine Menge Pflegeeinheiten, wurde gesaugt und gebürstet. Ich
wusch meine Gardinen in der Waschküche, und vergaß sie dort völlig. So hingen sie
schließlich zwei Wochen da unten auf der Leine.
Es war schon verblüffend und auch ein wenig verrückt, was ich alles anstellte. Ich ertappte
mich dabei, dass ich mittags auf dem Campus auf einer Wiese lag und in den Himmel
starrte. Dabei kreisten meine Gedanken ständig um dasselbe Gesicht, um dieselbe Person,
um Katharina. Ich entwarf Grundstrukturen, Planspiele und Zukunftsvisionen, wie wir uns
Näherkommen, ineinander verlieben, zusammen sein und später auch zusammenleben
würden, wie wir uns liebten - wobei mir mächtig heiß wurde -, und wir in totaler Harmonie
nur noch als Paar gesehen und bekannt waren, wie ein altes Ehepaar.
Vorbeikommende Studienkollegen musterten mich zuerst erstaunt, weil sie zu einer
Vorlesung mussten, während ich den warmen Spätsommer genoss. Manche mochten mich
beneiden, andere gingen kopfschüttelnd und grinsend weiter.
Wahrscheinlich sah es tatsächlich ziemlich komisch aus, vielleicht sogar ein wenig infantil,
wie ich da mit ausgestreckten Vieren in der Wiese lag, ein versonnen glückliches Lächeln
auf dem Gesicht, oder sogar glücksstrahlend lachend, ohne dass es einen offensichtlichen
Grund dafür gab.
Spielten meine Hormone verrückt, oder war das geschehen, was ich nie für möglich
gehalten hatte - war ich Hals über Kopf in eine Frau verliebt, die ich kaum kannte, von der
ich so gut wie nichts wusste?
Ich war vielleicht noch nicht verknallt an dem Abend, wo ich Katharina begegnet und mit ihr
gesprochen hatte, aber inzwischen war das etwas ganz anderes, - mein Herz stand in
hellen Flammen.
Dabei war mir natürlich auch ein wenig klar, dass das alles ein wenig bis mächtig
überzogen war, denn so klar, wie ich mir die Möglichkeiten der Zukunft in den buntesten
Farben ausmalte, war die Realität nicht einmal annähernd. Schließlich war bisher zwischen
Katharina und mir nicht viel Wesentliches passiert, hatten wir nur einen relativ netten Abend
und ein paar intensive Gespräche verbracht. Aber in meiner Euphorie der Selbstzufriedenheit und Gefühlsüberschwang wollte ich das weder hören, noch wahrhaben. In meiner
Fantasie war unsere gemeinsame Zukunft und Liebe bereits eine beschlossene Sache, die
ich nur noch mit geringem Kraftaufwand umsetzen musste. Andererseits besaß ich irgendwo noch einen Rest von Verstand, der mich mehr instinktiv davon abhielt irgend jemandem
von meiner neuen Liebe zu erzählen. Verstanden hätte mich sowieso kaum jemand, denn
nach einem Abend war mein Gefühlsrausch doch ein wenig unrealistisch. Ich verstand mich
ja selber nicht.
Diese Art von Euphorie war mir selber reichlich fremd, machte mir sogar ein wenig Angst.
Entweder war ich in Gefahr den Verstand zu verlieren, oder vor lauter Liebeswahn völlig
realitätsfern geworden.
Ich ging nicht, ich raste ans Telefon, wenn es bei mir klingelte.
Natürlich war Katharina nieMals am anderen Ende der Leitung, - aber es hätte ja
schließlich sein können. Maria, das wusste ich, hatte meine Nummer, und ich wollte auf
keinen Fall den Zeitpunkt versäumen, wo Katharina sich die Nummer besorgte und von
sich aus Kontakt zu mir suchte, weil sie mich ein ganz klein bisschen vermisste. Aber ich
hätte mich auch schon damit zufriedengegeben, wenn sie sich nur nach Dingen wie
Motorradhelm, Jacke oder ähnlichem für unsere Motorradfahrt erkundigt hätte.
Die Enttäuschung allerdings, sie jedes Mal nicht zu hören, war fast genauso intensiv.
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Ein paar Stunden lang erwog ich sogar selber Maria anzurufen, unter irgend einem
Vorwand, und dann - wie nebenbei, ganz belanglos - nach Katharina zu fragen, mit ihr zu
reden.
Aber was hätte ich sagen sollen, wenn statt Maria sie selber als Erste am Telefon war?
Ich hatte einfach keine Lust, mich zu blamieren oder lächerlich zu machen, denn ich konnte
nicht ausschließen, dass ich es nicht schaffen würde, auch nur ein Wort über die Lippen zu
bringen. Wortlos wieder einzuhängen, würde mir zweifellos auch nicht weiterhelfen.
Außerdem wollte ich unbedingt irgend etwas geistreich Intelligentes sagen, das Eindruck
machte, und Katharina endgültig klar machte, dass sie mich öfter, als nur am kommenden
Wochenende sehen musste.
Etwas Nettes, Charmantes musste mir möglichst ebenfalls einfallen, - doch dazu hätte ich
mich problemlos konzentrieren können müssen, was bei meiner augenblicklichen Seelenlage ausgesprochen schwer gewesen wäre.
Schon nach drei Tagen bekam ich dunkle Ringe unter den Augen, war hypernervös, weil
ich nachts nicht wirklich schlief und zu meiner Entspannung fand.
Ich versuchte es mit einer Flasche Bier vor dem Schlafengehen, aber das war auch keine
adäquate Lösung.
Ab Donnerstag begann ich meine "Alte Lady", meine allseits sanft gerundete schwarze
BMW zu putzen, zu wienern und zu polieren. Zusätzlich kontrollierte ich alle mechanischen
Teile, denn ich wollte, dass mein Motorrad am Wochenende wie ein Schweizer Uhrwerk
funktionierte. Ich liebte diese alte, leider ziemlich laute Maschine, mit ihren Schalensitzen
aus Leder, die etwas altbacken wirkten. Ebenso denn Geruch von Schmierfett und Benzin,
diese nostalgisch runden Formen, die sich bis in die Schutzbleche fortsetzten.
Die "Alte Lady" war zwar noch kein Sammlerstück, besaß also noch keinen historischen
Wert, aber ich hätte sie für keines dieser neuen Motorräder auf dem Markt eingetauscht.
Auf mich hatte sie eine starke Anziehungskraft, war Teil meines Lebens, seit ich sie erworben und generalüberholt hatte.
Wie schon oft hatte ich meine Ambitionen bezüglich der Uni wieder aufgegeben. Aber
selbst dabei dachte ich beständig an Katharina, denn für sie machte ich schließlich hauptsächlich diese ganze Inspektion und Reinigungsarbeit.
Wenn sie sich womöglich Schmierflecken auf der Hose holte, würde sie sicherlich alles
andere als erfreut sein. Und ich fragte mich, ob sie meine Freude an diesem Motorrad
teilen könnte. Brigitte fand es grässlich und altmodisch, ohne jeglichen Reiz. Aber das
interessierte mich nun sowieso nicht mehr.
So saß ich in dem deutlich vergammelten Hof des Wohnhauses auf der Erde, hatte
Werkzeug und Fettdosen neben mir stehen, ab und zu neugierige Blicke von Nachbarn und
meiner Vermieterin, ein Kofferradio auf voller Lautstärke, - und hatte wahnsinnig gute
Laune vor Vorfreude.
Morgen würde ich Katharina wiedersehen, würde sie hinter mir auf dem Sozius sitzen, die
Arme fest um mich gelegt, und wir würden so eng beieinander zum Open-Air-Konzert nach
Bremen donnern. Schlafsack und Zelt hatte ich in meiner Wohnung bereitgelegt, als ginge
es schon in einer Stunde los.
Morgen noch ein paar Dosen Bier kaufen, für Katharina einen Helm leihen, etwas zum
Essen für unterwegs kaufen und einpacken, - dann konnte es losgehen.
Allein der Gedanke beflügelte mich derart, dass ich mit größtem Vergnügen Ventile und
Zahnräder überprüfte, einfettete und wieder an ihre richtige Position brachte.
Vielleicht konnten wir ja sogar im selben Zelt schlafen, und uns so noch ein kleines Stück
näherkommen. Nicht, dass ich über sie hergefallen wäre oder sie bedrängt hätte, aber
soviel Nähe machte alles Mögliche möglich.
Ich fand das alles riesig. Die Welt war schön und in Ordnung.
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Entsprechend schlecht schlief ich auch in dieser Nacht, nämlich noch weniger als in den
Tagen vorher.
Ich erwachte verschwitzt und zerknautscht, sprang aus dem Bett und rasch unter die
Dusche, wollte mich leicht verschämt nicht an meine warmfeuchten Träume in der Nacht
erinnern. Danach frühstückte ich mehr gequält und getrieben von Eile, wartete ungeduldig
und nervös auf den Abend.
Katharinas Konzertkarte hatte ich selbstverständlich gleich am Montag gekauft, der Tank im
Motorrad war randvoll, die Transportkoffer, frisch ausgewaschen und gefüllt, standen
fahrbereit in der Küche.
Was sollte jetzt noch schiefgehen?
Ich war ganz dicht vor einem ersten riesigen Erfolg für eine neue Liebe.
Das würde mein Wochenende des Jahres werden, - ach was, meines Lebens.
Nur die Zeit, die Stunden vergingen quälend langsam, als wollte mich mein Glück ein wenig
foppen.
Eine Stunde früher als geplant, begann ich Schlafsack und Zelt festzuzurren, die Transportkoffer anzuschrauben, und noch einmal einen letzten prüfenden Blick auf die Technik zu
werfen.
Vielleicht war meine an manchen Stellen leicht angeschabte Ledercombi ein wenig zu
sauber geputzt, meine Stiefel zu blitzblank, mein Rasierwasser und Deo etwas zu reichlich
- ich hatte mich am Nachmittag tatsächlich zum zweiten Mal an diesem Tag rasiert - was an
sich schon fast so etwas wie eine Sensation war. Meine Laune war euphorischer, als
vielleicht angemessen, aber das konnte mich jetzt nicht mehr berühren.
Ich atmete noch einmal tief durch, stieg auf und fuhr los. Das Herz schlug mir bis zum Hals,
und wenn ich ehrlich war, brach mir mit jedem Meter, den ich fuhr, der Schweiß aus. Ich
war in Höchststimmung und freute mich unglaublich auf Katharina und unser Wiedersehen.
Naturgemäß, da ich nicht allzu weit vom "Dammtor" wohnte, dauerte es nur wenige
Minuten, bis ich an diesem Treffpunkt ankam, wo wir uns verabredet hatten. Hier trafen sich
an diesem Abend eine ganze Menge Leute, und die meisten wollten zum Open-Air-Konzert
nach Bremen. Motorradfahrer waren auch jede Menge dabei. Ich kannte viele von ihnen,
wurde begrüßt, und meine "Alte Lady" - wie immer - fast andächtig bewundert. Denn trotz
der immer größeren und besseren "heißen Öfen" war sie immer noch etwas Besonderes.
Doch ich hatte jetzt wenig Sinn für Fragen und Lob, beantwortete mehr pflichtgemäß einige
von ihnen, wollte unbedingt rein in die Kneipe, wo Maria und Katharina wahrscheinlich
schon auf mich warteten.
Rolf war ebenfalls mit seinem Motorrad da. Ihm konnte ich natürlich schlecht aus dem Weg
gehen, als er auf mich zukam und mich ansprach. Er hatte gewusst, dass ich zu dem
Konzert wollte, und so redeten wir noch eine Weile draußen über unsere Erwartungen,
lachten und machten ein paar Witze.
Dabei brannte mir die Zeit unter den Nägeln, weil ich keine Minute verlieren wollte, die mich
in Katharinas Nähe bringen konnte. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch, mein Puls raste,
und mein Mund war vor Aufregung ganz trocken.
Mit geringer Anstrengung suchte ich dem Eingang des "Dammtor" Näher zu kommen, und
drängte daher Rolf sanft in diese Richtung. Nur am Rande nahm ich seinen Vorschlag an,
in einer Kolonnenfahrt, mit vielen anderen Motorradfahrern, Richtung Bremen zu fahren,
weil das mehr Spaß machte.
Er hatte ja auch Recht damit, aber das war schon seit Langem verabredet gewesen, lange
vor diesem Wochenende, und erst recht vor meiner ersten Begegnung mit Katharina.
Wozu also noch mal diesen Vorschlag machen?
In der Kneipe war es brechend voll, kein Überblick zu gewinnen, geschweige denn irgend
jemanden zu finden. Die Luft war zum Schneiden, tiefblaugrau, sodass uns für eine Sekunde das Atmen schwerfiel. Offenbar hatten zahllose Konzert-Besucher sich hier verabredet.
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Sassa nutzte seine Chance noch einmal richtig großen Umsatz zu machen und zapfte Bier
schneller, als ich es sonst von ihm gewohnt war. Es wimmelte nur so von Leuten in
Motorrad-Kluft, mit kleinen und großen Rucksäcken und zahllosen Cliquen, deren Ziel an
diesem Abend ganz offensichtlich nur vorübergehend das "Dammtor" war.
Falls Maria und Katharina hier drinnen waren, würde es gar nicht so einfach werden, sie zu
finden, von einem Sitzplatz ganz zu schweigen.
"Warum bist du denn so nervös?"
Ich wischte Rolfs Frage mit einer Handbewegung aus der Welt, und spähte ohne Aussichten auf Erfolg nach Katharina oder Maria. Ohne Erfolg, daher suchte ich mir wieder einen
Weg nach draußen zu bahnen, bevor Sassa noch seinen Gedanken umsetzen konnte, mir
ebenfalls ein Bier zu reichen.
"Deine Frau ist noch nicht da, und Maria auch nicht."
Ich starrte Rolf an, als habe er mir eine Ohrfeige versetzt.
Woher konnte er wissen, wen ich hier zu finden suchte?
Die Antwort kam ungefragt postwendend.
Maria hatte ihn angerufen und nachgefragt, ob er einen zweiten Schlafsack habe und
verleihen könnte an ihre Freundin, die keinen hätte. Und Rolf konnte tatsächlich, und war
somit im Bilde, dass ich hier mit Katharina verabredet war.
Draußen kamen noch immer mehr Motorräder an, wurden Autos aller Art und Klasse an
jedem nur möglichen Platz in der Nähe geparkt. Das Dammviertel erlebte offenbar einen
enorm motorisierten Abend, denn halb Oldenburg schien sich hier vor der Kneipe verabredet zu haben, mit dem festen Vorsatz gemeinsam nach Bremen zu fahren.
Ich hatte mich schon wieder gefangen von dieser unerwarteten Überraschung und versuchte gelassen zu wirken, was mir aber nur sehr unzureichend gelang. Daher war unser
weiteres Gespräch nicht viel mehr als schaler Small-Talk, mehr war nicht drin. Rolf musste
mich wahrhaft für einen etwas verwirrten Träumer halten, der offensichtlich ziemlich verliebt
war in eine Frau, von der er nicht gerade viel wusste. Zugegeben, ich glorifizierte Katharina
ein wenig, bevor ich überhaupt die Basis zu ihr errichtet hatte, doch das war nun Mal meine
Art, mit emotionalen Dingen umzugehen.
Rolf war da kühler, distanzierter und mehr vom Kopf gesteuert. Zweifellos war ich von uns
beiden mehr der Tagträumer, der typische Künstler, nie so ganz mit den Füßen am Boden
der Tatsachen. Er hätte an meinem zukünftigen Beruf nicht viel Freude gehabt und anfangen können, umgekehrt genauso. Es passte gut zu ihm eine Ausbildung zu machen, wo es
um pure Logik und Technik ging, um klare Komponenten, die eine deutliche Struktur und
Regelung besaßen oder bekamen, an klaren, festgelegten Parametern festzulegen.
Bei mir war es eher das Suchen nach kreativen Ausdrucksmöglichkeiten, das Ausleben von
Fantasie und die Umsetzung von alltäglichen Dingen in ganz neuer, fremder und künstlerisch gestalteter Sichtweise, die erst nach und nach vertrauter wurde. Zugegeben, sehr weit
war ich mit meinem Studium noch nicht gekommen, aber für mich waren Sensibilität und
Fantasie die Eckpfeiler meiner Ausbildung, verbunden mit technischer Umsetzung, - bei
Rolf Logik, technischer Sachverstand und Begabung, klare Zielsetzungen.
Dabei war er kein übler Typ, durchaus kein distanzierter Techniker, besaß durchaus Emotionen, ließ sich aber nur selten von ihnen leiten oder steuern.
Vielleicht war es die Verschiedenheit, die uns zu mehr als guten Bekannten gemacht hatte.
Wo die beiden Frauen solange blieben, war mir ein Rätsel. Ich rauchte nervös eine
Zigarette nach der anderen, bis endlich Marias alter, rostgeplagter VW-Käfer mit ratterndem
Motor um die Ecke bog und wieder in einer Seitenstraße verschwand, weil sie wohl noch
einen Parkplatz suchte. Ich musste mich ungeheuer zusammenreißen, um nicht sofort
hinter ihr herzustürmen, um endlich Katharina wiederzusehen. Aber meine Nervosität und
auch meine Freude stiegen noch um eine Stufe höher.
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Es dauerte eine ganze Weile, bis Maria erfolgreich ihr Auto geparkt hatte und wieder auf
dem Damm mit langsamen Schritten auftauchte.
Mir blieb fast das Herz stehen, - sie war allein.
Eine Sekunde lang hatte ich noch die Hoffnung, dass Katharina nur ein paar Schritte hinter
ihr auftauchen könnte, - doch als die kalte Faust um meinen Magen immer fester wurde, da
wusste ich, dass sie nicht mitgekommen war. Es war hauptsächlich Marias bedrückter
Gesichtsausdruck, der mir mit brutaler Härte jeden Hoffnungsschimmer nahm.
Maria war allein - Katharina war nicht mitgekommen.
Mir entgleisten wahrhaft die Gesichtszüge.
Was hatte denn das zu bedeuten?
Maria sah uns, kam direkt auf uns zu. Jeder ihrer Schritte tat mir im Magen weh, raubte mir
auch die allerletzten winzigen Hoffnungskörnchen an diesem Abend meiner Traumfrau
erneut zu begegnen.
Und Maria sah es mir an, selbst Rolf war auf einmal verdächtig still.
Ich starrte halb benommen auf die Näherkommende, die schließlich direkt vor mir stehenblieb. Sie hielt mir einen Fünfzig-Mark-Schein hin.
"Tut mir leid", sagte sie leise durch den Lärm ringsum und versuchte mir das Geld
aufzudrängen, "aber sie hat es sich anders überlegt."
Ich starrte sie an, fassungslos, als hätte ich kein einziges Wort und auch ihre Geste nicht
verstanden.
Doch ihre Worte klangen dröhnend in meinen Ohren nach. Ich konnte es nicht fassen, sah
gar nicht auf den Geldschein, den sie mir hinhielt. Doch dann fiel mein Blick nach unten,
weil ich Marias traurigen Blick nicht standhalten konnte, - und ich wich fast betroffen vor
dem Geld in ihrer Hand zurück, als hätte ich Sorgen, der Schein könne sich im nächsten
Augenblick in eine giftige Viper verwandeln.
"Wieso ...?“ Ich konnte es einfach nicht verstehen.
"Ich ... ich weiß es nicht ... Paul", Maria zog bedauernd die Schultern hoch, "ich weiß es
wirklich nicht ...“
Aus irgendeinem Grund hatte ich für eine Sekunde das Gefühl, dass sie noch etwas sagen
wollte, aber sie tat es nicht.
"Hast du sie denn nicht gefragt?"
Das war eindeutig ein Vorwurf aus meinem Mund, heftig hervorgebracht, und wenn ich
klarer bei Verstand gewesen wäre, hätte ich sicher erkannt, wie unangenehm Maria davon
berührt war. Ich sah, wie sie leicht durchatmete, wie sie ansetzte, dann wieder schwieg.
"Doch ... ich habe sie gefragt", entgegnete sie schließlich leise und sah mich dabei
unverwandt an, "und ich ... ich habe ihr gesagt, dass das nicht besonders fair ist ...“
"Ja und ...?“
"Sie sagte, sie hätte es sich anders überlegt, und ... wolle nicht mitfahren."
Wieder hielt sie mir den Geldschein hin, und wieder starrte ich ihn fast angewidert wie
einen Fremdkörper an.
"Und das war alles ...?“
Ich konnte es einfach nicht fassen.
Mit einer läppischen Begründung hatte mir diese schwarzgelockte Frau alle meine Hoffnungen, Träume und Illusionen geraubt, eiskalt. Sie hatte mir zudem mein Wochenende
versaut, mich vor Rolf zum Narren gemacht, - wobei ich ihr auch noch tatkräftig geholfen
hatte.
Was hatte ich ihr denn getan?
Womit hatte ich so eine Abfuhr verdient?
Was gab ihr das Recht, mich wie einen Idioten dastehen zu lassen?
"Ja ... das war alles ... tut mir leid, Paul."
Marias Antwort machte es fast noch schlimmer.
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Eine Sekunde hasste ich sie dafür, hätte ihr am Liebsten einen kräftigen Faustschlag
versetzt, sie angegriffen, zu Boden geworfen, meine ganze Wut und Demütigung an ihr
ausgelassen - und wusste doch, dass sie überhaupt nicht verantwortlich war. Maria war nur
der Bote, der die schlechte Nachricht überbringen musste.
Trotzdem konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie mir gerade kaltlächelnd
den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, ohne Rücksicht auf eine alte Freundschaft
und ohne Rücksicht auf Verluste.
Doch sie hielt mir nur ernsten Gesichtes erneut den Geldschein hin, den sie mir schon die
ganze Zeit zu geben versuchte.
Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um sie nicht zu verprügeln.
"Was soll das ... was soll ich damit ...?“
"Das Geld für die Karte ...“ Marias Gesicht wirkte wie versteinert. Sie kannte mich lang
genug, um zu ahnen, wie es in mir aussah. Sie war ganz offensichtlich betroffen von
meinem Zorn, wollte jedoch versuchen Öl in die aufgewühlten Wogen zu schütten.
Dabei trug sie tatsächlich keinerlei Schuld an dieser Entwicklung.
"Scheiße ... verdammte Scheiße!"
"Schrei mich bitte nicht an“, Marias Stimme wurde nur eine Spur lauter und schärfer, aber
es ernüchterte mich für eine Sekunde.
Ich riss das Geld förmlich an mich und stopfte es in meine Jackentasche.
Dann drehte ich mich um und wollte gehen.
"Hey, wo willst du hin ...?“
Rolf stand da, ernst und ein wenig bleich, denn er hatte auch nicht die Spur einer Idee, wie
er mich besänftigen konnte.
"Ich will nach Hause!"
"Wieso?"
"Ich hab keinen Bock mehr ... auf diese ganze ... ganze Scheiße!"
"Ach ... und Zuhause geht`s dir besser?"
Ich drehte mich zu ihm um, denn nun war er es, dem ich am Liebsten eine Tracht Prügel
verpasst hatte. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl gehabt, er wolle mich mit seiner
Frage verhöhnen.
Mein Verstand arbeitete offenbar nur noch mit Notprogramm, so dauerte es eine Weile, bis
ich reagieren konnte. Dann drehte ich mich erneut halb um die Achse und stapfte wütend
zum "Dammtor".
"Wo willst du jetzt wieder hin?"
"Ich werd mich besaufen!"
"Wird´s dir dann besser gehen?"
Ich dachte gar nicht daran, seine Frage zu beantworten, wollte nur noch weg und
vergessen, was mir gerade passiert war. Dass das alles nichts ändern würde, dass das
nicht sehr klug war, was ich jetzt vorhatte, - dieser Gedanke vermochte mich nicht zu
erreichen, geschweige, dass ich ihn hätte formulieren können.
"Paul ...“
"Was willst du?"
Maria fuhr sichtlich einen Schritt zurück vor der Heftigkeit meiner Stimme. Mit erschrocken
aufgerissenen Augen sah sie mich an, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, setzte
mehrmals zum Sprechen an. Rolf stand neben ihr, war ebenso betroffen und verlegen,
ahnte wohl, welche Demütigung das für mich vor seinen Augen war.
Ich, der fantasievolle Tagträumer mit kleiner Bodenhaftung, war mal wieder so richtig auf
die Fresse geflogen, vor den Augen seiner Freunde.
Rolf wollte diese Auseinandersetzung nicht, konnte mit so etwas schlecht umgehen, aber er
steckte plötzlich mitten drin, - obwohl weder er, noch Maria, unmittelbar schuldig waren.
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"Paul, wenn es dir dann besser geht, dann solltest du dich wirklich besaufen“, Marias
Stimme klang jetzt ganz gefasst und ruhig, ehe sie wieder beinahe hart und brutal wurde,
"aber es wird überhaupt nichts ändern ...!“
"Das weiß ich selber ...“
"Paul ...“
Ich hatte mich schon wieder abwenden wollen, doch erneut hielt mich Maria zurück.
"Was willst du denn noch ...?“
"Paul ... ich sollte dir ...“, Maria versuchte ihrer Stimme Gelassenheit und Festigkeit zu
geben, um vielleicht wieder eine winzige Spur von Ruhe an mich herantragen zu können,
"ich sollte dir ... vielleicht besser ... etwas sagen ... sie ... ich meine Katharina ... sie ist ...“
"Was?!"
Sie presste die Lippen aufeinander, war offensichtlich nicht länger bereit, sich als der Bote
einer unangenehmen Nachricht von mir anbrüllen zu lassen. Zuerst senkte sie betroffen
und wütend den Kopf, zögerte und schüttelte ihn dann resignierend.
"Nichts ... ich meine ... es geht mich ... nichts an ...“
Ich war sauer, stinksauer und völlig frustriert, fühlte mich vorgeführt. Jetzt wollte ich mich
wirklich nur noch besaufen, ganz im Gegensatz zum letzten Sonntag.
Maria sah mir hilflos nach, - doch Rolf folgte mir ins "Dammtor".
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3. Kapitel
Was immer mir dieses Wochenende auch an Unterhaltung, neuen Erfahrungen und Spaß
bringen sollte, - es war vorbei, war völlig verdorben, meine Laune auf einem absoluten
Tiefpunkt, ein Debakel aus Wut, Enttäuschung und totaler Frustration.
Jetzt hatte ich wirklich Magenschmerzen, aber nicht mehr vor Nervosität, sondern aus
Frust. Ich hatte mich vor Rolf zum Narren gemacht, ihn und Maria völlig ungerechtfertigt
angebrüllt, - viel mehr konnte ich eigentlich kaum verkraften.
Es war so schlimm, meine Enttäuschung so abgrundtief, dass ich es nicht einmal schaffte,
mich zu besaufen.
Nach dem ersten Bier war mir bereits schlecht. Sassa fragte einmal kurz, was los sei, als er
mich mit leichenbitterer Miene an der Theke sitzen und in mein Bier starren sah. Doch als
ich ihn nur anknurrte, hob er abwehrend die Hände und ließ mich in Ruhe. Er wusste oder
ahnte zwar auch, dass ich zu den Gästen gehörte, die zum Open-Air-Konzert wollten, aber
es war nicht unbedingt sein Job absolut unerträglich schlecht gelaunte Gäste um jeden
Preis aufzumuntern.
Ich fragte mich zornbebend, womit ich diese Behandlung verdient hatte, - und fand keine
Antwort darauf.
Natürlich war es Katharinas gutes Recht nicht zu dem Konzert zu fahren, erst recht nicht
mit mir.
Aber warum hatte sie dann so einverständlich eine Zusage gemacht?
Gehörte sie etwa auch zu den Frauen, die es absolut liebten auf den Gefühlen anderer
Menschen herumzutrampeln?
Machte es ihr etwa Spaß speziell Männer zu verletzen, sie zu verarschen und ein böses
Spiel mit ihnen zu treiben?
Ein klares "Nein, danke" schon bei der Verabredung hätte ich leicht akzeptieren können,
aber so eine Abfuhr, - das ging mir nicht nur zu weit, sondern völlig gegen den Strich.
Musste ich mich etwa von irgendeinem Menschen wie Scheiße behandeln lassen?
Was bildete die sich ein, dass sie glaubte, so mit mir umspringen zu können?
War sie vielleicht mit Brigitte befreundet und darauf angesetzt, mir noch einmal eine
ordentliche Lektion zu erteilen?
Wenn ja, dann war ihr das gelungen?
Mir gingen die verdrehtesten und absurdesten Gedankenspiele durch den Kopf, naheliegende und haarsträubende Erklärungen für das Verhalten dieser Frau.
Ich gestand mir durchaus ein, nicht gerade der attraktivste Mann weit und breit zu sein,
aber eine gewisse Liebenswertigkeit billigte ich mir schon zu.
Es mochte auch angehen, dass ich meine Chancen bei Katharina gewaltig überschätzt
hatte, dass ich vielleicht ein Mann war, der seine Eitelkeit pflegte und hätschelte.
Wahrscheinlich benahm ich mich auch ab und zu wie ein Pascha, ein Ekel sogar, - obwohl
ich das eher bezweifelte - und zweifellos hatte ich mich völlig irrational in Erwartungen an
diesem Wochenende verrannt, die wenig mit der Realität zu tun hatten.
Aber niemand hatte das Recht, so mit mir umzugehen.
Ein einziger Anruf, so billigte ich mir zu, ein einziger Anruf mit einer faulen Ausrede, dass
sie nicht kommen könne, verhindert sei oder irgendeinen anderen Blödsinn, das alles hätte
ich akzeptieren können.
Ich war weder zu mir, noch zu Katharina, noch zu irgend jemandem anderen gerecht, tief
verletzt und enttäuscht. Da half es auch nicht, dass ich trotz Magenschmerzen noch ein
zweites Bier trank.
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Anfangs weigerte ich mich sogar Rolf an meiner Seite wahrzunehmen, der mich zu
beruhigen suchte, aber genau wusste, dass das im Moment kaum möglich sein würde. Ich
musste mich einfach abreagieren, - und hoffte nur, auch für mich selbst, dass ich keinem
Unbeteiligten gegenüber allzu unfair werden würde. Denn dann wäre ich keinen Deut
besser, als die Frau, die ich jetzt verfluchte, weil ich es zugelassen hatte, dass sie mich so
verletzen konnte.
Die Erkenntnis, dass ich es durch meine Euphorie zugelassen hatte, war immerhin der
erste Schritt in die richtige Richtung. Sie gab mir eine kleine Chance, mich wieder zu
beruhigen, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.
Andererseits war meine Wut immer noch ziemlich bodenlos, als ich mir klarmachte, dass
diese verdammte Katharina mich kaum kannte, mir nicht einmal so etwas wie Fairness
gegenüber aufbrachte. Sie hatte in meinen Augen einfach kein Recht, mich derart auflaufen
zu lassen. Ein klares "Nein" zu unserer Verabredung hätte mir vollkommen genügt.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich das und noch einige andere Argumente,
gegenüber Rolf Stück für Stück zur Sprache brachte. Ich suchte nach Bestätigung, dass
mein Ego und mein Standpunkt doch wohl nicht völlig falsch wären, dass ich eine faire
Behandlung erwarten könne. Rolf stimmte mir zwar grundsätzlich zu. Er machte aber auch
nicht den Fehler mich erneut in meinem Zorn zu bestärken, sondern suchte mich zu
beruhigen, die Wogen zu glätten, um irgendwie dieses geplante gemeinsame Wochenende
zu retten. Er hatte sich schließlich auch darauf gefreut, und wollte auf keinen Fall ohne
mich fahren. Denn gemeinsam geplant, hieß auch gemeinsam Spaß haben, - selbst wenn
er durch so einen Start reichlich getrübt wurde.
"Eh, Mann, da draußen gibt es tausend Frauen", versuchte mich Rolf mich etwas plump zu
motivieren und wieder aufzubauen, "die warten nur darauf, dass ein paar wilde Typen wie
wir auftauchen, ein Fass aufmachen und Spaß haben. Wir brauchen diese Tussi überhaupt
nicht ...“
"Ach, hau doch ab ... und lass mich in Ruhe", so überzeugend klang das nun wirklich nicht
mehr von meiner Seite, denn mein Widerstand Spaß begann bereits zu bröckeln. Ich war
nicht so doof anzunehmen, dass auf den Weserwiesen eine Menge Frauen nur darauf
warteten, dass ein Typ wie ich auftauchte, den sie wunderbar anmachen konnten. Aber
immerhin war es ein guter Freundschaftsdienst von Rolf, dass er versuchte mich auf diese
Weise wieder aufzubauen.
"Ach komm ...“, er gab sich wirklich große Mühe, "lass dich nicht hängen, Alter. Ich weiß,
dass du die Braut Klasse fand`st ... Aber in Bremen werden wir uns nachher tierisch besaufen ... ein paar dämliche Bräute aufreißen ... und dann sieht die Welt gleich wieder besser
aus ... Das wird Klasse ... du wirst sehen ... wir werden tierisch Spaß haben ... wir lassen so
richtig die Sau raus ...“
Ausgerechnet er, der immer wieder so philosophische Gedanken formulierte über die neue
sozialistische Gesellschaft, über die neuen Verhältnisse zwischen Mann und Frau, die
Auflösung der „Zweierkiste“ und das neue revolutionäre Selbstverständnis von Frauen, ausgerechnet Rolf kam mir jetzt mit solchen völlig machistischen Argumenten. Er klopfte
mir kameradschaftlich auf die Schulter und trank einen großen Schluck von meinem zweiten Bier.
Doch ich war noch nicht wirklich bereit nachzugeben.
Draußen wurden Rufe nach uns laut, starteten die ersten Motorräder und Autos.
Und ich saß hier, vorgebeugt über meinem Bier und der Theke des "Dammtor", versaute
mir gerade das eigene Wochenende, nachdem das letzte schon ziemlich unerfreulich
gewesen war, - und hatte eine Riesenwut im Bauch.
Das Leben erschien mir zutiefst ungerecht.
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Rolf wurde etwas unruhig, weil er schon zweimal seinen Namen von draußen hörte. Es war
klar, dass die nur noch auf uns warteten. Sehr groß war die Geduld da draußen auf der
Straße nicht mehr.
"Fahr allein ...“
Das klang schon mehr als halbherzig von meiner Seite, und wenn ich ganz ehrlich mein
Selbstmitleid beiseite schob, so war die Entscheidung zu diesem Schritt noch wesentlich
schwachfüßiger.
"Red keinen Scheiß, Mann!" Rolf protestierte und nahm mir mein Bierglas weg, "setz dich
gefälligst in Bewegung ... und deinen Arsch auf den Bock. Du glaubst doch wohl nicht im
ernst, dass ich dich hier einfach zurücklasse. Na los, wozu hat man Freunde ... wir machen
uns ein schönes Wochenende, besaufen uns ... und zwar gemeinsam“, dann schien ihm
plötzlich eine Idee gekommen zu sein, und er riss mich herum, blitzte mich auffordernd an,
"Maria wäre stinksauer, wenn du nicht mitkommst ... die steht auf dich ... wirklich ...“
Ich erkannte seinen guten Willen, aber in diesem Punkt wusste ich, dass das absolut nicht
stimmte. Maria war eine sehr, sehr gute Freundin, immer für jeden Spaß zu haben, - aber
mehr auch nicht.
Doch ich musste auch eingestehen, dass sie wirklich enttäuscht sein würde, wenn ich nicht
mit nach Bremen käme. Außerdem war sie genau die Frau, die mich schwesterlich und
freundschaftlich trösten würde.
Wer war ich denn, und wer war schon diese Katharina, außer dass sie verdammt gut
aussah, sehr distanziert war und mich voll auflaufen lassen hatte, dass ich mir von ihr
dieses schöne, geplante Wochenende versauen ließ?
Ich fand tatsächlich auf den Boden zurück, denn ich war schon immer ein zähes Steh-aufMännchen, das sich nicht unterkriegen ließ. Trübsinn und Zorn brachten mich hier absolut
nicht weiter, das wurde mir schlagartig klar. So holte ich tief Luft, atmete kräftig durch und
grinste Rolf dankbar an.
"Der Kuhschiss in der Hand, ist immer noch besser, als auf dem Kopf." zitierte er ein
angeblich ur-altes ostfriesisches Sprichwort.
Ich musste einfach einsehen, dass ich verloren hatte und nicht alles haben konnte, auch
wenn es schön gewesen wäre.
"Wir werden ... die Sau rauslassen“, bestätigte ich ihm und gab ihm die Hand. Obwohl mir
immer noch die Wut im Bauch grassierte, gingen wir endlich gemeinsam auf die Straße
raus, wo uns laute Rufe und ein dröhnendes Hupkonzert empfingen.
"Du bist wirklich ein Freund", grinste ich Rolf noch ein bisschen gequält an, "irgendwann
mach ich dir auch mal `nen Gefallen ...“
"Quatsch keine Opern ... steig auf deinen Bock ...“
Wir wurden von allen möglichen Leuten angemotzt wegen unserer Trödelei. Einige Mitfahrer waren schon unterwegs, weil sie nicht mehr länger warten und vor Bremen nicht in
einen gigantischen Stau kommen wollten. Kaum einer hatte die Gründe für die Verzögerung erfahren oder mitgekriegt.
Ich war nicht traurig darüber.
Maria kam zu mir, hatte einen Motorradhelm in der Hand, und versicherte mir noch einmal,
dass sie alles versucht habe, leider ohne Erfolg. Sie wäre sehr froh, dass ich jetzt trotzdem
mitkäme, und sie wollte gerne bei mir mitfahren. Sie war wirklich ein Schatz, verdiente mehr
als meine Entschuldigung und meine Umarmung, weil ich sie so angefahren hatte.
Doch machte ich ihr klar, dass ich lieber alleine fahren würde. Ich hatte einfach noch zu viel
Wut im Bauch, um mich jetzt auf so etwas einzulassen, brauchte noch ein wenig Distanz.
Den Platz hinter mir hatte ich für Katharina vorgesehen, und wenn sie nicht mitkommen
wollte, dann wollte ich lieber allein fahren.
Das Letzte sagte ich Maria natürlich nicht, aber sie akzeptierte und verstand auch so, denn
eigentlich hatte sie sowieso geplant, mit Rolf zu fahren.
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Ich hatte immer geahnt und gewusst, dass er mindestens genauso auf sie flog, wie er
behauptet hatte, dass sie es in meine Richtung tat. Mir wurde klar, welche Bedeutung seine
Aufmunterung für mich hatte, dass er bereit war auf eine gemeinsame Fahrt mit Maria zu
verzichten, nur damit ich mitkam auf ein schönes Wochenende. Er war wahrhaftig mehr, als
nur ein guter Kumpel. Ich konnte nicht einschätzen, ob Maria ähnlich für ihn empfand. Aber
ich hoffte, dass es irgendeinen Weg geben würde, dass sie zueinander fanden. Ein
bisschen Glück, Wärme und Liebe konnte Maria wirklich gut gebrauchen, denn sie hatte es
nicht leicht in ihrem Leben.
Aber wahrscheinlich sah sie in ihm, ähnlich wie bei mir, nicht mehr, als einen guten Freund,
gut für einen harmlosen Flirt, aber nicht für mehr.
Rolf hingegen freute sich sichtlich, als sie in ihrer Jeans und einer alten, dicken Lederjacke
auf seine PS-starke Honda stieg. Jetzt war sie ihm wenigstens mal so nahe, wie er sich das
gewünscht hatte.
Ich ging zu meiner "Alten Lady", stieg auf und ließ den Motor anspringen. Überall dröhnten
ringsum die Motoren auf, wurden die Gashebel strapaziert, um eine herrliche Geräuschkulisse für unsere Abfahrt zu schaffen.
Selbst Sassa kam vor die Tür, lachte und winkte uns zu. Er war sicherlich genauso beeindruckt, wie zahlreiche Anwohner, die schon seit geraumer Zeit an den Fenstern saßen und
uns zusahen. Natürlich standen etwas abseits - wie immer - auch ein paar Polizeiwagen
herum und beobachteten die ganze Szenerie, ohne allerdings bislang eingreifen zu
müssen.
Es war ein Höllenlärm, als der Pulk von über dreißig Motorrädern durch die kleinen Straßen
des Dammviertels donnerte, immer in Richtung Donnerschwee und Bremen.
Nun waren wir also tatsächlich unterwegs, und ich spürte, wie sich die Verkrampfung in
meinem Bauch zu lösen begann. Langsam versuchte ich daran zu glauben, dass mein
großer Spaß an diesem Wochenende vielleicht doch noch kommen würde.
Wir fuhren nicht sehr schnell, und hatten dennoch rasch den Stadtkern der relativ kleinen
Stadt Oldenburg hinter uns gelassen, donnerten über die Bundesstraße weiter, einfach aus
Spaß am Fahren in Kolonne, an etwas riskanten Überholmanövern und rasanten Spurts
zwischendurch.
Ganz im Gegensatz zu sonstigen gemeinsamen Fahrten hielt ich mich dieses Mal deutlich
ein wenig zurück, fuhr defensiv und dachte über die letzte Stunde nach.
Ich grübelte und marterte mein Hirn, versuchte noch immer zu ergründen, warum das alles
so beschissen gekommen war.
Der Gedanke, dass es eine ganz logische Erklärung oder überhaupt eine Erklärung geben
musste, und dass Maria sie kannte oder zumindest irgend etwas darüber wusste, wollte mir
nicht aus dem Kopf.
Aber was konnte ich tun?
Längst war ich schon viel zu entschlossen, mir dieses Wochenende nicht auch noch
versauen zu lassen, um eventuell doch wieder umzukehren. Ich konnte versuchen, Katharina nächste Woche oder bei passender Gelegenheit zur Rede zu stellen, meiner Wut und
Enttäuschung Ausdruck zu verleihen. Und wenn sie dann abweisend, kühl oder schnippisch
reagieren würde, war es ein wesentlich geringeres Problem, sie kalt zu ignorieren.
Aber was sollte ich tun, wenn sie in der nächsten Zeit alles tat, um die Orte zu meiden, wo
sie mir über den Weg laufen konnte?
Maria auf die Bude rücken, zu ihr in die Wohnung kommen, mit Kanonen auf Spatzen
schießen, und Katharina vor Maria in einem Streit zur Rede zu stellen, war absolut unangemessen und keine gute Idee. Dabei lief ich nur Gefahr erneut von ihr gedemütigt zu werden, aber eben auch unter Marias Augen.
Das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
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Andererseits erst einmal eine gewisse Zeit verstreichen lassen, um dann eine späte
Erklärung zu verlangen, war noch eine ganze Menge dämlicher. Es hätte Katharina zudem
jede Gelegenheit geboten, sich eine richtig gute Abfuhr für mich auszudenken. Das würde
mir allen Wind aus den Segeln nehmen.
Jetzt musste ich sie stellen, noch heute, das wurde mir blitzartig klar.
Diese Erkenntnis und eine rasche Beschleunigung, die mich umgehend an die Seite von
Rolfs Motorrad brachte, waren eins. Ich machte ihm ein Zeichen anzuhalten oder zumindest langsamer zu fahren, damit wir reden konnten.
"Was ist los?"
Es war unmöglich, sich bei dem Motorenlärm und dem Fahrtwind zu besprechen, also hielten wir beide seitlich an, während der ganze Tross an uns vorbeizog. Während die Rücklichter in der wachsenden Dunkelheit verschwanden, erklärte ich Maria und Rolf, was ich
vorhatte. Sie fanden es blödsinnig, ohne jeglichen Nutzen, hirnrissig und sinnlos.
Aber ich war nicht davon abzubringen.
Rolf bestand darauf, dass ich auf jeden Fall, selbst wenn gar nichts dabei herauskam, dass
ich nachkommen und auf keinen Fall ausflippen sollte, wenn die Sache scheiterte.
Ich gab ihm diese Zusage gern, denn ich war entschlossen, mir dieses Wochenende
irgendwie zu retten, mich nicht in eine Auseinandersetzung ziehen zu lassen. Alles, was ich
wollte, war eine Erklärung. Ohne eine halbwegs befriedigende Antwort auf die grummelnden Fragen in meinem Bauch würde ich das Open-Air-Konzert nicht wirklich genießen
können.
Im Dobbenviertel, wo Marias Wohnung lag, lagen auch mögliche Antworten auf diese
Fragen, - und die wollte ich jetzt, heute Abend stellen.
Es war nicht auszuschließen, dass mein Auftauchen bei Katharina alles nur noch schlimmer machen könnte, so etwas war immer möglich.
Doch ich wollte und ich musste es wissen. Im schlimmsten Fall würde ich einfach wieder
abhauen, dann konnte mir Katharina den Buckel runterrutschen.
Maria fand es immer noch beknackt, gab mir aber ihr Schlüsselbund, damit ich nicht zu
schellen brauchte und Katharina womöglich nicht aufmachte.
"Ich find´ es vom Arsch", knurrte Rolf verbissen zum vorläufigen Abschied, ungeachtet der
Tatsache, dass Maria direkt neben ihm stand, "das ist keine Frau der Welt wert."
Maria ersparte sich mit einem Seitenblick und einer deutlich hochgezogenen Augenbraue
jeden Kommentar, und sah mich nur nachdenklich an. Wieder hatte ich das unbestimmte
Gefühl, dass sie mir eigentlich etwas sagen wollte. Wahrscheinlich das Gleiche, wozu sie
vor dem "Dammtor" schon zögernd angesetzt hatte.
Doch sie tat es wieder nicht und meinte statt dessen nur: "Wehe, du kommst nicht nach ...
Denk dran, wir warten auf dich ...“
Ich sah ihnen noch nach, wie sie mit aufdröhnendem Motor wieder Anschluss an den
Konvoi suchten, in der Dunkelheit verschwanden, während einzelne Autos an mir vorbeifuhren.
Dann stieg ich ebenfalls wieder auf, und fühlte mich beklommen. Plötzlich war ich mir nicht
mehr so sicher das Richtige zu tun, wurde mir der Tatsache bewusst, dass ich eventuell zu
einem Treffen fuhr, bei dem meine totale Niederlage mit einer ordentlichen, verbalen Tracht
Prügel, einem Tritt in den Hintern, besiegelt werden könnte.
Doch ich war jetzt soweit, das zu riskieren.
Dabei konnte ich nur hoffen, dass mir die richtigen Worte einfielen, dass ich nicht die
Nerven verlor, und mich noch mehr zum Narren machte. Ich ahnte, dass ich wahrscheinlich
alle Möglichkeiten der Improvisation würde nutzen müssen, die mir gerade - und hoffentlich
rechtzeitig - einfielen.
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Je mehr ich über die zu erwartende Situation auf der kurzen Rückfahrt nachdachte, um so
wütender wurde ich. Das Gefühl von Demütigung und Ausgeliefertsein kam rasend schnell
näher und machtvoll zurück.
Warum wollte ich mir das hier antun?
Hatte ich das wirklich nötig oder verdient?
Ich war ziemlich geladen, als ich vor dem Haus ankam, wo Maria wohnte.
Uneins mit mir selbst, wusste ich noch immer nicht, ob ich wohl das Richtige tat.
Ich war schon mehrmals in ihrer Wohnung gewesen, und sah somit auch sofort an den
richtigen Fenstern, dass da kein Licht brannte. Katharina war offenbar gar nicht Zuhause.
Da es noch ziemlich früh am Abend war, konnte es nur eines bedeuten, sie war ausgegangen.
War es das gewesen, was Maria mir sagen wollte?
Gab es da längst einen anderen Mann, für den ihre neue Mitbewohnerin sich engagierte
und interessierte?
Das machte mich nun wirklich wütend und betroffen.
Warum hatte Maria mir das nicht einfach gesagt, wenn Katharina dazu den Mut nicht hatte?
"Das darf ja wohl nicht wahr sein ...“
Meine Rückfahrt war völlig umsonst gewesen, Rolf hatte absolut recht gehabt, das wurde
mir blitzartig klar. Ich hatte mich also noch einmal vor mir selber lächerlich gemacht, denn
die Frau, die ich begehrte und gerne getroffen hätte, ging höchstwahrscheinlich in dieser
Minute mit einem gut verdienenden anderen Mann aus.
Ich wollte sofort wieder umkehren, nach Bremen fahren und die ganze Angelegenheit vergessen. Doch der Anblick der dunklen Fenster setzte wahrhaft den Teufel in mir frei, und
der wollte gerne mit mir ein bisschen Schlittenfahren, mitten im Spätsommer.
Warum ich diesen Entschluss fasste, ich weiß es nicht. Jedenfalls wollte ich oben in der
Wohnung auf sie warten. Katharina hatte versucht, mir mein Wochenende zu versauen, das konnte ich doch sicher auch.
Sie würde Stielaugen bekommen, wenn sie von ihrem netten, gemütlichen Abendessen
zurückkam, womöglich ihren Begleiter noch auf einen Kaffee oder mehr einlud. Dabei
würde sie dann oben in der Wohnung ganz unerwartet auf mich stoßen. Das würde ihren
Abend mindestens auch ein wenig verderben, die angenehm prickelnde Stimmung würde
endgültig dahin sein.
Ich dachte auch nicht lange darüber nach, sondern ging schnurstracks zur Haustür, stapfte
wütend die Treppe hoch. Ob ich bereit sein würde, notfalls auch Stunden auf sie zu warten,
darüber machte ich mir noch keine Gedanken. Hauptsache, ihr Abend würde durch mich
auch verdorben.
Der Gedanke gefiel mir, keine Frage.
Daher war ich nur zu gern bereit jetzt auch zur Tat zu schreiten. Wie ich genau reagieren
sollte, wenn sie irgendwann nach Hause kam, darüber machte ich mir überhaupt keine
Gedanken. Mir würde schon etwas einfallen, da war ich mir sicher. Außerdem hatte ich
höchstwahrscheinlich noch eine Menge Zeit, mir Gedanken über diesen Augenblick zu
machen, - und nicht zuletzt auch, um meinen Zorn und meine Verletztheit zu pflegen.
Es traf mich ein Tiefschlag in die Magengrube, als ich den Schlüssel umdrehte, kaum die
Türe geöffnet hatte.
"Maria ... hast du was vergessen ...? Warum bist du zurückgekommen?"
Keine Frage, das war Katharinas Stimme. Ihr melodischer Klang, auch wenn ich ihn erst an
einem Abend gehört hatte, war unverkennbar.
Und dann stand sie mir im Licht der Dielenbeleuchtung in einer ansonsten stockdunklen
Wohnung gegenüber, in einer grauen Flanellhose und einem bunten Hemd mit großen
Blumen.
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Sie war offenbar nicht ausgegangen, trug legere Hauskleidung, keine Spur von distanzierender Eleganz.
Die Konfrontation, die ich gesucht hatte, auf die ich aber weder in diesem Moment, noch
auf diese Weise, keine Spur vorbereitet war, war gekommen.
"Maria ...?“
Ich starrte sie wie ein Idiot an. So schlecht war die Dielenbeleuchtung nicht, dass sie mich
nicht hätte erkennen können. Aber sie trug wieder ihre dämliche Sonnenbrille mit den tiefschwarzen Gläsern. In diesem Punkt zumindest blieb sie ihrer deutlichen Dekadenz absolut
treu.
Ich brachte kein Wort heraus, starrte sie nur an. Sämtliche Reaktionen an mir schienen wie
gelähmt, einschließlich meiner Gedankengänge im Kopf. Andererseits war mir unterschwellig durchaus bewusst, dass sie verdammt gut aussah mit ihrer zerzausten Lockenfrisur.
Aber alles, womit ich sie konfrontieren wollte, meine Fragen und Vorwürfe, waren wie
weggeblasen.
"Maria ...?“ Wieder nannte Katharina den Namen ihrer Freundin, jetzt aber deutlich
fragender und unsicher. Sie wich einen halben Schritt zurück, hob einen Arm, tastete
gleichzeitig mit der anderen Hand nach irgend etwas neben der Garderobe.
Irgendwie erschien sie mir ängstlich, als erwarte sie einen Angriff oder womöglich geschlagen zu werden.
"Wer ist da?" Ihre Stimme klang ein klein wenig heiserer, als werde sie von Furcht
gedrückt. Gleichzeitig verwandelte sich ihre Körperhaltung in einer fließenden Bewegung
zu einer Abwehrstellung, die ich nicht klar identifizieren konnte, irgendeine Kampfsportart
wie Judo oder Ähnliches.
"Spinnst du ... jetzt total?"
Ich fand endlich meine Stimme wieder, aber ich spürte selbst, wie belegt sie klang.
"Wer sind sie?" Jetzt waren deutlich Entschlossenheit und Härte aus Katharinas Stimme zu
hören, "was wollen sie hier?"
Mir war nicht klar, was dieses Spiel bedeuten sollte. Es mochte ja angehen, dass ich keinen
sehr tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Aber wenigstens sollte sie sich doch an mich
erinnern können.
"Na, wer schon ... ich bin`s ...“
Katharina legte den Kopf etwas schief, spannte sichtlich die Gesichtszüge an und wich
dann blitzschnell einen Schritt zurück. In der Hand hielt sie einen Baseballschläger.
"Wer ich?" sie versuchte ihrer Stimme einen selbstsicheren, festen Klang zu geben, aber
selbst in meiner ungläubigen Verblüffung bemerkte ich, dass sie nicht annähernd so sicher
war, wie sie tat. Es war wohl mehr so, als müsse sie sich selbst beweisen, dass sie keine
Angst vor mir hatte.
"Wie bitte ...?“ Ich verstand dieses blöde Spiel einfach nicht, begriff nicht, warum sie mich
nicht wiedererkennen wollte. "Ich bin deine Verabredung von heute ... Paul ...“
Langsam fühlte ich mich wirklich beleidigt und vor den Kopf gestoßen, dass sie mich schon
wieder soweit vergessen hatte, dass sie mich nicht einmal mehr erkannte. Irgendwie fing
das alles ganz falsch an, so anders, als ich erwartet hatte. Wie sollte ich da einen Einstieg
finden, um dieser Frau Vorwürfe zu machen. Mein gesamtes Angriffskonzept löste sich in
diesem Moment in Luft auf. Wenn sie sich nicht einmal an mein Gesicht erinnern konnte,
war ohnehin alle Mühe vergeblich.
"Paul ...?“ Katharinas Gesichtsfarbe wich von einer kleinen Blässe zurück zu normalem
Hautton, während ihre Miene ziemliches Erstaunen ausdrückte. Mit einem schnellen Schritt
trat sie wieder an die Garderobe heran und stellte aufatmend den Baseballschläger ab.
"Entschuldigung ... aber ich ... ich habe deine Stimme nicht erkannt ... Was tust du hier?"
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"Ich bin hier ... Maria hat mir ihre Schlüssel gegeben", versuchte ich zu erklären und
gleichzeitig die Offensive zurückzugewinnen, "ich will mit dir reden ...“
"Worüber ... ich meine warum ...?“
"Du fragst mich warum?"
"Ja, das tue ich?" Katharinas Stimme klang mindestens so fest und sicher wie meine,
obwohl ich meine gerade auf höhere Lautstärke gebracht hatte. Ich konnte es kaum fassen,
dass sie die Unverfrorenheit besaß, mir diese Frage zu stellen, als wäre es das Normalste
der Welt, auf den Gefühlen eines anderen Menschen herumzutrampeln. Offensichtlich hatte
sie nicht vor sich in die Enge treiben zu lassen.
"Ich ... ich ... ich ...“
"Was?!“
"Ich finde das ganz schön unverschämt", mein Zorn flammte jetzt richtig auf, schaukelte
sich von Sekunde zu Sekunde höher, "nein ... abgefuckt finde ich das ...“
"Was?!" blaffte sie mich an und trat beinahe drohend einen kleinen Schritt näher, "was
findest du abgefuckt ...?!“
"Du bist ein richtiges ...“, ich suchte nach den richtigen Worten, um nicht völlig beleidigend
zu werden, "du bist ein ... ein ...“
"Was?"
"Du bist ein richtiges Miststück!"
Jetzt war es heraus, und nichts auf der Welt hätte diesen Zornesausbruch rückgängig
machen können.
Katharinas Reaktion war erstaunlich.
Statt zurückzuschreien, mich zu beschimpfen, lächelte sie ein wenig sarkastisch, trat einen
Schritt auf mich zu.
"Findest du?" ihre Stimme klang fast honigsüß, und ich sah mit völligem Erstaunen, wie sie
sich eine Spur breitbeiniger vor mich hinstellte, mich anlächelte und ein wenig ihre Hände
hob, als wolle sie mir sanft über das Gesicht streicheln.
"Ja, das finde ich ...“
Ich hatte allerdings übersehen, dass Katharina sich auch ein wenig seitlich gestellt und ihr
Körpergewicht verlagert hatte. Selbst wenn ich es gesehen hätte, hätte ich dem kaum eine
Bedeutung zugemessen.
Wieder lächelte sie mich an, höchstens einen Meter von mir entfernt.
Ihre Reaktion kam so schnell, dass ich kaum die Bewegung wahrzunehmen imstande war,
geschweige denn auszuweichen. Mit einer kraftvollen Drehung der Körperachse schlug sie
mir die geballte Faust in den Magen, sodass ich wie ein Klappmesser nach vorne kippte
und nach Luft schnappte. Der zweite Schlag verfehlte mich weitgehend, traf mich nur mit
ziemlicher Wucht an der Schulter. Dann sprang Katharina blitzschnell einen Schritt zurück,
wieder in dieser Körperhaltung, die für mich irgend etwas mit asiatischer Kampfkunst zu tun
haben schien.
Ich rang nach Luft und musste eingestehen, dass diese Frau mächtig viel Kraft und Training besaß. Offenbar wusste sie ganz genau, wo es richtig weh tat, wenn sie zuschlug.
Noch nie zuvor war ich von einer Frau geschlagen worden, schon gar nicht so gezielt. Die
Wirkung war nicht nur da, sondern sie verstärkte sich auch noch, ließ mir die Knie zittern,
meinen Atem rasseln und mich keuchend schwanken.
Ich hielt mir den Bauch und starrte sie an, wie sie da so zwei kleine Schritte vor mir stand
und mich genau beobachtete, auf meine Reaktion wartete.
"Hast du ... hast du `ne Macke ...?“ Brachte ich endlich mit heiserer Stimme mühsam
hervor, doch Katharina reagierte nur kühl und gelassen, ohne ihre aufmerksame Wachsamkeit mir gegenüber aufzugeben.
"Niemand ... niemand nennt mich ein Miststück."
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Ich atmete tief durch, versuchte meine männliche Würde zurückzugewinnen, denn zum
Narren hatte ich mich ohnehin schon gemacht. Aber mich jetzt auch noch von einer Frau
außer Gefecht setzen zu lassen, schwer atmend vor ihr zu stehen, fast auf den Knien, nur
weil mich meine Beine kaum noch tragen wollten, diesen Triumph wollte ich ihr nicht geben.
Zum Glück konnte ich mich schon wieder fangen.
"Was wolltest du hier?"
Katharina kam mit kalter Stimme auf den Ausgangspunkt zurück, riss mich aus meinem
verletzten Stolz heraus. Ich musste noch einmal tief durchatmen, um antworten zu können.
"Ich ... ich will mit dir reden", quetschte ich mühsam gefasst hervor, "ich ... finde du bist mir
eine Antwort ... schuldig ...“
"Ach ja ...?“
"Ja, das finde ich."
"Wieso?"
Ich konnte es nicht fassen, dass diese Frau sich so unverschämt gab, so naiv und ignorant.
Nicht ich, so meinte ich, schuldete ihr eine Erklärung, sondern umgekehrt. Schlagartig
brandete richtig wilde Wut in mir hoch und dass, was ich eigentlich nicht gewollt hatte,
passierte nun doch mit mäßigem Erfolg.
Ich flippte regelrecht aus vor Empörung, machte einen entschlossenen Schritt auf sie zu.
Keine Ahnung, was ich wirklich tun wollte, denn das geschah nicht geplant oder mit
Überlegung. Schlagen wollte ich sie bestimmt nicht, aber ich suchte einen Weg meinem
verletzten Stolz einen Ausdruck zu verleihen.
Was dann aber geschah, konnte ich nicht einmal erklären, geschweige denn nachvollziehen.
Katharina machte eine kaum erkennbare Ausweichbewegung, und gleichzeitig einen halben Schritt auf mich zu, die Unterarme vor dem Oberkörper und dem Gesicht überkreuzt.
Sie bekam irgendwie meinen Arm oder Handgelenk zu fassen, und dann passierte es.
Für eine Sekunde glaubte ich mein Handgelenk würde brechen, so intensiv war der
Schmerz. Dann flogen mir die Beine unter dem Körper weg, die Welt um mich herum geriet
ins Schleudern, ich verlor jeden Halt, spürte einen weiteren stechenden Schmerz in meiner
Schulter, krachte schwer auf den Boden, und fand mich bäuchlings auf dem Boden wieder,
während Katharina meinen Arm mit fast grotesker Verdrehung am Handgelenk fest nach
oben hielt, wie in einem Schraubstock.
Wie es passiert war, was sie genau getan hatte, - ich wusste es nicht.
Sicher war nur, dass ich völlig wehr- und hilflos am Boden lag, intensiven Schmerz in
meinem Arm und allen seinen Gelenken spürte und mit rasender Angst glaubte, dass es
nur einer winzigen, kleinen weiteren Bewegung bedurfte, um ihn mit lautem Knacks brechen zu lassen.
Ich keuchte, ich wimmerte vor Schmerz und auch vor Demütigung, versuchte eine Sekunde
lang mich zu befreien. Doch jede Bewegung, so gering sie auch sein mochte, potenzierte
diesen Schmerz ins Unglaubliche, kaum erträglich.
"Ich an deiner Stelle würde aufgeben", Katharinas Stimme klang ganz ruhig und fest, von
grimmiger Entschlossenheit untermalt. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie nicht zögern
würde, mir noch wesentlich mehr Demütigung und Schmerz zuzufügen.
Also stimmte ich wütend knurrend, aber resignierend zu, was sie dazu veranlasste meinen
Arm langsam loszulassen, was aber noch einmal eine Schmerzwelle durch alle Gelenke
jagte. Ich lag auf dem Boden, stöhnte und atmete schwer, während Katharina geschmeidig
einen Schritt zurücktrat. Aus meiner liegenden Position konnte ich sehen, dass sie nicht die
Spur angestrengt wirkte, sondern lediglich wachsam und vorsichtig.
Ich versuchte erst mal herauszufinden, ob ich mich ernsthaft verletzt haben könnte, ob
noch alle Gliedmaßen an ihrem Platz waren, denn ich war mir dessen nicht sicher. Diese
Frau beunruhigte mich in jeder Sekunde mehr, denn sie war unübersehbar in der Lage mir
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eine vernichtende Niederlage zu bereiten, wenn es darauf ankam. Mein aufgeflammter
Zorn war längst in sich zusammengebrochen.
Ich hatte keinerlei Interesse mehr, ihr ebenfalls eine Lektion zu erteilen.
Also suchte ich meine Beine, zog sie vorsichtig an den Körper heran, stemmte mich mit den
Armen hoch und kam schwer atmend auf die Beine.
"Also, was willst du hier?"
Katharinas Stimme verriet mir, dass sie wesentlich angespannter war, als es ihr Äußeres
verriet. Meine dagegen zeigte ganz deutlich, dass ich mich gerade hatte vorführen lassen,
unsicher und ein wenig heiser.
"Ich will ... mit dir reden ...“
"Das sagtest du schon."
"Ich finde, du bist mir eine Erklärung schuldig ...“
"Oooh“, der Sarkasmus in ihrer Stimme war unüberhörbar, und ein schneller Blick zeigte
mir, dass sie hämisch grinste, offenbar sehr zufrieden mit sich war, weil sie die Situation
voll unter Kontrolle hatte, ganz im Gegenteil zu mir. "Du meinst, weil ich unsere Verabredung nicht eingehalten habe ...“
"Allerdings ... ganz recht“, ich fing an mich zu fragen, in welcher schlechten Komödie ich
hier eigentlich mitspielte. Wahrscheinlich wäre es jetzt klüger gewesen, den geordneten
Rückzug zu beginnen, statt sich hier auf einen weiteren Disput einzulassen, der praktisch
nur zu Nichts führen konnte.
„Hast du dein Geld nicht zurückgekriegt?“
„Ich scheiß auf das Geld“, ich schnaubte verächtlich, „das ist ... ist ...“
"Und warum glaubst du, dass du deswegen das Recht hast ...“, jetzt schwankte ihre
Stimme doch ein wenig, "mich schlagen ... angreifen zu dürfen ...?“
"Ich wollte dich nicht schlagen ...“
"Ach ja ...?“
"Nein ... das wollte ich wirklich nicht ...“ Ganz sicher war ich mir meiner Antwort wirklich
nicht. Vielleicht verdrängte ich die Wahrheit, aber eigentlich hatte ich noch nie eine Frau
geschlagen. Das zumindest konnte ich mir zugute halten.
"Niemand nennt mich ein Miststück“, zischte Katharina mich an, "und niemand tritt mir zu
nahe ... ohne dass ich es will ...“
"Ich wollte dich nicht ...“
„Ja, das habe ich verstanden“, täuschte ich mich, oder schwankte da eine gewisse
Unsicherheit in ihrer Stimme mit, weil sie sich jetzt doch fragte, ob sie nicht einen Schritt zu
weit gegangen war. "Was willst du dann hier?"
"Ich will ... ich will eine Erklärung", noch immer klang meine Stimme, als trüge ich eine
schwere Last, doch vermied ich jede Bewegung, die Katharina als einen Angriff auslegen
konnte, denn dieser eine Niederschlag hatte mir vollkommen gereicht. "Ich will wissen,
warum ... warum du dich erst für`s Wochenende mit mir verabredest ... und mich dann ...
vor allen lächerlich machst ...“
"Ich habe dich lächerlich gemacht?" Katharina schnaubte verächtlich und machte einen fast
drohenden Schritt auf mich zu, verhielt dann aber mit offen gespieltem Erstaunen, "oh ...
ich verstehe, der ... smarte Künstler hat eine Abfuhr erhalten ... Alle haben sich gefragt, wo
denn seine schicke Frau geblieben ist, die er ... die er an diesem Wochenende seiner
Sammlung einverleiben wollte ... und ...“
"Das ist doch Blödsinn!"
"Wieso, weil du keine Chance hattest, mit mir anzugeben?"
"Ich wollte nicht mit dir angeben."
Zumindest in dem Punkt wusste ich ganz genau, dass das nicht wirklich der Wahrheit
entsprach. Zwar wollte ich das jetzt nicht zugeben, aber es stimmte beinahe schon, was sie
vermutete.
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Katharinas Gestik, ihre Mimik und Stimme quollen förmlich über vor Hohn.
"Vielleicht ist unser gutaussehender, smarter Künstler doch nicht so unwiderstehlich",
suchte sie meine Demütigung noch zu verstärken, "vielleicht sind die Frauen doch nicht so
hinter ihm her ... wie er immer glaubt. Seine neue Eroberung ... hat ihm jedenfalls einen
Korb gegeben."
Darauf wusste ich nichts mehr zu sagen, und wollte es auch nicht. Viel zu eindeutig hatte
Katharina durch KO in der ersten Runde diese Auseinandersetzung gewonnen.
Da gab es nichts zu deuten.
Was diese Frau aus meiner Offensive gemacht hatte, war die Demütigung schlecht-hin.
"Bravo", stieß ich mit gepresster Stimme hervor und knirschte mit den Zähnen, "du hast ...
eine große Vorstellung gegeben ... Du bist der Star ... der Star mit seiner Arroganz und ...
und deiner beschissenen Sonnenbrille ...“
Ich hatte abweisende Herablassung, vielleicht sogar Zurückweisung erwartet und befürchtet. Es wäre mir egal gewesen, dass sie damit endgültig meine Niederlage besiegelt hätte.
Doch die Wirkung meiner Worte war eher verblüffend.
Statt einem spöttischen Lächeln wurde Katharinas Gesicht von großem Ernst beherrscht.
Eine Sekunde lang dachte ich daran, das genauer zu ergründen, doch ich hatte meiner
Meinung nach genug gehört. Ich brauchte das nicht, mich hier noch mehr zu blamieren,
mich noch weiter vorführen zu lassen. Was immer Katharina bewogen haben mochte, mich
derart zu behandeln. Jetzt sollte sie das mit sich selber ausmachen. Mich würde sie hier nie
mehr wiedersehen.
Ohne ein weiteres Wort wandte ich mich um, um die Wohnung zu verlassen.
Doch ich kam nur bis zur Tür.
"Entschuldige bitte ...“ Katharinas Stimme klang plötzlich erstaunlich weich, nachgiebig und
betroffen, "es ... es tut mir leid ... Ich wollte dich nicht verletzen ...“
"Was?!" Das riss mir fast erneut die Beine weg, war wie noch einmal vor den Kopf gestoßen werden. Ohne dass es irgendeine sichtliche oder erkennbare Begründung gab, schien
sich plötzlich wieder die gesamte Situation zu verändern.
Oder war das nur ein erneutes Spiel um mich noch weiter zu Boden zu werfen?
Ich wusste es nicht, - aber immerhin blieb ich jetzt erst einmal stehen. In meinem Kopf
brannte es wie Feuer, meine Gedankenwelt war völlig durcheinander, ein einziges Chaos.
Was ging hier bloß vor, wieso gelang es mir nicht wenigstens einen kleinen Teil Kontrolle
über die Situation zurückzugewinnen?
Was konnte Katharina dazu bringen, dieses böse Spiel mit mir zu treiben?
Ich ahnte Schlimmes, wollte dem, was ich gehört hatte, nicht blind vertrauen. So wandte ich
mich ganz langsam um.
Das Gesicht mit gegenüber zeigte tatsächlich großen Ernst und Betroffenheit, wechselte
unter meinem Blick von blass zu rot.
"Soll ... soll das ein Witz ... oder ... oder ein schlechter Scherz sein?" Meine Stimme klang
viel heftiger und aggressiver, als ich das eigentlich wollte, - doch entzog sich das weitgehend meiner Kontrolle.
Katharina zuckte leicht zusammen, machte jedoch keine Anstalten zu ihrem spöttischen
Ton zurückzukehren. Sie holte tief Luft, atmete kräftig durch und setzte dann erneut zum
Sprechen an.
"Du ... du bist jetzt ... richtig sauer ... auf mich ... was?"
"Nein“, höhnte ich ätzend, „... ich bin unglaublich glücklich ...“, ich wollte noch höhnischer
werden, fragte mich dann aber, was das bringen sollte, „natürlich bin ich sauer ... wieso
auch nicht?“
Meine Stimme klang noch immer viel aggressiver, als ich das wollte. Ich war voller Misstrauen, erwartete jede Sekunde einen erneuten Verbalangriff und eine heftige Niederlage.
Doch es kam ganz anders.
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"Willst du mit ... mit mir darüber reden ...?“
"Was?!"
"Wollen wir ... darüber reden?"
"Du willst ...“
"Ja ... es tut mir leid ... lass uns reden ...“
Ich konnte es nicht fassen oder glauben. Diese Frau musste völlig verrückt sein.
Was für ein Spiel lief hier, das ich offenbar nicht durchschaute?
Katharina seufzte ein wenig theatralisch, stützte den Kopf in die linke Hand. Dabei fiel mir
erneut auf, dass sie noch immer ihre dunkle Sonnenbrille trug. Ihr kleines Lächeln auf den
Lippen machte mich mehr misstrauisch, als sicherer.
Was immer sie hier auch jetzt wieder planen mochte, ich würde auf der Hut sein.
Wenn ich jedoch bisher den Eindruck gehabt hatte, sie habe die volle Kontrolle über diese
Auseinandersetzung, so war dies offenbar nicht ganz richtig.
"Wollen wir hier im Flur stehen ...“, fragte Katharina unsicher, "oder ... gehen wir in die
Küche ...?“
"Was ...?“
"Ich meine ...“, sie war jetzt offensichtlich wesentlich unsicherer als vorher, geradezu völlig
aus dem Konzept gebracht, dass sie sich blitzschnell zurechtgelegt haben mochte, als ich
in der Wohnung auftauchte, "ich meine ... es wäre doch gemütlicher ... wenn wir ... in der
Küche ...“
"Gemütlicher?"
Es war nicht gerade ein Zeichen von Klugheit, ihre Worte einfach nur zu wiederholen, aber
im Moment fiel mir nichts Besseres ein.
"Also ...“
„Sag mal ... spinnst du?“
„Nein, wieso?“
"Du hast vielleicht Nerven ...“
"Dafür bin ich bekannt ...“
Sie grinste mich offen an und beinahe wäre ich ihr zu Füßen gesunken, versöhnt und
erneut in ihren Bann gezogen. Im letzten Moment schaffte ich es noch einmal mich diesem
Impuls zu entziehen.
"Du hast sie doch nicht alle ...“
"Wieso?"
"Du tust gerade so ... als ... als wäre nichts passiert", ich fing schon wieder an empört und
laut zu werden, denn ihre mehr oder wenig gespielte Naivität zerrte regelrecht an meinen
Nerven, "wir waren verabredet ... und du sitzt hier ganz ruhig ... und ... und spielst die
Unschuld vom Lande ... schlägst mich zusammen ... und ...“
"Ich habe dich nicht zusammengeschlagen."
„Doch, das hast du ...“
„Hab ich nicht“, beharrte sie ruhig, „wenn ich dich zusammengeschlagen hätte, könntest du
jetzt nicht reden ...“
"Doch, das hast du", ich wies ihre begrinste Verneinung meines Vorwurfs zurück, "wie hast
du das ... ich meine ... wie hast du das eigentlich ... gemacht?"
"Aikido", antwortete sie sichtlich selbstzufrieden und grinste noch breiter, „Nahkampfausbildung ... Ich bin gut darin ... auch in Judo oder Karate."
"Das hab ich gemerkt ...“
"Wollen wir das alles hier im Flur besprechen?"
Ich war beeindruckt, wie ruhig und versöhnlich plötzlich ihre Stimme klang. Das hatte ich in
seiner dynamischen Eigenentwicklung der Situation absolut nicht erwartet.
"Ich hoffe, du bist nicht allzu sehr in deinem männlichen Ego beschädigt", wieder begann
da so ein sarkastischer Unterton in ihrer Stimme mitzuklingen, und weil Katharina es sofort
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bemerkte, hob sie abwehrend die Hand, ehe ich wo möglich wieder sauer reagierte, "schon
gut ... schon gut, es tut mir leid ... ich hoffe, du hast dir nicht ernsthaft weh getan."
Ich knurrte irgendeine Antwort und versuchte zu einer Entscheidung zu kommen, ob wir
weiter hier in der Diele unseren Disput führen wollten.
"Du hättest es mir selber sagen können", suchte ich durch einen ruhigen Gegenangriff
wieder einmal etwas Zeit zu gewinnen, "du hättest es mir ... schon gestern sagen können,
dass du nicht mitkommen willst ...“
"Was hätte das geändert ... außerdem wusste ich es da noch nicht ...“
Wieder hatte sie sauber pariert und mir den Wind aus den Segeln genommen.
Was hätte ich tun können?
Ich brauchte Zeit, um das für mich zu klären und irgendwie eine Linie hineinzubringen.
Nahm ich ihr Angebot an, folgte ihr in die Küche, so gab ich praktisch klein bei, überließ ihr
die Initiative und das Feld.
Blieben wir hier in der Diele stehen, wurde es auch nicht besser.
Was also sollte ich tun?
Mir wurde plötzlich bewusst, wie absurd diese ganze Situation war. Ich stand hier vor einer
schönen Frau, in die ich verknallt war, die mich mit einem massiven Fausthieb in die
Magengrube, und irgendeinem asiatischen Kampftrick zu Boden gezwungen hatte.
Jetzt erschien sie mir schon wieder genauso sanftmütig und feminin wie in der Stunde
unserer ersten Begegnung. Mit dieser Frau hatte ich gestritten, ich wollte sie beschämen
und zur Rechenschaft ziehen, weil ich stinksauer auf sie war. Wegen ihr hatte ich mich mit
meinen besten Freunden gestritten, die jetzt wahrscheinlich schon in Bremen auf mich
warteten.
Und eben dieser gleichen Frau stand ich jetzt wie ein kleiner Terrier kläffend gegenüber
und wollte nicht loslassen von dem Streit, der irgendwie keinen rechten Sinn ergab.
Was sollte mir groß passieren?
Wie hätte mich Katharina noch mehr demütigen können, als es ohnehin schon passiert
war?
Warum sollten wir hier mehr oder weniger feindselig in der Diele gegenüber stehen, statt
uns in die Küche zu setzen, um mit Verstand und Vernunft die Unstimmigkeiten zwischen
uns auszuräumen?
Ich stimmte also zu, - und zuerst wusste Katharina nicht so ganz, was ich meinte, oder ob
sie dem Frieden trauen konnte.
Aber dann ging sie voraus in Richtung Küchentür, - und ich folgte ihr mit mindestens dem
gleichen Misstrauen, dass sie in Resten mir entgegen trug.
Vor der Tür blieb sie noch einmal stehen, wandte sich zu mir um.
"Sie hat dir gar nichts ... gesagt?"
"Wer?"
"Maria."
"Was soll sie gesagt haben ...?“
Ich hatte es geahnt, dass Maria mir irgend etwas verschwieg.
"Es tut mir wirklich leid ...“
Selbst Katharinas Stimme klang überzeugend. Offenbar spielte sie kein neues, hinterhältig
gemeines Spiel mit mir. Doch ich war noch sehr weit davon entfernt, irgend etwas zu
verstehen oder in Zusammenhang zu bringen.
"Wieso ... aber wieso hast du das getan?" Ich versuchte meine letzten Zweifel zu
überwinden, "wieso ...?“
"Ich dachte, dass du herumgeschnüffelt ... spioniert ... dass du es gewusst hast."
Jetzt war mir klar, dass ich entweder schwachsinnig oder begriffsstutzig sein musste, - ich
verstand rein gar nichts mehr.
"Und sie ... sie hat dir ... kein Wort gesagt?"
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"Wovon redest du? Ich meine, was meinst du?"
"Ich fange an zu glauben ...“, Katharinas Stimme klang dunkel und belegt, zitterte leicht vor
für mich unerklärbarer Betroffenheit, "dass du wirklich keine ... keine Ahnung hast."
"Sehr nett", damit hatte sie mir wohl erneut einen Tiefschlag versetzen wollen.
Doch ich kam nicht dazu, wütend aus der Diele abzuhauen, ihr und der Küche Adieu zu
sagen, bevor wir sie überhaupt erreicht hatten. Denn Katharina wischte mit einer leicht
ärgerlichen Bewegung meinen aufflammenden Zorn zwischen uns wieder aus dem Weg,
schien sich völlig missverstanden zu fühlen. Sie bekam im letzten Moment meinen Arm zu
fassen und hielt mich fest.
"So habe ich das ... ich meine, ich habe es anders gemeint, Paul“, sagte sie an mich
gewandt leise und senkte den Kopf. Trotzdem sah ich, dass sie sich nervös auf die Unterlippe biss. "Ich dachte, du ... du hast es gewusst ...“
"Was habe ich ... gewusst?"
Katharina hob wieder den Kopf, leckte sich nervös die Lippen. Ich sah, dass sie zitterten.
Irgend etwas machte sie sichtlich betroffen, ließ sie einen inneren Kampf ausfechten. Aber
ich hatte keine Ahnung, was hier los war.
"Paul ...“, ihre Stimme war jetzt fast nur noch ein Hauch und klang gequält. Noch einmal
setzte sie an, atmete tief durch und ließ meinen Arm los, als wolle sie jetzt in diesem
Augenblick keinerlei körperlichen Kontakt mit mir.
"Paul ...“, sagte sie dann leise, "ich ... ich bin blind."
Es traf mich wie ein erneuter Schlag.
Doch war ich mir weder sicher, was sie gerade gesagt oder gemeint hatte, noch ob ich sie
richtig verstanden hatte.
"Was ...?“
"Ich bin blind, Paul ...“, ihre Stimme hatte fast völlig ihren melodischen Klang verloren, hörte
sich wie ein heiseres Flüstern an, schien wie innerlich zerrissen, "ich ... ich kann nicht
sehen."
"Wieso ...?“ Ich glaubte, es richtig verstanden zu haben, aber ich begriff den Sinn ihrer
Worte noch nicht richtig.
Meine Gedankengänge schienen wie gelähmt.
"Eine Erbkrankheit", Katharina zuckte kaum merklich mit den Schultern, "meine Mutter hat
sie auch ... meine Großmutter ebenfalls ...“
"Nein, nein, ich meinte ...“, ich versuchte, trotz der Tatsache, dass ich überhaupt nicht mehr
klar denken konnte, meiner Verunsicherung Herr zu werden, "du ... du kannst gar nichts
sehen ...?“
"Ich bin völlig blind."
Katharina hob den Kopf, versuchte ohne Erfolg die kühle Distanz in ihre Mimik zurückzubringen, aber es gelang ihr nicht recht. Ihr schmerzliches Lächeln traf mich wie tausend
Nadelstiche.
"Aber ... letzten Sonntag ... ich habe ...“
"Ich dachte, du hättest es gemerkt ... oder gewusst ...“
"Wie denn ...?“
"Als Maria mich zum Klo brachte."
"Wieso?"
"Du warst so anders danach ...“
„Ich ...?“
"Ja ...“
"Wieso ...?“
"Ich weiß es nicht ... es war so ein Gefühl ... ich habe es gefühlt ... ich kann es nicht wirklich
... beschreiben ... oder beurteilen ... dazu müsste ich wahrscheinlich sehen können ... Aber
ich hatte das Gefühl ...“
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"Und du bist ... völlig blind?"
Ich wagte das Wort kaum auszusprechen, so erschreckend schien es mir.
"Ja."
"Hast du mich eben ... ich meine vorhin ...“, ich suchte verzweifelt nach den richtigen
Worten, um sie nicht unnötig zu verletzen, aber auch um mich nicht vor meinen eigenen
Worten zu erschrecken, "hast du mich deswegen ... nicht erkannt ...?“
"Ja ... ja, ich ... ich konnte deinen Schritt ... und deine Stimme ...“, Katharina machte ein
paar unsichere Gesten mit den Händen, "ich konnte sie nicht erkennen ...“
"Das ... das kannst du ...?“
"Ja, natürlich ... Maria erkenne ich ... sofort ...“, sie grinste etwas unsicher, „ich dachte erst
... du wärst ein Einbrecher ...“
„Und wenn ...“
„Dann hätte ich versucht, dir ... dir alle Knochen zu brechen ...“
Ich starrte sie an, als versuchte ich den Sinn ihrer Worte aus ihrem Gesicht abzulesen, als
könne ich damit verstehen. Katharina hob ihre rechte Hand, griff langsam an die dunkle
Sonnenbrille - und nahm sie ab. Zuerst fand ich an ihren Augen nicht Ungewöhnliches,
außer dass sie rabenschwarz wie ihr Haar waren, wunderschön dunkel, mit langen seidigen
Wimpern und großen Pupillen. Es dauerte eine ganze totenstille Weile, bis ich begriff, dass
sie ohne jegliches Leben waren, wie kalte schwarze Steine, wie tote Teiche, die ins helle
Sonnenlicht blickten, ohne den Himmel wirklich zu sehen.
"Deswegen trage ich immer die dunkle Brille ... wenn ich weggehe."
Sie setzte sie wieder auf, entzog ihre Augen meinen Blicken. Offenbar hatte sie ihre
Fassung ein wenig wiedergefunden, denn ihr Gesicht wirkte wieder weitgehend kühl und
kontrolliert.
Mir schien, dass sich nicht verändert hatte in den letzten Minuten und Sekunden, - doch ich
ahnte, dass das purer Selbstschutz meines Verstandes war, bis ich die Situation irgendwie
tatsächlich begreifen konnte.
Die Welt war wie ausgewechselt für mich, nicht mehr dieselbe, in der ich vor wenigen
Minuten gelebt hatte.
Da stand diese Frau vor mir, schön wie in den paar Stunden, wo ich sie kennen gelernt
hatte, mit ihrem schwarzglänzenden Lockenhaar, diesen weich sinnlichen Lippen, den feingliedrigen Händen, dieser schwarzdunklen Sonnenbrille vor den Augen. Das war die
Person, die mich so magisch in ihren Bann zog, - und trotzdem war sie nicht mehr die Gleiche wie vorher.
Wir standen im Türrahmen zur unbeleuchteten Küche, in einer nahezu stockdunklen Wohnung, und wussten beide, dass wir etwas sagen wollten und mussten.
Aber ich konnte es nicht.
In meinem Kopf war nur noch ein großes schwarzes Loch.
"Möchtest du ... ich meine ...“, Katharinas Stimme schien die atemlose Stille zwischen uns
fast dröhnend zu übertönen, "ich meine ... wenn du willst, kannst du jetzt ... bleibst du noch
... oder möchtest du jetzt gehen ...?“
Ich suchte verzweifelt nach meiner Stimme.
"Ja ...“, brachte ich mühsam hervor, "ich meine, nein ... ich meine, ja ... ich würde ... hm ...
ich würde gerne ... noch bleiben.“
Das war in diesem Augenblick absolut die Wahrheit.
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4. Kapitel
Es wurde ein sehr langer Abend, der heftig mit einem gesuchten Streit begonnen hatte, zu
einem vorsichtigen Gespräch führte, das erst sehr stockend und abtastend in Gang kam,
und dann aber Ausdruck von Vertrauen wurde, zerbrechlich und voller Behutsamkeit im
wechselseitigen Umgang.
Katharina hatte den ersten Schritt auf mich zu gemacht, mir offenbart, was Maria mir wohl
nicht sagen wollte oder konnte. So war es zunächst ziemlich hart und schwer, sich dieser
Realität zu stellen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie blind war. Ich wollte
möglichst alles darüber wissen. Denn ich ahnte und wusste, dass mich der Gedanke
wesentlich weniger erschrecken würde, wenn ich ihn auf irgendeine Weise erfassen und
verarbeiten konnte.
Doch sie wollte mich erst einmal mit in die Küche nehmen, erstaunte mich nicht die Spur
damit, dass sie das Licht einschaltete, denn das war völlig normal für mich, dass abends in
der Küche Licht brannte. Erst viel später wurde mir klar, dass es zwar wesentlich härter,
aber dafür auch absolut prägnanter gewesen wäre, das Licht nicht anzumachen, denn
Katharina brauchte dieses Licht nicht.
Aber sie wollte mir nicht irgend etwas aufzwingen, mit Druck erklären und nahebringen.
Sie stellte mich stattdessen mit ernstem Gesicht vor die Wahl zwischen Tee und Bier.
Ich stimmte dem Tee zu, denn ich wollte unbedingt einen klaren Kopf behalten. Das gab
mir die erste Gelegenheit etwas zu lernen. Denn als ich sah, wie Katharina etwas mühsam
in dem alten Küchenschrank von Maria suchte, wollte ich ihr diese Arbeit abnehmen.
Doch sie wies das energisch zurück, indem sie mich mit ausgestrecktem Arm aufhielt und
stumm mit dem Finger auf meinen Stuhl wies. Die Tatsache, dass sie seinen Standort sehr
genau kannte, wurde mir dabei erst gar nicht bewusst.
"Ich muss lernen, mich in dieser Wohnung zurechtzufinden“, erklärte sie mir eine Spur zu
heftig, „denn ich habe vor hier mit Maria ziemlich lange zusammenzuwohnen. Und es hilft
mir nicht, wenn du mir helfen willst ... aber trotzdem danke ... für das Angebot ...“
Auf diese Weise erfuhr ich auch gleich, dass es das allererste Mal war, dass sie nicht
Zuhause, bei ihren Eltern lebte. Sie wolle ihre eigenen Erfahrungen sammeln, ihre
Unabhängigkeit erweitern und ausbauen. Wasser kochen, Tee aufgießen und all die vielen
kleinen Handhabungen, die ein eigener Haushalt nun mal mit sich brächten, wären kein
Problem für sie. Sie sagte das so sicher und gleichzeitig spöttisch, dass ich erst gar nicht
wagte, ihr weiter meine Hilfe aufzudrängen. Unabhängigkeit, so ahnte ich, war ihr wahrscheinlich genauso wichtig, wie diese Präzision, die mir schon an dem Sonntag im
"Dammtor" aufgefallen war.
Jetzt plötzlich wurde mir auch der Grund dafür klar. Ohne Präzision würde sie sich niemals
Zigaretten drehen können, - und auf eine ganz kleine, aber durchaus wichtige Weise,
bereits zur Außenseiterin werden.
Ich wusste es nicht, weil ich mir ihr Leben kaum vorstellen konnte, aber ich ahnte immerhin,
dass sie das auf keinen Fall sein wollte. Sie bewies mit ruhiger Gelassenheit und ohne
großes Aufhebens, dass sie völlig problemlos in der Lage war, Tee zu kochen, dass sie
damit gut zurechtkam, wenn sie erst einmal die richtige Dose gefunden hatte.
Ich schaute ihr währenddessen nur schweigend zu, beobachtete sie und versuchte einen
Anfang für unser Gespräch zu finden, das jetzt auf uns zukam.
Schließlich standen die hauchdünnen Teeschalen vor uns, und wir lauschten eine kleine
Weile dem Knistern der Kluntjes-Blöcke, - und in uns hinein.
Wir suchten wohl beide einen Weg für den Beginn.
Ich hatte keine Ahnung, wo und wie ich anfangen sollte.
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So war es Katharina, die sich zunächst einmal für ihr Verhalten mit leiser Stimme entschuldigte. Sie ließ mein Abwiegeln nicht zu, wollte zwar auch nicht zu Kreuze kriechen, aber
aufrichtig erklären, bat mich, ihr zuzuhören.
Sie erzählte mir ein wenig von sich, zunächst von den Gründen, die sie bewogen hatten,
unsere Verabredung abzusagen. Sie hatte geglaubt, ich wisse von ihrer Blindheit, fände
das aufregend, komisch oder auf eine sehr perverse Weise irgend-wie geil.
Einschlägige Erfahrungen habe sie nicht selten erlebt.
Manche Männer fänden es sexuell aufregend, mit einer blinden Frau zu schlafen, - selbst
wenn sie sie menschlich nicht besonders schätzten oder ihr nahestanden. Selten wurde es
mehr, als eine kurze, unbedeutende Episode, die rasch wieder vorbeiging.
Mir war danach zu protestieren, denn ich wollte nicht in eine Schublade mit solchen
Männern gesteckt werden, die einfach gedankenlos durch die Gegend vögelten. Doch ich
hielt meinen Widerspruch sehr flach und allgemein, wollte nicht schon wieder die Spannungen zwischen uns erhöhen.
Vielleicht spürte Katharina das, ich weiß es nicht. Was ich aber deutlich spürte, war ihre
Anerkennung, dass ich jetzt nicht auf diesem Thema herumritt und mich vehement davon
zu distanzieren suchte.
Ich wollte gerne etwas von ihrem Leben erfahren, von ihrer Vergangenheit, ihrer Blindheit
und allem, was mit und um sie vorging.
Doch richtig und offen zu fragen, getraute ich mich noch nicht.
Es war mit einem Mal so friedlich in dieser Wohnküche, so friedlich zwischen uns. Der
Streit und die Missverständnisse, die mich hierher geführt hatten, erschienen mir unglaublich weit weg und lange her. Dass wir eine ganze Weile schwiegen, jeder die ausgesprochenen Worte in sich nachklingen und wirken ließ, störte uns nicht.
Es war eine Erfahrung, die ich sehr genoss, - mit einem anderen Menschen schweigend
zusammenzusitzen, und die Stille nicht wirklich als bedrohlich zu empfinden.
Noch einmal versicherte ich ihr nach einer Weile, dass ich keine Ahnung gehabt hätte, dass
sie blind sei. Maria habe nichts verlauten lassen. Aber ich gestand ihr auch ehrlich, dass ich
gefühlt habe, dass sie mir etwas sagen wollte, was sie nicht konnte oder wollte.
"Das war eine meiner Bedingungen für unser Zusammenwohnen“, entgegnete Katharina
leise und ohne mir ihr Gesicht zuzuwenden, "ich will selbst entscheiden, wen meine
Blindheit etwas angeht, wann ich es sage ... oder auch wem ... oder auch nicht."
Es hätte vielleicht einiges verständlicher gemacht, aber ob es deswegen anders gelaufen
wäre, konnte ich nicht sagen. Ob ich ohne Vorurteile oder Bedenken diese Verabredung
ausgesprochen hätte, konnte ich für mich nicht ausschließen. Ich wusste nicht einmal zu
sagen, ob ich den Sonntagabend mit ihr derart genossen hätte, wenn ich von ihrer Blindheit
gewusst hätte.
Beschwören wollte ich das absolut nicht, denn dazu war die Situation einfach zu neu für
mich, zu unvertraut. Aber ich hatte seltsamerweise keine Angst, dies vor ihr zuzugeben.
Katharina wandte mir ihr Gesicht zu, sehr ernst und gefasst, dann lächelte sie leicht.
"Erinnerst du dich, wie wir uns kennengelernt haben?“ fragte sie mich, und ich musste
ebenfalls lächeln. Wie hätte ich das vergessen können. Es war schließlich der Ausgangspunkt von diesem Abend hier in der Küche. Ich hatte mir zwar die gesamte Entwicklung
anders vorgestellt, aber das spielte jetzt keine große Rolle mehr. Wenigstens saßen wir
friedlich zusammen.
"Du hast mich anfangs gar nicht beachtet“, hielt Katharina mir etwas gespielt empört vor,
"du warst so sehr an Maria interessiert ... und hast gegen eine Traurigkeit angekämpft, die
diese Frau betraf, mit der du vorher zusammen warst. Nein, nein“, sie lachte zum ersten
Mal hell und melodisch auf, seit wir in der Küche zusammensaßen, "ich habe nicht
gelauscht, aber ich konnte ja auch nicht die ganze Zeit weghören. Für dich saß ich ohnehin
nur zufällig mit am Tisch."
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Ich war erstaunt, wie genau sie ohne Sicht des Ablaufs die Atmosphäre und Stimmung
vollkommen richtig erkannt hatte. Katharinas Gesicht strahlte mit einem Mal in einem
unnennbaren Glanz, als sie sich an unseren ersten Abend erinnerte. Ich wollte in diesem
Moment so gerne ihre Hand nehmen und halten, doch ich wagte es nicht, um die schöne
Stimmung zwischen uns nicht zu zerstören.
"Anfangs hattest du keinen Blick für mich“, fuhr sie lächelnd fort, "aber dann hast du endlich
genauer hingesehen“, es war tatsächlich verblüffend, wie genau sie die Ereignisse einzuschätzen vermochte, "du mochtest mich nicht besonders, aber ... ich glaube, du fandst
mich interessant. Deine Stimme bekam auf einmal einen ganz anderen Klang ...“
"So was kannst du hören ... ich meine ... den Unterschied ...?"
"Na, klar ... ich mochte diese Stimme“, wieder lachte Katharina hell auf und wurde ein ganz
klein wenig rot vor Verlegenheit, "je mehr du gesprochen hast. Alles was du so gesagt hast,
hat mir gefallen ... und deine Stimme fand ich gut. Nur wusste ich nicht, ob Maria was mit
dir hatte oder haben wollte. Ich wollte ihr nicht in die Quere kommen ...“
"Und das ... das habt ihr ... auf dem Klo besprochen ...?"
"Ja ... stimmt ...“
Wieder lachte sie und trank anmutig von ihrem Tee.
Ich beobachtete ihre Bewegungen und es erstaunte mich, wie sicher sie ihre Tasse handhabte.
"Plötzlich wurde ich eine Frau für dich, die dich mehr als nur interessierte. Ich ... ich habe
gespürt, dass du mich ... mich kennenlernen wolltest. Selbst wenn du mit Maria gesprochen
hast, hast du mich dabei angesehen ..."
"Das hast du gemerkt?"
"Na klar, das habe ich. Dein Interesse an mir war so intensiv, dass ich das selbst dann
noch gemerkt hätte, wenn du zehn Meter von mir weg gewesen wärst“, erstaunt verfolgte
ich, wie sich erneut ihre Wangen vor leichter Verlegenheit röteten, "aber ... ich hatte keine
Ahnung, was ich davon halten sollte. Ich fand dich nett, unterhaltsam, aufmerksam ... und
auch ein bisschen aufregend. Das ... das hat mich schon“, sie senkte wieder den Kopf um
ihr Gesicht vor mir zu verbergen, "... ein bisschen ... nein ... das hat mich wirklich
angemacht ... oder so ..."
Ihr unverblümte Offenheit war zwar sehr erfrischend, aber sie verunsicherte mich auch
zunehmend. Katharina lachte aber nur, als ich einen diskreten Hinweis darauf gab, ihr
sagte, dass ich noch nie eine Frau getroffen hätte, die so offen darüber reden würde - und
könnte.
"Ich habe gar keine andere Wahl“, Katharina errötete erneut und mied es, mir ihr Gesicht
zuzuwenden, "ihr Nichtblinden könnt auf alle möglichen Arten Kontakt aufnehmen ... und
flirten ... Ihr seht euch an ... schickt einen neugierigen Blick ... lächelt jemandem zu und
seht sofort, wie er reagiert ... Ich kann das nicht ... und manchmal bedauere ich das. Wenn
mir die Stimme ... und die Ausstrahlung von einem Mann gefällt ...“, sie zögerte sichtlich es
offen auszusprechen, "dann muss ich das ... ganz deutlich machen ... denn ich sehe nicht
... wie und ob er reagiert ... Ich muss sagen ... was ich von ihm will ... Sonst kriege ich
keinen ... Kontakt ..."
"Ich kenne trotzdem keine Frau, die so offen ..."
"Paul ... ich bin tatsächlich nicht ... wie andere Frauen ..."
Sie lachte verlegen, und ich war erneut beeindruckt über ihre Offenheit, die sie aber sofort
spürte. Mit sicherer Hand fand sie plötzlich meine auf dem Tisch, ohne dass ich auch nur
ahnte, woher sie wissen konnte, wo sie da lag, und umfing sie warm mit ihrer Hand.
"Heute ist das wieder anders“, offenbarte sie mir lachend, “ich weiß wieder nicht, was ich
davon halten soll. Ich fühle mich hin und her gerissen ... dieser ganze blöde Streit ... die
Missverständnisse ... Aber ich fühle mich wohl in deiner Nähe ... ich habe keine so große
Angst mehr, mich dir zu nähern ... ich meine ... so ein bisschen Nähe zuzulassen ..."
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Ihre Offenheit verblüffte mich immer mehr und sie berührte mich, ließ ganz zarte Saiten in
mir anklingen, - aber es verunsicherte mich auch.
Am liebsten hätte ich Katharina in diesem Moment in den Arm genommen, auch um
überhaupt irgend etwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte, das mir Sicherheit
gab.
Auch das schien sie sofort zu spüren, denn sie ließ lächelnd meine Hand los und schenkte
uns beiden, sehr geschickt Tee nach. Für einen Augenblick hatte ich fast das Gefühl, als
wolle sie Zeit gewinnen, die Dinge nicht zu sehr forcieren.
Ich hingegen bedauerte beinahe, dass sie meine Hand losgelassen hatte.
Doch wie auf ein unsichtbares Zeichen hin nahm sie sie erneut, und wandte mir mit voller
Aufmerksamkeit ihr Gesicht zu.
"Kannst du ... kannst du das verstehen“, fragte sie mich mit leiser Stimme, "dass ich trotzdem ... oder gerade deswegen ... ich meine, dass ich dich versetzt ... und unsere
Verabredung nicht eingehalten habe?"
"Ich weiß es nicht ... ehrlich gesagt, ich weiß es nicht so genau ...“
"Paul“, Katharina kam mit ihrem Gesicht dem meinen sehr nahe, "ich weiß nicht, ob ich
eine Beziehung zu dir will ... ob ich es mit dir versuchen will ... Ich würde gerne, aber ...
aber ich hab auch Schiss ..."
Wieder saßen wir eine ganze Weile da, tranken Tee, hingen unseren Gedanken und
Gefühlen nach, lauschten auf unsere Empfindungen. Und wieder empfand ich dieses
Schweigen keineswegs als bedrückend. Die vorübergehende Stille war Balsam für uns,
denn noch war es nicht allzu lange her, dass diese Frau mich geschlagen und auf eine
nicht genauer erklärbare Weise zu Boden gezwungen hatte. Im Moment gab es nichts zu
sagen oder zu tun. Wir hielten die Stille zwischen uns, fühlten uns wohl und nahe, obwohl
uns tatsächlich der Tisch, der zwischen uns stand, räumlich voneinander trennte. Wir
tranken Tee, ohne irgendwelche Anforderungen aneinander zu stellen. Stundenlang hätte
ich so mit dieser Frau in der Küche sitzen können, mit einer neuen Art Glücksgefühl im
Bauch, das nicht meiner Gefühlseuphorie entsprang, sondern völlig neu für mich war.
Echt und real, auf eine ganz seltsame, bisher unbekannte Weise.
Ich konnte mich nicht erinnern, Ähnliches je mit einem anderen Menschen erlebt zu haben.
Das Open-Air-Konzert auf den Weserwiesen war in diesen Minuten so unwichtig und fern
von uns, dass wir - und besonders ich - nicht einen Gedanken an die Freunde verschwendeten, die dort auf uns warten mochten. Vielleicht hatten sie längst jede Hoffnung aufgegeben, dass wenigstens einer von uns noch kommen könnte.
Doch unleugbar begann dort auch etwas, was ich weder zeitlich, noch inhaltlich erfassen
konnte. Ein Gefühl, das etwas mit Vertrautheit, Vertrauen, Zuversicht und Offenheit zu tun
hatte, die uns alle beide erfassten, die uns beiden unausgesprochen das Gefühl gaben, uns
schon seit Jahren zu kennen, voll der Gewissheit, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis
wir uns begegnen oder über den Weg laufen würden.
Ich hatte immer daran geglaubt, dies aber nie offen ausgesprochen, dass ich eine Frau, die
ich wirklich lieben würde, beim ersten Anblick erkennen konnte.
Wahrscheinlich hätte ich das damals nicht so in Worte fassen können, aber es war so. Auf
eine nicht erklärbare Weise waren Katharina und ich uns vertraut, füreinander offen. So
entstand zwischen uns eine Basis, in der wir wahrscheinlich alles hätten sagen und
erzählen können, was wir niemand anders anvertraut hätten.
Wann wir genau anfingen, uns etwas darüber zu erzählen, weiß ich nicht mehr. Ohnehin
war es Katharina, die damit den Anfang machte. Bei mir war der Auslöser eine erste und
dann zahllose weitere Fragen, zu ihrem Leben, ihre Art mit ihrer Blindheit umzugehen, wie
sie damit zurechtkäme. Wie sie ihren Arbeitsplatz gefunden hatte und alles, was mir an
diesem Abend noch so einfiel. Ich weiß nicht genau warum, aber sie ließ mich einen Einblick nehmen, der für die wenigen Stunden, die wir uns kannten, völlig ungewöhnlich war.
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Vielleicht war es ein wenig taktlos oder zu neugierig, ihr solche Fragen zu stellen, aber ich
wollte etwas über Katharinas Leben erfahren, das mir so gänzlich unbekannt war. Ich wollte
neugierig etwas über sie erfahren, über diese junge Frau, die quasi aus dem Nichts am
Sonntagabend in mein Leben getreten war. Natürlich lebte oder wohnte sie auch in der
gleichen Welt wie ich, aber für sie existierte eine Zweite, die ich nicht zu betreten und zu
erleben imstande war.
Zuerst war ich noch sehr vorsichtig, nachdem wir unser Schweigen in unausgesprochenem
Einverständnis unterbrachen. Ich wollte wohl versuchen ein wenig unbemerkt in ihre Welt
und ihr Leben einzudringen. Sicherlich auch, weil genau diese Faszination an dieser Frau
wieder da war, die mich schon in den ersten Stunden unseres Kennenlernens so gefesselt
hatte. Dabei fiel es mir schwer, ihr gegenüber von ihrer Blindheit zu sprechen.
Doch sie lächelte mich an, ermutigte mich, fand meinen Gedanken völlig richtig, dass einen
nur Unbekanntes nachhaltig Angst machen konnte. Sie gab mir das Gefühl, dass sie es
schätzte, dass ich mich dafür interessierte. Gerade durch dieses unerklärbare Gefühl der
rasant wachsenden Vertrautheit schien es ihr keinerlei größere Schwierigkeiten zu bereiten,
mir von ihrem Leben zu erzählen.
"Du willst wissen, wie es ist blind zu sein?“
"Nur, wenn du darüber reden willst ...“
"Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will“, Katharina lachte, "aber ich weiß, dass ich dich
gerne ein Stück ... in mein Leben lassen würde ... Aber ich weiß nicht, wie ich es erklären
soll, wenn du blind bist. Ich habe ja keine Vergleichsmöglichkeiten."
Das leuchtete mir ein, und ich wollte schon nicht weiter in sie dringen, aber sie erzählte mir
von sich, aus eigenem Antrieb. Sie ließ mich deutlich spüren, dass sie es so wollte, dass
ich wenigstens die Chance bekam, ihre Welt, ihr Leben, das so viel an Organisation und
Klarheit brauchte, ein wenig zu verstehen. Für mich gab es eine Menge Unverständlichkeiten, Unbegreifliches, so viele Geheimnisse an ihr.
Es reizte mich reizte ungeheuer mehr darüber zu erfahren.
Zudem war ich noch nie einem blinden Menschen persönlich begegnet, schon gar nicht
einer Frau, die mich so faszinierte und anzog, - was es sicherlich nicht gerade leichter für
mich machte. Ich hatte keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, keine Erfahrungen, nicht einmal
mit andersartig Behinderten.
Erst in kleinen Sätzen, dann immer flüssiger, als wäre der Damm gebrochen, begann
Katharina zu erzählen.
Sie hatte wegen ihrer Geburtsblindheit von vielen Dingen des Alltags und des Lebens
überhaupt keine oder nur sehr ungenaue Vorstellungen, wie zum Beispiel von Licht und
Farbe. Das waren Begriffe, die ihr sehr wenig sagten. Nur, was sie mit den Fingern "sah",
das konnte sie erkennen und wahrlich begreifen, im engsten Sinn des Wortes. Aber die
großen, untastbaren oder unstofflichen Dinge, waren und blieben stets mit einem großen
oder kleinen Rest Geheimnis und Unkenntnis verbun-den.
Ein Baum, zum Beispiel, sei groß für sie, erklärte sie mir. Doch konnte sie ihn anfassen,
seinen Geruch aufnehmen, seine raue Rinde unter den Händen spüren, vom Geräusch
seiner Blätter auf die Größe seiner Krone schließen. Teilweise konnte sie auf diese Weise
sogar verschiedene Bäume unterscheiden, allein nach dem Geräusch der Blätter, wenn der
Wind sie bewegte, - das hatte sie mühsam gelernt.
Eine Kastanie, so erklärte sie mir, klinge völlig anders, als eine Birke oder Pappel.
Schon das war für mich sehr schwer nachvollziehbar, auch weil ich mir noch nie darüber
Gedanken gemacht hatte. Wenn ich die Augen schloss, mich an die Geräusche von
Bäumen und ihrer Blätter zu erinnern suchte, - dann war da nur Schweigen. Aber es war
auch ein Anreiz für mich, das selber einmal auszuprobieren, es so zu begreifen.
Sie erzählte noch mehr von sich, als sie mein großes Interesse bemerkte, schien überhaupt
keine Furcht mehr zu haben, sich mir zu offenbaren.
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Doch es war schwer, Worte nachzuvollziehen.
Natürlich konnte ich einfach die Augen schließen und mir versuchen vorzustellen, ich wäre
blind. Aber ich sah trotzdem alle möglichen Dinge vor meinem geistigen Auge, die ich aus
Erfahrung kannte. In meinem Kopf waren zahllose Bilder und Erinnerungen an gesehene
Dinge des Lebens, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, wie es sein könnte, diesen
Gedächtnisspeicher nicht zu besitzen, keinerlei Bilder in der Erinnerung zu haben.
Katharina hatte dies alles nicht, kannte nur das vollkommene Dunkel um sich herum, das
ihr in seiner detailliert inhaltlichen Substanz entweder vertraut, oder mehr oder weniger
fremd war. Das bedeutete aber nicht, wie sie mir versicherte, dass sie keine schönen
Erinnerungen habe. Sie habe Unzählige davon gespeichert, aus Gerüchen, Geräuschen,
aus Tasten, Hören und Schmecken. Nur hätten die eine viel intensivere Bedeutung für sie,
als für Sehende.
Oh ja, sie hatte sich mit der Welt der Nichtblinden befasst, sogar ausgiebig. Sie verstand
durchaus, dass sie die Blindheit als eine schwere Behinderung begriffen, was vielleicht
nicht einmal völlig falsch wäre.
Andererseits könne sie sich aus ihrer Auseinandersetzung mit der Welt der Nichtblinden
durchaus vorstellen, dass wir ständig abgelenkt würden von visuellen Reizen. Daher
könnten wir kaum das Geräusch einer Kastanie, von dem einer Pappel unterscheiden. Die
meisten von uns könnten ja nicht einmal den Geruch einer Toreinfahrt von dem einer
Garage unterscheiden, geschweige denn einer viel befahrenen Garage.
"Ich kann das, ohne Probleme ... Ich kann sogar erriechen, ob da vor kurzem ein Auto
herausgefahren ist ...“
Sie konnte auch dieses Auto hören, erzählte sie mir, wenn es zum Beispiel aus einer
Tiefgarage führe, und noch nicht zu sehen sei. Einmal hatte sie sogar eine Frau vor einer
Garagenausfahrt zurückgerissen und vor dem Überfahren bewahrt, weil die nicht gehört
hatte, dass da aus der Tiefe ein Wagen in ziemlicher Geschwindigkeit nach oben gefahren
kam.
"Nichtblinde verlassen sich meistens absolut auf ihr Sehen ... und sind blind für Gefahren,
die direkt auf sie zukommen, nur weil sie die nicht sehen können, weil sie ... nicht in ihrem
Blickfeld sind ...“
Als Katharina erst einmal angefangen hatte, war sie kaum noch zu bremsen.
Dabei blieb sie stets aufmerksam für ihre Umgebung, schenkte uns Tee nach, bekam sogar
so viel Vertrauen, dass sie wortlos ihren Stuhl nahm und ihn um den Tisch herum neben
meinen setzte. So war sie mir nicht nur emotional näher, als zuvor. Manchmal ergriff sie
meine Hand, drückte sie, dann ließ sie sie wieder fast ein wenig verlegen los, - nur um sie
kurz darauf erneut in ihre zu nehmen.
Sie begann mir von ihrer schweren und vielseitigen Ausbildung zu erzählen, die sie
gemacht hatte, von ihrem Mobilitäts-Training, in dem sie viel über ihre anderen Wahrnehmungsfähigkeiten gelernt hatte. Bei Nichtblinden, so erklärte sie mir, wären diese Fähigkeiten nicht verkümmert, aber weitgehend inaktiv.
Sie selbst musste sich eine regelrechte Hochsensibilität antrainieren, um ihr Ziel, mit dem
Leben und dem normalen Alltag besser klarzukommen, zu erreichen. Nur wenn sie unbedingt musste, nutzte sie einen Blindenstock, der zwar praktisch war, aber sie auch für alle
Menschen sichtbar, zu einer Außenseiterin stempelte. Dabei war es völlig irrelevant, ob sie
das wollte oder nicht.
"Ich hatte keine Wahlmöglichkeit, "erläuterte sie mir, "und ... und damit war ich in meinem
ganzen bisherigen Leben nicht einverstanden. Ich wollte immer frei entscheiden können,
wer über meine Blindheit Bescheid wissen sollte ... und wer nicht ...“
Also musste sie lernen auf den weißen Stock zu verzichten, wann immer er nicht unbedingt
nötig war. Ein Blindenabzeichen, oder gar eine Blinden-Armbinde kam für sie folgerichtig
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nicht einmal in Betracht. Sie wollte so sein, wie alle anderen Menschen, die sie kannte,
auch wenn das am Anfang ihres Lebens nahezu allein Blinde waren.
"Nur ich ... ich war nie ... nie wie alle anderen ... bin ich heute noch nicht ...“
Durch Training und Konzentration hatte sie eine Perfektion in vielen Dingen erreicht, die
Nichtblinde weder nachvollziehen, noch nachmachen konnten. Immer wieder, so erzählte
sie mir, hatten sehende Menschen es als nahezu unfassbar und erstaunlich bezeichnet,
was sie durch geschickte Lebensführung umzusetzen verstand. Sie konnte feinste Schwingungen, Freude oder Gefahren in einem Raum wahrnehmen, wenn nicht allzu viele
Menschen anwesend waren, wenn es nicht zu viele Wahrnehmungsmöglichkeiten gab.
Verschiedene Blindenberater, Lehrer und Therapeuten hatten sie unterrichtet, ausgebildet
und bestärkt, ihre Fähigkeiten auszubauen geholfen. Auch heute noch ging sie regelmäßig
zum Training und zur Beratung. Aber ohne die Jahre an der Blinden-Universität-Marburg,
so bekannte sie ganz begeistert, wäre sie nicht einmal annähernd soweit gekommen.
Darum wollte sie möglichst wenig Hilfe, wenn es nicht unumgänglich war, wenn sie etwas
selber tun konnte. Denn für sie bedeutete es tagtägliches Training, jede Stunde, jeden Tag,
ohne Pause, immer noch dazulernend.
Ich beschränkte mich mehr und mehr auf Zuhören, denn Katharina erzählte mir sehr viel
aus ihrem Leben.
Zurückdenkend glaube ich nicht, dass es tatsächlich etwas mit einem geheimen Zauber
oder Magie zu tun hatte. Aber zweifellos war da dennoch eine gewisse Magie zwischen
uns, eine Offenheit, die ich noch nie bei einem Menschen erlebt hatte. Mir schien es, als
täte es dieser Frau ungeheuer gut, ihr Leben so vor mir Revue passieren zu lassen, eine
Art verbale Standortbestimmung vorzunehmen, - die sowohl für mich, als auch für sie selbst
bestimmt schien.
Mehrfach machte sie lange Pausen, schenkte Tee nach, lauschte auf das Knacken der
Kluntjes, meinen fast halblaut vorgetragenen Nachfragen, den Schwingungen, die selbst
ich in diesen Stunden deutlich zwischen uns spüren konnte.
So begann ich zu erahnen, wie sie das gemeint haben könnte. Es war eine Art von Zauber,
die uns in diesen Stunden verband, uns geradezu unglaublich nahe brachte.
Manchmal glaubte ich in Katharinas Gesicht fast so etwas wie Verklärung zu lesen, wenn
sie in Erinnerungen versank, die lange zurücklagen, aber nicht vergessen oder verloren.
Da uns längst die Zeit völlig egal geworden war, wurden die Erinnerungen auch immer persönlicher, immer vertraulicher. Ich spürte, wie diese Frau mir ihr Gesicht zuwandte, ohne
dass ich aufsehen musste. Wenn ich es tat, las ich in ihrem Gesicht eine feinsinnige
Konzentration, die unausgesprochene Frage, ob es richtig war, wenn sie mir von dem
Folgenden erzählte. Aber nie dauerte ihr Zögern sehr lange. Nach einer kurzen Pause und
Stille fuhr sie immer weiter fort.
Längst hielt sie nahezu ständig meine Hand, als könne sie daran fühlen, wie ihre Worte auf
mich wirkten.
Und das war auch so, aber das wurde mir erst viele Jahre später klar.
Es schien Katharina richtig schwerzufallen, diese Hand loszulassen, ihre körperliche
Verbindung mit mir zu lösen. Sie tat es nur, weil sie musste, weil sie neuen Tee aufsetzte,
konzentriert und still. Für einen ganz kleinen Augenblick schien sie danach ein wenig ihr
Mut zu verlassen, schien sie einen Hauch von Zweifel zu verspüren, ob es richtig war, dass
sie mir so viel von sich erzählte.
Ich hatte dann den unbestimmten Eindruck, sie habe den Faden verloren, wisse vielleicht
keinen neuen oder alten Ansatz, wie sie den Wiedereinstieg in ihre Schilderungen finden
könnte.
Doch eine einzige kleine Nachfrage von mir setzte sie wieder in die eingeschlagene Bahn,
schien ihr Vertrauen zu mir zu bestätigen, - und sie erzählte weiter von sich. Mir war es
nicht eine Sekunde zu intim oder zu persönlich, was sie mir anvertraute. Ich spürte, wie
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manche Erinnerung sie ganz hauchfein zittern ließ, wie sie die Vergangenheit aufwühlte,
doch tat ich nichts, um sie davon abzuhalten. Früher, als kleines Kind, so erzählte mir
Katharina, habe sie ihr Anderssein gar nicht wahrgenommen oder begriffen, fand das alles
ganz normal. Scheinbar lebten alle Menschen in totaler Dunkelheit, - und so habe sie nichts
vermisst, war glücklich und zufrieden gewesen.
Aber das änderte sich dann ziemlich schnell, als sie in den Kindergarten sollte, wo andere
Kinder von merkwürdigen Dingen sprachen, die allein mit dem Sehen zu tun hatten, etwas, dass sie niemals konnte.
"Ich wusste nicht einmal, was sie meinten“, erklärte sie mir mit leiser, bitterer Stimme,
"wenn sie sagten: Schau mal der kleine Hund ... oder ... Was für wunderschöne Blumen ...
Farben und so ...“
Sie durfte nicht mit anderen Kindern aus dem Viertel auf die gleiche Schule, hörte zum
ersten, aber längst nicht zum letzten Mal dieses Wort hinter sich rufen: Krüppel.
"Es war schrecklich“, Katharinas Stimme war wie ein gehauchtes Flüstern, "andere Kinder
durften ... oder wollten nicht mit mir spielen. Ich konnte mit ihnen keine Ballspiele machen,
denn ich wusste ja nie, wo der Ball gerade ist. Verstecken spielen konnte ich auch nicht mit
ihnen, denn ich hatte keine Chance, die anderen Kinder zu finden. Ich konnte nicht einmal
...“ sie atmete tief und heftig durch, "ich konnte nicht einmal mit ihnen Seilspringen ... denn
ich konnte das Seil nicht sehen ... Und Kinder mögen diejenigen unter sich nicht ... durch
die sie immer verlieren ... in einem Spiel."
Sie schwieg für einen Augenblick, wandte ihr Gesicht ab, damit ich ihre Trauer nicht
herauslesen sollte, - aber ich spürte sie in ihrem festeren Händedruck.
"Sie akzeptierten mich nicht ... sprachen hinter meinem Rücken von mir ... als Monster. Sie
redeten über mich ... aber nicht mit mir ... Sehr schnell existierte ... ich einfach für sie nicht
mehr ... der Krüppel ... das kleine Monster. Für mich ... wurde mit jedem Tag klarer, dass
kein Platz ... für mich in dieser Welt war ...“
Und weil sie das begriffen hatte, wollte sie nicht mehr leben. Sie stellte verrückte Sachen
an, um sich umzubringen, um zu sterben.
Doch da war ihre Mutter, und die war zu ihrem Erstaunen ganz genauso wie sie selbst, die
lebte mit ihr in ihrer Welt. Ihre Mutter widersetzte sich allen Versuchen, sie wegen ihrer
auffälligen Verhaltensstörungen in ein Heim für Behinderte zu geben, wo sie "fachmännisch" maximal betreut und versorgt werden könnte. Dort sollte sie mehr oder weniger
weggeschlossen ein paar simple Handfertigkeiten lernen, kleine, einfache Handarbeiten,
mit denen sie sich später eine Art Taschengeld verdienen konnte.
"Die ... die versuchten Mama klarzumachen ... dass ich ... dass ich nicht lebensfähig wäre“,
die Bitterkeit mit der Katharina auflachte erschreckte mich, "sie waren die Fachleute, die ...
die ... Ach, was soll’s ... Die hatten keine Ahnung von mir, und behaupteten, dass ich krank
wäre, dass so etwas eben vorkäme ... So was gibt´s eben ... da kann man nichts machen ...
Die Kleine muss weggesperrt ... und geschützt werden ... vor sich selbst ...“
Mit ihrer Mutter begann sie den Kampf gegen diese Lebensunlust, und auch zusammen mit
ihrem Vater, - und wirklichen Fachleuten aus der Blinden-Uni, aus dem Blinden-Verein.
Und sie gewannen, langsam, aber stetig. Es begann mit einem Besuch der Grundschule für
Blinde, an der Katharina ihr Basiswissen erlernte, plötzlich Erfolgserlebnisse bekam, die sie
selber nie für möglich gehalten hatte. Sie konnte Wörter lesen, kleine Geschichten,
trainierte alle die Fähigkeiten, die man ihr zuschrieb, die aber auch andere Menschen
besaßen. Sie lernte ihren Tastsinn zu gebrauchen, ihren Geruch, ihre Ohren zum Hören,
die Zunge zum Schmecken.
"Es sieht für Nichtblinde wahrscheinlich völlig bescheuert aus“, lachte sie selbstironisch auf,
"wenn da Kinder mit offenen Augen und offenem Mund staunend vor Schalen mit
irgendwelchen Flüssigkeiten sitzen ... oder an Blättern herumschnüffeln ... oder wenn sie
alles Mögliche in den Mund stecken, um ... um den Geschmack herauszufinden. Man hat
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uns zum Beispiel immer wieder ... an Senf lecken lassen. Das war so gemein ...“, sie
schüttelte sich und verzog das Gesicht vor Widerwillen, "aber die wollten, dass wir unsere
Nase gebrauchten ... und Senf riecht sehr stark und deutlich. Andere Lehrer machten das
mit Rizinus-Öl in der Küche, mit Salz statt Zucker ... Dabei riecht Rizinus-Öl völlig anders ...
als Oliven-Öl ... und ... und wenn du Salz oder Zucker brauchst, kannst du vorher dran
lecken ... dann weißt du`s. Aber durch die negativen Erfahrungen lernten wir viel intensiver
... und schneller. Wenn du ...“, wieder lachte sie ob der Erinnerung, "stundenlang über der
Kloschüssel hängst, weil du Rizinus-Öl an den Salat gemacht hast ... dann schwörst du dir
selber ... dass dir das nie ... nie ... nie wieder passieren wird. Oder wenn du voller Stolz
deinen wunderbaren Schokoladen-Pudding vorführen willst, den du selber angerührt und
gemacht hast, und der ... der ist total versalzen, dass deine Klassenkameraden das Kotzen
kriegen, nur weil du vergessen hast vorher am Zucker zu lecken, dann passiert dir das
höchstens noch ein einziges Mal ... Das kannst du mir glauben ...“
Es war schön, auch die heiteren Erfahrungen ihrer Kindheit zu hören, gemeinsam mit ihr
darüber herzhaft zu lachen, bis uns die Augen tränten.
Es brachte uns wieder ein Stück einander näher, schuf kleine, aber wichtige Verbindungen
zwischen uns. Es war, als würden wir ein immer dichter werdendes Netz zwischen uns
knüpfen. Da machte es dann wenig, dass Katharina sehr rasch wieder zu den ernsteren
Erinnerungen zurückkehrte.
Besonders aber genaues Hinhören, selbst auf scheinbar unhörbare Geräusche oder auf
geistige Geräusche, Schwingungen, kaum hörbare Nuancen in der Stimme eines Menschen, die Nichtblinde maximal unbewusst wahrnehmen, sie aber an die Grenzen ihrer
Möglichkeiten von Wahrnehmungen heran führte, wurde für sie von enormer Wichtigkeit.
Ihre Lehrerinnen und Lehrer bescheinigten ihr großes Potenzial, eine hohe Intelligenz und
Sensibilität, die nur ausgebildet werden müsse. Mit der Zeit gelang es ihr sogar diejenigen
unter ihnen zu verblüffen, die ihr enorm viel zugetraut hatten.
Sie begriff im Laufe der Jahre, dass sie kein Krüppel und kein Monster war. Es wurde regelrecht zum Sport für sie, Fähigkeiten zu erlernen, die einer ganz kleinen, hochbegabten Elite
unter den Blinden vorbehalten war. Manches erreichte sie trotz aller Anstrengungen nicht,
anderes fiel ihr unglaublich leicht, wie zum Beispiel Zahlen, Beschreibungen und Straßenkarten auswendig zu lernen - und abzuspeichern, sie jederzeit abrufen zu können, indem
sie einfach die Erinnerung aktivierte. Genau erklären, wie sie das machte, konnte sie nicht,
- aber sie versicherte mir, dass es so wäre.
"Ich war einfach nur blind ...“, Katharina lachte leise, "sie sagten mir, dass es ungefähr so
sei, als habe ein Mensch nur acht Finger, aber andere Menschen zehn. Ich lernte auszukommen mit dem, was ich besaß."
Doch Anerkennung bei und von den "Sehenden" fand sie nicht.
Andere Mädchen in ihrem Alter hatten ihre ersten Freunde, - sie kannte nur blinde
Menschen in ihrer künstlich abgeschirmten Welt.
Draußen, wo das angeblich "wirkliche Leben" war, gab es für Menschen ihrer Art scheinbar
keinen Platz.
Doch weil ihre Eltern sie beständig förderten und unterstützten, weil sie ihre Sorgen und
Nöte teilten, gute Zuhörer und Tröster waren, sie zu motivieren verstanden, gab sie von
selbst niemals auf. Sie fing an zu begreifen, dass sie mehr können musste, als man ihr an
der Blindenschule beibrachte. Sie musste auf so vielen Bereichen wie möglich, so gut wie
sonst niemand, wie nur irgendwie möglich werden, damit man sie "draußen" akzeptierte.
"Ich war schon stark ... aber ich wurde immer stärker ...“
Katharina lernte mehr als nur Braille-Schrift, das Punktschrift-Blinden-Alphabet. Es war ihr
Vater, der ihr Sprachtalent entdeckte, der ihr Bücher besorgte, Sprach-Kassetten, teilweise
aus dem Ausland, weil es so etwas in Deutschland gar nicht gab.
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So lernte sie als Blinde fließend englisch und französisch sprechen, teilweise nur durch
Hören, weil es entsprechende Bücher in Braille-Schrift gar nicht zu kaufen gab. Gleichzeitig
lernte sie "blind" und schnell auf der Schreibmaschine zu schreiben, eine Telefonanlage
bedienen.
Sie versuchte alles zu lernen, was man ihr anbot, - denn Lernen war etwas, was ihr
richtigen Spaß bereitete, wurde wie zu einer Droge. Ungefährlich aber enorm hilfreich, wo
sie ihren Teil an Glücks- und Erfolgserlebnissen gewinnen konnte.
Und sie besuchte gegen enorme Widerstände ein ganz normales Gymnasium mit Integrations-Klasse für Behinderte, mit Sondererlaubnis der Schulbehörde. Man war dort ohnehin überzeugt, dass die Realität sie sehr rasch einholen und abstürzen lassen würde.
Lange, so schätzte man, würde sie nicht auf dieser Schule bleiben, im Lehrstoff zurückbleiben, und dann unfreiwillig abgehen, zurückgekehrt auf den harten Boden der kalten
Realität.
Dort war sie immer noch "die Blinde" und wieder "der Krüppel", aber sie schaffte ihr Abitur,
mit einer guten Durchschnittsnote, obwohl niemand daran ernsthaft geglaubt hatte.
Danach fand sie diese Arbeitsstelle bei der Stadtverwaltung in Oldenburg, wollte nicht in
Marburg studieren, wollte lieber unabhängig werden und leben.
Ihre Eltern - sie erlaubten ihr nicht nur von Zuhause auszuziehen, sie ermutigten sie dazu,
wenn auch schweren Herzens. Sie sollte versuchen allein in der Welt "da draußen" zurechtzukommen.
Per Zeitungsanzeige hatte sie von Marias Mitwohnangebot erfahren, für sie eine nahezu
ideale Konstellation. Eine angehende Pädagogik-Studentin, sozusagen eine Fachfrau, die
unter anderem auch gelernt hatte mit Behinderten umzugehen, von der sie Akzeptanz
erwarten konnte, suchte eine Mitbewohnerin für eine reine Frauen-Wohngemeinschaft.
Katharina sah darin ihre ganz große Chance, nicht allein und fremd in dieser Stadt leben zu
lernen, sich mühsam Orientierung zu verschaffen, sondern eine Art Führerin zu haben, eine
Wegbereiterin.
Also hatte sie auf die Anzeige geschrieben, eine Antwort und Einladung erhalten. Zwei
Wochen später war sie nach einem tränenreichem Abschied von ihren Eltern bei ihr
eingezogen.
"Eigentlich wollten meine Eltern Maria vorher ganz genau kennenlernen“, Katharina lachte
hell auf, "ein bisschen Angst hatten sie schon, dass ich vielleicht an eine Frau geraten
wäre, die Haschisch rauchte, Unmengen Alkohol trank, und sich nachts in Diskotheken
herumtrieb ... die mich runterziehen würde in den Dreck ... mich auf die schiefe Bahn
brächte. Aber sie vertrauten mir auch ... mir und meinem Urteilsvermögen. Ich wusste
sofort, dass Maria die richtige Frau für mich war, eine echte Bereicherung für mein Leben ...
sonst hätte ich weiter gesucht, denn es bringt mir nichts, in eine Wohnung einzuziehen,
mich langsam an die Einrichtung und Umgebung zu gewöhnen ... nur um dann wieder
auszuziehen, weil ich nicht klarkomme mit der Frau ... und ich ... ich bin auch nicht gerade
... eine einfache ... ich meine ... es ist nicht leicht mit mir auszukommen ...“
Sie hatte ein langes, ausführliches Gespräch mit Maria geführt, als sie sich für die
Wohnung vorstellte, auch ihre Grundbedingungen für ein Zusammenwohnen offen
ausgesprochen.
Maria war unsicher gewesen, aber auch fasziniert, beeindruckt von Katharinas Selbstständigkeit. Noch waren sie beide in der Phase, wo sie viel voneinander lernen mussten im
gemeinsamen Umgang.
Aber es ging viel schneller, als sie gedacht und befürchtet hatten.
Sie machten richtige Fortschritte, eine Menge Fehler auf beiden Seiten, - und Maria war
nicht die Studentin, die sich jede Nacht einen anderen Mann ins Bett holte, bei Krawallen
dabei war, Drogen nahm oder Ähnliches.
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Katharinas Eltern konnten vollkommen beruhigt sein. Maria war zwar nicht gerade gut bei
Kasse, eigentlich nie, aber immer ein Improvisationstalent, und zielorientiert, - und unglaublich fleißig in ihrem Studium, wie Katharina mir berichtete. Aber das wusste ich schon lange
selbst.
Stattdessen wollte ich von Katharina wissen, wieso ihre Eltern befürchtet hätten, dass ihre
Tochter in schlechten, negativen Umgang kommen könnte.
"Du warst doch bestimmt ein wahres Musterkind Zuhause“, witzelte ich lachend.
"Wer ich?“ Katharina lachte ebenfalls, aber sehr heiser, fast trocken, "ich war bei weitem
nicht das Musterkind ... eher im Gegenteil ...“
Sie wandte mir ihr Gesicht zu, das Lachen, selbst das kleinste Lächeln war vollkommen
aus ihrem Gesicht verschwunden.
Ich ahnte, dass sie versuchte herauszufinden, was ich wohl dachte, dass sie mir etwas
erzählen wollte, was nicht nur interessant und lehrreich für mich war.
Und offenbar war es auch belastend, denn zum ersten Mal an diesem Abend stand Katharina auf, ging zu dem alten Küchenschrank, suchte nach einer bunten Blechschachtel, holte
sich Tabak und Blättchen heraus. Genauso geschickt, wie ich es schon im "Dammtor"
gesehen hatte, drehte sie sich schnell und präzise eine Zigarette.
Ich sagte ihr, dass ich das schon so gesehen und ihre Präzision dabei bewundert hatte,
dass sie das sehr geschickt mache, mit einer hervorragenden Fingerfertigkeit, sodass ich
nicht einmal hätte ahnen können, dass sie blind sei.
Katharina blieb an dem Küchenschrank stehen, schien mich regelrecht anzusehen, obwohl
ich wusste, dass das nicht möglich war. Sie suchte mit sicherem Griff etwas hinter sich in
der Metalldose und hielt einen dünnen Metallstab in der Hand, der sich als Feuerzeug mit
kleiner Flamme entpuppte.
Zum ersten Mal erlebte ich sie nicht vollkommen sicher.
Interessiert und auch fasziniert beobachtete ich, wie sie den Metallstab mehrfach in der
Hand drehte, sich mit der anderen Hand Hilfslinien als nötigen Abstand zum Gesicht schuf,
ungeschickt und unsicher den Kopf schief legte, um möglichem Kontakt mit der winzigen
Flamme auszuweichen, wieder abbrach, das Haar aus dem Gesicht strich, neu ansetzte, ich begriff.
"Warte ... ich geb’ dir Feuer ...“
"Nein ...“, ihre Reaktion kam scharf und schnell, den Arm mit dem Feuerzeug weit zu mir
ausgestreckt, "ich schaffe das schon ...“
"Bist du sicher ...?“ Ich war richtig erschrocken von ihrer Heftigkeit und mir sicher, dass sie
sehr stolz war auf ihre Selbständigkeit, absolut keine Hilfe annehmen wollte.
Doch Katharina war ihr etwas überzogene Heftigkeit längst selber klargeworden.
Sie entschuldigte sich leise, hieß mich aber sitzen zu bleiben, weil sie lernen müsse, damit
umzugehen.
"Ich habe einfach nur ... wahnsinnigen Schiss ... vor offenem Feuer“, erklärte sie mir,
während sie es tatsächlich schaffte ihre Zigarette anzuzünden, ohne dass sie sich oder ihre
lockigen Haare verbrannte, "vorher habe ich mir alle Nase lang die ... die Haare angebrannt
... ich rauche auch noch nicht sehr lange ...“
"Warum tust du es dann überhaupt ...?“
"Weil es mir gefällt ...“, sie zuckte geringschätzig mit den Achseln, "es tut mir gut ... wenn
ich sehr ... angespannt bin ...“
Sie hatte es endlich geschafft, nahm ein paar hastige, tiefe Züge. Noch immer war das leise
und selbstzufriedene Lächeln aus ihrem Gesicht verschwunden. Großer Ernst, beinahe
harte Anspannung zeichneten in diesem Augenblick ihre Züge.
"Ja ... darin bin ich wirklich gut ...“, sagte sie schließlich leise, ohne sich von dem Schrank
wegzubewegen.
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Ich hätte es mehr als gern gehabt, wenn sie sich wieder zu mir gesetzt hätte. Aber ich war
auch kein Idiot und spürte ganz genau, dass jetzt irgend etwas anders war als vorher,
gänzlich anders.
Diese Frau vor mir schien unter enormer Anspannung zu stehen, um eine Frage, vielleicht
eine Antwort, innerlich zu ringen.
Katharina atmete tief durch, strich sich mit einer Hand durch das lockige schwarze Haar,
alles deutliche Zeichen, wie groß die Anspannung in ihr war, wie vergeblich sie nach einer
Ablenkung suchte.
"Denkst du das wirklich“, fragte sie mich schließlich so leise, dass ich kaum ihre Stimme
hören konnte, "denkst du wirklich ... ich wär´ ein braves Musterkind gewesen ...? Dann hast
du nicht richtig zugehört ...“
"Na ja ... du hattest deine Probleme“, mich erfasste beinahe Panik, dass mir jetzt durch
eine vielleicht ungeahnt unbedachte Äußerung die Vertrautheit der letzten Stunden wieder
entgleiten würde, dass ich alles verlieren könnte, was wir gemeinsam behutsam aufgebaut
hatten. Mein Verstand begann bereits zu rasen, um die Situation wieder zu entspannen.
Doch ich musste eingestehen, dass ich aus Ahnungslosigkeit keinen Satz wagte, der mir
angemessen erschien. Mir war, als könne ich jetzt sagen, was ich wollte, es würde auf
jeden Fall völlig falsch sein oder ausgelegt werden.
"Ich hatte mehr, als nur meine Probleme ...“ Katharina wandte sich und ihr Gesicht ab,
wollte es offensichtlich meinem Blick entziehen, "... ich ... ich war genau das ... das
Miststück ... das ich nicht sein wollte ...“
Die Stimmung entglitt mir rasant, aber ich suchte zu retten, was noch zu retten war, und
sicherlich konnte Katharina die aufsteigende Panik in meiner Stimme hören.
"Das ... glaub ich nicht ... so schlimm kann es nicht ... nicht gewesen sein ...“
"O doch“, ihre Stimme troff förmlich von Sarkasmus und Bitterkeit," ... es war sogar noch
schlimmer ... als du dir vorstellen kannst ...“
Sie wandte sich so heftig zu mir um, dass ich regelrecht erschrak.
"Aus dem kleinen blinden Mädchen wurde plötzlich eine richtige Zicke“, fauchte sie mich an
und hielt dann wieder inne, obwohl ich sehen konnte, dass sie eigentlich noch etwas hatte
sagen wollen.
Stattdessen atmete sie noch einmal tief durch, stieß sich vom Küchenschrank ab, in einer
einzigen fließenden Bewegung die Tabakdose mitnehmend, und kam zurück zum Tisch.
"Willst du auch eine“, fragte sie ganz leise und setzte sich wieder auf ihren Stuhl, atmete
mehrfach tief ein und fuhr dann mit bitterer Stimme fort: "Ich ... ich glaube kaum ... dass du
das jetzt hören willst ... aber es ist ... ist ein Teil meines Lebens ...“
"Du musst mir nichts erzählen ...“
"Das weiß ich selber!“ Ihre Stimme klang aggressiv und heftig, und Katharina war sich
dessen sofort bewusst, legte sanft ihre Hand auf meinen Arm und seufzte, "tut mir leid ...
aber vielleicht ... solltest du auch das hören ... Ich will es dir nämlich ... erzählen ...“, sie
atmete heftig aus, blähte richtig die Backen dabei auf, "und ... und wenn du mich hinterher
... nicht mal mehr mit dem Arsch ansiehst ... dann verpiss dich ...“
"Ich ...“
"Nein, sag nichts ... bitte ...“ Sie hob abwehrend die Hand, "du musst dich zu nichts
verpflichten ... mach das bitte nicht ... ich ... ich weiß nicht einmal genau ... warum ich dir
das ... erzählen will, ... aber ... aber ... ich weiß nicht warum ... ich vertraue dir ... Ja, das tue
ich wirklich ... und ich weiß nicht genau ... warum. Vielleicht bin ich eine Idiotin, die sich
gerade selber alles ... Wenn du das jemals Maria ... oder jemand anderem ... wenn du das
erzählst ... bringe ich dich um ...“
Dann schwieg sie eine ganze Weile, schenkte sich und mir neuen Tee ein, drehte noch ein
paar Zigaretten, suchte offensichtlich Zeit zu gewinnen, um die richtigen Worte zu finden.
Ihr Gesicht erschien mir wie aus Stein gemeißelt.
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Nicht viel war von der Weichheit, der Sanftmut und Sinnlichkeit darin übrig geblieben. Ich
konnte förmlich sehen, wie sie die Kiefer aufeinander presste, nach einer angemessenen
Sprache suchte, die ihr die Würde ließ und mir genügend Raum, um nicht auf der Stelle sie
und diese Umgebung zu verlassen. Dabei wäre das selbst in diesem so frühen Stadium für
mich fast unmöglich gewesen. Ich war von dieser Frau so fasziniert und angezogen, wie ich
es mir bis dahin nicht einmal in meinen schönsten Träumen vorstellen konnte.
"Als ich gerade sechzehn war“, setzte sie schließlich neu ein, und ich erschrak fast vor der
bedrückenden Bitterkeit, die in ihrer Stimme mitschwang, "entdeckte ich die Männer ...“
Wieder schwieg sie seinen Augenblick, sog heftig an ihrer Zigarette, "ich hatte in einem
Intensiv-Seminar trainiert, wie man andere Menschen und besonders Freunde und Männer
... wie man sie kennenlernen kann ... ohne sie anzusehen ... ohne ihnen freundliche Blicke
zuzuwerfen ... weil, das kann ich ja nicht“, sie lachte bitter auf, "ich konnte aber auch nicht
feststellen ... ob sie mir gefallen könnten ... und in so einem Seminar ... da kann man
lernen, das auf ganz blindenspezifische Weise zu tun."
Die Theorie funktionierte nur teilweise.
Zwar konnte sie mit ihrem Training verhältnismäßig leicht angenehme Stimmen durch
Schwingungen und Untertöne von unangenehmen Stimmen allein aus intensivem Zuhören
unterscheiden, - aber immer hatte sie eines den Kontaktpersonen voraus. Sie akzeptierte
ihre Blindheit, - andere Menschen kaum. Mal wurde sie wie eine Schwerbehinderte, dann
wieder wie ein Krüppel-Monster behandelt, wie ein Unikum, eine Absurdität, ein Kuriosum, so nannte sie es.
Wenn sie Glück hatte, akzeptierte man sie leidlich gut als Mensch, aber nicht als Frau, die
umschmeichelt und liebevoll behandelt werden wollte, geliebt um ihrer selbst willen.
Sie gab sich nicht damit zufrieden, dass es anderen Blinden, besonders den jungen Frauen
aus dem Blinden-Verein, ganz genauso erging. Katharina wollte mehr, wollte das Unmögliche erzwingen, einen festen Freund und Liebhaber, einen Menschen, der sie als Frau
liebte.
Da das nicht funktionierte, setzte sie ihre gesamten Fähigkeiten für dieses Ziel ein, ihre
ausgeprägte Tastfähigkeit, ihre Fantasie, ihre Sensibilität und alles, was ihr logisch
erschien.
Skrupellos spielte sie auch mit ihrer Weiblichkeit, - und setzte sie regelrecht als Waffe zur
Erreichung ihres Ziels ein.
"Es ging natürlich völlig schief“, Katharinas Lachen klang heiser und gepresst, sie knetete
nervös ihre Finger, rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr Atem ging so heftig,
dass ich mir ernste Sorgen machte. Jetzt war ich es, mit all meinem Mut, den ich zusammen klaubte, der ihre Hand nahm, sie sanft hielt, was sie zu einem schmerzlich dankbaren
Lächeln veranlasste.
"Plötzlich war ich fast ... fast berühmt in Ermke“, fuhr sie zögernd und sarkastisch fort, "ich
war eine, die sich problemlos von den Jungs bumsen ließ. Mein Name wurde rumgereicht
... und ich war gut ... richtig gut ... beim Bumsen ... nein“, wieder lachte sie leise und bitter
auf, "ich war sogar besser ... viel besser, als andere Mädchen in meinem Alter ... Wie in
vielen Dingen konnte ich ... konnte ich hier wegen meiner Blindheit meine antrainierte
Feinmotorik ... meine Körperbeherrschung ... fantastisch einsetzen ... Die Jungs standen
Schlange bei mir ... und ich“, Katharina atmete wieder tief durch und lachte bitter auf, "ich
führte eine regelrechte Warteliste ... mit Benotung ...“
Die Jungs, später die Männer, trieben es mit ihr. Einmal, zweimal, manchmal auch öfter, bis
der Reiz des unbekannten Neuen vorbei war. Aber sie gingen nie mit ihr aus. Sie
leugneten, sie zu kennen, und wollten mit der "Dorf-Hure" - wie sie schnell genannt wurde nicht gesehen werden, nicht mit der "blinden Tussi".
"Für mich gab es keine harmlosen Spaziergänge ... keinen Café-Besuch ... kein Picknick ...
irgendwo ... sie haben mir nicht mal `ne Cola ausgegeben“, am liebsten hätte ich verhin-
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dert, dass Katharina weitersprach, denn ich hörte, wie sie sich innerlich quälte, wie ihre
Stimme schwankte, spürte den Druck ihrer Hand, als wolle sie sich versichern, dass ich ihr
meine Hand noch nicht entzogen hätte, - auch weil sie einfach etwas brauchte, an dem sie
sich festhalten konnte. Doch irgendwie und instinktiv spürte ich auch, wie wichtig es ihr war,
mir diese andere Seite von ihr zu zeigen.
"Sie wollten nur mit mir vögeln ... das war´s dann ...“
Katharina entriss mir förmlich ihre Hand, suchte in den Taschen ihrer Flanellhose nach
einem Taschentuch, schnäuzte sich kräftig und atmete tief durch. Dann suchte sie ohne
jegliche Aufforderung meine Hand und umfing sie mit sanftem Druck.
Sie schwieg dann wieder eine Weile, wandte zwar ihr Gesicht nicht von mir ab, war aber
offensichtlich innerlich sehr aufgewühlt.
Ich wollte irgend etwas zu ihr sagen, doch ich ahnte, dass ich damit mehr kaputtgemacht
hätte, als ihr zu helfen.
Also wartete ich ab, schenkte uns Tee ein, was sie erneut zu einem kleinen Lächeln
veranlasste, denn sie wusste, dass ich genau fühlen konnte, dass ihre Hände zitterten.
Wir tranken Tee, ohne dass sie mir ihre Hand entzog, - und ganz allmählich wurde ihr Atem
wieder ruhiger.
"Ich war verletzt“, fuhr sie schließlich leise fort, "und mit jedem Mal wurde es schlimmer.
Aber ich versuchte es trotzdem immer wieder ... ich sehnte mich so nach einer ... einer Art
Liebe ... die mir meine Eltern nicht ... nicht geben konnten ... und die ich nicht kriegen
konnte ...“
Ihre Mutter gebot dem schließlich energisch Einhalt, denn Katharinas Ruf war inzwischen in
dem kleinen Ammerländer Ort bekannt. Außerdem war sie längst an einem Punkt angekommen, wo sie selbst begriffen hatte, dass ihr Verhalten keinen Lösungsweg, kein erreichbares Ziel bot.
Also zog sie sich wieder fast völlig zurück, denn dieses Verhalten war ihr vertraut, darin
kannte sie sich aus. Nur noch in ganz seltenen Fällen machte sie einen Versuch, einen
netten Mann kennenzulernen.
Maria war es gewesen, die sie überredet hatte, mit ins "Dammtor" zu Sassa zu gehen.
Schließlich könne das Leben nicht nur aus Arbeit bestehen, ein paar nette Jungs
kennenlernen, war doch eine gute gesunde Sache.
"Ich wollte erst gar nicht mitgehen“, jetzt lachte sie fast wieder gelöst und leise auf, "von
Jungs ... und Männern hatte ich die Nase gestrichen voll ... Doch Maria meinte, dass ich
jetzt schon zwei Wochen bei ihr wohne ... und noch nicht ein einziges Mal ausgegangen
wäre. Es würde mir gefallen, versicherte sie mir, nette Leute, Studenten und kleine
Angestellte, die Oldenburger Szene eben, gute Musik und ein Glas Bier. Also habe ich mich
überreden lassen“, sie trank noch einen Schluck Tee und ich spürte, wie ihre Hand aufhörte
zu zittern.
"Ich war bestimmt nicht darauf aus, an meinem ersten Abend in einer Kneipe einen netten
Mann kennenzulernen“, versicherte sie mir mit energischer Stimme, "und dann ... dann
kamst du plötzlich daher ... einfach aus dem Nichts“, sie grinste mich breit an, um mir zu
versichern, dass ihre nächsten Worte nicht so sarkastisch gemeint waren, wie sie sich
vielleicht anhörten, "der Künstler mit den großen Sprüchen ... den leichten Scherzen und
der wunderbaren Stimme“, Katharina wandte mir wieder voll ihr Gesicht zu, weil sie wohl
gespürt hatte, dass sie mich verlegen machte, und zum ersten Mal seit Langem klang ihr
Lachen befreit und echt, "deine Stimme hat mich sofort angetörnt ...“
Da musste ich auch lachen, teilweise aus Verlegenheit, die ich nicht verbergen konnte.
Katharinas Geschichte berührte mich sehr stark, aber keinesfalls unangenehm. Ich wusste,
dass ich das ihr gegenüber nicht aussprechen musste, sie verstand die Sprache meiner
Hände, meines Lachens und dieser vielen kleinen Körpersignale, die Teil ihres Seins
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waren, deren ich mir aber fast gar nicht bewusst war, - die sie aber offensichtlich fröhlich
stimmten.
"Aber ich hatte auch solche Angst“, gestand sie mir, "ich wollte nicht wieder Sex einsetzen
... um einen Mann kennenzulernen, der mir gefiel ... Ich wollte nicht wieder mit meinem
alten Verhaltensmuster arbeiten ... mir nicht wehtun ... oder wehtun lassen ... nicht wieder
verletzt werden ... von irgendeinem Idioten ... der nur mit mir ins Bett ... mit mir ... bumsen
will ... weil er sich nicht ... nicht vorstellen kann ... wie es mit einer ... blinden Frau so ist.
Darum habe ich auch ... unsere Verabredung sausen lassen."
Ich verstand sie - und verstand sie nicht.
Mir war durchaus klar, dass sie sich da eine Sackgasse aufgebaut hatte. Mit dieser Angst
vor Verletzung zu leben, machte es zweifellos sehr schwer, sich auf einen neuen Menschen einzulassen.
Dass sie mit allen möglichen Jungs rumgebumst hatte, machte mich nicht einmal
eifersüchtig, nicht die Spur.
Es stieß mich auch nicht ab, selbst wenn sie es gedacht oder nahezu erwartet hatte.
Allein diese Tatsache erstaunte mich schon vor mir selber, und ich fragte mich kritisch, ob
ich wirklich verstanden hatte, auf was für eine Frau, mit Vorgeschichte, ich mich da
einlassen wollte.
Doch eines wusste ich schon jetzt genau: Ständig davonzulaufen, womöglich auch vor
positiven Überraschungen und Erfahrungen, - das konnte auch keine Lösung sein.
Doch tat ich das nicht manchmal selber?
Diese Frage wollte ich mir lieber nicht stellen.
Genauso wenig wollte ich kommentieren, was Katharina mir erzählt hatte.
Ich sagte ihr nur, dass ich ihr längst nicht mehr böse wegen der geplatzten Verabredung
wäre, dass ich sie sogar verstehen könnte, - obwohl ich mir dessen nicht hundertprozentig
sicher war.
"Tja, fast so hatte ich dich eingeschätzt“, meinte Katharina darauf nur, "aber ich war mir
einfach nicht sicher, ob ich meinem eigenen Urteil trauen konnte ... ob nicht der Wunsch
der Grund für meine Einschätzung war“, sie drückte plötzlich lachend meine Hand, "nein,
nein ...“, versicherte sie mir, "jetzt ist das wieder ganz anders ... Jetzt fühle ich mich sehr
wohl in deiner Nähe ... sicher ... und ich hätte dir das bestimmt nicht erzählt ... wenn ich dir
nicht auch vertrauen würde ...“ Wieder lachte sie leise auf, ließ meine Hand los und
schenkte uns beiden neuen Tee ein, "aber an dem Abend ... da war das eben nicht so ...
und als du plötzlich ... hier aufgekreuzt bist ... auch nicht ... Wenn ich allein auf meine
Stimmung an dem Abend gehört hätte ... dann ... dann hätte ich dich wahrscheinlich in
mein Bett eingeladen“, sie atmete tief ein, als ich vor Verlegenheit auflachte, "du hast ja
keine Ahnung ... wie dicht du dran warst ... Ich hab gespürt, wie interessiert du an dem
Abend an mir warst, dass du mich ganz gerne rumgekriegt hättest ... und ich ... ich war
auch ... ganz schön geil auf dich ... Ich spürte deine Erregung, weil du mich schön fandest,
weil du mich begehrt hast ... und das war sehr schön. Ich hab mir gedacht, mach es ...
dann bist du nicht allein hier in dieser Stadt, dann hast du jemanden ...“ Sie zuckte fast
resignierend mit den Achseln, "deine Nähe hat mir gutgetan ... aber ich kenne das ... ich
habe dann immer falsch gehandelt ... und das wollte ich einfach ... nicht schon wieder ...
Deshalb bin ich schließlich aus Ermke weggegangen ...“
Jetzt lachten wir beide, vielleicht über diese Anhäufung von Missverständnissen, vielleicht
auch aus Verlegenheit. Sicherlich aber, weil wir jetzt hier zusammensaßen und uns zufrieden und glücklich fühlten.
Weil wir da wohl beide diesen geheimen Zauber fühlten, der uns miteinander verband.
"Jetzt ist das wieder anders ...“, flüsterte Katharina mir leise zu, "ich habe ... ich fühle mich
dir nahe ... unglaublich nahe ... Ich habe mich ... lange keinem Mann mehr ... so nahe
gefühlt ... Ich ... ich ... ich vertraue dir einfach ...“
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Es war nicht wichtig, dass ich nicht darauf antwortete, dass wir beide irgend etwas dazu
sagten. Still ließen wir das Gefühl, das in uns stetig floss, nachklingen. Wir saßen uns
lächelnd und schweigend gegenüber, zufrieden und ausgeglichen, scheinbar durch nichts
aus der Ruhe zu bringen.
Wenn ich nur versuchte, darüber nachzudenken, warum ich heute in diese Wohnung
gegangen war, welche Wut ich im Bauch gehabt hatte, welche Enttäuschung mich geführt
hatte, dann hätte ich am Liebsten laut aufgelacht. Hätte Maria mir nur angedeutet, dass
meine Rückfahrt so enden könnte, hätte ich sie für völlig verrückt erklärt.
Ich konnte es selber kaum glauben.
Hier saß ich in einer fremden Küche mit der Frau, die an diesem Abend mit mir auf dem
Motorrad fahren wollte und mich versetzte. Sie hatte mich geschlagen und zu Boden
bezwungen. Aber ich begehrte sie, wie noch keine andere Frau vor ihr. Dabei hatte ich oder
wir uns bisher noch nicht einmal geküsst. Trotz ihrer Erzählungen wusste ich verdammt
wenig von ihr, konnte nicht einmal sagen, ob ich mit ihrer Blindheit leben konnte und wollte,
- und war schlicht restlos glücklich.
Bescheiden gab ich mich damit zufrieden, dass sie mir eine ihrer selbstgedrehten
Zigaretten reichte, Tee nachschenkte und mich fragte, ob sie noch einmal Neuen aufsetzen
sollte.
Doch bevor ich auch nur antworten konnte, fragte sie mich hastig, wie spät es eigentlich
wäre.
"Halb eins ...“
"Morgens ...?“
"Na klar ...“
"Wir haben hier ...“
"Ja, wir haben fast sieben Stunden zusammengesessen."
Ich ahnte, was sie damit sagen wollte, schon bevor sie meinte, dass es dann wohl besser
wäre, keinen Tee mehr zu kochen. Dass so viel Zeit vergangen war, hatte ich nicht geahnt.
Mein Blick auf die Uhr hatte mir klargemacht, dass sie jetzt schlafen wollte.
Irgendwie fand ich es zwar schade, dass der Abend mit dieser faszinierenden Frau jetzt zu
Ende war, aber ich hatte es überhaupt nicht mehr eilig, - während ich es sonst kaum
erwarten konnte, einen möglichst tiefen Eindruck aus Zärtlichkeit und Nähe bei einer Frau
zu hinterlassen.
So stand ich entgegen meinen heimlichen Wünschen auf und nahm Katharinas Hand.
"Gute Nacht ...“
"Willst du ... jetzt gehen?“
Ihre Verblüffung war nicht gespielt, das sah ich ihr an, so gut kannte ich sie mittlerweile
immerhin.
"Ich dachte ... du wärst müde ...“
"Nein“, sie grinste spitzbübisch, als habe sie sich einen wunderbaren Kinderstreich
ausgedacht, und nahm mich flüchtig in die Arme, "ich hatte nur überlegt ... ob wir jetzt noch
... nach Bremen fahren können ...“
"Du willst ...?“
"Du nicht?“
"Aber ich dachte ... du willst nicht fahren ...“
"Jetzt schon ...“
Katharinas Grinsen wurde noch breiter, und ich brach in frohes, befreites Lachen aus. Es
war wirklich umwerfend wunderbar, wie sich dieser Abend entwickelte.
"Aber es gibt ein Problem“, versuchte Katharina wieder ernst zu werden, "ich bin noch
niemals ... niemals auf einem Motorrad mitgefahren ... und ich habe ... keinen Helm."
"Ich hab einen für dich geliehen ...“
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Jetzt lachte sie aus vollem Herzen, wie ich sie an dem ganzen Abend noch nicht hatte
lachen hören, und sprang gleichzeitig vom Stuhl hoch.
"Ich zieh mich rasch um“, rief sie fröhlich, machte Anstalten dies auch sofort in die Tat
umzusetzen, blieb dann aber stehen und setzte eine fragende Miene auf.
"Bist du denn noch wach genug ...“, sie zuckte grinsend mit den Achseln und machte eine
wedelnde Handbewegung, „ich meine, hast du überhaupt Lust hinzufahren ... ich meine ...
mit mir?“
"Jetzt schon."
"Das gefällt mir ...“
Ehe ich noch irgend etwas sagen konnte, war sie auch schon aus der Küche raus. Ich sah
ihr nach, und fühlte mich auf eine ganz unerklärliche Weise schwindelig vor Glück.
Das alles, der ganze Abend, entwickelte sich gänzlich anders, als ich erwartet hatte.
Das Open-Air-Konzert war für mich bereits abgeschrieben gewesen, doch jetzt wieder ganz
nah. Die Frau, die mich ohne Anstrengung in ihren Bann zog, wollte zusammen mit mir
dahin fahren, - genauso wie ich es mir eigentlich gewünscht hatte.
"Aber ich habe keine dicke Lederjacke“, hörte ich sie laut von irgendwo aus der Wohnung
rufen, "genügt auch ein dicker Pullover?“
"Ja, ja ... aber zieh dir eine Jacke drüber ... und feste Schuhe ...“, mit leichter Verunsicherung fragte ich mich, ob sie vielleicht meine Hilfe brauchte, ob sie das alles allein
bewältigen konnte. Doch dann siegte die Gewissheit in mir, dass sie kein Problem haben
würde, es mir zu sagen.
Zehn Minuten später war sie zurück, in einer verwaschenen, blauen Jeans, mit passender
Jacke, unter der sie einen wirklich dicken, weinroten Pullover trug.
"Okay so ...?“
"Bestens ... aber bist du sicher, dass du wirklich fahren willst?“
"Du nicht ...?“ Sie beantwortete meine Frage zusätzlich mit der Bitte, ihr zu zeigen, wie sie
den Helm aufsetzen musste. Doch das war jetzt nicht möglich, denn die hingen unten am
Gepäckträger meiner "Alten Lady".
Daraufhin drängte sie auf sofortigen Aufbruch, nicht ohne jedoch vorher zu überprüfen, ob
alle elektrischen Geräte, die sie benutzt und nicht eingeschaltet bleiben durften, auch
wirklich aus waren. Dann bat sie mich alles Licht zu löschen und hängte sich bei mir ein.
"Es kann losgehen ...“
Ich verschloss Marias Wohnung, und versuchte so selbstverständlich wie möglich Katharina über die Treppe nach unten zu führen. Das war gar nicht so unkompliziert, wie ich
gedacht hatte, - und irgendwie ein etwas seltsames Gefühl, zu wissen, dass sie blind war,
und nur begrenzt dazu meine Hilfe brauchte.
Nicht, dass ich mich unwohl dabei fühlte, aber ein wenig ungeschickt. Denn sie machte mir
grinsend klar, dass sie zwar schon tausende von Treppenstufen hinauf- und hinuntergestiegen war, dieses Treppenhaus inzwischen sehr gut kannte, aber es eben nur könne,
wenn sie am Treppengeländer ginge, - und nicht ich.
So wechselte ich verlegen errötend schnell die Seite.
Unten auf der Straße wurde es dann ganz offensichtlich, dass sie sich auf die kommende
Fahrt nach Bremen freute. Richtig beschwingt ging sie neben mir auf das Motorrad zu, - bis
Katharina plötzlich stolperte. Es gelang mir gerade noch sie aufzufangen.
"Ich habe nicht aufgepasst“, wehrte sie meine Besorgnis grinsend ab, "ich weiß es schließlich genau, dass hier der Bordstein ist. Scheiße, verdammte ...“
Die kleine Panne ärgerte sie viel mehr, als ich meinte, dass es die Sache wert wäre.
Doch Katharina legte eben großen Wert darauf mit den meisten Dingen des Alltags allein
zurechtzukommen, und Fehler aus Unachtsamkeit ärgerten sie maßlos.
Das wurde noch verstärkt, als sie kurz darauf allein versuchte den Motorradhelm aufzusetzen. Sie kam nur sehr schwer damit zurecht.
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Helfen ließ sie sich nur sehr ungern, wenn sie annahm, das auch allein zu können, - so viel
war schon sicher.
Gemeinsam, unter zahlreichen leisen Flüchen, schafften wir es dann, dass der Helm an
seinen richtigen Platz kam.
Doch als ich ihr ohne nachzudenken sagte, sie solle aufsteigen, blieb sie reglos stehen.
Ich fragte sie, was los sei, und sie schob umständlich das Helmvisier wieder auf, atmete
mehrmals tief ein und wieder aus.
"Ich ... ich ... ich habe keine Ahnung ... wie man das ... tut ...“, ich sah und spürte irgendwie,
dass das nicht die ganze Wahrheit war. Vielleicht hielt sie mein Zögern für ein Erkennen
dieser Halbwahrheit, denn sie rückte sofort mit dem wahren Grund heraus.
"Ich ... ich habe Angst, Paul“, gestand sie mir leise und ballte wütend darüber die Fäuste,
"ich ... ich hab einfach Schiss ...“
"Wovor ...?"
"Ich ... ich bin noch nie in meinem Leben auf einem Motorrad mitgefahren, verdammt noch
mal ...!“ schrie sie mich an, und ich erkannte aus ihrer Unbeherrschtheit, dass sie hauptsächlich auf ihre eigene Angst wütend war.
So ging ich zu ihr, versicherte ihr mit ruhiger Stimme, dass ich vorsichtig fahren würde,
dass ich noch nie in einen Unfall verwickelt war, dass sie keinen Grund zur Angst haben
müsste.
"Ich habe ... keine Angst."
"Eben doch ...“
"Ja ... aber nicht jetzt ...“
"Dann steig doch auf ...“
"Scheiße ...“
"Es ist doch nicht schlimm vor etwas Angst zu haben“, versuchte ich sie zu beruhigen, "was
man noch nie zuvor im Leben gemacht hat ... was du nicht kennst."
"Quatsch ...“
Sie blies die Backen auf und atmete dann heftig aus.
"Also los, zeig mir, wie ... wie man auf dieses Scheißding aufsteigt ...“
"Das ist kein Scheißding ...“
"Entschuldige ...“, sie drehte die Handflächen zu mir und verneigte sich spöttisch, "also ...
dann zeig mir, wie man ... auf ein Motorrad aufsteigt ...“
"Du kannst doch nicht zu meiner Alten Lady sagen, dass sie ...“
"Deine was ...?“
"Meine Alte Lady“, es war mir im selben Moment selber etwas peinlich, aber ich erklärte es
Katharina, von wegen der Formen und des Alters meiner alten BMW.
Sie war offensichtlich genauso schnell zu verärgern, wie zu belustigen, denn sie lachte hell
auf und klatschte in die Hände. Sie fand es großartig, überhaupt nicht albern oder gar
kitschig.
"Na ... dann werde ich jetzt zum ersten Mal eine Lady besteigen“, resümierte sie und
begann gleich wieder anzüglich zu lachen, "das glaubt mir keiner ... aus dem BlindenVerein ...“
Ich kannte inzwischen ein bisschen ihren blitzschnell aufflammenden Zorn. Vor allem
eigene Unaufmerksamkeiten und Ungeschicklichkeiten nahm sie sich selber übel. Aber
genauso rasch entflammte sie offenbar auch im Spaß.
Ich versuchte noch einmal sie zu beruhigen, ihr Sicherheit zu vermitteln, riet ihr, auf meine
Körperbewegungen nachzumachen.
Sie hörte mir ruhig zu, sagte aber nichts dazu, ließ lediglich ein angespanntes Schnauben
hören. So gab ich ihr noch ein paar wichtige Verhaltensregeln beim Fahren, damit sie sich
sicherer fühlen konnte, mehr über das Fahren auf einem Motorrad wusste.
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Es schien auf den ersten Blick zu funktionieren, aber als sie endlich aufsteigen wollte, hatte
sie dennoch scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten, konnte weder die Höhe des
Schalensitzes, der Fußrasten, noch die Gesamthöhe der "Alten Lady" richtig einschätzen.
Vielleicht war es aber auch der Mangel an Erfahrung, wie man einem blinden Menschen
etwas richtig erklärt, sodass er es nachvollziehen kann. Ich versuchte ihr den Bewegungsablauf des Aufsteigens zu erklären. Katharina hörte auch konzentriert zu, aber sie schien
es trotzdem nicht zu begreifen.
"Also gut, stell dich vor mich“, meinte sie schließlich entschlossen und lachte, als ich mich
frontal vor sie stellte, "nein ... mit dem Rücken ...“
Ich hatte keine Ahnung, was sie eigentlich vorhatte. Aber sie schien genau zu wissen, was
sie tat. Sie korrigierte meine Haltung, stellte ihre Beine ganz dicht an meine, nahm meine
Hände und brachte ihre Arme dicht an meine.
Dann forderte sie mich auf, ihr ganz langsam den Bewegungsablauf zu zeigen.
Wahrscheinlich stellte ich mich wieder sehr ungeschickt an, doch sie forderte mich lediglich
ruhig auf, mich zu konzentrieren.
"Ach so ...“, meinte sie schließlich, "warum hast du nicht gleich gesagt, dass es wie das
Aufsteigen auf ein Pferd ist ...?“
"Auf ein Pferd ...?"
"Ja ... es fühlte sich an, als ob du auf ein Pferd aufsteigst“, Katharina wurde wieder etwas
unsicherer, "war das etwa völlig falsch ...?“
"Nein ... das war ein guter Vergleich ... warum bin ich da nicht draufgekommen?“
"Alles Übungssache“, meinte Katharina grinsend, "mit der Zeit lernst du vielleicht solche
Vergleiche zu ziehen ... ich bin schließlich schon mal geritten ... das war richtig gut ...“
Mit viel Hilfestellung schaffte sie es, in den Schalensitz zu gelangen, und endlich dort zu
sitzen, wo sie sein sollte.
"Beim zehnten Mal klappt´s besser“, bespöttelte ich liebevoll ihre Bemühungen, was mir
sofort einen heftigen Rippenstoß eintrug, "und halt dich bitte gut fest."
"Mach ich bestimmt ... gib Gas ...“
Ich musste mühsam ein Lachen unterdrücken, denn ich spürte, wie sie hinter mir zitterte
und gleichzeitig Heldenmut vorspielte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein musste
ohne jegliche Orientierung in völliger Dunkelheit auf einem gänzlich unbekannten, ungewohnten Fahrzeug zu sitzen.
Es gelang mir nicht, denn ähnlich wie Katharina in ihrer Blindheit, hatte ich keine adäquate
Vergleichsmöglichkeit. Aber ich ahnte, dass es nicht angenehm sein konnte.
Sanfter als gewöhnlich ließ ich den Motor an und spürte sehr deutlich, wie Katharina hinter
mir zusammenzuckte, sich sofort versteifte und den Atem anhielt. Die Vibrationen und der
dunkel dröhnende Motor waren wohl kein gutes Mittel sie zu beruhigen.
"Keine Angst“, brüllte ich über den Lärm hinweg, "halt dich einfach gut fest und bleib´ locker
... verkrampf dich nicht ... Genieß es ...!“
Zum Zeichen, dass sie mich verstanden hatte und meine Worte nicht komisch fand, boxte
sie mir leicht auf die Rippen, legte ihre Arme so fest um meine Hüften, dass ich beinahe
keine Luft mehr bekam. Beruhigend strich ich mit einer Hand über ihre und fuhr langsam
an, damit sie genug Zeit hatte, sich an das Gefühl zu gewöhnen.
Trotz der Dunkelheit und des Helmvisiers konnte ich im Rückspiegel schwach erkennen,
dass sie die Augen weit aufgerissen hatte, als könne sie mit höchster Konzentration vielleicht doch die Dunkelheit um sich herum durchdringen. Aufsteigende Panik verzerrte ihr
Gesicht.
Schon bei der ersten Fahrbewegung des Motorrades zuckte sie noch einmal heftig zusammen. Sie versuchte zwar, sich möglichst wenig anmerken zu lassen, aber ihre stocksteife
Körperhaltung sprach Bände.
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"Keine Angst“, rief ich noch einmal über die Schulter, und sah sie im Rückspiegel heftig
nicken.
Wahrscheinlich hasste sie sich schon jetzt dafür, dass sie diesem Abenteuer zugestimmt
hatte.
Sie rückte noch näher an mich heran, sodass ich praktisch nicht mehr auseinanderhalten
konnte, wo ihr und wo mein Körper anfing oder endete.
Wir klebten dichter zusammen, als siamesische Zwillinge.
"Hoffentlich geht das gut“, dachte ich noch, als wir aus der schmalen Nebenstraße in den
breiten Heilig-Geist-Wall einbogen. Ich beschloss trotz des Minimalverkehrs sehr vorsichtig
zu fahren, um Katharinas Furcht nicht noch zu verstärken.
Als ich jedoch versuchte, mich auf dem Sitz ein wenig von ihr zu lösen, um mich besser
bewegen und sicherer fahren zu können, rückte sie sofort wieder konsequent nach.
So war es zwar für sie unbequem, für mich ein wenig schwierig zu fahren, aber das nahm
ich in Kauf. Auf ihrem eigenen Sitz konnte sie fast schon gar nicht mehr sitzen, denn zum
größten Teil saß sie auf der Randwölbung von meinem.
Für Katharina konnte das nur wesentlich unbequemer sein, als für mich.
Andererseits zeigte sie mir damit, dass sie bereit war, mir vollkommen ihr Leben und ihre
Sicherheit anzuvertrauen.
Auf eine Weise, für die ich keine Worte fand, machte mich das ziemlich glücklich.
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5. Kapitel
Ein infernalischer Resonanzton ließ mich hochschrecken, ein Klang wie von einer
gigantisch verstärkten E-Gitarre, mindestens eine Million Watt, - so kam es mir zumindest
vor.
Ein lautes Rauschen folgte, dann ein hallender, unverständlicher Wortwechsel. Dann folgte
wieder der Resonanzton, den ich jetzt aber halb erwachend als einen elektrisch verstärkten
Gitarrenakkord identifizieren konnte.
Ich versuchte mich halb aufzurichten, sah mich um, wunderte mich über meine eingeschränkte Bewegungsfreiheit, und begriff erst nach ein paar Sekunden, dass ich immer
noch in dem olivfarbenen Schlafsack steckte. Über mir erstreckte sich ein seltsam feuerroter Himmel, wie zum Greifen nah, und überwoben von tausendfachen Geräuschfetzen
aus Lachen, Stimmengemurmel und nahferner Musik, dazwischen einzelne laute Rufe,
fernes Motorengeräusch, Hundegebell und Gläserklirren.
Ich hatte für einen Moment nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand.
Dann realisierte ich langsam meine Umgebung, ein untrügliches Zeichen, dass ich wacher
wurde und klar zu denken begann.
Der feuerrote Himmel war der Zeltgiebel, und die vielen Geräusche kamen von außerhalb
des Zeltes. Müde und verschlafen rieb ich mir die Augen, sinnierte darüber, ob es nicht
angenehmer und besser sein würde, noch eine Stunde Schlaf nachzuholen. Doch ein
schneller und halbwacher Blick ringsum zeigte mir, dass ich der Letzte war, der noch im
Zelt geschlafen hatte.
Alle anderen Schlafsäcke waren leer.
Und schlagartig wusste ich auch wieder, wo ich war und was hier genau vorging. Katharina
war sicher schon lange auf, denn als ich meine Hand auf ihren blauen Schlafsack legte,
war er sehr kalt, ohne einen letzten Rest von Körperwärme. Das weckte alle Erinnerungen
an die Zeit weit nach Mitternacht, als wir hier auf den Weserwiesen angekommen waren.
Ob ich wollte oder nicht, ich musste grinsen.
Katharina hatte zwar versucht, sich so wenig wie möglich anmerken zu lassen, aber sie war
reichlich mitgenommen und körperlich erledigt, als wir endlich den großen Parkplatz
erreicht hatten, wo hunderte von Autos und mindestens ebenso viele Motorräder geparkt
waren.
Allein wäre sie nie wieder von der "Alten Lady" herunter gekommen. Ich musste ihr helfen,
so verspannt und verkrampft, wie sie war, so müde und schlapp. Ihre Muskeln zitterten, und
wenn ich sie nicht festgehalten hätte, wäre sie sicher gleich auf dem Parkplatz zu Boden
gestürzt, denn ihre Knie waren weich wie Gummi.
Doch als ich besorgt nachfragte, meinte sie nur, dass es ihr gutgehe.
Sie wolle sich nur einen Augenblick hinsetzen.
Das tat sie denn auch, genau da, wo sie gerade stand. Sie atmete tief durch, seufzte und
stöhnte, nahm sich schwer atmend den Helm ab, streckte ihre Arme und Beine, - während
ich das Motorrad aufbockte und mit einem dicken Kettenschloss sicherte.
Begeistert war sie nicht gerade, als ich ihr auf die Beine half, um gemeinsam nach unseren
Freunden und den anderen aus unserer Gruppe zu suchen, besonders nach Maria und
Rolf, den Katharina noch gar nicht kannte, obwohl sie schon von ihm gehört hatte. Sie
würde ohnehin eine Menge Leute kennenlernen, die für mich mehr oder weniger gute
Bekannte waren, für sie alles Fremde.
Katharina war so verspannt und müde, dass sie nicht einmal ihren Helm mitnehmen wollte,
und sich erst anders entschied, als ich ihr sagte, dass wir ihn unmöglich hier zurücklassen
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könnten. Ich wollte ihn für sie tragen, doch mit tapfer zusammengebissenen Zähnen hob
sie ihn auf und trug ihn selbst.
Ich war auch nicht mehr taufrisch und ging einen Schritt vor ihr, bis sie mich mit einem
klagenden Ruf aufhielt.
"Hey ... warte auf mich ... oder glaubst du etwa, ich könnte hier allein laufen ... das ist völlig
fremdes Gelände für mich ...“, sie lächelte mich gequält an, "wenn du mich mitnehmen
willst ... dann musst du mich schon führen ...“
Es war mir peinlich, dass ich darüber gar nicht nachgedacht hatte. Doch sie wiegelte meine
Entschuldigung müde lächelnd ab.
"Mit der Zeit ... wirst du schon Übung kriegen ...“
Sicherheitshalber fragte ich sie, was ich tun könnte, denn vor uns lagen hunderte von
kleinen und größeren Zelten, von improvisierten Lagerfeuern, abgestellten Fahrrädern zwischen den Zelten und jeder Menge Zeltschnüre.
"Versuch einfach ... mich um alles rumzuführen ...“, Katharina seufzte müde auf, "wie ... wie
willst du sie überhaupt finden ...?“
Das wusste ich auch noch nicht so genau, denn es war trotz der vielen kleinen Feuer und
einiger Fackeln überall ziemlich dunkel. Dazwischen saßen Menschen zusammen, tranken
Bier, rauchten und lachten, knutschten und taten jene mehr oder weniger netten Dinge, die
man aus guter Stimmung am Vorabend eines solchen Rock-Festivals noch unbedingt tun
wollte, unbeobachtet von den Eltern.
Wir würden suchen müssen und darauf hoffen, unsere Freunde irgendwie zu finden.
Auf dem Weg zu und zwischen den zahlreichen Zelten gähnte Katharina mehrmals völlig
ungeniert, hing wie eine defekte Puppe an meinem Arm, und stolperte ziemlich mühselig
vor sich hin.
Viele Zelte waren bereits auch im Inneren dunkel, die Bewohner schliefen, oder waren
woanders unterwegs. Es war eine gute Idee der Veranstalter dieses alternativen Open-AirKonzertes gewesen, die frühe Anreise der Besucher zu empfehlen, und die Zeltstadt im
Umfeld der Bühnen schon zwei Tage vorher zu organisieren. Dadurch verteilte sich das
befürchtete Verkehrschaos immerhin schon auf zwei Tage, und brachte nicht den
gesamten Verkehr im Umfeld zum erliegen.
Mir erschien es dennoch, dass bereits jetzt mindestens vierzigtausend Besucher angereist
waren. Katharina war schweigsam und quengelte, als ich ihr die Umgebung zu schildern
versuchte. Denn sie konnte nicht glauben, dass wir angesichts dieser Umstände überhaupt
eine Chance hatten, die anderen aus der Gruppe mitten in der Nacht zu finden.
"Ich glaube, es war eine ... eine Scheißidee ... noch loszufahren“, nörgelte sie nach einer
Weile und kickte wütend einen kleinen Stein aus dem Weg, über den sie fast gestolpert
wäre, "du ... du hättest doch wissen müssen, dass es ... unmöglich ist, Maria oder jemand
anderes hier zu finden ...“
Wenn sie hätte sehen können, wie chaotisch und unübersehbar die Zeltstadt um uns war,
wäre sie wahrscheinlich auf der Stelle stehengeblieben, hätte sich protestierend und
demonstrativ hingesetzt und keinen einzigen Schritt mehr getan.
Ich war richtig froh, ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben.
So stiegen wir vorsichtig über Menschen in Schlafsäcken zwischen den Zelten hinweg,
umgingen Zeltschnüre und kleine Lagerfeuer, stolperten beide über Bodenunebenheiten,
bis Katharina anfing richtig sauer zu werden.
Sie fragte mich fauchend, ob es eigentlich irgendwelche Kriterien gäbe, nach denen ich die
Suche durchführte. Sie habe das Gefühl, dass wir wahllos im Kreis herum-stolperten, ohne
unserem Ziel auch nur einen einzigen Schritt näherzukommen.
"Ich glaube ... dass du einfach ... auf einen Zufall hoffst ...“
Das machte mich nun sauer, denn ich war auch müde, gab mir aber alle Mühe, die Suche
so kurz wie möglich zu gestalten. Aber wie sollte ich hier irgendeinen Anhaltspunkt finden?
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Ich konnte nicht leugnen, dass Katharina nicht ganz unrecht hätte, - sagte ihr das aber
lieber nicht, denn ich fürchtete die Folgen meines Eingeständnisses.
Als sie gerade zu einer neuen Nörgelei ansetzte, ich darauf gereizt antworten wollte, rief
jemand laut und gar nicht so fern meinen Namen, und dann noch einmal.
Ich konnte zwar noch niemand ausmachen, der mir bekannt vorkam, aber im nächsten
Moment flog Maria wie aus dem Nichts auf mich zu, sprang mich förmlich an, fiel mir um
den Hals und lachte laut vor Freude. Rolf folgte ihr dicht auf den Fersen und gemeinsam
führten sie uns zu dem wenige Meter entfernten Platz, wo fünf Zelte zu einem Halbrund
aufgestellt worden waren. Dort hatten die Beiden mit ein paar anderen ausdauernd
ausgeharrt, obwohl nach Mehrheitsmeinung kaum noch eine Chance bestand, dass ich
nachkommen würde. Ein kleines Feuer brannte in der Mitte, ein paar mit großen Steinen
gegen den Wind abgeschirmte Kerzen, und leere Flaschen standen massenhaft herum.
Ich beobachtete Maria, wie geschickt sie Katharina um die offenen Feuer herumführte, weil
sie natürlich ganz genau wusste, wie viel Angst sie davor hatte. Bei der Wärmeabstrahlung
konnte die das natürlich genau fühlen. Entsprechend warf sie unsichere Blicke in diese
Richtung.
Wir wurden freudig und müde von allen begrüßt, - und Maria kam nicht umhin darauf
hinzuweisen, dass sie es ja gewusst habe, dass sie es gesagt habe, dass ich noch
kommen würde.
Nur mit Katharina hatte selbst sie absolut nicht gerechnet.
Sie beugte sich kurz zu mir rüber und flüsterte mir zu, dass ich ihr unbedingt erzählen
müsse, wie ich das fertiggebracht hätte.
Katharinas Anwesenheit wurde ebenso freundlich aufgenommen, auch wenn es einige
sichtlich verwunderte, dass sie nach einer so relativ kurzen Motorradfahrt derart KO sein
konnte. Maria nahm sie immer wieder ungläubig in den Arm, versicherte ihr, wie sehr sie
sich freue, dass sie mitgekommen sei, dass sie damit überhaupt nicht gerechnet hätte.
Wir bekamen gegrillte Würstchen und eine Flasche Bier gereicht, ein dick geschnittenes
Stück Schwarzbrot, und Frikadellen, - so ging es uns schon deutlich besser.
Katharina entschuldigte sich leise bei mir wegen ihrer Nörgelei, - was ich mit einer gewissen Selbstgefälligkeit zur Kenntnis nahm - und fand es beeindruckend, dass ich Maria
tatsächlich gefunden hatte, - obwohl es eher umgekehrt gewesen war. Sie zog sich bald vor
den Eingang des Zeltes zurück, wo sie schlafen sollte, denn sie schien wirklich am Ende
ihrer Kräfte.
Angesichts der Tatsache, dass es schon bald wieder dämmern würde, gingen wir anderen
auch kurz danach schlafen, löschten die Feuer und die Kerzen.
Erstaunlicherweise gab es keinerlei Diskussion mehr darüber, wer bei oder mit wem im
selben Zelt schlafen sollte, - das war offenbar alles bereits vorher ausdiskutiert worden.
Ich war mir nicht sicher, ob Katharina zu müde war, als sie kein Wort dazu sagte und sich
schweigend an mich hängte, als ich mich für ein Zelt entschieden hatte. Sie rollte etwas
umständlich ihren geliehenen Schlafsack neben meinem aus, warf Schuhe und Hose ohne
jegliche Bedenken in eine Zeltecke, und kroch in ihr Nachtlager.
Ich machte es ihr nach, brauchte mich nicht einmal verschämt wegzudrehen, als ich meine
Hose auszog, denn es war mir klar, dass Katharina mich ja nicht sehen konnte. Als ich in
meinen Schlafsack kroch, war ich mir ziemlich sicher, dass sie bereits eingeschlafen war.
Doch sie hob noch einmal den Kopf, wandte mir ihr Gesicht zu und tastete vorsichtig nach
meiner Hand.
"Schlaf gut, Paul“, murmelte sie leise und legte sich wieder hin.
Selbstzufrieden stumm lächelte ich vor mich ins Dunkel, war ganz zufrieden, streckte
meinerseits die müden Glieder aus und wollte nur noch schlafen.
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"Es war schön ... Paul“, hörte ich Katharina leise murmeln, ohne dass sie sich ansonsten
auch nur eine Spur bewegte, "wirklich schön ...“, sie gähnte laut und vernehmlich, „... und
anstrengend ...“
Ich glaube, danach war sie sofort eingeschlafen, denn es war kein Ton, keine winzigste
Bewegung von ihr mehr wahrzunehmen.
Und jetzt war ich wieder wach - und Katharina war nicht mehr da, vor mir wach geworden
und schon außerhalb des Zeltes.
Ich verspürte großes Bedürfnis nach Zähneputzen, mich waschen, die Müdigkeit aus
meinen Gliedern treiben.
Also kroch ich aus meinem Schlafsack, zum Zelteingang, und öffnete den Reißverschluß.
Ein allgemeines "Mooiiin" begrüßte mich wie ein Chor.
Auf den weitgestreckten Weserwiesen hatte sich die Zahl der Zelte noch deutlich erhöht,
schienen immer noch mehr Besucher mit Sack und Pack anzureisen.
Die ganze Umgebung schwirrte in einem hektisch quirligen Durcheinander von Erwachsenen, Kindern und bellenden Hunden, von Kaffee- und Haschisch-Duft, von verschiedenen
Kleinradios und fernem Soundcheck an der Bühne. Bauchladenhändler durchkämmten mit
allen möglichen Waren die Zeltstadt. Es wurde gegrillt und gekocht, Feuer brannten, Menschen tanzten in Vorbegeisterung oder weil sie bereits am frühen Morgen betrunken waren.
An den Bierständen harrten geduldig schier endlose Menschenschlangen aus, um ihren
Biervorrat aufzustocken, oder sich überhaupt erst einmal einzudecken.
Im Halbrund unserer Zelte hatte sich die Zahl leerer Flaschen auch bereits drastisch erhöht,
frisch geleert neben den Zelten.
Katharina war nirgends zu sehen, - Maria auch nicht.
Dafür spöttelte Rolf mich an, dass ich endlich aus dem Zelt gefunden habe. Es wäre
immerhin schon kurz nach zehn Uhr.
Ich fragte ihn nur trocken, ob er schon die Gegebenheiten des Festivals kenne und begab
mich erst einmal zur Waschgelegenheit, einem umzäunten Areal, wo ich mir reichlich kaltes
Wasser ins Gesicht platschte, mich mit Wasser erfrischte und abrieb, den Geruch des
Schlafes vom Körper wusch.
Den Rückweg nutzte ich zu einem ausgiebigen Bummel über die Veranstaltungswiese,
nahm den gewaltigen Bühnenaufbau in Augenschein, wo noch immer der letzte Soundcheck für die großen Bands stattfand. Ich traf sogar ein paar Leute, die ich kannte, plauderte eine Weile mit ihnen, flachste und alberte herum. Genau wie sie freute ich mich riesig auf
die verschiedenen Konzerte, auch wenn wir die eine oder andere Band nicht kannten. So
langsam fühlte ich mich wacher, bekam Hunger und eine aufgekratzt gute Laune.
Zurück bei unseren Zelten fand ich endlich auch Maria und Katharina, deren Haare noch
strähnig nass waren, mit rosigen Wangen im warmen Morgen. Sie hatten die Zeit ebenfalls
für eine Erfrischung genutzt, aber unter der Dusche in einem eigens dafür errichteten Areal.
"Hey, Paul“, rief Maria gleich, als ich noch ein gutes Stück entfernt war, und umarmte mich
dann, als wir uns gegenüber standen.
"Es ist schön, dass du Katharina mitgebracht hast“, ihre Augen strahlten in intensivem Blau,
"richtig schön."
Für einen Augenblick legte sie ihren Kopf an meine Schulter, drückte mich noch einmal
fest. Sie ließ mich spüren, dass ihre Freude echt und aufrichtig war, - und dass es sie
innerlich stark berührte. Aber sie erinnerte mich auch daran, dass ich ihr noch erzählen
müsse, wie ich das fertiggebracht hätte.
Katharinas Begrüßung war sehr liebevoll, gar nicht mehr die nörgelnde Kratzbürste vom
Vorabend, sondern breit grinsend und offensichtlich sehr zufrieden mit dem bisherigen
Verlauf dieses für sie ungewohnten Abenteuers. Maria hatte sie ein wenig herumgeführt, ihr
die Zeltstadt, den Bühnenaufbau und die Umgebung beschrieben, ihr einen ersten Eindruck
vermittelt, - und der hatte ihr mehr als nur gefallen.
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Katharina trug jetzt wieder ihre dunkle Brille, in der sich bei diesem herrlichen Spätsommerwetter grell die Sonne spiegelte.
Sie sah hinreißend aus, trug wieder ihre Jeans, dazu ein bunt gewürfeltes Baumwollhemd.
Im Gegensatz zu unserem ersten Treffen legte sie wenig Wert auf Schick, dafür um so
mehr auf ihre Natürlichkeit. Ihre feuchten Haare hatten eine ganz besondere Wirkung,
wenn sie sie einfach mit den Fingern gekämmt am Kopf trocknen ließ. Sie lagen wie ein
aufgebauschtes Fell um ihren Kopf, ließen sie sehr exotisch aussehen.
Frisch wie der Morgentau stand sie vor mir, voll ansteckend guter Laune, die nicht einmal
von Maria übertrumpft werden konnte.
Auch die trug ein bunt gewürfeltes Hemd, die nassfeuchten Blondhaare in einem nahezu
goldenen Strang im Nacken zusammengebunden. Auch sie war ein wirklich schöner
Anblick, in etwas speckigen Jeans, barfuß und ebenso rosig frisch von der Morgendusche.
Katharinas Hemd war von ihr geliehen, denn sie wollte nicht im dicken Pullover herumlaufen.
Irgendwie hatte ich bei ihrer Umarmung das Gefühl, dass sie noch etwas anderes sagen,
als nur guten Morgen und von ihrem Rundgang berichten wollte, aber sie nahm dann doch
nur still meine Hand und gemeinsam rückten wir zum Frühstück vor. Wann immer ich zu
Katharina sah, hatte sie mir ihr Gesicht zugewandt, lächelte geheimnisvoll oder keck spitzbübisch, berührte ab uns zu wie zufällig meinen Arm oder meine Hand, wenn ich irgend
etwas auf der Bodenmatte greifen wollte. Sie wusste wieder einmal ganz genau, wie sie
sich in Szene setzen, wie sie sich meiner Aufmerksamkeit sicher sein konnte.
Es löste ungeahnt sanfte Gefühle in mir aus, eine gespannte Stimmung, die jedoch immer
spielerisch blieb, die mich ruhig und entspannt beglückte. Ich war ausgesprochen zufrieden
mit dieser Entwicklung, brauchte für einen wunderschönen Tag nicht viel mehr als das.
In der Fantasie begann ich mir Situationen auszumalen, die mich leicht ins Schwitzen
brachten.
Das war eine so sanfte, sinnliche Atmosphäre, dass ich mich ihr unmöglich entziehen
konnte. So dämmerte mir allmählich, dass das kein Zufall war, dass Katharina durchaus in
der Lage war, die Emotionen zwischen uns zu steuern, eine sanft erotische Spannung
kontrolliert zwischen uns aufzubauen. Das war etwas, was ich auch noch nie zuvor bei
irgendeiner Frau beobachtet hatte.
Es war wie ein Geschenk, das sie mir machte, unsichtbar für alle anderen, mit gedämpften
Lüsten und Leidenschaften, die unter der scheinbar ruhigen Oberfläche brodelten.
Wie immer sich auch die Situation oder Beziehung zwischen uns verändern mochte, ich
wusste, dass die Erinnerung an diese ersten, heimlich intimen Stunden für immer wie ein
kostbarer Diamant in meinem Gedächtnis bleiben würden.
Rolf, Maria und all die Freunde, Kumpel und Bekannten, die unser Zelt-Halbrund teilten,
waren lediglich gut gelaunt, ausgelassen und fröhlich. Sie alberten herum, tranken und
rauchten gemeinsam, räumten unaufgefordert und bereitwillig die Reste der Nacht beiseite,
brachten sie zu den riesigen Müllcontainern ganz weit außen am Rande der Festivalwiesen. Alle waren sie auf irgendeine intensive oder lockere Weise mit sich selbst oder miteinander beschäftigt, in euphorisch guter Laune, fit für zahlreiche Konzerte aller Stilrichtungen,
die auf diesem Open-Air-Konzert vertreten waren.
Doch ich hatte das Gefühl, dass keiner von ihnen diese kleinen, geheimnisvollen Signale,
die zwischen Katharina und mir knisterten, auch nur bemerkte.
Von der Bühne herüber waren die ersten Klänge der Bands zu hören, die die undankbare
Aufgabe des Warm-up hatten, die Fans in Stimmung bringen sollten. Sie lockten uns an,
doch wir wussten, dass das nur die lokalen Bands waren, die hier ihre kleine Chance bekamen einmal vor großem Publikum zu spielen. Das war kein schlechter Sound, aber noch
kein Grund für uns alle, dass wir uns ins Getümmel vor der Bühne gestürzt hätten.
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Gegen Mittag, als wir alle schon mindestens die erste Flasche Bier hinter uns, und ein
ausgiebiges Frühstück, samt Zigaretten und einer zweiten Flasche geleert hatten, machten
wir uns aber dann doch auf den Weg.
Wir wussten, dass bald "Kraan" spielen würde, eine der Supergruppen auf dem Festival
und die wollte keiner verpassen.
So schnappten wir uns Decken und ausreichend Getränke, suchten uns einen gemütlichen
Platz auf einer kleinen Erderhebung, - weit genug weg von der Bühne um einen guten
Klang zu haben, aber nah genug, um das Bühnen-Feeling nicht zu verpassen.
Katharina wich keinen Schritt von meiner Seite, klebte förmlich an mir, und ließ nicht eine
Sekunde meine Hand los. Sie wirkte jetzt ein bisschen nervös und beunruhigt, wollte
unbedingt ganz dicht bei mir sitzen.
Ich half ihr, ließ sie zwischen meinen ausgestreckten Beinen sitzen, wo sie sich leicht und
bequem an mich anlehnen konnte.
Es wurde jetzt fast minütlich wärmer, und so war es herrlich in der warmen Sonne zu
sitzen, der tollen Stimmung zu folgen, die auf und vor der Bühne herrschte.
Katharina ließ sich von jemandem aus unserer Runde eine Bierflasche reichen, trank mit
vollem Genuss und reichte sie dann an mich weiter.
"Ein Friedenstrunk ...“, erläuterte sie schelmisch grinsend, "damit du meine schlechte
Laune ... und meine Nörgelei von heute Nacht aus dem Gedächtnis streichst ...“
"Hab ich schon vergessen“, versicherte ich ihr und grinste sie ebenfalls an, ungeachtet der
Tatsache, dass sie das nicht sehen konnte. Ich wusste, wie nah sie mir in diesem Moment
war. Trotz der riesigen Menschenmenge um uns herum genau spürte ich genau, wie ich auf
sie reagierte. Zwar konnte ich mir überhaupt noch nicht genau erklären, wie sie das
schaffte, - aber ich nahm es als Tatsache hin.
Ihre kleine Entschuldigung tat mir gut, denn es zeigte mir auch, wie viel Wert sie auf solche
kleinen, scheinbar nebensächlichen Gesten legte.
Genau wie ich empfand sie es nicht als demütigend, sich für einen unbedachten Fehler zu
entschuldigen. Sie nahm ihre eigenen Fehler ernst und wollte ganz bewusst zu ihnen
stehen.
Doch ich hatte keine Zeit, mich darüber zu freuen, denn im selben Moment erschienen
endlich die Musiker um Hellmut Hattler auf der Bühne, und die Fans von "KRAAN" begannen zu pfeifen, zu schreien und zu toben, während die Musiker ihre Instrumente aufnahmen.
Um uns herum brach regelrecht die Hölle los, sprangen Menschen auf, schien die Begeisterung gar kein Ende mehr zu nehmen.
KRAAN war eine der angesagtesten Bands zu dieser Zeit, intelligenter Jazz-Rock der
Spitzenklasse, mit gigantischen Plattenverkäufen. Es war unübersehbar, dass zahlreiche
Fans den Weg auf die Weserwiesen gefunden hatten, um besonders sie einmal live zu
erleben.
"Lass mich hier bloß nicht allein“, brüllte mir Katharina zu, die ebenfalls applaudierend
aufgesprungen war. Sie schlang die Arme um meinen Hals und zog mich ein wenig zu sich
herunter, damit ich sie überhaupt verstehen konnte, "lass mich nicht aus den Augen ... hier
habe ich keinerlei ... keine Orientierung mehr ...!“
Ich versicherte ihr, dass ich auf sie aufpassen würde, wie auf meinen Augapfel. Ich fühlte
mich wahnselig gut in ihrer Nähe, wie berauscht, liebte diese anschmiegsame Haltung, in
der sie ganz dicht vor mir stand.
Wie zur Bestätigung rückte Katharina noch ein wenig dichter an mich heran, rieb ihre
Wange zärtlich an meinem Hemd, und drückte einen Kuss auf meine Hand, die sie fest
umschlungen hielt. Wir wiegten uns zur Musik, genossen diese Nähe und vergaßen fast die
Menschenmassen, die uns umringten, - und auch alles andere, das uns umgab.
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Einmal fing ich ganz kurz einen Blick von Maria ein, die zu uns herübersah, und ihr Blick
war so voller Zufriedenheit und Einverständnis, dass ich das gar nicht richtig verstehen und
einordnen konnte.
"Sei ja lieb zu ihr“, flüsterte sie mir leise zu, als sie mir eine neue Bierflasche reichte, "sie ist
schließlich meine Freundin ...“
Ich stieß sie lachend mit einem freundschaftlichen Stups weg, und Katharina hob sofort den
Kopf, um festzustellen, was da hinter ihr los war, denn hören konnte sie uns bei dem Lärm
der Verstärker-Anlage nicht. Offenbar erkannte sie aber Marias Lachen und drohte ihr
grinsend mit dem Finger.
"Gehört sich das?“ brüllte sie mir gespielter Entrüstung, "wenn du jemanden zum Flirten
brauchst ... such dir einen eigenen Liebhaber ...“
Alle Umsitzenden brachen in dröhnendes Gelächter aus, nur ich wurde flammend rot, sicher auch, weil es das erste Mal war, dass Katharina mich als ihren Liebhaber
bezeichnete.
Wir hatten an diesem Mittag einen großen Spaß, tanzten und hüpften herum, bogen und
wiegten uns in dem mitreißenden Sound, tranken viel Bier, ohne wirklich betrunken zu sein.
Irgendwann merkte ich dann, längst als wir wieder auf dem Boden saßen und einem
wunderbar melodischen Rock-Opus zuhörten, wie Katharina mit den Fingern meiner Hand
spielte, die auf ihrem Bauch lag, während sie ganz dicht mit ihrem Rücken vor mir saß. Sie
nahm sie, streichelte darüber, küsste eine Fingerspitze, dann noch eine, küsste die
Handinnenfläche und spürte wohl, dass sie jetzt meine volle Aufmerksamkeit hatte.
Ganz langsam nahm sie meine Hand hoch, und legte sie sanft auf ihre Brust.
Wir hatten zwar alle eine richtig gute Laune, ich sicherlich nicht gerade wenig getrunken,
aber ich war mir sicher, dass ich nicht träumte.
Ich hielt meine Hand ganz still, sah, wie Katharina ihre Arme vor der Brust kreuzte, sodass
selbst ein aufmerksamer Beobachter kaum gesehen hätte, was wir da machten, - oder
besser gesagt, sie. Denn ich war nur der stille Genießer, der etwas heftiger atmete, der
sein Herz plötzlich laut schlagen hörte, und der spürte, wie sich ein Schwall von sinnlicher
Erregung in ihm breitmachte. Ein Blick in die Runde zeigte mir, dass niemand uns beachtete, dass selbst Marias Aufmerksamkeit der Bühne galt.
Als hätte Katharina das auch wahrgenommen, als wolle sie den Augenblick nutzen, machte
sie dieses kleine Spiel noch etwas atemberaubender, noch etwas spannender.
Nach einem kurzen Augenblick des stillen Verweilens meiner Hand auf ihrer deutlich
fühlbaren, wohlgeformten, weichwarmen Brust, legte sie ihre Hand über meine, und begann
nahezu unmerklich und sanft zu drücken, zu umkreisen, schmeichelnde Liebkosungen.
Fast ungläubig sah ich ihr über die Schulter, und wusste überhaupt nicht, wie ich darauf
reagieren sollte. So lachte ich nur ein wenig heiser und verlegen, spürte, wie mir ganz leicht
der Schweiß ausbrach, wie Katharina versuchte, noch dichter an mich heranzurutschen.
Ich spürte, wie sie sich ein wenig aufrichtete, ihren Rücken ganz leicht an meinem
Oberkörper rieb, ohne ein winzige Spur von Befangenheit zu zeigen.
Es war etwas, was ich auch viele Jahre später an ihr noch ungeheuer faszinierend fand,
dieses Ausschließen ihrer Umgebung, dieses sich allein auf uns beide konzentrieren, die
Menschen um uns herum völlig zu ignorieren.
Was ich nicht sehe, kann so wichtig nicht sein.
Aber sie spürte mich, ihre eigene Sinnlichkeit, und sie liebte dieses Spiel der sinnlichen
Verführung, das mich manchmal fast verrückt machte.
In diesem Augenblick, auf den Weserwiesen, umgeben von tausenden von ausgelassenen
Menschen, schaffte sie dies zum ersten Mal bei mir, mich vollkommen auf sie und uns
zurückzuziehen.
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Katharina machte ganz ruhig weiter, entspannt und konzentriert in völliger Harmonie. Sie
begann meine Handfläche kleine Kreise ziehen zu lassen, drückte und stupste ab und zu
zärtlich, den Kopf sanft lächelnd an meine Schulter gelehnt.
Weil ich meinte, nun auch aktiv werden zu dürfen, ja es sogar zu sollen, beugte ich mich
leicht nach vorn, und weil ich nichts anderes an ihr erreichen konnte, drückte ich ihr einen
hauchzarten Kuss auf die Stirn, in ihr Haar, ihren Hals. Mit meiner freien Hand drückte ich
erst sanft ihre Hüfte, strich dann zärtlich durch ihr immer noch feuchtes Haar, spürte die
Seidigkeit unter meinen Fingern.
Katharinas Antwort war ein leises Seufzen, das nur ich wahrnehmen konnte, weil mein Kopf
so dicht an ihrem war, fast wie ein Schnurren. Dann atmete sie tief durch, nahm meine
Hand von ihrer Brust, drückte wieder einen sanften Kuss in die Handfläche, und führte sie
dann zu ihrem Platz zurück, wo ich jetzt deutlich spürte, wie erregt sie war, als ich die
weiche Festigkeit unter meiner Hand fühlte.
"Schön?“ fragte sie mich gerade so laut, dass ich es hören konnte, und ihre Frage war fast
wie ein gurrender Locklaut. Ich konnte nicht einmal antworten, denn mein Mund war
trocken vor Aufregung. Alles schien mir, war in dieser Sekunde möglich, alles, was ich mir
erträumen mochte.
Ich versuchte Katharina zu küssen, doch entweder hatte sie meine Bewegung falsch
gedeutet, oder sie wollte es ganz bewusst nicht. So traf ich nur ihre Wange, und fühlte, wie
diese Frau so dicht vor mir leicht erschauerte. Gleichzeitig konnte ich sehen, was sie tat.
Sie hatte zwei Knöpfe ihres Hemdes geschickt geöffnet, drückte noch einmal einen Kuss in
meine Handfläche, und schob sie dann ganz schnell unter ihr Hemd.
Ich spürte ihre Haut, seidenweich und sehr warm, mit einem hauchfeinen Schweißfilm.
Katharinas Herz schlug mindestens so heftig wie meines, als meine Hand erneut auf ihrer
rechten Brust ruhte. Jetzt drückte ich aus eigenem Willen ein wenig fester zu und spürte sie
heftig ausatmen.
Wieder lachte sie leise auf, drückte von außen fester auf meine Hand, kuschelte sich
unruhig gegen mich. Ich barg mein Gesicht an ihrem Nacken, küsste sanft ihren Hals.
Ein tiefer Seufzer war Katharinas spontane Antwort, ehe sie wieder leise zu schnurren
schien. Sie brauchte mich nicht zu animieren, jetzt streichelte ich ganz sanft ihre Brust,
spürte die feste Warze unter meiner Handfläche, ohne dass Katharina dies unterstützen
musste.
Ich merkte, wie mir der Schweiß ausbrach, über den Rücken rann, und küsste weiter ihren
Nacken. Noch nie hatte ich es erlebt, dass eine Frau so offen und unverblümt meine
Berührung genoss, sich ohne geringste Scheu das nahm, was sie wollte. Fast unablässig
hörte ich Katharina leise seufzen, ihren schnellen Atem, ihr heftig schlagendes Herz, spürte
diese kleinen, kaum sichtbaren Beckenbewegungen in meinem Schoss, - und fühlte auch,
dass ihre Haut warmfeucht wurde.
Es war kaum aushaltbar, atemberaubend.
"Schön?“ hörte ich sie leise in mein Ohr fragen, und war mir nicht ganz sicher, ob es nicht
auch eine Bestätigung sein könnte, "gefällt dir das?“
Ich bekam nur einen zustimmenden Grunzton heraus, und hörte Katharinas leises,
lustvolles Lachen, so melodisch und sinnlich. Das Blut rauschte in meinen Ohren wie
Meeresbrandung, - und ich umspannte ihre Brust so fest, dass sie nach Luft schnappte. Sie
rieb ihren Kopf an meiner Schulter, drückte sich gegen mich, dass ich beinahe umgefallen
wäre. Ihre Haut wurde immer wärmer und seidiger, feucht von feinem Schweiß.
"Streicheln“, forderte sie lachend an meinem Ohr, und ich war richtig froh, dass uns keiner
hören konnte.
Mir wurde das Atmen immer schwerer, so packte mich die Erregung. Mit warmen Lippen
suchte ich vorsichtig ihr Ohr, küsste es, biss ganz sanft hinein - und bekam als Antwort
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einen Laut, der fast ein leiser Schrei der Lust war. Es riss mich förmlich mit, und so presste
ich Katharina plötzlich ganz fest an mich, wobei sie sich ein wenig aufbäumte.
"Mir ist heiß“, hörte ich sie halblaut in mein Ohr sagen, "mir ist ... heiß ... und ich ...“ sie
lachte leise und wurde ein wenig rot, „... ich bin geil ... richtig geil ...“
Sie atmete leise pfeifend aus, presste noch einmal meine Hand auf ihre Brust, und zog sie
dann schnell aus ihrem Hemd.
"Genug jetzt“, lachte sie mir zu, "wer weiß, wo das sonst noch endet ...“
Sie schüttelte heftig den Kopf, peitschte mein Gesicht sanft mit ihrem Haar und atmete
mehrmals tief durch, ehe sie wieder ein kleines Stück von mir wegrutschte, als wolle sie
damit deutlich machen, dass sie auch meine, was sie sagte.
Ich war völlig durcheinander, konnte keinen klaren Gedanken fassen und wusste nur, dass
ich ganz gerne weitergemacht hätte, während um uns herum die Menschenmassen gerade
in tosenden Applaus ausbrachen.
Mir wäre es egal gewesen, wo das endete.
Doch Katharina wandte mir ihr Gesicht zu, lächelte mich an und nahm ihre dunkle Brille ab.
"Na ... war das gut ...?“
Meinte sie die Musik oder was gerade zwischen uns geschehen war?
Ich konnte ihr nicht antworten, und sie hatte wohl auch keine Antwort erwartet, lachte nur
hell auf, nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mich auf die Nase.
"Wenn du lieb bist“, eröffnete sie mir spitzbübisch, "wenn du mir eine Zigarette, ein Bier und
Feuer besorgst ... gibt´s vielleicht mehr ... irgendwann ...“
Dabei kauerte sie dicht vor mir, das Gesicht ganz dicht vor meinem, sodass ich deutlich
ihren Atem spüren konnte.
Zum zweiten Mal sah ich ganz bewusst ihre Augen, und wieder war ich fasziniert und
betroffen zugleich von dem, was ich sah.
Diese Augen hatten tatsächlich eine Tiefe, in die ich mich beinahe beängstigend hineingezogen fühlte. Schwarz wie ein mitternächtlicher Bergsee, glänzend wie Achat - und auch so
still und leblos wie Steine, ohne Feuer oder Ahnungen von Träumen. Sie waren bedrohlich
und erschreckend schön zugleich. Diese tiefen schwarzen Augen gaben mir etwas von
meiner Fassung zurück, die Katharina mir spielerisch leicht genommen hatte. Sie ließen
meinen Atem ruhiger fließen, mein Herz sanfter schlagen.
In diesen Augen war etwas, dass ich immer wieder - auch in den Jahren viel später - zu
beschreiben versucht habe, - es ist mir nie gelungen, denn ich konnte es nie in Worte
kleiden.
An diesem Tag aber, auf den Weserwiesen, da waren sie die Quelle jenes Zaubers, dieser
wunderschönen Magie, die mich gefangen nahm.
Das war etwas, das mir Mut und gleichzeitig Angst machte.
"Willst du mich erst küssen ... oder mir zuerst eine Zigarette geben“, Katharina suchte mich
in die Wirklichkeit zurückzubringen, hatte deutlich ihren Spaß daran, mich ein wenig zu
verwirren.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich mehr instinktiv als tatsächlich, dass Maria zu uns
herübersah. Und als ich nur ein klein wenig den Kopf drehte, fand ich dies bestätigt. Doch
erschien mir ihr Gesicht ernst und nachdenklich, ehe sie sich grinsend abwandte.
"Hey ... wo bist du?“
Katharina zupfte sanft an meinem Hemd.
Ich schreckte ein wenig auf, sah sie irritiert an, und nahm sie dann fest in meine Arme.
Küssen wollte ich sie seltsamerweise in dieser Sekunde absolut nicht, dazu war ich innerlich viel zu verunsichert und aufgewühlt zugleich.
Lange hielt ich Katharina so, bis dann plötzlich das Musikstück, von dem wir nicht viel
mitbekommen hatten, auf der Bühne endete, und alle um uns herum vor Begeisterung
tobten.
92
Da ließ ich sie los und sie grinste mich an, tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Brust und
machte ein Gesicht wie ein Unschuldsengel.
"Krieg ich ein Bier ... und eine Zigarette ... und Feuer ... und einen Kuss?“
Sie konnte mich wahrhaft zum Lachen bringen und alles von mir bekommen, was immer sie
auch haben wollte. Dabei fragte ich mich insgeheim, auf was ich mich da eingelassen hatte,
wo das enden, ob es enden, und wie ich damit umgehen sollte. Ob es mir nun gefiel oder
nicht, ob es die Lage leichter machte oder nicht, ich schwankte total zwischen euphorischem Hingezogensein und furchterfüllter Zurückhaltung, die ich nicht einmal genau definieren konnte.
Katharina löste so widersprüchliche Gefühle in mir aus, - und ich konnte nicht einmal
sagen, ob das an mir oder allein an ihr lag.
Ich vermochte diese Frage nicht für mich zu klären.
Für den Augenblick wurde ich ohnehin dieser Frage enthoben, denn Katharina bekam
einen totalen Energieschub, wollte die Musik intensiver genießen. Sie blieb zwar in
unmittelbarer Nähe, suchte ab und zu sichernd nach meiner Hand, aber ansonsten tanzte
sie wie die Mücken im späten Tageslicht, sprang ausgelassen umher, wie ein kleines Kind,
pure Lebensfreude ausstrahlend.
Wir waren alle in Hochstimmung, ich nicht ausgeschlossen. Ich war sicher nicht mehr ganz
nüchtern, und nicht nur wegen des Alkohols, sondern auch durch Katharinas benebelnde
Anziehungskraft auf mich, ihre sanften Berührungen, ihrem sinnlichen Begehren, das sie
mir so offen gezeigt hatte.
Rolf kam zu uns, hatte einige Flaschen Rotwein mitgebracht, die er zusammen mit anderen
aus unserer Gruppe im nahen Supermarkt gekauft hatte. Wir ließen die Flaschen kreisen,
setzten uns aber bald gemütlich zusammen. Mir wurde klar, dass wir bald mächtig besoffen
sein würden, wenn wir weiter soviel verschiedenen Alkohol bei dieser Tageshitze tranken.
Doch verdrängte ich diesen Gedanken schnell wieder. Unsere Stimmung war so ausgelassen, auf der Bühne rockten und spielten hervorragende Bands.
Was wollten wir mehr, - und ein kleines Besäufnis würde uns nicht umbringen.
Es ging den ganzen Nachmittag so weiter.
Aus den gewaltigen Lautsprechertürmen ertönte mitreißende Musik, und besonders Inga
Rumpf´s "Frumpy" heizte den Massen so richtig ein.
Wenn ich mich so umsah, hatte ich den Eindruck, dass hier weit mehr als die verkündeten
fünfzigtausend Festival-Besucher waren.
Inga Rumpf sang mit ihrem enormen Stimmenumfang und ihrer "Rock-Röhre" diese
Menschen in Grund und Boden, bewegte sich ekstatisch auf der Bühne, tanzte und lachte,
scherzte mit dem Publikum, gab ihm alle Power, die sie freizusetzen hatte. Jean-Jaques
Kravetz, ihr begnadeter Schlagzeuger entzückte mit Solos, die niemanden mehr auf seinem
Platz hielten, minutenlangen Beifall auslösten. Grellbunte Lichtfinger jagten im Licht des
frühen Abends über die Bühne, zogen unruhig über die Köpfe der vielen tausend
Konzertbesucher, über ein wogendes Meer aus hüpfenden Körpern und wedelnden Armen,
fliegenden Haaren und brennenden Feuerzeugen.
Das machte Katharina ein bisschen Angst. Aber ich beruhigte sie und sagte ihr, dass kein
noch so kleines Flämmchen auch nur in ihrer unmittelbaren Nähe wäre.
Die weibliche deutsche "Blues-Röhre" schien wie entfesselt, gab wirklich alles, was sie zu
bieten hatte, sang und tanzte schweißnass und voller Leidenschaft auf der Bühne.
Die Luft erschien aufgeheizt, war erfüllt von johlenden Rufen, von Pfiffen und Kreischen,
von Staubfahnen und Zigarettenrauch.
Es war der ergreifende Höhepunkt des Tages, der die Begeisterung der Menge auf ganz
neue Höhen schaukelte, die Euphorie der Fans auf die Musiker und zurückspiegelte.
Kollegen reichten Inga Rumpf Handtücher, Wasserflaschen, alles um die ausgeschwitzte
Power zu bändigen.
93
Als die Zugaben kamen, gellten Pfiffe, erschallten Rufe nach mehr, nach viel mehr. Aber
als die Musikerin, nach der sechsten Zugabe völlig ausgepumpt und am Ende ihrer Kräfte,
dann den letzten fetzigen Song beendete, und der Schlagzeuger das Konzert ein letztes
gewaltiges Solo spielte, - da gab es kein Halten mehr. Es dauerte Minuten, bis Inga Rumpf
ihre Botschaft in die Menge rufen konnte: "Danke ... Danke ... good Night ... good Night ...
macht Liebe ... oder was ihr wollt ... viel Spaß noch ...!“
Kein noch so langer Applaus, kein rhythmisches Klatschen konnte sie wieder auf die Bühne
bringen, denn sie hatte längst das Maximum an Zeit ausgespielt. So gaben wir und auch
ihre Fans nach einer Weile auf, während auf der Bühne bereits für die Band am nächsten
Morgen so schnell wie möglich umgebaut wurde.
Vorerst kehrte wieder Ruhe ein.
Wir gingen jedoch noch nicht in die Zelte, obwohl es inzwischen ziemlich spät geworden
war, und wir weit davon entfernt waren nüchtern zu sein. Wir saßen noch lange zusammen
vor den Zelten, freuten uns immer noch an dem erlebten Konzert. Immer wieder schilderten
wir die heutigen Erlebnisse, die Bands und Musiker, die wir erlebt hatten, machten unsere
Späße, rauchten und tranken neue Flaschen leer. Manche schmusten ungeniert in der
Runde, knutschten mit ihrem Partner oder verdrückten sich zum Weserufer, um den aufgegangenen Mond zu sehen. Dort mochten sie sich nahe kommen, - oder sie verschwanden
einfach schlicht im Zelt, um dort intimere Küsse und noch viel mehr auszutauschen.
Irgend jemand hatte - weiß der Teufel wie und wo - ein ziemlich großes Shit-Piece aufgetrieben oder gekauft, füllte eine Haschisch-Pfeife mit Tabak und ließ sie als Maxi-Joint
kreisen. Das Zeug war gut, haute uns nicht völlig um, machte aber auf angenehme Weise
high, zeigte sehr kontinuierlich seine Wirkung.
Maria begann schon nach ein paar Zügen albern vor sich hin zu kichern, der dicke Willi
begann glucksend zu lachen, bis er einen Schluckauf bekam. Er war wirklich ein guter
Kumpel und netter Kerl, aber nicht gerade ein Frauentyp, mit viel Leibesfülle und dem
Gemüt eines satten Bernhardiners, gutmütig und sanftmütig. Dabei konnte er wirklich witzig
sein und es war niemand da, der sich nicht über seine heitere Ausgelassenheit gefreut
hätte.
Ich wusste nicht genau, ob ich die Pfeife Katharina überhaupt anbieten sollte, hatte kein
gutes Gefühl dabei.
Doch sie gestand mir leise, bisher nur ein einziges Mal im Leben einen Joint geraucht zu
haben. Sie war jedoch keine Sekunde unsicher, ob sie einen Zug nehmen und mitmachen
wollte. Für sie als Blinde war es naturgemäß ausgeschlossen, sich Haschisch oder Shit zu
beschaffen, wenn sie Lust darauf hatte.
Ich selber machte mir nicht viel daraus, fand aber auch keinen Einwand dagegen, es hin
und wieder zu nutzen, hatte auch schon ein paar Erfahrungen damit gemacht. Nur im
Gegensatz zu manchen Zeitgenossen, die mir mächtig auf den Geist gingen, wurde ich
auch nicht nervös, wenn ich monatelang keinen Joint rauchte, - oder auch gar nicht.
Es war schon witzig, wie Katharina nach dem ersten Zug krächzte und hustete, weil eine
Haschisch-Pfeife ihren Rauch natürlich viel direkter abgab. Aber sie nahm einen weiteren
Zug, um die Wirkung rauchumnebelt zu genießen.
Nichts unterschied sie hier von den anderen Festival-Besuchern, außer vielleicht ihre
auffällige Schönheit. Ich wusste zudem von Maria, dass die wenigsten in unserer Runde
auch nur ahnten, dass sie blind war.
Jetzt in der Nacht trug sie ihre Brille nicht, trotz der vielen Fremden um sie herum. Aber ich
merkte ihr an, dass sie niemandem unnötig lange ihr Gesicht zuwandte, - aber nur, weil ich
sie jetzt ein wenig kannte und einzuschätzen verstand. Anderen war das überhaupt nicht
aufgefallen.
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Nach der zweiten Runde schien ich ihre Blindheit auch für eine Sekunde vergessen zu
haben, denn ich reichte ihr stumm die Pfeife weiter und wunderte mich nur, dass sie nicht
danach griff.
"Hey ... Katharina ...“
Sie tauchte wohl gerade aus ihren Träumen auf, wandte irritiert den Kopf zu mir, verbrannte
sich prompt die Finger, als sie nach der Pfeife griff. Die gesamte Runde und auch sie selber
prusteten lachend los, und Katharina verschluckte sich natürlich wieder am Rauch. Rolf fiel
kichernd auf den Rücken, Maria mit Lachtränen über ihn, während ringsum minutenlange
Heiterkeit die Runde erfasste.
Kein Zweifel, wir waren ganz schön high und konnten uns kaum wieder beruhigen. Doch
wir fühlten uns großartig, und so war es kein Wunder, dass es nicht lange dauerte, bis eine
neu gestopfte Pfeife die Runde machte.
Aber bald lichtete sich unsere Gruppe mehr und mehr. Viele verzogen sich in die Zelte,
Kichern und Schnarchen, aber auch Seufzen und Stöhnen drangen an unsere Ohren.
Maria begann zu meinem Erstaunen mit Rolf rumzuschmusen, und der dicke Willi versuchte einen freundlichen Flirt mit einer Frau, die ich nur vom Sehen kannte.
Katharina saß so dicht an mich gekuschelt, dass ich glaubte, sie würde im nächsten
Moment mit mir verschmelzen, in mich hineinkriechen und kuscheln. Sie hatte eine Hand
unter meinen Pullover geschoben und streichelte sanft meinen Rücken, sodass mir leise
Schauer über die Haut krochen. Dazu küsste sie unablässig meinen Nacken, meinen Hals,
meine Wange, zupfte gedankenverloren, verträumt an meinen Nackenhaaren.
Ich war zwar schon weit jenseits von klarem Denken, besaß aber noch genug Initiative, um
ihre sanften Zärtlichkeiten zu erwidern.
Doch je später es wurde, und es war schon weit nach Mitternacht, brachte mich die Kühle
der Nacht langsam wieder etwas zur Besinnung, entnebelte meinen Kopf.
Ich begann Katharina neben mir wieder bewusster wahrzunehmen, ihre Nähe und verschmuste Sinnlichkeit. Mir wurde bewusst, dass nur noch ganz wenige Leute um uns
herumsaßen, dass unsere Getränke aufgebraucht, und bis auf wenige Menschen, sich alles
in die Zelte zurückgezogen hatte.
Die seufzervolle und kichernde Geräuschkulisse um uns herum erzählte beredt, was dort
geschehen mochte oder auch nicht. Ansonsten war es auf dem ganzen weitläufigen
Gelände sehr dunkel und still geworden. Von Ferne hörten wir ab und zu einen Ruf, ein
lautes Kreischen, summende Musik aus irgendeinem Transistorradio.
Gedanken begannen in meinem Kopf zu wirbeln, verbunden mit tiefen Sehnsüchten, und
mindestens ebenso großen Vorbehalten. Sie konfrontierten mich meinen Widersprüchen,
die ich nicht klar deuten konnte, die aber mehr und mehr in meinen Verstand einsickerten,
soweit der überhaupt noch arbeitete.
Ich brachte kein Seher zu sein, um zu wissen, dass Katharina den Tag, den Abend und die
Nacht noch nicht als abgeschlossen betrachtete, - und fühlte moralische Bedenken.
Meine Hormone mochten zwar anders darüber denken, aber ich konnte mich in dieser
Situation einfach nicht belügen.
Nur ein Blick auf diese schöne Frau neben mir, wie sie intensiv an mich gelehnt war, wie ihr
Haar dunkle Kräuselbahnen auf meinem Pullover verursachte, wie ihre Hand meine
Rückenhaut liebkoste, wie sinnlich sich die Schwere ihres Körpers an meinem anfühlte, das ließ keine Zweifel zu.
Doch der Widerspruch in mir wuchs, versteifte meinen Rücken, ließ mich fast automatisch
ein winziges Stück von ihr wegrücken.
Katharina richtete sich neben mir auf, wandte mir ihr Gesicht zu. Ich las die
unausgesprochene Frage darin, die Verwirrung wegen meines Handelns. Aber ich sah
auch ihre sehr entspannten Gesichtszüge, ihre leicht verschleierten Augen, die im Halbdunkel nicht mehr so leblos wirkten.
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"Was ist ... was hast du ...?“
Ich konnte ihr nichts von meinen Zweifeln erzählen, nicht von meinen moralischen Bedenken und Widersprüchen.
Wie sollte ich ihr begreifbar machen, was plötzlich in mir vorging?
Ein dicker Kloß verengte mir den Hals, und ich suchte verzweifelt nach meiner Stimme.
"Was hast du denn ...? Geht s dir nicht gut?“
Katharina war hörbar eine Spur besorgt, machte keinerlei Witze über mein Schweigen. Sie
schien zu fühlen, dass mich irgend etwas mächtig beschäftigte.
Doch ich wich ihrer Umarmung ein wenig aus, konnte und wollte jetzt und hier nicht darüber
reden, zuckte nur verkrampft mit den Schultern.
"Ich bin müde ...“, brachte ich endlich mühsam als "Nicht-ganze-Wahrheit" heraus, "ich will
schlafen gehen ...“
Das klang nicht gerade überzeugend, das musste ich sofort erkennen.
Wahrscheinlich lag es daran, dass Katharina selber auch ein wenig benebelt und müde
war, dass sie mir das dennoch abnahm.
Und mir fiel eine Sekunde später ein, dass diese Aussage gar nicht so klug gewesen war.
Denn Katharina erhob sich augenblicklich, grinste in die Richtung der letzten Halbwachen
vor den Zelten und sagte laut vernehmlich: "Gute Nacht ... allerseits ... schlaft gut ...“
Sie bekam nur noch murmelnde Antworten, wandte sich zu mir um und streckte mir ihre
Hand entgegen.
"Komm Paul ... lass uns schlafen geh´n ...“
In meinem Bauch schien eine ganze Wolke von Schmetterlingen aufzufliegen, flatterten
schwirrend hin und her. Ich fühlte mich unbehaglich wie noch nie an diesem Tag. Für einen
Moment wollte ich dem Verlangen folgen, Katharinas Hand zu ergreifen, mich einfach von
den möglichen Ereignissen überraschen, mitreißen und treiben zu lassen.
Doch ich wusste auch, dass ich das eigentlich nicht wollte.
Und ich wusste nicht - warum.
"Komm ... komm Paul“, forderte Katharina mich wieder leise auf, während ich noch immer
auf dem Boden saß, vergeblich nach einer Entscheidung suchte. Jetzt hätte ich mir
gewünscht, dass Maria noch nicht schlafen gegangen wäre, dass ich sie um Rat hätte
fragen können, was ich tun, was ich besser lassen sollte.
Was hätte ich jetzt nicht alles für einen guten Rat von ihr gegeben?
Katharina tastete nach meiner Schulter, meinem Arm, und versuchte mich hoch zu ziehen.
Offenbar schrieb sie mein Schweigen und Verharren der Tatsache zu, dass ich bekifft war.
"Komm jetzt ... Paul ...“
Ich stemmte mich mit schwachem Widerstand dagegen, dass sie mich vom Boden ziehen
wollte, und Katharina hielt erstaunt inne.
"Heeeh ... was ist los mit dir?“
"Nichts, nichts ...“, beeilte ich mich zu versichern und wischte mir mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht, "aber ich will ... will hier draußen schlafen ...“
"Waaaas ...?“ Katharina fing beinahe laut an zu lachen und versuchte erneut, mich vom
Boden weg zu bekommen. Doch wieder wehrte ich mit leisem Druck ihren Versuch ab.
"Ich ... nein ... ich will ... gern hier draußen schlafen“, knirschte ich mit zusammengebissenen Zähnen, "du ... du kannst ... im Zelt schlafen ...“
"Quatsch“, Katharina lachte, aber ihr Gesicht zeigte mir deutlich ihre leichte Verärgerung,
"ich will im Zelt schlafen ... mit ... bei dir ...“
"Nein ... ich ...“
"Soll das etwa ein blöder Witz sein?“
Sie war sauer, ich hatte es geschafft, sie zu verärgern.
"Nein, ich meine das ernst ...“
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Schade war nur, dass das gar nicht so glaubwürdig aus meinem Mund klang, wie ich es
meinte. Schließlich hatte ich mich noch nie so blöde und beschissen gefühlt. Zum ersten
Mal, seit ich diese Frau getroffen hatte, war ich richtig froh, dass sie blind war - denn so
konnte sie nicht mein Gesicht sehen, dass ihr die ganze Geschichte erzählt hätte.
Es war absolut lächerlich.
Katharina hielt inne, sagte aber einen Augenblick gar nichts. Doch ihr Gesicht war sehr
ernst, gemischt mit einer Spur tiefer Traurigkeit. Das konnte ich unmöglich übersehen.
"Du kannst genauso wie ich ... drinnen schlafen“, sagte sie ruhig zu mir, "ich tu dir nichts ...“
Ich fühlte mich wie ein blöder, bürgerlicher Spießer, verachtenswert und absolut saublöd.
Ausgerechnet jetzt und hier stritt ich mit einer jungen, gutaussehenden und selbstbewussten Frau darüber, ob sie mit mir oder neben mir im selben Zelt schlafen sollte. Die
Frau war attraktiv, geradezu schön, war begehrenswert und von anziehender Sinnlichkeit.
Aber diese Frau war eben Katharina, - und das machte es für mich alles sehr kompliziert.
Da half es gar nichts, dass ich nicht daran dachte, mich gegen den Vorwurf zu wehren, ich
hätte Angst davor, dass sie mir zu nahe käme, dass sie mir irgend etwas tun könne. Über
diese ziemlich treffsichere Wahrheit wollte ich mit ihr nicht streiten.
"Ich schlafe aber ... lieber hier draußen ...“
Das war so ziemlich das Dämlichste, was ich hätte sagen können.
Doch Katharina blieb gelassen.
Zu ihrer Traurigkeit kam jetzt auch noch deutlicher Spott hinzu. Sie schüttelte verärgert den
Kopf und ballte die Hände zu Fäusten.
"Okay ...“, ihre Stimme zitterte vor mühsam gebändigter Enttäuschung, "okay ... schlaf hier
draußen. Ich will dich nicht wütend machen ... und ... und wenn es dir damit besser geht ...
wenn es dir Spaß macht ... schlaf hier draußen ... unbehelligt und ... und ... ach Scheiße ...“
Damit wandte sie sich ab und ließ mich sitzen.
Ich wurde knallrot im Gesicht, denn ich wusste, dass sie mich durchschaut hatte. Katharina
hätte mir ohne ihre Blindheit leicht ansehen können, dass es mir gar keinen Spaß machte,
im Freien zu übernachten. Aber sie konnte meine Gefühle auch ohne Sehen durchaus
treffend deuten.
Das machte sie mir restlos klar, als sie ohne ein weiteres Wort zum Zelt hinübertastete,
hineinkroch und den Reißverschluss sofort hinter sich schloss.
Ich sah ihr nach und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, mir auszurechnen, was
ich damit wohl erreicht haben mochte. Mit ein bisschen Pech war Katharina so sauer über
mein Verhalten, dass sie mich nicht einmal mehr zur Kenntnis nehmen würde, dass ich für
sie schlicht Luft war. Dann würde etwas zu Ende sein, was noch gar nicht richtig angefangen hatte.
Aber plötzlich wurde das Zelt wieder geöffnet, und eine Sekunde lang hatte ich die winzige
Hoffnung, dies alles wieder in Ordnung bringen zu können, weil Katharina herauskäme und
erneut ein offenes Gespräch mit mir suchte.
Doch statt dessen flog nur mein Schlafsack im hohen Bogen auf mich zu.
Noch ehe ich mich vom Boden erheben und ihn aufheben konnte, wurde das Zelt schon
wieder verschlossen.
"Gute Nacht“, rief ich noch halblaut hinüber.
Doch ich bekam keine Antwort mehr.
So rollte ich missgelaunt meinen Schlafsack auseinander, suchte mir mühsam in der
Dunkelheit einen nicht zu steinigen und trockenen Platz neben einem der Zelte, - und
überlegte noch einmal, warum ich nicht wie letzte Nacht neben dieser Frau im Zelt schlafen
wollte.
Ich wusste die Antwort, - aber ich fand sie nicht, weil ich sie gar nicht wissen wollte.
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"Hoffentlich regnet es nicht“, dachte ich noch völlig frustriert über meine eigene Blödheit, dann nahm ich mutig den Kampf um jenen Schlaf auf, der mich von meinem Frust vorerst
befreien sollte.
98
6. Kapitel
Es wurde eine unruhige, ungemütliche Nacht.
Von der Weser wehte ein erstaunlich kalter Wind herauf, angesichts der Tatsache, dass es
tagsüber so warm gewesen war.
Alle nur möglichen Störungen und Geräusche rissen mich immer wieder aus dem Dämmerzustand, denn ein wirklicher Schlaf schien mir nicht vergönnt. Sehr viele Festivalbesucher
feierten bis tief in die Nacht, sangen Lieder vor den Zelten, führten lautstarke Debatten, hier
und da ein heftiger, lauter Streit, krächzende Transistorradios, meckerndes Lachen,
Gitarrenspiel oder jemand, der einen anderen Besucher nicht wiederfand und deswegen
über die weite Wiese nach ihnen brüllte.
Schlimmer noch nervte mich die Tatsache, dass scheinbar ausgerechnet heute alle möglichen Paare oder solche, die es gerade erst geworden waren, sich vielleicht auch erst hier
kennengelernt hatten, beschlossen, diese wunderbare neue Verbindung mit einem ausgedehnten Liebesspiel, sehr lautstark mit Stöhnen und Seufzen und Kichern untermalt, zu
feiern.
Ich hatte manchmal den Eindruck, dass es ein Hauptgrund gewesen sein musste, hierher
zu kommen, weil die Zeltnutzer Zuhause keinerlei Gelegenheit hatten, ausgiebig ihren
sexuellen Freiheiten zu frönen. Hier holten sie das daher um so intensiver nach.
Gerade, wenn ich kurz davor war, endlich einzuschlafen, dröhnte ein Schiffshorn. Ein
nächtlicher Wanderer zwischen den Zelten schrie auf, weil er betrunken über eine Zeltschnur oder sonst was gestolpert war.
Als auch das letzte Feuer in der Umgebung unserer Zelte heruntergebrannt war, setzte ich
meine Hoffnungen auf die Dunkelheit. Doch auch die brachte nicht den ersehnten Schlaf.
Aber ich wollte schlafen, allein schon um zu verdrängen, wie ich diesen so schön begonnenen Tag, mit soviel sinnlicher Zärtlichkeit und Lebensfreude, zu Ende gebracht hatte.
Es war mir dabei durchaus klar, dass ich das selbst verschuldet hatte. Aber das machte es
nur noch schlimmer. Verdrängen, wegschlafen, erschien mir im Moment der einfachste
Weg, denn wie ich das wieder in angenehmere Bahnen lenken wollte, konnte ich mir nicht
einmal vorstellen.
"Wahrscheinlich wird sie mich nicht einmal mehr mit dem Arsch ansehen ...“
Mal spürte ich einen Stein unter meinem Rücken, rollte mich ein wenig zur Seite, und lag
prompt in einer so tiefen Erdkuhle, dass es noch unmöglicher war, zu schlafen.
War ich wieder aus der Kuhle raus, lag ich auch schon statt dessen auf einem anderen
Stein, auf einem eckigen Stück Holz oder sonst etwas, das mir den Schlaf raubte.
Dann begann irgendwo in unmittelbarer Nähe jemand laut zu schnarchen, - allein mit dem
Ziel, mich absolut vom Schlaf abzuhalten.
Und als ob das auch nicht reichte, stolperte im ersten Morgengrauen auch noch Rolf über
mich, als er schlaftrunken aus seinem Zelt krabbelte, weil er noch zu einem der Toilettenwagen zum Pinkeln wollte. Er hatte mich natürlich nicht gesehen, nicht einmal geahnt, dass
ich hier draußen zwischen den Zelten liegen könnte, und fragte mich verärgert, was ich
denn hier täte, warum ich nicht im Zelt schliefe.
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte ihm einen Fausthieb in die Zähne verpasst.
Rolf trottete davon, konnte über soviel Unverstand nur den Kopf schütteln.
Ich lag da, fühlte mich wie zerschlagen, total müde, konnte aber nach wie vor keinerlei
Schlaf finden. Das hatte ich zwar auch befürchtet, aber dass meine Erwartungen so direkt
eintrafen, machte mich nur noch wütender.
Mir war klar, dass ich mich neurotisch und albern benahm. Doch ich konnte nicht über
meinen eigenen Schatten springen.
99
In mir kochte es regelrecht, und ich wartete förmlich auf eine Gelegenheit, mich an irgendeinem Menschen abzureagieren.
Leider jedoch wurde mir keine Möglichkeit geboten für eine handfeste Auseinandersetzung.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich diesem Drama nur ein Ende machen konnte, wenn ich
mich entschloss aufzustehen, meinen Schlafsack zu nehmen, und mich ins dunkle, windgeschützte Innere des Zeltes zurückzuziehen.
Doch dort schlief Katharina, - und ich war zu der Einsicht gekommen, dass ich schon viel
zu viele Gelegenheiten genutzt hatte, mich vor ihr zum Narren zu machen. Ich war jetzt viel
zu stolz, um mir selbst ein Nachgeben zu gestatten.
Irgendwann, in der frühen Dämmerung, kam dann endlich für kurze Zeit ein wenig Ruhe
über die Zeltstadt auf den Weserwiesen.
Ich jedoch lag immer noch wach in meinem Schlafsack, grübelte vor mich hin und haderte
mit meinem Schicksal.
Wie sollte ich irgendeinem Menschen glaubhaft erklären, was da unvermutet in mir
vorging?
Wer konnte verstehen, dass ich nicht im Zelt schlief, warm, windgeschützt, und als Zugabe
von einer liebevollen, schönen Frau umarmt, die offenbar nur darauf wartete, dass ich zu
ihr in den Schlafsack kroch?
Erst recht bei dem Versprechen, mich völlig unbehelligt zu lassen.
Auch wenn das natürlich nur ein Spruch, eine Losung, eine Parole war, ich stand zu "Love
and Peace" für alle Menschen auf der Welt.
Nur ich selbst hatte in diesen Stunden weder Liebe, noch Frieden.
Das würde keiner nachvollziehen können, - das war mir völlig klar, - denn ich konnte es ja
selbst nicht verstehen.
Wäre Katharina nicht sie selbst gewesen, läge ich längst verschwitzt und ausgetobt auf
oder neben ihr, meine Hände auf ihrer nackten Brust und würde ihrem Atem lauschen. Da
drinnen hätte es mir nicht einmal etwas ausgemacht, keinen Schlaf zu finden, - im Gegenteil.
Aber Katharina war Katharina, diese wunderbare, sinnliche Frau, die blind war, mir vertraute, mir viel aus ihrem Leben erzählt hatte.
Nur, das war es sicher nicht, was mich davon abhielt, zu ihr ins Zelt umzuziehen, - das war
selbst mir klar. Meine eigene Sensibilität und meine Hochachtung vor dieser Frau standen
mir unmittelbar im Weg.
Ich wäre beinahe eingenickt, als Maria über mich stolperte. Sie wollte auch zum Klowagen,
hatte ebenfalls nicht damit gerechnet, mich hier draußen zu finden, war halb schlafend, und fiel der Länge nach auf mich drauf.
"Was ... was machst ... du denn ... hier, spinnst du ...?“
Sie rappelte sich zornig und erschrocken wieder auf, rieb sich eine schmerzende Stelle am
Bein. Als ich nicht antwortete, mich nur wutschnaubend versuchte noch tiefer in meinen
Schlafsack zu wühlen, zeigte sie mir einen Vogel und verschwand vor sich hinbrummelnd
zwischen den Zelten.
Ich rief ihr unhörbar leise einen Fluch nach, doch meine Hoffnung auf Schlaf war wieder
einmal dahin.
In den verschiedenen Zelten erwachten - auch wegen dem Krach - jetzt alle möglichen
Leute, zogen Reißverschlüsse auf, zeigten müde und zerknautschte Gesichter in den Zelteingängen. Lachen wehte von irgendwoher zu mir, die ersten und immer selben Fragen
prasselten auf mich ein.
Warum ich nicht im Zelt läge, - ob es mir etwa Spaß mache, draußen zu schlafen, - warum
ich unbedingt hier draußen Ameisen zählen wolle, - und so weiter.
Ich zog mir den Schlafsack über die Ohren, um diese "hässliche" Welt nicht mehr sehen zu
müssen.
100
Doch im selben Moment hörte ich Katharinas Stimme, voller Angst, beinahe Panik, - und
sie rief mich.
Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, schoss ich wieder hoch, ärgerte mich dann in
derselben Sekunde, dass ich so prompt reagierte, - und sah große Unruhe und Bewegung
aus dem Zelt, wo Katharina schlief. Der Stoff beulte sich nach allen Seiten, ließ Arme, Kopf
und Beine erahnen.
Ich kroch mühselig aus dem Schlafsack, sprang sofort zum Eingang des Zeltes, öffnete ihn
und fand eine halb verzweifelte, halb wütende Katharina mit völlig zerzausten Haaren vor,
die laut meinen Namen rief und heftig um sich tastete.
"Was ist los?“
"Paul“, rief sie aufgelöst und ziemlich erleichtert, dass ich endlich da war, um ihr zu helfen,
suchte mich mit ausgestreckten Armen zu finden, "wo bist du denn ...“
"Ich bin hier ..." Ich ergriff ihren Arm und versuchte sie zu beruhigen, und sie warf sich
förmlich in meine Arme. Sie zitterte wie Espenlaub und hatte offenbar wirklich panische
Angst.
"Was war denn los?“
Ich versuchte sie ein wenig zu lösen, denn diese Nähe war mir im Moment einfach zu viel,
und schwer zu ertragen.
"Nichts ...“, log Katharina ganz offensichtlich, denn sie hatte natürlich sofort meine
Abneigung gegen ihre heftige Umarmung gespürt. Mit aller Kraft versuchte sie ihrer Stimme
einen ruhigen Klang zu geben, die eigene Atmung zu beruhigen.
Doch ich wollte mich nicht mit dieser Antwort zufriedengeben. Viel zu deutlich hatte ich
gespürt, dass sie irgend etwas völlig aus der Fassung gebracht hatte.
So fragte ich sie ganz ruhig noch einmal.
Als Antwort befreite sie sich etwas unsanft, stieß mich heftig von sich weg.
"Ich ... ich hab die Orientierung verloren, du Idiot!“ schrie sie mich unwirsch an, "das ... das
ist alles deine Schuld ...!“
Verwirrt wich ich ein wenig zurück, fand meine Befürchtung bestätigt, dass ich nach dieser
schlaflosen Nacht ganz schlechte Aussichten bei ihr hatte. Ich verspürte zudem nicht die
geringste Lust mit ihr darüber zu streiten, warum das meine Schuld sein sollte, dass sie die
Orientierung verloren hatte.
Maria machte die Verwirrung komplett, indem sie auch noch ins Zelt gekrochen kam, um
nachzusehen, was denn los sei. Selbstverständlich hatte sie ebenfalls Katharina gehört und
machte sich Sorgen.
Was sie vorfand, war eine Freundin, die böse und laut vor sich hinfluchte.
"Ich geh dann mal besser“, murmelte ich frustriert und versuchte mich möglichst unsichtbar
zu machen, "ich ... ich muss mich sowieso ... noch waschen ... und frisch machen ... und ...“
"Arschloch!“
Katharina wurde fast weiß vor Wut im Gesicht, suchte irgend etwas zu fassen zu kriegen,
was sie mir hinterherwerfen konnte, als ich schnell den Rückzug antrat.
Draußen standen unsere Freunde und Bekannten, peinlich berührt, die Rumbrüllerei mit
den betroffenen Kontrahenten nicht überhören zu können. Sie zerstreuten sich sofort, als
ich vor dem Zelt auftauchte. Ich war nicht einmal einen Schritt entfernt, als mich auch schon
ein Schuh am Bein traf, der bewies, dass Katharina etwas gefunden hatte, was sie werfen
konnte.
Ich ging tatsächlich erst einmal zum Waschen, versuchte meinen Zorn und meinen Frust,
mein Selbstmitleid und meine seelische Verletzung mit kaltem Wasser zu kühlen.
Am Liebsten wäre ich jetzt sofort nach Hause gefahren, dem ganzen Trouble entflohen,
denn ich hatte keine vorerst keine Lust, den Anderen, Maria, Rolf - oder am allerschlimmsten - Katharina zu begegnen. So eine Auseinandersetzung konnte ich nach dem gestrigen
Tag nicht vertragen und gebrauchen, und erst recht nicht nach dieser Nacht.
101
Ich wusste, dass mein Wunsch nicht fair war, aber ich sehnte mich danach, auf meiner
"Alten Lady" zu sitzen und diesem ganzen Zoff zu entfliehen. Einsam auf der Landstraße
dahin zu brausen, das war mir immerhin vertraut. Da musste ich mich nicht ungerecht anschreien zu lassen, zumindest mehr oder weniger ungerecht.
Da konnte ich mit mir allein sein, meine verletzte Seele kurieren und mir auch eingestehen,
dass ich ein Idiot war, mich so kurz nach der Trennung von Brigitte auf eine solch anstrengende Verbindung mit einer Frau einzulassen.
Zweifellos, sie war atemberaubend sinnlich, sie war auch schön, ohne puppenhaft zu
wirken, sie war humorvoll, sie war locker und aufgeschlossen, sie begehrte mich offenbar
sogar ein wenig - mir wurde fast schwindelig bei der Erkenntnis, dass ich fast nichts an ihr
fand, was ich wirklich als negativ empfand.
Außer ihrer Blindheit, und diesen Gedanken wollte ich um keinen Preis zulassen.
Zum Glück fielen mir dann noch ihre etwas exzentrischen Gefühlsausbrüche ein, sodass
ich wenigstens etwas hatte, was ich als Rechtfertigung für einen völligen Rückzug brauchen konnte. Nicht, dass ich mir wirklich einbildete, diese Rechtfertigung vor Katharina
brauchen zu müssen, oder gar vor meinen Freunden, - aber eben vor mir selbst.
Doch wenn ich nicht einfach wegfahren wollte und auch gar nicht konnte, weil ich sonst
unweigerlich auf Katharina treffen würde, die bei den Zelten nur darauf wartete, mich
abzufangen, um diese Auseinandersetzung mit Schreien und Vorwürfen fortzusetzen, - wo
sollte ich dann hin?
Was konnte ich überhaupt tun?
So kam es mir gerade recht, dass ich einen geöffneten Verkaufsstand mit Tischen und
Stühlen fand, wo man ausgiebig und in aller Ruhe frühstücken konnte, soweit dies auf dem
Konzert überhaupt möglich war. Zwar war mein Appetit reichlich gebremst, denn die
morgendliche Auseinandersetzung zerrte an meinen Nerven. Aber ein paar Tassen Kaffee
vertrieben die Müdigkeit aus meinem Kopf. Viel besser fühlte ich mich danach zwar auch
nicht, aber wenigstens ein wenig wacher.
Allerdings war dies auch keine Hilfe für das miese Gefühl, dass mein ganzes Denken
beherrschte, mich immer noch anspornte einen Weg zu finden, der mich so schnell wie
möglich von diesem Ort auf meinem Motorrad wegbrachte.
Den Mut, eiskalt hinüber zu gehen, zu sagen, dass ich abfahren würde, mein Zelt abzubauen und Katharina zu sagen, sie müsse eben sehen, wie sie zurückkäme, wer sie mitnehmen würde, den hatte ich nicht.
Darüber brauchte ich erst gar keinen Gedanken verschwenden.
Wie hatte es bloß so schnell und schon wieder zu dieser ganzen leidlichen Verwicklung
kommen können?
War das etwa ein Wink des Schicksals, mich von dieser Frau fernzuhalten?
Wenn ich mir die Antworten gegeben hätte, müsste ich zugestehen, dass ich mich
abweisend und distanziert zu Katharina verhalten hatte, - während sie alles getan hatte, um
mich so richtig verrückt zu machen, die Nähe zu intensivieren.
Mir war so elend und zum Heulen zumute, dass ich auf gar keinen Fall jetzt zu den anderen
zurückkehren wollte. Es wäre ohnehin völlig sinnlos gewesen ihnen und mir vorzuspielen,
da im Grunde gar nichts passiert war, dass das alles nur auf Missverständnissen beruhte.
Als von der großen Bühne dröhnend die erste Band des Tages herüberklang, konnte ich
dem absolut nichts abgewinnen.
Ich wollte allein sein, nachdenken, und ein wenig zur Ruhe finden. Mein inneres Gleichgewicht musste dringend wieder aufgerichtet werden, ehe ich Katharina auch nur aus der
Entfernung wieder begegnen konnte.
So verließ ich das Geschehen auf dem unmittelbaren Gelände, schlenderte missgelaunt
und verdrossen zur Weser hinunter, an ihrem Ufer entlang, wo zuerst noch alle paar Meter
Liebespaare im Gras schmusten oder auch deutlich mehr, als nur schmusten.
102
Ich wurde unfreiwillig gleich wieder zum Störfaktor.
Weit abseits, fast am Begrenzungszaun des Geländes, war ich endlich ein wenig allein,
wenn auch nicht völlig. Ich setzte mich auf einen großen, flachen Uferstein und starrte
hinaus auf das bewegte Wasser.
Die dröhnende Blues-Musik erschien mir ungeheuer fern, sodass ich meinte, hier eine
ganze Zeit lang meine Ruhe zu haben.
Immer wieder gingen mir dieselben Fragen und Antworten durch den Kopf, drehte und
wendete ich sie, ohne zu einem annähernd greifbaren Ergebnis zu kommen.
Keine Ahnung, wie lange ich da gesessen und vor mich hin gebrütet habe, mich total elend
und verlassen fühlte.
Aber plötzlich hörte ich zu meinem Erstaunen meinen Namen rufen, glaubte erst noch an
einen Zufall, denn Paul war ja nicht gerade ein seltener Name.
Doch als ich mich endlich umsah, woher die Stimme käme, sah ich Katharina, die am Arm
von Maria in mehr als zwanzig Metern Entfernung stand.
Mir wurde eiskalt - mir wurde heiß.
Ich sah die beiden Frauen zusammen reden, sah Katharina den Kopf schütteln, und Maria
einfach weggehen. Dann kam sie schließlich vorsichtig, die Arme leicht nach vorn
gestreckt, auf mich zu. Noch einmal rief sie meinen Namen, wendete sich vollkommen mir
zu, und kam dann zielsicher zu mir, blieb weniger als zwei Meter vor mir stehen.
Ich wandte den Kopf ab, wollte diese Frau nicht ansehen, starrte verbohrt auf das Wasser
hinaus.
"Darf ich mich zu dir setzen?“
Es war mehr eine Bitte, als eine Frage, - und Katharinas Stimme war vorsichtig tastend, wie
ihr Gang, ohne jegliche Schärfe oder Entschlossenheit. Ich knurrte eine halbwegs
zustimmende Antwort, suchte mich innerlich auf die neuen Wortgefechte einzustellen.
Katharina suchte sich umständlich neben mir im Sand eine Sitzmöglichkeit, überließ mir
allein den Stein.
Immer noch vermied ich es sie anzusehen, starrte jetzt aber wie ein erwischter Ladendieb
zu Boden, weil ich sie so aus den Augenwinkeln beobachten konnte.
Eine ganze Weile herrschte beklemmende Stille zwischen uns, keiner sagte auch nur ein
Wort.
Katharina war es, die endlich leise das Schweigen brach, mir sagte, dass sie mir eine
Flasche Bier mitgebracht hätte. Sie stellte sie zwischen uns ab.
"Darf ich ... gibst du mir ... auch einen Schluck ...“
Ich glaube, sie war mindestens so nervös wie ich.
Mir war aber überhaupt nicht nach Bier zumute, auch nicht nach anderem Getränk. Doch
ich machte ihr die Flasche auf und reichte sie ihr. Sie trank einen kräftigen Schluck, als
müsse sie sich Mut antrinken, wischte sie dann ab und reichte sie mir.
Wieder knurrte ich irgend etwas Unverständliches vor mich hin, sodass Katharina die
Flasche erst einmal zwischen uns abstellte.
Wieder lastete dumpfes Schweigen zwischen uns.
Wahrscheinlich suchte sie nach einem Anfang, genau wie ich, aber ich hätte das in diesem
Augenblick niemals zugegeben.
Als dann endlich sie der Meinung war, dass das verbissene Schweigen lang genug gedauert hätte, war sie es auch, die es brach.
"Sag irgend etwas“, bat sie mich leise, "irgend etwas ...“
Ich atmete tief durch, kämpfte mit mir selbst, verlor erneut, und knurrte nur wieder eine
völlig unverständliche Antwort. Katharinas Nähe empfand ich fast wie eine drohende
Gewitterwolke.
103
"Es ... es tut mir leid ...“, machte sie schließlich den nächsten Versuch, "ich ... ich hatte kein
Recht ... dich so anzuschreien ... vor den anderen ... dich zu beleidigen ... oder zu
beschimpfen ...“
"Ach, hör auf damit ...“
Miteinander reden, besonders mit Katharina, war noch viel schwerer, als ich befürchtet
hatte. Doch wir versuchten es nun, da sie das Schweigen zwischen uns beendet hatte,
mich dadurch ermutigte, von meinem Groll abzulassen.
Anfangs waren es winzige, ziemlich einseitige Bruchstücke, dann wurde es flüssiger, - vor
allem von ihrer Seite.
Katharina machte mir klar, dass sie mein Verhalten enttäuschte, frustrierte und irritierte,
dass sie traurig und am Ende böse wurde.
Sie kenne solche Reaktionen. Nur habe sie geglaubt, weil ich laut Maria so eine Art Linker
wäre, ein politisch denkender Mensch, dass ich leichter damit umgehen würde.
Aber offenbar wäre so eine Reaktion nicht das Privileg von bornierten Idioten und
Arschlöchern.
Irgendwann käme bei allen Männern seltsamerweise der Punkt, wo sie sie – Katharina nicht mehr als eine schöne, aber blinde Frau akzeptierten und begehrten. Dann wäre sie
nur noch die Blinde, die man von sich fernhalten müsse.
"Männer wie du ...“, setzte sie neu an und ließ ihrer Erbitterung ein wenig freien Lauf, "ihr ...
ihr macht es euch verdammt einfach ...“, sie wiegte leicht den Kopf und zog eine Grimasse.
„Es ist leicht von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu palavern, von der Emanzipation
und Gleichstellung der Frauen“, sie schnaubte wütend aus, "wie gut ... dass wir keine
Vorurteile gegen Neger, Schwule oder Behinderte haben ... Wir sind mit allen solidarisch,
progressiv und modern ... Make Love - not War ... Das hört sich richtig gut an, nicht ...?“ Sie
war gar nicht wirklich an meiner Antwort interessiert, wollte sich einfach nur ihren Frust von
der Seele reden und kam steig mehr so richtig in Fahrt, "aber wehe ... wehe so eine
Behinderte ... eine blinde Frau kommt einem selbst in die Quere ... dann ... dann sind aber
alle politischen Freiheiten ... alle Gleichberechtigung für`n Arsch ... damit wollen Männer
wie du nichts zu tun haben ... Ich kenne Männer, die ... die von sich sagen, dass sie
progressiv und politisch engagiert sind, die ... gegen Unterdrückung anschreien, gegen
Krieg und Gewalt ... gegen Ausbeutung und Vorurteile ... Aber wehe ... wehe, du schaust
hinter die Fassade, denn ... denn dann wird aus dem gleichen Mann derjenige, der Zuhause seine Kinder verprügelt ... oder seine Frau ... der eine Geliebte hat ... und nicht ... nicht
in der Lage ist ... seine Ehe mit Anstand und Aufrichtigkeit zu führen. Hinter dem Vorbild ...
steht das übliche männliche Arschloch ... der gut reden kann ... aber beschissen handelt.
Aber ... aber ich dachte ... du ... du wärst anders ... und ich glaube ... Nein, ich weiß, dass
das auch so ist ... Aber ... aber du ... du musst dir auch vertrauen ... einfach nur vertrauen
...“
Ich schwieg betroffen, denn was sie da sagte, entsprach weitgehend meinem eigenen
Denken und meiner Wahrnehmung von mir selbst. Es auszusprechen und das mir
gegenüber, war wie eine schallende Ohrfeige für mich.
"Tut mir leid, wenn ich deine männliche Eitelkeit verletzt habe“, Katharinas Stimme war wie
ätzender Hohn, denn sie war noch lange nicht fertig mit ihren angreifenden Ausführungen,
"ich weiß durchaus, dass Männer diejenigen sein wollen, die eine ... eine Frau erobern, sie
dazu bringen ... sich flachlegen ... und bumsen zu lassen. Aber ... ich ... ich bestimme ganz
allein, von wem ich mich ... wann und mit wem ich Lust ... und Sex haben will. Ihr sogenannten Linken und progressiv fortschrittlichen Männer schwärmt alle so von den starken,
selbstbewussten Frauen, die ihr gerne kennenlernen wollt, aber ... aber wenn euch dann ...
dann eine über den Weg läuft, geht sofort eure männliche Eitelkeit auf ... Kollisionskurs ...
Starke selbstbewusste Frauen ja ... aber bitte nicht die eigene Frau ... die soll brav und
unterwürfig sein ... eine heilige Hure ... Du ... du benimmst dich wie ... wie die meisten
104
Sozialarbeiter, die ich kenne ...“, sie lachte bitter auf, "wenn ich diese ausgebildeten,
fortschrittlich progressiven Typen erlebe, wie sie ... wie sie ihre Theorien runterbeten ... und
... und in Wirklichkeit ... nicht mal ihre ... ihre eigenen Probleme lösen können. Die sind
nicht alle so ...“, sie wehrte meine möglichen Einwände, die ich noch gar nicht auszusprechen in der Lage war, "... viele sind noch schlimmer. Viele gerade von denen haben
nur Theorien drauf ... In Wahrheit sind sie ... kleinbürgerliche Spießer aus gutem Elternhaus, die mal ein bisschen Revolution spielen wollen, sich einsetzen für die Unterprivilegierten. Die wollen meine Probleme mit dem Alltag lösen, mit wunderbaren Theorien von
der Uni ... und haben gar keine Ahnung von meinen Problemen. Kommt eine Frau daher ...
die einfach nur weiß, was sie will ... die genauso handelt ... wie sie sich nicht zu handeln
trauen ... weil sie Schiss haben ... dann ... dann ziehen sie den Schwanz ein, dann haben
genau die die Hosen gestrichen voll und ... dann ist nichts mehr mit Gleichberechtigung ...
und so ... Denn dann können sie ja nicht mehr mit stolzgeschwellter Brust vorführen, dass
sie ... dass sie die Welt verstehen und erklären können. Dann sind sie nur noch Männer ...
typische Männer ... die es nicht ertragen können, dass eine Frau, die ... die blind ist ... nicht
unberührbar ist, dass sie eine eigene Sexualität hat ... Lust ... und Verlangen ... ganz
normale Geilheit ... die sie aber als Blinde ... und als Behinderte nicht haben darf. Das ist
nicht erlaubt. Sie sollte stattdessen eine Heilige sein ... eine Unberührbare ... ein Neutrum
...“, Katharina wurde richtig wütend und heftig, konnte weder ihre Hände, noch ihren ganzen Körper ruhig halten, "aber ich will kein Neutrum sein ... denn das bin ich nicht ... Ich bin
eine Frau, eine ... eine ganz normale Frau, die weiß, was sie will ... die selbstbewusst ist ...
und keine Angst vor Nähe hat ... keine Angst vor Sex und Berührung. Sozialarbeiterinnen
sind da ... oft ganz anders, auch nicht immer ... Aber sie versuchen kein ... kein asexuelles
Neutrum aus mir zu machen. Ich will einfach ... nur sein, was ich bin ... und auch so behandelt werden ...“, Katharina seufzte traurig auf und ließ den Kopf hängen, "vielleicht mache
ich jetzt alles kaputt, wenn ich so frech und offen rede, aber ... aber das ist mir immer noch
lieber, als ... als gegen mich selbst zu leben ... Ich kann und ich will das nicht ... Ich will ich
sein, eine Frau ... eine selbstbewusste Frau, die ... die weiß Gott keine Heilige ist ... und die
... verdammt oft Unrecht hat ... und falsch handelt. Das liegt aber allein daran, dass ich ...
ganz normal bin, nur ... nur etwas frecher ... selbstbewusster ...“
Ich suchte nach einer Antwort, und versuchte dann mit einem dicken Kloß im Hals zu erklären, warum ich so reagiert hatte, mit diesem selbst produzierten Schuldgefühl. Ich versuchte zu erklären, wie ich mich dabei fühlte, und wie wenig ich mich selber verstehen könne.
Ich versuchte ihr klarzumachen, dass ich durchaus bereit war, mich mit der Situation auseinanderzusetzen, es aber nicht könne, weil das alles viel zu neu, viel zu fremd für mich
sei.
Im Moment wüsste ich selber, - jedenfalls hätte ich von mir diesen Eindruck - dass ich in ihr
- Katharina - vorrangig die Behinderte sähe.
"Ich bin nicht behindert“, begehrte Katharina sofort heftig dagegen auf, "ich bin nur blind.
Verstehst du ... auf der geistigen Einstellung zu meiner Blindheit beruht meine ganze
Lebenshaltung ... Ich fühle mich nicht ... nicht behindert, nur ... nur als Blinde. Für andere
mag das nicht zutreffen ... für mich aber schon ...“
"Ja ... das meine ich ja“, suchte ich sie zu beschwichtigen, weil ich das Gefühl hatte, mich
wie ein Idiot zu benehmen, "ich will mich ja mit deiner Krankheit ...“
"Krank?!“ Katharinas Stimme steigerte sich glatt um drei Oktaven, "ich bin nicht krank ... ich
bin kerngesund ...!“
"Entschuldige ... entschuldige bitte“, ich hatte das Gefühl wie ein leicht idiotischer, lernunfähiger Primaner herumzustottern, "so hab ich das ... doch gar nicht gemeint ...“
Ich hatte schon wieder das Gefühl sagen zu können, was ich wollte. Entweder würde ich
nicht die richtigen Worte finden, oder - wie gerade - etwas völlig Falsches sagen, und in
jedem Fall falsch verstanden werden.
105
Ich hätte schreien mögen vor Verzweiflung.
Katharina beruhigte sich sehr schnell wieder, vor allem als sie merkte, dass ich in mein
Schweigen zurückgekehrt war.
Ohne vorherige Ankündigung nahm sie plötzlich zielsicher meine Hand und hielt sie sanft
fest. Auch sie suchte nach Worten, die mich weder verunsicherten, noch provozierten.
Ich spürte an ihrem Händedruck, dass sie selbst jetzt nicht wirklich böse auf mich war, und
auf keinen Fall ablehnend oder feindselig.
"Ich ... ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll“, machte ich schnell einen neuen
Versuch, ehe sie mir womöglich das Wort abschneiden konnte, "ich glaube ... ich mag dich
... wirklich ... ich finde dich stark ... und schön ... und lustig. Ich bin gern in deiner Nähe ...“
"Wenn ich das nicht wüsste ... wäre ich bestimmt nicht hier ...", antwortete sie düster und
leise, "Maria hat auch gesagt, dass du damit nicht umgehen kannst ..."
Sie lächelte mich entwaffnend an, und dieses Lächeln war Balsam für meine Seele, für
meine Nerven. Ich machte einen tiefen Atemzug, um meine Reste von Befangenheit abzuschütteln, und fuhr dann fort: "Aber es ist ... es ist alles so schwierig ... Ich meine, ich fühl´
mich so ... es ist alles so schwer ...“
"Das kannst du lernen“, hielt Katharina mir aufmunternd entgegen, "du musst dich nur ...
nur der Situation stellen, dich darauf einlassen. Weglaufen ist auch keine Lösung ...“
Ich wusste leider nur zu genau, dass sie recht hatte, aber im Moment vermochte ich darauf
nichts zu sagen. Doch ich ahnte, dass in dieser Frau eine Kraft war, nach außen gar nicht
sichtbar, die ihr ganzes Handeln bestimmte. Eine Kraft, die ich nicht besaß und bei ihr nicht
einmal annähernd einschätzen konnte. Sie blühte im Verborgenen, und bot Katharina doch
ungeahnte Möglichkeiten, die andere blinde Frauen vielleicht nicht hatten. Sie aber besaß
den Mut, sie sich zu erarbeiten. Das ahnte ich, ohne es aussprechen zu können, ohne es in
Worte fassen zu können. Katharina sah den eigenen Dingen, ihrer Unfähigkeit und ihrer
Lage, ihren Vorteilen und ihren Schwächen ins Gesicht, - und lachte darüber, wenn es sich
nur irgendwie machen ließ.
Ich lief davon, weil das viel leichter war.
Und genau das war es, was mich schwach machte, - und regelrecht krank.
Sie erzählte mir, wie es ihr gefallen hätte, als ich auf ihre kleinen Spielchen eingestiegen
wäre, als ich sie gestreichelt hatte, wie sie mein Begehren aufflammen spürte, es genoss
und sich auf die bevorstehende Nacht freute.
Doch dann hätte genau ich sie spüren lassen, dass sie wieder einmal "der Krüppel" war,
das blinde Monster, das mit Sex versucht seine Defizite und seine Unzulänglichkeiten
auszugleichen.
"Du bist so ein sensibler ... feinfühliger Mensch ... mit Fantasie und Kreativität ...“, Katharina
versuchte ganz offensichtlich meinen Mut zu stärken, mich zu ermutigen, "aber du ... du
stehst dir selbst im Weg ... wenn du versuchst ... das mit dem Kopf zu regeln ... vertrau dir
... und deinem Bauch ... denn du ... du hast mich wirklich wie Scheiße behandelt“, hielt sie
mir leise vor, "wie eine Aussätzige ... Aber ich will leben ... leben wie eine ganz normale
Frau ... Ich will mich nicht dafür demütigen lassen, dass ich blind bin ... ich will mich nicht
dafür schämen ... denn ich kann nichts dafür ... ich hab mir das nicht so ausgesucht ...“
Jedes ihrer Worte traf mich wie eine Ohrfeige, auch wenn ihre Stimme noch so sanft, aber
entschlossen blieb. Sie ließ sie wirken, wartete darauf, dass sich ihr mühsam gebändigter
Atem wieder beruhigte. Sie hatte den Punkt getroffen, das hatte sie bereits gespürt.
"Ich will selbstständig sein und ... entscheiden“, fuhr sie schließlich fort, "ich will selber
auswählen dürfen, was ... für mich gut ist ... Denn nur ich kann das beurteilen. Ich will nicht
immer daran erinnert werden, dass ich in erster Linie blind bin ... und ein Krüppel in den
Augen anderer Menschen ... Ich bin kein Monster ... und ... und dass ich blind bin, dass
weiß ich selber schon sehr lange ...“
106
Ihre Stimme verriet ihre Betroffenheit, ihre Erregung, und ließ mich deutlich spüren, wie
weh ich ihr getan hatte.
"Ich will meine Eigenständigkeit, meine Unabhängigkeit“, bekräftigte sie noch einmal ihre
Worte, und die Eindringlichkeit ihrer Stimme fesselte mich mit ungeahnter Kraft, öffnete
unbemerkt mein Herz, "und ... und ich will auch geliebt werden ... und das nicht nur als
blinder Mensch, sondern auch ... als Frau. Ich brauche keinen Krankenpfleger“, hielt sie mir
vor, "und ich bin auch nicht ... krank, ich brauche keinen Betreuer. Ich bin ein blinder
Mensch ... eine blinde Frau ... das ist alles. Ich lache wie andere Frauen ... ich weine wie
sie ... und ich sehe wie viele andere Frauen aus. Ich brauche Freunde ... und ich will Liebhaber ... oder wenigstens einen, wenn es möglich ist. Denn ich werde auch genauso ...
genauso geil wie ... wie andere Frauen ... Ja, ich mag es ... geil zu sein ... ich bin gerne geil
... ich mag es, wenn ich dabei ins Schwitzen komme ... weil ich heiß ...“, Katharinas Stimme
wurde ganz dunkel, „und geil bin ... so richtig geil ... Ich finde das schön ... Männer, die
mich erst anheizen ... und dann kalt auflaufen lassen, hatte ich schon genug in meinem
Leben. Gepflegt worden bin ich bereits als Baby absolut genug. Jetzt will ich mit Männern
schlafen ... nein, ich will mit ihnen ... bumsen ... vögeln ... oder wie auch immer. Ich will Sex
... und ich will Spaß haben ... und ich will das alles nicht ganz so ernst nehmen ... und auch
mal ein bisschen verrückt sein ... verrückte Dinge tun, die vielleicht ... nur Nichtblinde tun.
Ich will die Dinge nicht schwerer machen, als sie es ohnehin sind. Vielleicht ... will ich eines
Tages sogar mal ein Baby ... selbst wenn es blind geboren würde. Meine Mama ... hat es
auch geschafft ... ein Baby zu haben und ... groß zu kriegen. Und das alles“, sie drückte
meine Hand ein wenig fester, "hätte ich ... würde ich gern mit dir machen ...“ sie lachte
leise, "außer vielleicht das mit dem Baby ... jedenfalls nicht jetzt ... und sofort ... aber
vielleicht auch das in paar Jahren ... Aber im Moment möchte ich erst mal mit dir ... vögeln“,
wieder lachte sie und wurde ein klein wenig rot, "ich meine nicht ... jetzt ... sofort, aber
schon ... in absehbarer Zeit ... wenn du dazu bereit bist ...“, nun drückte sie meine Hand
ganz fest, als wollte sie noch einmal ihre Worte bekräftigen, "kannst du ... du das verstehen
...?“
"Ja ... das kann ich ...“
"Warum tust du das dann?“ ihr Zorn entlud sich in einer Heftigkeit, die ich so fast nicht
erwartet hatte, die mich richtig erschreckte, "dir ist scheinbar überhaupt nicht klar, wie
schlimm und verletzend dein Verhalten ist, Paul ... Du trampelst auf meinem Selbstbewusstsein rum, dass ich ... ich mir mühsam aufgebaut habe ... und verlierst dich in
Traurigkeit und Selbstmitleid ... weil du die Welt für ungerecht hältst, weil du das Pech
hattest, ausgerechnet an eine blinde Frau zu geraten, die dir auch noch gefällt ... die dich
nach einem Tag ... an ihre ... Brust lässt, die ... die mit dir bumsen will. Das ist ja so
ungerecht ... ausgerechnet dir muss diese Frau begegnen ...“, sie spürte meinen Ansatz
zum Widerspruch, ohne ihn zu sehen und wischte ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung
einfach aus dem Weg. "Nein, nein“, fuhr sie fort, "jetzt bin ich dran ... Was glaubst du denn,
warum ich keinen Blindenstock benutze, keine Armbinde trage? Hast du mir überhaupt
zugehört? Ich kann gut Gitarre spielen ... nicht so gut wie die da auf der Bühne ... aber nicht
schlecht. Ich habe dir vorgestern schon gesagt, dass ich sehr selbstständig bin, kein
Pflegefall. Ich kann hervorragend kochen ... schwimmen ... ich treibe Sport ... und ... und
habe sehr erfolgreich eine Nahkampf-Ausbildung angefangen ... und ich habe sogar schon
an der Behinderten-Olympiade teilgenommen ... und eine Medaille gewonnen. Ich schreibe
Artikel für die Blinden-Zeitung, bin sehr aktiv im Blinden-Verein ... Ich kann ganze Stadtpläne auswendig lernen ... was ich gerade in Oldenburg versuche, um stets in einer Stadt,
wo ich lebe und wohne, die Orientierung zu haben, um von jeder Straße aus zu wissen, wie
ich zu einer anderen Straße komme“, sie holte tief Luft, setzte aber gleich wieder an, "ich ...
ich kann so ziemlich alles, was eine Blinde können könnte ...“ wieder holte sie tief Luft, blies
die Backen auf, um ihre Emotionen regelrecht abzukühlen, und stieß dann heftig den Atem
107
aus, "aber du ... du behandelst mich wie einen dämlichen Krüppel“, sie hieb mit der flachen
Hand wutentbrannt auf den Boden, "ich habe das so oft erlebt ... mein Blinden-Therapeut
hat mich immer wieder vor solchen Männern gewarnt ... Aber ich will so nicht leben,
verstehst du? Ich will meine wilden und sicher ... manchmal auch zu lauten Emotionen nicht
verstecken ... und ich will mich nicht verstecken!“
Etwas atemlos hielt Katharina plötzlich inne. Ihre Brust hob und senkte sich heftig unter
ihrem Hemd, und ich sah, wie ihre Hände vor Anspannung zitterten.
Nichts konnte ich dazu sagen.
Denn ich wusste, dass sie vollkommen Recht hatte, selbst mit meinem Selbstmitleid. Ich
hatte das die ganze Zeit gewusst, aber so deutlich wie sie hätte ich nie vor mir selbst
gewagt, das auszusprechen, mich lieber selber verleugnet. Das zumindest hatte mir Katharina jetzt nur allzu schonungslos klar gemacht.
So wagte ich kaum sie anzusehen, denn ich schämte mich.
Doch sie beruhigte sich langsam wieder, nahm erneut meine Hand, um meiner Aufmerksamkeit sicher sein zu können.
"Tu dir doch nicht selbst weh, Paul", bat sie mich mit leiser Stimme, "das haben wir beide
einfach ... nicht verdient. Stell dich der Herausforderung, genieße sie. Wir haben beide
kaum ... eine Chance ... nutzen wir sie ... du kriegst das schon hin. Du musst nur an dich
glauben“, sie lachte plötzlich wieder hell auf, "ich ... ich hatte auch wahnsinnige Angst auf
deinem Motorrad“, gestand sie mir, "ich hatte fast Todesangst ... aber ich lebe noch ... und
ich habe die Herausforderung angenommen. Ich schwöre dir ... es war das Anstrengendste
... was ich seit Langem gemacht hab ... aber es hat sich gelohnt ... denn es war auch ein
irres Gefühl ... das ich sehr genossen habe." Die Erinnerung zeichnete ihr Gesicht ganz
weich, ließ die Konturen schmelzen, die gerade noch so hart schienen. Einen kurzen
Augenblick verharrte sie in dieser Erinnerung, und genoss sie erneut.
Doch dann tastete sie ganz sanft nach meinem Gesicht, und nahm es zwischen ihre
Hände.
"Ich weiß ... und hab das gespürt, dass du mich gern hast, Paul ... und ich ... ich mag dich
auch. Und wenn ich geil bin, dann will ich auch ... mit dir bumsen“, ich wollte eine Erwiderung machen, doch das ließ sie nicht zu, legte einfach kurz eine Hand auf meine Lippen,
"ich ... ich vertraue dir, Paul ... und ich weiß nicht mal genau ... warum“, versicherte sie mir,
"ich würde gern mit dir schlafen, dich verführen, und ... und verrückte Dinge mit dir
anstellen. Aber ... aber wenn du dich jetzt noch nicht darauf einlassen kannst ... dann ist
das Okay ... damit kann ich leben. Ist zwar schade, aber ... okay ... und manchmal ist es
auch besser ... selbst für einen Mann, wenn du loslässt ... wenn du ... dich treiben lässt ...
wenn du nicht darüber nachdenkst ... sondern einfach machen lässt ... Aber bitte ... ich bitte
dich“, ihre Hände umspannten jetzt ganz fest vor Eindringlichkeit mein Gesicht, und fesselten auch den letzten Rest meiner Aufmerksamkeit, "bitte ... stoß mich nicht einfach weg.
Lauf nicht davon ... denn das kann und will ich nicht ertragen ...“
Jetzt war ich wirklich fassungslos.
Noch nie hatte eine Frau so zu mir gesprochen, so gnadenlos ehrlich, so wahrhaftig aufrichtig. Niemals zuvor hatten mich Worte so getroffen wie ihre, - und gleichzeitig eine
Öffnung in mir bewirkt, deren Tragweite ich nicht einmal annähernd ermessen, aber jetzt
schon spüren konnte.
Bis auf den tiefsten Grund meiner Seele hatte Katharina mich erreicht mit ihrer Eindringlichkeit.
Ich wollte so gerne etwas darauf sagen, aber ich wusste nicht was.
Sie machte mir klar, dass ich nichts sagen müsse. Was sie habe sagen wollen, hätte sie
aber endlich gesagt.
Und ich sollte nicht glauben, dass sie unsterblich in mich verliebt wäre.
108
Sie habe mich gern, ließ sie mich wissen, vielleicht sogar mehr als das. Aber sie wolle
auch, dass endlich klare Verhältnisse zwischen uns herrschten, damit Missverständnisse
wie die bereits erlebten, zwischen uns vermieden werden könnten.
Das alles machte sie mir klar, - und dann nahm sie mich fest in die Arme und zog mich
runter von dem Stein auf den Boden. Fest umschlungen saßen wir da, und die Ewigkeiten
schienen an uns vorbei zu ziehen. Die Welt um uns herum schien jegliche Bedeutung
verloren zu haben, völlig unwichtig zu sein.
Irgendwo aus dem Hintergrund hörten wir einen weich schmeichelnden Blues, gespielt auf
elektrischen Gitarren, begleitet von einem dumpfen Bass und von einer rauen Stimme
gesungen, die voller Leidenschaft und mit rauchigem Verve etwas von Liebe, Lust und
sentimentalen Gefühlen sang, der Angst vor dem Alleinsein, dem Schmerz am Ende dieser
Liebe, ohne die die Liebenden nicht leben konnten, wie verwelkte Blumen in Wind zerfallen
und verwehen würden.
Wir ahnten schon damals, wovon die Musiker spielten und sangen, auch wenn der Sound
nur schwach an unser Ohr drang.
Doch das spielte in diesen Minuten oder Stunden keine Rolle für uns.
Viele Jahre später, erinnerten wir uns oft an diese Augenblicke, und hatten das Gefühl, uns
an jeden einzelnen davon erinnern zu können, waren wieder tief berührt von der Intensität
des Augenblicks, der endlos in seinem Bestand zu sein schien.
109
7. Kapitel
Ich begann von Katharina zu lernen, - langsam, manchmal etwas ungeschickt, aber
immerhin.
Dazu gehörte, dass ich ihr weitere, zahllose Fragen stellte, Wissen erwarb, die Fragen oft
neu spezifizierte, und so wieder neues Begreifen errang. Es war fast wie an der
Kunsthochschule, wenn ich so an die sehr aktiven Semester zurückdachte. Ich glaubte viel
über mein Fachgebiet Fotografie zu wissen, erfuhr etwas Neues, probierte es aus, erfuhr
wieder etwas Neues, fragte nach, beschaffte mir Fachliteratur, befragte Fachleute und
lernte erneut etwas ganz Neues, - nur um hinterher festzustellen, dass ich noch sehr viel
lernen musste.
Bei Katharina gehörten auch praktische Übungen und Erfahrungen dazu, wie zum Beispiel,
dass sie es hasste, wenn sie auf einen Stuhl gesetzt wurde, noch schlimmer, auf einen
Stuhl herunter gedrückt wurde.
Sie konnte und wollte erstens selbst entscheiden, ob sie sitzen wollte, und sie mochte es
zweitens nicht, wie eine Idiotin behandelt zu werden.
Wenn wir in ein Café gehen wollten, dann genügte es vollkommen, eine Hand von ihr auf
die Lehne eines Stuhls zu legen, höchstens noch bei unklaren Stuhlformen zu sagen, auf
welcher Seite ihrer stand, - den Rest konnte sie durchaus allein.
Dabei ergaben sich manchmal auch unfreiwillig komische Situationen, die mir anfangs so
gar nicht bewusst wurden, wenn Katharina mich nicht darauf hinwies.
Als wir zum Beispiel einmal im Kaufhaus am Pferdemarkt über die Treppe in die nächste
Etage stiegen - weil Katharina Rolltreppen als unheimlich und bedrohend empfand, fing ich
tatsächlich an, die Stufen zu zählen.
Nicht etwa weil es für Katharina wichtig sein könnte, sondern weil ich dachte, der ständige
Klang meiner Stimme würde sie beruhigen und sie sicher über die Treppe in die höhere
Etage bringen. Außerdem beruhigte es natürlich auch meine Nerven, - und bei Kindern
machten Eltern das auch.
Dabei hatte ich ganz überlegt und clever die Angelegenheit begonnen.
Ich war an Katharinas rechte Seite getreten, also zur Treppe hin, hatte ihre linke Hand auf
das Geländer gelegt, sie unmittelbar bis vor die erste Stufe geführt, und leise zu ihr gesagt:
"Vorsicht Stufe."
So wie es in einem Buch stand, dass ich mir in der Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Ich
fand mich richtig gut und überlegt.
Katharina war sichtlich beeindruckt, dankte meinen Bemühungen auch mit einem absolut
bezaubernden Lächeln.
Doch dann spielte ich Eltern nach, die es mit Kindern genauso machten, - das hatte ich
beobachtet, obwohl in dem Buch nichts davon stand.
Aus diesem Grund fing ich an ihr zu sagen, wie viele Stufen noch vor ihr lägen.
"So ... jetzt noch zehn ... noch neun ... noch acht ...“
"Paul, bitte ...“, Katharina lachte gequält und machte mir grinsend klar, dass es sie nicht die
Bohne interessierte, wie viele Stufen die Treppe habe. Sie müsse auch nicht wissen, wann
die Treppe zu Ende sei, denn das könne sie sehr gut selber spüren.
"Das ist nicht meine erste Treppe ...“
Sie konnte manchmal - auch wenn sie es nicht wollte - ganz schön spitz sein mit ihren
Worten.
Als ich hinterher darüber nachdachte, fand ich das aber selber ein wenig komisch, obwohl
ich es tatsächlich nur gut gemeint hatte. Nur, das allein reichte natürlich nicht, - und
Katharina hatte nicht unrecht: Wem sollte es nützen, wenn ich die Stufen mitzählte.
110
Weniger lustig war es, als ich Stück für Stück einige Alltagsprobleme aus ihrem Leben
kennenlernte.
Gleich in der ersten Woche musste ich miterleben, dass man sie im Supermarkt um Geld
betrogen hatte. Nur leider konnten wir es nicht beweisen, dass die Wechselgeldherausgabe
fehlerhaft war. Bei der Rekonstruierung konnten wir dann lediglich feststellen, dass dies
kein Zufall gewesen sein konnte, sondern Absicht.
Für Katharina war das nichts Neues, so etwas war leider Alltag im Rahmen der Beratung im
Blinden-Verein. Das passierte Blinden jeden Tag, in allen größeren und kleineren Geschäften. Es ärgerte sie, dass sie einen Augenblick nicht voll konzentriert gewesen war. Aber sie
wusste auch, dass es wenig Sinn machte, mit dem Filialleiter darüber zu diskutieren. Ein
Zehn-Mark-Schein war auf jeden Fall verloren, denn statt einem Zwanziger hatte man ihr
einen Zehner herausgegeben.
Katharina erzählte mir davon, dass Blinde im Verein berichteten, dass man ihnen trotz Hilfe
durch eine Verkäuferin Rotwein statt Weißwein in den Einkaufswagen gelegt hatte oder
umgekehrt, Universalreiniger statt Spülmittel, fette Dosenmilch statt Magermilch, Fruchtjoghurt statt Naturjoghurt, 300 Gramm Trauben statt der bezahlten 500 Gramm, selbst altes
Obst, statt frisches.
Viele Blinde besaßen nicht die Fähigkeit, das unterscheiden zu können, weil sie entweder
spät erblindet und dadurch nicht mehr so leicht umlernen konnten, - oder sie hatten keine
Möglichkeit genutzt, so etwas im Mobilitätstraining zu lernen.
Es klang zwar enorm gemein, aber es war durchweg Alltag, dass man in Supermärkten
Blinden, die sich zu erkennen gaben und um Hilfe baten, falsche Waren aller Art andrehte.
Katharina versuchte stets alles zu überprüfen, nahm sich sogar die Freiheit einfach eine
andere Kundin zu fragen, ob sie tatsächlich eine bestimmte Biersorte bekommen hatte, aber immer ging das nicht. Wurden Verkäuferinnen durch die blinde Kundschaft überführt,
war die Lieblingsausrede meistens, dass die Kundin sich unklar ausgedrückt hätten und
vom Personal falsch verstanden worden waren.
Sie wollte auch meistens nicht unnötig viel Zeit mit dem Einkauf und betrügerischem Personal vertrödeln. Artikel zu diesem Problem in der Blinden-Zeitung entrüsteten zwar die
Betroffenen, aber halfen auch nicht viel weiter.
Dass sich eine Marktkette oder die Leitung eines Marktes dafür entschuldigte, oder gar zur
juristischen Rechenschaft gezogen wurden, blieb die absolute Ausnahme.
Das war und blieb eine Frage des Zeitgeistes und der Intoleranz.
"Meine Mutter hatte genau die gleichen Probleme."
Die Forderung der bundesweiten Blinden-Vereine nach blindengerechtem Geld mit den
Braille-Zeichen, wurde seit Jahren von allen Bundesregierungen mit dem Hinweis auf die
viel zu hohen Kosten abgewiesen.
In Holland war das aber seltsamerweise kein Problem, dort gab es schon seit Jahren alle
Geldscheine, sogar Münzen mit zusätzlichen Braille-Zeichen.
Grundsätzlich sehr schlecht war das Bildungsangebot, die Möglichkeiten für Ausbildung
und Berufsabschlüsse für Blinde, wenn man mal von den demütigenden Angeboten der
Behinderten-Werkstätten absah, die praktisch nichts anderes taten, als arbeitsintensive und
langweilige Handarbeit, wie zum Beispiel Post kuvertieren, für ein Taschengeld von allen
möglichen Firmen an Blinde und andere Behinderte beschafften.
Das Buchangebot war lächerlich und äußerst beschränkt.
Blinden- und überhaupt behindertengerechte Berufsausbildung, - immer wieder hieß es von
öffentlicher Stelle, dass dafür leider kein Geld vorhanden sei.
Die Tendenz, auch Blinde, wie Körper- oder geistig Behinderte in irgendwelchen Heimen
wegzusperren, sie vor der Öffentlichkeit zu verstecken, war immer noch sehr verbreitet. Die
Unwissenheit über das Leben blinder Menschen in der Bevölkerung entsprechend groß.
111
Die Ausbildung der Betroffenen verschwindend klein und meistens Privilegierten vorbehalten.
Wie Katharina, die das mit Hilfe, in ihrem Fall besonders finanzieller Hilfe ihrer Eltern
schaffte. Ohne diesen Geldeinsatz wäre sie genauso minimal ausgebildet worden, wie
andere.
Von Integration konnte weit und breit keinerlei Rede sein.
Minderheiten, ganz gleich welcher Art und Abstammung, hatten es in Deutschland nie
leicht. Das Mildeste, was ihnen hier von uns noch blühen konnte, war die Nichtbeachtung
und die Gleichgültigkeit.
Von der publizistisch groß herausgestellten Offenheit, zu der vor vier Jahren Willi Brandt als
Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung unmissverständlich als ein Ziel seiner Politik
aufgerufen hatte, das Mitgefühl und Mitleiden der Gesellschaft mit den Geschädigten und
Beschädigten, prägte nirgends unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit.
Die Wahlen waren gewonnen, die Parlamentssitze verteilt, die Minister-Posten verschachert. Wen kümmerten da schon seine großen Versprechungen von gestern, von vor der
Wahl?
Keine Minderheit, wird und wurde so schändlich behandelt, wie die Millionen Behinderter
und Gehandicapten, - und es gibt und gab mehr von ihnen, als wir wahrhaben wollen. Viele
von ihnen leben praktisch ohne jegliche Rechte.
Dass für Ausländer wesentlich mehr getan würde, wollten hingegen weder ich, noch Katharina, gegeneinander aufrechnen, auch wenn es in der Realität tatsächlich stimmte.
Man konnte ihnen aber dafür keine Schuld geben, denn es war ja nicht ihre Entscheidung,
dass die Bundes- und Landes-Regierungen dieses Problem nicht wahrnehmen oder finanzierend mildern wollten. Es ihnen nur zu neiden wäre genau das gewesen, wie sich
manche Volksvertreter diesen Staat wünschten, als eine harte Ellenbogengesellschaft, in
der vor allem anderen zuerst die eigenen Interessen zählten.
Andererseits wurde genauso oft von den nichtbehinderten Menschen in unserem Land in
Stammtischmanier darüber gemäkelt und offen gemeckert, dass diese unproduktiven
Behinderten, und eben auch Blinde, viel zu viel Geld vom Staat bekämen, dass viel zu viel
für sie getan würde, dass ihnen Zucker in den Arsch geblasen würde, - während "normale"
Bundesbürger dafür hart arbeiten mussten.
Nur ein ignoranter Unwissender konnte so einen Mist behaupten.
Jeder, der sich die Mühe machte, einmal die tatsächlichen Kostenfaktoren eines blinden
Menschen zu prüfen, seine Zusatzausgaben für den minimalen Rahmen eines halbwegs
normalen menschlichen Lebens, seiner Würde und Unabhängigkeit in Selbstbestimmung, und für jegliche kleine Dienstleistung, auf die er leider zwingend angewiesen war, dann fiel
diese unsinnige Behauptung wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Wie unerwünschte Almosenempfänger kamen sich viele Behinderte vor, wenn sie bei den
"Sozialämtern" - schon diese Bezeichnung löste recht bald bei mir einen tiefen Widerwillen
aus - "bitte ... bitte" sagen mussten, um etwas finanziert zu bekommen, was sie zwingend
für die Alltagsbewältigung brauchten, oder ihnen das Leben ein wenig erleichterte. Selten
waren sie selbst in der Lage dieses benötigte Geld aus eigenen Mitteln aufzutreiben. Dabei
waren Blinde wie Katharina ziemlich stolz auf ihre Unabhängigkeit und zu Leistungen fähig,
die sich sehende Menschen kaum vorstellen konnten.
Fast noch schlimmer, und nicht selten auch wesentlich demütigender, war die Art und
Weise, wie oft Behinderte in der Öffentlichkeit behandelt wurden, - oft nicht einmal aus
Bösartigkeit, sondern allein aus ignoranter Unwissenheit.
Katharina erzählte mir davon, wie oft es passierte und wie sehr es sie nervte, dass sie beim
Einsteigen in eine Straßenbahn oder Bus, regelrecht in das Fahrzeug hineingezerrt wurde,
man ihr unbedingt einen Sitzplatz aufzwingen wollte, auch wenn sie gar keinen brauchte.
Man behandelte sie dann nicht nur als Blinde, die mit einem Blindenstock in den Bus
112
einstieg, sondern auch wie einen Menschen, der geistig und körperlich behindert war, den
man einfach so duzen und herumzerren durfte.
Das war für sie ein wichtiger Grund, warum sie möglichst oft auf den Blindenstock
verzichtete.
Ich erlebte selber, wie eine Kellnerin in einem Café merkte, dass Katharina blind war, und
im selben Moment nicht mehr mit ihr, sondern allein mit mir über unsere Bestellung sprach.
Von einer Sekunde auf die andere schien sie plötzlich den Eindruck zu haben, dass
Katharina nicht nur blind, sondern auch unfähig war, sich einen Kaffee zu bestellen, sprachgestört und begriffsstutzig. Daher fragte sie mich, was sie der jungen Frau bringen dürfe.
Ich war das noch nicht gewöhnt, aber es machte mich wütend. Nur fiel mir leider keine
passende Bemerkung dazu ein. Hinterher nahm ich mir vor, beim nächsten Vorfall dieser
Art die Kellnerin aufzufordern, Katharina selbst danach zu fragen.
Sie selbst erschütterte so etwas schon lange nicht mehr, denn sie kannte das ihr ganzes
Leben lang. Es ärgerte sie, machte sie ebenfalls wütend, reizte sie manchmal selber zu
scharfen Protesten, - aber es wiederholte sich in regelmäßigem Turnus, sogar im selben
Café, an einem folgenden Tag.
Vielleicht hatte ich das früher schon mal gesehen, aber nicht wahrgenommen, - doch jetzt
fand ich das beschämend.
Ich hatte geahnt, ja gewusst, dass mit Katharina zusammen vieles anders werden würde,
als ich es mit anderen Frauen kannte. Aber ich hatte nicht geahnt, wie stark es mein Leben
verändern und beeinflussen sollte. Sie erschien mir soviel erwachsener, reifer und selbstbewusster als andere Frauen, die ich in meinem Leben kennengelernt und erlebt hatte, die
zu meinem Bekanntenkreis gehörten.
Und sie bezog gerade aus dieser Reife, diesem Selbstbewusstsein ihre Lebensfreude, ihre
Kraft hinwegzusehen über alltägliche Vorgänge, die ich verletzend und beschämend fand, nicht nur, weil sie die Frau betrafen, die ihre Zeit mit mir verbrachte. Doch Katharina entwickelte zwangsläufig mit der Zeit eine gewisse Großmut, weil sie wusste, dass ihr Ärger
sie nicht weiterbrachte, sondern sogar einschränkte.
Wir verbrachten viel Zeit miteinander, suchten die Gemeinsamkeiten.
Doch hielt sie auch noch immer eine kaum merkliche Distanz zu mir, brauchte viel Zeit für
sich selbst, die sie sich nicht nehmen ließ, und sie wollte keinesfalls ihr Leben nach mir neu
ausrichten. Sie war zu Zugeständnissen und Kompromissen bereit, wollte von Anfang an
viel mehr von mir, als ein bisschen Charme, als nette Unterhaltung und angenehme Stunden, nur um nicht allein zu sein.
Dass ich ihr Liebhaber wäre, sagte sie mir ganz offen, würde ihr auf Dauer bei weitem nicht
genügen. Sie mochte mich als Mann, als Freund, als Kumpel, als Partner für Gedankenaustausch und Auseinandersetzung, auch für Streit und Widerspruch, - und das nicht nur
für Zeiten, wo sie mehr als genug Zeit für mich habe, was ohnehin selten der Fall war.
Die Freundschaft zu Maria, sie auszubauen, war ihr ungemein wichtig. So war von Anfang
an klar, dass sie wenigstens einen Abend in der Woche für sich und Maria haben wollte,
ohne dass ich oder jemand anderes dabei war.
"Ich brauche viel Zeit für mich“, erklärte sie mir bestimmt und sanft, "für Denkanstöße und
neue Kontakte, für Impulse und Pflege von alten Kontakten. Ich brauche Menschen um
mich, die mir wichtig sind und sehr, sehr viel Zeit für Selbstbesinnung. Ich will nicht wie eine
Klette ... ständig mit dir zusammenhängen. Ich will kein Teil von dir sein, ein erkennbares
Anhängsel. Aber ... aber ich möchte sehr gerne, dass du mein Freund ... und mein Liebhaber wirst, weil ... du sanft und zärtlich ... und klug genug bist, um uns ... eine echte
Chance zu geben“,
Allein schon, wie sie das Wort "Liebhaber" sagte, wie sie es sanft und weich betonte,
bereitete mir ein ungemein angenehmes Kribbeln im Bauch.
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Mag sein, dass sie etwas davon verstand, andere Menschen zu manipulieren. Mich konnte
sie auf jeden Fall mit Leichtigkeit um den Finger wickeln und genau dahin bringen, wohin
sie mich haben wollte.
Ich begehrte sie, ich fand sie umwerfend, sinnlich und höchst interessant - und nicht nur
wegen ihrer Stärke, die sie ganz gelassen lebte, - aber wir führten vorerst eine weitgehend
nichtsexuelle Beziehung miteinander.
Und das Allerseltsamste war, ich war absolut zufrieden mit dieser Situation, wollte es gar
nicht anders haben.
Wir gingen spazieren, sehr oft Hand in Hand, küssten uns keusch und sanft, doch eine
intimere Nähe strebten wir beide vorerst nicht an. Ich wusste, dass ich es war, der das nicht
zulassen konnte und wollte. Wenn ich die Gründe dafür hätte benennen können, hätte ich
sie nicht wahrhaben wollen. Ich war nicht bereit, mich letztendlich Katharina gegenüber zu
öffnen.
Sie hingegen bedrängte mich nicht.
Sie hielt Präsenz, war für mich da, wann immer sie Zeit hatte.
Du musst tun, was und wann du es für richtig hältst, sagte sie mir ohne jeglichen Vorwurf
oder Bitterkeit, wenn ich mich deswegen schuldig fühlte. Du musst für dich das Gefühl
haben, dass du wirklich willst, was du willst.
"Ich mag dich ... ich ... ich würde gerne deine Freundin sein, deine Beraterin ... dein
Wirbelwind, der dein Leben durcheinander bringt ... deine Geliebte ... dein bester Kumpel ...
was immer für uns beide richtig ist ... Und irgendwann, wenn die Zeit reif ist, möchte ich
deine Geliebte sein, der ... der dein ganzes Verlangen gilt."
Das war eine Ankündigung, die mir gefiel. Ich wünschte mir manchmal, dass sie die Dinge
zwischen uns forcieren würde, dass sie klare Forderungen und Limits setzen würde, - doch
das tat sie nicht.
Sie machte keinerlei Geheimnis aus ihren Gründen.
"Das ... das habe ich ... viel zu oft getan ... ich will das nicht mehr ...“, erklärte sie mir ruhig,
"ich möchte lieber, dass du ... dass du mich willst, weil ... weil du mich willst."
Doch wir waren auf sehr schöne intime Weise zusammen, fanden sehr viel Gefallen aneinander, viel Gefühl und Zärtlichkeit, versuchten uns nicht zu belügen, suchten eine gemeinsame Basis, die jetzt noch nicht reif genug war, alle Schranken und Grenzen zu überschreiten.
In einer Zeit, wo die sexuelle Freizügigkeit und Revolution, ständige Partnerwechsel, die
Auflösung der Ehe und Zweierbeziehung, sexuelle Experimente auf ihre Alltagstauglichkeit
von allen möglichen Bevölkerungsgruppen ausgetestet wurden, wo jede Zeitung mit diesen
oder ähnlichen Themen warb, neue Maßstäbe in die Gesellschaft getragen und publiziert
wurden, war das sicher kein absolut durchschnittliches Verhalten, dass die sogenannte
"Szene" gelassen zur Kenntnis nahm.
Hätte jemand unser kleines Restgeheimnis erfahren oder gekannt, - man würde uns
wahrscheinlich für ein wenig frustriert, spießig und altbacken gehalten haben.
Aber das war es gar nicht - wir gingen nur sehr behutsam mit uns um.
Ich lernte von Katharina, langsam - aber immerhin.
Zum Beispiel in Bildern zu sprechen, die sie nachvollziehen konnte, an denen sie Anteil
haben konnte, die ihr einen Eindruck von Vorgängen verschafften, die sie nicht mir ihren
anderen Wahrnehmungen erfasste.
Der Vergleich zwischen Pferde- und Motorrad-Sattel von ihrer ersten Mitfahrt auf meiner
"Alten Lady" war mir fest im Gedächtnis geblieben. Ich suchte stets nach Vergleichbarem,
wenn es mir schwerfiel irgend etwas treffend zu beschreiben.
"Versuch einfach bei allem, was du siehst oder tust“, half sie mir erläuternd, "zu berücksichtigen, dass ich nicht sehen kann. Erkläre mir, was du siehst, auch wenn es dir nicht so
bedeutend scheint, vielleicht sogar unwichtig oder so. Werde meine Augen ... lass mich
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durch dich sehen, dann kann ich dir auch etwas von ... von meiner Welt zeigen. Und
vergiss nie, ich kann auch im Dunkeln sehen, in völliger Finsternis ... mit Ohren, mit den
Händen und dem Geruch ...“
Ich versuchte es, ihr Dinge zu beschreiben, "sah für sie".
Aber von vielen Dingen konnte ich ihr kein Bild verschaffen, weil sie mir zwar vertraut
waren, sie sogar in dem Moment sah, ich aber keine Worte der Beschreibung für sie fand.
Und durch ihre Geburtsblindheit hatte Katharina von vielen Eindrücken, die ich ihr zu
vermitteln suchte, überhaupt keine Vorstellung.
Nur was sie hören, riechen, schmecken oder mit den Händen anfassen konnte, war für sie
"begreifbar".
Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, ihr alles in die Hand zu geben, was sie
anfassen wollte, - und Katharina nahm fast alles in die Hand, wenn es interessant und klein
genug war. So entwickelte sie Vorstellungen in ihrem Geist, konnte sich Dimensionen aller
Art vorstellen.
Bäume waren nahezu immer riesig für sie.
Doch wie sollte ich ihr die Wasserfontänen des Springbrunnens am Leffers-Eck erklären,
wie die sich darin brechenden Sonnenstrahlen einen Regenbogen erzeugten.
Katharina mochte das Wasserrauschen, hielt gerne ihre Hände in das kühle Nass, genoss
die Berührung von Wasser auf ihrer Haut, besaß aber hatte keinerlei Vorstellungen von
Farben, schon gar nicht von einem Regenbogen, wusste lediglich um das Phänomen und
seine Existenz.
Wie sollte ich ihr vom rauschenden Grün, Gelb und Gold der Bäume, wie den tobenden
Wind in den Zweigen einer Trauerweide vermitteln? Wenn er die langen dünnen Äste
wogen und wehen ließ, dass die Äste und Blätter durcheinander wirbelten, und sie wie
zerzauste Haare verwoben, das war ein schöner Anblick.
Wie sollte ich ihr ein Bild vom Spätsommer vermitteln, der die Büsche und Bäume mit
einem ersten Goldhauch überzog?
Wie sollte ich ihr ein Bild vom Spätsommer vermitteln, der die Büsche und Bäume mit
einem ersten Goldhauch überzog?
Wie sollte ich ihr erklären, dass am strahlend blauen Himmel in einem anrührenden Bild die
ersten Vögel gen Süden zogen, und dabei wundervolle Formationen flogen?
Katharina wusste sehr viel von all diesen Dingen, sie waren ihr nicht fremd, nur weil sie sie
nicht anfassen konnte. Sie spürte den Wind, das Rauschen der Blätter, das leicht pfeifende
Zerwehen der Trauerweide, die Kühle des Morgens sowieso, den Geruch des Spätsommers und des Herbstes.
Doch waren es immer nur Teile der ganzen Schönheit dieser letzten Sommertage.
Denn wie erklärt man einem blinden Menschen ein himmelerglühendes Abendrot oder
aufsteigenden weißen Wattenebel über der Hunte?
Aber Katharina bedauerte das nicht. Sie liebte es, dieses Leben zu begreifen, erzählte mir
von den vielen Frühlingsspaziergängen, die sie allein gemacht hatte, wie sie den Wind
gespürt, der Regen sie durchnässt hatte, das Knarren der Äste, die krächzenden und die
hellen Schreie der Vögel.
Katharina konnte die Jahreszeiten riechen. Sie liebte die Spaziergänge durch den kleinen
Oldenburger Hafen, mit seinem Geruch nach Brackwasser, Fisch und Teer, Holz und Meer.
Sie war begierig nach einem Besuch auf dem alten Pferdemarkt, die Stände des Wochenmarktes aufzusuchen und die Tausende von Gerüchen, Geräusche, Düfte und Berührungen in sich aufzusaugen.
Sehr vorsichtig betastete sie die Hühner in ihrem Federkleid, soweit sie sich nur anfassen
ließen, wenn sie nur irgendwie an sie herankam.
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Besonders gern fasste sie große, fette Schweine an, Gänse und auch Gemüse. Es machte
ihr unglaubliches Vergnügen und sie stellte endlose Fragen, konnte vieles ohne Erklärung
sofort identifizieren.
Sie konnte, viel besser als ich, durch leichtes Berühren feststellen, welche Kartoffeln,
Gurken, Zwiebeln oder anderes Gemüse frisch, und welches alt war.
Stundenlang konnte sie dort herumlaufen, sich einem Hund gegenüber hocken, sein Vertrauen durch stilles Abwarten und leise Lockrufe gewinnen, um ihn dann glücklich zu
umarmen, die Finger in sein Fell zu graben.
Brachen wir dann irgendwann zum Heimweg auf, waren ihre Hände schwarz vom Schmutz
und allen möglichen Absonderungen. Doch das belastete sie nicht wirklich, denn sie hatte
längst herausgefunden, dass es Hydranten am Rand des Marktes gab, wo sie sich die
Hände waschen konnte.
"Ich sah als Kind oft aus ... wie ein Dreckschwein“, lachte sie nur und spritzte mich mit
Wasser nass, "zumindest ... hat mein Papa das immer von mir gesagt ...“
Ebensolche Freude empfand sie an den alten Dobbenteichen, konnte lange und ausdauernd auf einer Bank oder im Gras sitzen, die Geräusche und Gerüche in sich aufnehmen,
von gluckerndem Wasser, kleinen Enten und dem Wind im hohen Gras.
Sie vermisste nicht wirklich das Sehen, - und ich begann ganz allmählich dieses zu
begreifen.
Es war unsagbar schön in Katharinas Welt ein wenig einzutauchen, wenn wir stumm am
Dobbenufer saßen, weil Worte jetzt nur gestört hätten. Wir gaben gern unser Schweigen für
das Erleben der Natur, so dicht am Zentrum der kleinen Stadt an der Hunte.
Mit geschlossenen Augen saß ich neben dieser Frau und versuchte mir vorzustellen, ich
wäre blind, - und gleichzeitig noch tiefer in ihre Welt vorzudringen.
Doch wusste ich nur zu genau, wie die meisten Dinge um mich herum aussahen, welche
Gestalt sie hatten, welche Farbe, weil ich sie oft in meinem Leben gesehen hatte, - und
doch nicht wirklich kannte.
Katharina schien sie fast alle zu kennen, schien Beziehungen mit ihnen aufzubauen und zu
pflegen, - entschuldigte dies grinsend damit, dass "manche Blinde mit der Zeit etwas
sonderbar" würden.
Mit schier unendlicher Geduld konnte sie dasitzen, auf eine Ente warten, und ihr endlich
sanft über das Gefieder streichen, sie ertasten, ohne sie zu erschrecken. Wenn ich mich
bewegte oder auf sie zuging, watschelten sie im Fluchttempo davon. Von mir ließen sie
sich nicht so leicht anfassen.
Mir war, als habe sie ein besonderes Verhältnis zu lebendigen Dingen, als kenne sie den
Wind persönlich, seinen Vetter, den Regen, mit jedem einzelnen Tropfen.
Wenn ihr gerade danach zumute war, erzählte sie mir davon, wie sie als Kind den Regen
begreifen lernte, wie er ihr Gesicht gestreichelt und berührte, wie sie ihn auf den Händen
zerrinnen fühlte und dennoch stets ungreifbar für sie blieb.
In diesen Minuten glaubte ich ein wenig zu verstehen, wie unermesslich das Dunkel um sie
herum war, wie die Blindheit sie auch einmauerte.
Doch diese Traurigkeit wollte sie so nicht zulassen. Denn sie fand es großartig, dass es
Dinge gab, die der menschliche Verstand nicht erfassen und einordnen konnte. Sie meinte,
dass die Nichtblinden immer so ein Brimborium um ihr "Sehen" machen würden. Dabei
vergaßen sie völlig, dass die Augen täuschen können, dass das Gesehene nicht unbedingt
die Realität war. Ihr Mut zum Leben machte mir manchmal tatsächlich Angst, denn ich
begann zu begreifen, wie stark Katharina wirklich war. Sie war eine dominante
Persönlichkeit und liebte ihr Leben, trotz und mit allen Fehlern, die sie gemacht haben
mochte, ließ sich niemals endgültig entmutigen und schlug Risse in die Mauern ihrer
Blindheit.
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"Hast du jemals zugehört, wenn Schnee fällt“, wollte sie voller Begeisterung von mir wissen
und wies meine Behauptung zurück, dass man fallenden Schnee nicht hören konnte. "Du
kannst zwar nicht die einzelnen Schneeflocken hören“, triumphierte sie, "aber der Klang
aller Dinge um dich herum verändert sich total. Du kannst sogar hören, wenn die ganz
feinen Schichten langsam fester werden und zusammensacken ...“
So recht glauben mochte ich ihr das nicht, aber ich war entschlossen, es zu probieren,
wenn die Zeit gekommen war. Sie erzählte mir, dass sie einmal in ihrer Kindheit riesigen
Ärger mit ihren Eltern bekam, weil sie so fasziniert vom Schneefall draußen war, dass sie
stundenlang ganz still auf einer Bank saß und lauschte. Beinahe blau gefroren wurde sie
schließlich von einer Nachbarin nach Hause gebracht.
Mich brachte es aber auch an Rand der Verzweiflung, sie so zuversichtlich und gleichzeitig
so verletzbar zu erleben. Ich fühlte mich elend, weil ich sehend - zumindest nicht blind war,
mich nicht eingegrenzt fühlte, gefangen in einer Lage, die unveränderbar war.
Dann klammerte ich mich an Wunschträume von Operationen, die Katharina heilen und
sehend machen würden.
Dabei wusste ich doch ganz genau, dass da keine Hoffnung bestand. Es würde keine
Veränderung ihrer Blindheit geben, das hatte sie mir einmal in einem Gespräch absolut klar
gemacht - und damit war ich wieder einmal mehr am Ausgangspunkt meiner GedankenGeisterbahn.
Denn dies war die endgültige Wahrheit, ob ich sie nun wahrhaben wollte oder nicht.
Für mich - und wie ich viel später erfuhr, auch für sie - waren dies die schmerzlichsten
Momente unserer ersten Tage, wo wir versuchten unsere Gemeinsamkeiten zu ergründen,
aufeinander zuzugehen.
Ich ahnte sicherlich, dass Katharina auch darunter litt, dass sie sich quälte, aber nicht um
ihrer selbst willen, sondern wegen mir. Nur ließ sie sich davon nicht beherrschen, ließ
dieses Leid in einer Tiefe, die mir verborgen war und blieb. Es dauerte nahezu endlos
lange, bis ich begriff, dass gesundes Verdrängen und Akzeptanz des Unveränderlichen für
sie das Beste in dieser Lage war, weil sie sonst daran zerbrochen wäre.
Ich sprach mit Maria darüber, als wir uns zufällig trafen, schilderte ihr, wie elend ich mich
fühlte in diesen Augenblicken.
Maria war eine Frau, die hohe Ansprüche an Menschen stellte, es niemandem leicht
machte. Sie musste hart arbeiten und jobben, um Geld für ihr Studium zu verdienen. Sie
stand mit beiden Beinen relativ fest im Leben, war nicht so leicht umzuwerfen. Bewusst
leben, war ihr wichtiger, als irgendein verschwommener Begriff von Liebe, Nähe und
Gemeinsamkeit, - der sich früher oder später als Farce erwies. Sie liebte und fand ihren
Spaß, hatte ein paar Freunde, auch mal eine Affäre.
Katharina war ihre neue Freundin, und die hatte sie in kürzerer Zeit viel näher kennengelernt, als jeden anderen Menschen, den sie vorher in ihrem Leben traf.
Nie war ihr, so erklärte sie ihren Standpunkt, ein Mensch begegnet, der so offen und
aufrichtig und gleichzeitig widersprüchlich zu seinem Leben stand, es so gut im Griff hatte,
und trotzdem täglich mit schier unüberwindlichen Schwierigkeiten erfolgreich - oder auch
nicht erfolgreich kämpfte.
Daher nahm sie diese Freundschaft genau so wichtig, wie umgekehrt.
Maria konnte nicht nur ein guter Kumpel, eine gute Zuhörerin, ein echtes Spaßpaket sein,
sie konnte auch schonungslos offen aussprechen, was sie wirklich dachte.
"Dein Problem ist immer noch dein Selbstmitleid“, knallte sie mir unbarmherzig an den
Kopf, "du armer Kerl hast dich ausgerechnet in eine Frau verguckt, die dir nie sagen kann,
wie schön deine Augen strahlen ...“
Es müsse mir einfach klar werden, erläuterte sie mir, dass Katharina diese Traurigkeit nicht
nur fühlen könne, sondern auch enorm darunter leide, weil sie mir nicht helfen könne.
Damit würde ich für sie alles nur noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war. Durch
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meine Beschränkung auf meine Sicht des Lebens würde ich Katharina eine Ausweglosigkeit vorgeben, die sie deprimierte, an der sie auf Dauer entweder zerbrechen, oder die
sie aus meinem Leben vertreiben würde.
Die Lösung wäre dabei ganz einfach: Akzeptieren und damit abfinden, verstehen lernen
und damit auseinandersetzen, - und am wichtigsten wäre, dass ich mir nicht weiter leidtäte,
weil meine Freundin blind sei.
Mir bleibe gar keine andere Wahl, resümierte sie, entweder akzeptieren, oder Katharina
wieder verlieren. Die Alternative sei, die Beziehung sofort und knallhart zu beenden.
"Sie wird sich nicht auf Dauer mit einem Mann einlassen, der sie mit in die Tiefe zieht,
darauf kannst du dich verlassen."
Wenn ich versuchen würde Katharina zu zwingen deswegen ihre Lust an mir aufzugeben,
könne ich davon ausgehen, dass sie nie wieder danach auch nur ein Wort mit mir reden
würde.
Das saß wie ein Tiefschlag.
Ich war sauer auf Maria, doch das tangierte sie nicht nachhaltig. Sie ließ mich damit allein
fertigwerden.
Wie gesagt, ich lernte, mühselig, aber stetig.
Katharinas Vertrauen in mich war erstaunlich groß. Ich wusste nicht gleich, ob es etwas mit
Sturheit zu tun haben könnte, weil sie sich vielleicht in den Kopf gesetzt haben mochte,
diesen Mann - mich - für sich zu gewinnen.
Doch Maria hatte mir nur allzu deutlich gemacht, dass ich nicht ein so toller Kerl war, dass
eine Frau dafür alles riskieren oder aufgeben würde. Vermutlich war ich wirklich nur ein
netter Mensch, der irgend etwas an sich hatte, das sich vielleicht zu lieben lohnte.
Ich lernte, langsam, aber ich lernte, hauptsächlich von Katharina.
Zum Beispiel, wie ich sie richtig führen, aber nicht wie eine Kriminelle am Arm abführen
konnte. Sie wollte andererseits auch nicht ständig wie ein Kind an die Hand genommen
werden. Am liebsten war es ihr, wenn sie sich locker bei mir einhängen oder ihre Hand auf
meinen Rücken legen konnte. So war es kein Problem für sie meinen Wegen zu folgen,
wenn ich sie nicht schmerzhaft genau vor einen Lichtmast führte.
Ich wuchs mit dieser Aufgabe, in jeder Beziehung.
Wir hatten uns diese Aufgabe nun einmal gestellt, und ich machte die erfreuliche Erfahrung,
dass es tatsächlich mit jedem Tag ein bisschen leichter wurde, dass ich mich mit jedem
neuen Tag ein wenig sicherer fühlte.
Ich entwickelte Initiativen und ganz eigene Ideen für das Verstehen und Erfassen ihrer
Welt, ihrer Werte und Verhaltensregeln, - stellte viel unbefangener Fragen. Schließlich
kaufte ich mir sogar ein Buch über den Umgang mit blinden Menschen, geschrieben von
einer blinden Frau.
Hier fand ich sehr viele Parallelen zu Katharina, konnte mit der dort aufgezeigten Blindenproblematik, die nicht zwangsläufig ihre Ursache bei den Blinden hatte, viele Dinge viel
besser begreifen, die das Leben von Blinden ausmachte. Ich lernte durch dieses Buch nicht
mehr von "hier und "dort" zu sprechen, sondern örtlich genau und präzise zu formulieren,
Gegenstände richtig und sachgerecht in die Hand von Katharina zu geben.
Ich sagte zu ihr nicht mehr, wenn ich sie an einen Stuhl geführt hatte, dort ist dein Stuhl,
sondern links von dir ist dein Stuhl, oder neben deiner rechten Hand ist die Kaffeetasse.
Es gelang mir tatsächlich Katharina damit zu verblüffen.
Die Freude, die aus ihrem Gesicht leuchtete, war meine schönste Belohnung für mein neu
erlerntes Verständnis und Wissen. Dabei war es für sie gar nicht nötig ihr zu erklären, wo
im Café ihre Tasse stand. Mit schnellen, tastenden Bewegungen checkte sie den Tisch vor
sich und wusste danach mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit, wo sich was befand.
Sie bemerkte sogar, wenn die Bedienung oder ich etwas unbedacht an dieser Ordnung
veränderten. Sofort verschaffte sie sich eine schnelle Neuorientierung.
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Wir sprachen natürlich über dieses Buch, und Katharina ließ sich einige Passagen von mir
daraus vorlesen, besprach sie danach mit mir, bestätigte oder verwarf Thesen der Autorin.
Selbstverständlich war das bei blinden Menschen genauso individuell wie bei Nichtblinden,
was sie bevorzugten, wie sie behandelt werden wollten, was sie als angenehm fanden, und was umgekehrt nicht.
Der Unterschied, bestätigte Katharina die Buchautorin, läge sehr oft darin, ob der Blinde
früh- oder spät erblindet wäre, ob und wie weit er noch lern- und ausbildungsfähig oder willig wäre.
Altersblinde Menschen würden selten ihren Lebensraum verteidigen. Sie wären nicht bereit
und gewillt neue Techniken zu lernen, und wurden oft von ihren Angehörigen zu den
Pflegestellen der Altenheime weitergereicht.
Jugendblinde hatten meist große Vorteile, die spät Erblindete kaum erreichen konnten, weil
sie sich in ihrer plötzlich schwarzen Welt erst zurechtfinden mussten, - und oft gerade
daran völlig verzweifelten.
Katharina war für mich das lebende Beispiel aus diesem Buch.
Es war schön, mit ihr zusammen zu sein.
Weil ich lernte das so zu akzeptieren, konnte ich auch mit mir und meiner Sicht der
Blindheit immer besser klarkommen. Auch ich veränderte mich in diesen ersten Tagen,
lernte meinen Standpunkt neu zu bestimmen.
Ich fühlte mich sicherer, von Tag zu Tag, - bis jenes Wochenende kam, wo wir zum
Nethener Baggerloch fuhren.
119
8. Kapitel
Es war einer dieser entsetzlich heißen Spätsommertage, wo die Hitzeglocke über der Stadt
hing. Jede kleinste körperliche Betätigung wurde zur monströsen Anstrengung, die wahre
Sturzbäche von Schweiß verursachte.
Schon seit Tagen waren die Temperaturen stetig angestiegen, bewegte sich kein Lüftchen,
keine Wolke am Himmel. Jegliche Arbeit, selbst das Denken in ruhiger Lage, wurde zum
Kraftakt, der einen atemlos machte und bis zur Erschöpfung auslaugte.
Ich hatte die letzten Tage fast ausschließlich mit den Vorbereitungen auf verschiedene
Leistungsscheine für die Hochschule verbracht, die ich endlich erbringen musste, wenn ich
nicht Gefahr laufen wollte, das gesamte Semester zu wiederholen oder gar exmatrikuliert
zu werden. Viel zu lange hatte ich diese Leistungen schleifen lassen, jetzt hingen mir die
Dozenten im Nacken.
Also beschloss ich, nicht ganz freiwillig, mich zusammenzureißen und mal wieder richtig
intensiv zu arbeiten.
Ganz plötzlich - und nahezu unerwartet - entwickelte ich plötzlich begrenzten Fleiß, sogar
halbherzigen Ehrgeiz und auch eine Kreativität, die ich schon lange unter persönlichen
Erlebnissen und Problemen verschüttet hatte.
Ich arbeitete mit neuer Freude und hin und wieder wie ein Besessener, und freute mich
schon sehr auf das Wochenende, wo ich aus dem schlimmsten Druck heraus sein würde.
Katharina konnte ich dadurch nur selten sehen, war schon froh, wenn uns am Abend mal
eine Stunde blieb, wo wir ein bisschen zusammen sein und Zeit verbringen konnten.
Sie hatte auch nicht gerade viel Zeit für mich gehabt, einige Termine innerhalb der Woche
wahrnehmen müssen, die ihr sehr wichtig waren, die sie auf gar keinen Fall versäumen
wollte.
Vier Wochen lang bezeichneten uns jetzt Freunde und Bekannte als ein Paar. Wir waren
einfach nur zusammen, suchten nach wie vor nach Gemeinsamkeiten und Nähe füreinander.
Am Freitagabend rief sie mich an, weil sie es nicht schaffen konnte, mit mir eine Verabredung im "Dammtor" einzuhalten. Sie hatte mich gefragt, ob ich nicht am Wochenende
mitfahren wolle, zum Nethener Baggerloch. Rolf, Maria, und noch ein paar gemeinsame
Bekannte, wollten auch hinfahren, um Kühlung und ausgelassenen Spaß an diesen heißen
Tagen zu haben.
Ich stimmte nur zu gerne zu, denn so konnte ich für zwei Tage meinen Arbeiten für die
Hochschule entfliehen. Außerdem hatte ich mich auf den Abend im "Dammtor" sehr gefreut
und fand es schade, Katharina nun doch nicht dort treffen zu können.
"Wenn du Lust und Zeit hast, kannst du morgen früh zu uns zum Frühstück kommen“, lud
sie mich am Ende unseres Telefonates ein, "Rolf wird auch kommen."
Mit ein wenig Erstaunen hatte ich so am Rande meiner Beziehung zu Katharina und meiner
Arbeit mitbekommen, dass zwischen Rolf und Maria urplötzlich so etwas wie eine engere
Beziehung entstanden war.
Das ging so seit dem Ende des Open-Air-Konzertes in Bremen. Seitdem verbrachten sie
einige Stunden miteinander, waren sich vorsichtig näher gekommen, schienen sich gut zu
verstehen.
Katharina hatte mir erzählt, dass Rolf schon ein paar Mal bei Maria übernachtet habe. Die
beiden Freundinnen machten kein Aufhebens davon, wussten aber durchaus Bescheid
über ihre aktuelle "Liebeslage".
120
Ich fand das sehr schön, denn ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass die Zwei wie
füreinander geschaffen waren. Alles, was sie brauchten, war der Mut großzügig und offen
miteinander umzugehen. Den schienen sie jetzt gefunden zu haben.
Vielleicht hatte sie die beginnende Verbindung zwischen Katharina und mir inspiriert und
zueinander geführt, - ich war diskret genug, da nicht nachzuhaken.
Rolf war ein guter Freund, Maria eine gute Freundin, die sich mehr oder weniger intensiv
nach einer wirklichen Partnerschaft sehnte, aber eben auch nicht gerade einfach und
anspruchslos pflegeleicht war. Wahrscheinlich war es unter anderem auch eine logische
Folge, dass die Beiden sich zusammentaten. Maria hätte das zwar nie offen ausgesprochen, aber sie wusste nur zu gut, dass Rolf hinter ihr her war, dass er sie mehr als nur
mochte.
Sie war nicht weniger angetan von ihm, aber äußerst vorsichtig geworden nach ihrer letzten
gescheiterten Partnerschaft, die sie mehr als nur einige schmerzliche Stunden gekostet
hatte.
Zweifellos, Maria war lebensfroh und offen für jede Art von Beziehung, verstand eine
Menge Spaß, war klug und partnerschaftserfahren, - aber sie streute nicht wahllos mit ihren
Gefühlen durch die Gegend.
Rolf erschien mir eine gute Ergänzung für sie, eine echte Bereicherung, auch wenn er
manchmal eine Spur zu intellektuell und dominant erschien.
Für mich war es die erste offizielle Einladung zum Frühstück bei den beiden Frauen. Bis
dahin war ich höchstens mal vorübergehend für ganz kurze Zeit in Marias Wohnung
gewesen, um Katharina abzuholen, für einen Spaziergang, zum Bummeln oder Ähnliches.
Katharina drängte nie darauf, dass ich sie dort besuchte, und ich hatte mich auch nicht
sonderlich bemüht, sie dort aufsuchen zu können. Nach meinem Verständnis zog es mich
damit ein wenig zu sehr in ihre Intimsphäre hinein, für die ich mich noch nicht bereit fühlte.
Ein gemeinsames Frühstück mit ihr, Maria und Rolf, war daher auch schon für mich ein
besonderer Anlass, auf den ich mich freute.
Somit war es denn auch keine Frage, dass ich zu der Frühstücks-Einladung sofort "Ja"
sagte.
Samstagmorgen stand ich früh auf, duschte ausgiebig, heiß und kalt, benutzte viel Rasierwasser und Deo, zog mir frische Wäsche an, ein von mir sehr geschätztes blaues PoloHemd, frisch geputzte Stiefel, und eine dunkelblaue Cordweste. Statt der üblichen Lederkombi wollte ich an diesem Tag lieber Lederhose und -jacke tragen, um mehr frischen
Fahrtwind an die Haut kommen zu lassen.
Ich wollte gut vorbereitet sein für diese Einladung, - und ein prüfender Blick in den Spiegel
bestätigte voll meine Erwartungen, dass ich ganz ansprechend aussah in meiner Aufmachung.
Mir schoss noch der Gedanke durch den Kopf, meine Haare zu einem Zopf zusammenzubinden. Aber ich ließ es dann doch, denn ich wollte es nicht übertreiben, und zu sehr
herausgeputzt aussehen.
Statt dessen kaufte ich noch rasch ein wenig Käse, Wurst und Schinken, für Katharina
einen bunten Sommerblumenstrauß.
Zehn Minuten später war ich vor dem Haus am Theaterplatz.
Rolfs Motorrad stand aufgebockt direkt davor.
Ich war wohl der Letzte, der kam.
Ich hatte erwartet, dass es Maria sein würde, die die Tür öffnete, doch statt dessen stand
ich Katharina gegenüber. Sie sah mal wieder richtig großartig aus, das Haar ungeordnet
und wuschelig um den Kopf gebürstet und glänzend, wie mit Lack überzogen. Sie trug eine
weinrote Lederhose, ein sehr weites rosafarbenes Hemd mit gebundenem runden Ausschnitt und war barfuß. Mir entfuhr unwillkürlich ein anerkennender Pfiff.
121
"Paul ...?“ Sie trug wie üblich ihre Sonnenbrille und strahlte mich mit einem Lachen an, das
den Morgen noch wärmer zu machen schien. Ich gab ihr die Blumen, sie nahm mich
dankbar fest in ihre Arme und führte mich voller Stolz und Glück in die Küche, wo ich von
Rolf und Maria begrüßt wurde.
"Bist früh gekommen ... was?“
Erstaunt musste ich feststellen, dass Rolf bei meiner Frage errötete. Doch bevor er und ich
irgend etwas dazu sagen konnten, klärte mich Maria mit ruhiger Gelassenheit darüber auf,
dass er seit dem gestrigen Abend die Wohnung noch gar nicht verlas-sen habe.
Dabei wurde sie ein klein wenig rot, und Katharinas Grinsen in meine Richtung war derart
anzüglich, dass ich es ihr nachtat. Doch keiner von uns war offensichtlich daran interessiert, das Thema zu vertiefen.
Dennoch machte Maria bewusst oder unbewusst keinerlei Hehl aus ihrer Zuneigung zu
Rolf. Ein kleines Lächeln, wenn sie ihm Tee einschenkte, wenn er ihr Margarine reichte,
kleine liebevolle Blicke, die über den Tisch wechselten, verbunden mit einem Lächeln,
einem Grinsen, oder auch einem blitzschnellen Augenzwinkern.
Mir machte es aber einmal mehr deutlich, wie schnell die Beziehung zwischen den Beiden
voranging, während es zwischen Katharina und mir wesentlich langsamer, komplizierter
und schwieriger war, - warum auch immer.
Zusätzlich erkannte ich aber auch, dass diese Art von Blinzeln und Augenflirt für uns beide
völlig unmöglich war.
Darüber wollte ich jetzt besser nicht nachdenken.
Kaffee, Tee und frische Brötchen, dick geschnittenes Schwarzbrot, alles, was wir zum
Frühstück brauchten, war schon aufgedeckt, sogar eine einladende Tischdecke. So machten wir uns erst einmal darüber her, lachten und freuten uns über diesen Start ins Wochenende.
Wenn ich eine gewisse Befangenheit verspürt hatte, so war sie sehr schnell wie weggeblasen, die Stimmung ausgelassen und völlig unkompliziert. Keiner von uns machte irgend
einen Versuch hier etwas zu konstruieren oder umzusetzen, was gewisse Unsicherheiten
verstärken könnte. Es war fast so, als wäre dieses gemeinsame Frühstück bei weitem nicht
unser Erstes, sondern Bestandteil eines ganz normalen Alltags, den wir eben am Wochenende ein wenig intensiver gestalteten.
Stundenlang hätte ich noch so sitzen und Erlebnisse aus der Woche austauschen mögen,
frisch aufgebrühten Kaffee genießen, die Seele baumeln lassen.
Doch Maria erinnerte uns daran, dass wir mit ein paar anderen verabredet waren und zum
Baggerloch fahren wollten.
In der Tat war schon der halbe Samstag vorbei, uns wir saßen noch immer bei diesem
heißen Wetter in der Wohnung, statt uns an der frischen Luft und im Wasser Kühlung zu
suchen.
Also räumten wir schnell alles zusammen, erledigten einen ebenso schnellen gemeinsamen Abwasch, um den beiden Frauen nicht die Arbeit allein aufzuhalsen, und machten uns
dann selber bereit.
Katharina eilte noch einmal rasch in ihr Zimmer, wollte etwas holen, was sie dringend für
die Fahrt benötigte.
Als sie zurückkam, jetzt mit leichten Sandalen an den Füßen, traute ich meinen Augen
kaum, denn in der Hand hielt sie einen neuen feuerroten Integralhelm, mit reflexfreiem
Visier - was ihr allerdings keinerlei Vorteile bringen konnte - und exzellent durchdachter
Innenpolsterung.
So etwas besaßen weder Rolf, noch ich, - eigentlich sogar nur ganz wenige Motorradfahrer,
die wir persönlich kannten. Die waren erst seit Kurzem auf dem Markt und sehr begehrt.
122
"Hab ich selber gekauft“, berichtete uns Katharina stolz, und dass sie sich ausführlich
beraten lassen hatte, dass sie ihn sogar vor Maria versteckt gehalten habe, um uns alle
heute damit zu überraschen.
Das war ihr zweifellos gelungen, - und ihre Investition zeigte nur allzu deutlich, dass sie
längerfristig plante, und keinesfalls an ein absehbares Ende unserer Beziehung dachte.
Das gute Stück wurde von allen Seiten betrachtet und bewertet, bewundert und für "Klasse"
befunden, ehe Katharina ihn aufsetzte, - nicht ohne uns allerdings wie nebenbei zu fragen,
wie sich Studenten eigentlich leisten könnten, Motorrad zu fahren. Das gesamte Zubehör
sei doch geradezu sündhaft teuer.
Sie sah mit ihrer weiten Bluse und dem Helm wie eine Beifahrerin aus irgendeinem Fernseh-Werbespot aus, mächtig aufregend und sehr zünftig. Sie machte wieder einmal Eindruck, und nicht nur auf mich.
Wir schnappten uns Kühl- und Badetaschen, zwei Wolldecken, die im Flur bereitlagen, und
machten uns endlich auf den Weg.
Die Sonne war zu ihrem Zenit aufgestiegen, brannte heiß auf uns herab.
Wir waren bereits durchgeschwitzt, ehe wir überhaupt auf den Motorrädern saßen. Ich gab
mächtig Standgas und ließ absichtlich ein wenig ruckartig die Kupplung kommen, wodurch
die "Alte Lady" einen kleinen Satz nach vorn machte, und Katharina einen Schreckensschrei ausstoßen ließ.
Sie klammerte sich so schnell wie möglich an mir fest und fragte mich, mit einer Mischung
aus Angst und Lachen, ob ich sie umbringen wolle. Ihr wäre fast das Herz stehengeblieben.
Doch ich lachte nur übermütig und selbstzufrieden, schlang einen Arm rücklings um ihre
Hüfte, und drückte sie sanft an mich. Sie zwickte mich lachend in die Seite und in den
Hintern, und gab mir einen kräftigen Rippenstoß.
Gemeinsam genossen wir endlich den frischen Fahrtwind.
An der Hunte trafen wir uns mit einigen anderen Leuten aus dem Bekanntenkreis, und
fuhren weiter Richtung Norden nach Nethen.
Katharina hatte ihre Angst vor dem Motorradfahren deutlich verringert, viel von meiner
Bewegungsmotorik auf der "Alten Lady" gelernt und sich zu eigen gemacht. Sie saß nicht
mehr stocksteif und verkrampft auf dem Beifahrerschalensitz, sondern glitt mit mir zusammen geschmeidig in die beste Wind- und Seitenlage, wenn sie an meinen Bewegungen
spürte, dass es richtig war.
Nie allerdings war sie einen Schritt voraus, sondern passte sich mir mit Feingefühl an, legte
sich mutig in die Kurven, hielt sich locker an mir fest.
Es erschien mir manchmal fast unglaublich, dass sie vor knapp vier Wochen noch nie auf
einem Motorrad mitgefahren war.
Auf der Schnellstraße versuchte ich einmal mehr wieder eine kleine Wettfahrt mit Rolfs
hochtouriger und PS-starker Vierzylinder-Maschine, - und musste nicht zum ersten Mal
einsehen, dass meine alte BMW dagegen eine lahme "Krücke" war.
Die ungeheure Beschleunigung, die diese motorstarke Honda besaß, war beeindruckend,
sodass man glauben konnte, die "Alte Lady" befände sich nicht in Fahrt, sondern im Stand.
Katharina genoss dieses kleine Rennen, mit einer Mischung aus leiser Angst und
Nervenkitzel, der sie aus vollem Herzen zum Lachen brachte. Sie versuchte meine BMW
anzufeuern, forderte mich auf, alles aus ihr herauszuholen, als Rolf uns mit dröhnendem
Motor spielerisch überholte.
Doch da hatte ich natürlich keine Chance.
Sie hingegen genoss ihr neues Sicherheitsgefühl, den Fahrtwind, der uns den Schweiß am
Körper kühlte, die letzten Reste von Müdigkeit aus dem Körper trieb. Das weckte Katharinas Lebensgeister, ihren Abenteuermut, und verschaffte ihr ein starkes Glücksgefühl.
123
So dauerte es nicht lange, bis wir der Blechlawine rund um Oldenburg und Bremen
entronnen waren, die sich Richtung Nordsee schob. Wir erreichten das Baggerloch bei
Nethen ohne große Anstrengung.
Doch selbst da war an diesem Tag ziemlich viel los. Jede Menge interessierte Wochenendausflügler, die eine Abkühlung und ungehemmten Badespaß suchten. Zahlreiche Autos,
Motorräder und auch Fahrräder, standen auf und am Rande des Parkplatzes oder durchquerten das Naherholungsgebiet.
Es hatte sich schon lange nicht nur bei Individualisten herumgesprochen, dass man hier
kostenfrei baden und Spaß haben konnte.
Hier trafen sie sich alle, Naturfreunde, Studenten, Liebespaare, Lehrlinge und Freaks aller
Art, alte und ganz junge Leute, Familien mit und ohne Kinder, Textil- und Nacktbader, wobei die Letzteren sichtlich in der Überzahl waren.
Dabei gab es schon seit einiger Zeit Gerüchte, dass das Baggerloch von der Kreisverwaltung zu einer kommerziellen Naherholungsstätte ausgebaut werden sollte. So etwas mit
Freibad mit Eintritt, Hotel und Gastronomiebetrieben und einem Casino, ähnlich wie in Bad
Zwischenahn. Dann würde hier sehr schnell Schluss sein mit der ungezwungenen Atmosphäre, den vielen Nackten in der freien Natur.
Aber auch mit den älteren, alleinstehenden Männern, die sich als "Spanner" ganz gerne
und lustvoll ein paar gut gebaute, nackte Mädchen und Frauen ansehen wollten. Sie waren
zahlreich hier überall anzutreffen, immer in der Nähe der Nackten, die im Wasser und Sand
herumtobten, oder sich sonnten.
Sprach man sie auf ihre Ferngläser und Fotokameras an, dann waren sie seltsamerweise
alle Vogelliebhaber, die hier am Baggerloch die tatsächlich reichlich vorhandenen Wasservögel beobachten wollten. Es war schon erstaunlich, wie viele Ornithologen sich im
Rahmen dieses Naturgeländes plötzlich zusammenfanden.
Aber keiner störte sich großartig an ihnen, solange sie niemanden belästigten oder zu nahe
traten.
Das Baggerloch hatte besonders durch einen Zeitungsartikel und einen kurzen Bericht im
Fernsehen gewaltigen Zulauf bekommen. Denn in dem war die Rede davon, dass sich hier
eine große Anzahl junger Pärchen traf, um irgendwo in der Umgebung des Wassers, in der
dichten Pflanzen- und Wiesenwelt, im Gras oder Buschwerk - besonders nach Einbruch der
Dunkelheit - ungestört miteinander zu bumsen. Entweder, weil sie Zuhause keine Möglichkeit dazu hatten, oder es einfach aus Leidenschaft gerne in der freien Natur taten.
Zweifellos gab es auch Exhibitionisten unter denen, und ich selbst hatte schon davon
gehört, dass es sogar einen Uferabschnitt geben sollte, wo sich hauptsächlich gleichgeschlechtlich orientierte Menschen, Homosexuelle und Lesben trafen.
Aber das war mir so egal wie irgendwas.
Die waren gerne unter sich, taten niemandem etwas, belästigten keinen anderen Menschen, wollten eine Art Kontaktebene schaffen, - sollten sie doch.
Wen konnte das groß stören, wen interessierte das?
Interessant war allein das übliche Streben der Kreisverwaltung. Üblich deswegen, weil es
immer so ist und war, wenn die Bürger sich sozusagen in der rechtlichen Grauzone ein
kleines Stück Freiheit in Selbstbestimmung erobert hatten, das auch durchaus für kommerzielle Nutzung höchst interessant wurde. Der Zulauf aus der Bevölkerung wurde so groß,
dass da lukrative Gewinne in Aussicht standen.
Willi Brandts Versprechen: "Wir wollen mehr Demokratie wagen" hatte sich nicht nur in
Ostfriesland und in den Landkreisen nicht durchgesetzt. Es war offensichtlich ein "rotes
Tuch" für alle Regionen der Bundesrepublik, wo Bürgerinteressen und der Drang zu maximalen Gewinnen aufeinander prallten.
Als vorbeugende Gegenmaßnahme wurde von Nutzern, Anwohnern und Interessenten eine
Bürger-Initiative gegründet. Die schossen überall mit allen denkbaren Zielen und Ideen wie
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Pilze aus dem Boden. Sie setzten sich in diesem Fall in schwierigen Mitglieder-Versammlungen das Ziel, das gesamte Gebiet insgesamt und allgemein für den freien und ungehinderten Zugang zu sichern. Es sollte auch in Zukunft keinerlei Beschränkungen geben, keine
rein kommerzielle Nutzung, ungehindertes Nacktbaden - oder auch nicht.
Und mit Sicherheit kein Eintrittsgeld für ein Naturschutzgebiet.
Die Bürger-Initiative trat aber auch dafür ein, dass der Kreisverwaltung keine zusätzlichen
Argumente gegen die freie Nutzung des Baggerlochs mit dem üblich vorgeschobenen Vorwand von Naturschutz geliefert wurden.
Es war allen zwar klar, dass Naturschutz ansonsten das Allerletzte war, was die Verwaltung
wirklich interessierte.
Aber dies war erfahrungsgemäß immer der "Anordnungs-Hammer", mit dem Bürgerinteressen platt geschlagen wurden, wenn es sonst keine andere Möglichkeit mehr gab, die
eigenen finanziellen Interessen zu verschleiern und durchzusetzen.
An mehreren großen Infoständen wurden seit dem frühen Morgen schon Flugblätter verteilt,
Unterschriften gesammelt und informiert über die bisher aufgedeckten Pläne der Kreisverwaltung. Die Besucher wurden zudem aufgefordert, keinerlei Abfälle wegzuwerfen, oder sie
wieder einzupacken und mitzunehmen.
Wer Freizeit in dieser unkommerziellen, selbstbestimmten Form genießen und leben wolle,
müsse sich auch bestimmten ungeschriebenen Regeln unterwerfen. Sonst werde er Gefahr
laufen, dass er alles an Freiheit wieder verlieren würde, was hier langsam wachsend etabliert worden war. Die Vermüllung rings um das Baggerloch war in der Tat ziemlich beunruhigend.
Das Ufer und die üppige Vegetation mussten unbedingt geschützt und bewahrt werden.
Jeder solle anfangen für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, Lager- und
Grillfeuer einzugrenzen, damit es auf keinen Fall zu kleinen Bränden kommen könne.
Zurückgelassene leere Bierdosen oder Flaschen hatten nichts am Ufer des Baggerlochs zu
suchen, allein schon um die Verletzungsgefahr durch Scherben auszuschließen.
Das Wasser wäre daher auch in diese Verantwortung einzuschließen, Fische, Enten und
andere Wildvögel sollten möglichst nicht gestört oder sogar vertrieben werden.
Manche waren den drohenden Planungsideen gegenüber völlig gleichgültig. Sie wollten typisch für die immer noch weit verbreitete Ignoranz - einfach nur gedankenlos ihren Spaß
und ihre Freizeit genießen. Würde man dieses Baggerloch für den freien Zugang schließen,
suchten sie sich eben ein Neues.
Sie schienen überhaupt nicht den minimalsten Weitblick zu besitzen, dass es irgendwann
dann keine freien Baggerlöcher oder Seen mehr geben würde, dass man für jeden Zugang
zum Wasser oder wild wachsender Natur Eintritt bezahlen musste.
Andere wollten das einfach nicht glauben, blieben völlig unkritisch ihrer Kreisverwaltung
gegenüber.
Warum sollte man ihnen "ihr" Baggerloch wegnehmen wollen, wo sie doch seit Jahren
schon hierher kamen?
Sie glaubten noch immer, dass das alles gar nicht so schlimm kommen werde, denn
schließlich war diese Kreisverwaltung doch von ihnen in freier Wahl gewählt worden, den
Interessen der Bürger verpflichtet.
"Es gibt immer noch viel zu viele Leute, die eine erschreckende Naivität besitzen“,
kommentierte Rolf das sarkastisch und wütend, während er sich in die Protestliste eintrug,
"die werden erst wach, wenn alles zu spät ist ...“
Wir unterschrieben alle die Forderungen der Bürger-Initiative, auch Katharina. Sie war zwar
noch nie zuvor hier gewesen, hatte aber viel von Maria darüber erfahren, - und jetzt genau
die Diskussionen um sich herum verfolgt.
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Sie erregte nun ohnehin einiges Aufsehen, denn ihre Blindheit ließ sich naturgemäß hier
nicht geheim halten. Ich hatte schon überlegt, wie sie das bewerkstelligen wollte, sich dem
Protest mit Unterschrift anzuschließen und bot ihr an, für sie mit zu unterschreiben.
Doch das wollte sie selber tun, denn es stellte kein unüberwindbares Problem für sie dar.
Mit ein wenig Hilfe, einem Stift als Zeilenlineal und unter erstaunten Blicken, schaffte sie
tatsächlich leicht mit einem etwas krakeligen Signum ihren Namen in die Liste einzutragen.
Sie bewegte sich ohnehin erstaunlich gelassen und sicher in dem Getümmel um uns
herum. Zwar blieb sie immer in unmittelbarem Körperkontakt zu mir, zeigte aber keinerlei
Beunruhigung. Sie nahm interessiert an den zahlreichen Diskussionen rund um den Infostand teil, gab Argumente und wies andere ruhig zurück. Darin unterschied sie sich kaum
von den anderen Menschen. Sie wusste sehr genau, was sie wollte, wo ihre Standpunkte
lagen, und zu was Behörden und Verwaltungen alles fähig waren.
Es ärgerte sie, wenn Blinden unterstellt wurde, sie wären aufgrund ihrer Blindheit politisch
völlig ungebildet, hätten keine Ahnung von den Vorgängen in ihrer Umgebung und der
Bundesrepublik.
"Wir Blinde sind zwar blind, aber keineswegs ungebildete Trottel."
Die gab es zweifellos aber in allen Bevölkerungsgruppen, da konnte kein Zweifel bestehen.
Doch schließlich suchten wir das nahe Ufer des Baggerlochs auf, denn wir waren bereits
wieder völlig durchgeschwitzt. Es war heiß und drückend, das kühle Wasser unwiderstehlich verlockend. Die Augen brannten uns allen vom Schweiß, Katharina litt sehr darunter.
Am Wasser herrschte gewaltiger Andrang, Hunde und Kinder liefen lautstark wirbelnd
durcheinander, balgten im Sand, spielten Fußball und kreischten fröhlich, als ginge es um
einen Wettbewerb, wer es am lautesten konnte.
Katharina bekam hier nun doch etwas Platzangst, sorgte sich um Zusammenstöße, weil sie
nicht schnell genug ausweichen konnte, und hielt sich deswegen dicht an meiner Seite. Sie
war zudem besorgt in dem Chaos aus Stimmen und Geräuschen völlig die Orientierung zu
verlieren und uns womöglich nicht wiederzufinden, was meistens bei ihr zu Panikreaktionen
führte.
Also versuchte ich sie so gut, wie ich konnte, durch das Gelände, an Sandhügeln und
Erdlöchern, an Sonnenanbetern und spielenden Kindern vorbei zu führen.
Einmal wurde sie beinahe von einem Jungen umgerannt und konnte sich gerade noch mit
einem lauten Schrei an mir festhalten. Ich schickte ihm einen wütenden, gereizten Fluch
hinterher, doch als Antwort erhielt ich nur: "Dann pass doch besser auf ...“
Katharina unterband jede weitere Eskalation dazu, indem sie grinsend meine Hand drückte
und zum Weitergehen drängte. Wie sollte der Junge denn ahnen, so meinte sie, dass sie
nicht in der Lage sei, rechtzeitig auszuweichen. Der habe das sicher nicht mit Absicht,
sondern aus seinem Spieltrieb getan.
Schließlich fanden wir unter ein paar Bäumen, ganz nahe am Wasser, einen freien und
sehr schönen Platz, der uns allen gefiel. Wir breiteten rasch die Decken aus und ließen uns
aufatmend in den Sand fallen.
Katharina war nicht die Einzige, die ziemlich erschöpft schien. Sie brauchte wie wir alle eine
ganze Weile, ehe sich ihr Gesicht und die angespannten Muskeln wieder lockerten. Sie
trank große Schlucke vom mitgebrachten Mineralwasser, während wir unseren Lagerplatz
herrichteten.
Dabei hätte sie ohnehin nicht viel tun können und so gönnte ihr jeder die Atempause, selbst
die aus unserer Gruppe, die offensichtlich keine Ahnung hatten, dass sie blind war.
"Ganz schön heiß hier“, keuchte Katharina mir etwas gequält zu und wischte sich das
schweißnasse Gesicht. Durch die Hitze und die Schlepperei der ganzen Badeutensilien
waren wir alle unangenehm nassgeschwitzt. Besonders diejenigen, die geglaubt hatten
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unbedingt eine Luftmatratze mitnehmen zu müssen, die sie jetzt bei dem dichten Gedränge
im Wasser kaum nutzen konnten.
Maria und Rolf waren die Ersten, kaum dass sie ihre Sachen einigermaßen abgelegt
hatten. Sie rissen sich fast die Kleidung vom Körper und rannten sofort zum Wasser, wo sie
sich gegenseitig nassspritzten. Die anderen folgten ihnen auf dem Fuße, noch ehe Katharina richtig Gelegenheit hatte, sie ein wenig besser kennenzulernen, sich an ihren Stimmen
ein wenig zu orientieren.
Ich hätte mich am liebsten auch gleich angeschlossen, ebenso Katharina. Aber die Art, wie
sie meine Hand fest umklammert hielt, zeigte mir überdeutlich, dass sie noch eine Weile
Ruhe suchte.
"Lass mich bitte nicht allein zurück“, bat sie mich leise, "sonst drehe ich durch."
"Hältst du mich für einen Idioten?“ fragte ich mit offen gespielter Entrüstung, "ich kenn’ mich
inzwischen ganz gut aus mit ... mit deinen Problemen ...“
Katharina strahlte mich dankbar an, und ich machte es ihr auf der Decke so bequem wie
nur möglich. Geduldig wartete ich mit ihr, bis sie wieder einigermaßen fit sein würde.
Prustend und abgekühlt kehrten die ersten aus unserer Gruppe bereits wieder aus dem
Baggerloch zurück. Wir nutzten die Gelegenheit uns mit denen ein wenig besser vertraut zu
machen, die sich diesem Wochenende angeschlossen hatten, die wir aber nicht wirklich gut
kannten. Sie hingegen suchten nach der Äußeren nun auch die innere Erfrischung mit
Mineralwasser, das reichlich in Kühltaschen lagerte. Sie warfen sich lachend und schnaufend auf ihre Decken, zeigten unverhohlenes Interesse an der schönen, verschwitzten Frau
an meiner Seite.
Keine Ahnung, wer von ihnen wusste, dass sie blind war, denn sie bewegte und gab sich
hier mit ihrer Sonnenbrille so unbefangen und natürlich, wie jeder andere Besucher.
Plötzlich aber suchte sie etwas in ihrer Kühltasche und hielt mir grinsend eine eiskalte
Flasche Sekt unter die Nase.
"Die ist ausschließlich für uns beide“, meinte sie mit verschwörerischem Lächeln, "und wir
werden schon irgend einen Anlass finden, sie zu leeren."
Ich musste laut darüber lachen, streckte die Hand aus, und wischte ihr mit einer zärtlichen
Geste den Schweiß aus ihrem Gesicht, kuschelte mich kurz an sie. Sie war in der Tat völlig
durchgeschwitzt und roch dennoch auf ihre eigene Art, die ich aufregend schön und sehr
spannend fand.
Die anderen um uns herum hatten schon wieder genug vom gegenseitigen Vorstellen und
Small-Talk, sie eilten zurück ins Wasser.
"Komm, lass uns jetzt auch ins Wasser gehen ...“, Katharina schüttelte sich wie ein nasser
Pudel, schleuderte die Sandalen von den Füßen und streifte die Hose ab.
Rolf und Maria kamen erst jetzt aus dem Wasser zurück. Wie die meisten hier am Baggerloch hatten sie sofort alle Kleidung abgelegt und waren erst mal gierig nach Abkühlung vor
der Hitze ins Wasser geflüchtet. Jetzt setzten sie sich schwer atmend auf ihre Decken. Die
Kühltaschen wurden geöffnet, Wasserflaschen herausgeholt, und die durstige Trockenheit
aus den Kehlen verbannt.
Für einen Augenblick schaute ich abgelenkt und ungeniert zu ihnen hinüber, sah Maria zum
ersten Mal nackt, war offen beeindruckt von ihrer sehr fraulichen Figur, den nicht zu breiten,
aber auch nicht zu schmalen Hüften, mit großen festen Brüsten und schön gerundetem Po.
Natürlich bemerkte sie meinen Blick und lachte, wies mit einem breiten Grinsen neben
mich.
Das brachte mir wieder Katharinas Aufforderung ins Gedächtnis.
Als ich mich zu ihr umwandte, saß sie neben mir und verstaute gerade ihre Kleidung zu
einem sorgfältig geordneten Stapel.
Natürlich hatte ich vorher gewusst, dass keiner aus der Gruppe Badekleidung mitgenommen hatte. Ich war mir auch der Tatsache bewusst gewesen, dass das eventuell etwas
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heikel werden könnte, wenn Katharina ebenfalls textilfrei baden gehen wollte, besonders
wenn ich dem Beispiel der anderen folgte.
So hatte ich mir für alle Fälle eine Badehose eingepackt.
Mir fiel fast der Unterkiefer auf die Brust, denn Katharina war völlig nackt, - und ich hatte sie
genauso wie Maria noch nie so gesehen.
Natürlich war das an diesem Strand absolut nichts Ungewöhnliches. Aber irgendwie hatte
ich es in den zwei Tagen vorher nie in Verbindung zu Katharina bringen können.
Ich wusste, dass das lächerlich war, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich öffentlich nackt baden würde. In mir war aus unerfindlichen Gründen die Vorstellung
entstanden, dass ihr das zwangsläufig unangenehm sein musste, weil sie nicht sehen und
wissen konnte, wer sie alles mit gewisser Lust an ihrem Anblick betrachtete.
Darauf, dass sie darin überhaupt kein Problem sah, war ich absolut nicht vorbereitet.
Dabei war sie wirklich ein Anblick, der sehenswert war.
Anders als Maria, war sie nicht nur schlank und fraulich, sondern sehr sportlich, wirkte
durchtrainiert, muskulös und biegsam, wie eine Gazelle. Alles an ihr, ihre Beine, ihre
Hüften, ihre Arme, ihre Fesseln und Füße, wirkten unübersehbar fest und muskulös, sinnlich aufregend. Ich wusste zwar längst, dass sie regelmäßig Sport im Blinden-Verein
betrieb. Aber ich hatte nicht gedacht, dass sich das in so festen Schenkeln und einem
festen runden Po auswirken würde.
Ihre Haut zeigte überall diesen durchgehenden leichten Braunton, was für mich darauf hindeutete, dass Katharina nicht zum ersten Mal nackt in der Sonne badete.
Ihre Haut glänzte wie ein polierter Apfel, und ihre Brüste waren genauso wohlgeformt, voll
und schön, wie ich das schon vor vier Wochen auf dem Rock-Festival gefühlt hatte, mit
großen, nahezu palisanderfarbenen Brustwarzen.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Rolf und einige andere beeindruckt waren von ihrer
Erscheinung, sich das ganz ungeniert ansahen.
Ich hingegen fühlte eine deutliche Befangenheit, die durch die unverhohlenen Blicke der
anderen noch verstärkt wurde, eine Art schamhafte Unruhe.
Irgendwie hatte ich das alles überhaupt nicht zu Ende durchdacht, dass ich hier letztendlich
hüllenlos wie im Paradies mit Katharina sitzen würde.
Nun war ich ehrlich überrascht, - sie aber im Gegensatz zu mir, offenbar nicht die Spur
verunsichert.
"Na ... gefällt dir, was du siehst ...?“
Sie hatte meine Blicke längst gefühlt, und ich hätte in diesem Moment darauf schwören
mögen, dass sie sich gedanklich durchaus auf diesen Moment vorbereitet hatte. Mit
Sicherheit wusste sie schon vorher ganz genau, dass sie mich mit ihrem Körper konfrontieren und nackt baden gehen würde.
Ihre Frage machte mich noch verlegener und ich merkte, wie ich heiße Ohren und Wangen
bekam.
"Oh ... oh ... oh, entschuldige ...“, stammelte ich verwirrt und beeilte mich, aus den Kleidern
und ins Wasser zu kommen. Ich wusste, dass ich jetzt wirklich und wahrhaftig eine Abkühlung brauchen konnte.
Doch Katharina lachte nur, strich mir zielsicher mit ihrer linken Hand durch`s Haar und
zerzauste es.
"Schau dir ruhig alles an“, forderte sie mich leise neckend heraus, "aber pass auf, dass du
keinen Hitzschlag ... oder gar ...“, sie senkte die Stimme zu einem leisen Flüstern, "oder
eine Erektion kriegst ...“
Ihrem provozierenden kecken Lachen nicht zu folgen, war völlig unmöglich. Es steckte mich
sofort an, ich konnte gar nicht anders.
Doch hatte ich es jetzt auch eilig, ins kühle Wasser zu kommen, nachdem unser Lachen die
leichte Befangenheit zwischen uns vertrieben hatte. Ich dachte nun nicht eine Sekunde
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mehr an meine oder Katharinas Nacktheit. Ich fühlte mich zwar nicht absolut sicher, aber es
erschien mir auch kein unüberwindbares Problem mehr.
Ohne weitere Verzögerung gingen wir jetzt Hand in Hand zum Wasser, bis es uns an die
Oberschenkel reichte.
"Huuuuh, das ist ja richtig kalt“, kreischte Katharina sofort auf und schnappte mehrmals
nach Luft. Trotz der Hitze kroch ihr schlagartig eine Gänsehaut über den gesamten Körper.
Doch mutig, wie sie war, tauchte sie im Widerspruch zu ihrer Aussage sofort bis zu den
Schultern ein, kam bibbernd wieder hoch.
Ich hatte ein ungutes Gefühl, wie meistens bei unbekannten Situationen mit ihr. Bei dem
Gedanken, mit ihr hier schwimmen zu gehen, in einem ihr fremden Gewässer, befiel mich
schlagartig die Sorge, wie sie damit zurecht käme. Unmittelbar neben uns rannten andere
Menschen ins Wasser, und vor uns schwammen sie zahlreich hin und her, plantschten und
lachten ausgelassen.
Dabei hatte ich nicht einmal so etwas wie eine Idee, wie ich Katharina helfen könnte, die
Orientierung zu behalten.
"Mach dir keine Sorgen“, beschwichtigte sie mich, "halt dich einfach nur dicht in meiner
Nähe auf ... und schwimm mit mir ins freie Wasser. Den Rest kann ich alleine ... Ich war mit
meinen Eltern sogar schon im offenen Meer schwimmen ...“
Ich tauchte kurz bis an die Schultern ein, empfand das Wasser als wunderbar kühlend,
ergriff Katharinas Hand und gemeinsam gingen wir tiefer hinein.
Ein paar Schlingpflanzen erzeugten kurze Verunsicherung bei ihr, aber dann verloren wir
den Boden unter den Füßen und konnten frei schwimmen.
Anfangs war ich noch viel zu dicht bei ihr, behinderte sie ein regelrecht in ihren Bewegungen. Aber nach ein paar leichten unsanften Zusammenstößen, ein paar unfreiwilligen
Schlucken Wasser, hatte ich den Bogen raus. Katharina konnte ungehindert schwimmen,
wir genossen das kalte Wasser. Sie schwamm sehr gut, kraftvoll und elegant, ohne eine
Spur von Unsicherheit.
Es war völlig simpel, nachdem wir den dicht bevölkerten Uferrand hinter uns gelassen
hatten. Das Nethener Baggerloch war kein kleiner Tümpel, sondern fast so etwas wie ein
großer See. Ich musste nur gelassen neben Katharina herschwimmen, ihr durch leise
Zurufe oder kurzes Herüberziehen die Wege ins freie Wasser weisen. Als sie erst eine
halbwegs klare Orientierung besaß, war der Rest ein Kinderspiel für sie. Sie schien wie ein
Fisch genau in ihrem Element zu sein, bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit. Sie
wurde wieder putzmunter, ohne das geringste Zeichen von Erschöpfung. Wir planschten
und spritzten gegenseitig mit Wasser, kühlten uns voller Begeisterung die Hitze des Tages
aus dem Körper.
Ich fragte mich, mit was sie mich wohl noch alles in nächster Zeit verblüffen konnte, wovon
ich keine Ahnung hatte.
Zwar hielt ich mich noch immer deutlich in ihrer Nähe auf, um jederzeit eingreifen zu
können. Aber ich verlor jede Angst, dass ihr etwas Unvorhergesehenes passieren würde.
Ich kam mir sogar ein bisschen albern vor, als ich wie ein beutesichernder Hai neben ihr
durchs Wasser glitt, denn sie zeigte keinerlei Zeichen von Unsicherheit, außer wenn ihr
jemand anderes zu nahe schwamm.
Sie war schließlich ihr ganzes bisheriges Leben mit ihrer Blindheit halbwegs gut zurecht
gekommen. Sie wusste durchweg, wenn auch nicht immer auf direkten und geraden
Wegen, ihr Leben in den Griff zu kriegen, Probleme zu meistern.
Doch ich gab mir Bewährung, denn es war zwar leicht dieses Wissen mit dem Verstand zu
begreifen, aber die Umsetzung mit Vertrauen durch Erfahrung, war etwas ganz anderes,
viel schwerer zu bewerkstelligen. Dieses neue Leben mit dieser Frau brauchte einfach Zeit,
um zu lernen und zu verstehen, und um umzusetzen, was der Verstand längst begriffen
hatte. Ich musste ihr mehr zutrauen, ohne sie andererseits zu überschätzen.
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Katharina hingegen suchte immer wieder die Gelegenheit mir eine lange nachwirken-de
Lektion zu erteilen.
"Können wir ... hier tauchen?“
Das empfand ich nun absolut als gar keine gute Idee.
Doch ich sah mich um und beschrieb ihr - so gut ich konnte - die Wassertiefe, die nicht sehr
groß war. Ich ahnte, dass es ohnehin wenig Sinn haben würde, ihr den Gedanken auszureden. Katharina würde tun, was immer sie aus Erfahrung konnte, oder was sie sich
zutraute.
Ohnehin wischte sie meine Bedenken nur mit einem Lachen beiseite.
"Dann los ...“
Ehe ich auch nur noch etwas entgegensetzen konnte, war sie mit einem eleganten
Schwung nach vorn weggetaucht, - und ich sah nur noch ihren runden Po unter der
Wasseroberfläche verschwinden. Geschmeidig schwamm sie kurz darauf unter Wasser an
mir vorbei, sodass ich mich beeilen musste, nicht den Anschluss und den Überblick zu
verlieren.
Außerdem musste ich ja auch dafür sorgen, dass sie sich nicht erschreckte, wenn sie beim
Auftauchen womöglich einen anderen Schwimmer rammte.
Sie schwamm sicher wie ein Fisch, das musste ich ihr lassen. Selbst unter Wasser behielt
sie eine sportliche Eleganz, die unübersehbar war, verbunden mit trainierter Kraft und
überzeugend imponierendem Mut.
Prustend kam sie nach einer guten Strecke wieder an die Oberfläche. Ich war ganz schön
aus der Puste, musste mächtig nach Luft schnappen. Was sie aber nur zu einem kleinen
Grinsen verleitete, - und natürlich zu der Bemerkung, dass meine Kondition offensichtlich
zu wünschen übrig ließ.
Katharina schlug mir sofort ein Wettschwimmen vor, fragte mich nach einer Richtung, wo
nicht so viele andere Schwimmer wären. Aber das war genauso unmöglich, als wenn wir in
einem Aquarium mit wenig Wasser und viel zu vielen Fischen hätten schwimmen wollen.
Es war fast schon ein kleines Wunder, dass sie noch mit keinem anderen Schwimmer
zusammengestoßen war.
Statt dessen schlug ich ihr vor, die kleine Insel in der Mitte des künstlichen Sees für eine
Verschnaufpause aufzusuchen.
Sofort schwamm sie mit hohem Tempo in die eingeschlagene Richtung und ich glücklich
hinterher. Es tat mir gut, sie so fröhlich und ausgelassen zu erleben, so heiter und sorgenfrei.
Ich versuchte sie einzuholen, doch das war kaum möglich, obwohl ich alle meine Kraft
einsetzte. Es gelang mir erst, als Katharina von sich aus langsamer schwamm. Gemeinsam
umrundeten wir das wildgrüne Eiland, das im Grunde nicht mehr als eine Sandaufschüttung
gewesen sein mochte. Doch die Natur siedelte dort mehr und mehr Gräser, Pflanzen aller
Art und sogar kleine Staudenbüsche dort an, die hervorragend wuchsen.
Wir fanden auf der anderen Seite eine gute Landungsmöglichkeit im flachen Wasser, die
offenbar auch schon andere Badegäste benutzt hatten. Abseits der vielen Wasserschlingpflanzen, die Katharina Unbehagen bereiteten, wenn sie sie am Knöchel oder Fuß spürte.
Wir wateten Hand in Hand an Land, ließen uns schwer atmend in den Sand am Ufer fallen.
Im Gras und zwischen den Büschen lagen mehrere Menschen, nackt und faul in der Sonne
dösend.
Meine anfängliche Befangenheit wegen Katharinas Nacktheit war wie weggeblasen. Ich
hatte jetzt sogar viel Freude daran, sie zu betrachten, das perlende Wasser auf ihrer Haut,
die kleinen Rinnsale, die ihr aus dem jetzt fast glatten Haar über die Schultern flossen.
Ihr Anblick berührte mich so stark, dass ich es gar nicht beschreiben und es kaum fassen
konnte, dass diese Frau ausgerechnet an mir offenes Interesse zeigte. Ich war nahezu
hingerissen und fand es unmöglich, die Augen von ihr zu wenden, sie nicht zu betrachten.
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"Scheint dir ... wirklich zu gefallen“, erahnte Katharina schon wieder meine Blicke und
strahlte mich selbstzufrieden an. Ich wollte schon eine Entschuldigung murmeln, doch sie
wischte den Ansatz fort, indem sie ganz schnell ihre Hand auf meinen Mund legte.
"Nein ... nein, schau ruhig. Schlimm wäre nur, wenn du nicht schauen würdest ... das fände
ich nicht nett ...“
Sie strich sich das Wasser aus dem Gesicht, wrang die triefend nassen Haare über der
Schulter aus, und warf sie mit einem heftigen Kopfschütteln in den Nacken, dass die
Tropfen nur so flogen.
Ich konnte nicht anders, als Katharina bei den Schultern fassen, sie sanft an mich ziehen
und liebevoll umarmen. Ihre Haut war ziemlich kalt, und so rieb ich sie ein wenig warm.
Sicher hätten wir gefroren, wenn die Sonne uns mit ihrer Hitze nicht sehr schnell wieder
durchgewärmt hätte.
Katharina seufzte zufrieden, kuschelte sich an meine Schulter, und legte ganz sacht und
unverdächtig ihre Hand auf meinen Oberschenkel. Dann, als wäre es für sie ein Signal,
küsste sie sanft meine Brust. Kalt und nass zerfloss ihr Haar auf meiner Haut, kühl und
weich drückten ihre Brüste gegen meine Rippen.
Ein ungeheures Begehren flammte in mir auf, und ich versuchte erst gar nicht den
Gedanken abzuwehren, dass ich mich ihr noch nie so nahe und vertraut gefühlt hatte, noch
nie so offen von einer Frau begehrt worden war. Das Blut pochte in meinen Lenden, mein
Herz hämmerte in der Brust, und Katharina kicherte leise.
"Jetzt hast du ...“, flüsterte sie leise in mein Ohr, "doch ... eine Erektion gekriegt ... Pass gut
auf, dass es keiner sieht ...“
Ich wurde flammend rot vor Verlegenheit. Doch sie kicherte nur leise und streifte wie zufällig mit dem Handrücken über mein Geschlecht. Zum Glück saßen wir in Richtung Wasser,
und es kam gerade keiner an Land. Ohnehin war meine Verlegenheit so groß, dass es nur
wenige Augenblicke dauerte, bis sich die Erregung soweit wieder abbaute.
Katharina hatte ihren Spaß daran, neckte mich aber nicht, weder mit meiner Verlegenheit,
noch mit meiner Erregung, die ihr Anblick auslöste. Sie fand es einfach nur schön, meine
Lust auf sie erkannt und für einen kurzen Augenblick durchschaut zu haben.
"Dein Kopf will ... will es noch nicht wahrhaben“, flüsterte sie mir leise zu, "aber dein ... dein
Schwanz weiß schon was ... was er will ...“
Wieder wurde ich flammend rot, doch ihr Lachen steckte mich an und nahm der Situation
jede Peinlichkeit.
Trotzdem suchten wir uns auf dem Eiland einen etwas grasigeren Platz, um notfalls etwas
besser verdeckt zu sein, falls sich das Geschehen wiederholte.
Dort saßen wir fast keusch, aber dicht aneinander geschmiegt in der Sonne, ließen uns
wieder aufwärmen, und sanken in kleine Träumereien, die uns selber kaum richtig bewusst
waren.
Doch plötzlich richtete sich Katharina auf, griff nach meiner Hand, und wandte mir voll ihr
Gesicht zu. So machte sie das immer, wenn sie sich meiner vollen Aufmerksamkeit sicher
sein wollte. Ihre nachtschwarzen Augen schienen dann und starr durch mich hindurch zu
sehen, aber alle ihre anderen Sinne waren nur auf mich gerichtet.
"Weißt du, dass ich dich noch nie richtig angesehen habe“, fragte sie mich mit leiser
Stimme, und setzte flüsternd hinzu, "ich denke, wenn ... dich mein Anblick so geil macht ...
dann sollte ich wissen ... ich meine genau wissen ... wie du aussiehst ... vielleicht macht
mich das ja auch richtig ...“, sie prustete laut lachend los, als sie meine Verlegenheit spürte,
"ich sollte das tun, wenn du ... wenn du neben mir eine ... na, du weißt schon ...“
Sie hatte unzweifelhaft ihren Spaß daran, sich sehr anzüglich und fast frivol vor mir darzustellen, mich damit ein wenig in Verlegenheit zu bringen.
"Was? Wie ... wie meinst du das?“
Ihre Frage schien mir so unsinnig, brachte mich auch erneut in Verlegenheit.
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Doch sie hob ihre beiden Hände in Schulterhöhe und zeigte sie mir mit offenen Handflächen.
"Bitte ... lass mich dich ansehen“, bat sie mich leise, "mit den Händen ... Aber nur ... wenn
du es wirklich willst ... und nur ... nur im Gesicht ... ich schwöre ... ich berühre dich nirgendwo anders ...“
Mir fiel ein, was sie meinte, denn ich hatte davon gelesen, doch keine genaue Vorstellung
davon.
Was hätte ich anderes dazu sagen sollen, als "Ja", und so nickte ich zustimmend.
Katharina aber wartete auf meine Antwort und mir wurde bewusst, dass sie mein Nicken ja
gar nicht hatte sehen können.
So sprach ich meine Einwilligung leise aus.
Vorsichtig, als habe sie Sorgen, mich zu erschrecken, legte Katharina die Hände auf meine
beiden Wangen, hielt sie fest. Dann strich sie ganz hauchzart mit den Fingerspitzen über
sie hinweg, ließ die Finger ganz sanft nach oben gleiten, zur Stirn, den Augen. Dabei ging
sie so zart vor, dass ich keinerlei Angst hatte, sie könne mir versehentlich weh tun oder
mich gar verletzen.
Ausgiebig widmete sie sich meiner Nase, meinem Kinn und meinem Mund.
Ihr Gesicht verriet mir die totale Konzentration, mit der sie sich dieser "Betrachtung" von mir
widmete, bis zum Schluss, wo sie mein Haar erforschte, seine Länge und Dichte, die
Koteletten und den Nacken.
Ihre Finger waren wie ein angenehmer Windhauch, der über mein Gesicht strich, ganz zart
und kühl.
Für eine Sekunde dachte ich schon, es wäre vorüber, und wusste nicht, ob ich es bedauern
sollte. Doch ganz langsam näherten sich vom Nacken ihre Hände wieder meinem Gesicht,
als wolle sie auf keinen Fall den Zauber vertreiben, den sie gerade aufgebaut hatte. Ihre
Fingerspitzen glitten erneut bedächtig voran, ertasteten Millimeter um Millimeter meines
Gesichtes, während die Daumen wieder meine Lippen erforschten. Zum Schluss wandte
sie sich wieder meine Nase zu, den Augenhöhlen und der Stirn.
Schließlich stieß sie leise pfeifend den Atem aus, und ihre Konzentration schien erloschen.
"Maria hat mir tatsächlich verschwiegen“, diagnostizierte sie mit großem Ernst, bei dem ich
fast körperlich spürte, dass sie keinen Witz daraus machte, "wie gut du aussiehst ... ein
Gesicht mit Persönlichkeit ... nicht so ein Schönling ... Ich glaube, ein Vollbart würde dir gut
stehen ...“
"Ein Vollbart ...?“
"Ich mag Bärte."
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, war eine Spur verlegen wegen des offenen
Komplimentes, dass sie mir gemacht hatte. Doch darauf war sie auch gar nicht aus,
sondern nahm wieder meine Hand, und lehnte sich sanft an meine Schulter.
Wieder spürte ich feuchtkühl ihr Haar, und wieder stiegen ungeahnte Sehnsüchte in mir
auf, über die ich besser nicht weiter nachdenken wollte.
Aber ich zitterte leise und Katharina hatte das zweifellos gespürt, auch wenn sie es nicht
sofort mit einer Geste oder einem Wort andeutete. Doch nach einem Augenblick spürte ich,
dass sie selber zitterte. Ich sah sie an, sah sie grinsen und wusste, was sie spürte.
"Ich habe gerade ... gedacht“, setzte sie schließlich leise flüsternd an, ohne ihre Haltung
auch nur eine Spur zu verändern, "wenn diese ... neue ... Erektion jetzt weiter ... ich meine
... größer wird ... dann ... dann werde ich auf der ... der Stelle mit dir bumsen ...“
Ich starrte sie sprachlos an, fragte mich, wie sie das erkannt haben mochte, ohne mich zu
berühren, - und konnte dennoch vor lauter Verlegenheit nichts dazu sagen, bekam keinen
Ton über die Lippen.
Doch Katharina lachte nur glucksend und tätschelte zärtlich meine Wange.
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"Ich habe wirklich selten einen Mann so ... so begehrt, wie ich ... wie ich dich begehre ...
das musst du mir glauben."
Sie wusste wahrscheinlich ganz genau, dass sie mich damit erneut verlegen machte, doch
im Moment schien ihr das völlig egal zu sein.
Ich schlug ihr mit heiserer Stimme vor vielleicht noch eine Runde schwimmen zu gehen,
doch sie lachte nur schallend.
"Komm ... lass uns noch etwas in der Sonne liegen“, bettelte sie mehr im Scherz, "ich
werde auch ... ganz bestimmt in der nächsten Stunde nicht mehr über`s Bumsen reden ...“
Damit nahm sie der Situation jegliche Spannung, und auch ich musste laut loslachen. Ich
fragte sie, wie sie es eigentlich mit mir aushalten könne. Doch sie winkte nur lächelnd ab,
und meinte, dass es wesentlich schrecklichere Männer gäbe.
"Du ... du musst dir nur mehr zutrauen ...“, riet sie mir, "du bist so sensibel ... dabei mag ich
... eigentlich sensible Männer ... aber du musst dir wirklich mehr zutrauen. Und ich ... ich
spreche auch gern über Sex ... und über`s Bumsen."
Brav legten wir uns nebeneinander auf den Bauch in die Sonne, ließen uns durchwärmen.
Nur ab und zu tastete sie mit ihrer Hand nach mir, als wolle sie ganz sicher sein, dass ich
noch da und kein Traum war. Bequem den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, sah ich
zu Katharina hinüber, fand sie wunderbar in ihrer natürlichen Art, in ihrer Offenheit, ihrem
unwiderstehlichen Charme und Witz.
Sie hatte so viel Sinnlichkeit, war kokett und frech und direkt, wenn ihr danach zumute war,
eine unkompliziert komplizierte Art, sodass ich sicher war, sie niemals endgültig zu durchschauen und zu begreifen, sie niemals vorher richtig einschätzen zu können. Sie war
scheinbar genau die Art von Frau, die einen Mann vor diese Lebensaufgabe stellen konnte.
Im Gegensatz zu ihr fühlte ich mich regelrecht klein und verklemmt.
Katharina war maßlos offen, sprach ohne jegliche Hemmung aus, was sie begehrte, ihrem
sexuellen Verlangen, das so ungehemmt auf mich gerichtet war.
Ich begriff durchaus, dass ihr diese Blicke überhaupt nicht fehlten, mit denen sie mit ihren
Augen und mit mir flirten, und erotische Botschaften signalisieren konnte. Sie machte das
einfach ganz direkt, und dadurch wirkte es so ungewohnt. Was ihr an Blickkontakt fehlen
mochte, ersetzte sie durch sehr deutliche Zeichen oder durch charmant, frech witziges und
offenes Aussprechen dessen, wo ihre Begehrlichkeiten ein Ziel suchten. Durch ihren
Humor entschärfte sie gleichzeitig die erotische Spannung.
Auf ihre sehr eigene, manchmal sehr provokante Art war sie genau die Frau, die mich dazu
bringen konnte, über meinen Schatten zu springen, die mich verwirrte und mir Mut machte.
Was also hielt mich davon ab, mich darauf einzulassen?
Katharina hatte mich ohne jegliche Scheu wissen lassen, dass sie mich mehr als nur nett
und attraktiv fand, dass sie mit mir zusammen sein wollte, dass sie geil würde in meiner
Gegenwart, dass sie jede Berührung von mir genoss, wie eine ausgehungerte Raubkatze.
Sie machte das wirklich sehr geschickt, direkt und doch nicht plump, mit eingebautem
Hintertürchen, sodass die Entscheidung vordergründig irgendwie doch bei mir lag.
War es denn so irritierend für mich, dass sie blind war?
Warum hatte ich nur solche Skrupel, das mit ihr zu machen, was ich mit jeder anderen Frau
gemacht hätte, wenn sie mir das sogar offen anbot?
Durfte ich nicht einfach meinem und ihrem Begehren, unserer Geilheit nachgeben, nur weil
Katharina blind war, weil ich mir Skrupel und eine gewisse Verantwortung für sie einredete?
Ich wusste, ohne nachzudenken, dass ich wahrscheinlich nie wieder einer Frau begegnen
würde, die mich so uneingeschränkt, offen und hemmungslos begehren würde. Sie brachte
mich zwar völlig durcheinander, meine Hormone in ekstatische Wallungen, weckte meine
verborgenen, wilden Leidenschaften, stärker, als ich das je gedacht oder für möglich
gehalten hatte, - aber ich mochte das schon zu diesem Zeitpunkt sehr.
Ich wusste, dass sie früher oder später das bekommen würde, was sie wollte.
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Katharina war schon jetzt zu einem weitreichenden Abenteuer für mich geworden, zu einer
unüberschaubaren Herausforderung, einer Sehnsucht, die mich verheißungsvoll in die
Tiefe lockte. Eine Tiefe, die ich fürchtete und liebte, in die ich mir immer heimlich gewünscht hatte hineinzustürzen - und die mich ebenso erschreckte.
Es war wie eine Mischung aus wahnseliger Glückseligkeit und Angst vor der eigenen
Courage, der Angst, dass ich Katharina nicht einmal annähernd gewachsen sein könnte.
Wir dösten eine Weile vor uns hin, ließen uns von der Sonne durchwärmen.
Irgendwann griff sie wieder nach meiner Hand, hielt sie einen Augenblick fest, spielte
gedankenverloren mit meinen Fingern, und als sie dann einen Entschluss gefasst zu haben
schien, hob sie meinen Arm, legte sich meine Hand auf ihren Po. Sie spielte gerne diese
kleinen Spiele mit mir, genau wissend und spürend, dass sie mich damit verwirrte.
Ich fühlte die glatte und warme Haut unter meiner Hand, die Festigkeit ihres Po s, mit einer
winzig feinen Feuchtigkeit überzogen. Es war aufregend, animierend, ließ mein Herz ein
wenig schneller schlagen. Ich verspürte keinerlei Lust, meine Hand dort wieder wegzunehmen, ließ mich sogar ein wenig vom Teufel Lust verführen, und strich zärtlich mit einem
Finger durch die Pofalte.
Katharina atmete tief durch, stieß leise die Luft aus ihren Lungen, und wandte mir ohne die
Augen zu öffnen ihr Gesicht im Liegen zu.
"Mach ruhig weiter so“, flüsterte sie mir leise zu, "der schönste Teil liegt noch ... noch etwas
tiefer ...“, sie grinste geradezu unverschämt frivol, "da wo es ... ganz warm und feucht ist ...
aber beschwer dich nicht ... wenn du ... wieder eine Erektion kriegst ...“
Dabei spreizte sie ganz leicht ihre Beine, fast nur die Oberschenkel, sodass ich meine
Hand ganz schnell wieder auf ihre Pobacke legte, um nur nichts zu tun, was mir im Moment
zu weit zu führen schien.
Katharina spannte leicht die Muskeln an, drückte kaum sichtbar gegen meine Hand, lachte
dabei leise glucksend.
So dämmerten wir vor uns hin.
Aufgeschreckt wurde ich erst, als sie sich plötzlich ganz überraschend, wie aus dem Halbschlaf gerissen, neben mir aufrichtete.
Katharina hatte die Stirn in Falten gelegt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als würde sie
auf irgend etwas lauschen, etwas ergründen und zu verstehen suchen.
"Was ist los? Hast du was?“
Sie legte sich wieder hin, stützte den Kopf auf die Arme, wandte den Kopf von links nach
rechts, schien nicht sofort auf meine Frage antworten zu wollen.
Wieder hatte ich den Eindruck, dass sie auf etwas lausche.
Dann schüttelte sie irritiert den Kopf, tastete nach meiner Hand, die neben ihr im Sand lag.
"Ich ... ich weiß es nicht“, beantwortete sie endlich leise meine Frage, und mir war, als
arbeiteten alle ihre Sinne auf höchster Stufe, "irgend etwas hat mich aufgeschreckt ... Aber
ich weiß nicht ... was."
Unter anderen Umständen hätte ich darüber vielleicht einen Scherz gemacht, und diesen
Eindruck als Einbildung abgetan. Aber ich wusste schon sehr viel über Katharinas hypersensible Sinnantennen. Sie wandte immer wieder den Kopf in alle Richtungen, genau wie
eine Nichtblinde. Obwohl es natürlich nicht möglich war für sie, irgend etwas zu sehen.
Ich lag abwartend neben ihr, suchte selbst nach einer Erklärung. Ein Rundblick zeigte mir
nichts Besonderes, und zu hören war auch nichts Auffälliges.
Doch Katharina schien auf alle Geräusche konzentriert zu achten, auf alle Arten der Wahrnehmung, die ihr zur Verfügung standen.
Aber da war für mich nicht viel mehr als das leise Plätschern des Wassers, fernes Stimmengesumme auf der Sandaufschüttung und die lauteren Stimmen der Badenden aus dem
Wasser. Am Ufer des Baggerlochs erklang ein halblauter Ruf, ein kreischendes Lachen,
das vom See zu uns herüberwehte.
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"Was hat du denn? Was hast du gehört?“
"Ich habe nicht ... nichts Besonderes gehört“, Katharina schien selber im Zweifel zu liegen,
versuchte ihre Wahrnehmung selbstkritisch zu formulieren, "ich habe eher ... Hast du mich
die ganze Zeit angesehen?“
"Ja ... eine Zeit lang ... warum?“
"Ich ... ich glaube, ich hatte das Gefühl ... genau beobachtet zu werden."
Ich musste herzlich lachen, weil sie, die Blinde, sich beobachtet fühlte von Blicken, die sie
nicht wirklich wahrnehmen konnte. Ausgerechnet Katharina, die sich herzlich wenig aus der
Meinung anderer Menschen zu ihrer Person machte, die sich lächelnd über Vorurteile
hinwegsetzte. Das erschien mir als ad-absurdum schlechthin.
Dabei war ich sicher, dass sie einfach meine kurzen Blicke auf ihren Po, ihren Rücken und
das flaumige Nackenhaar gespürt haben musste. Es erstaunte mich zwar noch immer, wie
sie das schaffte, aber es war zweifellos die einzige Erklärung.
"Entschuldigung“, lachte ich fast unter Tränen, "aber du hast völlig recht ... ich habe dich
angesehen ...“
Doch sie wischte meine Worte mit einer fahrigen Handbewegung weg, und brachte mich
damit wieder zur Ruhe. Gefasst erklärte sie mir, dass sie sich inzwischen ganz sicher sei,
dass ich nichts damit zu tun habe, dass uns jemand beobachtete.
"Vielleicht Rolf ... oder Maria ...“
"Die würden das nicht mit diesem ... dieser Verachtung und ... nicht so geringschätzig tun
...“
Nun hatte sie mich tatsächlich vollkommen verblüfft.
Wie wollte sie das wissen und einschätzen können, ohne die entsprechende Person zu
sehen?
Wie wollte sie wissen, dass jemand sie verächtlich beobachtete, feindselig womöglich und
geringschätzig?
Das mit dem Feingefühl für Blicke nahm ich ihr ja gerade noch ab, aber das ...
Doch Katharina ließ sich nicht beirren, war sich ihrer Sache absolut sicher. Sie bat mich,
mich unauffällig umzusehen, ihr zu sagen, ob ich jemanden entdecken könne, der uns
regelrecht anstarre, irgendwie ganz genau beobachtete.
"Du meinst ... eine Art Spanner ...?“
"Ja ... irgend so was ... in der Art ...“
Ich kam mir ziemlich lächerlich vor, als ich einen Blick in die Runde warf. Es war auf den
ersten Blick niemand Auffälliges zu entdecken, der Interesse an uns zeigte. Weder auf der
kleinen Insel, noch am ferneren Ufer, wo ein Fernglasgucker natürlich stark aufgefallen
wäre. Ganz abgesehen davon wäre mir das ohnehin zu weit erschienen, als dass Katharina
da noch eine Chance gehabt hätte, dessen Blick zu spüren.
"Trotzdem“, beharrte sie auf ihrer Feststellung, "ich bin sicher, dass mich jemand sehr ...
sehr bösartig und ... und gemein angesehen hat. Es war dieses ... typische Kribbeln im
Nacken ... wie ein leises Brennen auf der Haut ...“
Sie ahnte meine Skepsis und schlug aufgebracht mit der geballten Faust auf den Sandboden.
"Ich bin nicht hysterisch ... ich bin mir ganz sicher ... das kannst du mir glauben ... auch
wenn du es nicht verstehst!“
Ich war durchaus bereit sie ernst zu nehmen, aber ich hatte nichts entdeckt und keine
Erklärung gefunden. Aber ich warf noch einmal einen ganz genauen Blick in die Runde, viel
langsamer als vorher.
Überall um uns herum, im Wasser und auf der Insel waren Menschen, die im Sand lagen,
Ball spielten, miteinander redeten, am Ufer entlang schlenderten, lachten oder flirteten.
Nichts erschien mir ungewöhnlich oder besonders.
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Katharinas Beunruhigung war jedoch deutlich vorhanden. Sie versuchte durch schnelles
Wenden des Kopfes sogar die Richtung einzugrenzen, aus der sie diese möglichen
Impulse empfangen hatte. Für sie waren sie absolut real.
Vielleicht steckte sie mich damit schon ein wenig an, aber nun begann ich mich auch
beobachtet zu fühlen. Ich warf kritische, schnelle Blicke nach allen Seiten, - und fing für
eine Sekunde einen Blick auf, der genau auf uns gerichtet war, der mich streifte, und dann
an Katharina hängen blieb.
"Was ist ... hast du ihn entdeckt ...?“
Selbst das fühlte sie mit ihrer geschärften Wahrnehmung war. Ich war mir absolut sicher,
noch keinerlei körperliche Reaktion gezeigt zu haben auf meine ungewisse Entdeckung.
Aber sie hatte sofort meine kurze Verunsicherung bemerkt. Meine Verblüffung konnte kaum
größer sein.
"Was hast du entdeckt ... sag es mir bitte ...“
Ich hatte den Verdacht mich albern zu benehmen, mich völlig lächerlich zu machen, weil
irgend jemand einen kurzen Blick auf Katharina geworfen hatte.
Doch als ich vorsichtig verstohlen einen kurzen Blick unter halb gesenkten Lidern in die
vorherige Richtung schickte, sah ich wieder den Mann, der mir schon vorher eine winzige
Spur aufgefallen war.
Dieses Mal gab es keinen Zweifel, er sah zu uns herüber, ein wenig arrogant grinsend.
Etwas ungemein Herablassendes, Gemeines und Hochnäsiges, lag in diesem Grinsen auf
seinem Gesicht.
Noch immer war ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich von Katharinas Ahnungen unwillkürlich hatte anstecken lassen. Doch als ich den Kopf hob, und offen zu ihm herübersah,
wandte er sofort das Gesicht ab.
Mir entfuhr ein leises, überraschtes Zischen und ich war nun sicher, dass Katharina nicht
paranoid war, dass der fremde Mann uns tatsächlich aus irgendeinem Grund beobachtet
hatte.
"Sag was ... verdammt ... Was ist?“
Es hatte überhaupt keinen Zweck, Katharina etwas vormachen zu wollen. Sie spürte viel zu
genau, was um sie herum vorging. Ihre Hypersensibilität verblüffte mich nur einmal mehr,
enthüllte ihr Vorgänge, die andere Menschen wie ich gar nicht wahrgenommen hätten.
Der Mann saß gut zehn Meter von uns entfernt im Sand, zwischen zwei anderen Männern
und drei jungen Frauen, die sich alle mit nicht einem einzigen Blick für uns beide interessierten.
"Ist es ein Spanner ...?“
Katharinas Stimme verriet ihre Gereiztheit wegen meines Schweigens, und so erzählte ich
ihr leise von meiner Beobachtung.
Sofort setzte sie sich kerzengerade auf, und wandte der unbekannten Gruppe den Rücken
zu, begann zu meinem Erstaunen ganz leicht zu zittern.
"Was macht er ...?“
"Er tut nichts ...“
Nun war ich völlig verwirrt, denn ich spürte ganz deutlich, dass Katharina bis auf s Äußerste
beunruhigt war. Dabei konnte ich wirklich nichts entdecken, was diese Unruhe klar
begründet hätte.
Doch Katharinas Gesicht drückte deutlichen Ekel und Angst aus.
"Er tut nichts?“
"Nein ... doch jetzt sieht er wieder offen zu uns rüber ... er grinst ...“
Das tat er tatsächlich, ein Mann, etwas älter als ich, keine besonders sportliche Figur,
weder ungewöhnlich, noch unscheinbar. Er war blond, mit kurzgeschorenen Haaren, einem
ebensolchen Bart um das Kinn. Er erschien mir völlig unauffällig, weder bedrohlich, noch
sonst wie ungewöhnlich.
136
Aber er sah zweifelsfrei zu uns herüber und er schien auch zu wissen, dass er dabei
entdeckt worden war. Denn er tat jetzt nichts mehr, um diese Blicke zu tarnen.
"Wie sieht er aus ...?“
Katharinas Frage kam etwas überraschend für mich.
Ich sah in ihr Gesicht, sehr angespannt und ganz nah bei meinem, und merkte deutlich, wie
sie noch dichter zu mir rückte, als suche sie Schutz in meiner Nähe, als fühle sie sich
massiv bedroht.
Mir erschien das Ganze langsam ein wenig zu überspannt.
"Normal ... schlank“, antwortete ich, ohne groß nachzudenken, "etwa dreißig ... oder etwas
jünger ...“
Damit konnte Katharina natürlich sehr wenig anfangen.
"Ich meine ... wie sieht er richtig aus ... ich meine genau ...?“
Ich sah sie ungläubig an, hatte keine Ahnung, was hier vorging, suchte mir vergeblich einen
Reim auf dieses merkwürdige Verhalten zu machen. Doch ich tat ihr den Gefallen und
versuchte den fremden Mann ausführlicher und detailliert zu beschreiben. Damit verband
ich unausgesprochen die Hoffnung, dass sie das beruhigen würde, dass sie diese
unerklärliche Angst überwand, die sie überfallen hatte. Ihr tiefsitzendes Unbehagen war wie
aus einem offenen Buch in ihrem Gesicht zu lesen.
Doch es kam völlig anders, als erwartet.
Mit jedem Wort, jeder Beschreibung, versteinerte sich Katharinas Gesicht mehr. Sie stellte
keinerlei Nachfragen, obwohl ich ihrem Gesicht klar entnehmen konnte, dass sie dies nur
zu gerne getan hätte. Doch sie sagte zu meiner Beschreibung kein Wort, ergriff jedoch
immer verunsicherter meine Hand. Aus dieser anfänglich eher flüchtigen Berührung, wurde
mit jedem Wort schließlich eine regelrechte Umklammerung.
"Was ist denn? Kennst du den?“
Katharinas Gesicht war wie eine verzerrte Maske. Ich sah sie ungläubig an und verstand
keinerlei Zusammenhang, konnte keinen ausmachen, keine Erklärung zu ihrem Verhalten.
Um ihre Mundwinkel zuckten nervös angespannte Gesichtsmuskeln, die sich in einem
offenen Anflug von Ekel und Abneigung bitter nach unten wölbten.
Zu allem Überfluss merkte ich auch noch, wie sie anfing stärker zu zittern, als müsse sie
sich jeden Augenblick übergeben. Eine eisige, abweisende Kälte ging von ihr aus.
Sie war mir in diesem Moment richtig unheimlich.
"Was hast du denn ...?“
Irgendwie kam ich zu der naheliegenden Erklärung, dass sie entweder hin und wieder zu
hysterischen Anfällen neigte, oder gleich durchdrehen und ausflippen würde.
Doch warum - was ging hier vor, dass ich es nicht begriff?
Katharina schien es ungeheure Probleme zu bereiten. Sie hatte ihr Gesicht abgewandt,
ganz offensichtlich, damit ich ihre Qual nicht daraus ablesen konnte.
In mir kam plötzlich der Gedanke auf, einfach zu diesem Mann hinüber zu gehen, ihn zu
fragen, warum seine Gegenwart Katharina so in Panik versetzte. Ich würde eine Erklärung
von ihm verlangen, - doch da griff Katharina plötzlich nach meinem Arm und zwang sich ein
gequältes Lächeln auf ihr Gesicht.
"Es ... es ist nichts“, versicherte sie mir mit völlig gepresster Stimme, "es ist wahrscheinlich
nur ... die Hitze. Vielleicht bin ich auch ... wirklich ein bisschen hysterisch ...“
Zwar war ich auch schon selber auf diese Idee gekommen, aber in diesem Moment
erschien mir diese Erklärung völlig unglaubwürdig und überzeugte mich in keiner Weise.
Doch was hätte ich tun sollen?
"Es ist wirklich nichts“, versicherte mir Katharina noch einmal nachdrücklich, wirkte aber
genauso wenig überzeugend wie vorher. Ihre Stimme war so belegt, dass ich sie kaum
wahrnehmen konnte. "Mir ist ... nur ein wenig übel und ich ... ich ... ach, ich weiß nicht ...
Lass uns bitte zum Ufer zurückschwimmen."
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Warum versuchte sie mir auszuweichen?
"Jetzt ... in deinem Zustand?“
"Das kalte Wasser wird mir gut tun ...“
Ihr nervöses Drängen erzählte mehr als deutlich, wie eilig sie es plötzlich hatte, hier
wegzukommen. Sie gab sich nicht einmal die Mühe, das zu verbergen. So gedankenlos
und unkonzentriert, völlig aus der Fassung gebracht, hatte ich sie noch nie erlebt.
Nicht einmal, als sie auf dem Open-Air-Konzert so wütend auf mich gewesen war.
Ohne jegliche Einwände von mir abzuwarten, erhob sie sich vom Boden, streifte meine
halbe Umarmung ab, als wäre sie ihr jetzt nur noch lästig. Erst als sie stand, wandte sie
sich um, tastete nach meiner Hand, um mich mitzuziehen.
Was sollte ich tun, außer sie anzusehen und hilflos ihre Erwartungen zu erfüllen. Ich hatte
meine Zweifel, ob ich diese Sache einfach so auf sich beruhen lassen sollte. Doch wie
konnte ich in diesem Augenblick die Zeit dafür gewinnen, wo Katharina mit kleinen eiligen
Schritten bereits auf das Wasser zuging. Sie allein zum Ufer zurückschwimmen zu lassen,
den fremden Mann zur Rede stellen, die Lage klären, und Katharina in dieser Zeit allein im
Wasser schwimmen zu wissen, war völlig verantwortungslos, da gab es keine Zweifel.
Ob ich wollte oder nicht, ich musste ihr zu diesem Zeitpunkt folgen.
Dass sich eine spätere Gelegenheit ergeben würde, glaubte ich kaum.
Zahllose Fragen wirbelten in meinem Kopf, die Gedanken purzelten wild durcheinan-der.
Ich wusste und fand keinerlei Antworten.
Hatte ich überhaupt irgendein Recht, diesem seltsamen Vorfall nachzugehen?
Katharina zog mich eilig hinter sich her zum Ufer der kleinen Insel, als wäre dieses winzige
Eiland plötzlich der Hort alles Bösen, von dem sie unbedingt weg wollte.
Ich folgte ihr einfach schweigend, ohne jeden Widerstand.
Als ich einen letzten Blick zurückwarf, sah ich deutlich, dass dieser fremde, unbekannte
Mann uns immer noch hinterhersah, und um seinen Mund ein fast gehässig spöttisches
Grinsen. Was immer ihn auch mit Katharina verbinden mochte oder verbunden hatte, was
immer für ein Geheimnis sie mit sich herumtrugen, - er hatte den Sieg davon getragen, und
uns von dieser kleinen Insel vertrieben, uns den schönen Tag verdorben.
Das ließ die Wut regelrecht in mir hochschießen.
Ich riss Katharina zurück, die sich gerade in die Fluten stürzen wollte, und ergriff ihre
zitternde Hand.
"Wer ist dieser Mann?“ Ich schrie diese Frage fast heraus und packte eindringlich ihre
Schultern, denn ich kam mir vor wie ein Vollidiot.
Katharina machte den Mund auf, pures Entsetzen ins Gesicht geschrieben, und eine
Sekunde dachte ich schon, sie würde mit den Hintergründen herausrücken.
Doch dann wandte sie nur mit einem gequälten Gesichtsausdruck ihr Gesicht ab und
schüttelte den Kopf.
"Ich weiß es nicht“, antwortete sie mir mit zitternder Stimme, "ich ... ich weiß es wirklich
nicht ... Mir war ... einfach plötzlich übel ... und sehr komisch ... Das hat wahrscheinlich gar
nichts mit diesem ... diesem Mann zu tun ... Ich kenne ihn überhaupt nicht ...“
Sie versuchte mich wirklich zu überzeugen, mochte sich wieder halbwegs unter Kontrolle
haben. Aber für mich gab es nur eine Wahrheit, die mir durch den Kopf wie eine Feuerwalze raste: Katharina hatte mich zum ersten Mal, seit wir unsere Zeit miteinander verbrachten, offen angelogen.
Ihre ganze körperliche Reaktion, die fast schon erschreckende Blässe ihres Gesichtes, ihre
eiskalten Hände, ihr immer noch spürbares Zittern in den Schultern, - alles schrie förmlich
nach Lüge.
Sie spürte meine Zweifel, meine entgeisterten Blicke ob dieses Vertrauensbruchs, - und
konnte es offenbar nicht länger ertragen.
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So wandte sie sich entschlossen wieder dem Wasser zu, watete hinein, und stürzte sich
ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit in die Fluten.
Ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihr zu folgen.
Ein allerletzter Blick zurück zeigte mir das hämische Grinsen dieses Mannes, - und ich
spürte einen irrealen Hass in mir. Ich wäre nur zu gerne zu ihm gegangen, hätte ihm ohne
jegliche Frage einfach die geballte Faust ins Gesicht geschlagen. Es wäre zwar keine
Lösung gewesen, doch ich hätte mich wesentlich besser gefühlt in meiner Ohnmacht.
Der ganze versprochene Spaß des Tages war mir verdorben.
Nur eine Gewissheit blieb: Katharina wusste, wer dieser Mann war, sie hatte mich ganz kalt
und bewusst belogen.
Sie hingegen spürte mit Sicherheit meine Verletztheit, meine Wut. Doch sie ignorierte sie,
schwamm still und mit verschlossenem Gesicht neben mir her.
Aber meine kochende Wut wollte sich selbst im wirklich kühlen Wasser nicht mehr
abkühlen.
Sie wusste und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, wann sie aus mir
herausplatzen würde.
Am Ufer hatte es Katharina eilig aus dem Wasser zu kommen, lief förmlich unbedacht den
Geräuschen folgend mit schnellem Schritt zu unserem Lager, wo sie sich heftig atmend auf
den Bauch warf. Ihr Gesicht verbarg sie auf den verschränkten Armen.
Maria warf mir einen fragenden Blick zu, kam auf mich zu und fragte, was denn jetzt schon
wieder passiert wäre. Der leise Vorwurf, der in ihrer Stimme mitschwang, ließ mich noch
verbissener reagieren, als ich wollte.
Ich schwieg eisern, gab keinerlei Erklärung ab.
Maria versuchte es daraufhin bei Katharina, und kam ebenfalls keinen einzigen Schritt
weiter, keine Antwort auf ihre Fragen.
Die anderen beobachteten uns, merkten nur, dass irgendein Streit im Gange war, den sie
ebenso wenig durchblickten, - und in den sie auch nicht hineingezogen werden wollten.
Schließlich ließ sich Katharina auf die Antwort ein, dass ihr nur übel sei, dass sie sofort
nach Hause wolle.
Das traf mich noch einmal hart, denn damit versauten wir nicht nur uns selber den schönen
Tag, sondern auch den anderen.
Vielleicht wäre etwas zu retten gewesen, wenn ich die Kraft besessen hätte, mich mit der
Lüge und den unbefriedigenden Antworten zufrieden zu geben, - oder auch umgekehrt,
Katharina zur Wahrheit gezwungen hätte.
Nur diese Kraft besaß ich nicht.
Mit welchem Recht, so fragte ich mich, wollte ich dies fordern.
Waren wir uns etwa wirklich so nahe und vertraut, dass ich das hätte fordern können?
Keine dieser Fragen konnte ich mit "Nein" oder "Ja" beantworten, zog mich lieber in meine
Enttäuschung und meinen Zorn über ungerechte Behandlung zurück. Mit meinem typischen
Fatalismus versuchte ich mir einzureden, dass es mich nichts angehe, dass es wahrscheinlich ohnehin mit dem Träumen von einer gemeinsamen Zukunft vorbei wäre.
Es kostete mich schon eine Menge Kraft, die anderen zum Bleiben zu überreden, dass sie
doch nicht mit uns zurückfahren müssten, nur weil Katharina sich nicht wohl fühle. Für
Maria und Rolf war das naheliegend keine Frage. Ich hätte sie schon prügeln müssen, um
sie zum Bleiben zu überreden. Sie wollten uns begleiten, ohne jede weitere Diskussion.
Dabei hatten beide noch immer keine Ahnung von dem Mann, den ich gesehen hatte, und
der mir auf der gesamten Rückfahrt nicht aus dem Kopf ging. Immer wieder sah ich dieses
überhebliche, abfällige Grinsen vor mir, dieses kurze Haar und den Bart.
Maria hatte unmittelbar vor der Abfahrt noch einmal versucht herauszufinden, worüber wir
uns gestritten hatten, was vorgefallen war.
139
Doch auch jetzt sah ich sie nur stumm und verbissen an, war nicht zum Reden bereit. Wir
hatten diesen Mann beide Maria gegenüber nicht erwähnt.
Katharina saß ein wenig zusammengekauert, steif und stumm während der Rückfahrt hinter
mir, ließ durch nichts erkennen, was in ihr vorging, welche Gedanken sie quälen mochten.
Die Leichtigkeit und heitere Laune bei der Hinfahrt war nicht einmal ansatzweise bei uns
beiden wiederzufinden, als hätte es sie nie gegeben.
Als wir wieder im Dobbenviertel vor Marias Wohnung standen, wollte ich gleich wieder
gehen, nicht einmal mit hinauf kommen. Katharina änderte ihr Verhalten nicht eine Spur.
Sie litt zwar erkennbar unter meiner Ankündigung, sagte aber nichts dazu, war lediglich
erleichtert, als Maria mich überredete, doch noch mit hinaufzukommen.
Ohne Zögern oder eine Erklärung ging Katharina oben auf ihr Zimmer, Maria folgte ihr
unaufgefordert und kam nach einer ganzen Weile wieder heraus. Sie sagte Rolf und mir,
dass Katharina sich hingelegt habe, dass sie blass und krank aussähe.
Ich wusste es besser.
Es war, als habe sich über diesen Nachmittag endlich eine Kühlung geschoben, die jetzt
zum gewaltigen Gewitter und Unwetter mutierte, ein dunkler Schatten, der vielleicht nie
mehr weichen würde.
Ich wollte nicht bleiben, um Katharina nicht noch einmal zu begegnen, und wollte nicht wegfahren, um in ihrer distanzierten Nähe zu sein. Stumm und verbissen saß ich am Küchentisch. Rolf und Maria waren keine Idioten, sie spürten sehr wohl, dass etwas Bedeutendes
vorgefallen sein musste. Auch sie blieben weitgehend stumm, sprachen leise miteinander
raunend.
Mir drängte sich der Verdacht auf, dass sie in mir den Schuldigen sahen, der irgend etwas
gesagt oder getan hatte, was Katharina schwer getroffen haben mochte. Doch aussprechen wollten sie es nicht ohne einen Hinweis auf mein mögliches Fehlverhalten.
Rolf suchte mich leise zu beruhigen, schaffte es immerhin ein paar gebrummte Worte aus
mir herauszuholen, - und er versicherte mir, dass mich niemand verdächtigte, etwas
Unrechtes getan zu haben.
"Ich mach erst mal Tee ...“
Maria gab sich große Mühe die Stimmung wenigstens wieder auf ein Minimum zu bringen,
sodass wir auf niedriger Ebene miteinander reden konnten.
Ich war ihr ehrlich dankbar dafür, denn ich fing schon an, mich selber für ausgesprochen
ungerecht zu halten. Schließlich strafte ich die beiden mit meinem Schweigen, ohne dass
sie irgend etwas dazu beigetragen hatten.
Am Liebsten hätte ich mit ihnen über diesen fremden Mann gesprochen, - was vielleicht
sehr klug gewesen wäre - aber ich brachte es nicht fertig. Selbst hier in der fremden
Wohnung schien er mir wie ein dunkler Schatten präsent.
Zudem hielt mich die Hoffnung hier fest, dass Katharina gleich aus ihrem Zimmer käme, mir
alles erklären und damit wieder alles gut würde zwischen uns.
Wir schalteten leise ein Radio ein, versuchten ohne nennenswerten Erfolg ein Gespräch in
Gang zu bringen, - und saßen mehr oder weniger unglücklich um den Küchentisch herum.
Selbst der Tee konnte mich nicht an diesem Nachmittag begeistern, obwohl er
wahrscheinlich wieder einmal hervorragend schmeckte.
Nach mehr als einer Stunde schafften wir es immerhin einen belanglosen Small-Talk zu
realisieren. Dabei waren wir alle drei bemüht mit Klatsch und Banalitäten aus unserem
Alltag den Namen Katharina weitgehend da herauszuhalten, als wäre die Nennung auf
einmal ein unentschuldbarer Tabubruch.
So kehrte ein Weniges von jener Unbefangenheit zurück, die wir untereinander brauchten.
Die aufgewühlten Nerven beruhigten sich wieder.
140
Wir saßen sicher zwei, drei Stunden mehr oder weniger gelangweilt in der Küche und
hofften, dass uns nicht der Gesprächsstoff ausging, während draußen bereits der Abend
dämmerte.
Katharina kam nicht aus ihrem Zimmer heraus, und Maria hielt es für nicht besonders klug,
sie da jetzt zu stören, irgendeine Klärung zu suchen. Sie ahnte zwar, wie beschissen ich
mich fühlte, wollte aber den Zwist nicht auf irreparable Höhen geschraubt sehen.
Einmal ging sie kurz zu der Zimmertür, sprach offenbar mit ihrer Freundin.
Doch das Einzige, was Rolf und ich in der Küche davon mitbekamen, war eine ziemlich
laute Zurechtweisung.
"Ich will meine Ruhe ... und ich will schlafen ...!“
Resigniert kehrte Maria zurück, tat aber so, als wäre sie keineswegs gescheitert. Mit ihrer
nun gespielten Gelassenheit meinte sie nur, dass sich das schon alles wieder einrenken
ließe.
Was sie nicht aussprach, war die Frage, was am See geschehen war, was die Stimmung
so hatte kippen lassen.
Sie bot mir an, selber nach Katharina zu sehen. Doch ich verspürte nicht die geringste Lust
in einen Wutausbruch zu geraten, den Zorn zwischen uns dadurch eskalieren zu lassen,
dass ich vielleicht die Nerven verlor und alles zerstörte, was noch an kläglichen Resten von
Gemeinsamkeit vorhanden war.
Ich schwankte permanent zwischen Hoffnung und der Gewissheit, dass alles Aus und
vorbei wäre.
Rolfs Gesichtsausdruck war unausgesprochen anzusehen, dass er das genauso bei mir
einschätzte.
Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich ein durchweg sensibler Mensch mit
manchmal etwas dünnen, empfindlichen Nerven war.
Dabei war erst Samstag, und ich bekam die fürchterliche Ahnung, dass mir ein lausiges
Wochenende bevorstehen würde. Eines, das gar kein Vergleich war zu jenem, wie meine
Beziehung zu Katharina angefangen hatte.
Maria hingegen signalisierte noch immer ihre offenen Fragen, suchte aber auch selber
nach einer Erklärung. Da sie ein durchaus pragmatischer Mensch war, gab sie nicht so
leicht auf. Sie suchte meine Zunge durch Alkohol zu lösen, - sie bot mir ein Bier an, ebenso
Rolf, um diesen Trick nicht zu offensichtlich werden zu lassen.
Aber plötzlich sprang sie ganz überraschend nach einigem Nachdenken und einigen
gerauchten Zigaretten auf und sagte mir, dass ihr ein Gedanke gekommen sei.
Sie trat an den Kalender neben dem Küchenschrank und überprüfte irgend etwas, was sich
weder Rolf, noch mir logisch erklärte.
Doch als sie sich mir wieder zuwandte, glaubte sie die einzig mögliche Erklärung gefunden
zu haben für die verdorbene Wochenenderöffnung.
Sie stach triumphierend mit dem rechten Zeigefinger nach der Datumsleiste, offensichtlich
froh, uns endlich eine Auflösung geben zu können.
"Was ist ...?“ fragte ich ohne eine winzige Spur von Verstehen.
"Sie hat ihre Tage“, gab sie mir halb lachend zur Antwort und schien richtiggehend
erleichtert, "du hast sie noch nie so erlebt ... ich schon. Sie ist dann von unerträglicher
Launenhaftigkeit ... und reizbar wie ein bissiger Hund. Darum habe ich auch die Daten in
unseren Kalender eingetragen. Wenn du sie noch nie so erlebt hast, ist das sicher ... sehr
hart ... war es für mich beim ersten Mal auch. Ich hatte sogar schon den Gedanken, sie
wieder aus der Wohnung zu werfen, als ich sie so ganz am Anfang so erlebt habe ... Ich
hab sie für ein mimosenhaftes, verwöhntes Gör gehalten ... ein launisches Püppchen, eine
kleine Diktatorin ... die alle nach ihrer Pfeife tanzen lässt ...“
Ich starrte Maria an, glaubte irgendwie nicht richtig zu hören.
141
Ich versuchte mir vorzustellen, dass ich mir das tatsächlich alles nur so zurechtgelegt und
falsch gedeutet hätte, dass Katharina sich das alles am See eingebildet haben könnte, weil
sie ihre Tage bekam und darunter sehr stark litt.
Aber Maria war sich ihrer Sache sicher und zog eine Grimasse: "Am besten, du gehst ihr
einfach aus dem Weg ... beachte sie nur, wenn sie es selber will. Meide ihre schlechte
Laune, ihre beschissenen Manieren ... zumindest in den nächsten Tagen ...“
Ich glaubte fast nicht richtig gehört zu haben, und Rolf erging es ähnlich. Auch er starrte
Maria ungläubig an.
"Also ich ... ich kenne andere Frauen ...“
"Selbst du solltest inzwischen gemerkt haben, dass Katharina nicht unbedingt wie ... wie
andere Frauen ist“, wies sie seinen Einwand zurück und versicherte mir, dass sie keinerlei
Zweifel habe. Es gäbe eine Menge Frauen, die enorme Probleme an ihren Tagen
bekämen.
Irgendwie überzeugte mich das nicht, aber ich fand noch nicht die Worte, um meinen
Zweifel auszusprechen, wagte noch nicht ihn offen zu formulieren.
Dennoch war ich schon sehr froh unter Freunden zu sein, eine solche Freundin zu haben,
die sich alle Mühe gab meinen Optimismus nicht untergehen zu lassen, - selbst wenn ich
ihre Erklärung nicht wirklich nachvollziehen konnte.
"Sie leidet seit Jahren unter ihrer Monatsblutung“, erklärte Maria, und dass sie dies von
Katharina selber wisse, obwohl sie nicht letztlich offen darüber gesprochen hatten, "aber
sie ging mir kurz nach dem Einzug total auf die Nerven mit ihrer schlechten Laune und ihrer
Leidensmiene. Sie wurde richtig feindselig und aggressiv. Für sie war es wohl als Kind ein
ziemlicher Schock, als sie ihre ... ihre erste Regel bekam“, sie war sich sichtlich nicht ganz
sicher, ob sie zwei Männer in dieses Geheimnis einweihen sollte. Sie wollte die Interessen
Katharinas und ihre Intimsphäre schützen und gleichzeitig unsere zarten Bande bewahren.
"Sie legt doch so großen Wert darauf, immer so perfekt zu sein ... Na ja, und durch ihren
Vater ... und dieses ganze Training ... was sie immer noch macht ... ist sie ziemlich ehrgeizig in ihren Leistungen ... Ich meine, trotz ihrer Blindheit ... Sie ... sie hat mir erzählt ... dass
sie nicht ... gar nicht damit umgehen konnte ... dass da aus ihrem Körper ... Blut rauskam ...
dass sie blutete, obwohl sie sich nicht verletzt hatte ... Sie fühlte sich schwach ... fehlerhaft
... und wieder ein bisschen abnorm ... Da war etwas, was sich vollkommen ihrer Kontrolle
entzog ... gegen das sie nichts machen ... und auch nichts antrainieren konnte ... Und sie
kann das bis heute ... nur sehr schwierig handhaben ... und es macht ihr Angst ... Ich
glaube“, sie sah mich ganz direkt an und suchte in meinem Gesicht nach Einverständnis,
"sie mag dich sehr ... und will dich nicht verlieren ... durch so eine Sache ... in der sie nicht
gut ist ...“, Maria dachte kurz nach und grinste mich dann mit einer gewissen Schadenfreude an, weil die Frau, die wir beide für so selbstbewusst und ungeheuer stark hielten,
sich als durchaus schwach und verletzbar zeigte, "ich glaube ... sie hat auch Schiss davor
... und verkrampft sich, weil ... weil sie sich ein bisschen ekelt ... Sie schwitzt sehr stark
vorher und glaubt ... dass sie auch riecht ... ich meine stinkt ... Sie hat ganz offen zugegeben, dass sie weder mit Tampons ... noch mit Binden gut umgehen kann. Ich habe ihr ein
bisschen ... geholfen, als sie hier zum ersten Mal ihre Tage kriegte. Bis dahin hat ihre
Mama das gemacht ... Das Zeug ist alles nicht blindengerecht ... und sie ... sie hat fast im
Bad gekotzt ... weil ihr schlecht war und ... weil sie sich so geschämt hat. Viele blinde
Frauen ... können mit Tampons oder Binden nicht gut umgehen“, das wusste sie offenbar
direkt von Katharina, „ich brauche auch das Sehen ... dafür, und eine blinde Frau muss ...
sich ... entweder helfen lassen und ... unperfekt sein ... das als kleine Demütigung hinnehmen, oder selber ... selber sehen, wie sie damit klarkommt. Katharina jedenfalls reagiert ...
fast hysterisch, wenn sie ihre Tage kriegt ... ist aggressiv und ... widerborstig ... ein echtes
Miststück ...“
142
Ich wusste, wie diese Frau, die unerreichbar wie in einer anderen Welt in ihrem Zimmer lag,
diese Beschimpfung über sich hasste. Maria wusste es wohl auch, denn sie wurde flammend rot. Vielleicht auch, weil sie das Gefühl hatte, ein wenig zu viel Geheimnis enthüllt zu
haben.
"Geh ihr aus dem Weg“, riet sie mir noch einmal, "beachte sie nur, wenn du das Gefühl
hast ... dass sie dich wirklich braucht, dass sie Wert auf deine Nähe legt ...“
Rational hatte ich durchaus verstanden, was Maria mir sagen wollte. Ich kannte Katharina
schließlich auch inzwischen ein wenig besser, sie und ihren Ehrgeiz zur Perfektion. Ich
verstand sogar, warum Maria mich darauf einschwor, ihrer neuen Freundin niemals zu
erzählen, dass sie uns das anvertraut hatte. Denn die würde davon nicht begeistert sein,
dass zwei Männer ihre intimsten Geheimnisse teilten.
Doch wie passte das dann zu dem grinsenden Mann auf der kleinen Insel?
Es mochte sein, dass das zu dem Stimmungsumschwung beigetragen hatte, aber ich
wusste es nach einer Weile des Nachdenkens besser, dass der Auslöser ein ganz anderer
gewesen war.
Und so platzte es jetzt förmlich aus mir heraus.
"Was für ein Mann?“ Maria glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können. Sie fand dafür
auch keinerlei Erklärung, konnte kein Wissen über Katharinas Vergangenheit vorweisen.
Es war mir egal, ob Rolf dabei war. Er wusste jetzt ohnehin schon so viel über Katharina,
dass diese Weiterführung auch nicht mehr viel ausmachen würde.
Ich erzählte den Beiden haarklein, was am See auf der Insel geschehen war, wie Katharina
sich verhalten und der Mann bei ihrer Flucht gegrinst hatte.
Ich brauchte viele Zigaretten um meine Unruhe im Zaum zu halten, meine Gefühle zu
kontrollieren. Aber ich sprach mir unter dem blaugrauen Rauch von der Seele, was mich
quälte. Es noch länger zu verdrängen war mir unmöglich.
Zwischendurch setzte ich aus, machte lange Pausen.
Endlich war es ausgesprochen und ich fühlte mich richtig erleichtert. Zwar war mir immer
noch elend, weil Katharina mich belogen hatte, offensichtlich und bewusst belogen hatte,
aber ein wenig besser ging es mir schon.
Rolf schloss sich meiner Meinung sofort an, dass da irgend etwas gelaufen wäre, irgend
eine ehemalige Liebschaft, die vielleicht nicht sehr erfreulich geendet hätte.
Maria war sich ihrer Sache noch nicht so sicher, wollte noch immer nicht die Möglichkeit
ausschließen, dass Katharina schlicht hysterisch reagiert, und der Mann vielleicht gar nicht
uns gemeint habe.
Doch ich machte ihr klar, dass es da gar keinen Zweifel gäbe.
Ich sagte ihr ganz offen, dass ich mich gedemütigt und enttäuscht fühlte, dass Katharina
mich mit ihrem Verhalten verletzt habe. In meinen Augen war sie auf dem besten Weg alles
zu zerstören, alles kaputtzumachen.
Maria unterbrach mich nicht mit einem einzigen Wort, hörte mir stumm zu. Anschließend
ließ sie sich beschreiben, wie der Mann ausgesehen hatte. Doch konnte sie damit nicht viel
mehr anfangen als ich, konnte die Beschreibung nirgendwo einordnen.
Sie versicherte mir, dass Katharina wahrscheinlich - wenn sie den Mann tatsächlich von
früher kannte - lediglich in Panik geraten wäre, wegen irgend etwas, das mit diesem Mann
zusammenhing.
Sie wusste von ihr aus zahlreichen Gesprächen, dass sie einiges mit mir im Sinn habe, was
auf eine längere, wenn nicht sehr lange Beziehung hindeute. Wenn Katharina gelogen
hätte, dann sicherlich nur aus reiner Panik heraus.
"Glaub mir ... sie mag dich viel mehr, als ... als sie selber jetzt schon zugibt ... sie ist
verrückt nach dir ...“
143
Aus der Diele hörten wir plötzlich eine Tür klappen und müde tappende Barfußschritte.
Hastig sprang ich auf und überlegte, wohin ich mich zurückziehen könnte, als Katharina
auch schon die Küchentür aufstieß und vor uns stand.
Es mochte ihr nicht gut gehen, sie mochte völlig down und erledigt sein, aber ihre Sinne
funktionierten nach wie vor hochsensibel.
Eine Sekunde stand sie reglos im Türrahmen, dann wandte sie den Kopf in meine ungefähre Richtung, zog fragend die Stirn in Falten.
"Paul ...“, fragte sie leise, und ich staunte wieder einmal, wie sie es geschafft haben konnte,
meine immer noch währende Anwesenheit festzustellen, ohne dass ich auch nur einen
Laut, einen Ton von mir gegeben hatte.
Ich gab mich ihr mit einem leisen Knurrlaut unsicher zu erkennen.
Sie seufzte tief auf, fuhr sich mit der Hand durch das wuschelig zerzauste Haar, zupfte ihr
zerdrücktes Hemd halbwegs zurecht, und setzte zu einem Schritt auf mich an.
Doch in der nächsten Sekunde blieb sie wieder verzagt stehen.
Dann schien sie sich aber durchgerungen zu haben, ihr vielleicht vorhandenes Schuldbewusstsein beiseite zu schieben, und ging auf mich zu.
Sie blieb dicht vor mir stehen, hob unsicher die Hand, strich mir dann sanft über die Wange.
Ich sagte nichts, tat nichts, wartete einfach stumm ab.
Katharina tastete nach einem Küchenstuhl, zog ihn sich heran, setzte sich und stützte
sofort den Kopf in die Hände, die Arme auf dem Küchentisch.
Maria gab Rolf ein stummes Zeichen, und beide wollten still die Küche verlassen, damit wir
beide ungestört reden konnten.
"Ihr ... ihr müsst nicht rausgehen“, hielt Katharina sie mit rauer Stimme auf, die jede Klarheit
verloren zu haben schien, und seufzte tief auf. Sie machte in der Tat einen sehr zerschlagenen Eindruck, jämmerlich und schwach.
Ich konnte es kaum glauben, dass das die starke lebensfrohe Frau war, die sonst nicht so
leicht umzuwerfen war.
"Wie wär`s mit einem Kaffee?“ fragte Maria leise und trat neben sie, legte ihr ruhig eine
Hand auf die Schulter. Doch Katharina schüttelte nur den Kopf, meinte matt, dass sie sich
am liebsten sofort wieder ins Bett legen würde.
Keine Ahnung, ob sie vielleicht irgend etwas von unserem Gespräch mitbekommen hatte,
ob sie eine Notwendigkeit sah, mit mir zu reden, die Dinge zwischen uns zu klären, - sie
ließ nicht das Geringste davon erkennen.
Aber diese deutliche Schwäche, wie sie plötzlich das Gesicht in den Händen barg, das
sagte mir sehr viel. Und als ich weniger sah als fühlte, dass sie weinte, da konnte ich nicht
zögern. Ich trat zu ihr hin, legte meine Hand auf ihren Kopf, strich ihr ruhig über das Haar,
wagte sie aber nicht in den Arm zu nehmen.
Noch eine Zurückweisung hätte ich nicht an diesem elenden Tag ertragen können. Zudem
hatte ich das ganze starke Gefühl, dass sie eine Umarmung von mir jetzt ebenfalls nicht
hätte verkraften können.
Maria bot ihr noch einmal an mit Rolf eine Weile in ihrem Zimmer zu verschwinden, damit
wir die Küche nutzen könnten, um miteinander zu reden. Doch wieder lehnte Katharina das
ab. Sie wolle nicht reden, wolle einfach nur hier sitzen, in meiner Nähe.
Ich war zugleich befangen und betroffen, was vielleicht angesichts der Lage nahezu dasselbe sein mochte. In mir versuchte ich die Hoffnung am Leben zu halten, dass sich das
vielleicht wirklich mit ein paar Schrammen, Verletzungen und ein paar Beulen alles wieder
einrichten ließ, dass nicht alles verloren war.
Doch wollte ich nicht den ersten Schritt machen. Schon meine kleine verzweifelte Zärtlichkeitsgeste auf ihrem Haar schmerzte mich in der Seele, sodass ich diesen Kontakt wieder
unterbrach.
Das Schweigen in der Küche war zutiefst bedrückend.
144
Maria stellte trotz anfänglicher Ablehnung eine Tasse Kaffee vor Katharina hin, strich ihr
ebenfalls über das Haar, drückte kurz ihre Schulter.
Sie hob nicht einmal den Kopf, atmete nur heftig aus, seufzte und schenkte der Tasse
keinerlei Beachtung.
Maria fragte sie, ob sie irgend etwas anderes für sie tun könnten. Doch sie erntete nur ein
stummes Kopfschütteln.
Ich fühlte, dass dies kein Anfang von Frieden war, die Stille äußerst trügerisch. Es schien
nichts zu geben, was Katharina ein klein wenig aufzumuntern imstande war.
Es endete nach ein paar Minuten damit, dass sie leise sagte, sie wolle wieder ins Bett
zurück, schlafen, damit es ihr Morgen besser ginge.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, wenn ich den Mund gehalten hätte, wenn ich es einfach
stumm hingenommen hätte. Aber ich war für mich schon zu weit gegangen, als ich meine
Enttäuschung mit Rolf und Maria geteilt hatte. Jetzt wollte und konnte ich nicht einfach auf
halber Strecke stehenbleiben.
"Ich würde gerne mit dir ... mit dir reden ...“
Vielleicht hatte meine Stimme eine winzige Spur zu bestimmend geklungen, vielleicht war
sogar meine Bitte zu provokant, weil die frische Wunde zwischen uns noch zu schmerzhaft
war. Immerhin hatten wir in der kurzen Zeit, die wir miteinander verbrachten zwar gut
gelernt uns gegenseitig wehzutun, aber nicht, wie man das Einstreuen von weiterem Salz in
die Wunde vermeidet.
Marias Empfehlung, Katharina so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, mochte
sinnvoll sein, aber sie erschien mir in dieser Situation nicht umsetzbar.
Sicher spielte da auch wieder mein selbstverschuldetes Selbstmitleid hinein.
Aber da war auch viel ehrliches Bemühen von meiner Seite die Anspannung zwischen uns
wieder zu lösen.
Wahrscheinlich hätte ich sie nicht weiter bedrängen sollen. Aber wenn ganz persönliche
Gefühle in so eine Lage mit hineinspielen, dann ist Vernunft oft der letzte Verbündete, der
einem nicht zur Verfügung steht.
Katharina war bereits von ihrem Stuhl aufgestanden und in Richtung Küchentür aufgebrochen, als ich meine Bitte in den Raum stellte.
Jetzt blieb sie wieder stehen, wandte sich aber zunächst nicht zu mir um.
"Ein ander mal“, hörte ich sie leise sagen, „... und du ... du weißt doch eh längst ... was du
wissen willst ...“
Keine Ahnung, was sie genau damit meinte, aber ich fühlte mich sofort angegriffen und
reagierte, ohne zu überlegen.
"Ich weiß gar nichts!“ schrie ich los, "ich weiß nur, dass da ein Mann war, der ...“
"Ich will jetzt meine Ruhe!“ schrie sie mit schriller Stimme und geballten Fäusten zurück,
"du weißt, was du weißt ... und ich weiß ... was ich weiß ...“, sie atmete noch einmal tief
durch, drehte sich dann zu mir um und fuhr wesentlich leiser fort: "Ich fühl´ mich wirklich
nicht besonders ... verstehst du das? Also lass mich bitte in Ruhe ...“
"Aber ...“, versuchte ich einen letzten Einwand, und gab mir wirklich Mühe ebenfalls meine
Stimme nicht zu erheben, "es macht doch keinen Sinn davonzulaufen, das hast du mir ...
du mir selbst einmal ...“
"Ich weiß ... was ich gesagt habe ...“, Katharina reagierte mit ungeheurer Heftigkeit, „... aber
es gibt für alles eine Zeit ... und jetzt ist der falsche Zeitpunkt."
"Es ist immer der falsche Zeitpunkt“, gab ich wütend zurück, "wenn es dir nicht passt ...
dann ist immer ...“
"Du sagst es!“
Damit wollte sie einfach die Sache beenden, ging zur Küche hinaus und auf die Diele.
Maria versuchte noch vergeblich mich aufzuhalten, doch ich war so wütend, so vor den
Kopf gestoßen, dass ich das so nicht einfach hinnehmen wollte.
145
Ich wollte das jetzt und hier klären, und war eine Sekunde nach Katharina an ihrer Zimmertür, als sie diese gerade schließen wollte.
Dass sie mich ausschloss, sich einfach so zurückzog, das wollte ich nicht akzeptieren.
Doch ihre Reaktion war alles andere als moderat und gesprächsbereit.
Ich hatte nicht einmal ein Bein im Türrahmen, als sie mich bemerkte und mit ihrer ganzen
Kraft zurück auf die Diele drängte. Ganz plötzlich schienen ihre Nerven blank zu liegen. Für
ein paar Sekunden kehrte ihre Kraft zurück, warf sie sich zornentbrannt gegen mich, weil
ich in ihren ganz privaten Bereich eingedrungen war.
"Raus! Raus! Raus!" kreischte sie immer wieder und stieß mich hinaus, die Tür mit voller
Wucht hinter sich zuwerfend.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
Doch anstatt endlich mit Ruhe und Verstand nachzugeben, machte ich tatsächlich einen
neuen Versuch ein Gespräch mit ihr zu erzwingen, unter allen Umständen. Dabei war das
schon längst nicht mehr eine Frage des Willens oder des Verstandes, sondern nur noch
eine der verletzten Eitelkeit. Denn ich war absolut überzeugt, dass ich ein Recht hatte, mit
ihr über das zu reden, was da am Baggerloch vorgefallen war.
Vielleicht ahnte oder fühlte ich, dass wir dicht vor einer Klippe standen, über die wir tief
abstürzen konnten, wenn wir jetzt nicht vorsichtig agierten. Es war von meiner Seite keine
böse Absicht, denn ich wollte sie nicht über diese geistige Klippe stürzen. Aber ich streckte
den Arm aus, wollte nicht aufgeben, Katharina weiter zu bedrängen.
Es war ein unbewusst böses und gefährliches Spiel, das uns beide den Hals brechen
konnte.
Ich wollte eine Aussprache, - und ich wollte sie jetzt.
Doch ich hatte die Tür kaum geöffnet, noch kein Wort gesagt, als Katharina auch schon
wieder stimmgewaltig loskreischte, ihre Ruhe verlangte, dass ich kein Recht hätte, ihr
Zimmer zu betreten, und immer wieder "Raus! Raus! Raus hier!“ und sie benutzte einige
Kraftausdrücke gegen mich, die praktisch nicht weniger als eine üble Beschimpfung waren.
Zum Glück tauchte Maria hinter mir auf und zog mich rasch aus der Schusslinie, weg von
Katharinas Zimmertür.
Doch jetzt brannte wilde Wut in mir, besonders als ich hörte, wie drinnen eine Vase oder
etwas ähnliches an die Tür prallte und offenbar in tausend Scherben zerplatzte.
Maria aber ließ eine weitere Eskalation nicht zu, brauchte dazu nicht einmal die Unterstützung von Rolf. Sie bekam das allein durch einen scharfen Anruf bei mir unter Kontrolle.
Das gab den Ausschlag.
Irgendwie bekam ich den Eindruck mit meinem Verstand zu fassen, dass die Würfel nun
gefallen wären, dass es keinerlei Unklarheiten mehr gäbe.
Diesen Irrsinn wollte ich nicht weiter mitmachen.
Diese Konfrontation hatte mir wahrhaft den Rest gegeben, das wurde mir klar.
Nicht, dass ich auch klar im Kopf gewesen wäre, eher das Gegenteil. Aber ich bekam
wenigstens wieder einen hauchfeinen Faden meiner Selbstachtung und meines Verstandes
zu packen.
Ich wollte jetzt nur noch weg hier von meinen Freunden und diesem heillosen Debakel, weg von Katharina, möglichst nie mehr wiederkommen, und mit mir allein sein, mit niemandem mehr sprechen.
Ich war zutiefst verletzt, wollte kein Wort davon wissen, dass ich nicht ganz unschuldig an
dieser heftigen Auseinandersetzung gewesen war.
Niemand sollte mir erzählen, dass Katharinas Wutanfall allein etwas mit ihrer Monatsblutung zu tun hatte. Ohne jeden Zweifel hatte auch dieser unbekannte Mann am Baggerloch
einen riesigen Anteil daran.
146
Oder Katharina war wirklich im Laufe ihres Lebens derart exzentrisch, psychopathisch und
hysterisch geworden, dass sie gar nicht in der Lage war, mit so etwas wie Harmonie zu
leben.
Und dann brauchte und wollte ich damit nichts zu tun haben.
Unfair und absolut ungerecht erschien mir diese ganze Entwicklung ohnehin.
Maria und Rolf versuchten mich zu beruhigen. Doch ich riss mich von ihnen los, ohne sie
ebenfalls anzuschreien.
"Paul ... Paul, bleib hier ... wir kriegen das alles wieder hin“, machte Maria einen allerletzten
Versuch mich nicht einfach so weggehen zu lassen.
Doch ich wollte nicht mehr warten, bis sich Katharina womöglich wieder beruhigt hatte. Ich
wollte dem jetzt und hier ein Ende bereiten, ehe ich so viele Gefühle investiert hatte, dass
es mir das Herz zerreißen würde. Ich wollte diese Liebe und diese Frau aufgeben, weil eine
Liebesbeziehung mit ihr völlig unrealistisch war.
Kühl überlegt mochte mein Versuch nicht besonders klug gewesen sein, aber ich hatte
auch noch nie den Anspruch erhoben, so etwas wie ein kluger Taktiker zu sein.
Mir war das in diesem Moment alles so gleichgültig, wie es mir nur überhaupt gleichgültig
sein konnte.
Wortlos verließ ich die beiden Freunde, hinterließ bewusst keine Nachricht für Katharina.
"Sie ist eben nicht wie andere Frauen ...!“ rief Maria mir noch nach, doch das war mir selber
klar, - zu meinem Glück, wie ich in diesem Moment glaubte.
Ich stürmte die Treppe hinunter und antwortete nicht mehr, denn ich hatte keinen Bedarf
vor Maria oder Rolf aus lauter Frust zu heulen, mein ganzes Seelenelend vor ihnen auszubreiten.
Was ich jetzt dringend brauchte, war frische Luft und Zorn ablassen. Eine rasante Fahrt
durch den frühen Abend bis tief in die Nacht, oder vielleicht wie schon einmal ein Wochenende in der norddeutschen Tiefebene, über namenlose Landstraßen brettern, jede Menge
Staub schlucken, vorbei an grünen Wiesen, dämlichen Schwarzbunten, in abgelegenen
Dorfkneipen zwischendurch ein Bier trinken, verdrängen und vergessen, das erschien mir
jetzt genau als die richtige Medizin.
Mir war, als könne ich Katharinas Stimme in mir hören: "Weglaufen ist auch keine Lösung
...“
Doch sie schien mich eher zu verhöhnen, als zu ermutigen schwierige und problembeladene Situationen auszuhalten.
Mein Magen fühlte sich wie ein zerknautschtes Etwas an, das schmerzhaft in meiner
Bauchhöhle rumorte, aber das konnte mich nicht aufhalten.
Raus aus der Stadt, keine bekannten Gesichter sehen, das war im Augenblick mein Hauptziel.
Ich versuchte vor unerwünschten Tatsachen wegzufahren, abzuhauen aus einer aussichtslosen Lage, in die ich mich selber hinein manövriert hatte.
Nur hatte ich es wieder einmal, genau wie bei Brigitte, vorher wissen können - und hatte es
gewusst, nur nicht wahrhaben wollen.
Ich war nicht klug und nicht heldenhaft in so verdrehten Lebenssituationen, war es nie
gewesen. Da brauchte ich mir gar nichts vorzumachen. Ich kannte mich schließlich gut
genug in zwanzig Jahren. Mir war die Distanz zu Streit und Auseinandersetzung lieber.
Mich solchen Anfeindungen zu entziehen, sie von mir fernzuhalten, erschien mir wesentlich
effektiver und klüger, als mich ihnen zu stellen und den Helden zu spielen, der so etwas mit
zusammengebissenen Zähnen durchstand.
Ich war schon froh darüber, dass Maria mich davon abgehalten hatte endgültig den kleinen
Restschritt zu weit zu gehen, der Katharina über die sinnbildliche Klippe gestoßen, und ihr
jegliche Möglichkeit einer Rückbesinnung genommen hätte.
Keine Ahnung, wie lange ich durch die Gegend fuhr.
147
Keine Ahnung, wohin ich fuhr, ob ich vielleicht zwischendurch unbewusst zu einer Gefahr
für andere Verkehrsteilnehmer wurde, ob ich wegen Geschwindigkeitsübertretung geblitzt
wurde.
Mir war das alles scheißegal.
Das interessierte mich nicht, ging "mir am Arsch vorbei".
Ich fluchte unterwegs auf alles, was mir dafür wert schien, die Frauen, das Leben, besonders die Liebe, die mir offenbar immer nur Ärger brachte.
Und ich schloss viele Dinge in meine Verfluchungen ein. Die große, stille Abrechnung, - ein
mir nur zu gut vertrautes Ritual.
Irgendwann flog das Ortsschild von Garrel an mir vorbei, später durchquerte ich auch noch
Visbek und Lastrup, - keine Ahnung, wohin ich eigentlich wollte.
Doch mein verkrampfter Magen löste sich nicht. Er schmerzte und rumorte, erinnerte mich
immer wieder an das Vorgefallene, ließ mich nicht zur Ruhe kommen und irgendwo anhalten, wenigstens für einen Augenblick.
Dann fing es auch noch an zu regnen, als ob der Tag nicht schon schlimm genug gewesen
wäre. Zuerst nur tropfenweise, dann goss es wie aus Kübeln, als habe jemand sämtliche
Himmelsschleusen geöffnet, als habe sich der Himmel entschieden aus vollem Herzen sein
Leid herauszuweinen.
Und ich hatte nicht einmal meine Ledercombi dabei.
Aber auch das war mir egal.
Es regnete ununterbrochen, die heiße Dunstglocke löste sich auf. Es wurde angenehm
kühl, später unangenehm kalt. Die Straßen wurden immer unsicherer, der Asphalt glatt und
glänzend. Scheinbar gab es keinen einzigen trockenen Flecken mehr im ganzen Land. In
den Straßengräben zogen wahre Sturzbäche ihre Bahn, und meine "Alte Lady" wurde
kräftig durchgespült und schmutzverkrustet von aufspritzendem Dreck.
Weit nach Mitternacht hatte ich genug davon und fuhr zurück nach Oldenburg. Ich fühlte
mich nicht erleichtert, nicht einmal eine Spur besser. Aber ich war nass bis auf die Haut und
mir war lausig kalt.
Ganz geheim im Hinterkopf, wo ich es nicht unbedingt wahrnehmen musste, hegte ich die
Hoffnung, dass Katharina mich anrufen und sich wegen ihrer Launenhaftigkeit, ihrer Lüge
entschuldigen würde, dass sie mir alles erklären und alles wieder ausgeglichen friedlich
zwischen uns werden würde.
Doch sie rief nicht an, schon gar nicht so spät in der Nacht.
Ich wollte es zwar nicht zugeben, nicht einmal vor meinem geheimsten Ego. Aber nun war
auch der kleinste Rest von mir stinksauer, als ich Zuhause vor dem Telefon saß.
Voll kochender Wut fragte ich mich aufgebracht, was sich diese blöde Kuh eigentlich dabei
dachte, wenn sie glaubte, so mit mir umgehen zu dürfen.
Wer war ich denn, dass ich mich so behandeln ließ?
Sollte sie doch zum Teufel gehen.
Ich war fest entschlossen, sie nicht anzurufen, schwor mir das selber hoch und heilig. Zu
Kreuze kriechen, ihre Lüge schlucken und um ein bisschen Liebe und Zuneigung betteln,
das erschien mir nun endgültig beendet. Wenn Katharina glaubte, sie habe mich sicher am
Gängelband, und ich würde schon wieder bei ihr angekrochen kommen, weil sie als Blinde
durchaus ein Recht habe, mich wie Dreck zu behandeln, - so würde sie feststellen müssen,
dass sie sich da gewaltig irrte, dass sie mich weit unterschätzt hatte.
Sie rief auch am nächsten Tag nicht an.
Ich sie ebenfalls nicht.
Uns gegenseitig anschweigen, darin waren wir offenbar richtig gut.
148
9. Kapitel
Auch am Sonntagabend blieb das Telefon stumm.
Also beschloss ich wütend, meinen Zorn mit einem Besäufnis hinunterzuspülen. Ins
"Dammtor" wollte ich nicht, schon um Rolf und Maria nicht zu begegnen, die schließlich
ziemlich genau meine Lieblingskneipen kannten. Ich wollte überhaupt nicht dahin gehen,
wo sie eventuell auftauchen konnten.
Eine dieser nichtssagenden Eckkneipen musste demnach genügen, meinen immer noch
schmerzenden Magen mit Alkohol zu betäuben.
Ich hatte nicht gerade viel gegessen, denn mir war übel.
Daher gelang mir das ziemlich gut - mit dem Besaufen.
Nur fühlte ich mich dadurch keineswegs besser oder leichter, eher im Gegenteil.
Nichts konnte mich in meiner Lage unglücklicher machen, als das stille Eingeständnis, dass
Katharina mir fehlte, dass jede Minute ohne sie wie sinnlos verlorene Zeit war.
Selber anrufen und eine Aussprache, womöglich eine Versöhnung suchen, das wollte ich
jedoch um keinen Preis der Welt. Ich bestärkte mich stattdessen mit der Erkenntnis, dass
ich schon bis jetzt viel zu viele Zugeständnisse gemacht hätte.
Meinen Rest an Selbstachtung und Stolz würde ich mir nicht nehmen lassen. Unglücklich
und besoffen verbrachte ich die Nacht allein in meinem Bett. Ich konnte nicht einmal
weinen vor Enttäuschung und Wut. Auch nicht über mich selbst, weil ich mich in völliger
Selbstüberschätzung selbst in diese Lage gebracht hatte. Ich hatte ganz ernsthaft geglaubt,
ich würde es schon schaffen irgendwie mit dieser schwierigen blinden und sehr attraktiven
Frau leben zu können.
Dabei konnte ich mir nicht einmal versprechen, dass mir das so schnell nicht wieder
passieren würde. Es half mir gar nichts, wenn ich mir immer wieder zwischendurch mit
zynischem Sarkasmus einzureden versuchte, dass mir das alles längst egal war, dass ich
in ein paar Tagen darüber nur noch lachen und diese blöde Episode vergessen würde.
Am liebsten hätte ich irgend etwas an die Wand geschmissen, zerschmettert und zerstört, wie diesen ersten Keim der Liebe, der jetzt verdorrt war, ehe er die Chance bekam eine
wirkliche Blüte zu treiben.
Doch meine eigene Lethargie hielt mich davon ab.
Eine allumfassende "Leck-mich-am-Arsch-Stimmung" breitete sich in mir aus, als Katharina
auch am folgenden Tag nicht anrief.
Es zermürbte mich, machte mich müde und entschlusslos.
Ich machte mir selber Vorwürfe, schrie mich vor dem Spiegel an.
Ich hielt mir vor, dass ich ein Idiot sei, dass ich es ja vorher hätte wissen müssen, dass
dieser Blödsinn einer Liebesbeziehung zu einer blinden Frau von Anfang an zum Scheitern
verurteilt war. Da konnte sie noch so sinnlich und schön sein. Das musste zwangsläufig in
einem Desaster enden.
Schon viel zu lange wusste ich: Komplizierte Verhältnisse zu noch komplizierteren Frauen
waren meine Domäne, eine explosive Angelegenheit ohne wirkliche Zukunft.
In dieser zweiten schlaflosen Nacht suchte und fand ich tausende Gründe und Erklärungen,
warum wir scheitern mussten, ganz zwangsläufig.
Ich versuchte mir einzureden, dass das mit Katharina immer nur eine vorübergehende
Liebelei und Affäre sein konnte. Zwar eine schöne und spannende, aber auch
nervenaufreibende Erfahrung, die jetzt zu meinem Glück endlich vorbei war. So etwas
brauchte ich wirklich nicht in meinem Leben und sollte mich so schnell nicht wieder tangieren.
149
Das Dumme war nur, ich glaubte mir selber nicht, konnte mich nicht rückhaltlos von meiner
Meinung überzeugen. Ich fühlte mich nicht einmal erleichtert und glücklich schon gar nicht.
Für mich war das Allerschlimmste, dass es mich wahnsinnig traurig machte. Ich hatte
schon so viele Emotionen in diese Beziehung investiert hatte, war zu engagiert gewesen,
um mich jetzt einfach so schmerzlos wieder zurückzuziehen.
Ich musste, aber ich konnte das Unabänderliche nicht akzeptieren.
Ob ich das wollte oder nicht, mir dämmerte von Stunde zu Stunde immer mehr, dass ich
diese "verdammte bösartige Hexe" geliebt hatte und noch immer liebte, - auch wenn ich es
noch so vehement von mir wies.
Am nächsten Tag war alles noch viel schlimmer.
Katharina rief nicht an.
Ich aß zu wenig, rauchte und trank dafür um so mehr.
Ich hatte einen dicken Kopf, einen Brumm-Kater, wie er schlimmer kaum sein konnte. Aus
dem Spiegel starrte mir wie zum Hohn mein unrasiertes Gesicht entgegen, das mich stark
an eine Teufels-Grimasse erinnerte. Ein übler Geschmack im Mund ließ sich auch durch
mehrmaliges Zähneputzen nicht vertreiben.
Es ging mir wirklich miserabel.
Ich musste die Zähne hart aufeinander beißen, um nicht vor Wut und Verzweiflung laut
loszuschreien.
Zu allem Unglück rief auch noch einer meiner üblichen Arbeitgeber aus den Semesterferien
an und fragte, ob ich ganz kurzfristig einen Assistenten-Job annehmen könnte. Das kam
genau im unpassendsten Augenblick und hatte mir gerade noch zu meinem Unglück
gefehlt.
Doch bevor ich meine Absage herunterleiern konnte, drang durch den Hörer das Honorarangebot an mein Ohr und ließ mich innehalten.
Mir fiel zum Glück wieder ein, dass ich nicht nur ziemlich pleite war, sondern auch das Geld
verdammt gut brauchen konnte. Zur Hochschule zu fahren, wäre jetzt ohnehin genauso
sinnvoll gewesen, wie ein Sonnenbad im draußen strömenden Regen.
Denn auch das Wetter hatte sich in den letzten Tagen nicht geändert, schien genauso
instabil wie ich.
Vielleicht gelang es mir ja nicht nur, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, sondern auch
meinen Schmerz für eine kleine Weile vergessen zu machen.
Außerdem brauchte ich diesen Kontakt für Aufträge in finanziell schlechten Zeiten, die
eigentlich zu jedem Semesterende bei mir anstanden. Zudem musste es ein ziemlich
wichtiger und teurer Auftrag sein, wenn ich so kurzfristig, zu so einem Honorar, als Assistent angefordert wurde. Wenn ich das Studio mit einer Absage verärgerte, konnte ich unter
Umständen auch auf keinen Semester-Ferien-Job hoffen. Zwar war meine Zuverlässigkeit
und Einsatzfähigkeit als Foto-Assistent inzwischen in der Branche mit gutem Ruf halbwegs
gesichert, aber Eskapaden konnten alles wieder zerstören.
So etwas wollte und konnte ich mir nicht leisten.
Also sagte ich zu und machte mich zur vereinbarten Zeit auf den Weg.
Ein bisschen half es tatsächlich intensiv abgelenkt zu sein, auch wenn ich den ganzen Tag
nicht die Spur von Ausgeglichenheit entwickelte und etwas zerknautscht aussah. Meine
gute Miene zum bösen Spiel war mehr wie eine Beleidigung für den Begriff der guten Laune, aber es wurde problemlos zur Kenntnis genommen.
Offensichtlich wurde dies meinem Image als "Künstler" zugeschrieben und war völlig in
Ordnung.
Immerhin brachte mich die Arbeit dazu, bis in die späte Nacht den Grund für mein emotionales Desaster zu vergessen.
Doch danach kehrte es um so heftiger und intensiver zurück.
Kein Zettel an der Tür, kein mitternächtlicher Anruf von besorgter Stimme.
150
Sehnsucht nach Nähe, Wärme und Berührung, nach Zärtlichkeit von Katharina fraß an mir
wie eine hungrige Hyäne, ließ mir keine Ruhe mehr. Mein Seelenfrieden erschien mir wie
ein völlig verwüstetes Schlachtfeld.
Nur mit eiserner Selbstbeherrschung gelang es mir, dem Wunsch nun doch selber anzurufen, eine strikte Absage zu erteilen.
Nichts konnte mich auch nur die Spur aufheitern, mir eine kleine Spur Gelassenheit zurückgeben.
Am nächsten Morgen schien sich der gestrige Tag zu wiederholen, - alles wie gehabt und
schon für übel befunden.
Lustlos kochte ich mir erst mal einen starken Kaffee, um die bleierne Schwere aus den
Gliedern zu treiben. Mit dem Frühstück wurde es ein regelrechter Kampf. Denn ich hatte
ständig diesen widerlichen Geschmack von faulem Stroh im Mund.
So - oder so ähnlich musste es schmecken.
Kein Wunder also, dass Kühe frisches Gras bevorzugten und bei Stroh immer etwas traurig
aussahen.
Schließlich gab ich es auf, wieder ein normales Essverhalten anzufangen und warf das
angefangene Frühstück in den Mülleimer.
Zur Beruhigung rauchte ich mir eine Zigarette, viele Zigaretten und freute mich, dass wenigstens der Kaffee eine gewisse Wirkung zeigte.
Im Radio spielten sie nahezu unerträglich fröhliche Musik, die Hitparade rauf und runter. Es
war zum Kotzen, es törnte mich völlig ab und ging mir auf die Nerven.
So schaltete ich schnell aus, ehe ich womöglich einen Wutanfall bekam. Ich überlegte eine
Sekunde lang eine Platte mit lauter Rockmusik aufzulegen, - aber das war`s auch nicht.
Und eine Platte mit Liedersängern war mir jetzt zu emotionsgeladen.
Eigentlich wollte ich überhaupt nichts tun oder an mich herankommen lassen, was meine
schlechte Stimmung beeinflussen konnte, weder zum Guten, noch zum Schlechten.
Ich wollte einfach meine Ruhe haben.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir den gleichen trostlosen, grau verhangenen Regenhimmel wie vom Vortag. Vielleicht bildete ich mir nur ein, dass ein weiterer Tag vergangen
war, sodass ich in Wirklichkeit noch im Vortag lebte, statt in der Gegenwart.
Mir schien, als würde sich zur Zeit rein gar nichts mehr bewegen oder in irgendeine Richtung weiterentwickeln. Alles schien zu stagnieren in dröhnender Stille.
Es war wirklich zum Kotzen.
Was sollte ich bloß den ganzen Tag machen, wie meine Zeit totschlagen?
Davon hatte ich jetzt schließlich jede Menge.
Das Telefon schwieg eisern, im Fernsehen gab es nur gähnende Langeweile.
Ich überlegte nach Bremen, in die Kunsthochschule zu fahren, mich dort mal wieder sehen
zu lassen. Vielleicht würde mir dort etwas Erheiterndes einfallen.
Es überzeugte mich nicht.
Als das Telefon klingelte, durchfuhr mich eisiger Schrecken.
Sofort überfluteten mich wahre Gefühlsstürme, die mich beinahe motivierten ans Telefon zu
stürzen, nur damit dieser Albtraum ein Ende fand.
Aber ich brachte es nicht fertig abzuheben. Ich konnte mich nicht bewegen, starrte auf das
Telefon wie auf eine Schlange, fühlte diesen inneren Zwang auf keinen Fall ranzugehen.
Es läutete bis zum zehnten Mal, wobei ich seltsamerweise leise mitzählte.
Dann verstummte das Läuten wieder, die Leitung war unterbrochen.
Danach hatte ich es ziemlich eilig, aus der Wohnung zu kommen, denn mich beschlich da
so eine böse Ahnung, über die ich lieber nicht genauer nachdenken wollte.
Es war ein sprichwörtlich "beschissener Tag".
151
In der Hochschule angekommen schlenderte ich ziellos durch die Gänge. Ich begrüßte
lustlos einige Kommilitonen, mied aber alle weiblichen Mitglieder der Studentenschaft. Zu
praktischer Arbeit oder einer Vorlesung konnte ich mich aber nicht durchringen.
Als ich an einem öffentlichen Fernsprecher vorbeikam, konnte ich nicht widerstehen. Ich
hatte schon die vertraute Nummer gewählt, bevor ich darüber richtig nachdachte.
Aber als ich am anderen Ende der Leitung Marias Stimme hörte, legte ich ohne ein Wort
sofort wieder auf.
Mir war schwindlig, mir war übel, mein Herz schlug wie ein Dampfhammer.
Der Tag war jetzt total im Eimer.
Ich war verwirrt, begriff mein eigenes Handeln nicht mehr, verließ die Hochschule wie auf
der Flucht vor bösen Geistern, die ich geweckt hatte und nun nicht wieder los wurde.
Draußen regnete es, als habe der Himmel eine weitere Trauerperiode beschlossen. Der
Tag war grau und die Luft so bleiern, wie eine alte, verbitterte Frau.
Doch es passte haargenau zu meiner Grundstimmung, denn es erleichterte mir, meine
schlechte Laune, meine Frustration und mein Selbstmitleid auf wunderbare Weise zu
pflegen.
Dabei hatte ich weder um dieses Wetter gebeten, noch hatte mich irgend jemand deswegen befragt.
Ich schlenderte hinunter zur Altstadt, fuhr bei einer Zweigstelle meiner Bank vorbei und
holte den bescheidenen Rest meines Geldes ab, den ich noch besaß.
Danach setzte mich in irgendeine Kneipe und wollte mich besaufen. Doch zum Glück fiel
mir rechtzeitig ein, dass ich dann schlechte Chance besitzen würde, mich und meine "Alte
Lady" wieder nach Oldenburg zurück zu bringen. Eventuell geriet ich auch noch in eine
Verkehrskontrolle. Bei meiner derzeitigen Pechsträhne war das schon fast voraussehbar.
Einen Führerscheinentzug, oder gar eine saftige Geldstrafe konnte ich absolut nicht
riskieren.
Einen Augenblick kam mir wieder der Gedanke in den Kopf mit Katharina zu telefonieren,
eine Aussprache zu suchen, - doch die wahrscheinliche Möglichkeit eine vernichtende
Abfuhr zu erhalten, hielt mich nachhaltig davon ab.
Schließlich ging ich zurück zur Uni, setzte mich auf mein Motorrad, fuhr ziellos eine Weile
durch die Stadt, suchte noch einmal eine Kneipe auf, trank aber Kaffee.
Ich grübelte und rauchte viel zu viele Zigaretten, bis sich ein penetrant pelziger Geschmack
auf meine Zunge gelegt hatte.
Es ging den ganzen Tag so weiter, grübeln, trauern, Zigaretten rauchen, Kaffee trinken.
Am Abend war ich soweit, endlich nach Oldenburg zurückzufahren.
Der Tag erschien mir wie eine erneute Niederlage, ohne einen winzigen Schritt vorwärts
gekommen zu sein, ohne ein einziges Erfolgserlebnis.
Ein restlos vergeudeter Tag.
Es war zum Heulen.
Ich landete schließlich in irgendeiner Kneipe, die ich vorher noch nie besucht hatte, irgendwo in der Nähe vom Pferdemarkt.
Jetzt war es mir egal, ob ich zu viel trank, ob ich besoffen war, ob mir übel wurde.
Mir war überhaupt alles scheißegal.
Der ersten unbekannten Kneipe folgte eine andere, die ich in anderem Zustand niemals
betreten hätte. Nur die Läden, die ich sonst sehr gerne aufsuchte und manche schöne
Stunde verbracht hatte, mied ich jetzt konsequent.
Auch dafür gab ich Katharina die Schuld, dass sie mir meine Kneipen weggenommen hatte.
In Wahrheit aber wollte ich einfach niemandem begegnen, der mich kannte, der mich
womöglich auf Katharina, Rolf oder Maria ansprach.
Meist saß ich allein an einem Tisch in der Ecke, wo ich still vor mich hinsoff, und mir das
leere Hirn zermarterte.
152
Wie war ich bloß in diese beschissene, aussichtslose Lage gekommen?
Eine Erklärung oder Lösung fand ich nicht.
Ich wurde jedoch immer betrunkener, was wenigstens ein kleiner Erfolg meiner Bemühungen war.
Einer meiner erfolgreichen und immer einsatzbereiten Schutzengel schien an diesem
Abend Spätschicht zu haben. Er war wohl beauftragt besonders schützend seine Hand
über mich halten, dass ich trotz regennasser Straßen nicht verunglückte oder gar in eine
Verkehrskontrolle geriet.
Irgendwann vor Mitternacht landete ich dann im "Tiffany", einer Disco, wo auch ab und zu
Freunde von mir verkehrten. Doch selbst die laute und wirklich gute Musik dort konnte mich
nicht erreichen und aufheitern, auch wenn ich mich reichlich angetrunken darum bemühte.
Ich traf ein paar Leute, die ich vom Sehen, aber nicht näher kannte, wurde aber von
niemandem langfristiger in Beschlag genommen.
Irgendein "cooler" abgefuckter Typ versuchte mir Haschisch zu verkaufen. Doch ich war
längst jenseits derartiger Wünsche. So konnten wir nicht ins Geschäft kommen. Er suchte
sich sofort andere potenzielle Kunden.
Ich hingegen suchte das Weite.
Weit nach Mitternacht regnete es noch immer Bindfäden, als ich endlich wieder auf der
Straße war, die glatt wie ein Spiegel im Licht der Laternen glänzte.
Ich fuhr jetzt vorsichtiger, soweit ich das überhaupt noch beurteilen und nachvollziehen
konnte, mied die Hauptstraßen, um nicht doch noch einer Alkoholkontrolle ins Netz zu
gehen.
Irgendwann merkte ich, dass ich in die falsche Richtung fuhr, nicht nach Norden und
Donnerschwee, wo meine Wohnung lag, sondern ins Dobbenviertel. Schon wenig später
stoppte ich vor dem Haus, wo Maria wohnte - und natürlich Katharina.
Der schmutzig graue VW-Käfer war nirgends zu sehen, und hinter den Fenstern brannte
kein Licht, - niemand Zuhause.
"Scheiß-Weiber ...“
Sie waren also tatsächlich ausgegangen, machten sich einen netten Abend, nachdem sie
mich, der nur Probleme in ihre Freundschaft gebracht hatte, endlich wieder losgeworden
waren.
Dass ich ihnen gar keine Gelegenheit geboten hatte, mich zu erreichen, ließ ich getreu
meiner Stimmung unter den Tisch fallen.
Katharina würde es sicher nicht schwer haben, bei ihrem Aussehen einen neuen Verehrer
zu finden. Der würde dann sicher die gleichen Probleme wie ich kriegen, sich damit herumschlagen müssen.
Aber vielleicht holte sie sich auch nur einen für eine Nacht zum Vögeln.
Zornig trat ich nach einer Coladose auf dem Gehsteig, laut scheppernd flog sie auf die
Straße.
Nie hätte ich geglaubt, dass die Wahrheit und eine Trennung so wehtun könnten. Dagegen
war die Trennung von Brigitte ein "Klacks" gewesen.
Beinahe wäre ich vom Motorrad gestürzt, als ich gerade aufsteigen wollte, so unsicher war
ich mittlerweile auf den Beinen. Einen Augenblick schien die Straße ein wenig zu wanken,
begann zu kreisen, bis sie sich wieder beruhigte und mein Kopf für kurze Zeit Klarheit
zurückgewann.
Ich war mir durchaus bewusst, dass ich es war, der schwankte, betrunken und ziemlich am
Ende meines Fassungsvermögens. Mir war kotzübel, und mein malträtierter Magen schien
sich förmlich aus mir heraus stülpen zu wollen. Er war es wohl auch leid mit mir, wollte nur
noch auf die Straße springen, und mit mir möglichst wenig zu tun haben.
153
Aber ich schaffte es schließlich wieder auf die "Alte Lady" zu steigen, und startete mit
aufröhrendem Motor wieder los. Der Regen peitschte gegen mein Helmvisier, aber das war
mir auch längst egal.
Mir war derart übel, dass ich mehrfach auf der Fahrt glaubte, mich im nächsten Augenblick
übergeben zu müssen. Sicherlich hatte ich längst einen Alkoholspiegel erreicht, der alles
andere als gut für mich war. Meine Reflexe ließen viel zu wünschen übrig. Das merkte ich
mehr als deutlich bei einem etwas riskanten Überholmanöver. Für meinen derzeitigen
Zustand fuhr ich viel zu riskant. Mein hart strapazierter Schutzengel hatte einmal mehr alle
Hände voll zu tun, mich vor einem schweren Unfall zu bewahren. Ich konnte die alte BMW
gerade noch abfangen, und schaltete erschrocken runter. Das Getriebe antwortete sofort
mit einem schrillen Kreischen.
Selbst die Fahrbahn zu halten, in meiner Spur zu bleiben, erforderte jetzt allerhöchste
Konzentration. Immerhin verhalf mir der kalte Regen zu einem etwas klareren Kopf, ließ
mich erkennen, wie ich mein Leben auf`s Spiel setzte. Also drosselte ich massiv das
Tempo und versuchte tief durchzuatmen.
Das half mir schon ein wenig weiter, wenigstens für kurze Zeit.
Hinzu kam allerdings, dass ich immer wieder meinte, nicht mehr klar sehen zu können.
Ich war mir sicher, dass das nicht an meinem Promillegehalt liegen konnte.
Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass ich hemmungslos weinte, weinte wie ein
verlassenes, einsames Kind, das am Ende seiner Selbstbeherrschung ist. Bittersalzig
brannten die Tränen auf meinen Lippen, liefen mir über das Gesicht, und zwangen mich
schließlich an der Weser-Ems-Halle zum Anhalten.
Dadurch wurde mir dann auch klar, dass ich seltsam gefahren, und eigentlich schon viel
weiter sein musste. Doch offenbar hatte ich mich einige Zeit mehr oder weniger im Kreis,
immer im selben Stadtviertel bewegt, und dann erst mehr zufällig den Weg auf die Donnerschweer Straße gefunden.
Ich setzte mich auf eine der Bänke im Schatten eines alten Baumes und heulte lange Zeit
vor mich hin.
Es war mir kaum noch möglich mich zu beruhigen.
Alles tat mir weh, innen und außen.
Da kam so viel zusammen, das Verlassensein, die Einsamkeit, meine Wut, und selbst die
feuchte Kälte um mich herum.
Es half, auch wenn ich zweifellos ein erbärmlicher Anblick war.
Es tat gut, die Verkrampfung im Magen endlich zu lösen, meinen Herzschmerz herauszuheulen, wie ein einsamer Wolf. Kein Mensch war auf der Straße, ich konnte Rotz und
Wasser heulen, so laut, wie ich wollte. Niemand störte sich daran.
Wieder einmal hatte ich alles falsch gemacht, alles verspielt, was mir so teuer und wichtig
war.
Da half es wenig zu wissen, dass ich nicht die Hauptschuld daran trug.
Hier ging es ohnehin nicht um Schuldzuweisung, sondern allein um meine Trauer, dass das
alles so kommen musste. Mit jeder Minute ging es mir besser, wurde mein Kopf etwas
freier.
Der niederprasselnde Regen beeindruckte mich nicht die Spur.
Ganz langsam sickerte die Erkenntnis in meinen Kopf, dass ich schlicht völlig überfordert
war mit meiner Beziehung zu dieser blinden Frau, die in vielen Dingen so viel
selbstständiger war, als ich es je sein würde.
Ich war ein Jahr älter als sie, aber sie wirkte wesentlich erwachsener, - wenn sie auch
vielfach infantil unreifes Verhalten an den Tag legte. Eine Beziehung mit ihr, so wurde mir
da im prasselnden Regen klar, konnte ich niemals durchstehen.
Das war viel mehr, als ich zu leisten imstande war, als ich ertragen konnte.
154
Ich mochte starke und intelligente Frauen, die selbstbewusst und stolz ihre eigenen Wege
gingen, eigene Entscheidungen fällten, ein eigenes unabhängiges Leben führten, - ohne
dabei in Feindschaft zu Männern zu wechseln. Ich wollte solche Frauen, suchte sie, - und
ich wollte Katharina.
Aber ich würde keinen Weg zu ihr finden, weil ich nicht die Fähigkeit besaß, so weit über
meinen eigenen Schatten hinauszuwachsen.
Wenn ich nicht mit meinem ganzen Sein an dieser Aufgabe zerbrechen wollte, dann musste ich mich unbedingt von ihr fernhalten. Die Kraft, mich dieser permanenten Auseinandersetzung zu stellen, die besaß ich nicht.
Ich konnte weder Katharinas Launen ertragen, ihr Anderssein, ihre zweifelsfreie Egozentrik,
- und auch nicht ihre Blindheit.
Das war schlicht zu viel verlangt - diese Einsicht kam mir auf der Bank unter dem alten
Baum im prasselnden Regen.
Rolf hatte sich einmal mit mir darüber unterhalten.
Ausgerechnet oder gerade er, der kühle Stratege und Denker, hatte durchschaut, wogegen
ich mich so sehr gewehrt hatte.
Ich erinnerte mich nur zu gut daran. Er sagte mir in diesem Gespräch, dass er meine
Situation gut verstehen und nicht mit mir tauschen wolle. Es müsse ungemein anstrengend
und schwierig sein mit Katharina zu leben, - und wir beide wären ja erst am Anfang.
Blinde, so analysierte er ruhig, lebten nun einmal in einer anderen Welt, die zwar ganz dicht
bei unserer läge, aber trotzdem völlig anders gestaltet. Wir Sehenden könnten niemals
ganz nachvollziehen, wie Blinde handelten und lebten. Ich könne versuchen, was ich wolle.
Richtig hineinversetzen könne ich mich da niemals.
Er verstand, wie stolz Katharina auf ihre Eigenständigkeit war.
Aber sie wäre eben auch auf manchmal sehr nervende Weise äußerst exzentrisch.
Er könne sich zum Beispiel gar nicht vorstellen, mit ihr eine Beziehung aufzunehmen, die
weit über eine platonische Freundschaft hinausging.
"Wenn du wirklich eine gemeinsame Zukunft mit ihr willst“, so meinte er, "oder wenigstens
eine längere Zeit der Gemeinsamkeit ... dann genügt es nicht, voll und aufrichtig zu ihr zu
stehen. Du musst eine Entwicklung mitmachen, die dich Katharina wesentlich ähnlicher
macht, als dir selber. Nur so wirst du verstehen lernen, wie ihre Welt sich von unserer
unterscheidet, ganz besonders in Hinsicht auf eure Interessen, die niemals zusammenlaufen können. Du bist ... oder du willst eines Tages einen visuellen Beruf ergreifen, der viel
mit Sehen zu tun hat. Sie wird dir da nie folgen können, deine Arbeit niemals würdigen
können. Wenn ihr eine gemeinsame Zukunft wollt, dann müsst ihr zusammenwachsen, wie
zwei nicht artverwandte Pflanzen, die nicht gekreuzt werden können, aber ... aber trotzdem
gekreuzt werden müssen, damit ihr gemeinsame Wurzeln bilden könnt, ohne einen wirklich
gemeinsamen Ursprung zu haben."
Seine klare Diagnose hatte mich tief beeindruckt.
"Wenn du dazu nicht den Mut oder die Kraft aufbringst“, fuhr er fort und betonte nahezu
jedes Wort besonders eindringlich, "dich da ganz und gar einbringst ... dich einlässt und
auch ... teilweise selbst sehr weit zurücknimmst ... dich ein großes Stück aufgibst ... dann
hast du verloren, bevor es richtig angefangen hat ... dann ist es aussichtslos ... und nichts,
als ein großer endloser Frust für euch beide ...“
Rolf hatte mich prüfend angesehen und dann hinzugefügt: "Und selbst dann, wenn alles
ideal ausgedacht und geplant ist, dann kannst du immer noch ... noch nicht sagen, ob
Katharina auch bereit dazu sein wird ... ob sie dir folgen wird, ob sie bereit sein wird, auch
für dich ein gutes Stück ihrer Freiheit und Selbständigkeit aufzugeben. Sie muss dir nämlich
auch ... ein gutes Stück der Strecke entgegenzukommen. Ohne dieses ... Verständnis ...
und den Willen zum Kompromiss ... auch von ihrer Seite, wird es nicht gehen ... müsst ihr
scheitern."
155
Er grinste mich breit an und schloss seine Diagnose ab: "Ich gebe durchaus zu, dass sie
eine Frau ist, die verdammt gut aussieht, die jede Sünde und ein bisschen Schmerz wert ist
... aber ... aber pass gut auf, dass du nicht dabei unter die Räder gerätst ...“
Ich glaube, er hatte später noch hinzu gefügt, dass er ein solch anspruchsvolles Verhältnis
mit keiner Frau der Welt eingehen würde und wolle. Er habe dazu einfach keine Lust. Er
zeigte aber immerhin Respekt vor den Menschen, die eine solche ständige Auseinandersetzung mit einer Frau und sich selber in Kauf nähmen. Für seinen Geschmack wäre das
aber nichts.
Für ihn war es wie ein Stichwort zu einem Plädoyer gegen die so viel geschmähte
Zweierkiste.
Ich hatte ihn schon oft darüber philosophieren hören und musste ihm neidlos zugestehen,
dass er es sehr logisch und nachvollziehbar erklären, dass er sehr überzeugend sein
konnte. Ich merkte ihm wieder seine Erfahrung als Mitglied des ASTA und des SHB an, wo
er in ständigen Intervallen politische und gesellschaftliche Themen mit seinen Kommilitonen
und Kommilitoninnen stundenlang diskutierte, bis es keinerlei Zweifel mehr gab, die ausgeräumt werden mussten. Zweifellos besaß Rolf Anführerfähigkeiten, konnte sehr dialektisch
und rhetorisch geschliffen scheinbar schwierige Zusammenhänge erklären.
Für ihn war die „Zweierkiste“ ein Auslaufmodell wie die gesamte kleinbürgerliche Ehe,
während in der nahen Zukunft Männer und Frauen gleichberechtigt wechselnde Partnerschaften ohne das beengende Korsett der Zweierbeziehung führen würden, ohne Eifersucht, aus freier Entscheidung und selbstbestimmtem Willen.
Meine Sehnsucht nach nur einer Partnerschaft musste zwangsläufig immer wieder scheitern, weil ich zu viele Erwartungen auf die Frau meines Begehrens reflektiere und mir und
ihr damit die Auswahlmöglichkeit für eine Entscheidung verbaue. Das hinge aber auch viel
mit den Erfahrungen unserer Kindheit und Jugend zusammen, mit unserer kleinbürgerlichen, spießigen Erziehung, dem Drang zu Haben und Halten, Mehren und Besitzen. Für
ihn waren Partnerschaften, selbst wenn sie noch so intensiv erlebt wurden, immer nur auf
Zeit ausgelegt, bis sich seine Wege wieder von der Frau trennten.
Wenn er sich aber auf eine Frau wie Katharina einlassen würde, so lautete seine nachvollziehbare Logik, dann müsse er viel zu viel von der eigenen Persönlichkeit aufgeben und
sich wieder in diese unerwünschten Abhängigkeiten einer Paarbeziehung begeben, mit all
ihren negativen Defiziten und gesellschaftlichen Verpflichtungen, die letztlich keinen wirklichen Sinn ergaben.
„Wir müssen diese Paarbeziehungen beenden!“ lautete seine Lösung für diese ewigen
kleinlichen Streitereien und Eifersucht. „Alles Paul, alles ist politisch, auch die Beziehung zu
einer Frau, denn sie nimmt unmittelbaren Einfluss auf die gesellschaftlichen Zwänge – und
muss daher in einem umerziehenden gesamtgesellschaftlichen Prozess überwunden werden.“
In der Theorie mochte das alles richtig sein und mehr als einmal war ich genau seiner
Meinung. Doch war ich erst wieder für mich allein, kamen die Zweifel zurück und verfestigten sich zur Gewissheit. Ich wollte keine unverpflichtende Zeitbeziehung, mein Ziel war ein
Mensch, der mit mir sein Leben teilte, monogam und wahrhaftig in allen Lebensbereichen.
Gerade dort unter dem alten Baum im Regen wurde mir nun deutlich, was er damit wirklich
gemeint hatte, als er mich vor der Beziehung zu Katharina warnte.
Nun wusste ich, dass ich dem auch nicht gewachsen war. Der Weg zu dieser Wahrheit war
für mich verdammt bitter gewesen.
Ich wusste nicht, ob ich so etwas noch einmal im Leben versuchen würde, schon gar nicht
mit Katharina. Da half auch nicht die Erkenntnis, dass ich sie liebte, und dass sie mir das
Herz gebrochen hatte.
156
Vielleicht liebte sie mich auf ihre Weise, aber allein der Gedanke, das alles womöglich noch
einmal, und ein oder mehrere Jahre später erneut durchzustehen, war blanker Horror für
mich. Das überstieg bei weitem alles, was ich mir vorstellen wollte.
Ich brachte nicht einmal den Ansatz einer Idee zusammen, wie ich oder andere das wieder
jemals in geordnete Bahnen lenken könnten.
Es war also tatsächlich vorbei - aus und vorbei.
Und schon heulte ich wieder los, und wieder brauchte ich lange Zeit, bis es mir gelang
meine Ruhe wiederzufinden. Ich fürchtete mein kaltes Bett, die unaufgeräumte Wohnung,
die Vergangenheit und die Zukunft und alles, was vielleicht noch auf mich zukommen
mochte.
Ich ahnte, dass ich nie wieder einer Frau wie Katharina begegnen würde, dass ich nie
wieder eine Frau so intensiv begehren würde.
Ganz langsam beruhigte ich mich wieder, gewann so einigermaßen meine Fassung zurück.
So nahm ich dann endlich auch wieder diesen prasselnden Regen wahr, die feuchte Kälte,
die längst tief unter meine nasse Ledercombi gekrochen war, die mich bis auf die Haut
durchnässt hatte, die mich entsetzlich frieren ließ. Das nasse Leder fühlte sich schon jetzt
nicht mehr wie ein Motorradanzug, sondern wie ein zentnerschwerer Lederklumpen an, der
mir auf der Haut klebte.
Noch immer fühlte ich mich zwar verlassen und mit unlösbaren Problemen allein gelassen.
Aber der Gedanke mit Maria in naher Zukunft darüber zu reden, nicht als Vermittlerin,
sondern als Freundin und Ratgeberin, nahm in meinem Kopf langsam feste Gestalt an. Das
wurde zum festen Entschluss, den ich nach einiger Zeit der Ruhe in die Tat umsetzen
wollte.
Wesentlich klarer im Kopf und ein wenig ernüchtert, dafür aber mit vor Kälte steifen Gliedern, setzte ich endlich meine Fahrt fort.
Es dauerte nur noch wenige Minuten, bis ich vor dem Haus stand, wo ich wohnte.
Noch nie war mir der triste Bau so schmucklos grau und hässlich erschienen. Der viele
Regen hatte die Wände dunkler gefärbt, und ließ den ohnehin leicht rissigen Putz jetzt noch
dreckiger erscheinen.
Ein neuer Anstrich, so schoss es mir mal wieder durch den Kopf, hätte hier wahre Wunder
vollbringen können. Doch wenn ich nur einen Gedanken meiner keifigen und geizigen
Vermieterin widmete, dann wusste ich sofort, dass sie das nicht einmal in Erwägung zog,
nicht einmal mit Gebeten dazu zu bewegen sein würde.
Das konnte ich getrost wieder aus meinem Gedächtnis streichen. Die Alte würde sich eher
aus dem Fenster stürzen, als dieses Haus renovieren zu lassen, wie es längst dringend
nötig gewesen wäre.
Viel lieber saß sie wie immer - und auch jetzt - an ihrem Fenster, und war begierig ihre
Mieter auszuspionieren, sie im Auge zu behalten.
Es war jetzt weit nach Mitternacht, und so schob ich meine "Alte Lady", ohne die Alte hinter
der Gardine am Fenster weiter zu beachten, ins Geviert des Hofes, mit seinen ungepflegten
Büschen, den Mülltonnen und dem Gerümpel, das überall herumlag.
Nachdem ich die BMW aufgebockt und mich von ihrem sicheren Stand überzeugt hatte,
deckte ich sie fürsorglich noch mit einer Regenhaube ab, denn noch immer regnete es
ohne jegliche Unterbrechung vom Himmel und verursachte riesige Pfützen, die schon fast
Tümpeln glichen.
Ich zog grummelnd meinen Helm ab, wischte mir Tränen und Regen aus dem Gesicht, warf
einen letzten Blick auf mein Motorrad, und ging dann in Richtung Hauseingang zurück.
In den Taschen suchte ich bereits vorher nach meinen Schlüsseln, als ich plötzlich eine
Bewegung im Dunkel der Türnische wahrnahm.
Ich stockte, versuchte die Dunkelheit zu durchdringen, und glaubte für einen Augenblick ein
sehr spätes Liebespaar beim Knutschen gestört zu haben.
157
Doch im selben Moment ertönte ein leises, aber heftiges Husten, ein Schniefen, als versuche jemand völlig vergeblich, die Nase frei zu bekommen.
"Paul ...?“
Ich hatte gerade mürrisch angesetzt zu fragen, wer da sei, als ich auch schon leise meinen
Namen rufen hörte, - und die Stimme sofort erkannte.
Es war genau die Stimme, die ich seit schier endlosen Tagen gehofft hatte wiederzuhören,
- aber die ich jetzt auf keinen Fall hören wollte, nicht an diesem Ort.
Mir stockte der Atem und ich starrte schreckensstarr zu dem dunklen Hauseingang. Ich
wagte mich nicht zu rühren, aus Angst ich könne auf der Stelle tot umsinken.
War ich etwa einer Halluzination zum Opfer gefallen, die ich vielleicht unter anderen
Umständen herbeigesehnt hätte?
"Paul ...?“ Da war sie wieder, diese Stimme, die ich nur zu gut kannte, und meine Magenschmerzen wieder aufbrechen ließ. "Bist du das ... Paul?"
Es war zwecklos mir einen Irrtum einzureden oder an Wahnvorstellungen zu glauben. So
besoffen kam ich mir gar nicht mehr vor. Aber vielleicht hatte mich diese Stimme auch noch
ein Stück weiter ernüchtert.
Die Hoffnung einer Illusion zerbarst wie eine Seifenblase, als Katharina aus dem Dunkel ins
sehr schwache Licht trat, das von der Straßenlaterne herüber gestrahlt wurde. Sie hielt die
Arme ein wenig vorgestreckt, wie sie das immer tat, wenn sie sich in fremdem Gelände
bewegte, und kam langsam stockend auf mich zu. Zumindest so ungefähr, denn sie versuchte offenbar die Richtung einzuschätzen, wo sie zuletzt meine Schritte gehört haben
mochte.
"Paul ... bist du da ...?“
Sie stockte, als ich nicht antwortete, und wandte erstaunt ihr Gesicht in die andere Richtung, dann zum Hof. Auch von dort konnte sie jedoch kein Geräusch wahrnehmen, sodass
sie sich wieder mir zuwandte.
"Paul ...“, ihre Stimme zitterte so sehr, dass sie ein wenig unverständlich klang, "ich bin es
... Katharina ...“
Ich vermochte ihr nicht zu antworten.
So standen wir uns im strömenden Regen gegenüber, nur ein paar Meter voneinander
entfernt.
Ich schluckte, suchte nach meiner Stimme und nach Worten, glaubte für einen Augenblick
wirklich der Himmel oder die Hölle stürzten über mir ein.
"Was ... was ...“, brachte ich schließlich krächzend und mühsam hervor, "was tust du ... was
machst du hier ...?“
Katharina begann hemmungslos zu weinen, und ich sah, dass sie wieder die Arme nach
mir ausstreckte, einen Schritt auf mich zuging, vorsichtig tastend, um dann doch wieder
verzagt stehen zu bleiben.
Sie weinte noch lauter, und stärker als der Regen ihr Gesicht überschwemmen konnte. Ich
fühlte, wie mich eine gewaltige Welle aus Mitleid und Erschütterung erfasste und mich
stärker schüttelte als die nasse Kälte. Am liebsten wäre ich auf Katharina zugestürmt, um
sie in meine Arme zu schließen, uns gegenseitig Trost und Halt zu geben.
Doch ich konnte mich nicht bewegen.
Sie stand auch nur da, den Kopf gesenkt und schrecklich laut weinend, wie ein Kind. Ihre
Schultern zuckten, ihr ganzer Körper bebte wie im Fieber.
"Ich ... ich hab auf ... auf dich gewartet ...“, würgte sie schließlich schluchzend hervor, "ich
hab so lange ... auf dich gewartet ...“
Mir war, als stürzte ein Zentnergewicht auf meine Brust.
Katharina weinte und weinte und konnte gar nicht mehr aufhören.
Das raubte mir jegliche Fassung, sodass ich selbst gar nicht sofort spürte, wie mir die
Tränen in die Augen schossen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht spre-
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chen, bekam weder einen klaren Gedanken in meinem Kopf zu fassen, noch ein Wort über
die Lippen.
Es schien endlos zu dauern, wie wir uns da im strömenden Regen gegenüber standen, sie weinend - und ich fassungslos.
Meine Bemühungen Worte zu formulieren, erstickten in unartikulierten Lauten auf meinen
Lippen. Regen lief mir über den Nacken in meine Ledercombi, suchte schein-bar auch die
letzten Stellen an mir völlig zu durchnässen.
Katharina hob langsam den Kopf, und in dem schwachen Licht sah ich ihr verheultes,
aufgequollenes Gesicht. Ich sah die Wachsbleiche ihrer Haut, diese unfassbare Traurigkeit,
ihr klatschnasses Haar, das wie ein verfilzter Wischmopp wirr und dicht an ihrem Kopf
klebte.
Sie musste stundenlang hier im Regen auf mich gewartet haben.
"Bitte ...“, flehte sie mit tränenerstickter Stimme, "bitte ... schick mich ... nicht weg ...“
Ich starrte sie an, als habe ich kein einziges Wort verstanden.
Eigentlich hatte ich das ja auch nicht, denn ich fragte mich, wie sie darauf gekommen sein
mochte, dass ich sie in diesem Zustand einfach wieder wegschicken könnte.
Keine Wut, kein Zorn, kein Streit und keine Lüge konnte so schlimm oder groß sein, dass
ich sie bei diesem Wetter einfach so, so völlig durchnässt und durchgefroren auf der Straße
stehenlassen würde.
Doch was sollte ich jetzt sagen?
Was wollte sie von mir hören?
Was konnte ich tun, ohne unseren schlimmen Streit erneut auf großer Flamme zu kochen?
Fieberhaft suchte ich nach einer Möglichkeit, meine Gedanken in einen zusammenhängenden Fluss zu bringen. Ich wollte das auszusprechen, was ich wirklich sagen wollte - und
auch meinte, ohne meine eigene Würde mit Füßen zu treten. Gleichzeitig wollte aber auch
Katharina ihre Würde lassen, sie nicht aus einem dummen und unbedachten Rachegefühl
demütigen.
Es erschien mir unmöglich.
"Warum ...“, Katharinas Stimme klang mehr nach einem erstickten Schluchzen, "warum ...
hast du mich ... nicht angerufen ...?“
Was sollte ich darauf sagen?
Mein erster Impuls riet mir, ihr in aller Heftigkeit vorzuhalten, wie sehr sie mich verletzt und
gedemütigt hatte, dass sie mich belogen habe, dass unsere Liebe völlig aussichtslos sei,
dass es besser wäre, diesem Wahnsinn auf der Stelle ein bitteres Ende zu bereiten.
Ich folgte ihm nicht.
Natürlich hätte ich sie anrufen und versuchen können, unseren heftigen Streit mit einer
Aussprache würdig zu beenden.
Aber wie sollte ich meine Angst vor mir selber, vor einer möglichen Abfuhr, ihrem eskalierenden Temperament und ihren exzentrischen Emotionen, ihren ungerechten Zornesausbrüchen ruhig erklären?
Wie sollte ich ihr erklären, welche Ängste mich quälten, sie - den von mir so geliebten Menschen - endgültig zu verlieren, weil ich diese ungerechten Zornesausbrüche nicht ertragen
konnte?
Wie sollte ich ihr erklären, dass mich genau diese Angst, die Liebe meines Herzens zu
verlieren, bevor sie richtig aufgeblüht war, in den letzten Tagen durch eine Tretmühle des
Horrors getrieben hatte?
Wie sollte ich ihr erklären, dass ich eine so panische Angst vor jeglichem Liebesentzug
hatte, weil mich noch nie im Leben jemand über einen längeren Zeitraum um meiner selbst
willen wirklich geliebt, mir Wärme, Vertrauen und Zärtlichkeit gegeben hatte?
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Wie sollte ich ihr erklären, dass ich deswegen so wenig Vertrauen zu ihr, und unseren
Möglichkeiten des Aushaltens unserer schwierigen Liebe hatte, weil ich noch nie im Leben
einem Menschen wirklich vertraut hatte?
Wie sollte ich ihr das alles zu dieser Stunde, noch halbwegs betrunken und in dieser
furchtbaren Lage logisch, ruhig und gefasst erklären?
Mein ganzes Leben hatte ich bisher nur gekämpft, um ein klein wenig Liebe und Anerkennung.
Immer wieder hatte ich versucht, meinen winzigen Teil vom Lebensglück zu bekommen, zu
behalten - und vielleicht sogar zu vergrößern, - soweit dies überhaupt realistisch denkbar
war.
Ich wollte doch nichts Besonderes, nur einen Menschen, der mich um meiner selbst willen
liebte. Dazu musste er nicht schön, nicht außergewöhnlich sein oder besondere Fähigkeiten besitzen.
Aber Katharina war schön, sie war sinnlich erotisch, sie war ungewöhnlich und besaß
besondere Fähigkeiten. Sie war eine Frau, die ich mir nicht einmal erträumt hatte.
Wie konnte sie voraussetzen, dass ich ihr hinreichend vertraute, wenn sie mich bei der
ersten Gelegenheit gleich belog, mir ihre Liebe und Nähe entzog, - wo ich nicht einmal
meinen besten Freunden vertraut hätte?
Natürlich hatte ich in meinem Leben viel zu wenig positive Erfahrungen mit Vertrauen und
Gegenvertrauen gemacht, um so einen Liebesentzug zu verkraften. So oft durchlitt ich
wieder und wieder tief treffende, enttäuschende Erfahrungen.
Vielleicht war meine Vorstellung von menschlicher Nähe und Geborgenheit völlig irrational,
- aber nur weil ich es von Kindesbeinen an so gelernt hatte.
Katharinas Leben war hart und manchmal auch bitter gewesen, - aber sie bekam wenigstens eine Chance auf Liebe, durch ihre Eltern.
Vielleicht war ich wirklich nicht besonders liebenswert.
Vielleicht besaß ich nicht den Glauben und das Vertrauen, dass mich ein anderer Mensch,
und schon gar nicht eine Frau wie Katharina, nur wegen mir selbst lieben könnte.
Meine Furcht vor Streit und Auseinandersetzung, vor scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten und Problemen in einer Liebesbeziehung, rührten doch nur daher, dass ich schnell
und ständig erwartete, dass mir die entsprechende Person mit großem Vergnügen den
Boden unter den Füßen wegziehen würde, wenn ich absolut nicht damit rechnete.
Wie sollte ich Katharina mit diesem bisherigen Lebenswissen vertrauen, wenn ich ganz
deutlich und sicher spürte, dass sie mich angelogen hatte?
Und wie sollte ich vor allem ihre Launen, ihre spitzzüngige Boshaftigkeit und ihre Zerstörungswut ertragen, die sie immer dann losließ, wenn es nicht so lief, wie sie es wollte?
Aus meinen Erfahrungen wuchs nicht nur meine fast schon verzweifelte Suche nach Liebe
und Zärtlichkeit, nach Harmonie und Nähe. Auch meine ganze Wut und Verzweiflung,
meine Unfähigkeit, Unrecht einfach mal in Kauf zu nehmen, es zu ertragen und bei passender, ruhiger Gelegenheit wieder zu bereinigen.
Ich konnte und wollte Unrecht gegen mich nicht mehr ertragen und akzeptieren. Es
schmerzte wie glühender Stahl in mir, schien meine Eingeweide aus dem Körper zu reißen.
Mein geheimer Wunsch war es mit aller Kraft zurückzuschlagen, anderen auch mal auf die
ganz miese Tour wehzutun, sie in den Tiefen ihrer Seele zu verletzen, ihre Grundfesten
dadurch zu erschüttern.
Dieser Schmerz war es, der mich jetzt mit sich riss, der mich quälte, bis mir die Tränen
erneut in die Augen schossen, und ich schon wieder hemmungslos zu weinen begann.
Denn ich war nun mal kein Mensch, dem es Befriedigung brachte, anderen Menschen
Unrecht zu tun, sie zu verletzen oder gar zu schlagen.
Ich fühlte mich wie das ohnmächtige Opfer, das wieder einmal seine ganzen Vorwürfe still
und leise gedacht, - aber nicht offen ausgesprochen hatte.
160
Aber selbst das wäre mir in diesem Moment egal gewesen, wenn ich nur nicht wieder allein
zurückbleiben musste.
So stand ich da, ließ meinen Helm auf den aufgeweichten Regenboden fallen und weinte
all den Rest von Rotz und Wasser aus mir heraus, den ich in den letzten Jahren aufgespart
hatte, - vielleicht für einen Moment wie diesen.
Katharina stand mir gegenüber, nicht einmal zwei Meter entfernt und weinte genauso
hemmungslos, mit zitternden Gliedern.
Doch sie war es die den ersten Schritt machte.
"Oh ... Paul ... bitte ...“, flehte sie mich an, "bitte ... wein´ doch ... bitte ... nicht ... es war
doch ... doch meine Schuld ... ich mache ... ich mache alles kaputt ...“
Sie sprach das aus, was ich ihr hatte vorwerfen wollen, - und ich hörte es wie durch einen
dichten Nebel.
Ich weiß nicht, was sie letztendlich bewegte, ob es Liebe, Mitleid, Schuldgefühl oder Trauer
war, - oder einfach der tiefe Wunsch nicht länger allein weinend im Regen zu stehen. Sie
stürzte förmlich auf mich zu, riss mich schützend in ihre Arme, hielt mich fest umschlungen
und drückte mich so fest an sich, dass ich kaum noch atmen konnte.
Irgendwie brach das den Bann in mir.
Müde und am Ende meiner Kräfte legte ich nun ebenfalls meine Arme um sie, ließ mich
wortlos gegen sie sinken.
In diesem Augenblick hätte ich meine Seele verkauft, nur damit alles wieder gut würde, nur
damit sie mich wieder liebte.
Triefend vor Nässe standen wir so eng umschlungen da, weinten uns aus und gaben uns
wohl beide unausgesprochen das milde Urteil der Bewährung.
Krampfhaftes Beben riss mich endlich aus dieser erschöpften Schwäche heraus, ließ mich
erkennen, wie durchgefroren nass die Frau in meinen Armen war. Sie hatte keine Kraft
mehr, sich zu beherrschen, ließ ihre Zähne vor lauter Kälte hart aufein-ander schlagen.
Innerlich waren wir jetzt immerhin beide nahezu ausgetrocknet, die Quellen unserer Tränen
weitgehend versiegt.
Doch äußerlich war uns beiden anzusehen, dass wir Stunden im Regen verbracht hatten.
Katharina ganz besonders, weil sie nicht den Luxus einer Ledercombi besaß, sondern in
einem Mantel stundenlang hier draußen vor der Haustür damit verbracht hatte, auf mich zu
warten. Jetzt war sie bis auf die Haut klatschnass und durchgefroren. Sie war am Ende
ihrer Kräfte angelangt und musste dringend ins Trockene, raus aus den durchgeweichten
Klamotten.
Auf eine ganz seltsam unlogische Weise machte mir das schmerzhaft bewusst, dass es um
unsere Liebe noch nicht ganz so schlecht bestellt sein konnte, wenn diese Frau zu so
einem Opfer bereit war, ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit.
Sie war wohl zu allem bereit, wenn es ihr nur gelang, irgendwie unsere kleine Liebe zu
retten, den Streit zu beenden, die Lüge mit der Wahrheit auszutreiben.
Ich aber war selber zu müde und noch zu betrunken, um mich jetzt deswegen zu schämen
oder glücklich darüber zu sein.
Immerhin war Katharina zu mir gekommen, weil ich den Weg zu ihr nicht mehr gefunden
hatte.
Sie machte den ersten Schritt auf mich zu, weil ich dazu nicht fähig war, weil sie aber auch
einen großen Teil der Schuld bei sich wusste. Sie ahnte schon damals, dass ich große
Probleme damit hatte, einmal ohne Angst über meinen eigenen Schatten zu springen.
Und sie war konsequent darin, gewiss der Tatsache, dass sie nicht richtig gehandelt und
einen schlimmen Fehler gemacht hatte.
Also war sie mir bis zu den letzten zwei Schritten vor der Haustür entgegen gekommen.
Wir hätten wahrscheinlich noch eine ganze Weile weinend vor dieser Tür gestanden, wenn
Katharina nicht so erbärmlich gefroren und gezittert hätte.
161
Aber so kam das Chaos in meinem Kopf plötzlich wieder in überschaubare Bahnen,
erreichte ich so etwas wie Klarheit, konnte ich wieder unmittelbare Wahrnehmungen um
mich herum registrieren.
Die Erste war der kalte Regen in maßloser Fülle.
Die Zweite, dass Katharina von kräftigen Kälteschauern durchgeschüttelt wurde.
Ich erschrak, weil mir plötzlich bewusst wurde, wie sehr sie frieren musste, wie ihre letzten
Kräfte zusammenbrachen.
Schnell hätte ich es auch nicht mehr geschafft, sie ein Stück von mir wegzuschieben. Aber
es gelang mir ein wenig mühselig ihre Arme von mir zu lösen, obwohl sie alles versuchte,
um sich an mir festzuklammern. So ganz bekam sie wohl nicht mehr mit, was um sie herum
vorging. Oder sie hatte immer noch ein wenig Angst, ich könnte sie wegschicken, - dann
wäre sie wahrscheinlich bereit gewesen, noch ein paar Stunden im strömenden Regen zu
verbringen.
Ich atmete ein paar Mal tief durch, um richtig Luft zu bekommen, schluckte und konnte
dann endlich wieder sprechen.
"Ich liebe dich so sehr ...“
Obwohl meine Stimme sicher ein wenig fremd und enorm leise geklungen haben musste,
verstand Katharina trotz ihres schlechten Zustand jeden einzelnen Laut offenbar ganz
genau.
Um uns prasselte unablässig der Regen, flutete über unsere Köpfe, rann uns in alle Öffnungen und Ritzen unserer Kleidung, - doch Katharina fing ungeachtet dessen erneut heftig
an zu weinen.
Ich nahm sie wieder in den Arm und spürte im selben Augenblick wieder, wie sie nicht nur
von emotionalen Erschütterungen durchgeschüttelt wurde, sondern vor allem vor Kälte und
Nässe am ganzen Leib zitterte. Sie schien zudem völlig unfähig, ihren Tränenfluss zu
stoppen, ihre aufgewühlten Gefühle halbwegs unter Kontrolle zu bringen.
Wieder schob ich sie sanft von mir weg, strich ihr mit aller Zärtlichkeit, zu der ich bei
meinen kalten Fingern und meinem Frieren überhaupt in der Lage war, die Regentropfen
und die Tränen aus dem überfluteten Gesicht, - eine unendliche Aufgabe.
Daher küsste ich sie gänzlich überraschend auf ihre blinden Augen, sodass sie heftig
erschrak, zwischen Weinen und Lachen schwankte.
"Wenn wir hier ... noch lange stehen“, brachte ich leise und mühsam hervor, vorsichtig
meine eigenen Gefühlswallungen unter Kontrolle haltend, "dann ... dann haben wir beide
morgen eine ... Lungenentzündung ...“
Katharina versuchte zu lachen, aber sie brachte nur ein heiseres Husten hervor, konnte
sich immer noch nicht entscheiden, ob sie weinen oder lachen sollte. Dann wurde sie
erneut von einem besonders heftigen Kälteschauer geschüttelt, dass ihre Zähne laut
klapperten.
Das gab den Ausschlag für mich endlich die Initiative zu ergreifen.
Katharina wollte sich wieder an mich schmiegen, doch ich schob sie energisch weg, löste
sie von mir, hob ächzend meinen Helm auf, und ging entschlossen mit ihr auf die Haustür
zu. Dort nutzte ich endlich meinen Schlüssel, und brachte uns beide erst einmal aus dem
Regen heraus.
Im Licht der Flurbeleuchtung sah ich dann, dass meine schlimmsten Befürchtungen über
Katharinas Zustand bei Weitem übertroffen wurden. Sie bebte am ganzen Körper, konnte
sich vor totaler Erschöpfung kaum auf den Beinen halten. Zwar hatte sie sich halbwegs
warm und wetterfest angezogen, aber nach stundenlangem Regen war an ihrem Popelinemantel kein einziger Faden mehr trocken, nicht einmal innen. Er sah aus wie feuchter
Lehm, und die Jeans an ihren Beinen schien nicht mehr als ein nasser Putzlappen zu sein,
der ihre zitternden Beine einhüllte. Ihre flachen Halbschuhe waren ebenfalls völlig durchgeweicht, schmutzig von Regen und Schlamm.
162
Ich hoffte inständig, dass auch ihre emotionale Lage ein Teil dieses Zitterns verursachen
mochte.
Zwar sah ich auch nicht viel besser aus, aber wenigstens hielten meine Ledercombi und die
Stiefel eine geringe Restwärme im Körper. Da konnten sie sich noch so sehr mit Wasser
vollgesogen haben.
Wir sahen beide ziemlich schrecklich aus.
Doch noch stärker als diese Erkenntnis war das wachsende Glücksgefühl, das mich durchströmte. Dieses Gefühl seliger Freude ließ eine Welle von Wärme durch meinen Körper
fluten.
Katharina war zu mir zurück gekommen, war in meiner Nähe.
Da sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich diese Chance nicht ergriffen und sie
einfach wieder weggeschickt hätte.
Wenn überhaupt, dann war das unsere große Chance, vielleicht doch alles wieder in Ordnung zu bringen.
Vielleicht gab es also doch eine Zukunft für uns.
Meine klare Entscheidung vor einigen Minuten warf ich bedenkenlos über Bord, als habe
sie nie eine wirklich Bedeutung besessen.
Diese kleine Hoffnung machte mich wahnsinnig glücklich.
Ich legte ihre Hand sicher auf das Treppengeländer und sagte ihr, dass wir 4 Etagen hoch
müssten, weil ich direkt unter dem Dach wohnte.
So rasch es eben nur ging, also in Wirklichkeit im Schneckentempo, stolperten wir nach
oben, eine dicke Wasserspur hinter uns lassend.
Kaum in der Wohnung schaltete ich sofort die alte Gasheizung auf volle Leistung, rannte
ins Badezimmer und drehte heißes Wasser für die Wanne auf.
Ich betete inständig, dass Katharina sich nicht wirklich eine fürchterliche Erkältung eingefangen haben mochte. Sie sollte sofort ein heißes Bad nehmen, um dem so gut wie nur
möglich vorzubeugen. Eine halbe Flasche Rosmarin und Erkältungs-Bade-Zusatz sollten
diese Möglichkeit weiter eingrenzen.
Innerhalb von Sekunden breitete sich der intensive Duft im ganzen Badezimmer aus.
Als ich aus dem Bad kam, wo das Wasser in die Wanne rauschte, stand Katharina immer
noch an der gleichen Stelle bei der Türschwelle, wo ich sie zurückgelassen hatte und tropfte den Boden voll.
Ich forderte sie auf sofort aus den nassen Klamotten auszusteigen, sich ins Wohnzimmer
vor die Heizung zu setzen. Ich würde ihr gleich etwas Warmes zum Anziehen bringen.
"Das ... das kann ich nicht ...“, entgegnete sie mit zitternder Stimme und hielt sich am
Türrahmen fest, um vor heftigem Zittern nicht wegzukippen, "ich war ... noch nie hier ...“
Sie wischte sich mit der anderen Hand über das kältebleiche Gesicht, als hoffte sie,
dadurch vielleicht eine Winzigkeit Wärmegefühl auf ihre Haut zu bringen.
Ihr Anblick war wirklich erbärmlich, wie ein halb ersoffener Hund, der da in meiner kleinen
Diele stand.
Es war mir schrecklich peinlich, nicht daran gedacht zu haben. Besonders, da es ihr aus
mir bekannten und naheliegenden Gründen enorm schwer fiel, sich in fremdem Terrain
zurechtzufinden.
Mir selbst vergebend und etwas ungeschickt, führte ich sie dann in mein kleines
Wohnzimmer und drängte sie, sofort aus den nassen Sachen herauskommen.
"Mir ... mir ist zu ... kalt ...“
"Ich bring´ dir was Warmes ... einen Pullover von mir ... und eine Hose ...“
"Gut ... aber bitte ... bevor ich ... ausgezogen bin ...“, sie schaffte es nicht einmal einen
Knopf ihres Mantels zu öffnen, so zitterten ihre Finger.
Ich half ihr, schälte sie aus dem klatschnassen Mantel, fand darunter eine ebenso nasse
Jacke und ein Hemd, triefend vor Wasser. Als ich die schon etwas aufgedunsene, leicht
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schrumpelige und wachsbleiche Haut unter dem nassen Stoff sah, befürchtete ich erneut
das Schlimmste.
Doch Katharina riss auf einmal die Hand vor den Mund und schrie leise auf.
"Mein ... mein Stock ... mein Blinden ... Stock ...“
Sie hatte ihn vor der Haustür vergessen, ich lief runter und holte ihn.
Als ich das Zimmer wieder betrat, saß sie noch immer auf dem Stuhl vor dem Tisch, hatte
sich nicht weiter ausgezogen, weinte aber dafür herzzerreißend, den Kopf auf die Arme
gelegt. Ich ging sofort zu ihr, versuchte sie zu beruhigen, doch das war völlig aussichtslos.
Es wurde eher noch schlimmer.
Also redete ich auf sie ein, dass sie aus den nassen Sachen raus müsse, dass doch alles
wieder gut würde, obwohl ich selbst noch nicht wirklich davon überzeugt war. Ich sagte ihr
trotzdem, dass es jetzt doch keinen Grund mehr zum Weinen gäbe, - doch keines meiner
Worte schien sie zu erreichen.
Ihr Tränenfluss war nicht zu stoppen, sie weinte im Gegenteil nur noch heftiger.
Panik begann in mir aufzusteigen.
Das war mir zwar nicht unvertraut, dass ich bei schwierigen Situationen in Panik geriet, aber ich fühlte mich völlig hilflos ausgeliefert. Ich hatte Angst, dass sie womöglich einen
Weinkrampf bekam und gar nicht mehr aufhören würde.
Vielleicht würde sie auch wieder hysterisch und durchdrehen, ausflippen, bis ich vielleicht
selber die Nerven verlor.
Dabei musste ich mich schon jetzt eisern zusammenreißen, um diese aufsteigenden
eigenen Ängste niederzuhalten, nicht kopflos und falsch zu reagieren. Ich wusste schließlich nur zu gut, dass ich dieses haltlose Weinen und diesen Tränenfluss nicht lange würde
ertragen können, ohne die Nerven zu verlieren.
Ich nahm Katharina in die Arme, nicht zuletzt, um mich selber zu beruhigen und irgendetwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte.
Außerdem versuchte ich sie wieder aus ihren nassen Klamotten herauszubekommen. Denn
ich wollte absolut nicht, dass sie sich schrecklich erkältete, vielleicht sogar ins Krankenhaus
musste.
"Hör doch ... bitte ... bitte auf zu weinen“, flehte ich sie an, und drückte sie wieder fest an
mich, strich ihr mit den Händen über den nassen Rücken und das Haar.
Doch sie fror nur noch entsetzlicher in meinen Armen, zitterte ununterbrochen in einem
beängstigenden Ausmaß.
Mir wurde klar, dass ich irgend etwas unternehmen und sie warm kriegen musste.
Nur fiel mir kein vernünftiger Weg dazu mehr ein.
Ich war am Rande der Verzweiflung, uns so gingen mir ganz plötzlich die Nerven durch.
"Hör auf ... zu heulen!“ schrie ich Katharina heftig an, "verdammt nochmal ...!“
Der Erfolg meiner lauten Stimme verblüffte mich selber, wenn auch nur ein paar Sekunden
lang.
Sie hielt sofort inne, schnappte nach Luft und schniefte nur noch. Mit einer Ungläubigkeit,
die mich ganz seltsam anrührte, hatte sie meinen Ausbruch nicht nur zur Kenntnis
genommen, sondern sie wandte mir mit einer Mischung aus Schreck und Respekt in voller
Aufmerksamkeit ihr Gesicht zu.
Sofort versuchte ich mit einer Geistesgegenwärtigkeit, die mich selbst in Erstaunen
versetzte, ihr augenblickliches Schweigen zu nutzen, und mich für meine Heftigkeit zu
entschuldigen.
"Tut mir leid“, ich meinte es wirklich ehrlich, was ich da sagte, "aber ich bin selber ... völlig
fertig ... und deine Heulerei geht mir ... mächtig auf die Nerven. Das ist mehr, als ich im
Moment verkraften kann ...“
Katharina biss sich heftig auf die Unterlippe, versuchte angestrengt ein weiteres Weinen zu
verhindern, und ihre emotionale Erschöpfung unter akzeptable Kontrolle zu bringen. Sie
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senkte beschämt den Kopf, löste sich von mir und suchte nach einem Taschentuch. Doch
was da bei ihr aus der Manteltasche herauszufischen war, konnte bestenfalls noch als
Zellstoff-Abfall bezeichnet werden.
Ich holte ihr ein neues, trockenes Paket aus dem Bad, ließ sie erst einmal ausschnauben,
die Tränen trocknen, und ihre Fassung wiedergewinnen.
Die Heizung wärmte bereits deutlich spürbar die Wohnung auf, während aus dem Bad das
gleichmäßige Gluckern des Badewassers herübertönte.
Geduldig ließ ich Katharina Zeit und es schien mir, dass sie den Kampf gegen ihre Tränenflut tatsächlich zu gewinnen schien. Sie wurde wieder ruhiger und fasste sich.
Ich strich ihr übers Haar, versuchte ihr zusätzlich Nähe und Sicherheit zu geben, soweit mir
das nur möglich war.
Noch einmal putzte sie sich geräuschvoll die Nase, schnaubte wie ein Nilpferd, mit
röchelndem Husten untermalt.
"Scheiße ...“, brach es dann leise aus ihr heraus, "ich ... ich ... es tut mir so leid ... Ich
benehme mich ... unmöglich ...“
Schlagartig rückte die Auseinandersetzung zwischen uns wieder in mein Bewusstsein.
Zwar war ich mir nicht sicher, welchen Teil ihres Benehmens sie gemeint hatte, - aber für
mich war die Assoziation ganz klar auf den Samstag gerichtet, den wir uns gegenseitig auf
so unwürdige und schreckliche Weise verdorben hatten.
Am liebsten hatte ich diesen Tag rückgängig und ungeschehen gemacht, ihn vollkommen
aus unser beider Gedächtnis gestrichen. Die ganze Sache war so unselig, dass es mir als
die beste Lösung überhaupt erschien.
Aber ich wusste auch, dass es keinen anderen Weg geben würde, als in absehbarer Zeit
darüber offen und ruhig zu reden, - aber nicht gerade jetzt.
Doch ich sagte davon kein Wort, sondern wies Katharina noch einmal eindringlich daraufhin, dass sie aus ihren nassen Kleidern raus müsse, - und dies so schnell wie möglich.
"Es tut mir so leid“, flüsterte sie nur wieder, ohne auch nur ansatzweise auf meine Vorhaltungen einzugehen und beharrte auf ihrer Entschuldigung, "ich habe dich ... ich habe mich
dir gegenüber wirklich ... unmöglich benommen ..."
Ich versuchte meinen Worten jegliche Schärfe zu nehmen, als ich ihr bestätigte, dass sie
sich tatsächlich wie eine neurotische Tyrannin benommen habe, dass sie egozentrisch auf
meinen Nerven herumtrample, dass sie unsere noch sehr instabile und brüchige Gemeinschaft gefährde, - und mir ein beschissenes Wochenende beschert habe.
Unter jedem meiner Worte zuckte Katharina wie unter einem Peitschenhieb zusammen,
wurde fast noch blasser als zuvor. Wieder biss sie sich heftig zitternd auf die Unterlippe,
senkte den Kopf vor meinen Blicken und knetete nervös ihre kalten Finger.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich nicht weiter gesprochen hätte. Aber je
länger ich meine Gefühle offenbarte, um so leichter wurde mir. Meine wütende Anspannung
wich einer bis dahin nie gekannten Offenheit.
Ohne falsche Rücksicht konnte ich dieser Frau endlich sagen, was und wie ich mich fühlte,
dass ich ihr Benehmen in diesem Streit, ihrer unkontrollierten Lust an der Eskalation, in
direkten Zusammenhang mit dem fremden Mann am Baggerloch gebracht hatte.
Ich merkte dabei gar nicht, dass Katharina gerade bei diesem Rückschluss sehr heftig
zusammenzuckte. Blasser werden konnte sie ohnehin nicht mehr. Mein Ziel war mich von
diesem enormen Druck zu befreien, der auf mir lastete.
Es war, als würde Katharina mit jedem Wort, dass ich aussprach, von gezielten Hieben
getroffen.
"Hör auf ... bitte ... hör auf ...“, unterbrach sie schließlich meine Worte, und wandte mir
wieder ihr Gesicht zu, das nur allzu deutlich von ihrer Scham und Qual erzählte, „... ich
wollte ... das wirklich nicht ...“
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Ich hielt unvermittelt inne, sah sie nur an, und erkannte voller Schrecken, dass ich ihren
klatschnassen und durchgefrorenen Zustand völlig vergessen und nur an meine getreten
Gefühle gedacht hatte.
Doch Katharina wehrte schlapp meine Versuche ab, sie endlich in die Badewanne zu
drängen, damit sie sich nicht erkältete.
Ihr Gesicht war wie eine Grimasse aus Scham und Angst.
"Ich ... ich kenne diesen ... diesen Mann tatsächlich“, gestand sie mir leise flüsternd, "ich ...
ich glaube es wenigstens, denn ... denn ich konnte ihn ja nicht sehen ...“
Mir war, als habe mich ein Tiefschlag in die Magengrube getroffen.
Ich erwartete regelrecht, dass mir das Herz stehenblieb, dass mein Atem versagte, und
glühendes Eisen durch meine Adern floss. Nur eine Sekunde lang hegte ich die irre
Hoffnung, dass ich mich vielleicht verhört, Katharina mit ihrer brüchig leisen Stimme falsch
verstanden hatte.
So starrte ich sie an - und begrub diese winzige Hoffnung wieder.
Dieses Mal hatte sie offensichtlich die nackte Wahrheit gesagt.
Katharina nickte mir leise zu und wurde noch blasser als zuvor, ihre Gesichtszüge wie aus
Granit gemeißelt. Sie zitterte am ganzen Körper, und das war keine Folge ihres erbärmlichen Zustandes.
Sie hatte sofort ganz genau gespürt, was in mir vorging.
"Ja ... ja“, jedes einzelne Wort von ihr schien nicht nur für mich eine einzige Quälerei zu
sein, "ja ... ich kenne ihn ... wahrscheinlich, ich kenne ihn nur zu gut ... Er ist ein widerliches
... Schwein ...“
Sie begann wieder zu weinen und diesmal war ich einfach unfähig, sie zu trösten, sie
beruhigend in den Arm zu nehmen. Allein an meinen zitternden Händen schon konnte ich
sehen, wie hart mich ihre Worte getroffen hatten. Polarische Eiseskälte durchflutete mich in
einer endlosen Welle.
"Du kennst ihn ... also ...?“
Unter heftigem Schluchzen nickte Katharina erneut, versuchte vergeblich einen neuen
Weinanfall zu unterdrücken. Sie nahm sich ein paar Taschentücher und putzte sich die
Nase. Doch wurde sie sofort wieder von neuen Tränen überwältigt.
Laut weinend barg sie den Kopf in den Armen, kauerte sich wie ein waidwundes Tier am
Tisch zusammen.
"Wie ... ich meine ... woher?“
Meine eigene Stimme erschien mir völlig fremd, bitter und belegt.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe Katharina, unterbrochen von ständigem Weinen, zu
sprechen versuchte.
Doch ich verstand von dem Gestammel kein einziges Wort.
Jetzt war sie offenbar völlig am Ende ihres letzten Quäntchens Selbstbeherrschung.
Und ich saß da, und hatte das Gefühl eine heiße Welle aus Zorn in mir hochschießen zu
spüren.
Sie hatte mich angelogen - und ich hatte recht gehabt.
Wie weh das tat!
"Hör auf zu heulen!“ herrschte ich sie wütend an, obwohl ich nicht sicher war, wem
eigentlich meine Wut genau galt und warum. Ich versuchte um jeden Preis nicht
auszuflippen, mich zu beruhigen und atmete tief durch.
Doch dieses Mal klappte es nicht so gut wie beim letzten Versuch.
Katharina hob nur ihr tränennasses Gesicht, betroffen von meiner überreizten und harten
Reaktion. Ihre Augen waren völlig verquollen und rot, die Nasenflügel bebten und ihre
Lippen zitterten.
Das alles hätte mich warnen und meinen aufflammenden Zorn dämpfen, mich vielleicht
rationaler und überlegter an meine Worte herangehen lassen müssen.
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Doch, als wollte ich mich selbst quälen und bestrafen, ging mein entflammter Zorn unkontrolliert eigene Wege.
"Woher kennst du ihn? Warum hast du mich angelogen?“
Jedes meiner Worte war eine Ohrfeige für Katharina. Denn ich war mir nicht einmal sicher,
ob ich überhaupt eine Antwort hören wollte, - und deshalb prasselten meine Fragen regelrecht auf sie herab, ohne ihr eine Pause für eine Antwort zu lassen.
Das war zu viel für sie.
Denn sie brach nur um so heftiger in Tränen aus, schluchzte lautstark auf.
"Hör auf zu heulen!“
Ich wurde so heftig laut, dass man mich wahrscheinlich im ganzen Haus hören konnte.
Doch es tat erstaunlicherweise seine Wirkung, brachte den Tränenfluss erneut schlagartig
zum Versiegen. Katharina presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Sie
schien über meine Heftigkeit völlig schockiert zu sein - und ich war es nicht minder.
Keine Ahnung, wie sie sich dieses Wiedersehen vorgestellt, wie sie die Aussprache durchführen und gestalten wollte.
Doch so hatte sie sich das wohl kaum vorgestellt. Ein wenig mehr Nachsicht und Einfühlungsvermögen hatte sie sicher von mir erwartet.
Aber in dem Gesicht, dass sie mir jetzt wieder aufmerksam zugewandt hatte, mischten sich
nicht nur Scham und Trauer, sondern auch maximale Konzentration, soweit sie das realisieren konnte.
Durch ihren ganzen Emotionssturm versuchte sie wohl meine nächste Reaktion einzuschätzen.
Mit so einem Wutausbruch hatte sie offenbar keinesfalls gerechnet.
"Es tut mir leid ... es tut mir so leid“, versuchte sie erneut eine Entschuldigung anzubringen,
um mich wieder zu besänftigen.
Doch ich schnitt ihr einfach das Wort ab, ehe sie fortfahren konnte. Ich war wütend, wirklich
wütend, - am meisten auf mich selbst.
"Ach ... hör auf ...“
"Es tut mir wirklich ... leid ...“
"Ein bisschen spät ...“, ich wollte sie treffen, ihr weitere Schmerzen bereiten, denn sie sollte
ruhig ein bisschen mehr leiden. Ich merkte nicht einmal, dass es das gleiche Spiel war,
dass wir schon in Marias Wohnung gespielt und verloren hatten, - der gefährliche Tanz am
Rand der Klippe.
"Ich wollte dich nicht verletzen ...“
"Und warum tust du`s dann?!“
"Schrei mich nicht so an!“ Jetzt war sie es, die immer lauter wurde, was mich eigentlich
hätte warnen sollen, "du hast kein Recht ... mich so anzuschreien ..."
Katharina wischte sich unter sichtlichen Seelenqualen die Tränen aus dem Gesicht.
"Ich ... ich habe dich nicht ... verletzen wollen ...“, beteuerte sie wieder wesentlich ruhiger,
"gib mir doch ... wenigstens eine Chance, mich ... zu entschuldigen. Lass mich hier nicht so
hängen, das ist nicht fair ...“
"Du sprichst von Fairness?"
"Ja ... ich erwarte Fairness“, Katharina wandte ihr Gesicht ab, damit ich ihre erneuten
Tränen nicht sehen konnte, "wenn ich dir ... wenn du mich ... auch nur ein wenig ... liebst,
dann ... habe ich eine ehrliche Chance verdient ...“
"Ah ja ... du bist unmöglich ...!“
"Das habe ich auch nie bestritten“, jetzt fing sie an zurück zu fighten, wollte sich auf keinen
Fall kalt abweisen lassen, "ich weiß ... dass ich ... manchmal ziemlich überdreht bin ... dass
ich schrecklich verletzende ... Worte sage ... und auch ... dass ich mich unmöglich benehme ...“
"Hör auf mit deinem ... deinen Zugeständnissen ...! Das ist lächerlich ...“
167
Ich sprang so wütend von meinem Stuhl hoch, dass er beinahe umgestürzt wäre, - und
kehrte Katharina den Rücken zu, als könne ich sie mit Nichtbeachtung strafen, ihre
Anwesenheit irgendwie reduzieren oder rückgängig machen.
Hinter mir hörte ich sie wütend mit der flachen Hand auf den Tisch schlagen, denn sie
erkannte natürlich, was ich da tat, und stampfte zornentbrannt mit dem Fuß auf.
"Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!“ Schrie sie mit mühsam unterdrückter Wut,
"was verlangst du denn noch von mir? Soll ich mich ... selbst verleugnen?“ Sie wischte die
eigenen Worte gleich wieder mit einer Handbewegung aus dem Raum, und setzte neu an.
"So hab ich das nicht gemeint ... das war das falsche Wort. Aber ... aber was verlangst du
von mir ... damit du mir ... wenigstens zuhörst? Soll ich mich vor dir demütigen, damit du dir
meine Entschuldigung anhörst? Na los, ... komm ... sag schon ... was soll ich tun ... soll ich
vor dir auf die Knie fallen ... soll ich auf dem Bauch kriechen, damit du mir zuhörst ...?“
Schon bei den ersten Worten von ihr hatte ich mich wieder mit einer Mischung aus
Empörung, Staunen und Betroffenheit wieder zu ihr umgedreht. Ich begriff schlagartig, dass
ich auf dem besten Weg war, die angestrebten Versöhnungschancen mit einem Schlag
zunichte zu machen.
Keine Frage, sie war gekommen, um sich zu entschuldigen, um den ersten Schritt auf mich
zuzugehen, eine neue Basis zu schaffen, - aber nicht um zu Kreuze zu kriechen, um ganz
kleine Brötchen zu backen.
Ich begann zu verstehen, dass ich ihr genau in diesem Moment das gleiche Unrecht
zufügte, dass sie mir angetan hatte, - ohne dass ich bisher die Gründe dafür kannte.
Entweder ich hörte ihr nicht zu, oder ich wollte ihr nicht zuhören, mit der herablassenden
Arroganz eines Menschen, der das Ende einer schlimmen Zeit eigentlich gar nicht will.
Hatte ich wirklich nichts Besseres zu tun, als mich vor sie hinzustellen, sie anzuschreien
und ihr nicht eine Minute zuzuhören?
Zwar fühlte ich diese Wut noch immer wie einen wilden Stier in mir wüten, aber es gelang
mir ihn niederzukämpfen, - und Katharina endlich mal einen zusammenhängenden Satz zu
Ende sagen zu lassen.
Ich atmete also tief durch, und setzte mich ihr wieder gegenüber, immer noch nervös und
aggressiv gegen mein Hosenbein trommelnd.
"Danke“, war ihr einziger Kommentar dazu, und ich konnte nicht überhören, dass da eine
gewisse Schärfe in der Stimme bei diesem einen Wort lag. Aber das wurde ihr scheinbar
auch im selben Moment klar, während sie meine spürbare Unruhe einfach überging.
"Danke ...“, wiederholte sie wesentlich milder, "ich wollte dir nur sagen, dass ich nichts von
alledem wollte ... was zwischen uns an Scheiße ... so alles passiert ist ... und ... und dass
es mir sehr leid tut ... wirklich sehr, sehr leid."
Sie ahnte meine bereits aufkommende heftige Erwiderung, und hielt sie mit einer schnellen
und knappen Handbewegung bittend auf.
"Ich will mich nicht ... leichtfertig aus der Affäre ziehen“, es war fast schon bewundernswert,
wie tapfer sie mit den Tränen kämpfte und vorläufig auch gewann, "das alles ist ... wirklich
nicht leicht ... für mich. Maria und ich ... hatten deswegen schon eine schlimme Auseinandersetzung. Sie hat mich ziemlich angeschissen. Das brauche ich ... wirklich nicht mehr ...“
"Maria ...?“ Ich glaubte mich verhört zu haben.
"Ja ... ja ... Maria ...“
"Was ... wieso ... warum hattet ihr Streit?“
"Wir hatten keinen Streit“, Katharina schüttelte den Kopf und grinste beinahe unter Tränen,
"sie ... sie hat mich nur gefragt, was ich eigentlich will ... einen netten Mann, oder ... jemand
auf dem ich ... rumtrampeln kann ...“
"Was?"
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"Ja ...“, es war ihr sichtlich unangenehm, sich daran zu erinnern, "sie hat ... mich eine
Idiotin ... genannt ... und eine ... blöde Ziege, die nichts anderes tut, als ... dich aus meinem
Leben ... möglichst ... schnell wieder zu vertreiben ...“
"Ihr habt euch gestritten ... wegen mir ...?“
"Ja ... sie ... sie ... war stinksauer ...“
Maria hatte sich für mich eingesetzt, Katharina den Kopf gewaschen, ihr sogar Vorhaltungen gemacht und sie mit ein paar wenig freundlichen Schimpfworten angebrüllt.
Da Katharina wahrscheinlich nicht alles wiederholen wollte und würde, was zwischen ihnen
gesagt wurde, konnte ich mir nur vorstellen, wie Maria ihr einige unangenehme Wahrheiten
gesagt hatte.
"Sie ... sie hat mich ... auch angebrüllt“, gab Katharina noch kleinlaut preis, "und sie ... sie
hat gesagt, dass du ihr Freund ... ihr Freund bist, und dass sie nicht zulassen wird, dass ich
... dass ich diese Freundschaft durch meine ... meine Dummheit gefährde ...“, sie begann
wieder leise zu weinen, "ja ... ja, ich habe dumm gehandelt, dass weiß ich doch selber ...
Glaubst du etwa, ich ... ich wäre hier, wenn ich das nicht selbst wüsste." Katharinas Stimme
wurde fast zu einem Flehen, als sie nach einem kurzen Schniefen fortfuhr: "Aber sie hat
auch gesagt, dass du ... dass du mir zuhören würdest. Ach, Paul ... ich weiß doch selber,
dass ich Scheiße ... gebaut hab. Ich hab mich beschissen benommen, ich hab dir keine
Chance gelassen ... ich hätte dir alles sagen sollen ... aber ich konnte es nicht ...“
"Das kannst du wohl sagen“, fuhr ich ihr wieder heftig in die Rede, denn ich wurde den
Verdacht nicht los, dass sie auf dem besten Wege war, mir ein Schuldgefühl zuzuschieben,
und da wollte ich mich lieber präventiv verteidigen.
Sie aber zuckte wieder wie unter einem Hieb zusammen.
Ich musste mir fest auf die Zunge beißen und die Lippen zusammen pressen, um nicht
loszutoben wie ein Vollidiot, der sich profilieren will.
Katharina tastete vorsichtig nach meiner Hand, brauchte einmal mehr das körperliche
Gefühl meiner Anwesenheit.
"Hör mir doch bitte zu“, verlangte sie flehend und ließ dann meine Hand wieder los, "Gib
mir doch bitte eine Chance, alles zu erklären. Ich weiß doch selber ... dass ich feige war ...
Machst du ... immer alles richtig?“
Damit hatte sie auf jeden Fall einen Volltreffer erzielt, und einen wunden Punkt bei mir
berührt. Mir fiel nichts dazu ein, wie ich dieses Argument widerlegen sollte.
"Das am ... Abend ... hatte nichts ... nichts mit Bernd zu tun“, versicherte sie mir leise und
nannte damit zum ersten Mal den Namen des Mannes vom Baggerloch, von dem sie glaubte, ihn zu kennen.
Damit gab sie mir ungewollt einen Zündfunken für eine neue Welle aufflammenden Zorns,
den ich nur mühsam zurückhalten konnte.
Katharina hatte jedoch meine lautlose Reaktion bereits bemerkt und begann wieder zu
weinen, als wisse sie, dass ohnehin längst alles verloren war.
"Ich war ... war völlig ... fertig ...“, stammelte sie unter Tränen, "der ... der Tag war wie ein
Schock für mich ... Ich hatte Angst, dich endgültig zu verlieren ... und war völlig ... überdreht. Schon am Vortag ... habe ich gespürt ... dass ich ... ich meine Tage kriege ... und
dann das Baggerloch ... und Bernd ... und Zuhause begannen ... fing es an ... ich meine,
meine Regel. Ich wollte dich so gerne bei mir haben ... dich ... an mich binden ... Und dann
habe ich einfach durchgedreht ... weil ich dich angelogen ... weil ich dich so mies behandelt
habe ... Und das ... das hat meine Angst noch schlimmer ... gemacht ... Ich weiß doch ...“,
sie wendete ihr Gesicht ab, um nicht zu deutlich zu zeigen, wie unangenehm ihr dieses Eingeständnis war, "wie ich an meinen Tagen reagiere ...“ Katharina begann noch heftiger und
haltlos zu weinen, sodass es mir schwer fiel, ihre Worte überhaupt zu verstehen. "Ich hatte
Angst, dass du ... dass du alles ganz falsch verstehen würdest ... dass du die Wahrheit
erfährst ... und mich verachtest, dass ich dich verliere ...“
169
Tränen erstickten ihre Stimme und jedes ihrer weiteren Worte.
Sie riss mich tatsächlich so heftig mit in ihrem Elend, dass ich auch von neuem zu weinen
anfing. Ich nahm sie behutsam in den Arm, nicht allein, weil ich fühlte, dass sie das jetzt
wirklich brauchte, sondern auch, weil ich es brauchte.
Katharina legte schüchtern ihre Hände auf meine Hüften, spürbar froh, mich jetzt in ihrer
Nähe zu haben, und dass ich sie nicht einfach mit ihrem Leid allein da sitzen ließ.
Völlig erschöpft senkte sie ihren Kopf auf meine Schulter.
Es war mir zwar inzwischen nicht gleichgültig geworden, dass sie immer noch frierend und
klatschnass in meiner unaufgeräumten Wohnung saß, - aber auch nicht wichtig genug, als
dass ich sie weiter gedrängt hätte aus der nassen Kleidung herauszukommen.
Sie selber schien nicht einen noch so kleinen Gedanken daran zu verschwenden.
Gegenseitig reichten wir uns Papiertaschentücher, und nach einer Weile konnte sie auch
wieder verständlich sprechen.
"Ich wollte dich auf keinen Fall verletzen“, versicherte sie mir noch einmal leise mit halb
erstickter Stimme, "ich wollte dich auch nicht ... belügen ... und ich habe ... das Gegenteil
erreicht ... Ich kann dir gar nicht sagen ... wie leid ...“
"Warum hast du nicht einfach die Wahrheit gesagt?“
"Das konnte ich doch nicht ... ich hatte totale Panik, als ich seinen Blick ... seine Nähe
spürte, "Katharina schien offenbar richtige Angst vor ihm zu haben, wenn ich ihr
unwillkürliches Zittern richtig deutete. "Ich ... ich bin ziemlich sicher, dass er es war. Er ... er
hat eine total negative ... und widerliche Ausstrahlung ...“
"Aber ... aber das ist doch keine Erklärung, woher ... du ihn kennst ...“
Katharina presste fest die Lippen aufeinander, da auch sie offenbar wieder zu einer
heftigen Antwort ansetzen wollte. Sie senkte den Kopf und atmete ein paarmal tief durch,
ehe sie verhältnismäßig ruhig weitersprechen konnte: "Wenn es dir dadurch ... dadurch
leichter wird, "presste sie mühsam hervor, "dann ... dann kannst du mir deswegen ruhig ...
eine runterhauen ... Schlag mich ... wenn´s dir dann besser ...“
"Hör auf damit!“
Ihre Körperhaltung verriet mir, dass sie offenbar tatsächlich eine gewisse Furcht hegte,
dass ich sie schlagen könnte.
Doch ich zog dies nicht einmal ansatzweise in Betracht. Ich wäre nicht einmal auf die Idee
gekommen, sie zu verprügeln.
Katharina merkte das sofort und zu meiner Überraschung atmete sie erleichtert auf.
"Ich weiß sehr gut, dass ich ... mich wie eine hirnlose Vollidiotin benommen habe“, sie
wischte sich vorsichtig eine Träne aus dem Augenwinkel, schnäuzte sich noch einmal
geräuschvoll, "Maria sagte ... es wäre eine todsichere Methode ... um dich ein für alle Mal
loszuwerden ... Aber ich wollte das wirklich ... nicht ...“
"Ist ja gut ... ich habe es gehört ...“
"Aber ... aber du glaubst mir nicht ...“
"Doch ... ich glaube dir."
Sehr überzeugend klang das nicht, doch Katharina schien sich für den Moment damit
zufriedenzugeben. Sie hörte endlich wieder auf zu weinen, doch ihr Gesicht blieb wirkte wie
eine Ruine, aufgequollen vom vielen Weinen.
Als wäre sie sich nicht sicher, wie ich darauf reagieren könnte, als ob sie vielleicht etwas
Verbotenes tun könnte, griff sie wieder ganz vorsichtig nach meiner Hand und strich sanft
darüber.
"Ich will ... ich will dich auf keinen Fall verlieren, "hauchte sie, "ich ... würde eine Menge
Dinge tun ... um dich zu halten ... Aber ich hatte einfach Angst ... verstehst du?“
"Ja, wovor denn, zum Teufel?“
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Sie schwieg vor meiner Heftigkeit und schien traurig nachzudenken. Ich las aus ihrem
Gesicht, dass sie sich mit einer Entscheidung quälte, über irgend etwas, vielleicht die
Erinnerung, die innerlich an ihr vorbeizog.
Sie tat mir leid, denn ich begann zu ahnen, dass es da irgendeine Geschichte gab, die sie
mir nur sehr ungern erzählen wollte.
Was immer es auch sein mochte, sie wollte offensichtlich nur darüber sprechen, wenn ihr
gar keine andere Wahl blieb, - am liebsten gar nicht.
Ich sah ihr an, wie es in ihr arbeitete, aber auch nach einer ganzen Weile schwieg sie
immer noch beharrlich.
Dann fing sie wieder an zu weinen, diesmal ganz leise, als wolle sie es vor mir verstecken.
"Ich ... ich werde ... dich ... verlieren“, stammelte sie, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen, "es ist ... es ist nichts ... was unbedingt ... wieder ausgegraben werden sollte ...“
Ich wollte es dennoch wissen, sagte es aber nicht. Stattdessen gestand ich mir ein, dass
mich ihre Weigerung erleichterte. Vielleicht bewahrte sie mich auf diese Weise vor einem
Wissen, dass alles zwischen uns noch komplizierter machte und vielleicht sogar alles
endgültig zerstört hätte.
Es war auch so schon schwierig genug.
Dafür wurde mir aus unerfindlichen Gründen plötzlich wieder bewusst, dass sie mir immer
noch in völlig nasser und kalter Kleidung gegenüber saß, wie aus dem kalten Wasser gezogen, dass ihr Zittern nicht nur von der inneren Anspannung stammte.
Unmittelbar damit verbunden fiel mir auch meine Badewanne wieder ein, in die seit mehr
als einer Stunde Badewasser einlief.
Mit einem leisen Fluch sprang ich sofort auf, sah Katharina zurückzucken, die natürlich
nicht ahnte, was plötzlich los war, - und rannte ins Bad. Ich war erleichtert zu sehen, dass
die Wanne zwar randvoll, aber dank des Überlaufventils nicht das ganze Badezimmer überschwemmt hatte. Eine weitere Sintflut, und wären es auch diesmal keine Tränen, sondern
heißes Badewasser gewesen, hätte meinen Nerven den Rest gegeben.
Aber dafür war der Geruch von Eukalyptus, Menthol und Rosmarin sehr intensiv in der
dampfgeschwängerten Luft, genau das Richtige für Katharinas Erkältungsbad.
Sie fragte mich bei meiner Rückkehr, was passiert sei, war sichtlich ruhiger und gefasster.
Ich erklärte es ihr, verwies auf ihre nasse Kleidung und bat sie, so schnell wie möglich das
heiße Bad aufzusuchen.
Mein Zorn war seltsamerweise wie weggeblasen, die Sorge ließ dafür keinen Platz mehr,
denn Katharinas Gesundheitszustand bewegte weitgehend in diesem Augenblick mein
ganzes Denken.
Sie ließ sich auch bereitwillig von mir aus den nassen Sachen helfen, zitterte erbärmlich im
längst warmen Wohnzimmer. Ich wollte ihr einen dicken Pullover und Socken ausleihen,
doch das reichte nicht einmal annähernd. Selbst ihre Unterwäsche, ihr BH und ihr Slip,
waren triefend nass.
Katharinas Haut fühlte sich gefroren an, abweisend kalt. Sie musste sofort ins heiße
Wasser, sich aufwärmen.
Also holte ich schnell meinen dicken Frottee-Bademantel, hüllte sie darin ein, rubbelte ihre
Haut erst einmal trocken und warm. Katharina war mir sichtlich dankbar dafür.
Doch als ich sie ins Bad drängte, wo sie zuerst den intensiven Duft der ätherischen Öle mit
erkennbarem Genuss wahrnahm, kamen ihr doch noch Bedenken, ob das wirklich gut sei,
in ihrem Zustand.
"Welcher Zustand ... du bist lediglich unterkühlt ...“
"Ich habe meine ... meine Periode ...“
"Na und ...?“
"Ich könnte eine Infektion kriegen ...“
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"Ob du an einer Lungenentzündung oder an einer Infektion stirbst“, entgegnete ich mit nicht
ganz ernst gemeinter Herzlosigkeit, "das bleibt sich ziemlich gleich ... und jetzt ab ... in die
Wanne ...“
Sie schien noch nicht überzeugt.
Sehr unsicher folgte sie mir aber endlich an die Badewanne und setzte sich auf den Rand,
um die Temperatur zu prüfen.
Sie fand es erwartungsgemäß viel zu heiß, aber ich widersprach ihr mit der Erklärung, dass
es ihr nur so vorkäme, weil sie immer noch friere.
Da gab sie sich geschlagen, zog den Bademantel aus und wollte gerade den nassen Slip
herunterziehen, als sie plötzlich innehielt und flammend rot wurde.
Auf meine Frage, was denn jetzt wieder los sei, ob sie wolle, dass ich rausgehe, wandte sie
mir sichtlich verunsichert ihr Gesicht zu, zog blitzschnell den Bademantel wieder an und
fest um sich, statt endlich in die heiße Wanne zu steigen.
"Ich ... ich habe keine Ersatzbinde mit“, stammelte Katharina total verlegen und wurde
flammend rot vor Scham.
Das hatte mir gerade noch gefehlt.
"Ich hole dir ... was du brauchst“, seufzte ich müde und wollte wieder in die Diele eilen.
"Wo willst du das denn mitten in der Nacht herkriegen ...?“
Ich erklärte ihr, dass ich zu Maria in die Wohnung fahren und alles erforderliche holen
würde. Sie aber solle jetzt endlich in die Wanne steigen, sich bis zum Hals hineinlegen und
ordentlich schwitzen.
Sie zog eine Grimasse, versprach aber zu tun, was ich von ihr verlangte, sobald ich weg
wäre.
So zog ich meinen Helm wieder auf, ließ mir Katharinas Schlüssel geben, da Maria
sicherlich längst schlief, und ging leise die Treppe hinunter.
Auf den Stufen wurde mir bewusst, dass ich wegen des mitternächtlichen Geschreis und
Gekeifes in meiner Wohnung wahrscheinlich in den nächsten Tagen einen Riesenärger mit
meiner Vermieterin kriegen würde.
Aber das konnte mich jetzt auch nicht mehr erschüttern.
Draußen regnete es noch immer sehr heftig, mir wurde erneut bewusst, wie durchnässt ich
war, denn ich fror erbärmlich.
So leise wir nur möglich startete ich die "Alte Lady" und war wieder einmal sehr froh
darüber, dass sie so gut in Schuss war, denn sie sprang trotz der massiven Wassermassen, die sie an diesem Tag abgekriegt hatte, sofort an.
Das wiederum machte mir bewusst, dass ich mit Sicherheit auch Beschwerden der Nachbarn bekommen würde wegen der extrem späten Motorradtour.
Aber das war mir im Moment genauso egal wie Marias erstauntes Gesicht, als sie mir in der
Diele entgegenkam, kaum dass ich die Wohnung aufgeschlossen hatte.
Denn sie hatte absolut noch nicht geschlafen.
Ihre hektischen Fragen, was ich denn hier mache, wo die "verdammte Katharina" wäre,
zeigten mir, dass sie hauptsächlich aus Sorge bisher nicht zum Schlaf gekommen war.
In einem Nebensatz, der typisch für sie und unsere platonische Freundschaft war, teilte sie
mir mit, dass ich beschissen schrecklich aussehen würde, ihr den ganzen Dielenteppich
nass mache.
Auch dies - das wusste ich - geschah allein aus Besorgnis, denn ich war sicherlich kein
sehr aufmunternder Anblick.
Ich sagte ihr, was ich brauchte, bat sie mir bei der Zusammenstellung zu helfen, und ließ
ihre endlosen Fragen auf mich einprasseln, von denen ich nur ganz wenige beantwortete,
weil ich mich unter Zeitdruck fühlte.
Eine Antwort ergab sich ohnehin von allein, dass nämlich Katharina bei mir war.
172
Die Informationen, die Maria bekam, waren so dürftig, dass sie sich wahrscheinlich nicht
viel darunter zusammenreimen konnte.
Doch ich versprach ihr, sie morgen anzurufen, und auch Katharina zu bitten, das Gleiche
zu tun.
Weil sie aber nicht locker lassen und immer noch mehr wissen wollte, unterbrach ich ihren
Redefluss, hielt ihr mit einer Hand den Mund zu und bat sie, mir alles auszuhändigen, was
ich für Katharina brauchte.
Sie knurrte mich an wie ein bissiger Hund, tat aber, was ich verlangte.
Und so flitzte ich ohne langen Aufenthalt wieder die Treppen hinunter, schwang mich auf
das Motorrad und brauste wieder los.
Maria war mit Sicherheit ziemlich sauer auf mich, weil sie noch zahllose Fragen an mich
gehabt hätte. Die wollte ich aber jetzt nicht beantworten, weil mir schlicht die Zeit dafür
fehlte.
An meinen Kopfschmerzen fühlte ich, dass ich noch lange nicht wieder nüchtern war, aber
meine stressgeplagten Schutzengel hatten einmal mehr ein Einsehen und ließen mich nach
knapp fünfzehn Minuten wieder vor meiner Haustür unfallfrei ankommen.
In der Wohnung meldete ich mich sofort leise, damit Katharina wusste, wer gekommen war,
aber sie antwortete nicht gleich.
Im Bad war sie nicht, so viel konnte ich leicht feststellen.
Im Wohnzimmer klingelte dafür das Telefon.
Katharina kauerte mit meinem Bademantel in meinem Lieblingssessel ganz dicht vor der
Heizung und schlief. Sie zitterte sogar im Schlaf noch deutlich, aber es schien ihr nicht
schlecht zu gehen.
Das Telefon missachtete ich, weckte sie dagegen auf und machte ihr klar, dass ich
eigentlich erwartet hatte, sie in der Badewanne vorzufinden, bis zum Hals im heißen
Wasser.
"Ja ... ja ich weiß“, maulte sie verknittert und offensichtlich todmüde, "aber ich weiß nicht ...
ob das wirklich gut für mich ist ...“
"Setz gefälligst deinen Arsch in Bewegung“, fauchte ich sie aufgebracht und besorgt an,
"und ab in die Wanne ... ist das klar ...?“
Sie nickte, wagte aber noch einmal den Einwand, dass es nicht ungefährlich sei, wenn sie
eine Infektion bekäme.
Dann werde sie eben sterben, erklärte ich ihr herzlos, und schickte sie ohne weitere
Umschweife in die Wanne.
Als ich ihr den Bademantel abnahm, sie ihren Slip herunterzog und mit spitzen Fingern ihre
Monatsbinde herausnahm, war ihr anzusehen, dass sie wahrscheinlich einen Arm dafür
hergegeben hätte, sie jetzt mit einem kleinen Zaubertrick aus der Welt, und erst recht aus
meiner Sicht zu zaubern, - denn sie wusste natürlich nicht, wo sie die hintun könnte.
Ich nahm sie ihr einfach ab, warf sie in den Mülleimer und die Sache war für mich erledigt.
"Du ... du findest das ... nicht ekelhaft ...?“ fragte sie mich leise ohne mich anzusehen, und
ich erklärte ihr so ruhig wie möglich, dass das doch nur Zellstoff mit ein bisschen Blut wäre,
also kein Grund für Ekel.
Sie sagte nichts dazu, aber ihre großen Augen, die flatternden Lider und ihr leicht offener
Mund und sprachen Bände.
Endlich saß sie dann in der Wanne, allerdings nicht ohne noch einmal zu beanstanden,
dass das Wasser viel zu heiß wäre. Als ungewollte Bestätigung meiner Meinung, dass sie
das nur meine, weil ihr so kalt wäre, stöhnte sie wohlig auf, als sie endlich bis zum Hals in
das heiße Wasser glitt. Sie machte keinerlei Hehl aus ihrem Wohlbehagen. Sofort bildeten
sich dicke Schweißperlen auf ihrer Stirn, aber ich konnte deutlich sehen, dass es ihr fraglos
gut ging.
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Nach der langen Zeit in der feuchten Kälte musste ihr die Wanne wie ein Paradies vorkommen, eine absolute Wohltat, die ihr wieder zu einem Gefühl für ihren Körper verhalf.
Nun war endlich auch meine Zeit gekommen, aus meiner nassen Kleidung herauszukommen, was ich nach kurzer Ankündigung an Katharina, auch sofort umsetzte.
Trockene Unterwäsche, dicke Socken, ein warmer Pullover und eine ebenso warme, und
vor allem trockene Cordhose, verhalfen auch mir wieder zu einem etwas positiveren
Lebensgefühl.
Danach kehrte ich zu Katharina ins Bad zurück, wollte wenigstens einen kleinen Anteil an
den ätherischen Ölen mitbekommen, die immer noch den Raum schwängerten.
Katharina hatte die Augen geschlossen, atmete schwer, steckte aber forderungsgemäß bis
über die Kinnspitze im heißen Wasser, sodass nicht einmal die Schultern herausragten.
Ich beneidete sie eindeutig wegen der Wärme. Aber davon sagte ich ihr kein Wort, grüßte
sie jedoch von Maria und teilte ihr nicht ohne Häme mit, dass die sie eine "verdammte
Katharina" genannt, und sich offenbar große Sorgen um sie gemacht hatte.
Katharina nahm das mehr stumm zur Kenntnis, denn sie schien jetzt sehr müde und
entspannt, machte kaum die Augen auf, während ich mit ihr sprach.
"Du ... du bist vielleicht ... eine Irre ...“, lachte ich ihr leise zu, "setzt dich da draußen in den
Regen ... und wartest auf mich ...“
"Ich bin nicht irre“, antwortete sie leise, noch immer ohne die Augen zu öffnen, „... nur sehr
verliebt in ... in einen Künstler ... der nichts mehr mit mir zu tun haben will ...“
Ich sah, dass wieder Tränen in ihren Augenwinkeln glitzerten, langsam unter den langen
seidigen Wimpern hervorkullerten und dann über ihre Wangen rollten, die fast schon wieder
so etwas wie gesunde Farbe bekamen.
Ich sah die Erschöpfung in Katharinas Mimik, die Aufrichtigkeit und Wärme, aber auch die
innere Selbstanklage und Niedergeschlagenheit, die sich darin widerspiegelten.
Offenbar wartete sie auf irgendeine Erwiderung von meiner Seite. Doch ich konnte ihr nur
ins Gesicht sehen, kein Wort über die Lippen bringen.
"Hörst du ...“, murmelte sie leise, immer noch ohne die Augen zu öffnen, "es ist mir scheißegal ... ob ich mich erkälte ... ob ich eine Lungenentzündung kriege ... denn ich liebe dich
...“
"Und ich ... ich habe nie gesagt ... dass ich nichts mehr ... nichts mehr mit dir zu tun haben
will“, meine Stimme klang so belegt, dass ich sie fast selber nicht erkannt hätte, „... und es
war trotzdem dumm ... dich da draußen ...“
"Du ... du willst noch ... mit mir?“ trotz ihrer Erschöpfung öffnete Katharina jetzt die Augen
und ein winziges Lächeln huschte um ihre Mundwinkel, "aber ... es wäre mir sogar egal
gewesen ... wenn es ... gefroren ... hätte ...“
Auf ihre halblaute Frage wollte ich jetzt nicht eingehen.
"Dann scheinen die Philosophen doch recht zu haben ...“
"Womit ...“, ich glaube, Katharina war eine Spur enttäuscht, dass ich nichts dazu sagen
wollte, ob ich oder ob ich nicht mit ihr eine Zukunft versuchen wolle.
Aber sie ließ sich das nicht anmerken, außer dass sie die Augen einfach wieder schloss
und vor sich hindöste.
"Na ja ... dass Liebe ... etwas mit Wahnsinn zu tun hat ...“
Katharina versuchte einen leicht empörten Gesichtsausdruck und streckte mir zur Strafe die
Zunge heraus, - aber dann lächelte sie wieder sanft.
"Ich liebe dich auch."
Sie lächelte dabei so verführerisch, wie es mit ihren dunklen Müdigkeitsringen unter den
Augen überhaupt möglich war.
Doch mich störte das überhaupt nicht. Ich war froh, sie in diesem Augenblick hier zu haben.
Vorsichtig setzte ich mich auf den Badewannenrand und legte meine Hand kurz auf ihre
nassen tiefschwarz glänzenden Haare, die immer noch sehr verfilzt aussahen.
174
"Ich liebe dich auch." antwortete ich leise und meinte es aufrichtiger, als ich es selber je
gedacht und mir eingestanden hatte.
Katharina öffnete nicht einmal die Augen, aber ihr Gesicht wurde förmlich von einer Welle
von Glück und Zärtlichkeit überflutet.
Ich stand wieder vom Badewannenrand auf, weil ich mir etwas zu trinken holen wollte.
"Aber ich ... ich schäme mich auch“, fügte ich leise im Wegdrehen hinzu, "weil ich ... weil
ich nichts getan ... nichts versucht habe ... um uns wieder zusammen zu bringen ...“
"Ich war ja auch sehr gemein ... und unfair zu dir ...“, so einfach wollte sie mich mit diesem
Selbstvorwurf nicht ziehen lassen. Doch er erschütterte sie selber erneut so intensiv, dass
sie schlagartig wieder zu weinen begann.
Rasch ging ich zu ihr zurück, versuchte sie zu beruhigen. Ich nahm ihr Gesicht zwischen
meine Hände, küsste ganz zart ihre zitternden, salzigen Lippen, fühlte ihre wieder warm
gewordenen Wangen.
"Ich ... ich liebe dich“, flüsterte ich ihr so leise zu, als hätte ich sogar Angst mir selber zuzuhören, "die letzten Tage sind wie ein ... wie ein Albtraum für mich ... So was will ich nicht
wiederholen ...“
Katharina setzte sich ein wenig auf, und verbarg aufweinend das Gesicht in den Händen,
lehnte sich ausgepowert und völlig erschöpft an meine Schulter.
Diesmal ließ ich sie einfach weinen, denn ich ahnte, dass es ihr gut tun würde. Es war
genau diese emotionale Entladung, die sie in diesem Moment brauchte, um nicht völlig
durchzudrehen und ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Diese Anspannung in ihr war
nur durch entspannendes Weinen zu lösen.
Ich hielt sie sanft bei den Schultern, kämpfte selber mit meinen Tränen, strich ihr über das
nass zerzauste Haar, und versuchte ihr soviel Nähe und Geborgenheit zu geben wie nur
möglich.
So dauerte es auch nicht lange, bis sie sich nach einigen Papiertaschentüchern scheinbar
wieder beruhigt hatte und tief schniefend ins Wasser zurückglitt.
Sie sah furchtbar aus.
Alle Fortschritte, die sie durch leichte Entspannung im heißen Wasser erreicht hatte, um ihr
aufgequollenes Tränengesicht wieder zu entspannen, waren erneut zunichte.
Ich nahm den vollgesogenen Waschlappen und legte ihn ihr auf die Augen.
Dankbar erkannte sie diese Geste und Hilfe an.
Für einen Augenblick ließ ich sie allein, setzte Teewasser auf und fragte sie in Richtung
Badezimmer, ob sie auch einen heißen Tee wolle.
Wieder war sie ungemein dankbar für meine Zuwendung. Ich kontrollierte sicherheitshalber
noch einmal die Heizung, denn ich wollte, dass es angenehm warm war, wenn Katharina
aus der Wanne kam.
Für´s Bett suchte ich ihr eine meiner dicken, langbeinigen Unterhosen raus, wie ich sie im
Winter unter meiner Lederkombi trug, dazu ein langärmeliges, dickes Winterunterhemd.
Das würde ihr zwar alles deutlich zu groß sein, aber zusammen mit einem warmen Schal
und dicken Wollsocken, damit auch ihre Füße nicht froren, würde es vielleicht helfen in der
Nacht die Kälte aus ihrem Körper wieder zu vertreiben. Zwei richtig dicke Wolldecken würden ihr zusätzlich helfen ordentlich darunter zu schwitzen.
Im Küchenschrank fand ich meine alte Wärmflasche und legte sie mit kochendem Wasser
gefüllt zum Vorwärmen unter die Decken. Mit etwas Glück würde ihr wenigstens eine
schlimme Erkältung erspart bleiben.
Mehr konnte ich im Moment nicht für Katharina tun.
Die Kanne Tee war fertig, und so brachte ich ihr eine große Tasse an die Badewanne.
Kaum hatte sie mich wahrgenommen, als sie seltsamerweise auch schon wieder zu weinen
begann. Zitternd nahm sie die Tasse in Empfang und hatte etwas Mühe bei ihren zitternden
Händen, den Inhalt nicht gleich wieder zu verschütten.
175
"Danke ...“, wisperte sie unter Tränen, "du sorgst wirklich ... rührend für mich ...“
"Ist schon gut ... Hauptsache, du trinkst ihn auch ... und schüttest nicht alles ins Badewasser."
Ich hatte es als Scherz gemeint und Katharina versuchte auch ein Lachen, aber es reichte
nur zu einem noch heftigeren Weinen.
Schlagartig begann sie wieder mit ihren Selbstvorwürfen, von ihrem schlechten Verhalten
mir gegenüber und mit immer neuen Weinanfällen. Ich streichelte ruhig ihren Nacken, um
ihr ein Gefühl der Nähe zu vermitteln, als sie wieder das Gesicht in den Händen barg, wenn
sie sich weinend an den Rand der Badewanne lehnte.
"Ist dir auch nicht kalt ...?“
Sie schüttelte stumm den Kopf, tastete nach ihrer Tasse auf dem Badewannenrand, trank
einen großen Schluck, und lehnte sich dann erneut erschöpft zurück. Wieder suchte und
angelte sie sich den Waschlappen aus dem Wasser, legte ihn sich dampfend auf das
Gesicht.
Nur an ihren bebenden Schultern und ihrem Schniefen war zu erkennen, dass sie leise
weinte. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, denn ich erinnerte mich irgendwo mal gelesen zu
haben, dass es möglich war, dass verzweifelte Menschen aus einem Gefühl der unstillbaren Traurigkeit heraus einen Nervenzusammenbruch erlitten und dann völlig auf längere
Zeit jegliche Fassung verloren. Weit entfernt, schien mir Katharina davon nicht zu sein.
Ich ging für einen Augenblick hinaus, um neuen Tee zu holen.
Als ich zurückkam, lag sie zu meinem Erstaunen ziemlich ruhig im Wasser.
Stumm setzte ich mich auf den Klositz, fühlte mich ausgelaugt und entsetzlich müde, ließ
bruchstückhaft die letzten Stunden noch einmal an mir vorüberziehen.
Es gelang mir nicht einmal ansatzweise nachzuvollziehen, woher ich diese Kraft nahm, alle
diese emotionalen Stürme dieses Tages auszuhalten. Es war anstrengend, aber nun endlich auch ohne jeden Zweifel alle Mühen wert gewesen.
Katharina schien sich endlich beruhigt zu haben, wirkte sogar so still, dass ich den Verdacht hegte, sie sei im heißen Wasser eingeschlafen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig.
Doch genau in diesem Moment rief sie ganz leise meinen Namen: "Paul ...“
"Ja ... was ist ...?“
"Hasst ... hasst du mich jetzt?“
Ich fand die Frage etwas merkwürdig, denn ich glaubte, dass wir diesen Punkt bereits
hinreichend geklärt hätten.
Doch ich hatte kein Problem, sie ehrlich zu beantworten.
"Nein ... nein, ich hasse dich nicht ...“
"Aber ... aber vielleicht ... vielleicht wirst du mich gleich hassen ...“, entgegnete sie mit
trockner, stumpfer Stimme, die mir beinahe einen Schauder über den Rücken jagte, "denn
... denn ich ... ich denke, dass du ... ein Recht hast alles ... die Wahrheit zu erfahren ... ich
... ich werde dir jetzt alles ... alles erzählen ... und wenn du mich dann verachtest ... oder
hasst ... dann ... dann kannst du mich ja ... aus deiner Wohnung werfen ...“
"Ich werde dich nicht rauswerfen“, versicherte ich ihr leise und ahnte sofort, dass da wieder
eine schwere, bittere Wahrheit auf mich zukommen würde. Vielleicht war das jetzt in Katharinas aufgewühltem Zustand ein schlechter Zeitpunkt für eine solche Beichte, aber ich
wagte nicht, sie aufzuhalten.
Es wurde deprimierend und bitter, weniger für mich, aber dafür um so schlimmer für sie.
"Ich habe Bernd kennengelernt, als ich sechzehn Jahre alt war“, begann sie nach einem
Augenblick der stummen Besinnung, "ich hab dir doch er zählt ... dass ich damals gerade
die Männer ... für mich entdeckte." Ihre Stimme klang so gequält, dass ich ernsthaft erwog,
sie doch noch vom Weitersprechen abzuhalten. Doch Katharina drehte sich mit dem
Gesicht und geschlossenen Augen zur Wand, als wolle sie verhindern, dass ich ihre
Gefühlsregungen daraus lesen könnte.
176
Sie machte auf mich einen sehr entschlossenen Eindruck, diese Aussprache jetzt zu Ende
zu bringen.
"Ich war damals ... in einer ziemlichen Krise ... schon über ein Jahr lang ... und ich fand
keinen Weg da raus. Ich hatte niemanden ... mit dem ich darüber reden konnte ... ich
glaubte das zumindest. Mein Frust wurde jeden Tag schlimmer ... Alle Männer sahen in mir
nur ... das blinde Mädchen ... nicht die Frau mit Sehnsucht nach ... nach Liebe ... nach Sex
... oder Wünschen nach Begegnung. Ich hatte ein paar extrem kurzfristige und platonische
Freundschaften gehabt ... Aber nichts tiefer gehendes ... was mich wirklich berührt hätte."
Katharina wischte sich mit der nassen Hand über das Gesicht und schwieg einen Augenblick nachdenklich, als müsse sie sich jede Einzelheit wieder ins Gedächtnis rufen.
"Ich wusste eigentlich ... nicht genau, was ich wirklich suchte ... oder wollte“, fuhr sie
schließlich fort, "ich hatte die Pubertät gerade hinter mir und ... interessierte mich für ... für
Männer und Liebe ... oder Sex ... ich weiß es nicht genau ... Ich hatte damals große
Sehnsucht nach körperlicher Nähe ... nach Anerkennung als Frau, die lieben kann. Alle
Frauen, die ich kannte, hatten eindeutig sexuelle Erfahrungen ... nur ich nicht. Ich fing an ...
Angst zu bekommen ... dass ich als alte Jungfer sterben würde ... dass kein Mann mich
haben ... und heiraten wollte ... dass ich nie herausfinden würde, was das Leben so alles
auf diesem Gebiet ... zu bieten hat. Ich ... ich fühlte mich so unvollständig ... Meine Ausbildung ... oder Therapie konnten mir da auch nicht weiterhelfen. Wir machten lustige
Rollenspiele ... wie man als Blinde einen tollen Jungen kennenlernt ... unbekannte Menschen ... und so was ...“, sie seufzte leise und zog eine Grimasse, „aber praktische Erfahrungen machten wir keine ... die blieben aus. Ich las ein paar Bücher über Liebe, Sex und
Partnerschaft, wenn ich an welche rankommen konnte ... oder mir jemand so ein Buch
ausgeliehen hat. Aber ich hatte keine praktische ... Erfahrung ... und die Schulleitung
förderte das auch nicht sonderlich ...“ sie machte ein paar vage Gesten um ihre Worte zu
unterstreichen. “Sie ... sie hielten das für sittenlos ... für unwürdig ... Aber alle Schüler ...
und auch die Schülerinnen ... wir sprachen viel darüber ... und haben uns gegenseitig ...
angesehen ... und angefasst. Ich ... ich hatte ganz idealistische ... nebulöse Vorstellungen
von Liebe ... und Sex ... Andere ... ich meine nichtblinde Jungs und Mädchen erzählten uns
... wie toll es wäre, aber ... aber bei uns ... Wenn ich meinen spontanen oder zufälligen
sehenden Freunden Avancen machte, dann ... dann zogen sie sich genauso zurück ... wie
blinde Freunde ... die schreckten zurück ... und ließen sich nie mehr sehen." Katharina
lachte voller Bitterkeit auf, "ich glaube, ich habe damals einige Jungs in regelrechte Todesangst versetzt ... aber ich bekam auch Angst ... nicht attraktiv genug für Männer zu sein ...
sie nicht zu reizen. Ich übte und übte in den Rollenspielen ... aber ... aber die Realität war
so ganz anders ...“
Sie atmete tief durch und schwieg ein paar Sekunden, ehe sie fortfuhr: „Welche Tricks und
Kniffe ich auch anwendete, ... keiner wollte mich lieben ... Ich baute meine Fähigkeiten aus,
die emotionalen Schwingungen anderer Menschen zu erkennen, und hatte sogar große
Erfolge damit. Aber eben nie in der Praxis ... da versagte ich total. Männer oder Jungs
behandelten mich nie wie eine begehrenswerte Frau ... sondern immer nur als ... als Blinde.
Manchmal habe ich wirklich alles versucht, habe geflirtet wie eine Weltmeisterin, direkte
und indirekte Anspielungen gemacht ... hab mich ständig mit irgendwelchen Jungs oder
Männern getroffen ...“, wieder atmete sie tief durch und ließ den Ansatz eines leisen bitteren Lachens vernehmen. „Einmal habe ich sogar einem Jungen Geld angeboten, wenn er
... wenn er mit mir bumsen würde ... aber er wollte nicht, weil ... weil er selber Schiss hatte.
Dann habe ich mich auf ... auf Männer beschränkt, weil die nicht so ängstlich waren wie die
Jungs ... aber das brachte auch nichts ...“, wieder lachte Katharina leise und bitter, "das war
damals ein richtiger Komplex bei mir ...“, sie wandte sich kurz um und trank einen großen
Schluck Tee aus ihrer Tasse.
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Dann drehte sie sich wieder halb weg und fuhr fort: "Was sollte ich denn machen? Sollte
ich etwa den Kerlen ... einfach an die Wäsche gehen?“ Sie schnaubte verächtlich und fuhr
dann fort: „Ich musste vor meinen Eltern heimliche Verabredungen treffen. Sie haben natürlich gemerkt, dass ich ... dass ich in einer Entwicklungskrise steckte ... dass ich oft ... nervös und angespannt war. Sie wollten bestimmt mit mir reden ... aber ich ... ich konnte ihnen
das nicht anvertrauen ... Mein Vater versuchte es zwar, aber ich entzog mich jedem seiner
Versuche“, Katharina machte wieder eine Pause, schien nachzudenken, spielte gedankenverloren mit dem Waschlappen, - und legte ihn sich schließlich wieder wassertriefend auf
das Gesicht. So klang ihre Stimme sehr dunkel und nasal, als sie fortfuhr: "Ich war damals
... schrecklich unzufrieden und sehr unglücklich. Nächtelang hab ich geheult ... und fing
schon richtig an einen Minderwertigkeitskomplex in mir aufzubauen ... Ich war richtig glücklich, als ich einen jungen Mann dazu brachte ... wenigstens mal ... anzufassen ... zwischen
den ... aber bumsen wollte er auch nicht mit mir ...“ Ich sah, wie sie tief durchatmete, weil
ihr fast die Stimme versagte bei diesen Erinnerungen, "dann lernte ich Bernd kennen ...
obwohl ich inzwischen sehr verkrampft und total unsicher war“, sie machte eine undefinierbare Geste mit der Hand und streckte sich vorsichtig in der Badewanne aus, um es noch
ein wenig bequemer zu haben. "Er hat sofort gespürt, was mit mir los war ... und noch am
selben Abend hat er mich auf dem Rücksitz seines Autos ... entjungfert ...
Besonders nett war er schon damals nicht, aber er ... er hat einfach kurzen Prozess
gemacht ... er war der erste Mann mit dem ... mit dem ich Sex hatte ... es ... es hat weh
getan ... es war nicht schön ... eigentlich sogar ... ekelig ... Aber es war auch spannend ...
ich war endlich ... auf eine gewisse Weise ... mit einem Mann zusammen. Ich habe viel von
ihm gelernt ... auch ... dass er mich niemals ... heiraten würde ... Aber ... ich glaube, es
machte ihm Spaß mit einer blinden Frau ... seine kleinen Experimente durchzuführen ... an
... an die Grenzen seiner Möglichkeiten zu gehen, besonders natürlich an meine Grenzen.
Aber ich machte voller Begeisterung mit." Ich starrte Katharina mit einer Mischung aus
Faszination und völliger Befremdung an, wagte kein einziges Wort dazu zu sagen, "wir
waren ungefähr zwei, drei Monate zusammen ... und ich ... ich habe in dieser Zeit ... meine
eigene Sexualität gefunden“, fuhr sie nach einem erneuten kurzen Schweigen und Nachdenken fort, "wann und wo immer wir Gelegenheit hatten ... haben wir gevögelt. Er muss
mich wohl damals für eine Nymphomanin ... oder so was gehalten haben. Zärtlich war er
nie besonders ... und ... auch nicht fantasievoll ... Das musste ich selbst rausfinden ... und
es wurde mir rasch klar, dass es ... dass es eine rein sexuelle Verbindung ... war. Ich war
ihm zwar nicht hörig, aber ich genoss seine plumpe ... Triebhaftigkeit ... sogar seine leicht
perfiden Ideen ... ungeheuer. Auf eine seltsame Weise war ich sehr glücklich und fühlte
mich endlich ... als Frau. Viel miteinander reden konnten wir nicht ... wir gingen auch nie ...
miteinander aus ... Ich war auch gar nicht wild darauf, ich wollte nur ... nur ... mit ihm bumsen ... vögeln und so ... mehr wollte ich gar nicht ...“
Katharina wandte mir wieder zögernd das Gesicht zu und nahm den heißen Waschlappen
herunter. In ihrer Mimik las ich einen Ausdruck, der mich an eine Bitte, fast an ein Flehen
um Absolution erinnerte.
"Kannst du dir ... das vorstellen?" fragte sie mich mit unsicherer Stimme, aber großer
Ernsthaftigkeit, "dass ich nie ... nie das Gefühl hatte, von ihm ... ihm berührt zu werden ...?“
Das nachzuvollziehen, fiel mir wirklich äußerst schwer, - und das sagte ich Katharina auch
ganz ehrlich.
Aber sie hörte aus meiner Stimme, dass ich ihr keine Vorwürfe machte. Es stand mir nicht
zu, sie zu kritisieren, weil sie mit allen möglichen Jungs und Männern sexuelle Kontakte
gesucht, und ihre eigene Sexualität gesucht hatte, um sich vollwertig als Frau zu fühlen.
Doch sie schüttelte nur ruhig den Kopf, hielt ihre Aufmerksamkeit konzentriert auf mich
gerichtet.
178
"Er hat mich ... niemals berührt“, beharrte sie, "er konnte es nicht, was immer er auch mit
mir tat ... Er hat meine ... meine Sexualität bestätigt ... dass ich eine ganz normale ...
lustvolle Frau sein kann ... dass ich mich in nichts von anderen Frauen unterscheide. Er ...
er hat mich als Frau erfüllt ... und vielleicht auch geweckt ... meine Triebe befriedigt ... und
... sicher auch ... meine Triebhaftigkeit bestätigt. Ich habe tatsächlich ... viel gelernt durch
ihn ... und das ist wohl das ... das Beste, was dabei herauskam ... Aber ... aber er hat mich
nie berührt ...“ Sie machte wieder eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Danach kam
dann diese Phase ... von der ich dir schon erzählt habe ... ich meine, wo ich mit allen
möglichen Jungs ... rumgemacht habe ...“
Katharina nickte bekräftigend zu ihren eigenen Worten, und angelte sich wieder den
Waschlappen, den sie tropfend auf ihr Gesicht legte, ehe sie fortfuhr.
"Ich ... ich habe Bernd nie geliebt ... oder so was ähnliches. Im Grunde haben wir uns ... nur
... gegenseitig benutzt. Nach zwei Monaten wollte ich ihn dann auch wieder loswerden. Ich
... ich war entjungfert, befriedigt ... hatte enorm viel Sex ... so viel, wie ... noch nie zuvor im
Leben ... aber es begann mir schon zu viel zu werden. Ich ... ich fühlte mich jetzt bestätigt
... und vollkommen ... ich brauchte ihn nicht mehr. Im Grunde fing er schon damals an ...
mich anzuwidern ...“ Wieder lachte sie dieses bittere und schmerzliche Lachen, sodass es
mir kalt den Rücken herunterlief. "Wir machten ... sozusagen ... unseren eigenen Sex-Film
... tagtäglich ... nur ... nur ficken ... und sonst gar nichts. Bernd hatte zahlreiche andere
Affären ... ich war nur eine von seinen ... Bettliebchen“, Katharina atmete tief ein und stieß
die Luft wieder heftig aus, "aber das war mir egal, das hat mich nicht im geringsten gestört.
Angst hatte ich nur, weil ... ich dachte, er würde mir womöglich einen Tripper anhängen ...
oder so was. Und das ist ja auch genauso passiert ... Es war mir unglaublich peinlich ... und
demütigend ... deswegen zum Arzt zu müssen ...“
Katharina schwieg wieder eine Weile, begann erneut zu zittern, als sie weitersprach: "Das
ging alles bis zu einem Abend ... wo wir ... eine Fete besuchen wollten. Ich ... ich hatte mich
gewundert, denn Bernd ließ sich sonst nie mit mir in der Öffentlichkeit sehen. Aber als ich
erfuhr, dass da fast nur Männer waren ... dachte ich, dass er ... dass er nur mit mir angeben
wollte. Ich hab zu dieser Zeit ... nur noch ab und zu ... mit ihm gebumst ... aber ich ... ich
spielte das Spiel mit, weil es mich im Grunde nicht interessierte und ... und weil ich blöd
genug war, mir einzubilden ... ich ... ich könnte da vielleicht einen netteren Mann kennenlernen ... Aber an dem Abend hat Bernd mir ... er hat mir irgendwas ... einen LSD-Trip oder
so was ... ins Bier geworfen, was ich aber nicht wusste, und ... und nach ein paar Minuten
war ich ... ich war völlig weg ... und high ...“
Katharina hatte bis jetzt tapfer mit den Tränen gekämpft, doch nun war es mit ihrer
Selbstbeherrschung vorbei, ihre Kraft erschöpft. Sie konnte den rasenden Fluss der Tränen
nicht mehr aufhalten.
Ich versuchte sie zu beruhigen, wollte von der Geschichte nichts mehr hören, da es sie so
sehr quälte.
Doch sie wies das zurück.
Sie wollte unbedingt zu Ende bringen, was sie angefangen hatte, dass ich den Rest ihrer
Vergangenheit erfuhr.
"Dieses Schwein wollte sich ... er wollte sich ... einen Partyspaß ... mit mir machen“,
schluchzte sie schrill, "und den ... den hat er sich auch gemacht. Ich ... ich habe keine
Ahnung ... was genau passiert ist, aber als ... als ich wieder klar denken konnte, lag ich
nackt und verschwitzt in einem Bett. Ich ... ich war total groggy und ... und konnte neben
mir einige nackte und völlig fremde Männer fühlen. Einer von ihnen war wach ... und der ...
der machte sich über mich her ... Ich ... ich habe versucht ... mich zu wehren, aber ... aber
ich hatte keine Chance ...“, heftiges Weinen erschütterte Katharina erneut, unterbrach ihre
mehr gestammelten Worte, fast noch intensiver, als vorher.
179
Wieder versuchte ich diese Vergangenheitsbewältigung zu beenden, doch Katharina wehrte mein Ansinnen hast hysterisch ab.
"Ich war so kraftlos ... so erschöpft ... er hat mich vergewaltigt“, schrie sie halblaut schluchzend auf, "und davon sind auch ... auch andere aufgewacht ... und haben weitergemacht,
als ... als er fertig war ... sie sind über mich hergefallen, wie die ... wie die Tiere ... Und ich
weiß ... ich weiß, dass Bernd ... dass er dabei war ... Ich habe den Scheißkerlen gedroht ...
ich wollte sie anzeigen ... aber sie haben nur gelacht und gesagt, dass das ... dass das
keine Vergewaltigung war ... und das würden sie alle bezeugen können, weil ich ... weil ich
in dieser Nacht schon mit einem Dutzend Männern rumgebumst hatte ... ich hätte
schließlich mit Begeisterung mitgemacht ...“
Katharina konnte vor lauter Weinen nicht mehr weitersprechen, ließ sich von mir einen
ganzen Stapel neue Papiertaschentücher reichen, und beruhigend in die Arme nehmen.
Ich war tief betroffen, wütend und konnte kaum fassen, was sie mir da erzählte. Mir kroch
ein kalter Schauder den Rücken hinauf, die Nackenhaare schienen sich mir zu sträuben.
Was dieser Mistkerl ihr angetan hatte, war absolut widerlich.
Das war so ziemlich das Ungeheuerlichste, was ich je gehört hatte.
Katharina hatte völlig recht, als sie in stammelnden Lauten erklärte, dass sie die Typen ja
nicht einmal hätte identifizieren können. Ebenso wenig wie die Wohnung, wo Bernd sie
hingebracht hatte. Wer hätte ihr geglaubt, dass sie nicht freiwillig Sex mit einem Dutzend
Männern gehabt hatte, - von dem öffentlichen Skandal und dem Ärger mit ihren Eltern mal
ganz zu schweigen. Sie wäre Gefahr gelaufen, als ein billiges Flittchen dazustehen.
Sie hatte Bernd noch am selben Tag zur Rede gestellt. Doch er hatte nur gelacht, sie
hatten sich heftig angeschrien und gestritten, - und dann endgültig getrennt.
Anzeige hatte sie nicht erstattet, weil sie wusste, dass ihr kein Mensch geglaubt hätte. Ihr
Ruf war ohnehin nicht gut in Ermke, ein Strafprozess hätte voll nach hinten losgehen
können.
Außerdem wollte sie sich ihre gerade gewonnene Freiheit und Einstellung zu ihrer eigenen
Sexualität nicht versauen lassen. Irgendwie wollte sie allein damit fertigwerden. Ihr Glück
war ihre Blindentherapeutin, die ihr zwar auch riet Strafanzeige zu erstatten, sie aber auch
ein großes Stück damit auffangen konnte.
„Verstehst du das“, fragte sie mich mit erstickter Stimme, „er hat mich wie ... wie ... ein
Stück Scheiße behandelt ... wie Dreck ... wie eine Nutte ... er hat mich regelrecht an seine
... seine Saufkumpel ... verhurt." Sie machte eine etwas abwägende Handbewegung, und
wischte sich wieder die Tränen aus dem Gesicht, „aber ... es interessierte ihn nicht die
Bohne ... was aus mir dabei ... was aus mir wurde. Ich ... ich habe tagelang geheult ... und
gekotzt und ... und geheult ... und wenn ich nicht geheult und ... und gekotzt habe, dann ...
dann habe ich mich in ... in meinem Zimmer vergraben ... Ich wollte nichts essen ... nichts
trinken ... Meinen Eltern habe ich weisgemacht, dass ich mir den Magen verdorben hab ...
und deprimiert ... deprimiert war ich ja sowieso in dieser Zeit. Ich weiß nicht, ob sie es mir
geglaubt haben, aber ... aber sie haben mir nie ... nie einen Vorwurf gemacht“, Katharina
schluchzte heftig auf, „sie sind toll ... glaub mir, sie sind wirklich toll ... und ich ... ich hab es
überwunden. Ich ... ich hasste dieses Arschloch, aber ...“, sie schüttelte ungläubig über ihre
eigenen Worte den Kopf, „aber ich verdanke ihm auch ... eine ganze Menge, zum Beispiel
die Erkenntnis, dass er ... dass er mich nie berührt hat ... denn ... es war zwar widerlich ...
aber es hat mich nicht wirklich zerstört ... Ich ... ich habe einen Fehler gemacht und teuer
dafür bezahlen müssen ... Aber ich ... ich verdanke Bernd auch sehr viel ... eine ganze
Menge sogar ... und ... und ich habe gelernt, dass es nichts gibt ... was ein heißes Bad
nicht wieder gut machen kann ...“ Wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht, und sie
erzählte mir voller Scham, dass sie es niemals jemandem erzählt hatte, außer ihrer
Blindentherapeutin.
„Ohne sie ... wäre ich völlig abgestürzt ...“
180
Aber dieser Mistkerl gab sich damit nicht zufrieden.
"Bernd hat mir ... dann ab und zu irgendwelche widerlichen Typen geschickt, die mit mir
bumsen wollten“, erzählte Katharina mir mit zitternder Stimme weiter, "denen hat er weisgemacht, ich ... ich sei eine Art ... behinderte Nutte, die es ... mit jedem treiben würde ...
manchmal auch umsonst ... Ich hab sie alle rausgeschmissen ...“
Katharina wurde flammend rot und erläuterte mir dann, dass sie immer höllisch aufpassen
musste, damit ihre Eltern davon nichts mitbekamen. Ständig habe sie in der Angst gelebt,
dass eines Tages alles auffliegen, dass ihre Eltern von ihrem Treiben erfahren würden.
Ihr Vater hätte sie wahrscheinlich für lange Zeit in ein Internat der Blinden-Universität
gesteckt, wo sie strikt unter Kontrolle gewesen wäre.
Es war eine große Erleichterung für sie, als dieser Bernd dann endlich seine Nachstellungen aufgegeben hatte, wenn auch nicht ganz freiwillig.
Eine Zeit lang hatte er sie regelrecht bedroht, hatte sie einzuschüchtern versucht.
Mehrmals hatte er sie täglich angerufen, sie unterwegs abgefangen, und sie mit Drohungen
zu erpressen versucht. Er würde überall rumerzählen, wie sie es mit zahllosen Männern
getrieben habe, dass sie eine Nutte wäre, ein Flittchen, wenn sie nicht mehr mit ihm schlafen würde, mit ihm und ein paar seiner Freunde.
Doch Katharina ließ sich nicht erpressen, drohte ihm dagegen mit gerichtlichen Konsequenzen.
Und als auch das nicht wirklich half, hatte sie eines Nachts sein Auto, auf dass er so
unglaublich stolz war, mit einem sorgfältig geplanten Feuerwerk in Brand gesetzt, - ohne
dass sie sich dabei erwischen ließ.
In einem persönlichen 4-Augen-Gespräch ohne Zeugen machte sie ihm klar, dass sie sich
ganz gezielt einen neuen Freund und Beschützer gesucht habe, dass der Wagen von eben
diesem neuen Freund angezündet worden war, der als nächstes die Wohnung von Bernd
abfackeln würde, wenn er sie nicht in Ruhe ließe.
Katharina konnte ihn wohl überzeugen, dass dies kein Scherz wäre, dass sie kein Problem
damit habe die Wohnung von ihm selbst dann anzünden zu lassen, wenn er sich darin
befände.
Doch sie warnte diesen Bernd auch davor, seine kleinen Spielchen weiterzutreiben, da ihr
neuer Freund in manchen Dingen etwas seltsam wäre und komische Typen kenne. Wenn
sie dem noch mehr erzählen würde, was er - Bernd - mit ihr gemacht hatte, dann wäre dem
durchaus zuzutrauen, dass er ein paar seiner Freunde zusammenholte, die Bernd mit
Baseball-Schlägern auflauerten, und ihn mindestens für ein paar Wochen krankenhausreif
oder sogar zu Tode prügelten.
Das schien ihm ernsthaft Angst zu machen, denn sein Auto war immerhin schon Schrott.
So hatte er schließlich aufgegeben, und sie sich von ihm befreit.
Ich meinte, dass sie ihn trotzdem hätte anzeigen sollen, auch wenn die Beweislage so
schwierig war. Immerhin wäre er vor Gericht gekommen und hätte seine Unschuld beweisen müssen. Doch Katharina meinte nur leise, dass dann in Ermke jeder gewusst hätte,
was ihr passiert war, dass der gute Ruf ihrer Eltern auch noch hinüber gewesen wäre.
„Wir hätten wegziehen müssen ... und das ... das wollte ich nicht ... nicht meinen Eltern
antun ... auf keinen Fall ...“
Woher sie den Mut genommen hatte derart überzeugend zu bluffen, war ihr allerdings bis
heute nie klar geworden.
Eine lange Weile war ihr Interesse an Männern erloschen. Aber es war ihr irgendwie gelungen sich ihr gutes Verhältnis zum eigenen Körper und ihrer Sexualität langsam neu aufbauen. Es gab zwar die eine oder andere kleine Affäre, aber nichts von Bedeutung.
Das änderte sich erst, als sie wiederum einen sehr netten, jungen Mann kennenlernte,
einen ZDL´er, der beim Blinden-Verein eine Stelle bekam, engagiert und sehr sanftmütig.
181
Katharina hatte sich regelrecht Hals über Kopf in ihn verliebt, war selig verschossen und
himmelte ihn an.
Er hatte aber auch die gleichen Schwierigkeiten mit ihr, die viele sehende Männer mit
blinden Frauen hatten - genauso wie ich.
Ein paar Wochen waren sie in jeder freien Minute zusammen, hatten Spaß und Freude
aneinander, und Katharina blühte neu auf, fand wieder echte Freude am Leben.
Nur Sex hatte sie nie mit ihm, weil er das so wollte.
Sie hatte ihn ermutigt, sich als begehrenswerte Frau präsentiert, und war fast am Ziel.
Dann, als sie mit Achim, dem ZDL´er, zum Tanzen ging, traf sie ausgerechnet dort zufällig
Bernd wieder. Kotzfrech forderte er sie zum Tanzen auf.
Als sie ablehnte, lachte er sie laut aus und rief quer durch den Saal, dass diese blinde
Nutte, mit der er schon so oft im Bett gelegen und sie gevögelt habe, nicht mit ihm tanzen
wolle. Er fragte laut und provokant in die Runde, warum Nutten hier überhaupt Zutritt bekamen.
Es kam zu einer unvermeidlichen Schlägerei mit Achim, und wenige Tage später zur
Trennung von ihm, weil er bei der polizeilichen Vernehmung alles von Bernd erfahren hatte,
was nicht mit der Vergewaltigung zu tun hatte, was ihn nicht in schlechtes Licht setzte, aber Katharina dafür umso schlimmer.
Was sie ihm unbedingt verschweigen wollte, hatte er jetzt von einer Seite erfahren, die die
Geschichte natürlich vollkommen verdreht darstellte.
Noch ein paar Tage später rief sie dann dieser Bernd wieder an, bot ihr an als Ersatz mit ihr
zu vögeln, - bis sie einen neuen Lover gefunden habe.
Natürlich hatte sie empört abgelehnt, worauf er ihr drohte, dass sie nie wieder einen Typen
ins Bett bekäme, weil jeder von ihm erfahren würde, was sie für eine Nutte wäre, der es
Spaß gemacht habe, von einem Dutzend Männern auf einmal gebumst zu werden.
"Ich hatte wahnsinnige Angst vor ihm und seiner Drohung“, gestand Katharina unter heftigen Tränen, "ich brauchte Hilfe ... und wusste nicht ... wie ich sie finden könnte ... Mein
Vater hätte das nie verstanden, und ... und meine Mama ... auch nicht. Und zweimal hat er
seine Drohung schon wahrgemacht ... hat Freunden von mir erzählt ... was angeblich
passiert ist ... und die ... die habe ich danach nie wiedergesehen ... sie haben sich einfach
nicht mehr gemeldet ... sind nicht ans Telefon gegangen ... die ... die wollten mich nicht
einmal anhören ...“
Ich suchte für Katharina neue Papiertaschentücher, damit sie sich die Nase putzen konnte.
Der kleine Badezimmer-Abfalleimer war schon randvoll davon.
Dann beendete Katharina ihre Erzählung damit, dass diese ganzen Vorgänge einer der
wirklichen Gründe für ihren Umzug nach Oldenburg gewesen wären. So hatte sie geglaubt
den Nachstellungen von Bernd zu entgehen, und natürlich dem wachsenden Gerede in und
um Ermke.
"Kannst du dir jetzt ... vielleicht vorstellen ... welche Panik ... in mir ausbrach, als ich ...“, sie
schluchzte wieder ohne jede Hemmung, "als ich wieder ... wieder plötzlich ... seine Nähe
spürte ...?“
Das konnte ich, ohne größere Schwierigkeiten, - und ich saß da, wie versteinert, musste
das alles erst einmal verdauen.
Für den Moment war ich gänzlich unfähig, irgend etwas zu sagen. Ich brachte es nicht einmal zustande Katharina zu trösten, sie in den Arm zu nehmen oder ähnliches, was ihr
geholfen hätte ihre Fassung zu bewahren. Stumm und betroffen saß ich da, starrte diese
schöne Frau in meiner Badewanne, deren Schönheit zu diesem Zeitpunkt ziemlich ramponiert war.
Meine Empfindungen und Gedanken rasten durch meinen Kopf, - und ich war mir dennoch
nach wenigen Augenblicken sicher, dass ich Katharina nicht verachtete, keine Abneigung
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gegen sie verspürte. Ihr war schlimmes Unrecht geschehen, - da hegte ich keinen Zweifel.
Sie brauchte mein Verständnis und meine Zuneigung.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie es überhaupt geschafft haben mochte, so ein offenes Verhältnis, Gefühle und Zuneigung für Männer zu bewahren, nachdem sie durch ein
solches Desaster aus Gewalt und Demütigung gegangen war.
Sie hatte unzweifelhaft eine Menge Gründe Männer zu hassen.
Ich verstand und verstand es nicht, warum sie mir nicht einfach die Wahrheit anvertraut
hatte. Es hätte kaum schlimmer sein können, als jetzt ihre Beichte zu hören.
Und das war es auch, was ich offen aussprach.
"Ich ... ich hatte Angst ...“, stammelte Katharina unter Tränen, "vielleicht ... ich wollte dich
nicht verlieren ... und du ... du hättest mich vielleicht gehasst ... oder verachtet ... mich für
ein ...“
"Hältst du mich wirklich für so einen Idioten?
"Nein ... nein ich ...“
"Du hättest es mir einfach nur sagen müssen ... einfach die Wahrheit sagen ...“
"Und wenn du ... wenn du ... gegangen ...“
"Manchmal“, erwiderte ich seltsam altklug und ganz ruhig, "ist es besser ... etwas zu
riskieren ... Du wusstest doch ... welche Folgen es haben kann, wenn du es verschweigst.
Wenn du mir offen ... ganz offen das erzählt hättest, was du mir jetzt erzählt hast, dann
hätte es mir ... genauso weh getan ... wie es mir jetzt wehtut. Aber ... aber ich glaube ... ich
hätte es genauso verstanden ... wie ich ... das jetzt tue."
"Ich ... ich hatte Angst, dass er ... dass er mit dir genau dasselbe machen würde“, hörte ich
Katharina leise flüstern, "dass er unsere ... unsere Beziehung zerstören würde ... bevor sie
richtig angefangen hat ... Und ich ... ich wollte schnell noch etwas ... etwas Zeit gewinnen,
dich ... dich an mich binden, bevor ... du das alles aus seiner ... von ihm erfährst ... Aber
dann ...“, Katharina zog heftig die Nase hoch und suchte zerfahren nach einem neuen
Papiertaschentuch, "dann kam mir meine Periode dazwischen ... und ... und machte alles
noch schwieriger ... Nie ... nie habe ich das so gehasst wie an diesem Tag ... Denn ich ...
ich wollte um jeden Preis mit dir schlafen, dich ... ein bisschen verrückt machen ... damit du
... damit du bei mir bleibst ..."
Keine Frage, es war eine dumme Entscheidung gewesen, die auf zu wenig Vertrauen
beruhte, weil wir uns nicht gut genug kannten. Mir wären auf Anhieb eine Menge Männer
eingefallen, die Katharina sofort nach so einer Geschichte als billiges Flittchen betrachtet
hätten, als neurotische Nymphomanin.
Mir fiel es auch nicht leicht, mit ihrer Geschichte zu leben.
Doch ich sah bei ihr keine wirkliche Schuld. Sie hatte sich da hinein manövriert, aber nicht
schuldhaft.
Hätte sie mir das am Baggerloch erzählt, dann wäre ich sicherlich auf diesen Kerl losgegangen und hätte ihn verprügelt, ihm eine Lektion erteilt.
Doch Katharina meinte nur unter Tränen, dass er dann trotzdem gewonnen hätte, weil er
mich garantiert angezeigt und ich eine dicke Geldstrafe wegen Körperverletzung bekommen hätte.
Das wäre mir in diesem Moment völlig egal gewesen.
Nüchtern betrachtet hatte sie natürlich recht.
Sie wollte mir keinen Schaden zufügen lassen, sondern mich und uns beide und unsere
begonnene Liebe beschützen.
Nur der Weg war nicht richtig gewesen.
Sie war aber zu mir gekommen, hatte stundenlang draußen im strömenden Regen gesessen, nur um mich nicht zu verlieren.
Sie hatte sich freiwillig, mehr oder weniger, dazu durchgerungen, mir ihre Vergangenheit
offen zu legen, ehe ich sie womöglich aus anderer Quelle erfuhr.
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Ein Teil ihres Lebens, den sie am liebsten aus ihrem Leben gestrichen und vergessen
hätte.
War sie vielleicht völlig neurotisch?
Ich sah Katharina an, sah ihr verheultes Gesicht, das sie mir wieder voll zugewandt hatte,
um meine Reaktion zu erfühlen.
Da war viel mehr, als nur diese rot geheulten, verquollenen Augen. Da war viel Hoffnung
und Zärtlichkeit in ihren Zügen und auch die Gewissheit, dass sie mich liebte, um keinen
Preis verlieren wollte.
Dabei kannten wir uns nicht einmal zwei Monate, waren uns noch nie ganz, ganz nahe
gekommen, - und fühlten doch diese Seelenverwandtschaft, die uns verband. Diese
Zärtlichkeit und Hoffnung in ihrem verheulten Gesicht galten nur mir, egal was vorher
gewesen sein mochte, sie gedachte, sich mir anzuvertrauen.
Nein, ich dachte höchstens ein paar Sekunden daran, diese Frau deswegen wieder aufzugeben.
Doch was mochte sie an mir finden?
Ich war ein unentschlossener, ziemlich antriebsloser Kunststudent ohne wirkliche Ziele.
Katharina weinte immer noch, doch jetzt fast lautlos. Vielleicht, weil ich nichts sagte, weil
sie nicht herausfinden konnte, wie ich zu dem Gesagten stand, weil sie die Erinnerungen
quälten, oder weil sie Angst hatte, mich doch endgültig verloren zu haben.
Nie hatte ich einen Menschen, den ich für so stark gehalten hatte, so schwach und am
Ende seiner Kräfte gesehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie neben ihrer unbeugsamen Stärke auch ihre Schwächen akzeptierte. Dass das ausgerechnet auf Katharina
zutraf, machte auch mich auf eine unerklärliche Weise frei, frei über alle Schwierigkeiten
hinweg sie dennoch, oder gerade deswegen zu lieben.
Ich war mir sicher, dass es nicht unmöglich sein würde über meinen eigenen Schatten zu
springen, über mich selbst hinauszuwachsen.
Ganz plötzlich war mir völlig klar, dass wir auf unerklärliche Weise zusammengehörten,
dass ich sie mehr und inniger liebte, als ich ohnehin schon gewusst hatte, mehr als ich mir
das jemals hatte vorstellen können.
Jetzt wusste ich, dass meine Angst vor ihr, ihrem Leben, ihrer Blindheit und ihrer Stärke
nichts anderes war, als infantile Unreife. Es musste erst so ein schreckliches Desaster
passieren, um mir darüber klarzuwerden.
Ganz langsam streckte ich die Hand nach Katharina aus, zögerte - und legte sie dann
weich an ihre Wange, ließ sie sich sanft daran schmiegen, strich ihr über die Augen,
wischte die Tränen fort, strich über ihr zerzaustes Haar und ergriff schließlich die Hand, die
sie mir entgegenhob.
"Ich würde ... ich meine ... ich könnte dich nie hinauswerfen“, hörte ich mich selber sagen
und wunderte mich über die Festigkeit meiner Stimme, "ich hab dich ... dich doch auch lieb
... und das ... das kann ich doch ... nicht verleugnen."
Woher hätte ich das Recht haben sollen, sie zu verurteilen. Ganz gleich, ob sie mitschuldig
war oder nicht. Es war ihr Leben, und niemand hatte das Recht, sie darin zu dominieren
und ihr Vorschriften zu machen.
Ich konnte und wollte keinerlei Rechtfertigung von ihr verlangen. Vielleicht war es wichtig,
dass ich frühzeitig über ihre Vergangenheit Bescheid wusste, sodass ich ihr nie vorhalten
konnte, mich getäuscht zu haben. Katharina hatte sich längst selbst ein Urteil gesprochen und sich Bewährung gegeben.
Sie schuldete mir nichts, genauso umgekehrt.
Was ich freiwillig für sie empfand, war nicht das Resultat meines oder ihres Lebens,
höchstens ein Stück weit davon beeinflusst. Ob ich sie nur um ihrer Selbst wegen liebte,
hätte ich an diesem nicht Tag formulieren können. Dazu waren die Ereignisse noch alle viel
zu frisch, dazu war viel zu viel an Ereignissen auf uns eingestürmt.
184
Katharina hatte erst nicht reagiert, war bei meinen Worten einen Augenblick wie erstarrt vor
Schweigen geblieben. Dann weinte sie noch wesentlich heftiger als zuvor, presste meine
Hand erneut an ihre Wange. Ich beugte mich wieder zu ihr herunter, nahm sie sanft in den
Arm, strich ihr erneut beruhigend über dieses nachtschwarze Haar, das erste, was mir an
ihr sofort aufgefallen war, als ich sie das erste Mal sah. Eng umschlungen hielt ich sie so,
bis sie langsam wieder ruhiger atmete.
Ohne sie vollkommen loszulassen, angelte ich wieder nach dem Waschlappen und legte
ihn ihr wieder dampfend heiß auf das Gesicht.
Nie hätte ich gedacht, dass ein Mensch solche Mengen von Tränen vergießen könnte.
Irgendwann musste doch die Flut aus ihr versiegen.
"Ich bin froh, dass du ... mir das alles erzählt hast“, sagte ich ihr leise, und dass ich
mindestens ebenso froh wäre, dass sie jetzt hier bei mir und in meinem Arm wäre.
Sie sah richtig ein bisschen krank aus, als sie mir zulächelte, - und ich hoffte inständig,
dass es tatsächlich nur so aussah, denn es schien ihr durchaus langsam wieder besser zu
gehen.
"Ist dir kalt ...?“
Katharina schüttelte den Kopf und schaffte dieses Mal etwas, was einem richtigen Lächeln
schon sehr viel ähnlicher war. Es fiel mir plötzlich fast leicht, die richtigen Worte zu finden,
ihr zu sagen, was ich wollte.
"Wir wollen versuchen ... nie mehr sinnlos zu streiten ..."
Stumm nickte sie mir zu, letzte Tränen in den Augen, und verlangte dann erneut nach
einem neuen, trockenen Taschentuch, um sich die Nase zu putzen.
Ich lachte darüber, brachte ihr eine weitere neue Packung und fragte sie auch, ob sie vielleicht noch einen heißen Tee wolle.
Sie wollte, aber sie ließ mich offenbar nicht gerne aus ihrer Nähe. Es war als wollte sie sich
ständig vergewissern, dass das alles kein Wunschtraum war, dass sie gerade die Wirklichkeit erlebte. Sie schien richtig ein wenig erleichtert, als ich wieder da war, ihr Tee brachte
und sie sich wieder erschöpft und müde im Wasser ausstrecken konnte.
"Willst du ein bisschen Musik hören ...?“
Katharina nickte nur stumm und so ging ich ins Wohnzimmer. Ich drehte meine Musikanlage eine Spur lauter, damit sie auch etwas hören könnte, und kehrte danach wieder zu ihr
ins Badezimmer zurück.
Sie lag entspannt im Wasser, hatte tatsächlich aufgehört zu weinen, nahm große Schlucke
Tee, den ich ihr mitgebracht hatte. Nur ihr Gesicht wirkte immer noch ziemlich ruiniert.
Zärtlich küsste ich sie auf die Stirn, und wunderte mich ein wenig über mich, dass mir das
alles plötzlich so leicht fiel, wie gut ich damit umgehen konnte.
Eine Weile lauschten wir händchenhaltend der Musik aus dem Wohnzimmer, und hingen
unseren Gedanken nach.
Degenhard sang gerade vom Wackelsteiner Ländchen, vom alten Senator, der sich dieses
Wackelsteiner Ländchen immer mehr unter den Nagel riss und mit Skrupellosigkeit und
Stahlwerken ein Riesenvermögen machte, ganz gleich unter welcher Regierung.
Katharina legte den Kopf etwas schief auf den Wannenrand, um besser hören zu können,
kuschelte sich dabei intensiv mit ihrer Wange an meinem Handrücken.
"Was ist ... ich meine ... wer ist das?“
"Franz Josef Degenhard ...“
"Ein Liedermacher?“
"Ja, ein Liedermacher und Rechtsanwalt aus Hamburg."
"Hab ich noch nie gehört“, Katharina lachte leise, "es gibt leider immer noch so viel, das ich
nicht kenne, wovon ich noch nie etwas gehört habe."
Wir lauschten den bissig, ironischen Texten, der schlichten Gitarrenbegleitung, die halblaut
an unsere Ohren drangen.
185
Katharina bat mich, ihr bei Gelegenheit mal die eine oder mehrere Kassetten von diesem
Liedermacher aufzunehmen. Sie war jetzt sichtlich nahezu entspannt, weinte und zitterte
nicht mehr, lag still im heißen Wasser und sammelte neue Kräfte. Immer wieder legte sie
sich den nassen Waschlappen auf´s Gesicht und atmete tief durch. Ich hielt ihre Hand,
damit sie nicht das Gefühl meiner Nähe verlor.
Doch langsam fühlte ich, wie erschöpft und müde ich selber war, dass meine Muskeln verspannt waren, dass ich dringend Schlaf benötigte.
Was allerdings morgens um halb drei kein Wunder war.
Irgendwie fühlte ich mich zugleich zentnerschwer und federleicht. Vor meinen Augen
flimmerte es ein wenig, und manchmal schwankte das Badezimmer trügerisch.
"Willst du nicht auch in die heiße Wanne kommen?“ fragte mich Katharina plötzlich und riss
mich aus meiner Art Dämmerzustand, "ich glaube, du kannst es genauso gut brauchen ...
wie ich."
Ich musste spontan lachen, weil sie mal wieder genau gespürt hatte, wie ich vor Müdigkeit
und Erschöpfung mehr und mehr zusammensackte. Es fiel mir von Minute zu Minute
schwerer, mich den Folgen des Tagesstresses zu entziehen.
"Es geht schon“, wiegelte ich etwas murmelnd ab, denn ich war mir nicht sicher, ob das
wirklich eine gute Idee sein könnte, "ich bin zu müde zum Baden ...“
"Ach komm ...“, Katharina lächelte mir schmeichelnd zu, "stell dich nicht so an ... Du bist
müde und ...“
"Ich kann ja später noch baden ...“
"Jetzt wäre aber netter ... in der Wanne ist genug Platz für uns beide“, Katharina brachte
tatsächlich so etwas wie ein strahlendes, beinahe fröhliches Lächeln zustande, setzte sich
ein wenig auf und machte eine einladende Handbewegung, "ich merke doch, wie müde und
KO du bist ... Außerdem stinkst du ...“
"Was?“
"Ja, ... du stinkst nach Bier, Schnaps und Schweiß“, Katharina zog eine Grimasse, "und im
Regen bist du genauso nass geworden wie ich ... und ich will auch nicht, dass du dich
erkältest“, dann hielt sie plötzlich inne, wurde erst blass und dann rot. "Oder ... oder magst
du nicht baden ... weil ich ... weil ich ... meine Periode habe ...?“
"Wie kommst du denn darauf?“
"Ich kann das verstehen ...“, es war ihr sichtlich peinlich überhaupt damit angefangen zu
haben, mich damit zu einer Stellungnahme zu nötigen, "du ... du musst mir nichts beweisen
... Ich bin dir deswegen nicht böse ...“
"Das ist Blödsinn ...“
"Bist du sicher ...?“
"Ja ... absolut."
"Gut ... dann komm in die Wanne ... und wärm dich durch ...“, sie wurde wieder flammend
rot und grinste dennoch, wenn auch ein wenig verlegen, "du ... du musst nicht einmal
befürchten, dass ... ich mit dir bumsen will ... ich hab schließlich meine ...“
"Du redest dummes Zeug ... ich habe keine Angst ...“
"Gut ... komm rein ...“
Einen winzigen Augenblick zögerte ich noch, wollte Katharina eigentlich ungestört baden
lassen. Doch meine schmerzenden Muskeln und die Verlockung auf das heiße Wasser war
zu groß, zumal sie mir anbot, noch jede Menge heißes Wasser nachlaufen zu lassen.
Da stimmte ich endlich zu, goss noch schnell ein paar ätherische Öle hinzu, während
Katharina beiseite rückte, um sich nicht vom heißen Wasser verbrennen zu lassen.
"Bei so viel Badezusatz können wir nur gesund bleiben“, meinte sie lächelnd und blies die
Duftwolken ein wenig von sich weg, "hier drinnen riecht es schon jetzt wie in einer Kurklinik
...“
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Seltsamerweise wurde mir völlig bewusst, dass ich kaum Schamgefühl empfand, als ich
mich in dem engen Badezimmer auszog. Ich warf zwar einige Blicke zu ihr, ahnte wohl,
dass sie auf die wenigen Geräusche lauschte, die ich beim Ausziehen verursache, aber sie
war blind und konnte mich nicht sehen. Dann stand ich endlich splitternackt am Badewannenrand und stieg vorsichtig in das heiße Wasser.
Es war viel heißer, als ich gedacht hatte. Vielleicht hatte Katharina doch nicht ganz unrecht
gehabt.
Es bedurfte schon einer gewissen Akrobatik, die Beine so um uns herum und übereinander
zu lagern, dass wir es beide bequem hatten. Dabei kam erschwerend hinzu, dass wir beide
emotional und körperlich erschöpft waren, was eindeutig in direktem Zusammenhang
stand.
Aber es tat wahnsinnig gut, mich im Rahmen unserer Möglichkeiten auszustrecken.
Das heiße Wasser zeigte sofort seine Wirkung. Noch eine kurze Zeit zitterten ein wenig
meine Beine von den Anstrengungen des Tages, doch dann lullte mich die Hitze ein, zeigte
mir nur allzu deutlich, wie kalt mir trotz der inzwischen gut durchgewärmten Wohnung war.
Ich war auch längst völlig übermüdet, und der viele Alkoholgenuss zeigte verspätet noch
einmal verstärkt Wirkung. Es war eine richtige Wohltat, beruhigte meine Nerven und vertrieb die Steifheit aus Muskeln und Gliedern.
"Na ... hab ich´s nicht gesagt ...?“
Katharina suchte mit einem halbwegs gelungenen Lächeln wieder nach meiner Hand,
umfasste sie, lehnte sich dann ins Wasser zurück, bis sie bis zur Kinnspitze einsank. Die
starke, aufsteigende Wärme trieb uns den Schweiß auf die Stirn, die Nase befreite sich
durch die ätherischen Öle, während unsere Körper immer schwerer wurden. Unsere dunklen Gedanken und Ängste lösten sich allmählich wie ein letzter Nebel auf.
Als ich einmal kurz zu Katharina hinüber blinzelte, sah ich ihr verschwitztes Gesicht mit der
kraftlosen Mimik, die eine endlose Müdigkeit und Erschöpfung widerspiegelte. Die letzten
Tage waren nicht spurlos an ihr vorüber gegangen und besonders der heutige Abend.
Ich richtete mich vorsichtig ein wenig auf, wollte sie nicht stören, und Katharina hielt tatsächlich die Augen geschlossen. Liebevoll deckte ich ihr Gesicht wieder mit dem heißen
Waschlappen ab, und sie dankte mir mit einem wohligen Grunzen. Im dichten Schaum
konnte ich von der Oberfläche ein paar spärliche Ausblicke auf ihre Brüste erhaschen und
musste unwillkürlich grinsen.
Plötzlich hob Katharina ihr linke Hand aus dem Wasser, gähnte langanhaltend und müde,
und suchte dann eine bequeme Möglichkeit die Hand auf den Wannenrand zu legen.
Interessiert und mit einer gewissen Faszination beobachtete ich ein schmales, dünnes Blutrinnsal. Es entsprang irgendwo dort unter dem löchrigen Schaum auf dem Boden der
Wanne, wo sich Katharinas Beine mit ihrem Körper verbanden, und tiefschwarzes Kraushaar ihrem Venushügel erkennen ließ. Bedächtig und langsam stieg es durch das heiße
Wasser nach oben, sich dabei immer mehr auflösend.
Im selben Moment presste Katharina heftig ihre andere Hand auf den Unterleib, verzog das
Gesicht und ließ einen leisen Schmerzenslaut hören.
"Tut`s sehr weh ...?“
Katharina nickte stumm und zog eine Grimasse. Sie stieß heftig die Luft aus, und fragte
mich leise und schamvoll errötend, ob es wieder angefangen habe zu bluten.
"Nur ganz wenig ...“
Das hätte ich besser nicht gesagt, nicht einmal in so beruhigendem Ton.
Für sie war es das Signal für hochschießende Furcht und Scham. Katharina schrie
erschrocken auf. Blitzschnell und hektisch versuchte sie die Verschlingungen unserer Beine
zu lösen. Sie wollte aus dem Wasser, aus der Wanne heraus, was natürlich bei unserer
Lage nicht so einfach war.
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Beinahe wäre sie in ihrer Panik der Länge nach hingefallen, vielleicht sogar mit dem Kopf
auf dem Badewannenrand aufgeschlagen, mit Sicherheit aber auf dem Boden. Sie hätte
sich schlimm verletzen können, wenn ich sie nicht gerade noch zu packen gekriegt hätte.
"So beruhige dich doch ... es ist doch gar nicht so schlimm ...“
"Ich kann eine ... Unterleibsinfektion kriegen!“ kreischte sie völlig außer sich und versuchte
sich loszureißen. Wenn es hier vorher nicht gelungen war, so war sie jetzt mit ihrem immer
lauter werdenden Geschrei und Jammern auf dem besten Weg das ganze Haus aufzuwecken. Ich wurde offensichtlich mal wieder vollkommen meinem Ruf als typischer Künstler
weitestgehend gerecht. Meine Versuche Katharina zu beruhigen, waren schier zwecklos.
"Sei doch bitte vernünftig ... und bitte ... sei leise ...“
Es war ihr endlich gelungen aus der Wanne zu hüpfen und sicheren Fußes zum Stehen zu
kommen, ehe ich es verhindern konnte. Scheinbar legte sie es tatsächlich darauf an, sich
doch noch zu erkälten, - oder durch ihr lautes, ratloses Jammern die gesamten Mitmieter
gegen mich aufzubringen. Sie zappelte außerhalb der Wanne herum und wusste offensichtlich nicht, was sie jetzt tun sollte, war völlig unschlüssig.
Sie befand sich immerhin in einer für sie fremden, unbekannten Umgebung, wusste zwar,
dass ich Ersatzbinden mitgebracht hatte, aber nicht, wo sie die finden konnte. Dabei konnte
ich deutlich erkennen, dass sie nur ganz wenig blutete, sodass es nicht einmal der Rede
wert war.
Trotz der Hektik bekam ich noch mit, wie sich ein dünner Blutfaden langsam am Oberschenkel hinunter schlängelte. Katharina aber fühlte panisch mit nassen Händen und
Fingern nach, spürte natürlich nur sehr viel Feuchtigkeit, weil sie auch erst gerade der
Wanne entsprungen und völlig nass vom Badewasser war, - und schrie erschrocken auf. In
ihrer Hysterie hielt sie das wohl alles für Blut an ihrem Bein, suchte nach einer letzten
Rettung, um nicht zu verbluten, - obwohl da überhaupt keine Gefahr bestand.
Sie drehte sich gleich mehrfach um die eigene Achse, schrie erneut voller Panik auf, dass
sie eine Infektion bekommen werde, und verlor völlig die Nerven.
Es war für mich nahezu absehbar, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis der erste
Nachbar oder gar meine Vermieterin klingeln würde, um sich energisch wegen der nächtlichen Ruhestörung zu beschweren.
Mir blieb keine Wahl, ich musste meine letzten Kräfte mobilisieren, aus der Wanne herausspringen, und den mit einem Griff gepackten Bademantel um Katharina schlingen. Dabei
versuchte ich alles, um sie beruhigen, ihre Lautstärke zu dämpfen.
Doch sie schüttelte ihn herumzappelnd wieder ab, wies meine Hilfe zurück und jammerte,
dass sie sowieso nur alles voll bluten werde.
Mir riss langsam erneut der Geduldsfaden.
Diese Frau kostete mich in der Tat Nerven, die ich schon längst als bloßgelegt empfand.
Ich packte sie bei den Schultern und schüttelte sie einmal kräftig durch.
"Reiß dich zusammen ... verdammt noch mal ...!"
Ich war natürlich wieder zu laut geworden, doch es zeigte wie schon einmal zuvor deutliche
Wirkung.
Erschrocken riss Katharina Mund und Augen weit auf, und war schlagartig ganz still.
Beruhigend schloss ich die Arme um sie, als auch schon im selben Moment die Wirkung
wieder verpuffte.
"Schrei mich nicht an!“
"Entschuldige!“
"Du bist ein ... ein Scheißkerl!“ Sie explodierte förmlich mit ihren überreizten Emotionen,
war plötzlich außer sich vor Zorn, das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzerrt. Es
war offensichtlich, dass sie überhaupt nicht klar dachte, und nicht wusste, was sie sagte
oder tat.
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"Hör auf ... hier rumzubrüllen!“ den "Scheißkerl" ignorierte ich noch großzügig, aber nicht
ihre Lautstärke um diese Uhrzeit.
Doch Katharina giftete sofort ungedämpft zurück.
"Wer brüllt denn hier?!“
"Na du ... selbstverständlich ...“
"Fass mich nicht an“, sie fuchtelte orientierungslos herum und schlug kreischend nach
meinen Händen. Sie war überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen, als ich erneut versuchte,
ihr den Bademantel umzulegen. Ich suchte sie festzuhalten, sie in meine Arme zu nehmen,
in der verzweifelten Hoffnung, sie damit doch wieder zu beruhigen.
Doch sie stieß mich heftig weg. Wirr und verhaspelnd redete sie nur von gefährlichen Infektionen und war völlig außer sich.
Ich versuchte sie erneut zu packen, ihre herumwuselnden Arme unter Kontrolle zu bringen.
Doch das machte es alles nur noch schlimmer.
Mit einem Mal kreischte sie los wie eine Irre, schlug gleichzeitig kraftvoll um sich, was mich
eingeschüchtert daran erinnerte, dass sie durchaus in der Lage war, sich zu verteidigen,
wenn sie sich selbst unter Kontrolle hatte.
Immer wieder versuchte sie mich wegzustoßen, und ihre Stimme wurde immer lauter und
schriller.
Da gingen endlich auch mir die Nerven durch. Ich hatte endgültig die Nase voll.
Ohne lange nachzudenken, holte ich kurz aus und knallte ihr eine Ohrfeige mitten ins
Gesicht.
Es riss Katharinas Kopf heftig zur Seite, wodurch mir die Erkenntnis aufblitzte, dass ich
vielleicht ein wenig zu kraftvoll zugeschlagen hatte.
Aber es wirkte - sie war auf der Stelle mucksmäuschenstill.
Dabei hatte mir diese Ohrfeige fast mehr weh getan, als ihr. Ich schwankte zwischen Entsetzen und Erleichterung und hatte eine blitzkurze Vision, wieso Ehemänner manchmal
durchdrehten und ihre Frauen verprügelten.
Ich hasste Männer die Frauen schlugen.
Noch nie in meinem Leben hatte ich einer Frau eine Ohrfeige gegeben. Ich fühlte mich wie
ein elender Kotzbrocken.
Mir war übel vor Entsetzen vor mir selber.
Dass ich mir in meiner Hilflosigkeit keinen anderen Rat mehr gewusst hatte, war nur ein
unsäglich schwacher Trost.
Katharina stand der Mund vor Verblüffung weit offen.
Sie hielt sich die linke Wange, auf die ich sie geschlagen hatte. Unter ihren Fingern sah ich
deutlich die roten Flecke, die meine Hand dort hinterlassen hatten.
Ich suchte nach Worten, um mich zu entschuldigen, doch sie kam mir zuvor.
"Du hast mich geschlagen“, flüsterte sie leise und schien es selbst nicht glauben zu können, was ihr gerade passiert war.
"Es tut mir leid ...“
"Es tut dir leid“, fragte sie ungläubig nach und steigerte dann ihre Stimme um mindestens
drei Oktaven, "du hast mich geschlagen ... du ... du ...“
Ehe ich es verhindern und reagieren konnte, kreischte sie schon wieder los, tobend vor
Empörung.
Und ich konnte sie sogar ein wenig verstehen.
Doch bei mir war es wie ein Reflex, es ging schneller, als ich darüber nachzudenken
schaffte.
Ich schlug wieder zu - auf die gleiche Wange - mit der gleichen Wirkung.
Wieder war Katharina wie erstarrt und völlig sprachlos. Sie hielt sich erneut die jetzt deutlich gerötete Wange und schnappte nach Luft.
"Du Mistkerl ...“, zischte sie mich wütend an, "du hast mich schon wieder geschlagen ...“
189
"Es tut mir leid ...“ Ich fühlte mich entsetzlich elend und mies, sogar mehr, als nur ein
bisschen schuldig, - doch ich hatte mir einfach keinen Rat mehr gewusst.
"Niemand ... niemand hat das Recht, mich zu schlagen“, giftete mich Katharina kreischend
an, "du ... du bist ein verdammtes Schwein ...!“
"Und du führst dich auf wie ... wie eine hysterische Zicke!"
"Waaas?!“
"Meinetwegen auch wie eine blöde Furie!“ mir war in diesem Moment völlig egal, wie sie
darauf reagieren würde. Ich wollte nur noch, dass sie endlich leiser war und nicht das
ganze Haus zusammenbrüllte.
Also suchte ich die Flucht nach vorn.
Zumindest für eine Sekunde konnte ich Katharina damit sichtlich beeindrucken. Ihr Gesicht
war eine einzige große und lautlos stille Empörung und Verwunderung über meine aggressive Entschlossenheit.
Doch dann, schneller als ich denken konnte, fuhr ihr rechter Arm mit geballter Faust nach
oben.
Sie traf mich genau auf die Nase, die auch prompt sofort blutete.
Jetzt war ich beeindruckt, denn der Schlag kam mit solcher Wucht, dass ich eine Sekunde
glaubte, mein Kopf würde abgerissen.
Katharina versuchte sogar noch einmal zuzuschlagen. Doch sie verfehlte ihr Ziel, weil ich in
letzter Sekunde auswich und ihr Handgelenk zu fassen bekam. Sie wehrte sich, strampelte
mit Armen und Beinen, kreischte wie eine Verrückte. Sie trat nach mir und versuchte mich
wegzustoßen.
Doch meine Reaktion war nur, dass ich um so mehr versuchte sie festzuhalten. Gleichzeitig
spürte ich warm das Blut über meine Nase und mein Kinn laufen, sah es zu Boden tropfen.
Da schlug ich noch einmal zu, und dieses Mal sogar noch fester, so beschissen ich mich
auch dabei fühlen mochte.
Katharinas Kopf flog wieder zur Seite und einen Moment strauchelte sie, suchte sich zu
fangen von der Wucht der Ohrfeige, und fuhr sich wieder mit der Hand an die gleiche
Wange.
Die war jetzt deutlich rot von drei sehr kräftigen Ohrfeigen.
Wieder verstummte Katharina wie ein Fisch, stand mir offenen Mundes sprachlos gegenüber.
"Bitte ... bitte hör auf ... dich so aufzuführen“, meine Stimme war fast tonlos und klang würgend. Auch weil ich keine Luft durch die Nase bekam und deutlich dabei spürte, dass ich
mich jeden Moment übergeben würde. „Ich ... ich will dich nicht noch einmal schlagen
müssen ...“
"Das wagst du nicht ...“, auch Katharinas Stimme war wie ein Flüstern.
"Provozier es besser nicht“, es war mir jetzt egal, ob sich das wie eine Drohung anhörte,
"ich bin nämlich jetzt müde und ... ziemlich fertig ... meine Nase blutet ... und ich ... ich habe
keine Lust weiter deine ... deine hysterischen Ausbrüche zu ertragen ...“
Katharina wich einen halben Schritt bis an die Wand zurück, hob schützend die Arme vor
ihr Gesicht und lauschte offenbar auf meine nächsten Aktionen.
Ich stand ihr schweratmend gegenüber und rührte keinen Finger, sah sie nur voller Selbstvorwürfe an. Vergeblich versuchte ich mir für mein Handeln Bewährung zu geben.
Als ich mich nach dem Bademantel bückte, schrie sie leise auf und duckte sich hinter ihre
schützenden Armen, als habe sie tatsächlich wieder neue Ohrfeigen von mir befürchtet.
Ganz langsam und ruhig ging ich auf sie zu, hob sie hoch, drückte ihre Arme herunter und
legte ihr den Bademantel um.
Katharinas Gesicht war voller Misstrauen und Furcht.
Erst als ich sie wieder losließ und einen Schritt zurücktrat, begann sie schlagartig zu weinen.
190
Ich war zu ernüchtert, um irgend etwas zu ihrer Beruhigung zu tun, sie in den Arm zu
nehmen oder etwas ähnliches. In mir tobte mein Selbstvorwurf für das, was ich getan hatte,
weil es mir vorher unvorstellbar erschienen war. Mir war klar, dass ich etwas tun oder
sagen musste, es ihr erklären, - aber ich konnte mich nicht rühren, nicht einmal einen
klaren Gedanken fassen.
"Es ... es tut mir so leid“, machte ich einen ersten Versuch, doch Katharina schüttelte nur
heftig den Kopf und wandte sich ab. Sie wollte offenbar meine Entschuldigung nicht hören,
war zu tief verletzt.
Ich dachte nur daran, dass ich es endlich geschafft hatte, alles wieder zu zerstören, was wir
beide gerade wieder so mühsam zusammengeflickt hatten.
Kein Zweifel, damit war ich für Katharina endgültig und vollständig erledigt. Ich würde ihr
nicht einmal vorwerfen können, dass sie nie mehr ein Wort mit mir sprechen wollte.
Mir war jetzt auch zum Heulen zumute, um unsere so entsetzlich schwierige Beziehung.
Um Katharina, die ich durch meine verzweifelte Hilflosigkeit damit endgültig verloren hatte.
Um mich selbst, und um mein Unvermögen anders mit dieser chaotischen Lage umzugehen.
"Ich ... ich wollte doch ... nur helfen“, flehte ich sie um Vergebung an, "aber du ... du warst
so ... so hysterisch ... und ... Ich wollte dich nicht schlagen ... niemals ... aber ich wusste
nicht ...“
"Niemand ... niemand hat mich je geschlagen“, Katharinas Stimme war wie ein Flüstern,
"nicht einmal ... Bernd hat das versucht ...“
Damit hatte ich also mein eindeutiges Urteil, doch Katharina berichtigte sich gleich wieder.
"Doch ... doch er hat es versucht“, räumte sie mit leiser Stimme ein, und wandte mir ihr
tränennasses Gesicht zu, "aber ... aber ich bin ihm zuvor gekommen und habe ihm die
Nase gebrochen ...“
"Ja ... mir wahrscheinlich auch ...“
"Waaas?!“ Sie schrie schon wieder auf und machte sofort eine entschuldigende Handbewegung für ihre Lautstärke, "das ... das wollte ich nicht ... Lass mal sehen ... tut es weh
...“
Ich glaubte nicht richtig zu hören und starrte sie fassungslos an. Doch Katharina kam ruhig
auf mich zu, tastete nach meinem Gesicht und machte prompt den gleichen Fehler, wie
schon bei sich selber. Sie verwechselte erneut Wasser mit viel Blut und erschrak. Meine
Nase blutete, tat höllisch weh, aber nicht so sehr, wie sie offenbar glaubte.
"Oh ... oh mein Gott ...“
Sie entschuldigte sich stammelnd, für ihren Fausthieb, ihre Hysterie, ihr Rumgebrülle, einfach für alles, sie redete rasend schnell und ohne Ende.
Ich konnte es einfach nicht glauben, was ich da hörte.
Doch Katharina warf sich plötzlich weinend in meine Arme, und bat mich um Verzeihung, während ich mich beinahe auf den Rücken gelegt hätte, weil mich ihr plötzlicher Ansturm
fast von den Beinen holte.
"Es tut mir so leid ...“
Katharina wandte mir ihr Gesicht zu, tastete vorsichtig und sanft nach meiner Nase, und ich
begriff endlich, was sie da überhaupt sagte, verstand die Situation und ihre Entschuldigung.
Doch ich versuchte ihr klarzumachen, dass ich mich bei ihr entschuldigen müsse.
Aber das ließ sie nicht gelten, schloss wieder fest ihre Arme um mich und entschuldigte
sich erneut. Sie gestand mir unerwartet zu, dass sie ihre eigene Hysterie, die sie manchmal
packte, selber völlig zum Kotzen fand. Aber sie könne eben nicht anders und hätte sicherlich völlig durchgedreht, wenn ich ihr nicht die Ohrfeigen verpasst, sie wieder in die Realität
zurückgeholt hätte.
Ich schloss aufstöhnend die Arme um sie, glücklich über diese unerwartete Wendung.
Schamvoll verbarg ich mein Gesicht in ihrem nassen Haar und dachte, dass ich mich viel-
191
leicht besser in eine Irrenanstalt einweisen lassen sollte. Zumindest für eine Zeit, weil es
mir dann wesentlich besser gelingen könnte, Katharinas wirres Hin und Her zu ertragen.
Zum Glück gelang es uns beiden dieses Mal recht schnell, die Fassung wiederzugewinnen.
Katharina schniefte sich nur ein paar Mal kräftig, löste sich dann von mir und entschuldigte
sich noch einmal für alles, wie sie sich aufgeführt hatte.
Ich bat sie um Vergebung wegen der Ohrfeigen, sah mir ihre Wange an und musste
zugestehen, dass sie rot geschwollen war. Katharina reizte das aber nur zu der sarkastischen Entgegnung, dass ich offenbar ein Mann wäre, der nachhaltigen Eindruck bei
Frauen machen könne.
Meine Nase war nicht gebrochen, und die Blutung mit einem kalten Waschlappen leicht zu
stoppen. Für den Moment reichte mir ein kleiner Wattebausch im Nasenloch.
Wir gaben uns beide Bewährung.
Emotional waren Katharina und ich am Ende, überdreht und überreizt. Wir hatten die
Nerven verloren und uns geprügelt. Jede weitere Kleinigkeit konnte jetzt ein neues Chaos
auslösen. Sie meinte nicht ohne ein Grinsen, dass wir einem typischen Durchschnittsehepaar nicht unähnlich wären.
"So ... und jetzt ... werden wir deine Blutung stoppen ...“
Das hatte sie schon fast wieder vergessen, obwohl es der Auslöser für ihre Hysterie gewesen war.
So erschrak sie regelrecht und ließ sich von mir eine der Ersatzbinden reichen, die Maria
mir mitgegeben hatte.
Doch sie war noch immer so durcheinander und kopflos, dass sie die nicht zu handhaben
vermochte. Ihre Hände zitterten wie Espenlaub, und so war die erste Binde nach ein paar
Augenblicken auf Müllwert ruiniert.
Als sie sie mit einem kleinen Verzweiflungsschrei in eine Ecke schleuderte, bot ich ihr an,
die Angelegenheit für sie zu regeln.
"Wag´ es nicht“, fauchte sie empört, "rühr mich ja nicht an ...“
"Halt den Mund, verdammt noch mal!“ Meine Stimme klang zwar etwas dumpf von der
Watte in der Nase, aber sie schien trotzdem zu signalisieren, dass ich keinen weiteren
Widerspruch akzeptieren würde. Ich legte Katharina eine Hand auf den Mund und nahm ihr
das Bindenpaket ab.
"Tut mir leid“, sagte ich leise zu ihr, "aber wenn du kopflos und hysterisch werden willst,
dann bitte nicht mehr bei mir ... Du wirst zum echten Scheusal ... wenn du so bist ...“
"Ich weiß ...“
Flammende Röte überzog ihr Gesicht. Ich rieb sie sanft mit einem Handtuch trocken, was
ihr erneut peinlich war, weil sie glaubte, alles voll zu bluten. Doch ich meinte nur dazu, dass
das Handtuch dann eben wieder gewaschen werden müsste, - und das wäre keine große
Katastrophe.
Nach einem kurzen Studium der Gebrauchsanleitung, und Abtupfen des Blutes von ihrem
Oberschenkel, legte ich ihr durchaus frauengerecht den von Maria mitgegebenen frischen
Slip und neue Binde an.
Prompt begann Katharina wieder zu weinen, nachdem sie den richtigen Sitz abgetastet und
nicht zu beanstanden gefunden hatte. Dicke Tränen flossen über ihre Wangen, und ihre
Schultern sanken schlaff herab.
"Hey ... so schlimm war das doch nicht ...“
Ich küsste ihr tröstend die Tränen weg, fühlte ihre bodenlose Scham. Beruhigend nahm ich
sie in den Arm, brachte ihren Kopf an meine Schulter. Sie musste, so dachte ich, genau wie
ich, kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen. Bei den vielen emotionalen Wechselbädern, die sie heute durchlebte, war das nicht Mal verwunderlich. Zwar ging es mir kaum
besser, aber ich fühlte mich wenigstens noch halbwegs rational bei Verstand.
192
Wie schon so oft in dieser Nacht strich ich ihr beruhigend über die Haare, streichelte ihren
Rücken und küsste sie immer wieder zärtlich auf die Stirn.
Zum Glück war sie emotional viel zu erschöpft, um lange weinen zu können, dafür fehlte ihr
längst jegliche Kraft. So beruhigte sie sich schnell wieder, war dankbar für meine Zuwendung.
"Ich schäme mich so“, flüsterte sie mir schließlich leise zu, "ich ... ich stell mich an ... wie
der letzte Mensch ...“
"Ja ... stimmt ... Ach ... lass das ...“
"Bist du ... jetzt wütend auf mich ...“
"Nein ... ich ... ich bin auf mich wütend ...“
"Warum ...?"
"Weil ich dich ...“
"Das musst du nicht“, Katharina schniefte einmal mehr heftig und strich mir zärtlich über die
Wange, "ich finde es zwar ... schrecklich ... wenn Männer Frauen schlagen ... aber ... aber
du hast es ja nicht ... nicht aus Verachtung ... getan ... Ich ... ich benehme mich manchmal
wirklich ... wie ... wie eine hysterische ... Furie ...“
"Vergiss es ...“, bat ich sie leise, "bitte ... bitte vergiss es ... und verzeih mir."
Katharina hob mir ihr Gesicht entgegen, versuchte ein schmerzliches Lächeln. Ihre Lippen
schmeckten nach salzigen Tränen, als sie mich sanft küsste. Doch lag auf ihnen auch jene
Ahnung von Glück, das ich gesucht und vielleicht endlich gefunden hatte.
"Tu das bitte nie wieder“, bat sie mich schließlich nach einer fast nicht endenwollenden
Umarmung und küsste mich noch einmal flüchtig.
"Was ...?“
"Schlag mich bitte ... nie wieder ..."
"Ich verspreche es."
"Wirklich ... und wahrhaftig?“
"Ich schwöre es ...“
"Dann ist es gut, - denn sonst brech ich dir alle Knochen."
Ich ahnte, dass sie das verdammt ernst meinte, auch wenn sie dabei eine Spur von
bitterem Lächeln zeigte.
„Was ... was tun wir hier nur, Paul ... Warum tun wir uns das an?“
Ihre Augen begannen sich schon wieder mit Tränen zu füllen, als sie mir wieder voller Aufmerksamkeit das Gesicht zuwandte, und auch ihre Stimme klang wie erstickt. Ich wusste
keine wirkliche Antwort darauf.
„Ich frage mich das allerdings auch schon ... seit ein paar Tagen ...“
„Warum ... warum können wir es ... können wir es uns nicht leicht machen?“ Katharina
seufzte und ließ völlig ungeniert die Tränen über ihre Wangen laufen. „Ich bin eigentlich ...
nur manchmal so ... so zickig ... so exzentrisch und ... und durchgeknallt. Ich will das gar
nicht ... aber ...“
„Ja, manchmal bist du ziemlich ... exzentrisch ...“
Sie zog schnaubend die Nase hoch und wischte sich dann verlegen über die Augen.
„So viel besser bist du aber auch nicht ...“
„Wieso das denn?“
„Du hast mir voll eine ... eine reingehauen ...“
„Ich hab dir keine ...“
„Doch hast du“, dabei grinste sie schon wieder breit, während in mir erneut die Schuldgefühle tobten, „das hat ... ziemlich gesessen ...“
„Ich wollte das nicht ...“
„Ich weiß.“
„Du hast mich ... mich völlig aus der Fassung gebracht ... mit ... mit deiner Hysterie.“
193
„Ich weiß ...“, Katharina nahm still meine Hand und seufzte tief auf. „So was machen wir nie
wieder ...“
"Ich hab dich lieb."
"Ich dich auch."
Müde legte Katharina den Kopf auf meine Schulter, ließ mich deutlich spüren, wie die Beine
unter ihr nachgaben. Sie war am Ende ihrer Kräfte, und schloss für ein paar Sekunden die
Augen.
Um jede weitere Lärmbelästigung für meine Nachbarn zu vermeiden, beschloss ich, das
Badewasser erst am nächsten Tag aus der Wanne abzulassen. Auch das Chaos im Badezimmer konnte eine Nacht so bleiben.
Ich wollte Katharina ohne weitere Verzögerung sofort ins Bett bringen, mir eine Decke nehmen und auf der Couch schlafen. Doch das hätte beinahe die allerletzte Auseinandersetzung für diesen Tag bedeutet.
"Untersteh dich ...“, fauchte Katharina mich an, "dann fahr ich jetzt noch ... irgendwie nach
Hause ...“
Ich fühlte mich auch zu müde, darüber mit ihr zu streiten. Also gab ich nach, schaltete die
Musik und das Licht aus, kontrollierte die Heizungstemperatur und kehrte dann ins Schlafzimmer zurück.
Katharina wollte nicht diese dicke und warme Unterwäsche von mir anziehen, wollte auch
nicht so dick zugedeckt werden, wollte lieber nackt in meinem Arm schlafen.
Doch darüber ließ ich nicht mit mir verhandeln, gab ihr keine Chance. Nur beim Einschlafen
in meinem Arm machte ich ihr ein Zugeständnis, womit sie sich auch erstaunlich rasch
zufrieden gab, und murrend diese viel zu große und dicke Nachtkleidung überstreifte.
Sie sah ziemlich albern und grotesk darin aus, war aber zweifellos warm umhüllt.
Ich wäre es selbst schuld, maulte sie, dass ich nun nicht die Möglichkeit hätte, ihren
schönen nackten Po zu berühren, ihre Brust auf meiner zu fühlen.
Doch ich gab ihr trotzdem nicht nach.
"Ich werd´s überleben ...“
Katharina wandte mir einmal kurz das Gesicht zu, streckte mir lang die Zunge heraus und
grinste dann müde.
Ich war total ausgepowert für diesen Tag, der mich eine Menge Kraft gekostet, aber auch
eine Menge gelehrt hatte. Er hatte uns beide weinend und lachend erlebt, in ständigem
Wechsel, und uns beide auf eine seltsame Weise wieder zusammengeführt.
Beim Einsteigen in mein etwas schmales Bett zögerte ich eine Sekunde, aber dann tat ich
es doch - und reizte Katharina zu einem halblauten Lachen.
"Immerhin ...“, meinte sie mit einem Rest an schrägem Humor, "ich ... ich kann es kaum
glauben ... wir zwei ... wir sind zusammen im ... im Bett ... Ist das nicht Klasse?“
"Wir werden ... aber keinen Sex haben ...“
"Schade ... aber wie auch ...?“
"Wieso ...?"
"Ich habe keine Kraft dazu ... und nur so ... halbherzig ... das ist doch langweilig ...“
"Na ... da hab ich ja Glück gehabt ...“
Das war wirklich als reiner Scherz gemeint, doch Katharina gab mir einen kräftigen Rippenstoß.
"Außerdem ... habe ich meine ...“
"Aufgeschoben ... ist nicht ... aufgehoben ...“
"Ist das ein definitives Versprechen ...?“
Ich hätte gerne noch etwas darauf erwidert, doch Katharina küsste mich nur leise lachend
und kuschelte sich unter unserem gemeinsamen Deckenberg zärtlich an mich. Es tat
unglaublich gut zu liegen, mich auszustrecken.
194
Ganz provokativ legte Katharina ein Bein über meine, meinen Arm um ihren noch immer
vom Baden ziemlich warmen Oberkörper.
Offenbar begann bereits das heilsame Schwitzen, das uns vielleicht vor einer Erkältung
bewahren konnte. Noch einmal überprüfte ich, ob sie auch warm zugedeckt war, und strich
ihr ein paar feuchte Haarsträhnen aus der Stirn.
Doch das hatte sie offenbar schon gar nicht mehr mitgekriegt, denn sie war übergangslos
eingeschlafen. Ich löschte behutsam das Licht an meinem Bett, zog Katharina noch eine
Spur dichter an mich heran und war selber eingeschlafen, ehe ich überhaupt wahrnahm,
wie todmüde ich jetzt war.
195
10. Kapitel
Ich weiß nicht mehr, was mich plötzlich aus dem Tiefschlaf holte. Es war immerhin kein
jähes, sondern ein sanftes, bedächtiges Erwachen. Vielleicht war es eine Art innere Uhr
oder Stimme, aber vielleicht war mir auch nur schlicht zu warm.
Ein paar Sekunden vor dem tatsächlichen Aufwachen hatte ich auf jeden Fall das Gefühl
unter einem warmen Lastenberg zu liegen, der schwer auf meinen Körper drückte.
Außerdem war mir ungeheuer warm, meine Haut schweißfeucht und klebrig. Ich fühlte mich
beengt und irgendwie fremd im eigenen Bett. Meine Kehle fühlte sich sehr trocken und
ausgedörrt an, kratzte deutlich spürbar, und meine Nase war weitgehend dicht und
schmerzte. Ich wusste sofort, dass ich geschnarcht hatte, und vielleicht war es unter anderem einer der Gründe, warum ich erwachte.
Vergeblich versuchte ich die Nase hochzuziehen und erinnerte mich langsam wieder an
das, was in der Nacht geschehen war. Ganz vorsichtig fühlte ich nach. Es tat etwas weh
und die Nase schien mir deutlich geschwollen, aber gebrochen war sie zweifellos nicht und
blutete auch nicht mehr.
Ein dickes, eingerolltes Bündel aus tiefem, gleichmäßigem Atem und Wolldecken lag neben
mir, gekrönt von nachtschwarzem Haar, das im grauen Tageslicht schwach glänzte. Einzelne Haarsträhnen kringelten sich völlig zerzaust und ungeordnet am Kopfende des Bündels,
ragten zu allen Richtungen davon weg.
Katharina schlief noch wie ein Engel so unschuldig. Nichts deutete darauf hin, dass sie
ohne große Anstrengung in der Lage war, meine Nerven bis zum Zerreißen zu strapazieren. Und dennoch war die Erinnerung an die vergangene Nacht wieder da und dabei nicht
wirklich unangenehm. Ich dachte für einen Augenblick an unsere Auseinandersetzung, den
ganzen emotionalen Stress und ihre hysterische Kreischerei.
Zusammengerollt in einer embryonalen Haltung lag sie jetzt da, die Arme warm unter den
Decken geborgen, die ihr bis an die Kinnspitze reichten. Ein kleiner Teil des verschwitzten
Gesichtes war gerade noch auszumachen, so entspannt und friedlich, dass es mich mit
sentimentaler Rührung erfüllte.
Ich fragte mich ganz ernsthaft, wie eine Frau mit so unschuldig schönem Gesicht es schaffen konnte, ein derartiges Chaos zu verursachen. Zwar konnte ich nicht leugnen, einen
beträchtlichen Anteil daran zu haben und schon gar nicht unschuldig daran gewesen zu
sein, aber das machte es auch nicht verständlicher.
Ich beugte mich ein wenig näher zu ihr, um dieses Gesicht noch genauer zu betrachten,
das verschwitzte Fluidum auf der Stirn, die leicht zuckende Nase und die weichen Lippen,
die so sinnlich lachen und küssen konnten, ihre vom Schlaf rosigen Wangen.
Ich sah ihren Hals, die verschwitzt feuchte Haut, den fluidalen Glanz darauf und für einen
Augenblick ergötze ich mich an der Vision, dass sie vielleicht nackt unter den vielen
Decken liegen könnte.
Doch als ich vorsichtig mit den Augen dem Nacken mit den hauchzarten schwarzen Flaumhaaren folgte, entdeckte ich ziemlich ernüchternd diese voluminöse, graublaue Winterunterwäsche und musste alle erotischen Fantasien fahren lassen. Katharina war dick eingemümmelt und schwitzte sich sichtlich gesund.
Auf keinen Fall wollte ich sie wecken, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, ihr
eine feucht verklebte Haarsträhne behutsam aus der Stirn zu streichen.
Sie antwortete mit einem leisen Brummen, ließ sich aber in keiner Weise von mir wirklich
nachhaltig stören. Ihr war zweifellos sehr warm unter dem Deckenberg. Über Nacht hatte
ich die Fenster geschlossen, damit sie nicht fror.
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Stundenlang hätte ich sie betrachten mögen, mich satt gesehen an ihrem Gesicht, das
mich so bezauberte, mich an Katharina fesselte und gefangen hielt, seit wir uns das erste
Mal begegnet waren.
Für einen Augenblick konnte ich es nicht glauben, dass mich diese wunderschöne Frau
scheinbar wirklich liebte.
Plötzlich wachte sie doch auf.
Sie versuchte mit einem unwilligen Knurren ihre Arme irgendwie aus dem Deckenchaos zu
befreien, schaffte es aber nicht sofort, strampelte daher mit beiden Beinen, - und war
schlagartig wach. Noch halb schlaftrunken schreckte sie hoch, - und stieß mit ihrem Kopf
ziemlich fest gegen meinen.
Sie stieß einen halblauten Schmerzensschrei aus, dann ein Stöhnen, und griff sich gleichzeitig an die Stirn.
"Was ist los ... was tust du denn ...?“
Ihren Lippen war kaum eine Bewegung anzusehen, fast als hätte sie nur ein wenig intensiver geatmet. Selbst ihre Augen waren nur halb geöffnet. Dennoch hatte sie zweifelsfrei zu
mir gesprochen, - und ich erschrak ein wenig, weil ich befürchtete sie gegen ihren Willen
geweckt zu haben.
"Nichts ...“, flüsterte ich ihr leise zu, "schlaf ruhig weiter ...“
Zärtlich küsste ich ihre Stirn und wollte mich wieder hinlegen.
Doch Katharina hatte es endlich geschafft, ihre Arme freizubekommen, stützte den Oberkörper auf, ohne die Augen wirklich zu öffnen.
"Was ist los ...?“ fragte sie wieder mit schwerer Stimme und richtete ihr Gesicht ein ganz
klein wenig an mir vorbei in meine Richtung. Dann zog sie plötzlich die Beine an, und mit
einem kräftigen Schwung trat sie die Decken von sich, dass sie aus dem Bett flogen. Erst
jetzt öffnete sie die Augen richtig, dehnte und streckte ihre Arme und Beine, gähnte langanhaltend und unverhohlen.
Ich sah sie an und sofort erwachte wieder mein schlechtes Gewissen, denn die Wange, auf
die ich sie in der Nacht geschlagen hatte, war sichtlich angeschwollen. Ganz deutlich malte
sich darauf der Abdruck meiner Hand ab.
Doch ich wagte nicht irgend etwas dazu zu sagen, denn ich wollte diese böse Erinnerung
der Nacht nicht unnötig neu beleben.
Kein Zweifel, sie hatte selbst im Schlaf meine Nähe und Aufmerksamkeit gespürt.
"Guten Morgen, meine Schöne ...“
"Waaas ...?“
"Guten Morgen ...“
"Ach so ... Guten Morgen ...,“ sie ließ noch einmal ein leises Brummen hören und seufzte
dann tief auf.
Plötzlich aber war sie hellwach, schien die Situation zu erfassen, in der sie sich befand. Sie
griff blitzschnell mit ihren Armen nach mir, und ehe ich auch nur ahnen konnte, was sie
vorhatte, zog sie mich zu sich herunter, drückte mich fest an sich. Ihre Lippen suchten nach
meinem Mund, bedeckten mein Gesicht mit zahllosen Küssen.
"Hat es draußen geschneit ...?“ fragte sie mich fast unverstehbar murmelnd zwischen den
Küssen, während ich noch keine Entscheidung getroffen hatte, wie ich auf ihre stürmischen
Zärtlichkeiten reagieren sollte.
"Wie ... wie kommst du denn darauf ...?“
Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben, in ihren Küssen, ihren Lippen und ihrer streichelnden Zunge zu ertrinken, während unser Atem zwischen unseren Mündern tanzte.
"Weil es hier drinnen ... so warm ist ...“, Katharina keuchte vor Lust, "und weil ... ich
zugedeckt bin ... wie im Winter ...“
Sie fummelte irgend etwas zwischen uns und ich sah, wie sie ziemlich vergeblich versuchte
aus diesem dicken grauen Unterhemd herauszukommen, was aber nicht gelang, weil sie
197
teilweise mit dem Rücken darauf lag. Stattdessen versuchte sie mir nun in großer Eile
meine Schlafanzugjacke aufzuknöpfen und wenigstens ihre dicke lange Männerunterhose
abzustreifen, - alles gleichzeitig mit geschickten aber hektischen Bewegungen.
"Komm ...“, Katharinas Stimme klang wie eine einzige, große Verlockung, „lass uns zusammen vögeln ...“
Sie schaffte es endlich ihre Hose bis zu den Knien hinab zu zerren, presste sich gegen
mich, griff nach meiner Hand und legte sie auf ihre warme, feste Brust. Ich spürte ihre
immer noch präsente Schlafwärme, während mich schon eine rasende Lust erfasste.
Katharina juchzte mit zustimmender Begeisterung, griff mir völlig ungeniert zwischen die
Beine und drückte zärtlich zu.
"Gott ... ist mir warm ...“
"Gestern ... warst du total durchgefroren ...“, erinnerte ich sie vorsichtig und bereute es
selber fast im selben Augenblick. Denn Katharinas Bauch strahlte eine wunderbare Schlafwärme auf meine Haut ab, dass es sinnlich schöner kaum sein konnte.
In einem Anfall von morgendlicher Gier aus sinnlichem Begehren und Lust packte sie mit
beiden Händen meinen Hintern, streifte geschickt meine Pyjamahose herunter, bekam die
beiden warmen und nackten Rundungen zu fassen und zog mich mit einer halben Drehung
ihres Körpers zwischen ihre Beine. Sie wollte sie sofort über meinem Rücken kreuzen,
doch noch hinderte sie die nicht vollständig abgestreifte Winterunterhose in ihren Kniekehlen daran. Sie zeigte mir aber ganz offen, dass sie mich jetzt so leicht nicht wieder entschlüpfen lassen wollte.
Ihr Problem war dabei nicht nur die lange, graue Unterhose, sondern auch ihr Slip, den sie
offenbar völlig vergessen hatte. So wie wir lagen und verschlungen waren, konnte sie ihn
auf keinen Fall ausziehen.
Doch das brauchte sie auch nicht mehr, denn mein letzter Satz brachte sie plötzlich nahezu
schlagartig in die Realität und die Erinnerung zurück.
Errötend nahm sie sofort eine Hand von meinem Po, tastete zu ihrem Unterleib, fühlte den
Slip und die Binde darin, wurde flammend rot und wälzte mich kurz entschlossen wieder
von sich herunter.
„Scheiße ...“, fluchte sie leise und errötete noch tiefer als schon zuvor. Sie atmete schwer,
grummelte einige Verwünschungen vor sich hin, suchte nach ihren Decken, und fand sie
natürlich nicht, weil sie die mit voller Kraft von sich geschleudert hatte. Also nahm sie sich
einfach meine, weil die in erreichbarer Reichweite lag, und suchte sich zu bedecken. Dabei
hielt sie ihr Gesicht sorgsam etwas abgewendet, damit ich ihre Scham nicht zu deutlich
daraus ablesen konnte. Irgendwie schaffte sie es sogar ihre lange Unterhose, die ja eigentlich meine war, wieder hochzuziehen.
Und ich - ich ließ mich schwer atmend auf dem Rücken fallen, fühlte mich aufgeheizt, und
in der letzten Sekunde um den Genuss gebracht, - und zog meine Pyjamahose wieder
hoch.
"Entschuldigung ... tut mir leid ...“, murmelte Katharina neben mir zutiefst verlegen, und zog
meine Bettdecke bis zum Kinn hoch. Ich fand das plötzlich so komisch und seltsam befremdend, dass ich laut lachen musste.
Katharina wandte mir verwirrt das Gesicht zu.
"Was soll das? Warum lachst du mich aus ...?“
"Ich lache dich nicht aus ...“
"Warum lachst du dann so ...?“
"Du bist manchmal wirklich komisch ...“
"Ich ...?“
"Ja ... du ..."
"Wie ... wie meinst du das?“
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"Na ja ...“, ich musste wieder schallend lachen, als ich Katharinas verunsichertes Gesicht
sah, "du wachst auf ... greifst dir einfach ohne nachzudenken den Mann neben dir ... und
dann ...“
"Ich habe ... meine Periode ...“
"Na und ...?“
Katharina zog fragend die Stirn kraus, schien das noch nicht ganz zu verstehen, oder vielleicht sogar meinen Worten zu misstrauen.
"Du findest ... das nicht abstoßend ...?“
"Nein ... warum sollte ich?“
"Na ... ja ...“, Katharina Gesicht nahm erneut eine dunkelrote Färbung an und sie senkte
verlegen den Kopf, "ich meine ... wegen meiner Regel ... und ... dem Blut ... und dem
Geruch ... und so ...“
"Warum sollte ich das abstoßend finden ...“
Das schien sie wahrhaftig zu konsternieren. Sie hob wieder den Kopf, das Gesicht voll
maßlosem Erstaunen.
"Alle Männer finden ... das eklig ...“, behauptete sie mit hochroten Wangen, "es blutet und
... und stinkt ... und es ist eklig ... und scheußlich ...“
Einen Moment lang wollte ich laut loslachen, doch ein Blick in ihr Gesicht zeigte mir, dass
es ihr todernst war, - und so ließ ich es.
Statt dessen beugte ich mich zu ihr hinüber, ganz nahe, beugte meinen Kopf etwa dahin,
wo unter der Decke etwa ihr Unterleib sein musste, und schnüffelte vernehmlich.
Katharinas Gesicht drückte für eine Sekunde nahezu blankes Entsetzen aus.
"Es riecht ...“, bestätigte ich ihr und hoffte darauf, dass sie meinen Spott aus der Stimme
heraushören mochte, "es riecht nach ... nach ... purer Geilheit ... riecht gut ...“
Sie starrte mich an, schien für eine Sekunde an meinem Verstand zu zweifeln, war sich
offensichtlich nicht sicher, ob das ein Spaß oder Galgenhumor sein könnte. Doch dann
konnte sie sich ein prustendes Lachen nicht verkneifen.
"Es ... es riecht nach Geilheit?“ fragte sie kichernd und schlug mir liebevoll auf den Kopf,
"du spinnst ...“
"Auf jeden Fall stinkt es nicht ...“
"Aber ...“
"Kein Aber ...“, ich wies ihren möglichen Einwand lächelnd zurück, "es stinkt nicht ... es ist
nicht eklig ...“, zählte ich ihre eigene Reihenfolge nach, "und ... und ich ... ich liebe dich
scheußlich ...“
"Was ... scheußlich ...?"
"Ja ...“
„Was ... was soll das denn sein?“
Doch sie verstand im selben Augenblick den kleinen Scherz und grinste mich an.
Sie könne das überhaupt nicht verstehen, erklärte sie mir. Männer ekelten sich doch vor
Frauen mit Monatsblutung, fänden es unästhetisch und abstoßend, - und das wäre doch
ganz normal. Wieso ich denn keine Abneigung gegen ihren derzeitigen Zustand verspürte.
"Aber das gehört doch zu dir ...“, erwiderte ich völlig ernst und meinte es auch genau so,
"es ist Teil deines Frau-Seins ...“
Katharina zog eine Grimasse aus Ungläubigkeit und Zweifel.
Ich würde sie, so suchte ich ihr zu erklären, doch nicht nur begehren, wenn sie sexuell
bereit wäre, wenn sie nicht ihre üblichen monatlichen Beschwerden hätte. Lust und Liebe
ließen sich doch nicht abstellen, nur weil sie ihre Blutungen bekäme.
Nicht ich, sie habe ihre Schwierigkeiten damit. Ich hingegen, versicherte ich ihr, fände das
völlig natürlich, überhaupt nicht eklig oder abstoßend. Allerdings wäre ich nicht gerade wild
darauf, sie ausgerechnet jetzt zwischen ihren Beinen zu küssen.
199
Allein der Gedanke ließ Katharina offensichtlich nach Luft schnappen und erbleichen. Doch
ich versicherte ihr noch einmal, dass das auf keinen Fall mein Begehren ihr gegenüber
schmälere.
"Es stößt mich nicht ab“, versicherte ich ihr noch einmal mit fester Stimme, "wir können uns
genauso umarmen, küssen, streicheln ... und sogar bumsen ... weil du ja dann nicht
schwanger werden kannst ...“, ein plötzlicher Gedanke schoss mir durch den Kopf und
machte mich etwas schwindelnd, ich konnte nicht anders, als ihn sofort auszusprechen:
"Nimmst du ... eigentlich irgendwas zur Verhütung ...?“
Jetzt war Katharina offenbar völlig verblüfft. Dass ich mir über so etwas tatsächlich Gedanken machte, dass mich ihre Monatsblutung nicht abstieß, nicht ekelte, sondern eher gleichgültig ließ. Sie brauchte einen Moment, ehe sie antworten konnte.
"Ja ... ja ...“, versicherte sie mir und lächelte mich warm an, "selbstverständlich. Maria hilft
mir dabei, weil ich damit nicht richtig klarkomme ... und gibt mir jeden Morgen meine AntiBaby-Pille ...“
"Heute Morgen nicht ...“
Sie schien das auch im selben Moment zu begreifen, riss Mund und Augen vor Schreck
weit auf, doch dann lächelte sie.
"Ich hab ja auch meine Periode ...“
"Eben ... da brauchst du keine Pille ...“
Es verblüffte mich, dass zwei Frauen - sozusagen gemeinsam - ihre Verhütung betrieben.
Die Beiden waren viel mehr miteinander befreundet und einander verpflichtet, als ihnen
offenbar bewusst war.
Doch Katharina unterbrach meine Gedanken und ließ mich wissen, dass sie es unglaublich
fände, dass ich mir darüber Gedanken mache.
"Kein Mann ... hat sich je Gedanken ... über meine Verhütung gemacht“, sagte sie irritiert
zu mir. Man hätte ihr immer das Problem allein überlassen. Meistens fand sie eine sehende
Freundin, die ihr behilflich war, manchmal auch ihre Mutter. Aber sie dürfe ja auch nicht
schwanger werden, wegen der Erbkrankheit in ihrer Familie, die es sehr wahrscheinlich
mache, dass sie ein blindes Kind zur Welt brächte. Wirklich schlimm fände sie das zwar
nicht, denn ihre Mutter habe es auch geschafft sie groß zu kriegen, mit einigen Hindernissen, Problemen und organisatorischen Leistungen.
Aber, wenn sie schon schwanger würde und ein Kind zur Welt brächte, dann wolle sie das
nicht durch Zufall oder Dummheit, sondern ganz bewusst mit einem Mann, den sie begehre.
Verschämt fügte sie noch hinzu, dass sie aber auf keinen Fall während ihrer Periode mit
mir bumsen wolle, weil sie sich dann selber davor ekeln würde.
Dann schwieg sie, hielt mir ihr Gesicht zugewandt und wartete sichtlich darauf, dass ich
noch irgend etwas dazu sagen würde.
Doch ich war der Meinung, dass sie viel zu viel Aufhebens davon machte. Es schien sie zu
beschäftigen, das konnte ich ihr deutlich ansehen. Aber sie schien noch zu keinem Schluss
gekommen zu sein, was sie von meiner Einstellung dazu halten sollte.
Doch plötzlich schoss Katharina ganz unerwartet hoch, und großer Schreck malte sich auf
ihrem Gesicht ab.
"Wie spät ist es?“
"Halb elf ... wieso?“
"Oh, Scheiße“, fluchte sie stöhnend auf, "ich muss seit drei Stunden arbeiten ...“
Sie fluchte wie ein Berserker, suchte den Ausstieg aus meinem Bett in einer Eile, die
absolut nicht dem fremden Terrain entsprach, in dem sie sich bewegte. Sie wäre beinahe
der Länge nach zu Boden gestürzt, weil sie über meine Kleidung stolperte, die dort rumlag.
200
Ich versuchte ihr zu helfen, so gut es ging, öffnete ihr die Schlafzimmertür, führte sie ins
Bad, wo sie sich sofort große Mengen kaltes Wasser mit beiden Händen ins Gesicht
schaufelte, um endgültig wach zu werden.
Ich bot ihr an die Dusche aufzudrehen, suchte gleichzeitig nach einem Handtuch für sie.
Nebenbei bejahte ich ihre Frage, ob sie meine Zahnbürste benutzen dürfe. Doch duschen
wollte sie aus Zeitmangel nicht, aber unbedingt wissen, wo meine Zahncreme wäre.
Es gab weiter nichts, womit ich ihr helfen konnte, außer schnell in der Küche einen Kaffee
für sie zu machen, den sie im Stehen trinken wollte.
Schön wäre auch irgendeine Kleinigkeit zu essen, wenn es ginge.
Ein lautes, heftiges Bollern und ein lauter Schmerzensschrei an der Badezimmertür ließen
mich herumfahren, als ich gerade Kaffee aufgesetzt und meine Schränke nach Essbarem
durchforstet hatte.
Viel war das allerdings nicht, was ich Katharina anbieten konnte.
"Scheiße ... Scheiße ... lass doch die verdammte Tür nicht halb aufstehen ...!“
Schon als ich aus der Küche stürzte, sah ich die Bescherung.
Katharina war ohne nachzudenken aus dem Badezimmer gestürmt, kannte sich in den
Räumlichkeiten natürlich nicht aus, hatte aber auch nicht damit gerechnet, dass meine
Schlafzimmertür zur Diele aufging und halb offen stand. Mit voller Wucht war sie dagegen
gerannt.
Jetzt stand sie in der Diele, hielt sich den Kopf und stöhnte vor Schmerz.
Es tat mir aufrichtig leid, dass ich nicht daran gedacht hatte, dass solche "Fallen" für Katharina eine echte Gefahr darstellten.
Maria mochte sich inzwischen auf solche Kleinigkeiten eingestellt haben, ich noch lange
nicht. Für mich war das immer noch Neuland.
Um sie zu trösten, nahm ich sie schnell in den Arm, pustete und küsste die malträtierte
Stelle an ihrer Stirn. Nach einem kurzen Blick darauf kam ich aber nicht umhin ihr zu
gestehen, dass es wahrscheinlich eine Beule geben würde.
Katharina war nicht wirklich sauer und wenn, dann hauptsächlich auf die eigene Unbedachtheit, weil sie so schnell durch eine Diele geeilt war, die sie eigentlich für so ein Tempo
nicht gut genug kannte. Sie rieb sich die schmerzende Stelle, grinste aber schon wieder.
Dabei sah sie immer noch ziemlich ramponiert aus, mit leicht verquollenen Augen vom
Weinen in der Nacht, der deutlich geröteten und geschwollenen Wange. Kollegen würden
eine Menge Fragen stellen, wenn sie so auf der Arbeit auftauchte.
Das sagte ich ihr ganz offen.
"Na und ...“, meinte sie nur mit breitem Grinsen, "dann kann ich alles sehr gut auf dich
schieben ... Ich werde einfach sagen ... ich wäre von meinem Liebhaber aus Eifersucht
verprügelt worden ...“
Lachend versuchte sie mir zu entkommen, als ich sie mit gespieltem Empören packte und
kitzelte.
Doch leider hatte wir keine Zeit für so etwas, denn sie musste sich anziehen, um - wenn
auch viel zu spät - doch noch zur Arbeit zu kommen.
Aber als wir im Schlafzimmer ihre Kleidung zusammensuchten, war schnell klar, dass sie
mit diesen vom Regen zerknautschten Sachen unmöglich im Büro auftauchen konnte.
"Was ... was mach ich denn jetzt?“
Katharina geriet ein wenig in Panik und wandte mir um Rat und Hilfe bittend ihr Gesicht zu.
Alles, was ich ihr anbieten konnte, war ein Bügeleisen, mit dem ich versuchen wollte, ihre
Kleidung weitgehend glatt zu bekommen. Ich war nicht ungeübt im Bügeln und würde das
schon irgendwie hinkriegen.
Sie war begeistert und bat mich ihr den Gefallen zu tun, sie werde währenddessen schnell
schon mal ihren Kaffee trinken, um richtig wach zu werden.
201
Ich zog es vor, sie lieber selber in die Küche zu bringen. Es war warm genug, sodass es
nichts machte, wenn sie einen Augenblick dort unbekleidet herumsaß. Gerade wollte ich
wieder hinausgehen, das Bügelbrett und das Bügeleisen holen, als sie meinen Namen rief
und prustend zu lachen begann.
"Ich denke überhaupt nicht daran“, protestierte sie energisch und setzte ihre Kaffeetasse
ab, "ich werde heute mal nicht arbeiten gehen ...“
"Was?“
Ich hatte den Eindruck, dass sie schon wieder anfing exzentrisch zu werden. Doch Katharina schob meine Einwände mit einer energischen Handbewegung aus dem Weg und verlangte nach meinem Telefon.
Noch während sie wählte, steckte sie sich zwei Finger in den Mund und wartete auf die
Verbindung. Kaum hatte sich am anderen Ende der Leitung jemand gemeldet, als sie auch
schon ihre Show begann.
"Guten Tag ... hier ist Frau Barrellha“, durch die zwei Finger klang ihre Stimme sehr
seltsam, belegt und dumpf, als habe sie sich fürchterlich erkältet. Und genau dies erzählte
sie auch ihrem Gesprächspartner, klagte darüber, wie elend sie sich fühle, nachdem sie
gestern in diesen furchtbaren Regen geraten wäre, der sie bis auf die Haut durchnässt
hätte. Jetzt habe sie schreckliche Kopfschmerzen, leichtes Fieber und Gleichgewichtsstörungen. Sie wäre auch schon beim Arzt gewesen. Der habe ihr dringend geraten, zwei
Tage im Bett zu bleiben, wenn sie nicht riskieren wolle, gleich für mehrere Tage auszufallen. Hinzu käme schließlich noch, dass sie auch noch ihre typischen Regelbeschwerden
habe, was es ihr noch unmöglicher mache, heute zu arbeiten. Es täte ihr sehr leid, aber sie
hoffe, dass es ihr schon Morgen wieder deutlich besser gehe.
Keine Ahnung, wer am anderen Ende der Leitung am Telefon saß, aber offensichtlich nahm
man ihr die Geschichte problemlos ab. Denn Katharina erklärte souverän, dass sie es als
selbstverständlich betrachte, sich noch bei ihrer Arbeitsstelle zu melden, statt einfach im
Bett zu bleiben und bedankte sich leise für die Genesungswünsche.
Mit einem kleinen Jubelschrei flog der Hörer wieder auf die Gabel.
Ich war sprachlos, denn für so ausgekocht hätte ich sie nicht gehalten.
Doch Katharina winkte nur lachend ab und erklärte mir, dass sie den Trick mit den zwei Fingern im Mund schon an der Blindenschule angewendet habe, wenn sie nicht zur Schule
und schwänzen wollte.
Das klappe praktisch immer.
Immerhin fühle sie sich wirklich krank genug, dass sie sofort wieder mit mir ins Bett wolle.
"Hier drinnen regnet es garantiert nicht“, versicherte sie mir und verwies in die ungefähre
Richtung der Fenster, wo sie längst den immer noch strömenden Regen vernommen hatte,
"höchstens heiße Küsse ...“
"Du bist ... ein ganz schön raffiniertes Biest ...“
"Ich weiß“, strahlte sie mich an. Weil sie noch immer nur mit einem Slip bekleidet in meiner
Küche stand, nahm sie keck ihre Brüste in die Hände, "das ist einer der Gründe, warum du
mich so liebst ...“
Es war unmöglich, sich ihrem ansteckenden Lachen und ihrer Fröhlichkeit zu entziehen.
"Du bist schamlos“, warf ich ihr in gespielter Entrüstung vor, doch Katharina machte nur
eine frivole Geste und strahlte mich weiter an.
"Das hoffe ich doch sehr ...“
Ich hielt ihr vor, dass sie Ärger bekommen, vielleicht sogar entlassen werden könne, wenn
sie einfach die Arbeit schwänzte.
Doch sie lachte nur und erklärte mir, dass sie aufgrund des Schwerbehinderten-Gesetzes
bei der Stadtverwaltung eingestellt worden sei. Sie könne nicht so einfach entlassen werden. Da müssten schon schwere Dienstvergehen vorliegen, ehe das möglich würde. Als
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Behinderte stehe sie unter dem vollen Schutz des Gesetzes, ich brauche mir keine Gedanken machen.
"Der Tag gehört uns ...“, jubelte sie, "und in zwei Tagen haben wir Wochenende, was
bedeutet ...“, sie stach voller Begeisterung mit dem Finger nach mir, "dass wir auch das
Wochenende noch zusätzlich für uns bekommen ...“
Sie wollte sofort mit mir ins Bett zurück, kuscheln. Aber dieses Mal ohne diese dicke Unterwäsche und die vielen Decken.
„Sonst ersticken wir ja ...“
Gerade, als sie mit mir Richtung Schlafzimmer eilen wollte, änderte sie jedoch ihre Pläne
erneut. Denn trotz ihrer Euphorie wollte sie lieber erst mit mir frühstücken.
Ich musste ihr gestehen, dass ich nichts wirklich Essbares im Hause hätte und nahezu pleite wäre.
"Macht nix ...“, lachte sie und strich mir über die Wange, weil sie spürte, wie verlegen mich
das machte, "dann gehen wir schnell noch einkaufen ... ich hab´ genug Geld dabei ...“
Ein Blick in ihre Geldbörse zeigte allerdings, dass uns das wenig nutzte. Ihre Geldscheine
befanden sich durchweicht vom Regen auch dicht am Rande des Vergessens. Wir würden
vorher noch zur Bank müssen, sie umtauschen.
"Dann werde ich jetzt doch unter die Dusche gehen ...“
Sie wollte halbwegs vernünftig aussehen, wenn sie schon auf die Straße raus musste. Ich
ließ sie ihren Kaffee trinken, eilte zurück in die Diele und bügelte weiter an ihrer Kleidung.
Ich dachte nicht eine Sekunde daran, dass ich nackt in der Wohnung herumlief. Die Heizung lief seit gestern Nacht, verbreitete angenehme Wärme, und Katharina konnte mich
ohnehin nicht sehen. Also gab es auch keinen Grund für irgendwelches Schamgefühl.
"Ich liebe dich ...!“ rief mir Katharina aufgedreht aus der Küche zu und ich wusste nur eine
Antwort darauf, während es gleichzeitig an der Wohnungstür klingelte.
Mit den aufgewühlten Gedanken völlig woanders dachte ich nicht eine Sekunde darüber
nach, war völlig mit meinen Glücksgefühlen beschäftigt, die mich durchströmten. Ich flitzte
einfach zur Tür und machte sie auf, dabei zu Katharina in die Küche spähend.
"Ich liebe dich auch ...“
"Heb dir das für Katharina auf ...“
Als ich Marias Stimme hinter mir hörte, wirbelte ich herum.
Sie stand im Türrahmen, sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen langsam von Kopf bis
Fuß an, wie ich da im Adamskostüm vor ihr stand, - und grinste dann breit.
Ich wurde flammend rot, bedeckte mich soweit wie möglich mit den Händen, und flitzte
blitzschnell ins Bad, um mir meinen Morgenmantel anzuziehen, - das alles in Bruchteilen
von Sekunden.
Doch mein Morgenmantel war im Schlafzimmer, im Bad nicht einmal ein Handtuch, denn
die hatte Katharina mit in die Küche genommen.
Also flitzte ich wieder aus dem Badezimmer raus, warf die Badezimmertür hinter mir zu und
ab ins Schlafzimmer, wo ich auch prompt meinen Morgenmantel vorfand.
"Was ist denn los?“ Katharina hatte meine Unruhe durchaus bemerkt, hatte sich vorsichtig
aus der Küche heraus getastet. Weil aber Maria immer noch abwartend im Türrahmen
stand, hatte sie keine Ahnung, warum ich so gehetzt wirkte.
"Ich bin´s nur“, Maria hatte sich inzwischen selbst hereingebeten und schloss die Wohnungstür, warf mir noch einen amüsierten Blick zu, weil ich gerade halbwegs bekleidet
wieder aus dem Schlafzimmer heraus kam, "Paul hatte nicht bedacht, dass er nackt war,
als er mir an der Wohnungstür sagte, dass er mich liebe ...“
"Was hat er gesagt ...?“
"Ich fürchte, er meinte allerdings dich“, Maria lachte, weil Katharina nur mit einem Slip
bekleidet in der Küche stand, Kaffee trank und ziemlich irritiert wirkte bei ihren Worten,
während ich immer noch reichlich verlegen hinter ihr herstolperte.
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"Alles in Ordnung mit dir?“
"Du hast es ja selber gehört“, erwiderte Katharina grinsend und langsam die Situation
begreifend, "und nackt war er auch ...“
"Na klar ... und wie nackt ... nackter als nackt ...“
Lachend fielen sich die beiden Frauen in die Arme. Katharina freute sich die Freundin da zu
haben, erinnerte sich plötzlich aber daran, dass sie nur einen Slip trug, und bat mich um ihr
warmes Schlafzeug, was ich ihr auch sofort brachte.
Doch Maria war auch nicht blind und so entdeckte sie sofort, wie verbeult Katharina aussah. Zudem hielt sie sie an der Schulter fest, packte sich mit den Fingerspitzen ein paar
von ihren Haarsträhnen, und teilte ihrer blinden Freundin mit, dass Blut in ihren Haaren
klebe.
Aber die winkte nur seufzend ab und zog sich wieder meine graue Unterwäsche über.
"Ja ... wir haben ... uns ... ein bisschen geprügelt ...“
"Ihr habt was?“
Maria warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, bei dem ich fast vor Scham in den Boden
versunken wäre. Sie drehte das Gesicht der Freundin ein wenig zur Seite und betrachtete
sich das genauer.
"Sieht ziemlich heftig aus ...“
"Ja ... ja ...“, es war Katharina sichtlich peinlich, dass Maria mir offenbar die Schuld an dem
Desaster gab, "aber ich ... ich hab ihm auf die Nase geboxt ...“
"Du hast was?“ Maria glaubte nicht richtig gehört zu haben, warf dann schnelle Blicke
zwischen uns beiden hin und her, "seid ihr ... seid ihr völlig irre ...“
"Ja ... wusstest du das nicht ...?"
Katharina prustete lachend los, und auch Maria konnte sich dem offensichtlich nicht entziehen.
"Ihr seid wirklich irre ... völlig irre“, meinte sie resignierend seufzend, "seid ihr wenigstens
sicher, dass das was mit Liebe zu tun hat ...?“
Sie sah mich an, doch ich wollte darauf jetzt nicht antworten, das übernahm Katharina
selber lachend.
"Na klar ... sie schlugen und sie küssten sich ...“
Ich freute mich zwar nicht minder, dass Maria gekommen war, doch es war mir auch
peinlich, weil sie so die Resultate meiner Ohrfeigen aus der Nacht zu sehen bekam.
Ich sähe weniger ramponiert aus, meinte sie zu Katharina. Sie würde dagegen mit Sicherheit ein paar Tage ziemlich verprügelt aussehen.
"Ach ... das ist doch nichts ... und die Beule an der Stirn kommt von der Tür ...“
„Von der Tür?“
„Ja, ich bin dagegen gerannt ...“
„Als ihr euch geprügelt habt?“
„Nein, heute Morgen ... vorhin ...“
Katharina brauchte die Heitere nicht mal zu spielen, sie war und blieb einfach sie selbst,
und dem hatte Maria nichts entgegen zu setzen.
Aber sie ließ es sich nicht nehmen, mir noch einmal einen kritisch ironischen Seitenblick
zuzuwerfen.
Doch dann wandte sie sich Katharina wieder zu, und jetzt war Schluss mit lustig.
Ihre Worte waren purer Vorwurf, weil die Freundin sich unverantwortlich verhalten habe.
Maria hielt ihr vor, dass sie sich Sorgen gemacht habe, als sie sich einfach still und leise
verdrückt habe. Sie habe sich auch nicht gemeldet und ihr keinerlei Nachricht gegeben.
"Dir hätte schließlich was passiert sein können“, empörte Maria sich und versicherte ihr,
dass sie ihr schließlich nicht gleichgültig wäre. Ein Telefonanruf zwischen oder nach unserer Prügelei - diese Bemerkung konnte sie sich offenbar mit einem anzüglichen Grinsen
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nicht verkneifen - hätte alles aufklären können. Die ganze Nacht habe sie wach in der
Wohnung gesessen und sich gefragt, was bloß passiert sein könnte.
"Wenn Paul nicht gekommen wäre“, hielt sie ihr vor, "wäre ich heute zur Polizei gegangen
...“, und ich brauche gar nicht so unschuldig zu tun, denn ich hätte schließ-lich auch nicht
angerufen. Sie habe es zwar in der Nacht versucht, aber es wäre niemand rangegangen.
Maria war ernsthaft wütend, aber nicht wirklich nachhaltig, sondern weil sie sich große
Sorgen gemacht hatte. So gut kannten sich die beiden Frauen denn doch noch nicht, dass
sie ausschließen konnte, dass Katharina wegen ihrer Depressionen um ihren Streit mit mir,
keine Dummheiten begangen und sich womöglich was angetan hatte.
"Ein Anruf ... wäre kein Problem gewesen ...“
Katharina konnte dem nichts entgegensetzen. Sie wusste, dass Maria recht hatte. Aber in
all dem Durcheinander aus Gefühlen und Chaos war ihr der Gedanke völlig entfallen. Ich
erinnerte mich zwar an das Telefonläuten, sagte aber lieber nichts dazu.
Katharina entschuldigte sich etwas geknickt und versprach, sie nie mehr so im Ungewissen
zu lassen.
Sie waren Freundinnen, das war unübersehbar. Eine kurze Umarmung, ein breites Grinsen,
dann war diese Aussprache erledigt.
Maria besah sich noch einmal grinsend die Szene in der Küche.
"Du nur im Morgenmantel“, spöttelte sie mit einem Blick auf mich, "und du ...“, sie wies mit
einer Kopfbewegung auf Katharina, "nur in Unterwäsche ... von Paul ... Meine Güte, sieht
das beknackt aus. Was soll das hier eigentlich werden?“
Katharina drehte sich grinsend einmal um die eigene Achse, um der Freundin einen noch
genaueren Blick auf ihr wirklich groteskes Aussehen zu ermöglichen.
„So ganz genau ... weiß ich das auch noch nicht ...“, gestand ich ganz offen und hörte
Katharina hinter mir leise protestieren.
„Ich schon ...“
Die Küche war plötzlich voller Gelächter, und Maria sichtlich verblüfft über die Zielorientierung ihrer neuen Freundin. Ich ahnte, dass sie dennoch ehrlich besorgt um sie war.
"Ja ... ja“, seufzte die jetzt auch noch mit gespielter Enttäuschung, "ich würde ja gerne mit
ihm bumsen, aber leider geht das im Moment nicht ...“
Wir lachten herzlich darüber und Katharina schlug vor, gemeinsam einzukaufen und zu
frühstücken.
Doch Maria musste zur Uni, war nur vorbeigekommen, um ihrer Freundin in einer
Umhängetasche Ersatzkleidung vorbeizubringen, weil sie damit gerechnet hatte, dass die
vom Vortag nicht mehr zu gebrauchen war. Katharina in meinen Klamotten rumlaufen zu
lassen, wollte sie ihr wirklich nicht antun.
Die war begeistert und bedankte sich überschwänglich, jetzt konnten wir immerhin schnell
einkaufen, frühstücken und dann den Tag für uns genießen.
Dass Katharina nicht arbeiten ging, hatte Maria schon durch einen Anruf auf dem Amt
herausgefunden. Da brauchte sie sich dann nur noch den Rest zusammenreimen, um
hierher zu kommen. Jetzt fühlte sie sich besser, als sie sah, dass es ihr recht gut ging.
Obwohl sie das mit der Prügelei zwischen uns immer noch haarsträubend fand.
"Mach dir keine Gedanken ...“, riet Katharina ihr ruhig, "wir haben alles unter Kontrolle."
Sie wollte sich schnell anziehen, doch Maria hielt sie am Arm fest.
"Bist du klar gekommen?“
"Womit?“
"Na, ... du weißt schon ... mit den Binden ...“
"Oooh ...“, Katharina wurde selbst ihr gegenüber flammend rot vor Verlegenheit, „nein ...
nein, ich ... Paul hat mir dabei geholfen ...“
"Er hat was ...?“ Maria glaubte schon wieder nicht richtig gehört zu haben und warf mir
einen Blick voll ungläubigen Staunens zu. "Paul hat dir ... dabei geholfen?“
205
"Ja ... deswegen haben wir uns ja ... geprügelt ...“
"Donnerwetter ... das würde ich gerne genauer wissen."
"Ich ... ich möchte ... nicht gerne darüber reden ... es wird nie wieder vorkommen“, obwohl
es mir eigentlich peinlicher sein musste, fühlte sich Katharina auch sichtlich unwohl bei
diesem Thema.
Doch Maria wollte auch gar nicht nachbohren. Sie war zu verblüfft über das, was wir hier
getan hatten, besonders ich. Ihr Blick bezeugte mir echte Anerkennung, sie war sichtlich
beeindruckt. Ich sah ihr umgekehrt an, dass sie es sich nicht ausreden lassen würde, ihr
bei nächster Gelegenheit haarklein zu erzählen, wie ich das wohl fertiggebracht hätte.
Katharina wollte sich nur noch anziehen, endlich einkaufen gehen, denn sie verspürte
großen Hunger auf ein ausgiebiges Frühstück.
Und so machte sich Maria auf ihren Weg, während wir zur Bank gingen, das nasse und
teilweise zerfledderte Geld umzutauschen. Dass ich keinen Schirm besaß, ärgerte sie
dagegen etwas. Denn so mussten wir von Haus zu Haus und Regenschutz zu Regenschutz eilen, um halbwegs trocken die nahe Bank zu erreichen. Da Katharina blind war,
gab es keine größeren Nachfragen, wie denn so etwas passieren konnte. Offenbar war das
bei Blinden gar nicht so ungewöhnlich. Sie zeigte nur ihren Ausweis vor, der auch deutlich
etwas zu viel Regen abbekommen hatte, und schon bekam sie neue trockene Geldscheine
ausgehändigt. Manchmal, in seltenen Fällen wie diesem, konnte es tatsächlich Vorteile
haben blind zu sein, selbst wenn dieser Vorteil nur auf einem dummen Vorurteil basierte.
Dann endlich konnten wir alles für unser großes Frühstück einkaufen, mussten aber erneut
jeden Regenschutz nutzen, der sich auf dem Weg zum Supermarkt finden ließ. Es war mir
ein bisschen peinlich, dass ich so knapp bei Kasse war.
Aber Katharina wollte nichts davon hören, dass ich ihr meinen Anteil so bald als möglich
zurückzahlen würde. Sie wollte das Frühstück spendieren, das wäre schon in Ordnung.
Erneut ziemlich durchnässt erreichten wir wieder meine Wohnung, stürmten so schnell wie
möglich die Treppe hinauf und trockneten uns die Haare, zogen uns die nasse Kleidung
aus und Trockene aus meinem Schrank an. Katharina zeigte nicht die geringste Hemmung,
sich ein viel zu großes Hemd und eine viel zu weite Jeans von mir anzuziehen. Sie meinte
nur grinsend, dass sie so aber auf keinen Fall im Büro auftauchen dürfe, und zog sich den
Gürtel enger, damit die Hose nicht gleich wieder über ihre Taille rutschte.
„Du bist doch gar nicht dick“, meinte sie dabei stirnrunzelnd und prüfte den schlechten Sitz
der Hose, „aber du hast breite Hüften ...“
Ich zog es vor darauf nicht zu antworten, denn wie auch immer, andere Kleidung stand
Katharina hier bei mir nicht zur Wahl.
Die nassen Klamotten hängten wir einfach im Bad vor die Heizung.
Dann ließen wir es uns gutgehen, genossen frisch gekochte Eier, Schinken und Schwarzbrot, dazu leckere Marmelade, ein bisschen Honig, heißen Tee und einige Blätterteigstücke, mit und ohne Schokolade.
Für eine "Kranke" ging es Katharina recht gut, - mir nicht weniger.
Marias Empfehlung, einen Eisbeutel auf Katharinas Wange zu legen, damit sie nicht ganz
so verprügelt aussähe, konnten wir leider nicht realisieren. Denn mein Kühlschrank hatte
zwar ein Eisfach, aber keine Eiswürfelschale. Er war ziemlich alt, laut brummend und nicht
mehr voll in Schuss, sodass er zwar hinreichend kühlte, aber kein richtiges Eis produzieren
konnte.
So wurde Katharinas Wange tatsächlich im Laufe des Tages langsam noch ein bisschen
dicker, - was mich zutiefst beschämte. Aber sie versicherte mir, dass sie keine Schmerzen
habe, dass es nicht weh täte. Im Gegenzug erkundigte sie sich nach meiner Nase, die zwar
noch ein ganz klein wenig schmerzte und kaum erkennbar geschwollen war, aber ansonsten keine Probleme bereitete.
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Immerhin tränkten wir regelmäßig im Badezimmer einen Waschlappen in kaltem Wasser,
legten ihn in den Kühlschrank und verschafften so Katharinas Wange etwas Linderung.
Sie half mir ein wenig die Unordnung zu beseitigen, die wir in der Nacht vorher angerichtet
hatten. Dabei war sie aber immer wieder darauf beschränkt an dem Punkt stehen zu
bleiben, wo sie keinerlei Orientierung mehr fand.
Doch nach einer Stunde sah es geradezu ungewohnt ordentlich bei mir aus. Wir erledigten
sogar das Abspülen des Frühstücksgeschirrs und räumten es weg.
Ich nutzte die Gelegenheit des geschäftigen Hin- und Herlaufens, um Katharina einen
ersten Überblick und Eindruck von meiner Wohnung zu vermitteln, der etwas weiterging,
als das was sie bisher kennengelernt hatte.
Sie fand es sehr anstrengend und unübersichtlich aufgebaut. Woraus sie mir aber keinen
Vorwurf machte, denn meine Wohnung wäre eben von einem Nichtblinden, zudem von
einem Künstler eingerichtet, der alles ein wenig improvisatorisch angehe.
Sie hatte mich ziemlich genau durchschaut.
Den Unterschied zu ihrem Zimmer bei Maria wollte sie mir bei nächster Gelegenheit mal
zeigen. Denn schließlich habe ich ja noch nie ihr Zimmer von innen gesehen, außer einem
winzigen Spalt, als sie mich bei unserem Streit nach Nethen aggressiv hinausgeworfen
hatte.
Wir konnten mit der Distanz beide schmerzlich darüber lächeln und versprachen uns
erneut, nie wieder gedankenlos so aufeinander loszugehen. In Zukunft wollten wir versuchen, wesentlich behutsamer unsere Probleme zu lösen, einander zuhören, statt uns anzubrüllen oder gar zu prügeln.
Als wir endlich zusammengekuschelt auf meinem uralten Lieblingssessel saßen, fiel mir
wieder etwas vom Vormittag ein. Es war mir kurzfristig zwar aus der Erinnerung entschlüpft,
doch plötzlich stand es wieder deutlich in meinem Gedächtnis.
"Sag mal ... wie ist dein Name ...?“
"Katharina ...“, sie war offensichtlich verblüfft und wusste nicht, worauf ich hinauswollte.
Doch ich meinte ihren Nachnamen.
"Barrellha ... warum? Wusstest du ... wusstest du das etwa nicht?“
"Nein ...“
Sie brach in schallendes Gelächter aus und fragte mich schelmisch grinsend, wie oft ich
schon in meinem Leben mit einer Frau im selben Bett geschlafen hätte, ohne ihren Namen
zu kennen. Ob ich denn überhaupt kein Interesse an ihrem Nachnamen gehabt, nie auf die
Wohnungstür bei Maria geachtet, oder nie mit ihr darüber gesprochen hätte.
"Nein ... ich habe nie darüber ... nachgedacht“, gestand ich offen ein und war etwas
verlegen, denn so ganz war Katharinas gespieltes Entrüsten nicht unbegründet. Ich versuchte zu erklären, dass ich am Anfang nie die Zeit gehabt habe, weil unsere Beziehung so
turbulent begann und immer noch sehr turbulent verlaufe.
Irgendwie hatte es sich nie ergeben, dass ich Katharinas Nachnamen zur Kenntnis nahm.
Erst durch ihr Telefonat am Morgen war er mir zum ersten Mal bewusst geworden und
sofort aufgefallen.
"Worüber sprichst du eigentlich mit Maria ... wenn ich nicht dabei bin“, Katharina wollte sich
schier ausschütten vor Lachen. Sie ließ mich aber auch wissen, dass sie mir diesen Lapsus
überhaupt nicht übel nahm, sondern ausgesprochen lustig fand.
Doch konnte ich auf ihre Frage keine wirklich vernünftige Antwort geben. Erst recht nicht,
seit Maria mit Rolf zusammen war. Nüchtern betrachtet hatten wir seitdem keine Stunde
ohne Katharina verbracht. Wir waren immer mindestens zu dritt gewesen.
Die wenigen Augenblicke gestern Nacht zählten da nicht.
"Na ... wir haben jedenfalls alles über dich besprochen“, ließ mich Katharina mit verschwörerischem Grinsen wissen, "jede einzelne Begebenheit ...“
"Was ...?“
207
"Ja ... sie ist meine Freundin und ... meine Vertraute“, Katharina grinste jetzt so hinterhältig
und schamlos, dass ich mir nicht sicher war, ob sie mich nicht verulken wollte. "Ich werde
das auch in Zukunft tun ...“, sie neigte ihren Mund dicht an mein Ohr und flüsterte mir zu:
"Sie wird die Erste sein, die nach uns erfährt, wann wir zum ersten Mal Sex zusammen
haben werden ... Und das wird bald sein ...“
Ihre ganze Mimik strahlte eine Anzüglichkeit aus, dass ich schnell beschloss, diesen glatten
Gesprächspfad besser zu verlassen und auf meine ursprüngliche Frage zurückzukommen.
"Barrellha ...“, ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen, "das klingt irgendwie ...
südeuropäisch ...“
"Spanisch“, bestätigte Katharina mir lächelnd und ging mit keiner Mimik auf meinen
Kurswechsel ein, "meine Ur-, Ur-, Ur-, Ur-, Ur-“, sie zählte mit den Fingern mit und zuckte
dann mit den Schultern, "vielleicht noch ein Ur mehr oder weniger ... sie war eine meiner
Urgroßmütter ... sie war eine echte spanische Zigeunerin. Aber warum willst du das wissen?“
"Ich will ... alles von dir wissen."
"Das merk ich ...“, Katharina setzte ihre Teetasse auf den Tisch und küsste mich liebevoll
auf die Stirn, dann grinste sie mich eindeutig an, "aber ich möchte lieber wieder mit dir ins
Bett ... und Musik hören ...“
"Worauf wartest du dann noch?“
"Zeig mir ... wo es ist." Sie fiel mir fast enthusiastisch um den Hals und so schnell es nur
ging, flitzten wir ins Schlafzimmer zurück, zogen uns gegenseitig aus. Zu meinem Erstaunen wollte sie jetzt aber unbedingt einen Schlafanzug von mir.
Ich versuchte sie zu ermutigen darauf zu verzichten, - aber sie wollte das auf keinen Fall,
solange sie ihre Periode ertragen musste. Sie wolle nicht, dass mein Bett voll geblutet,
dass sie eventuell Blutspuren in meinem Bettzeug oder auf meiner Matratze zurücklassen
würde. Die Nutzung des Schlafanzugs betrachtete sie eher pragmatisch.
"Wenn ich den ... vollblute ... dann kauf ich dir ... einen Neuen ...“
Ich lenkte sie schnell wieder von dem Thema ab, denn es war offensichtlich, dass ihr das
Thema äußerst suspekt war.
"Erzählst du Maria ... tatsächlich alles“, wollte ich von ihr wissen, nachdem wir unter die
Bettdecke geschlüpft waren und dicht beieinander lagen.
Katharina grinste spitzbübisch und nickte dann.
"Das beschäftigt dich aber sehr, was ...?“
"Ehrlich gesagt ... ja."
"Nicht alle Details, die will sie auch gar nicht wissen“, Katharina wirkte jetzt beinahe ernst,
"aber grundsätzlich schon. Sie weiß sehr viel mehr über die Welt der Nichtblinden, als ich
... und natürlich auch über dich. Da ist es doch nur natürlich, dass ich mich mit ihr austausche ...“ Sie grinste wieder verschwörerisch, "aber sie würde nie irgend etwas weitererzählen ... Sie kann verschwiegen sein, wie ein Grab. Sie weiß genau, dass das kleine Geheimnisse zwischen uns sind. Sie würde nicht einmal dir etwas erzählen von dem, was sie weiß
... wenn ich es ihr erzählt habe ...“
Das beruhigte mich wirklich, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum es mich
beunruhigte.
Wir kuschelten zusammen, streichelten uns, küssten uns, wobei sogar Katharina jegliche
erotische Provokation vermied und so süß brav war, wie ein Unschuldsengelchen, das kein
Wässerchen trüben konnte. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie ebenso umgekehrt zu
agieren verstand, aber sie wollte es nicht um jeden Preis, und schon gar nicht immer.
Wir machten es uns gemütlich, schlossen die Außenwelt für eine Weile aus unserem Leben
aus.
Während es draußen ohne Pause regnete, tranken wir zusammen Tee im Bett, später
zusammen eine Flasche Bier und auch Schnaps mit Brause, - wegen Katharinas schmer-
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zender Wange, wie wir uns selbst gegenüber als Ausrede sagten. Wir lachten, krabbelten
übereinander, lagen still neben- und aufeinander, umarmten uns, hörten Schallplatten, und
"feierten" im wahrsten Sinn des Wortes krank.
Katharina wollte wissen, ob ich denn gar nicht zur Uni müsse. Ich gestand ihr, dass ich
schon eine ganze Weile mein Studium schleifen ließe, nur das wirklich Notwendige dafür
tat, dass ich im Moment mal wieder ziemlich demotiviert wäre. Ich hatte schließlich gerade
mit etwas Glück meine erforderlichen Leistungsscheine gemacht, und jetzt war mein Ehrgeiz nicht sehr hochgesteckt.
Dann wollte sie gern noch etwas von diesem Hamburger Liedermacher hören, und bedauerte es, dass ich keinen Rekorder und leere Kassetten besaß.
Ich spielte ihr meine Degenhard-Platten vor, das „Jahr der Schweine“, „Spiel nicht mit den
Schmuddelkindern“ und „Väterchen Franz“. Danach versuchte ich ihr "TON-STEINESCHERBEN", die Anarcho-Rock-Band aus Berlin nahezubringen, mit ihrem Szene-Erfolg
"Macht kaputt - was euch kaputt macht".
Von denen hatte Katharina vorher auch noch nie etwas gehört.
Dass die nie im Radio gespielt wurden, konnte ich ihr nur bestätigen. Aber diese aggressive
und laute Musik, mit rotzfrechen und dennoch poetisch politischen Texten, war auch nicht
so ihr wirkliches Vergnügen.
Sie fand es erträglich, wie sie es nannte.
Sichtlich beeindruckt aber war sie von "Ihre Kinder", und überhaupt meiner ganzen Plattensammlung, die ich besaß. Noch einmal bat sie mich, ihr bei nächster Gelegenheit einige
davon auf Kassetten zu überspielen. Ich könne sie ja mal mit zu Maria bringen, denn
Zuhause hatte sie beides, Plattenspieler und Kassetten-Rekorder.
Uns ging es richtig gut.
Zur Feier des Tages, wo wir unseren ersten Tag im Bett verbrachten, tranken wir meine
letzten drei Flaschen Bier. Wenigstens davon besaß ich einen kleinen Vorrat. Katharina
machte dabei noch immer mit loser Zunge ihre Scherze über die Tatsache, dass wir wenig
bekleidet im Bett kuschelten. Wir dachten nicht einmal daran irgend etwas anderes zu tun,
außer für unumgängliche Notwendigkeiten, die uns das Leben versüßten oder abverlangte.
Es gab für uns keinen Ort auf der Welt, wo wir jetzt lieber gewesen wären.
Als wir am späten Nachmittag schon reichlich angeschickert John Mayall hörten, seinen
unverwechselbaren Gitarren-Blues, kam unsere gute Laune nahezu auf dem Höhepunkt
an.
Blues war etwas, was auch Katharina ungemein begeisterte. Sie schätzte Eric Clapton
ebenso, kannte CREAM und auch andere Blues-Bands, hatte selbst einige Platten von
ihnen. Von Jonny Dawson Winter hatte sie allerdings noch nie gehört, fand aber seinen
Musikstil absolute Klasse.
Als ich ihr erklärte, dass dieser Musiker ein Albino mit roten Augen und schlohweißem,
schulterlangem Haar wäre, glaubte sie zunächst, ich wolle sie verulken, war dann aber
sichtlich beeindruckt, auch wenn sie sich das nicht wirklich vorzustellen vermochte.
Katharina erzählte mir, dass sie zwar auch Gitarre spielen könne, aber eben nur eine
Akustische. So eine elektrische Gitarre zu spielen, war eines ihrer Ziele für die Zukunft, die
sie sich gesteckt hatte.
Ich erinnerte mich, dass sie mir vor ein paar Wochen etwas davon erzählte. Früher wäre ich
nicht einmal auf die Idee gekommen, dass ein Blinder so etwas könnte. Ich dachte, dass
dies für Blinde völlig unrealistisch wäre.
Doch Katharina lachte nur und meinte, dass es eine Menge blinder Musiker gäbe. Ich wisse
vieles von ihr noch nicht. Aber beim ersten Besuch in ihrem Zimmer wolle sie mir mal was
vorspielen.
Meine Fotoarbeiten sagten ihr gar nichts, auch wenn sie sich einige der überall herumliegenden Fotos beschreiben ließ. Sie versuchte Interesse an meiner Arbeit zu gewinnen,
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aber Fotos blieben für sie immer etwas Nebulöses. Sie wusste darum, aber es bedeutete
ihr nicht viel mehr, als ein glattes Stück Papier mit Beschichtung, dem sie schwer eine
Bedeutung und Wert beimessen konnte. Das Thema hatte keinen besonderen Reiz für sie,
weshalb ich auch bald davon abschwenkte.
Dabei fühlte ich mich weder beleidigt, noch unterbewertet, denn ich war im Grunde darauf
vorbereitet, dass ihr Fotos so gut wie nichts sagten. Mein Arbeitsstil interessierte sie, auch
die Bedeutung, die Fotos für mich hatten.
Aber ihre Möglichkeiten mit mir darüber zu sprechen und auszutauschen, waren äußerst
begrenzt.
Dennoch gewann ich auf diese Weise eine aufschlussreiche Erfahrung.
Ich fing wieder an, diese Grenze der möglichen Gemeinsamkeiten zu begreifen und zu
akzeptieren. Es gab sie zwischen ihrer und meiner Welt. Zum ersten Mal empfand ich die
jedoch, auch wegen unserer vielen anderen gemeinsamen Möglichkeiten, nicht mehr als
bedrohlich und trennend. Ich begriff diesen kleinen, aber wichtigen Unterschied zwischen
unseren Welten und Leben, aber er schmerzte nicht mehr so sehr.
Katharina gestand mir plötzlich, mächtigen Hunger zu haben.
Viel, das wusste sie ja, hatte ich nicht im Haus.
Noch mal einkaufen, uns erneut dem Regen aussetzen, wollten wir beide nicht.
Also forderte sie mich auf, mal alles herauszusuchen, was als eiserne Reserve noch
vorhanden war und es ihr zu beschreiben. Sie schaffte es mit meiner bescheidenen Hilfe,
aus einer Dose Rindergulasch, etwas Kondensmilch. Ketchup und leicht überlagerten
Spaghetti ein wunderbares Essen zu zaubern.
Es war für mich wirklich beeindruckend, wie sicher und alltäglich diese Arbeiten für sie
waren. Wenn sie kleine Hilfestellungen bekam, die richtigen Zutaten fand, ihre kreative
Fantasie einsetzte, konnte sie aus allem etwas zusammenstellen. Sie war ohne Zweifel in
der Lage, diesen Part ihres Lebens völlig souverän zu meistern.
Katharina riet mir aber dringend, meine Vorratshaltung deutlich zu verbessern, wobei sie
mich gerne beraten würde.
"Wenn wir zusammenbleiben ... und ich vielleicht öfter hier übernachte“, meinte sie geheimnisvoll lächelnd, "dann brauchen wir was zum Essen im Haus. Liebe und Sex machen mich
immer sehr hungrig. Es ist viel gemütlicher, zusammen was zu kochen, als schnell
irgendwo essen zu gehen ...“
Eine einsame Flasche Rotwein, die ich auf meinem Küchenschrank nie beachtet und
vergessen hatte, vervollständigte unser kleines Dinner. Leider endete damit aber auch jeglicher Alkoholvorrat in meiner Wohnung.
Doch wir waren beide der Meinung, dass wir ohnehin längst genug getrunken und
beschwipst waren, sodass wir keinen Nachschub brauchen würden.
Dann zogen wir uns erneut ins Bett zurück, kuschelten und lauschten der Musik, die ich
vorher noch aufgelegt hatte.
Irgendwann merkte ich, dass Katharina mich mit aller Aufmerksamkeit beobachtete.
Als ich sie gerade darauf ansprechen wollte, fragte sie mich leise, ob mich ihre Beichte von
gestern Nacht eigentlich irgendwie schwer belaste, ob unser Neuanfang dadurch gefährdet
werden könnte.
Für eine Sekunde glaubte ich, dass ihr vielleicht der Rotwein zu Kopf gestiegen war, dass
wir beide und sie ganz besonders bereits zu viel an Alkohol getrunken hätten, - denn ich
sah, wie sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen. Sie kniff sie für einen Augenblick
fest zusammen, suchte zu vermeiden, dass ich das entdeckte, doch schon kullerten die
Ersten über ihre Wangen.
Katharinas Lebensbeichte hatte mich getroffen, mich erschüttert, das konnte und wollte ich
ihr nicht verschweigen. Ich empfand Hass auf diesen Bernd, aber nichts von alledem wäre
stark genug, sich zwischen uns zu stellen, wenn wir das nicht zuließen.
210
Was ich ganz genau wollte, wusste ich in diesem Moment nicht wirklich. Aber auf keinen
Fall wollte ich, dass Katharina wieder ausflippte, dass sie wieder die Fassung verlor und die
relativ entspannte Stimmung zwischen uns umkippte. Daher folgte ich spontan meiner Eingebung und zeigte ihr ganz offen, dass ich trotz ihrer Verschleierungsversuche ihre Tränen
entdeckt hatte – und wischte sie ihr sanft und vorsichtig von den Wangen.
Katharina wandte für eine Sekunde verlegen ihr Gesicht ab, atmete tief durch und zog leise
die Nase hoch.
„Oh Gott, Paul ... was … warum haben wir uns das … das bloß angetan?” Jetzt versuchte
sie nicht mehr ihre Gefühle zu verstecken. „Ich habe dich ... so ... so Scheiße behandelt ...“
„Reden wir nicht mehr darüber ...“
Ich hätte viel darum gegeben dieses unsägliche Thema zu vergessen, nie wieder ein Wort
darüber zu verlieren, - doch Katharina schüttelte heftig den Kopf.
„Wir ... wir müssen darüber reden ...“ Sie atmete wieder tief durch und versuchte ihrer
Stimme neue Festigkeit zu geben. „Vielleicht können wir das so ... ungeschehen machen ...
es vergessen ...“
Ich versuchte ihr meine Einstellung zu ihr zu erläutern, zweifellos auch für mich selbst und
gestand ihr, dass die sich verändert habe. Mit ihrer Art zu leben und ihren Eskapaden kam
ich viel besser zurecht als noch vor einem Tag. Ihre offenen Worte hatten mir zwar einen
Stich versetzt, mich aber genauso wenig zerbrochen, wie sie sich nicht zerbrechen ließ.
Katharina hörte mir genau zu, lauschte sichtlich auch auf das, was ich nicht aussprach, und schien sehr zufrieden damit. Sie dankte mir mit einem zärtlichen Lächeln für mein Vertrauen in sie, und kuschelte sich wie ein kleines Kind in meinen Arm.
Wir genossen dieses stillschweigende Einverständnis zwischen uns und waren uns
bewusst, dass es keinen Sinn ergeben würde, zu diesem Zeitpunkt noch mehr dazu zu
sagen.
Dennoch spürte ich eine leichte Unruhe in Katharina, als wäre da noch etwas, dass sie
wissen wollte. Ich drängte sie nicht, und nach einer Weile kam sie selbst damit heraus.
"Paul ...?“ fragte sie ganz leise flüsternd, und ich spürte an ihrer deutlichen Muskelanspannung, wie aufmerksam sie auf jede meiner Reaktionen lauschte, wie sie versuchte, nicht
das Geringste zu verpassen.
"Ja ...“
"Findest du mich ... unmoralisch?“
Die Art, wie sie danach die Lippen fest aufeinander presste, ließ mich ahnen, dass das
eigentlich nicht präzise die Frage gewesen war, die sie stellen wollte.
Doch ich beantwortete sie ganz aufrichtig.
"Nein ... ich finde dich ... nicht unmoralisch."
Katharina atmete leise auf, obwohl ich ahnte, dass sie gar nicht gewollt hatte, dass ich das
bemerkte. Sie nickte wie zur Bekräftigung meiner Worte und suchte spürbar nach ihrer
wirklichen Frage. Doch es dauerte sehr lange und einige tiefe Atemzüge, bis sie die endlich
leise über die Lippen brachte.
"Ekelst ... du dich ... wirklich nicht vor mir ...“
Zum ersten Mal fühlte ich mich ihr absolut ebenbürtig, denn ich ahnte plötzlich, worauf sie
hinauswollte, aber nicht auszusprechen wagte.
Doch dachte ich gar nicht daran, ihre Frage zu kommentieren, sondern sagte einfach nur
knapp und absolut die Wahrheit.
"Nein, warum sollte ich ...?“
"Wegen ... na ja ... wegen meiner Mensis ...“
"Aah ... Nein, ich ekle mich deswegen nicht vor dir."
Sie atmete wieder tief durch, war sichtlich zufrieden mit ihrem Mut und meinen Antworten, aber da war erkennbar noch mehr.
211
"Würdest du ... ich meine, ... würdest du tatsächlich ... mit mir bumsen ... während meiner
... Tage ...?“
Sie wurde flammend rot und biss sich heftig auf die Unterlippe, weil ihr wohl klar wurde,
dass sie sich jetzt unumkehrbar sehr weit auf ein brisantes Thema vorgewagt hatte. Sie
wagte nicht einmal, mir auch nur einen Teil ihres Gesichtes zuzuwenden vor lauter Scham.
"Wieso?“
Meine Frage brachte sie hörbar aus der Fassung, denn sie sog tief und laut die Luft ein,
und blies sie in einem Zug wieder aus. Offenbar wusste sie nicht genau, wie sie jetzt weiter
vorgehen sollte. Das hatte sie kurzfristig angefangen, nicht geplant, sondern aus ihrem
Bauchgefühl heraus improvisiert.
So dauerte es eine Weile, ehe sie ihren Mut soweit gesammelt hatte, dass sie sich genauer
erklären konnte. Mit purer Entschlossenheit richtete sie sich plötzlich neben mir auf und
flüsterte mir leise ins Ohr: "Würdest du tatsächlich ... ich meine ... an meinen Tagen", sie
wurde wieder flammend rot und zitterte sogar ein wenig, "ich muss zugeben ... ich ... ich",
sie suchte sichtlich nach den richtigen Worten, "ich ... ich bin ziemlich geil ... ich meine nicht
nur ... vor meinen Tagen ... ich meine, ich bin auch ... auch jetzt geil ...“
Ihre schamvolle Verlegenheit empfand ich als richtig süß und brachte mich beinahe zum
Lachen.
Doch das hatte sie trotz eigener Nervosität sofort gemerkt.
"Was ist daran so lustig ...?“
"Gar nichts ...“, ich versuchte meiner Stimme vollen Ernst zu geben, "meinst du denn ...
jetzt ...?“
Das brachte sie erneut in Verlegenheit, und Katharinas Gesicht war wie ein offenes Buch.
Das erzählte deutlich von dem Wunsch, das zwar zu klären, aber sich dann so schnell wie
möglich wieder von diesem für sie unangenehmen Thema zu entfernen.
"Jaaa ...“, Katharinas Stimme war wie ein Hauch, und sie stieß leise pfeifend den Atem aus,
zitterte jetzt wesentlich deutlicher.
Ich zog ihren Kopf dichter an mich heran, brachte meinen Mund ganz dicht an ihr Ohr und
flüsterte ihr zu: "Ich würde jetzt ... auch gern ...“, ich wollte sie ein wenig provozieren, denn
sie hatte so oft ihre kleinen erotischen Spielchen mit mir gespielt, dass ich ihr jetzt gerne
mit gleicher Münze zurückzahlen wollte. So griff ich ihr ohne jede Ankündigung unter ihre
Schlafanzugjacke, fühlte die warme Haut unter meiner Hand, ihre weiche Brust und drückte
sofort fester zu.
Katharina atmete tief und heftig ein, wollte gerade lustvoll seufzen. Aber ich suchte ihre
Lippen und küsste sie leidenschaftlich, ließ meine Zunge in ihrer Mundhöhle tanzen. Ob
Katharina wollte oder nicht, sie ließ sich mitreißen, zumal meine Leidenschaft nicht gespielt
war, sondern nur Ausdruck jener intensiven Gefühle, die ich tatsächlich für sie empfand.
Meine fast schon fordernde Sinnlichkeit mochte sie vielleicht überraschen, aber sie hielt
sich nicht die Spur zurück. Sie seufzte leise bei unseren Küssen, drängte sich an mich,
umschlang mich mit ihren Armen. Sie streichelte meinen Rücken, mein Haar, und wurde
selber immer leidenschaftlicher.
Als ich meine Lippen plötzlich von ihren trennte, wie wild ihren Hals küsste, sie hinunter
wandern ließ zu ihrer Brust, die harte Knospe zwischen meine Lippen sog, entfuhr ihr ein
leiser Schrei der Lust.
Ich zog ihr die Schlafanzugjacke über die Schulter, ließ mich von meiner entfachten Lust
einfach intuitiv mitreißen. Zärtlich strich ich mit den Lippen wieder empor zu ihrem Hals,
biss sie sanft in die Schulter, was Katharina erneut einen halblauten Lustschrei entlockte.
Als ich ihr Ohr erreichte, besann ich mich plötzlich, warum ich mit diesem lustvollen Spiel
überhaupt begonnen hatte.
212
Es fiel mir nicht leicht, jetzt ein Ende zu riskieren, denn auch meine Atmung raste inzwischen vor Begehren. Doch ich brachte meine Lippen an ihr Ohr und flüsterte ihr mit
schwerer Stimme zu: "Komm ... lass uns ... jetzt ... zusammen bumsen ...“
Es war, als hätte ich ihr einen Schlag versetzt, ihr eine Unverschämtheit gesagt oder etwas
ähnliches.
Katharina löste sich blitzschnell aus meinen Armen und rückte ein wenig von mir ab. Sie
wandte mir mit voller Aufmerksamkeit ihr kräftig gerötetes und erhitztes Gesicht zu, und
atmete mehrmals tief ein und aus.
"Du meinst ... das ernst ... nicht wahr ... ich meine ... du machst keinen Witz ... mit mir ...“
"Ja ... ich meine es, wie ich es sage ...“
"Ehrlich ... ganz ehrlich ...?“
"Absolut ... wollen wir ...“
"Nein! Nein, ... bestimmt nicht ... ganz bestimmt nicht ...“
Katharina stieß heftig die angehaltene Luft aus den Lungen und streckte die Hände
abwehrend vor. Der erotische Spannungsbogen, der sich gerade fast körperlich fühlbar
zwischen uns aufgebaut hatte, fiel schlagartig in sich zusammen.
Offenbar ging diese Entwicklung für Katharina wesentlich weiter, als sie das vorausgesehen hatte.
Das gab sie auch nach einigem Zögern zu.
"Vielleicht ein andermal“, meinte sie fast tonlos und zog sich hastig die Schlafanzugjacke
wieder richtig an. Sie brauche Zeit, meinte sie, viel Zeit sich an den Gedanken zu gewöhnen und selber eine andere Einstellung dazu zu gewinnen.
"Du ekelst dich aber nicht davor ... nicht wahr ...?“
"Nein ..."
"Du bist ein komischer Mann ... wirklich“, Katharina schüttelte ungläubig den Kopf und
brachte ein peinlich berührtes Lachen über die Lippen, "du ... du interessierst dich für meine ... Verhütung ... und ekelst dich nicht vor meiner ... meiner Mensis ... und würdest sogar
an meinen Tagen ... mit mir bumsen ...“
Sie schien es kaum fassen zu können und lachte leise.
"Aber ... aber ich weiß auch, dass ich dir nicht ... nicht gleichgültig bin ... oder ...“, für einen
Moment war sie richtig verunsichert, und als ich ihr das bestätigte, fuhr sie fort: "Hättest du
nicht so ... fünf Jahre früher ... in mein Leben treten können?“
Wir brachen beide irgendwie befreit in Gelächter aus, - und Katharina atmete sichtlich
erleichtert auf, weil sie sich selber wieder aus der peinlichen Gefahrenzone manövriert
hatte. Jetzt fühlte sie sich offenbar wesentlich sicherer, - und ich fand es einfach schön, wie
sie ihre eigene Schamgrenze überwunden hatte.
Mir blieb eigentlich nur noch die Frage, wer von uns beiden eine höhere oder niedrigere
Schamgrenze besaß. Dies würde zwischen uns sicher noch sehr spannend bleiben.
Eine erste Feuertaufe ergab sich bereits kurz darauf, als Katharina merkte, dass sie ihre
Binde wechseln musste. Sie wurde zwar schon bei der Frage um meine Hilfe flammend rot,
aber sie ließ sie zu und war spürbar froh, als sie es überstanden hatte.
"Du bist wirklich ... ein besonderer Mann“, sie sagte und meinte das sichtlich ohne jede
Schmeichelei, "ein ganz ... besonders lieber ... aufmerksamer ... und besonderer Mann ...
wie ich noch keinen kennengelernt habe ...“
Ich fühlte mich überhaupt nicht als etwas Besonderes. Aber es war schön, das aus Katharinas Mund zu hören.
"Vielleicht solltest du ... darüber mal mit Maria sprechen“, schlug ich vor.
"Das hab ich schon ...“
"Ah ja ... und was meint sie ...?"
"Na ja“, Katharina wurde wieder ein wenig rot vor Verlegenheit, "sie ... sie bumst auch nicht
gerne ... wenn sie ihre Tage hat ...“
213
"Aber findet sie es ... eklig?“
"Nein ... aber auch nicht ... besonders ... na ja, ... nicht besonders erotisch ...“ Katharina
grinste ein wenig schief, "aber ... eklig findet sie es nicht ... ich meine ... ihre Tage zu haben
...“
Wir verließen beide das Thema, lagen erst still beieinander, hingen stumm unseren Gedanken nach und begannen plötzlich wie aus einer gemeinsamen Eingebung heraus spielerisch herumzubalgen, kitzelten und lachten, und waren bald so außer Atem, dass sie mich
regelrecht anflehte, damit aufzuhören.
"Erzähl mir was“, verlangte sie schwer atmend von mir und setzte sich neben mir auf, "du ...
du weißt jetzt schon so viel von mir ... erzähl mir was ...“
"Was soll ich dir erzählen ...?“
Ich wusste nicht einmal warum, aber irgendwie beschlich mich eine Ahnung von Unbehagen. Noch blieb ich weitgehend gelassen, musste sogar leise lachen über Katharinas
Wunsch.
"Na ja ...“, Katharina lachte auch, aber nur weil sie nicht genau wusste, was sie von mir
erwarten sollte, "ich ... ich weiß, dass du ein Künstler bist ... ein Kunststudent und ... ein
ganz ... sensibler, lieber Mensch ... ein Mann ... einer, den ich lieb habe ... Aber, ich weiß
sonst nicht viel von dir ...“, sie strich mir sanft über die Wange, legte den Kopf etwas schief
und dachte nach, "außer dass, was Maria so von dir wusste ... weiß ich nicht viel. Es gefällt
mir ... das bisschen, was ich weiß. Aber ... aber ... ich ... oh, ich weiß, erzähl mir was von
deiner Familie ... deiner Mama ... oder deinen Geschwistern. Hast du Geschwister ... einen
Bruder ... oder Schwester. Ich möchte auch alles von dir wissen ...“, sie grinste anzüglich
und küsste mich sanft, "ich habe keine Geschwister, aber jetzt, ... wo wir bald miteinander
schlafen ... Sex haben werden ... möchte ich auch alles von dir wissen ... ja ... ja ... erzähl
mir von deiner Familie ... von deiner Mama ... von deinen Eltern ...“
Katharina hatte schlagartig einen Volltreffer gelandet, der mir fast den Atem raubte.
Natürlich hatte sie keine Ahnung davon, konnte sie ja auch gar nicht.
Woher hätte sie ahnen oder wissen sollen, dass sie damit einen wunden Punkt bei mir
berührte, dass sie eine Wunde aufriss, die in über zwanzig Jahren einfach nicht abheilen
wollte?
Meine ausgelassene Fröhlichkeit war wie weggeblasen, hatte sich einfach in Nichts
aufgelöst, wurde langsam wachsend durch Zorn und Bitterkeit ersetzt.
Von einer Sekunde auf die nächste wurde ich mucksmäuschenstill.
Der Sturm, den Katharina durch Ahnungslosigkeit in mir geweckt hatte, brauste auf, löste
tiefsitzende Trauer aus, machte mich stumm.
Für eine Sekunde empfand ich sogar echten Zorn auf Katharina, weil sie es ahnungslos
gewagt hatte, diesen Sturm zu entfachen, an meiner ewig schwärenden Wunde zu rühren.
Und sie - sie spürte es sofort, hielt hörbar die Luft an, zog den Kopf leicht zwischen die
Schultern und schien sich schuldig zu fühlen, ohne zu ahnen oder zu wissen, warum.
"Hab ich ... hab ich was Dummes gesagt?“ fragte sie leise und sandte mir ein schüchternes
Lächeln zu. Zweifellos hatte sie, trotz unserer gegenseitigen leichten Benebelung durch
Alkohol, sofort meinen schlagartigen Stimmungsumschwung bemerkt.
"Sag ... sag doch was?“
Mir war sofort klar, dass sie das nicht gewollt hatte, dass sie keine Schuld trug, - aber für
einen Wimpernschlag lang empfand ich unbändigen Zorn gegen sie. Sie wollte einfach nur
etwas wissen, hatte sich aufrichtig und wahrhaftig mir gegenüber geöffnet.
Nun fand sie es an der Zeit, etwas über mich zu wissen. Dahinter steckte keine Boshaftigkeit, kein gegeneinander Aufrechnen, nur blankes Zugehörigkeitsgefühl, und der Wunsch
etwas zu erfahren über den Mann, der ihr gesagt hatte, dass er sie liebe, den sie begehrte.
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Als Folge verlor ihr Gesicht jegliches Lächeln. Ich sah ihr an, dass sie still eine Möglichkeit
suchte, wie sie mit schnellem Gedankenflug diesen offensichtlich verbotenen Pfad meines
Seins wieder verlassen und sich wieder auf sicheres Terrain begeben konnte.
Ich brauchte mehr als einen Augenblick, ehe ich ihre Hand ergreifen und sie traurig
anlächeln konnte, froh darüber, dass sie meine bittere Mimik in dieser Sekunde nicht sehen
konnte.
In mir brandete etwas hoch, etwas, das ich nicht zulassen wollte, das ich noch zu bekämpfen suchte, von dem ich aber wusste, das es nicht aufzuhalten war.
"Ich ... ich habe keine Familie“, meine Stimme hörte sich an wie abgenutztes Schmirgelpapier, und ich hatte Mühe, genug Luft zum Atmen zu bekommen, "ich meine ... ich lebe allein
...“
Katharina hatte mir mit voller Konzentration das Gesicht zugewandt, spürte die Emotionswelle, die beständig in mir hochwogte. Sie tat nichts, um sie aufzuhalten, wusste sichtlich
nicht wie - wusste nicht, warum - wusste von nichts.
Aber nie zuvor hatte ich sie aufmerksamer, intensiver empfunden, als in diesem Augenblick.
"Magst du ... liebst du deine Eltern nicht ...?“ fragte sie mich mit ganz leiser, vorsichtig
tastender Stimme, um die plötzlich düstere Stimmung nicht eskalieren zu lassen, "hast du
... hast du Streit mit ihnen ...?“
Ich musste erneut tief durchatmen, denn jedes Wort, dass sie so behutsam aussprach, war
wie ein Schlag mit einer Weidengerte, brannte auf meiner Haut. Ich nutzte diese Zeit des
tiefen Durchatmens, um darüber nachzudenken, ob ich überhaupt darauf antworten wollte.
Doch Katharina war ehrlich zu mir gewesen. So offen, so voller Vertrauen, dass sie mindestens auch ein Maß an Vertrauen durch mich verdiente. Sie hatte ein Anrecht darauf, etwas
von mir zu erfahren, Einblicke in mein Leben zu bekommen.
Es fiel mir schwer, sehr schwer. Doch aus welchen Gründen auch immer, ich wollte es
versuchen, weil ich ohnehin nicht wusste, ob ich jemals diesen tiefsitzenden Schmerz überwinden würde.
"Ich ... ich habe keinen Streit mit ihnen“, tastete ich mich vorsichtig voran, und jedes Wort
brannte wie ein glühendes Messer in meinem Bauch, "ich habe ... ich kenne sie nicht ...“
Das Atmen fiel mir immer schwerer. Mir war, als habe ich plötzlich einen dicken Kloß im
Hals, an dem ich zu ersticken drohte. Ich war sicher nicht nüchtern genug, um das jetzt
leichter zu nehmen, ohne Tränen zu ertragen.
Katharina spürte meinen inneren Kampf, ergriff meine Hand jetzt mit beiden Händen,
bemüht mir ein Gefühl von Sicherheit und Nähe zu vermitteln, mir zu zeigen, dass sie bei
mir war.
Ich kämpfte noch immer dagegen an, brauchte meine ganze Kraft dazu, sodass ich gar
nicht bemerkte, wie die Flut der Tränen mich mitriss, - bis ich endlich wahrnahm, dass ich
weinte, leise und still weinte.
Vielleicht hatte Katharina es auch nicht sofort bemerkt, aber sie wusste es in dem Moment,
als die ersten Tränen auf ihre Hände tropften.
Wortlos nahm sie mich in die Arme, strich mir beruhigend über den Rücken, hielt mich
umfangen, wie eine Mutter ihr Kind in den Armen hält, und gleichzeitig wie eine Geliebte,
die ihrem Liebsten Schutz gewährt in der Stunde der Not, in der Stunde des Schmerzes.
Da konnte ich sie nicht länger aufhalten, die Flut der Trauer, die mein ganzes Sein für eine
Weile hinweg schwemmte, die immer wieder, jedes Jahr meines Lebens meine Seele
beschwerte.
Ich weinte und weinte, hemmungslos und mit aufschreiender Trauer, voller Schmerz und
Einsamkeit, die ganze Wüste von Gefühlen, die ich nur allzu gut in meiner Kindheit kennengelernt hatte.
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Ich weinte lange, kannte keine Rückhaltemöglichkeit mehr, keine Dämme oder Beschränkungen, weil mich da eine Frau in den Armen hielt, die mir Sicherheit und Nähe vermittelte.
Katharina machte aus ihrem Beistand kein Aufhebens, - war einfach nur da, allein für mich
in diesen Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorkamen.
Nichts spürte ich von Katharinas Betroffenheit, nicht von ihrer Hilflosigkeit, weil sie sich
schuldig fühlte, diesen Emotionssturm ausgelöst zu haben, weil sie nahezu nichts tun konnte, als nur präsent zu sein.
Dabei war es das Wichtigste, was ich in diesen Minuten brauchte.
Anfangs gab ich mir Mühe einen Rest von Haltung zu bewahren, nicht weinend vor dieser
Frau zu sitzen, - aber meine Kraft reichte nicht annähernd dazu. Vielleicht war ich noch viel
zu erschöpft von dem Emotionssturm, der erst gestern über mich hereingebrochen war und
mich erschüttert hatte.
Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich Katharina auf unerklärliche Weise mehr vertraute, als jemals einem anderen Menschen in meinem Leben. Meine Angst vor möglicher Verletzung war schlicht nicht stark genug, um meine Trauer vor ihr zu verstecken.
Katharinas Nähe tat mir gut. Ich legte den Kopf auf ihre Schulter, verbarg mein Gesicht in
ihrem Haar und weinte, mit zuckenden Schultern, hilflos den eigenen Gefühlen ausgeliefert.
Es erschien mir endlos, bis ich die Stille zwischen uns wieder wahrnehmen konnte, bis es
mir gelang langsam wieder ruhiger zu atmen.
Meine Nase war verstopft, mein Kopf hämmerte, mein Atem rasselte. Ich bekam eine
Ahnung mehr davon, wie Katharina sich gestern in der Badewanne gefühlt haben mochte,
als sie sich so endlos leergeweint hatte.
Katharinas Stimme klang wie ein Wispern, als sie mich fragte, ob sie mich für eine Sekunde
allein lassen dürfe, um Taschentücher zu suchen.
"Im ... im Bad ...“, ich nickte zustimmend und sie eilte sofort los. Aber ich dachte im selben
Moment, dass sie weder das Badezimmer, noch die Taschentücher finden würde.
Doch ich hatte mich geirrt.
Ich hörte im Hintergrund, wie sie gegen irgend etwas stieß, leise fluchte, dann stand sie
neben mir und reichte mir tatsächlich eine Packung Papiertaschentücher.
Das ließ mich fast mit Galgenhumor auflachen, was sie mit einem zaghaften Lächeln antworten ließ.
So schlimm wäre das nicht gewesen, erklärte sie nur ruhig, sie habe sich am Schrank in
der Diele gestoßen, den sie da nicht erwartet habe.
Ich putzte mir die Nase, schnaubte danach noch einmal, wischte mir mit einem dritten Tuch
die Augen. Noch einmal zog ich die Nase hoch, und ließ mich von Katharina erneut in die
Arme nehmen.
Ich hätte in diesem Moment nicht einmal sagen können, wie oft ich mich in meinem Leben
nach solch stillem Trost und Nähe gesehnt hatte. Ausgerechnet die Frau, mit der ich mich
geprügelt und auf schwierigem, chaotischem Pfad angenähert hatte, gab mir jetzt dieses
Gefühl, ohne Bedenken.
"Darf ich ... darf ich dich noch etwas fragen?“ Katharinas Stimme war fast ein Wispern an
meinem Ohr. Ich nickte stumm und erwartete den nächsten Emotionsschlag. "Wenn du
nicht ... nicht darüber reden willst ...“
"Ist okay ...“, ich nickte noch einmal, behielt aber meinen Kopf an ihrer Schulter, "ich will ...
wenn ich kann ...“
Meine Stimme hatte jegliche Klangmodulation verloren.
Es fiel mir schwer, überhaupt ein Wort über die Lippen zu bringen. Katharina spürte das,
und ich ahnte, dass sie trotz ihres leichten Schwipses ihre ganze Konzentration auf mich
gerichtet hielt, jedes weitere Wort genau überlegte, sich vorsichtig und behutsam vortastete.
"Warum ... ich meine ... warum kennst du sie ... nicht?“
216
"Ich ... ich war noch zu klein ... ein Baby ...“
Wieder zog das Messer eine brennende Wunde quer durch meine Eingeweide.
"Sind sie ... gestorben ... bei ... bei einem Unfall ...?“
Ich war erstaunt, wie schnell ich es schaffte darauf zu antworten, als wäre ich froh, wenn
ich es nur hinter mir hätte.
"Nein ... nein, sie ... sie haben mich weggeworfen ...“
Katharina zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen, und ich erschrak selber vor
der Bitterkeit in meiner Stimme.
"Waaas ...?“
"Ja ...“, meine Erinnerung, frisch wie vom gestrigen Tag, schüttelte mich mit heftigem
Schmerz, ließ mich erneut in Tränen ausbrechen, "sie haben mich weggeworfen ... wie
Dreck ...“
Ich hatte versucht, die Wahrheit milde auszudrücken, nur für mich, aber sie tat auch nach
über zwanzig Jahren immer noch höllisch weh.
Katharina schwieg betroffen und zitterte, als wäre ihr kalt, - und wahrscheinlich war das
auch so. Sie strich mir sanft über den Rücken, hielt mich umarmt und vermittelte mir dieses
Gefühl nicht allein zu sein.
Sie wartete mit erstaunlicher Geduld, ließ mich weinen, reichte mir erneut Taschentücher,
bis ich wieder ruhiger atmete.
Dann suchte sie vorsichtig nach der richtigen Formulierung ihrer nächsten Frage.
"Willst ... du ...“, sie stockte völlig verunsichert, "willst du ... mit mir ... mir was darüber
erzählen ...?“
Ich erzählte ihr etwas von mir.
Sie war der erste Mensch in meinem ganzen Leben, dem ich so viel, vorbehaltlos und ehrlich etwas von mir erzählte, mit dem ich über meine Vergangenheit redete.
Dabei hätte ich nicht einmal logisch erklären können, - warum.
Vielleicht war es diese Vertrautheit, die man gewinnt, wenn man schon soviel Mühe miteinander geteilt hat.
Vielleicht war es schlichtes Vertrauen, die sie mir vermittelt hatte, als sie bewies, dass sie
keine Angst hatte, mir die Wahrheit über ihre Vergangenheit erzählte.
Vielleicht war es auch nur einfach genau der richtige Zeitpunkt, mit einem Menschen, dem
ich mich sehr nahe fühlte, einmal offen darüber zu reden, über die dunkle Zeit in meinem
Leben, die nicht vergessen hatte, die nicht wirklich vorüber war. Alles, was mein Sein zu
diesem Zeitpunkt prägte, basierte auf dieser Vergangenheit.
Vielleicht war es verrückt und gefährlich, weil ich mich Katharina damit auslieferte. Aber ich
öffnete ihr eine Tür zu meinem Leben, die düstere Geheimnisse für mich hütete, - langsam
und vorsichtig zuerst.
Mit jedem Wort spürte ich die Erleichterung, die mich erfasste, mich endlich einmal
mitzuteilen, Mitgefühl von einem Menschen zu spüren, der mich nicht allein ließ mit dieser
Vergangenheit.
Erst in diesem Augenblick begriff ich wirklich, was es Katharina bedeutet haben mochte,
ihre Vergangenheit mit mir zu teilen. Der emotionale Sturm der letzten Tage hatte unserer
beider Seelen wundgescheuert und gleichzeitig ein Feld bereitet, auf dem echtes Vertrauen
zu gedeihen begann. Es war für uns beide wohl so, als hätten wir seit Jahren schon darauf
gewartet endlich mit einem anderen Menschen über die Last in unserer Erinnerung zu
sprechen, sie zu teilen, Mitgefühl zu spüren und Erleichterung.
Der ungeheure Druck, der auf meiner Seele seit so vielen Jahren lastete, verschwand
dadurch nicht, aber er wurde vorübergehend etwas leichter, ließ sich aushaltbarer ertragen.
Anfangs fürchtete ich mich selber vor diesen Erinnerungen an meine Kindheit, brachte nur
stockend die Worte über meine Lippen, in winzigen Dosen, immer wieder lange von düsterem Schweigen unterbrochen.
217
Doch mehr und mehr kam die Vergangenheit in Fluss, bewahrheitete sich ein Satz, den
Katharina mir viele Jahre später sagte, dass das Leben Veränderung bedeute, ständige
Veränderung und Reflexion der Vergangenheit, Neubeginn und Neubesinnung auf die
wirklich wichtigen Dinge.
Der Fluss in mir wurde zu einem reißendem Strom, der nicht mehr zu bremsen war, der
alles mitriss, was an Unrat zu seinen Ufern lag, reinigte und neu schuf, zerstörte und bloßlegte, was sein Ursprung war, das Bett meines Seins.
Der dicke Panzer in mir, mit dem ich mich vor dieser Vergangenheit immer geschützt hatte,
der mich von mir selber trennte, er bekam seinen ersten Riss.
Ich führte Katharina in eine Welt, die sie nur aus dem Radio oder vielleicht aus Büchern
kannte. Sie mochte vielleicht einmal davon gehört haben, aber wurde nie wirklich damit
konfrontiert, weil es sie bis dahin nichts mit ihrem Leben zu tun hatte.
Aber genauso, wie ich Blinde nur aus Filmen, Fernsehen oder Büchern kannte, hatte sie
vorher nie authentische Berichte aus dieser Welt wahrgenommen. Sie kannte nur bruchstückhafte Berichte, die nicht unbedingt die nackte Wahrheit waren.
Auch meine begrenzte Führung in diese Welt war nicht die absolute Wahrheit. Aber sie
kam ihr sehr nahe, sie war authentisch aus einer Zeit, an die sich die Menschen nicht gerne
erinnerten, obwohl sie nicht mal eine Generation zurücklag.
Ich sah, wie Katharinas Gesicht immer betroffener wurde, gemeißelt wie aus hartem Granit.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hörte sie von geprügelten Kindern im Waisenhaus Eschbachtal, von brutalen Nonnen und Menschen, die ganz gezielt wegschauten vom Elend
dieser Kinder und denen aus anderen Waisenhäusern, von hungrigen Kindern, die zum
Spielball der Jugendbehörden und geldgieriger Heimleitungen wurden, denen diese Kinder
so gut wie nichts bedeuteten.
Ich erzählte ihr von weinenden Kindern, deren ganze Lebenserwartung und Sehnsucht
einem bisschen, einer Handvoll Liebe galt, die ihnen niemand geben wollte. Denn für die
Träger und Initiatoren der zahlreichen Heime in den fünfziger Jahren waren sie lebendes
Kapital, das sich vermehren ließ, aus dem Gewinne erzielt werden konnten. Mit purer Verwaltung des Kinderelends, das so offensichtlich nie wurde, wenn man nur von außen auf
diese Heime sah.
Das reichte von hungernden Kindern, die sich zum Frühstück wie die hungrigen Wölfe um
altes, verschimmeltes Brot stritten, über Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch an
diesen Kindern, bis hin zu roher Gewalt durch prügelnde "Betreuer" und durch die Cliquen,
die unsolidarisch innerhalb des Heimes jeder anderen Clique den geringsten Vorteil missgönnte.
Nestwärme, Geborgenheit, ein offenes Ohr, dass sich die Sorgen und Nöte anhörte, Mitgefühl und Mitleid, eine sanfte Hand, - das waren Fremdworte für uns Heimkinder, die wir
beständig lernten, dass Gewalt das beste Mittel war, um seine Ziele und Wünsche zu
verwirklichen.
Kinder, die lebten wie menschliche Raubtiere, mehr oder weniger hinter Gittern gehalten,
um sie besser kontrollieren zu können, seelisch vielfach verroht oder gebrochen.
Das waren meistens Kinder ohne Zukunftschance, ohne Perspektive, ohne Mitmenschlichkeit, die sich nur in ganz seltenen Fällen in kleinen begrenzten Freundschaften zwischen
diesen zerstörten Kindern selbst aufhob.
Aber selbst dabei galt noch immer das Prinzip des Vorteils, und sei es nur der, dass man
durch einen starken, gewalttätigen Freund innerhalb des Heimes einen gewissen Schutz
vor der Gewalt anderer Insassen bekam.
Katharina hörte von diesem heruntergekommenen Heim, mit Hunderttausenden Mark
gefördert und renoviert, die tatsächlich nie dort ankamen, wofür sie bestimmt waren.
Ein Heim mit einem Schlafsaal von vierzig Betten, in dem nachts die Ratten über die Betten
huschten und Kinder anfielen.
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Es gab drei alte Zinkwaschbecken für diese Kinder, im selben Schlafsaal, nur mit kaltem
Wasser.
Stolz waren sie auf ihr ein Paar Schuhe, das sie aber lediglich von einem längst älter
gewordenen Kind auftrugen. Jedes Kind bekam seinen persönlichen Wohlstand, bestehend
aus zwei Unterhemden, zwei Unterhosen, zwei paar Strümpfe, einem Paar Schuhe, einer
oder zwei Hosen, einem Pullover, einem oder zwei Hemden, - aber keinen Mantel, keine
Handschuhe, dafür reichte das Geld nicht.
Die zuständigen staatlichen Behörden hatten das Geld zwar zur Verfügung gestellt, das
Heim mit Mitteln ausgestattet, aber sie versickerten in einem Sumpf aus Korruption, Ignoranz, Betrug und Vertuschung.
Unsere Kleidung kam vom Roten Kreuz oder anderen Hilfsorganisationen, stammten
ursprünglich von anderen Kindern, die sie nicht mehr tragen wollten oder konnten, weil sie
herausgewachsen waren.
Unser Frühstücksbrot stammte von verschiedenen Bäckern, die altes Brot für einen normalen Preis abrechneten, und eine stillschweigende Vereinbarung mit der Heimleitung trafen,
sodass beide Seiten einen guten Gewinn erzielen konnten.
Diese Kinder aus dem Heim wussten oft nicht einmal, was eine Scheibe Käse war, denn sie
hatten noch nie eine zum Frühstück bekommen, sahen sie nur bei Klassenkameraden in
der Schule.
Ich mochte als Kind keinen Käse, was hauptsächlich daran lag, dass ich noch nie im Leben
einen gegessen hatte.
Katharina konnte sich das kaum vorstellen, denn sie betrachtete ihn als eine Selbstverständlichkeit aus ihrer Kindheit.
Kartoffeln bekam das Heim von verschiedenen Bauern, wenn die Heimleitung ihnen für die
Ernte kostenlos Kinder zur Verfügung stellte.
Wurst gab es ohnehin nur sehr selten oder gar nicht.
Katharina gewann einen ersten Einblick in eine Erinnerung an meine Jugend in Halfeshof,
jene Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche im Bergischen Land, die noch viele Jahre
später als Kinder-KZ bezeichnet wurde, eines jener Heime, die Auslöser für Ulrike Meinhofs
Buch „Bambule“ waren und für die durch Willi Brandt angestrebte Heimreform, an der die
sozialliberale Bundesregierung so zögerlich arbeitete.
Es galt eine echte Reform mit durchsetzbaren Rechten dieser Kinder umzusetzen, ohne
dass dabei die Schuldigen für die Missstände in diesen Heimen in die Öffentlichkeit gezerrt
wurden, ein Spagat, der niemals gelingen konnte. Denn Verbrechen verlangen Sühne und
nicht Vertuschung aus Opportunismus.
Katharina mochte es fast nicht glauben, als ich ihr sagte, dass ich mit zehn Jahren noch nie
ein gebratenes Hähnchen gesehen, geschweige denn gegessen hatte, und natürlich auch
noch nie ein Frühstücksei.
Die Jahre im Heim, meine ganze bitterharte, beschissene Jugend zog wieder wie ein nie
endenwollender Film an meinem geistigen Auge vorbei. Ich konnte meine reale Umgebung
nicht mehr wahrnehmen, sah mich wieder auf diesem unlackierten, rohen Holzfußboden im
Schlafsaal dieses Heimes sitzen, das mein Zuhause sein sollte.
Dass Katharina mir mehr als zwei Stunden schweigend zuhörte, mich nicht mit einem Wort
unterbrach, nahm ich gar nicht wahr. Ebenso wenig, dass sie zwischendurch lautlos weinte,
dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
Sie lernte meine wenigen Freunde, auch meine Leidensgenossen aus diesen Jahren
bruchstückhaft kennen, die alle nie wahre Freunde im Sinne des Wortes wurden, nur Verbündete im Kampf ums Überleben, sich irgendwie halbwegs durchbringen.
Sie hörte von dem vertuschten Tod des kleinen Jungen, der tatsächlich im Heim verhungert
und gestorben war, - an Unterernährung in einer Zeit, da die Menschen in diesem Land
219
wieder mitleidlos wurden mit den Ausgestoßenen, weil sie selber wieder satt genug waren,
um auf die anderen geringschätzig herabzublicken.
Katharina erhaschte eine Ahnung von einem anderen Jungen, den christlich katholische
Nonnen zu Tode geprügelt hatten, - weil er schwarze Hautfarbe besaß und ein Kind der
Schande war.
Die Solidarität der Nachkriegsjahre hatten die wegschauenden Menschen längst wieder
vergessen. Sie wollten um keinen Preis mehr daran erinnert werden, - und verschlossen
hartherzig Augen und Ohren, wenn ihre eigenen Kinder ihnen von den abgemagerten, zerlumpten Kindern aus dem Heim erzählten, die mit ihnen auf die gleiche Schule gingen.
Und das nur, weil geldgierige Menschen das Maximum an Gewinn aus diesem Kinderelend
herausholen wollten, Unsummen verschoben, Geld verschwinden ließen in dunklen Kanälen, - mit und ohne Unterstützung von Ämtern und Amtspersonen, die die Verantwortung
trugen, leugneten und lediglich mitverdienen wollten.
Flog eine Heimleitung auf, so war stets mit arroganter Gelassenheit von einem Ausnahmefall, einem "Schwarzen Schaf" in der Reihe der gut geführten Waisen- und Kinderheime die
Rede.
Das wurde so lange der Öffentlichkeit vorgelogen, bis die - die es ohnehin nicht wissen
wollten - wieder beruhigt waren. Die Aufsichtsbehörden und Heimleitungen verständigten
sich dabei insgeheim auf jene Wege, die solche unerwünschten Enthüllungen verhindern
sollten.
Katharina hörte aber auch durch mich von sinnlosen Ausreißversuchen durch diese Kinder,
die verzweifelt einen Weg suchten, dieser Hölle zu entkommen.
Sie hörte von dem erschreckend hohen Anteil von sogenannten "Hilfsschülern", die auf
Sonderschulen unterrichtet werden mussten, wodurch die Vertuschung ihres elenden
Lebens wesentlich erleichtert wurde.
Tief betroffen hörte Katharina von den endlosen, gewalttätigen und immer wiederkehrenden
Diebstählen, die wir Kinder begangen hatten, um ein winziges Stück von diesem "Traumleben" abzubekommen. Denn natürlich wussten wir, dass es ein besseres, anderes Leben
gab. Auf Dauer ließ sich das nicht vor uns verbergen, weil wir zwangsläufig Kontakt zu
anderen Kindern in der Schule bekamen. Die besaßen Dinge, die uns wie purer Luxus aus
einer anderen Welt vorkamen, unerreichbar - unbezahlbar.
Ein nagelneues, ungetragenes Paar Schuhe - ein neuer Federhalter - eine warme Winterjacke - ein wärmender Schal - Schokolade - Eis essen - und all diese Normalitäten aus
einer Welt, die für uns jenseits des erreichbaren Horizonts lagen.
Dann war da noch der Junge, nicht einmal ein Freund von mir, der vierzehn Jahre seines
Lebens in dieser Hölle verbracht hatte, in dem Bewusstsein, dass seine Eltern leider tot
waren. Irgendwie hatte er sich abgefunden, war zerbrochen, weil er nicht stark genug war,
sein Elend auszuhalten.
Zwei Tage nach seinem vierzehnten Geburtstag meldete sich seine Mutter. Er erfuhr, dass
man ihn die ganzen Jahre belogen hatte. Die Frau, die ihn zur Welt gebracht und geboren
hatte, empfand ihn lediglich als Belastung, fand fadenscheinige Ausflüchte und wollte ihn
nicht um sich haben.
Jetzt aber wollte sie ihn zurück, nicht weil sie das schlechte Gewissen plagte, sondern weil
die Behörden einen Weg gefunden hatten, sie an den Kosten für die Heimunterbringung
zwingend zu beteiligen.
Es ging ihr gut, sie arbeitete, hatte einen Beruf, und lebte im Vergleich zu ihrem Sohn im
wahren Luxus. Aber den wollte sie nicht teilen, um seine Heimunterbringung zu finanzieren.
Also hatte sie alles daran gesetzt, ihn heraus zu holen, denn das kam sie immer noch
billiger, als die anstehende Kostenbeteiligung.
220
Die Jugendämter und Behörden, die über übervolle Heime klagten, die nicht wussten,
wohin mit all den Kindern, - die gaben ihr das Kind, sprachen ihr das Erziehungsrecht
wieder zu.
Sie ahnte nicht, was aus ihrem Sohn geworden war, wie tief der Hass in ihm brannte über
all die Demütigungen, die er jahrelang ertrug. Seine Seele war deformiert und zerbrochen,
nicht erst, als er die Wahrheit erfuhr.
Seine Mutter holte sich den Tod, den eigenen Mörder ins Haus, und überlebte nicht einmal
vierzehn Tage, ehe ihr Kind, das sie weggeworfen hatte, sie bei lebendigem Leibe, an ihr
eigenes Bett gefesselt, zerstückelte.
Sein Leben war zerstört – ihres jetzt auch - aber er kam in ein Irrenhaus.
"Und wir ... wir haben ihn wie ... wie einen Helden gefeiert“, ich glaube, dass die gallige
Bitterkeit meiner Stimme Katharina entsetzte. Ich fühlte ihr Erschrecken, ihr leises Zittern,
wie sich ihre Nackenmuskeln verkrampften, wie sie sich an meiner Seite versteifte.
"Wir waren stolz auf ihn“, fuhr ich mit brüchiger Stimme fort, "denn er war einer von uns ...
und er hatte zurückgeschlagen ... Er hatte einen von den Menschen mit dem Tode bestraft,
der uns ... und ihm ... die uns das alles angetan haben. Er schlug für uns zurück, härter ...
schlimmer und konsequenter, als ... als wir das je gekonnt hätten. Er zeigte uns aus purem
Hass, dass es endgültige Grenzen gibt, für das, was Menschen ... Kindern ... was man
Menschen antun darf ... Er hat zurückgeschlagen ... für uns ...“
Katharina erfuhr von den Festtagen, von Geburtstagen oder Ostern, wovon ich bis zu
meinem zehnten Geburtstag so gut wie nie gehört hatte. Wir bekamen keine Geschenke,
keine Zucker- und Ostereier, keinen Schokohasen, keine Süßigkeiten. Wir mussten nur zur
Kirche und am Oster-Gottesdienst teilnehmen, aber oft wollte man uns selbst dort nicht
sehen und dabei haben.
Ansonsten war es ein Tag wie jeder andere.
Weihnachten war es am schlimmsten, weil das sich einfach vor den Kindern nicht geheim
halten ließ. Am Nikolaustag konnte man sie bestenfalls noch mal ein wenig einschüchtern,
indem der "Nikolaus" ihnen ihre Verfehlungen des ganzen Jahres vorhielt und Prügel
androhte. Er trug nur die Rute im Sack, mit etwas Glück ein paar gespendete Tafeln
Schokolade von der ortsansässigen Kirche.
Weihnachten, das Fest der Familie und der Liebe, wenn es draußen bitterkalt war, wenn
die Heimkinder wussten, dass andere sich auf ihre Geschenke freuten, die sie nicht bekamen und stolz am ersten neuen Schultag vorweisen konnten, dann mussten diese Kinder
heimlich mit Beruhigungsmitteln sediert werden.
Sie wurden besonders beaufsichtigt, weil es durchaus regelmäßig zu Versuchen kam,
diesem Elend durch Selbsttötung zu entfliehen. Dann suchte sich diese Verzweiflung und
ohnmächtige Wut einen Weg, gegen die Kinder selbst, die das Vergessen und die Erlösung
im Tod suchten, - und leider auch gegen andere Kinder, die diesen Weg nicht gehen wollten.
Aber nie gegen diejenigen, die ihnen diese Hölle aus Ignoranz bereiteten, denen sie alles
Elend verdankten.
Katharina hörte aus meinen Worten von den tagelangen Verstörungen dieser Kinder, die oft
bis tief in den Januar andauerten, von den durchweinten Nächten.
Auch die sogenannten "Familien-Wochenenden" lernte sie kennen, wo Familien sich mit
finanzieller Unterstützung der Behörden über ein Wochenende ein Kind aus dem Heim zur
Pflege holen konnten, um ihm etwas Gutes zu tun.
Zweifellos war da auch viel guter Wille dabei, aber kein winziger Funke Verständnis.
Denn diese "Ersatz-Eltern" ahnten nicht einmal, was sie diesen Kindern antaten, wenn sie
die für ein Wochenende aus diesem Heim holten, so schön gemacht und angezogen, wie
es nur möglich war.
221
Aber diese Kinder hatten praktisch keine Erfahrung mit Zuwendung und Vertrauen, mit
Liebenswürdigkeit und echter Freundlichkeit.
Sie waren längst in ihrer Seele zerbrochen, aggressiv und gewalttätig. Waren sie es noch
nicht völlig, dann spätestens nach diesem Wochenende, wo sie voller Misstrauen diesen
unbekannten Luxus von gutem Essen, einem eigenen, alleinstehenden Bett, einem schönen Ausflug mit Eis und Schokolade erlebten.
Kamen sie nach zwei Tagen zurück, wussten sie endlich, was ihnen alles vorenthalten wurde und konnten die Hölle noch weniger ertragen.
Sie wollten zurück, waren völlig verstört von dem Erlebten und dem Ausblick auf ein
Lebensglück, das ihnen nicht zuzustehen schien.
Viele von ihnen bestahlen die "Wochenend-Eltern", machten ihnen die zwei Tage zur Hölle,
sodass sie oft schon nach einem Tag zurückgebracht wurden, weil sie sich als unerträglich
erwiesen.
Dabei wurden stets neue Wunden gerissen, die nie mehr heilen sollten.
Die meisten Kinder aus dem Waisenhaus machten "Karriere", nachdem sie zu alt für eine
Unterdrückung geworden waren. Die nächste Station auf dem Weg der wachsenden
Aggression wurde das Erziehungsheim, dann die "Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche" - und nicht selten anschließend Jugendgefängnis, - eine durchaus übliche Karriere.
Ausbildungschancen gab es so gut wie keine, denn wer wollte schon eines der berüchtigt
verwahrlosten Kinder aus dem Heim haben, diese respekt- und beziehungslosen Rabauken, die kaum zu bändigen und zu gehorsamen Arbeitnehmern auszubilden waren.
Im Erziehungsheim wurden dann die Strukturen wesentlich klarer und durchschaubarer.
Nicht nur, dass das Essen ein wenig besser wurde, wir bekamen auch mehr Prügel, sogar
präventiv, um uns frühzeitig einen angemessenen Respekt beizubringen. Das war völlig
unabhängig von berechtigten Gründen, ob wir tatsächlich etwas angestellt hatten oder
nicht.
Viele der Betreuer, die aus gänzlich anderen Berufen kamen, von Sozialarbeit und Kinderbetreuung nahezu keine Ahnung hatten, und auf dem zweiten Bildungsweg in so einem
Heim als Erzieher arbeiteten, hatten sogar sichtlich Spaß daran uns schwer Erziehbare zu
verprügeln. Hier konnten sie ihre Vorurteile und gesellschaftliches Klischeedenken von
undankbaren Blagen ausleben und auch mal auf den Schwächeren herumtrampeln, genauso wie sie es im Leben kennengelernt hatten.
„Kinder müssen zu Gehorsam erzogen werden, damit aus ihnen mal ordentliche und ehrliche Staatsbürger werden.“
Da genügte schon ein schiefer Blick, und man bekam eine Ohrfeige oder einen Faustschlag, dass man quer durch das Büro des Heimleiters flog, gegen einen Aktenschrank
krachte.
Denn diese Kinder waren keine wirklichen Menschen, nur "dreckige Fürsorgezöglinge,
undankbare Bastarde, die die staatlichen Wohltaten nicht zu schätzen wussten."
Es half uns aber auch, - uns daran zu gewöhnen, denn Prügel gab es grundsätzlich mehr
als alles andere.
Meine Erinnerungen führten Katharina zu den vergitterten Fenstern in der Erziehungsanstalt, wo es erstaunlicherweise noch schlimmer wurde, obwohl ich geglaubt hatte, es
könne kaum schlimmer werden. Auch hier wurden Jugendliche verprügelt, sexuell missbraucht und in jeder denkbaren Form gedemütigt und misshandelt.
Hier kam noch hinzu, dass sich dort auch die Ergebnisse der vergangenen Jahre in verfehlter Kinderbetreuung zusammenfanden, die Opfer dieser Heime, die noch wesentlich brutaler, aggressiver und unsolidarischer untereinander handelten, als in den vorausgegangenen
Stationen ihres Lebens.
Die Schwachen und Unkooperativen bekamen auf diese Weise gleich von zwei Seiten
Prügel, von den Betreuern und den Heiminsassen.
222
Da herrschte unverhohlen regelrechte Mordlust, aus purer Lebensverzweiflung.
Gegen Festtage waren die meisten inzwischen gleichgültig und immun geworden, zumindest nach außen. Sie begriffen leicht, dass es ausgesprochen gefährlich war, jegliche
Schwäche zu zeigen und sich angreifbar zu machen.
Innerlich bekamen sie alle noch den Emotionshorror, wenn Weihnachten näherrückte, und
der verbotene Alkoholkonsum dramatische Ausmaße annahm.
Ich wurde in all den Jahren nur einmal von "Wochenend-Eltern" aus dem Heim geholt, dann
nie wieder. Ich verbrachte alle diese Jahre in den Heimen, quer durch alle Stationen, war
aggressiv und aufsässig. An manchen Tagen zerschlug ich die Fenster, wie ein tobendes
Monstrum, dass man mich regelrecht mit mehreren Betreuern überwältigen, an ein Bett
fesseln und mit Medikamenten ruhig stellen musste. Wachte ich wieder auf, schrie und
tobte ich, wurde von anderen Betreuern erneut geschlagen, bis ich nur noch winselte oder
irgendwann vor Erschöpfung einschlief, betäubt von meinem eigenen Hass.
An solchen Tagen spürte ich deutlicher als sonst, wie allein ich auf der Welt war.
Und so ganz würde das nie mehr vergehen, auch wenn ich im Laufe der Zeit gelernt hatte,
damit zu leben, es zu ertragen, und mich nur noch selten Weihnachten bis zur Bewusstlosigkeit betrank.
Die Folge für mein Verhalten war jedes Mal die Verlegung in ein anderes Heim.
Ich war mit vierzehn bereits einer der ewigen Verlierer, die nicht zählten, die vorbestimmt
waren für die Müllhalde der menschlichen Gesellschaft, verachtet für ihr Schicksal, vergessen, verdrängt, unbeachtet, ungeliebt.
Dass, was Ulrike Meinhof in ihrer Analyse über deutsche Kinderheime in dem Buch
„Bambule“ beschrieb, erlebte ich ganz persönlich am eigenen Leib.
Ich aber wollte immer da raus, - egal wie.
Und ich hatte Glück, als ich wieder einmal einen neuen Vormund bekam, der zwar nicht
sehr engagiert war, aber immerhin genug, um durchzusetzen, dass ich mit Zustimmung der
Behörden ein kleines möbliertes Zimmer und eine Lehrstelle bekam, als FotografenLehrling.
Am Rand von Wuppertal begann mein Leben außerhalb des Heims, für das ich keine
Vorbereitung bekam, und deshalb Unmengen von Fehlern machte. Keine Ahnung, warum,
aber mein neuer Vormund bügelte sie alle irgendwie wieder aus.
Im Heim prophezeiten mir die Insassen und Betreuer, dass ich es niemals schaffen würde,
dass ich entweder zurückkommen oder im Gefängnis landen würde. Ich trieb mich rum,
hatte keine Lust auf meine Lehrstelle, versuchte alles Mögliche, um mich nicht diesem
neuen Leben zu stellen. Diebstähle, Besäufnisse und ein Einbruch wechselten sich regelmäßig ab.
Doch mein Vormund schaffte es irgendwie jedes Mal das alles wieder gerade zu rücken,
meine Chance zu erneuern. Ich kam zwar vor ein Jugendgericht, wurde aber nicht verurteilt, nur ermahnt und verwarnt, einmal sogar zu einem Wochenendarrest verdonnert.
Meine Lehrstelle wurde gekündigt.
Mein Vormund aber, der inzwischen einen unerklärlichen Ehrgeiz entwickelt zu haben
schien, obwohl ich ihn mehr als einmal an den Rand der Verzweiflung brachte, hielt weiter
seine schützende Hand über mich. Er bekam das alles irgendwie wieder hin. Er kittete
meine geknickte Laufbahn in der Freiheit wieder, beschaffte mir eine Anschlusslehrstelle,
dieses Mal mit Familienanschluss - was mir gar nicht passte, denn von Familien hatte ich
die Nase gestrichen voll.
Ich hätte gerne alles getan, um seine Hoffnungen zu begraben und zunichte zu machen.
Aber ich hatte Pech, was aber in Wirklichkeit mein Glück war.
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Denn mein neuer Chef hatte so etwas wie ein Händchen für schwierige Menschen und ein
Auge für Talente. Er war einfach nicht zu bewegen mich aufzugeben, so sehr ich mich auch
bemühte mein Desinteresse zur Schau zu stellen und mich gegen alles querzustellen.
Irgendwann war es mir dann zu langweilig, dieses Zerstörungsspiel fortzuführen, - weil ich
wohl ahnte, dass ich es nicht gewinnen konnte.
Mein Chef war noch sturer als ich, und das allein war schon eine Leistung.
Er schaffte es sogar mein erstes bescheidenes Interesse zu wecken, und ein winziges
Stück meines Vertrauens zu gewinnen.
Nicht nur, dass ich nach drei Monaten immer noch da war, nicht die Portokasse oder
anderes gestohlen hatte. Nein, ich lernte auch eine Familie mit ungeheurer Herzlichkeit
kennen, wo ich am Mittagstisch mitessen konnte, wo ich abends fernsehen durfte.
Bis dahin ein unvorstellbarer Luxus für mich.
Ich durfte an Festen teilnehmen, wann immer ich nur wollte.
Sie zwangen mich zu nichts, aber sie boten mir alles an.
Und ich fand Spaß an diesem Beruf, bekam zum Geburtstag eine eigene Kamera
geschenkt, und fing tatsächlich an eigene Bilder zu machen. Die bewiesen, dass ich Talent
und ein Auge für die Fotografie besaß.
Ich blieb ein Jahr, machte ein Zweites, ein Drittes, und schloss mit einer hervorragenden
Note bei der Gesellenprüfung ab. Mein Chef brachte mir alles bei, was ich brauchte - und
noch viel mehr.
Er gab mir Selbstvertrauen.
Drei Jahre lang hatte ich mehr oder weniger bescheiden gelebt, hatte so gut wie kein Geld,
gewann aber eine Perspektive für die Zukunft und jede Menge Optimismus, was mir völlig
neu war.
Ich verlor Stück für Stück meinen Hintergrund, mein Leben im Heim, und suchte mit wachsender Kraft nach einem neuen, nach einem anderen Leben.
Jetzt wollte ich vor allem anderen frei sein von meiner Vergangenheit, obwohl ich genau
wusste, dass ich sie niemals im Leben völlig loswerden würde.
Aber die Hoffnung war es, die mich alles durchstehen ließ.
Im letzten Lehrjahr arbeitete ich bereits wie ein Besessener, las alles an Literatur, was ich
nur finden konnte, experimentierte und probierte aus, sammelte Erfahrungen, hatte Erfolg
und steckte mir immer höhere und neue Ziele.
Dann kam die Gesellenprüfung und ich bekam zum ersten Mal ein richtiges Gehalt, eine
Traumsumme für meine bescheidenen Verhältnisse, - ein paar Monate lang.
Aber mein Chef war nicht zufrieden - und meinte, ich könne mehr.
Also meldete er mich gegen meinen Willen zur Begabten-Sonderprüfung an, ließ mir als
Alternative nur die Entlassung aus seinem Betrieb, der kleinere und größere Aufträge für
Privatkunden und die kommerzielle Werbung realisierte.
Zähneknirschend stimmte ich.
Mein altes Spiel funktionierte nicht mehr.
Ich bestand die Begabten-Sonderprüfung, bekam mein Stipendium, hatte wieder kaum
Geld und musste zuerst in Essen und dann in Bremen studieren, fern jener Menschen, die
mir vertraut und bekannt waren.
"Mein einziger, richtiger Gelderwerb zurzeit sind Assistenten-Jobs“, schloss ich schon
wesentlich gefasster meine kurzgefasste Lebensschilderung für Katharina ab, "weil ich als
gelernter Fotograf eine Menge mehr weiß über diesen Beruf, als viele der anderen
Studenten, die ganz normal mit ihrer mittleren Reife oder Abitur zu ihrem Studienplatz
gekommen sind." Ich zog abwägend die Schultern hoch und machte eine Grimasse. "Ich
habe genug Jobs, um über die Runden zu kommen, diese Wohnung zu bezahlen, mir mein
Motorrad zu leisten ... und ... und irgendwann werde ich vielleicht auch ... genügend
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Ehrgeiz haben, dieses verdammte Studium abzuschließen ... Aber das Gelbe vom Ei ist es
nicht gerade ...“
Ich war erschöpft, ausgelaugt und ausgewrungen von meinen eigenen Erinnerungen, die
so weit gar nicht zurücklagen, die noch sehr nah waren.
Katharina saß an meiner Seite - und schwieg, mit fast versteinertem Gesicht.
Wir schwiegen beide, lange und regungslos, unfähig auch nur ein Wort zu sagen, mit nur
einer Silbe die Anwesenheit des anderen zu bestätigen.
Aber auf eine ganz seltsame Weise fühlte ich mich nicht allein, spürte Katharinas Hände,
die sanft meine Hand hielten, die mir Trost und Sicherheit gaben.
"Du ... du hast jetzt ein Ziel“, flüsterte sie mir schließlich zu, "du bist da rausgekommen ...“
"Ich bin nicht raus ...“, ich wunderte mich selber, wie verbittert und hart meine Stimme
klang, "mit ... mit so einer Erfahrung ... so einer ... Vergangenheit ... die wirst du niemals
los. Das Vergangene ... es ist nicht vorbei ... ist es bei mir nie gewesen ... Es ist nie
vergangen ...“
"Aber ... aber du bist da rausgekommen ...“
"Ich ... ich bin immer noch darin gefangen ...“, ich wollte nicht mehr weinen, aber ich konnte
es nicht aufhalten, "ich habe ... kein wirkliches Ziel ...“
"Doch ... doch, das hast du ... Du musst dir nur vertrauen ..."
"Ach ja“, meine Stimme erschien mir nahezu bösartig und höhnisch, "ich habe wenig Geld
... stecke fest in meinem Studium ... und ... und weiß einfach nicht was ... was ich wirklich
will ...“
Tränen liefen mir über das Gesicht, aber ich spürte es nicht einmal.
Katharina fühlte meinen aufbrausenden Zorn, ahnte vielleicht, dass er sich vor allem gegen
mich selbst richtete. Wieder strich sie mir mit einer Hand sanft über den Rücken und tat,
was ich für sie getan hatte. Mit unsicheren Fingern wischte sie die Tränen von meinen
Wangen, nahm mich fest in den Arm.
"Krisen ... die gibt es immer ...“, hauchte sie mir mit zittriger Stimme zu, "da kannst du ...
nichts gegen machen ... Aber du ... du hattest keine Chance ... überhaupt keine ... und hast
trotzdem was draus gemacht. Glaub mir ...“, sie nahm zärtlich mein Gesicht in ihre Hände,
versuchte ihr Gesicht genau vor meines zu bringen, damit ich sie ansah, den Ernst und die
Überzeugung ihrer Worte daraus lesen konnte, "du bist stark, viel stärker ... als ich gedacht
hatte ... als ich je gedacht hätte ... Du nimmst es nicht leicht ... du machst es dir nicht leicht
... Und das ... das macht dich stark ...“
"Ich bin nicht stark ...!“
"Doch das bist du“, Katharina widersprach mir heftig, "du hast das alles hinter dir gelassen,
auch ... auch wenn es noch lange nicht vorbei ist ... auch wenn du noch lange nicht weißt,
wo du hinwillst ... was du willst. Andere sind gescheitert ... du nicht ... Dabei hatten sie vielleicht bessere Chancen, als du ... oder ... oder sie hatten genauso beschissene Möglichkeiten ... aber du bist da rausgekommen ...“
"So etwas lässt man nie hinter sich ...“
"Natürlich nicht ... nie vollkommen“, Katharina strich mir wieder sanft über die Wange, "ich
kann das auch nicht ... Niemand kann das ... niemand ...“, sie suchte meine Aufmerksamkeit an sich zu fesseln und ihre Stimme wurde sehr eindringlich, "aber du kannst lernen ...
damit zu leben ... Ich hab`s auch gelernt ... und du hast angefangen zu lernen ... Vielleicht
kannst du lernen mit mir zu leben ... mich zu akzeptieren ... Ich habe dich völlig ... unterschätzt. Ich dachte ... ich dachte ... du wärst ein Mann, der ... der es leicht hat im Leben ...
dem alles zugefallen ist ... der alles sehr leicht erreicht ... der kaum Probleme hat ... mit
seinem Leben ... Aber ich habe dich unterschätzt. Du bist stark, du hast Mut ... du weißt es
nur noch nicht richtig ... Ich hab das früher auch nicht von mir gewusst. Aber das kannst du
lernen ... du kannst es ... glaub mir bitte ...“
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"Was weißt du schon ...“, in meiner Trauer und Erregung merkte ich gar nicht, wie
verletzend ich in diesem Augenblick wurde, "so etwas kann man nicht hinter sich lassen ...
Was ich durchgemacht habe ... das kannst du dir gar nicht vorstellen ... es ist viel mehr ...
als ich in Worten ausdrücken kann ...“
"Ich versuche es aber ... und es kommt mir bekannt vor ...“
"Das kann niemand ... der ... der es nicht erlebt hat ...“ Ich konnte nicht sagen, warum mich
ihre Versuche, mir meine Stärke und Kraft vor Augen zu führen, so wütend machten.
Vielleicht lag es daran, dass ich selbst nicht so recht daran glaubte. Meine Stimme wurde
richtig laut und aggressiv, aber Katharina ließ sich trotz sichtbaren Erschreckens nicht
davon abbringen.
"Genau das habe ich auch immer gedacht“, entgegnete sie ebenso heftig und eine Sekunde lang herrschte fast beklommenes Schweigen zwischen uns, "und die Erfahrung scheint
dir sogar recht zu geben ... genau wie bei mir ... Aber es ist falsch ... es ist einfach falsch ...
Wir sind uns viel ähnlicher Paul, als es auf den ersten Blick scheint ... wir sind uns sogar
sehr ähnlich ...“
"Weißt du ... was ich an der Hochschule bin?“ fragte ich sie mit aufbrausender Wut in der
Stimme, "ich ... ich bin der ... ich bin immer noch der Volksschüler ... der es nur mit
Sonderprüfung überhaupt geschafft hat ... dahin zu kommen ... der aber nie wirklich dazugehören wird ... ich bin immer noch der Außenseiter, der kein Ziel hat ...“
"Du hat ein Ziel ... du musst dir nur vertrauen“. Katharina gab mir die gleiche Heftigkeit in
der Stimme zurück, hielt aber auch gleichzeitig meine Hand, um mir zu zeigen, dass sie
nicht zornig oder abweisend gegen mich sein wollte." Du musst dir Zeit lassen ... alles
braucht seine Zeit ... alles hat seine Zeit ... Du musst dir vertrauen ... dann kannst du es
schaffen ... denn du ... du bist stark ... das hast du dir schon bewiesen ...“
Sie war nicht zu entmutigen, und sie schaffte es scheinbar wirklich, mir einen Funken
dieses Optimismus zu vermitteln, den sie in sich spürte.
"Ich bin mir da nicht so sicher ... wie du ...“, meine Stimme verriet bereits, dass meine
Selbstzweifel ins Wanken geraten waren.
"Du hast immer wieder ... einen Weg gefunden, dich weiterzubringen“, Katharinas Stimme
schwoll förmlich über vor Zuversicht, "du wirst auch das noch schaffen. Und wen interessiert das, was deine Kommilitonen von dir denken ... Du wirst nicht aufgeben ... du wirst
gewinnen ... wenn du dir vertraust. Wenn du tatsächlich Talent hast ... und das hast du ja
offensichtlich ... dann ist es scheißegal ... was für einen Schulabschluss du hast. Du bist
intelligent ... und klug ... du hast Fantasie und bist kreativ ... Du wirst es schaffen, deinen
Weg ... dein Ziel zu finden. Trau dir was zu, du kannst das. Vertrau dir selber ... und lass dir
nichts einreden. Es gibt für alles eine Zeit. Jetzt ist eben deine Zeit, nicht genau zu wissen,
was du willst ... Aber alles verändert sich ... ständig ...“
"Ich wünschte ... ich hätte dein Selbstvertrauen ...“
"Das hast du ... sonst hättest du dich nicht mit einer Zicke ...“, sie lachte, weil sie sich selbst
nannte, wie sie nicht bezeichnet werden wollte, "sonst hättest du dich nicht mit mir eingelassen ... bei allem, was wir ... was du mit mir durchgemacht hast ... was ich dir angetan
habe ...“
"Hör auf ...“
"Nein!“ Katharina ließ sich nicht beirren, "ich glaube an dich ... obwohl ich dich erst so kurz
kenne ... Es ist nicht deine Schuld ... und nicht meine ... und nicht die Schuld der Menschen
... die du ... die wir kennen ... dass es dir als Kind so dreckig ging ... dass du durch die Hölle
gegangen bist ...“
"Das sag ich doch auch gar nicht ...“
"Aber du handelst so ... auch wenn du es nicht zugibst“, Katharinas Stimme wurde eher
noch zuversichtlicher und eindringlicher, "du verbirgst es vor dir selber ... und nicht einmal
gut ... Du wirfst allen Menschen vor ... was dir passiert ist ... Aber ... aber die Vorwürfe soll-
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test du gegen die richten, die dir ... und den anderen Kindern ... das angetan haben ... Es
bringt nichts ... gar nichts ... irgendwelche Ersatzkriege zu führen ... und schon gar nicht
gegen dich selbst. Wenn du da nicht weiterkommst, dann stell es vorläufig zurück ... Mach
erst mal das ... was dir einen Erfolg bringt. Mach es wie mit mir ... da hattest du Erfolg ...
weil du ... weil du nie wirklich aufgibst ...“
"Das ist doch ... das ist doch Quatsch ...“
"Nein, Paul ...“, Katharina packte mich bei den Schultern und schüttelte mich sanft, fast so,
wie ich es bei ihr in unserer gestrigen Horrornacht getan hatte, "das ist kein Quatsch. Ich
hab dich sehr, sehr lieb ... und das liegt auch daran, dass du nie wirklich aufgibst. Du bist
es gewesen, der zu mir gekommen ist, als ich unsere Verabredung abgesagt habe ...“
"Aber jetzt bist du zu mir gekommen ...“
"Ja!“ Katharina schien fast begeistert, dass ich das sagte, "weil wir uns viel ähnlicher sind,
als ... als du glauben willst. Ich war dir das schuldig ... Du sagst mir, dass ich stark bin, dass
du mich für stark hältst ... aber du bist genauso stark ... vielleicht sogar noch stärker ...
denn im Gegensatz zu dir ... hatte ich es ja fast leicht ... Ich bin nur blind ... aber ich wurde
geliebt, von meiner Mama, meinem Papa ... und vielen anderen Menschen ... Du ... du
hattest nur dich. Und du ...“, sie schlug mir fast begeistert auf die Schulter, "du bist trotzdem
da rausgekommen ...“
Sie machte eine Pause, holte tief Atem und nahm mein Gesicht wieder in ihre Hände, küsste mich ganz sanft und keusch.
"Paul ... ich hab dich sehr, sehr lieb“, ihre Stimme klang jetzt wieder ganz ruhig und gefasst,
"vielleicht liebe ich dich sogar richtig und von ganzem Herzen ... das weiß ich noch nicht ...
nicht sicher jedenfalls. Und wenn es sein muss, liebe ich auch deine Trauer, deinen Hass
auf die Menschen, die dir ... das angetan haben ... auf deine Vergangenheit. Aber mehr
liebe ich deine Aufrichtigkeit, deine Zärtlichkeit, deine Menschlichkeit ... und deine Schwächen, soweit ich sie bisher kenne. Ich mag auch dein Engagement gegen Unrecht und
Unmenschlichkeit, deinen Zorn gegen all das ... Ich bin nicht du ... und du bist nicht ich ...
aber wir sind uns ähnlich ... sehr ähnlich ... Ich habe nicht deine Erfahrungen durchmachen
müssen ... und du nicht meine ... aber gemeinsam haben wir uns selber bewiesen, dass wir
da auch aus eigener Kraft wieder rauskommen können ... mit ... mit ein bisschen Hilfe ...
vielleicht sogar viel Hilfe. Aber wir haben es beide geschafft ... und deshalb sind wir uns so
ähnlich ... Und vielleicht hab ich dich auch deswegen so lieb ... weil ich ... weil ich unterbewusst sofort erkannt habe, dass du ... auch stark bist ... dass du Mut hast ... Wir haben eine
Chance, Paul, wenn wir das beide wollen ... Sonst wäre ich jetzt auch nicht hier ... hier in
deinem Bett ... in deinem viel zu schmalen Bett ... wo wir nicht mal richtig toben können ...“
Sie lachte und dieses befreite, aufrichtige Lachen war es, das mir die letzte Sicherheit gab,
das meine Verkrampfung löste.
Noch nie zuvor hatte mir eine Frau, oder sonst irgendein Mensch, eine derartig aufrichtige
Liebeserklärung gemacht. Ich war tief berührt und ergriffen, ein wenig beschämt wegen
meiner Heftigkeit, und fühlte gleichzeitig ein sanftes Glücksgefühl, das mich durchströmte.
"Hüte dich vor der Verbitterung, Paul“, Katharina sprach jetzt sehr ruhig, fast leise zu mir,
aber nicht weniger eindringlich, "hüte dich vor der Verbitterung ... sie ist immer der falsche
Weg."
"Ich weiß einfach nicht, was ich will ... wie es weitergehen soll ... ich meine, mit meiner
Zukunft ... ich lasse ... ich meine, ich lasse mich zurzeit einfach treiben ...“
"Dann entspann dich ...“, sie lächelte mir liebevoll zu, "und dann ... sei einfach geduldig mit
dir ... vertrau dir ...“
Sie konnte mir wirklich ganz einfache Wahrheiten überzeugend nahe bringen.
"Aber ... aber ich habe das Gefühl, die Zeit ... die Zeit läuft mir weg. Sie rinnt mir ... sie rinnt
mir durch die Finger“, versuchte ich meiner Skepsis noch einmal Ausdruck zu verleihen.
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Doch Katharina wischte sie mit einer ärgerlichen Handbewegung aus dem Weg, ohne dass
sie ihr Lächeln aufgab.
"Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber“, versicherte sie mir, "ich weiß das aus eigener
Erfahrung ... das kann ich leider nur bestätigen ...“
"Ich ... ich weiß gar nicht ... warum ich dir das ... alles erzählt habe ...“
"Tut es dir leid?“
Jetzt bekam Katharinas Stimme einen Hauch von scharfem Unterton.
Doch so zerschlagen und müde ich mich auch fühlte, ich bemerkte ihn sofort.
"Nein ...“, antwortete ich ihr ganz langsam und ehrlich, "nein ... ich kann es einfach nur nicht
logisch erklären ... Ich ... ich kann es nicht begründen ... Du darfst mit niemandem darüber
sprechen ...“
Ich dachte sofort an Maria, an die Vertrautheit, die Katharina mit ihr verband. Doch sie
schien das sofort als eine Art Beleidigung zu empfinden, die sie zusammenzucken und ein
Stück von mir abrücken ließ.
"Traust du mir so was zu?!“ fragte sie mit scharfem Ton.
Ich zögerte einen Augenblick mit der Antwort und dachte darüber nach.
"Nein ... nein ... eigentlich nicht ...“
"Es ist bei mir sicher verschlossen“, entgegnete Katharina fast feierlich und legte ihre rechte Hand auf ihr Herz, "aber ich werde es nie vergessen ... Es ist etwas, dass nur uns beide
etwas angeht."
"Das ist gut ...“, ich dachte wieder einen Augenblick darüber nach, ob es wirklich der
Realität entsprechen konnte, was ich da sagte.
Aber es gab keinen Zweifel.
"Es hat gut getan, mit dir darüber zu sprechen. Ich habe es noch niemals zuvor einem
Menschen so ausführlich erzählt ... eigentlich nicht einmal etwas davon."
"Es ist gut angelegt bei mir“, Katharina nahm mich wieder zärtlich in ihre Arme und drückte
mich an sich. Erneut versicherte sie mir, dass ich viel stärker wäre, als sie geglaubt habe.
"Warum sagst du das?“
"Weil es wahr ist."
"Wenn du das sagst, dann ... dann klingt es beinahe wahr ...“
"Es ist wahr“, sie lächelte mir warm zu und legte ihre Hand auf meine Wange, "du musst
unbedingt lernen, dir mehr zu vertrauen ... Sei nicht so bockig gegen dich ... Wie wär’s,
wenn ich uns einen Tee mache ...?"
"Soll ich dir helfen?“
"Sehr gern ... deine Unordnung ist ... ist furchtbar ...“
Ohne uns etwas überzuziehen, gingen wir halbnackt hinüber in die Küche. Es war längst
dunkel draußen geworden, sogar schon spät in der Nacht. In der Wohnung aber war es
warm genug, während vor dem Fenster offenbar immer noch unablässig der Regen fiel.
Als wir gerade alles beisammen und Wasser aufgesetzt hatten, ergriff sie noch einmal
meine Hand, und hielt sie fest.
"Wir ... wir sind uns wirklich gar nicht so unähnlich."
"Wieso?“
"Du lässt auch niemanden gern in dein geheimes Leben."
"Ich ...“
"Ja ... ja, natürlich du ...“, lachte sie fast heiter, "du willst dich nicht erinnern, weil es so ... so
weh tut, aber ... aber du kannst auch nicht davor davon laufen, weil ... weil es dein Teil von
deinem Leben ist ... Ich glaube, wir könnten gut voneinander lernen, wenn wir uns einen
Platz in unserem Leben geben."
Sie schien plötzlich eine Idee zu haben, die sich leuchtend in ihrem Gesicht widerspiegelte.
Mit einer ungeahnten Heftigkeit riss sie mich in die Arme.
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"Ich glaube, ich ... ich könnte dir zeigen, wie man einen Schlussstrich unter beschissene
Erfahrungen zieht“, bot sie mir mit überschwänglicher Stimme an, "dafür kannst du mir
zeigen, dass es noch schlimmere ... oder ganz andere Dinge im Leben gibt, wie ich ... wie
ich sie zum Glück nicht erlebt habe ... Und du kannst mir zeigen, wie man daraus ... soviel
Kraft schöpft, wie du sie hast. Ich bin ... oft so ... so aufbrausend und ungerecht ... und ein
bisschen exzentrisch. Bei dir habe ich durchaus das Gefühl, dass du in dir ruhst, dass du ...
viel ruhiger bist ...“
"Ich würde eher sagen ... verschlossener ...“
"Nein ... glaub ich nicht ... nicht wirklich verschlossen ... nur misstrauisch“, sie drückte mich
wieder an sich, "aber das ist kein Wunder ... ich versteh dich jetzt viel ... viel besser ... Du ...
du bist für mich ein ganz wertvoller Mensch ... vielleicht sogar der wertvollste Mensch für
mich zur Zeit ... den ich kenne ... außer meine Mama und mein Papa natürlich ... Ich hab
dich viel mehr lieb ... als ich das sagen kann ...“
Ich starrte sie an, fühlte eine gigantische Woge aus purem Glück durch meinen Körper
strömen, die mir jede Fähigkeit nahm darauf zu antworten.
Ich war einfach nur glücklich.
Wir verstanden uns auch still beieinander sitzend, tranken Tee, streichelten uns zärtlich
über die Hand, über das Gesicht und das Haar, schlicht glücklich über die Harmonie, die
uns erfüllte.
Es war ein wunderschöner Ausklang für den Tag, der nur uns gehörte, den wir uns beide
von unseren Verpflichtungen gestohlen hatte, weil wir ihn allein für uns brauchten.
Katharina bestätigte mir, dass sie einen Termin beim Blinden-Verein verpasst habe,
gestern einen mit einer anderen Freundin aus dem Verein, mit der sie sich verabredet
hatte.
Doch beide waren nicht so wichtig, dass irgendein Schaden dadurch entstehen konnte.
Unser Tag erschien ihr dafür wirklich wichtig.
Sie gestand ganz offen, dass sie sich auch den nächsten Tag noch für uns stehlen würde,
obwohl sie auch morgen einen außerberuflichen Termin habe. Morgen wollte sie zu ihrem
Arzt gehen, "krank" spielen und sich offiziell arbeitsunfähig schreiben lassen für das
Wochenende, sodass ihr niemand in der Stadtverwaltung Vorwürfe machen könne. Ich
solle ihr dann dabei helfen, das Attest sofort an ihre Dienststelle zu schicken.
Dabei fühlten wir uns sehr gesund, waren sagenhaft glücklich. Ich hatte ohnehin keine
Verpflichtung für den kommenden Tag.
Hätten Katharinas Vorgesetzte sie so gesehen, würden sie sich ernsthaft fragen, wie sie
behaupten könne, krank zu sein. Aber die Welt "draußen" - sie war weit weg von unserer
augenblicklichen Realität, die hauptsächlich aus uns selber bestand.
Doch bevor wir dann dicht vor Mitternacht schlafen gingen, kam Katharina noch einmal auf
unser Gespräch über Vergangenheit und Vertrauen zurück. Ich hörte ihr anfänglich nur
widerstrebend zu, erkannte jedoch sehr bald, dass sie mir noch etwas Wichtiges zu sagen
hatte.
"Ich will nicht wiedergutmachen an dir ... was andere dir angetan haben“, erläuterte sie mir
leise, "das kann ich auch gar nicht. Ich will deine Freundin sein, deine Vertraute, deine ...
Geliebte. Ich will ... ich will, dass wir so zärtlich miteinander sind, wie wir es gerade noch
aushalten können, wie du es ertragen kannst. Aber ...“, sie schüttelte energisch den Kopf
um ihre Worte zu unterstreichen, "ich bin ... und ich will kein Ersatz sein für deine beschissene Kindheit, deine ... Jugend sein ... um die sie dich betrogen haben. Und ich will auch
nicht, dass du ... dass du versuchst irgend etwas an mir wiedergutzumachen. Ich hätte
gerne deine Liebe, deine Leidenschaft ... dein Feuer ... deine Lust ... und ..." sie lachte, als
sie merkte, wie mich ihre Worte etwas verlegen machten und setzte ganz bewusst noch
eine kleine Spitze obenauf, "und ich will auch deine Geilheit für mich ...“, rasch legte sie mir
eine Hand auf die Lippen, als sie spürte, dass ich sie unterbrechen wollte. Sie schwieg und
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lauschte offensichtlich mit allen Sinnen auf meine Reaktionen. Mir war beklommen zumute,
doch verstand ich durchaus, worauf sie hinauswollte.
"Ich hab dich lieb, Paul“, Katharinas Stimme war wie ein Windhauch, "und das auch ...
wenn du nicht stark bist, wenn du dich schwach und traurig fühlst. Für mich musst du nicht
immer stark sein. Ich mag deine Schwächen ... Aber ... aber ich kann dir keine Garantie
geben, dass das immer so sein wird. Jetzt ist es sicher so, und morgen auch ... und
übermorgen ...“
Jedes Wort, das sie sagte, erhöhte mein leicht unsicheres Gefühl der Gewissheit um ihre
Liebe. Aber es zeigte mir auch, wie illusionslos sie manchmal ihr Leben sah.
"Es ... es ist mir wichtig, Paul ... dass du mir sagst, wie du dich fühlst, wenn ... wenn ich dir
Unrecht tue ... wenn ich nicht fair bin zu dir ...“, fuhr sie leise fort und drückte zärtlich meine
Hand, "aber es muss dir nicht unbedingt gutgehen. Ich will auch wissen und erleben, wann
... wie du dich elend fühlst. Ich bin nicht ... deine Feindin ... und ich werde es bestimmt nicht
gegen dich benutzen. Ich hätte am Liebsten, dass du ... dass du einfach nur du selbst bist
... weil ich dann auch viel leichter, ich selbst sein kann. Ich weiß, dass ich ... manchmal
schrecklich bin, aber ... aber das ist ein Teil von mir ... das bin auch ich, selbst wenn du
diesen Teil von mir ... nicht besonders magst ... ich mag ihn auch nicht.“
Zärtlich nahm sie wieder mein Gesicht in ihre Hände, und ich spürte die Hitze, die die Teetasse in ihrer Hand hinterlassen hatte. Zum ersten Mal glaubte ich so etwas wie ein
lebendiges Funkeln im schwarzen Achat ihrer Augen zu erkennen, - selbst wenn es nur
eine Lichtspiegelung war. Doch ich fühlte Katharinas warmen Atem auf meinem Gesicht,
hörte den Schlag meines Herzens bis in die Ohren dröhnen.
"Mein Wunsch wäre ...“, Katharina lächelte schmerzlich, "dass wir versuchen einander
nichts vorzumachen ... uns nichts vorzuspielen ... dass wir zusammen sind ... ohne uns nur
das schöne Gesicht zu zeigen ... nur die schönen Stunden zu erleben ... denn das Leben
ist nicht so ... nur schön ...“
Ich verstand, was sie damit meinte, und brauchte nichts dazu zu sagen. Trotz aller besonderen und ganz spezifischen Umstände, die uns das Leben noch schwer machen konnten,
wusste ich doch, dass ich auf sie zählen, und dass sie für mich da sein würde.
Es war ihr wichtig, dass ich das wusste.
So sanft und liebevoll, wie ich nur konnte, küsste ich ihre warmen Lippen, die mich weich
ebenso liebkosten.
"Ich verstehe ... was du meinst“, sagte ich schließlich ebenso leise zu ihr, du meinst, dass
wir zwar aus der Vergangenheit lernen können, dass sie ... jetzt aber nicht ... mehr unser
Leben allein bestimmen darf ...“
"Ich wusste ... dass du es verstehen würdest ...“
Katharina umarmte mich plötzlich mit wilder, ungeahnter Kraft, zog mich vom Stuhl hoch
und wirbelte mich herum.
"Ich habe mir immer einen Mann wie dich gewünscht“, jauchzte sie etwas atemlos und fiel
mir lachend um den Hals, "du bist ein lange ausgesprochener Wunsch von mir ... Mama
sagt immer, dass man bekommt, was man sich wünscht, wenn man den Wunsch nur oft
genug wiederholt ...“
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11. Kapitel
Es war eine Klasseidee, ein wunderbarer Abschluss des gemeinsamen Abends.
Sie kam von Maria, aber es gab niemanden unter uns, der dazu auch nur zögernd „Ja“
gesagt hätte.
Nach unserem ausgedehnten, und für Studenten opulenten Abendessen, drei guten
Flaschen Wein und einem wunderbar entspannten Abend gefiel uns der Gedanke, vorher
noch ins "Dammtor" zu gehen und anschließend ins "Tiffany", zum Tanzen und Austoben
auf der Tanzfläche.
Der ganze Tag war schon wunderbar gewesen, noch viel besser, als der Tag zuvor, den
Katharina und ich uns vom normalen Alltag gestohlen hatten. Nach dem Arztbesuch und
ihrer Krankschreibung waren wir einkaufen gegangen, - wieder ausschließlich von ihrem
Geld, was mir zutiefst peinlich war. Doch davon machte sie kein Aufhebens und verwies
darauf, dass ich sie ja irgendwann auch mal einladen und alles bezahlen könne, wenn
meine Finanzlage wieder etwas besser wäre.
Danach kochten wir gemütlich und fantasievoll zusammen in meiner Küche, verbrachten
aber die meiste Zeit des Tages im Bett.
Ich empfand von Stunde zu Stunde mehr Vertrauen zu ihr, vermochte ihre Blindheit
weitgehend zu ignorieren. Ich fühlte, wie meine Lust auf diese Frau aufblühte, dass mich
blitzartige Fantasien anfielen, lustvoll schwitzend und stöhnend in Katharinas Armen zu
versinken. Sie schmuste mit mir, wir küssten und streichelten uns, aber sie behielt ihren
Slip an, war nicht einmal bereit ihre Schlafanzughose auszuziehen. Ihre Verschämtheit
wegen ihrer Tage war schlicht zu groß.
Aber sie genoss sichtlich meine schmeichelnden Zärtlichkeiten, mein sanftes Saugen an
ihren Brustwarzen, meine streichelnden Lippen in ihrem Nacken, was sie heftig erschauern
ließ. Sogar zwischen ihren Beinen zu liegen, die sie lustvoll über meinem Rücken kreuzte,
bereitete ihr nach kurzem Zögern kein echtes Unbehagen. Aber als ich ihr einmal etwas zu
heißblütig zwischen die Beine griff, schob sie meine Hand sofort mit einem verlegenen
Lächeln fort, flammend rot im Gesicht.
Zweifellos war ihre Lust nicht die Spur kleiner als meine, aber ihre Bedenken wegen ihrer
Blutungen viel zu groß.
Dabei konnte ich nach dem letzten Bindenwechsel in der Freitagnacht deutlich feststellen,
dass da fast nichts mehr war an Blut, nur noch eine letzte Spur. Dennoch war das eine
Schwelle, die Katharina nicht überschreiten wollte.
Beim Samstag-Frühstück ließ mich Katharina wissen, dass sie unbedingt mal wieder in ihr
vertrautes neues Zuhause wolle. Bei mir müsse sie die ganze Zeit konzentriert bleiben und
darauf achten, dass sie nirgendwo dagegen liefe, sich nicht verletze, - obwohl sie inzwischen eine erstaunlich gute Orientierung für meine Wohnung besaß.
Sie wollte zudem Maria treffen, die Kleidung wechseln, mal wieder ihre vertraute Umgebung genießen. Außerdem wollte sie mir unbedingt ihr Zimmer zeigen und ihr wunderbar
großes Bett, das etwas ganz Besonderes wäre.
Draußen hatte es endlich zu Regnen aufgehört, die Sonne schien zwar nicht richtig warm,
aber es war trocken.
Selbstverständlich wollte Katharina Motorrad fahren, - lieh sich von mir eine viel zu große,
dicke Jacke, einen warmen Pullover, - und genoss es spürbar, obwohl wir Gefahr liefen,
eine Strafanzeige zu bekommen, weil sie keinen Helm trug.
Doch es ging alles gut, und ich bockte schon kurze Zeit später die "Alte Lady" vor dem
Haus am Theaterplatz auf.
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Maria war überrascht uns zu sehen, schloss schnell ihre Zimmertür, weil Rolf noch nackt in
ihrem Bett lag, sie selber nur in Slip und Unterhemd herumlief. Sie war sofort begeistert von
dem Gedanken zusammen einzukaufen, zu kochen und abends gemeinsam auszugehen.
Rolf und sie hatten noch nichts für das Wochenende geplant, weil sie nicht wussten, ob
sich die beiden Vermissten und Verliebten - damit waren eindeutig wir gemeint - aus dem
Bett finden würden, um gemeinsam etwas zu unternehmen.
Tanzen war sie schon lange nicht mehr gewesen. Im "Tiffany" liefen die besten und neuesten Platten, gab es eine riesige Tanzfläche mit vielen bunten Lichtern und einer enorm
kraftvollen Verstärkeranlage, die beste Diskothek weit und breit. Genau das Richtige für
einen wild durchtanzten Samstagabend.
Genauso machten wir es denn auch, nachdem Rolf sich entschloss, endlich aus dem Bett
zu kommen.
Die Küche verwandelte sich nach dem Einkauf sehr schnell in ein betriebsames Schlachtfeld. Aber nur auf den ersten Blick unübersichtlich und chaotisch, denn Maria hatte längst
sehr viel von Katharinas Ordnungsbedürfnis gelernt.
Wir Männer bekamen eine Auszeit, durften maximal kleine Handreichungen und Hilfsdienste erledigen, denn es kam den beiden Frauen darauf an den Überblick zu behalten, was ihnen auch gelang.
Unser Abendessen mit den verschiedensten Gängen und Details, inklusive einem leckeren
Ananas-Pudding, war Spitzenklasse.
Dann kamen die besagten Flaschen Wein, die wir dieses Mal dem Bier vorzogen, begleitet
von den üblichen Zigaretten.
Maria und Katharina verschwanden eine Zeitlang im Bad, kamen dann gemeinsam zurück
und wirkten völlig entspannt.
Ich wollte gerne Katharinas Zimmer sehen. Doch sie entgegnete mir zu meinem Erstaunen,
dass das leider jetzt nicht ginge. Sie habe eine kleine Überraschung für mich, wenn wir aus
der Disco zurückkämen. Erst dann könnte ich ihr Zimmer besichtigen, würde sie mir alles
zeigen.
Natürlich wollte ich wissen, was das für eine Überraschung wäre, aber sie lachte nur
geheimniskrämernd und meinte dann, dass es keine wäre, wenn sie mir das jetzt schon
verraten würde. Aber es wäre etwas Wunderschönes, an dem ich viel Spaß haben würde.
Sie selbst verschwand mit Maria noch einmal in ihrem Zimmer, ohne mich mitzunehmen.
Nach mehr als einer Stunden kamen sie umgezogen wieder heraus, und waren beide ein
nahezu sensationeller Anblick.
Katharina hatte sich einen weiten blauen Rock angezogen, dazu eine metallisch schillernde
Bluse mit tiefem Ausschnitt und ganz weiten Ärmeln, die locker über dem Rockbund hing.
Maria hatte sich eine weit geschnittene feuerrote Hose geliehen, dazu eine weiße Hemdbluse und eine bunte Brokatjacke. So hatten weder Rolf, noch ich, Maria je gesehen. Das
Haar an der Kopfseite zusammengebunden, sodass sie unglaublich elegant wirkte, der
völlige Gegensatz zu ihrem vertrauten Äußeren.
Beide sahen sie aus, als wollten sie ganz groß ausgehen.
Nicht nur ich kam mir dagegen beinahe schäbig vor.
Aber noch etwas wirkte ganz verändert an Katharina, - und ich wusste nicht gleich, ob es
mir gefiel oder nicht.
Maria hatte Katharina auf ihren Wunsch geschminkt, mit leuchtendem Lippenstift und
blaugrün schimmerndem Lidschatten. Katharinas Haar war über dem Kopf zu einem dicken
Zopf zusammengebunden, sodass das Haar fransig zu allen Seiten mit seinen unzähligen
Locken herab ringelte. Ein sanfter Duft nach Erdbeeren strömte von ihr aus und sie erklärte, dass sie extra für diesen Abend Duftöl aufgetragen habe.
Sie sah also nicht nur fantastisch aus, sie duftete auch so.
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Ich war beeindruckt, aber auch irritiert wegen des Make-ups, dass ich von ihr bisher nicht
kannte, - weil sie das selber aus naheliegenden Gründen natürlich nicht auftragen konnte.
Aber für unseren Tanzabend wollte sie einfach bezaubernd und umwerfend aussehen.
Doch sie spürte auch mein Zögern und wollte ganz ehrlich wissen, ob es mir nicht gefiele,
dass sie geschminkt wäre. Es ginge ganz schnell, es wieder zu entfernen, versicherte sie
mir.
Ich war unsicher, sah es mir genauer an, und kam zu dem Schluss, sie solle es so lassen,
selbst wenn ich mich erst daran gewöhnen müsste.
Rolf erging es nicht anders als mir, auch er kam sich blass und farblos neben Maria vor. Er
verbrachte jetzt schon einige Tage immer nur in ihrer Nähe, hatte sich zwar Rasierzeug und
Zahnbürste aus der eigenen Wohnung geholt, auch etwas Kleidung zum Wechseln. Aber
eben nichts Besonderes.
Er war es dann auch, der den Vorschlag machte, dass wir uns auch noch schnell umziehen
sollten, um nicht wie zwei nichtssagende Kerle neben den beiden schönen Frauen zu
wirken. Dagegen hatten Maria und Katharina nichts einzuwenden, wollten aber, dass wir
keine Zeit vertrödelten, denn ihre Laune stieg sichtlich von Minute zu Minute.
So verzögerte sich unser Start zur Samstagnacht um fast eine Stunde, weil Rolf und ich
uns nicht nur etwas zum Umziehen aus unseren Wohnungen besorgten, sondern auch
noch schnell duschten. Mit den Motorrädern war das trotzdem eine schnell erledigte Angelegenheit und wir schon bald zurück.
Sicherlich wirkten wir nicht ganz so elegant wie die beiden Frauen, Stoffhosen, weiße Hemden und leichtere Jacken, aber es sah schon wesentlich besser aus.
Den Besuch im "Dammtor" ließen wir wegen der Zeitverzögerung sausen, fuhren gleich mit
dem Bus zum "Tiffany". An diesem Abend mit den Motorrädern fahren wollten wir nicht
mehr, obwohl Maria und Katharina das bedauerten. Doch hätte es bedeutet, dass wir relativ
nüchtern bleiben mussten, und wir verspürten unbeschränkte Lust auf Bier und Apfelkorn.
Wie die beiden Frauen wollten wir möglichst viel Spaß haben, und nicht daran denken,
dass wir noch fahren mussten.
Im "Tiffany" war es um zehn Uhr noch verhältnismäßig leer, aber die beste Zeit zum Tanzen, ehe kurz vor Mitternacht der große Ansturm einsetzte, wenn die anderen Kneipen
dicht vor der Nachtruhe standen.
Wir erlebten in der Tat viel Spaß, tanzten und tranken eine ganze Menge, tobten uns aus,
lachten und gerieten so richtig in Euphorie. Maria und Rolf knutschten und alberten nahezu
genauso ununterbrochen, wie Katharina und ich.
Natürlich gerieten wir dabei ins Schwitzen und waren glücklich, dass wir nicht so dick angezogen waren, als wenn wir Motorrad gefahren wären.
Es wurde ein wunderschöner, ausgelassener Abend.
Längst hatte ich Katharinas Überraschung wieder vergessen, die sie mir bereiten wollte. Ich
war voll damit beschäftigt, ihr genügend freien Platz beim Tanzen zu bewahren, sie bei
langsameren Balladen und Blues im Arm zu halten, um ihr dann wieder die Freiheit zu
geben, die sie beim wilden Tanzen brauchte. Zwischendurch eilten wir an die Bar, tranken
Apfelkorn und holten uns ein neues Bier.
Katharina suchte und fand unübersehbar immer wieder Gelegenheiten mit mir zu flirten,
zeigte mir ihre Zuneigung durch sanfte Berührungen, verließ keine Sekunde meine Nähe.
Ich war zwar wie sie nicht wirklich angetrunken, doch in ausgelassener, aufgekratzter
Stimmung, ein ganz kleines bisschen benebelt. Das lag an allem, am kraftvoll dröhnenden
Sound der Musikanlage, und nicht zuletzt an Katharinas Nähe, die sie geradezu unwiderstehlich ausspielte. Sie war zwar blind, aber sich durchaus ihrer Ausstrahlung bewusst, die
sie hemmungslos einsetzte. Ich wusste längst, dass sie es verstand, sich in Szene zu
setzen, aber an diesem späten Abend erschien sie mir fast schwindelerregend. Sie verdrehte mir regelrecht den Kopf und wickelte mich um den Finger.
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Meistens waren Rolf und Maria in unserer unmittelbaren Nähe, dann wieder tobten wir
ausgelassen auf der Tanzfläche, während sie eine Pause machten und umgekehrt. Ich sah
die beiden Frauen zwischendurch flüstern, und hätte zu gerne gewusst, was für Geheimnisse sie da austauschten.
Als wir zwischendurch eine Tanzpause nutzten, um uns mit Getränken zu erfrischen, trat
Katharina dicht an mich heran, sodass mir ein Duft aus Körperwärme und Erdbeeren in die
Nase stieg.
Während Maria und Rolf noch auf der Tanzfläche herumwirbelten, küssten wir uns ganz
sanft und zärtlich.
Katharinas präsente Nähe machte mich ganz schwindelig. Ihr Make-up irritierte mich immer
noch ein wenig, doch wesentlich mehr brachte mich der Ausblick auf ihr tiefes Dekolleté
aus der Fassung. Unter dem schillernden Stoff zeichnete sich ihre Brust mit leichten
Schwingungen ab, während der Hals bis zum Brustansatz ungeheure Versprechen von
lasziver Lust auf mich abfeuerte. Ihre Haut glänzte durch einen feinen Schweißfilm, und
immer wieder suchten Katharinas Hände die lockend zärtliche Berührung bei mir.
Sie nahm zärtlich meine Hand, küsste die Handinnenfläche, und legte sie dann auf ihr
Hüfte. Dabei drängte sie mich ein wenig in die schattige Ecke bei der Theke, lachte gurrend
und schob meine Hand dann, ohne dass es einer der Umstehenden auch nur ahnen konnte, unter ihre Bluse. Ich fühlte ihre warme Haut, die leichte Feuchtigkeit darauf, - und mein
Blut begann in den Adern zu rasen, mein Puls zu hämmern.
"Na ... fühlt sich das gut an ...?“
Dem konnte ich nicht widersprechen. Ich brachte nur ein heiseres Atmen über die Lippen,
was Katharina zu einem lustvollen Lachen verleitete.
"Sieht jemand her?“ fragte sie mich leise, während sie noch dichter an mich heranrückte.
"Ich ... ich weiß nicht ... warum?“
Sie beantwortete die Frage selber, indem sie meine Hand deutlich noch höher schob.
Ihr Atem ging schnell und heftig, als ich ihre Brust berührte, dann auf einmal ihre Brust voll
in meiner Hand fühlte. Sie hatte keinen Büstenhalter angezogen, und ich hätte schwören
mögen, dass das kein Zufall war.
Ich ließ ohne Ansporn meine Hand höher gleiten, spürte dieses Lustbegehren, das mir die
Hitze zu Kopf steigen und das Blut in meinen Adern rauschen ließ. Mir entfuhr ein leiser
Pfiff aus schnellem Atem, als ich plötzlich Katharinas Brustwarze unter meiner Handfläche
fühlte, hart und aufgerichtet, und wagte kaum eine Bewegung, da ich fürchtete, uns könne
doch jemand beobachten.
Doch Katharina drängte noch eine Spur näher an mich heran. Sie drückte sich mit dem
Oberkörper gegen mich, schloss für ein paar Sekunden die Augen, genoss die Berührung
meiner Hand, und atmete rasend schnell mit heftigen Zügen, ehe sie mit einem tiefen
Durchatmen und einem leisen Seufzer wieder einen Schritt zurücktrat.
"Gut, nicht?“
Sie grinste mich selbstzufrieden an, nahm dann mein Gesicht in ihre Hände und küsste
mich, ganz unschuldig und liebevoll.
Mir zitterten ein wenig die Hände, und so trank ich rasch einen großen Schluck Bier.
"Hehh, komm ... gib mir auch was ab ...“
Kurz nach Mitternacht hatten wir alle genug. Es wurde jetzt ohnehin so voll, dass richtig
ausgelassenes Tanzen immer schwieriger wurde. Maria wollte nach Hause, war genauso
aufgeladen und durchgeschwitzt wie Katharina, Rolf und ich.
Es wäre nicht sehr weit gewesen zu Fuß ins Dobbenviertel zu gehen, aber wir leisteten uns
ein Taxi, obwohl uns die frische Luft gut tat. Rolf hielt kurz Ausschau, denn um diese Uhrzeit kamen alle Nase lang Taxis beim "Tiffany" an.
Katharina schmiegte sich an mich, wirkte wie eine Schmusekatze, die sich schnurrend an
mir rieb.
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"Paul ...“
"Hhmm ...“
"Bleibst du ... heute Nacht bei mir ...“
"Na klar ...“
Sie puffte mich liebevoll, aber leise protestierend in die Seite, strahlte mich dann zufrieden
an und küsste mich.
"So klar ...“, meinte sie schließlich nach einem Augenblick, "ist es ja auch nicht ... Was
hättest du denn gesagt, wenn ... ich allein schlafen wollte?“
"Das wäre schade gewesen ...“
Sie grinste mich an, küsste mich erneut, drückte mich fest an sich.
"Das seh´ ich ganz genauso so ...“
Noch ehe wir es uns auf der Rückbank des Taxis gemütlich machen konnten, standen wir
auch schon wieder vor dem Haus im Dobbenviertel und waren am Ziel.
Plötzlich erfasste mich eine merkwürdige Unruhe, fast wie eine Vorahnung, aber ich konnte
sie nicht wirklich einordnen.
Dass wir uns kurz noch in die Küche setzten, gemeinsam zwei Flaschen Bier lehrten,
erschien mir eher wie eine verschleiernde Pflichtübung. Schneller als gedacht zogen sich
Maria und Rolf mit einem "Gute Nacht ... schlaft gut" zurück in ihr Zimmer.
Katharina und ich waren plötzlich allein.
Mein Herz schlug bis zum Hals, und ich wusste nicht genau warum. Denn ich konnte kaum
klar denken, so sinnenverwirrend war Katharinas Nähe. Auch sie erschien mir etwas
schweigsam, aber andererseits auch ausgesprochen zufrieden mit dem bisherigen Verlauf
unseres Abends.
Dennoch lag eine fast greifbare Spannung zwischen uns in der Luft, wie ein elektrisches
Knistern.
Sie saß neben mir mit ruhigem Lächeln am Tisch, nippte an ihrem Bier.
Ich sah, dass sie auf irgend etwas wartete, ohne mich oder sich selbst zu drängen. Es war
ungewohnt, dass sie den ganzen Abend nicht ihre dunkle Brille trug, trotz der Öffentlichkeit.
Sie ging ohne sie nicht gerne aus, denn es sollte allein ihre Entscheidung bleiben, wer
zufällig etwas von ihrer Blindheit erfuhr oder nicht. Maria hatte sie jedoch überzeugt, dass
es im „Tiffany“ nicht genügend Licht gäbe, dass das irgendwer bemerken könnte. Wie
schon den ganzen Abend sah ich jetzt ihre weit geöffneten Augen, dieses tiefe Schwarz,
mit dem blaugrün schimmernden Lidschatten darüber, die leicht unruhig flatternden Lider.
Ich war es zwar inzwischen gewohnt sie ohne Brille zu erleben, aber es war unübersehbar,
dass dieser Abend etwas Besonderes bedeutete.
Katharina atmete tief ein und aus, schien gespannt wie eine Stahlfeder.
Irgendwie hatte ich trotz meines Wissens, dass sie blind war, das Gefühl, dass sie mich
ganz genau ansah, mich aufmerksamer beobachtete als je zuvor, seit wir wechselseitig
zueinander suchten.
Wir sprachen kein Wort, aber die Stille zwischen uns erschien mir nicht belastend. Es war
eher so, als fürchteten wir beide, wenn wir auch nur ein Wort sagen würden, dass diese
wunderbar kribbelnde Spannung zwischen uns zu Staub zerfallen könnte.
Die Küchenuhr tickte leise, im Bad rauschte leise gurgelnd Wasser. Zeichen dafür, dass
Rolf oder Maria noch auf der Toilette, oder beide unter der Dusche gewesen waren.
Schließlich klappte die Tür zu dem zweiten Wohnraum, dann war es wieder nahezu
totenstill.
Katharina wartete - und ich wartete.
Als ich dann die Spannung nicht mehr aushielt, gerade zum Sprechen ansetzte, leise
hüstelte und unruhig auf meinem Stuhl hin- und herrutschte, kam sie mir ganz gelassen
zuvor.
"Möchtest du doch lieber nach Hause ...?“
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"Nein ... nein“, das Sprechen fiel mir etwas schwer und ich atmete tief durch, "ich bin sehr
froh ... jetzt hier zu sein ...“
"Bist du müde?“
"Nein ...“
"Gut“, sie grinste mich frech und fröhlich zugleich an, "möchtest du lieber in der Küche
sitzen ... oder sollen wir zu mir gehen ...?“
"Ich weiß es nicht“, es machte mich selber staunend, wie ich die versprochene Aufrichtigkeit zwischen uns umsetzte, "ich fühl´ mich nur ... einfach ... sehr unsicher ... und ich
weiß nicht ...“
"Das macht nichts“, Katharina rückte dichter zu meinem Stuhl und strich mir zärtlich über
die Wange, "ich finde es schön, dass du das so ehrlich sagst ... Und ich finde es wunderbar, dass du jetzt hier ... bei mir bist ...“
Sie lachte leise, erhob sich von ihrem Stuhl und setzte sich trotz eines verdächtigen
Ächzens des Küchenstuhles auf meinen Schoss, schlang die Arme um meinen Nacken.
Ganz vorsichtig, als wolle sie mich nicht beunruhigen, rieb sie zielsicher ihre Nasenspitze
an meiner, küsste ganz hauchzart meine Lippen, strich mit winziger Zungenspitze darüber,
dass mir ein Kribbeln von der Haarspitze bis in die Zehen fuhr.
Ich dachte eine Sekunde, dass sie meinen Herzschlag hören müsse, so heftig schlug es in
meiner Brust.
Wieder küsste Katharina ganz sanft meine Lippen, und ich schlang ebenfalls vorsichtig und
zärtlich meine Arme um ihren Rücken, hielt sie so umfangen.
Wieder ächzte der Stuhl verdächtig unter uns. Katharina reizte das zu einem leisen Lachen,
während ich mein Gesicht an ihrem Hals barg, den Duft nach warmer Haut, Erdbeere und
ein ganz klein wenig Schweiß in der Nase.
"Ich bin ... wahnsinnig glücklich“, hörte ich ihr Flüstern an meinem Ohr, "dass du heute
Nacht bei mir schlafen willst ... ich ... ich freu´ mich irre ...“
Ich musste ebenfalls lachen, und spürte dennoch noch immer diese hauchfeine Spur Beunruhigung in mir.
Doch hatte ich keine Lust darüber nachzusinnen.
Statt dessen glitten meine Hände unter den schillernden Stoff der Bluse, fühlten die feuchtwarme Haut, leicht zitternd unter meinen Fingern.
Katharina atmete heftig und tief ein, kuschelte ihr Hände in mein Haar, ließ ihre Lippen
ganz, ganz langsam über meine Stirn wandern.
Beinahe wäre durch diese winzige Gewichtsverlagerung der Stuhl mit uns beiden umgefallen, was ein beiderseitiges Kichern zur Folge hatte. Ich fühlte, wie sich sofort das leichte
Gewicht auf meinem Schoß minimierte, sah Katharina aufstehen und wurde im selben
Moment hochgezogen.
"Willst du dir noch ein bisschen Mut antrinken“, fragte sie mich liebevoll provozierend, "wir
haben noch immer eine Flasche Sekt ...“
"Eine Flasche Sekt ...“
"Ja ... wir haben sie noch nicht getrunken ...“
Für eine Sekunde tauchte wieder ein dunkler Schatten zwischen uns auf, denn ich wusste
sofort, dass sie die Flasche vom Nethener Baggerloch meinte, die wir tatsächlich nie angebrochen hatten.
Doch das war sofort wieder vorbei.
Wir lachten beide prustend los, und Katharina - die sofort wieder einmal diesen winzigen
Stimmungsumschwung gespürt hatte - strich sich erleichtert eine verirrte Haarsträhne aus
der Stirn. Sie öffnete den Kühlschrank, holte die bauchige, grüne Flasche heraus. Ein
kühler Hauch umwehte mich für einen Lidschlag lang und machte mir die eigene Erregung
noch deutlicher als zuvor.
"Aufmachen musst du aber ...“
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Sehr sicher und ohne Probleme führte sie mich durch die langgestreckte Diele, die im
warmen Licht der Häkellampe an der Decke schimmerte. Überall an den Wänden hingen
dort wie zufällig drapierte Tücher aus Seide und Leinen, einige schöne Bilder und ein
großer Spiegel im alten, goldfarbenen Stuckrahmen.
Alles strahlte eine feminine Ruhe und Frieden aus.
Marias Wohnung war einer dieser schönen Altbauten mit hohen, verschnörkelten Decken
und Kassettentüren, die alle sehr farbintensiv in lila und weinrot gestrichen waren.
Mir wurde plötzlich klar, dass ich außer Marias Küche nahezu nichts von ihrer Wohnung
kannte, diese fast elegante Schönheit in der Gestaltung nicht einmal geahnt hatte. Mit viel
Aufwand waren die Stuckleisten an der Decke mit Goldbronce verziert und gestrichen
worden. Es sah richtig edel aus, gar nicht wie eine typische Studentenwohngemeinschaft
zweier Frauen. Ganz offensichtlich hatte hier ein Mensch mit individuellen Farbwünschen
seine Kreativität ausgetobt, und ein richtiges kleines Wohnparadies geschaffen. Ein Refugium, das viel mehr als nur ein schlichtes Zuhause war.
"Schön nicht?“
Katharina erklärte mir, dass Maria ihr das alles kurz nach dem Einzug beschrieben hatte.
Obwohl sie nicht allzu viel mit der Farbgebung verband, weil sie einfach keine Vorstellung
davon besaß, glaubte sie dennoch, dass es sehr schön aussehen müsse. Rolf hatte ihr das
auch schon mal gesagt und die Diele bewundert.
"Aber er war nie in meinem Zimmer“, erklärte sie grinsend, "kein Mann war hier je in meinem Zimmer ... Du bist der erste Mann, dem ich erlaube, mein Zimmer zu betreten ...“
Also hatten wir sozusagen in doppelter Hinsicht eine Premiere.
"Das ist mein Reich ...“
Mir war es kaum weniger feierlich ernst, als sie die Türe öffnete und mich vor ihr eintreten
ließ.
Ich ahnte, dass Katharinas Worte mehr als nur eine Randbemerkung oder eine Floskel
gewesen waren.
Mein erster Eindruck aus der Diele wurde in Katharinas Zimmer noch deutlich bestätigt.
Auch hier herrschten diese warmen Farbtöne vor, der Eindruck von femininer Gestaltung im
ganz persönlichen Lebensbereich.
Doch zu meinem Erstaunen entschuldigte sich Katharina bei mir, weil sie noch einmal
schnell ins Bad wollte. So hatte ich Gelegenheit mich umzuschauen.
Der Raum war erstaunlich groß, viel größer, als ich gedacht hatte. In einer Zimmerecke
stand ein großer, alter Bauernschrank. Links daneben hing eine rötlich-braune Gitarre an
einem Schultergurt an der Wand. Zwei Gitarrenkoffer lagen übereinander auf dem Boden.
Ein Stück weiter, direkt an dem großen breiten Fenster mit den kleinen grünen Butzenscheiben am Rand, ein kleiner Schreibtisch mit Schreibmaschine, einigen Ablagen mit fein
säuberlich geordneten Papieren, beschwert mit verschiedenen großen farbigen Glaswürfeln.
Farne und Efeu wucherten in tönernen Hängekörben am Fenster, die Messingleuchte an
der Decke spendete warmes, goldfarbenes Licht. Katharina hatte es eindeutig wegen mir
eingeschaltet. Doch ich wunderte mich, dass sie überhaupt auf eine Lampe wert legte,
genauso wie auf einen Schreibtisch am Fenster.
Sie brauchte doch gar kein Licht zum Arbeiten.
Wirklich geprägt aber wurde der mindestens drei Meter hohe Raum durch eine tief gebaute
Zwischendecke aus sehr hellem Holz, mit Trägerbalken, Schräg- und Querstützen und ein
paar senkrechten Stützbalken. Sie füllte nahezu den halben Raum aus, grenzte bis dicht an
die Tür. Dazwischen waren Bücherregale und verschiedene Ablageflächen eingebaut für
Kram, Gläser und schöne kleine Dinge, eine große Schneckenmuschel und anderes.
Ein wuchtiges, fast professionell aussehendes und sicher teures Tonband, zwei KassettenRekorder, ein modernes Radio mit Senderstationstasten und zahlreiche Tonbandkassetten
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standen da dicht beieinander, darunter eine kleine Stereoanlage, und noch viel mehr
Tonbandkassetten. Aber daneben stand auch ein Plattenspieler, und ordentlich aufgereiht
eine Menge LPs.
Viele bunte, große und kleine, eckige und runde Kissen, aus allen möglichen Stoffen,
bedeckten den Boden unter der Zwischendecke, mitten drin ein großes weißes Fell, die
zusammen eine wunderschöne Sitzfläche bildeten.
An der Wand unter dieser Sitzfläche waren weitere Regalböden angebracht, auf denen
ebenfalls kleine und große Bücher standen. Ein paar scheinbar wahllos verstreute Läufer
und ein schöner alter Ledersessel vervollständigten die Einrichtung, die trotz des Zwischenbodens sehr hell, sehr luftig und freiräumig wirkte.
Ich hatte selten in einer Wohngemeinschaft oder auch in einer anderen Wohnung, so eine
harmonisch schöne Einrichtung gesehen, sparsam und geschmackvoll, mit gemütlicher
Atmosphäre. Gleich mehrere, nicht genau definierbare Düfte hingen in der Luft, schienen
sich überall eingenistet zu haben.
"Gefällt es dir hier?“
Katharina war unbemerkt von mir wieder eingetreten. Ich sah sofort, was sie so lange im
Bad gemacht hatte. Der Lidschatten auf ihren Augen war verschwunden, ebenso der
Lippenstift, nur der leichte Erdbeerduft war deutlich geblieben.
"Ich ... ich hoffe, es ist okay ...“, Katharina zuckte mit den Achseln, weil sie sofort meinen
erstaunten Blick spürte, "irgendwie ... habe ich mich nicht wohl gefühlt damit ... obwohl ich
es selber mal ... ausprobieren wollte ...“
Ich bestätigte ihr, dass es nicht schlecht ausgesehen habe, dass sie mir so aber besser
gefiele.
Zum Dank küsste sie mich liebevoll lächelnd.
Ihr Gesicht war kalt vom Wasser, aber ansonsten strahlte sie eine geradezu berauschende
Wärme ab.
"Und wie gefällt dir mein Zimmer?“ fragte sie dann ein wenig atemlos und wies in einer
umfassenden Geste um sich, "die Bilder hat Maria für mich ausgesucht. Zumindest die
meisten ... die anderen kommen von Papa. Sie sollen aber alle sehr hübsch sein ...“
"Ja ... ja, das sind sie“, ich war beeindruckt und verwirrt, machte auch kein Hehl daraus.
"Hast du etwa gedacht, ich würde mir keine Bilder an die Wand hängen, nur weil ich blind
bin“, Katharina lachte herzlich auf, "ich lege großen Wert auf ein schönes Zimmer ... und
schöne Dekoration ...“ sie legte einen Arm zärtlich um meine Hüfte, "ich seh´ den Raum
genauso wie du. Er besteht für mich nicht nur aus einzelnen Teilen, sondern ist im Ganzen
gestaltet ... aber nie fertig. Maria hat mir dabei natürlich geholfen ...“ aber sie liebe genauso
wie ich und andere Nichtblinde eine schöne Umgebung, schöne Dinge.
Selbst in den unerwartetsten Momenten schaffte sie es immer wieder, mich zu verblüffen,
weil ich mir bis dahin zwar keine Gedanken darüber gemacht, aber ein für mich klares Einschätzungsurteil im Kopf.
Zwar kannte ich keine anderen Blinden außer ihr. Aber ich war davon ausgegangen, dass
Blinde kaum Wert auf schöne Bilder legten, weil sie die nicht sehen konnten, keinen unmittelbaren Nutzen davon hatten.
Selbst von Katharina hatte ich im Grunde ein sehr aufgeräumtes, spartanisch und funktional eingerichtetes Zimmer erwartet, ein wenig formlos, aber dafür ohne jegliche Stolperfalle,
in klarer, nüchterner Raumgestaltung.
Sie bestätigte aber nur, dass es durchaus Blinde gäbe, die sich aus Praktikabilitätsgründen
so einrichteten, aber die gäbe es auch bei Nichtblinden. Sie lege großen Wert auf ihre
persönliche Note, ohne die Klarheit des Raumes zu verlieren.
"Komm setz dich ... mach die Flasche auf ...“
Sie zog ihre Schuhe von den Füßen, stellte sie unmittelbar neben der Tür in ein kleines
Regal, und bat mich auch meine auszuziehen, weil sie keinen Schmutz in ihrer Sitzecke,
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auf den Kissen und dem Fell haben wollte. Ich tat es, ließ mich dann von ihr auf ein paar
große, bequeme Sitzkissen unter der Zwischendecke ziehen.
Es machte Katharina sichtlich Vergnügen, meine Bewunderung für diesen schönen Raum
zu spüren, mir ihre Selbstsicherheit im Umgang mit all den möglichen kleinen Fallen zu
demonstrieren. Ganz gelassen, ohne zu tasten, griff sie nach zwei schlanken Sektkelchen
im Regal, bugsierte sie sicher zwischen anderen Gläsern hindurch. Sie pustete kurz hinein
um mögliche Staubablagerungen zu beseitigen, und stellte sie dann auf einen kleinen Lacktisch seitlich von uns an der Wand.
Ich öffnete möglichst geräuschlos die Sektflasche, und schaute mich weiter um. Die vorher
noch so ungeheure Spannung war längst der Entspannung gewichen.
Katharina wollte mir unbedingt das Eingießen abnehmen, und ich ließ sie machen. Auch
das schaffte sie ohne geringste Schwierigkeiten.
"Was ist da oben?“ fragte ich sie, und zeigte zu der Zwischendecke, wobei ich froh war,
dass sie diese gedankenlose Geste nicht sehen konnte. Katharina grinste mich nur an,
reichte mir ein Glas.
"Ein Hochbett“, erklärte sie mir ruhig, "hab ich von meiner Vorgängerin übernommen ... da
drüben ist eine Leiter ...“
Wir stießen miteinander an, und sie beruhigte mich, dass sie keine Angst habe dort oben
zu sein. Sie liege und schlafe parallel zu den Wänden links und rechts, sodass schlimmstenfalls ihre Füße mal unbeabsichtigt über den Rand hinaushängen konnten. An die Höhe
und die Leiter habe sie sich längst gewöhnt, und der Boden sei extrem stabil gebaut. Da
oben, versicherte sie mir, könnten wegen des reichlich vorhandenen Platzes notfalls auch
vier Personen und mehr schlafen. Weil es so hoch sei, wäre es zudem selbst im Winter
sehr warm.
Aber da hatte sie natürlich noch keine persönliche Erfahrung.
"Geht´s dir gut ... fühlst du dich wohl?“
Sie rutschte dichter an mich heran, legte sanft den Kopf auf meine Schulter, eine Hand auf
meine Knie.
Ich seufzte zufrieden auf, denn es gefiel mir mehr als gut, eine entspannte Atmosphäre,
eine Flasche Sekt, eine Frau an der Seite, die aus ihrem Begehren kein Geheimnis machte.
Es gab nichts, was ich mehr gebraucht hätte.
"Soll ich Musik auflegen?“
"Hhhmm ..."
Doch sie machte keinerlei Anstalten, ihren eigenen Wünschen nachzukommen, kuschelte
sich statt dessen noch dichter an mich. Stumm saßen wir dicht beieinander, hielten uns im
Arm, spürten die gegenseitige Wärme, die uns Mut und Sicherheit gab. Die Ruhe stimmte
uns friedlich, öffnete unsere Seelen, die unbemerkt zielstrebig zusammenströmten, uns im
sanften Gleiten alle Unsicherheiten und Lasten nahmen.
Ich streichelte zuerst Katharinas Hände, doch sie folgte sofort meiner Aufforderung, zeichnete mit den Fingerspitzen meine Arme nach. Sie ließ ihre Lippen auf meine Wange gleiten, während meine sanft die Linie ihres Halses entlang glitten.
Ganz vorsichtig näherten wir uns dann aneinander, fanden uns, wurden wechselseitig
warm erwartet. Tief versanken wir in der ersten Welle unserer Zärtlichkeit und Lüste, die
schlagartig die vorhergehende Spannung auf angenehme Weise wieder aufbauten.
Unser schneller werdender Atem wehte von Mund zu Mund, während unsere Zungen vorsichtig sanft verschlungene Tänze aufführten.
Katharina seufzte tief auf vor Wohlbehagen, streichelte meinen Rücken, und führte meine
rechte Hand zielstrebig zu ihrer weichen Brust unter dem glitzernden Stoff ihrer Bluse, bis
sie sanft umschlossen wurde.
Wir brauchten keine Worte, unsere Leidenschaften begannen zu brodeln, ließen das Blut in
den Adern rauschen, das Herz einen wilden Schlagwirbel vollführen. Ich fühlte meine ande-
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re Hand, die sie plötzlich ergriff, fest in ihren Schoss presste, von ihren Schenkeln eingefangen. Ich spürte die dort drängend auffordernde Wärme, erahnte leise Beckenbewegungen.
Plötzlich loderte das Feuer gleichzeitig hoch in uns auf, war durch nichts mehr zu zügeln.
Ich küsste Katharinas Hals, spürte ihre Zähne sanft an meinem Ohr, grub meine Hände in
ihr Haar, das seidig zwischen meinen Fingern glitt. Mein Herz schlug genauso heftig wie
das ihre. Hitzewellen überfluteten uns, und wir drängten voller Verlangen zueinander.
Nichts ging uns plötzlich schnell genug.
Ich fühlte, wie Katharina mein Hemd aufknöpfte, mein spärliches Brusthaar kraulte, während meine Hände noch ziemlich vergeblich einen leichten Weg suchten, sie aus ihrer
Bluse herauszuschälen.
Kleine, unverständliche Laute und Seufzer sprudelten über Katharinas Lippen. Heftiger
Atem streifte mein Gesicht und meinen Nacken. Sie suchte mit ihren Händen nach meinen,
half ihnen, die Bluse stürmisch aufzuknöpfen, legte meine Handflächen auf ihre nackten
Brüste. Ich spürte ihren Herzschlag, und wie mich regelrechte Raserei ergriff. Gleichzeitig
wisperte ihre Stimme in mein Ohr, aber ich brauchte einen Augenblick, um die Worte zu
verstehen.
"Lass uns vögeln ... komm ... lass uns bumsen ...“
Ihre Direktheit verblüffte mich noch immer, holte mich für ein paar Sekunden aus der
Trance der Leidenschaften. Es war in der Tat so, dass Katharina sehr genau aussprach,
was sie wollte. Schwer atmend nahm ich ihr Gesicht in meine Hände, suchte ihre Aufmerksamkeit.
"Und ... und deine ...“
"Ist vorbei ...“, lachte sie schamlos kichernd und strahlte wie vor einem wunderbaren
Geschenk, "seit heute Morgen ... Ich hab dir doch eine Überraschung versprochen ...“
Das war mir in der Tat völlig entfallen.
Doch sie wollte nicht mehr warten, war voller Ungeduld.
"Komm ... komm ... komm ...“, stammelte sie hastig und versuchte mich hochzuziehen,
"komm mein Liebster ... ich bin furchtbar ... geil ...“
Ich zog sie kurz wieder zu mir herunter, küsste sie wie von Sinnen, suchte mit den Lippen
ihre Brust, die stark erblühte Knospe und sog sie ein, bis Katharina vor Lust leise aufschrie.
Doch genauso plötzlich stieß sie mich sanft von sich, blies pfeifend den Atem aus, und griff
sich an die Stirn.
"Was ist ... was hast du ...?“
Doch sie schien mich nicht recht zu beachten.
"Du meine Güte ... ach du meine Güte ...“, hörte ich sie leise flüstern und bekam fast einen
Schrecken, als sie es noch einmal wiederholte, ehe sie mit einem Mal zu ihrem Sektglas
griff, das aber eigentlich meines war.
"Was hast du ...?“
"Ich habe Durst“, flüsterte sie lachend und trank das Glas in einem Zug leer, wandte mir
dann ihr Gesicht zu, "und ich ... ich fühl mich so geil ... so ... so maßlos geil ...“
Ich prustete lachend los, fand sie einfach komisch in ihrer Lust.
Doch Katharina nutzte die Bewegungsfreiheit, streifte blitzschnell den verbliebenen Ärmel
der Bluse ab, dann ihren Rock, ihren Slip.
Ehe ich auch nur irgend etwas sagen oder tun konnte, schlüpfte sie splitternackt eilig aus
der Sitzecke, stieg auf die Leiter zu ihrem Hochbett und war eine Sekunde später oben verschwunden.
"Mach Musik ... mach Musik ...“, hörte ich sie von oben flüsternd sagen, "egal was ...
hauptsächlich schön weich ... und romantisch ... ach was ... lass es, komm rauf zu mir, Paul
... komm rauf zu mir ...“
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"Soll ich den Sekt mit raufbringen?“ Meine Stimme klang ein wenig heiser, und Katharina
stimmte begeistert zu, wiederholte aber auch ihre Aufforderung.
"Komm rauf zu mir, Paul ... komm rauf ...“
Eine Sekunde lang dachte ich daran, das Licht zu löschen, doch ich tat es nicht. Ich trank
nur noch aus Katharinas Glas auf dem Tisch, nahm dann beide und wollte mich schon auf
dem Weg nach oben machen, als ich mich anders entschied. Was ich wollte, wusste ich
jetzt ziemlich genau, und auch mir konnte es nicht schnell genug gehen, aus meiner
Kleidung heraus zu kommen. Ich legte sie aber dicht an die Wand, damit Katharina nicht
darüber stolperte, falls sie noch einmal hier herunter wollte.
Wir brauchten keine Musik, vielleicht etwas zu trinken, aber sonst nur uns, nur uns allein.
"Komm rauf ... Paul ... komm rauf ...“, hörte ich Katharina von oben etwas atemlos und
ungeduldig flüstern, "komm Paul ... komm zu mir ... lass uns vögeln ...“
Das war mir Verlockung genug.
Mit Erstaunen stellte ich fest, dass ich vor Aufregung zitterte, dass meine Hände bebten,
meine Knie butterweich waren.
Vorsichtig, die beiden Sektgläser und die Flasche in einer Hand, stieg ich die steile Leiter
empor und hörte Katharina oben fast freudig auflachen, als sie meine leisen Geräusche
dabei hörte. Sie lauschte meinem heftigen Atem, allen winzigsten Lauten, die ich verursachte, bis ich gerade so auf die Hochebene über der Sitzecke sehen konnte. Die Flasche
und die Gläser stellte ich sicher auf dem praktischen Wandregal neben dem Hochbett ab.
Denn auch hier oben im riesigen Rechteck der Zwischendecke waren verteilt Regale und
Bilder an den drei Begrenzungswänden angebracht. Sitzen war problemlos möglich, denn
außer einem enorm großen Schaumstoffbett mit buntem Stoffüberzug, gab es hier oben
viel Platz. Das Licht konnte nur begrenzt hier hereinleuchten, denn die schöne Messinglampe hing fast einen halben Meter tiefer.
Zudem war die Decke über der Hochebene mit einem goldbraunen Farbton gestrichen, der
eine ungemein heimelige, fast sinnliche Lichtatmosphäre schuf.
Meine Augen aber suchten nur Katharina.
Sie lag da schwer atmend auf dem Rücken, wie eine lang versprochene Verheißung aus
Sinnlichkeit und purer Lust, mit halb aufgestellten, weit gespreizten Beinen, die Arme
entspannt und locker vom Körper ausgestreckt. Sie zeigte ohne jede Scham sehr genau,
was sie antrieb.
Doch als sie hörte, dass ich die oberste Sprosse der Leiter erreicht hatte, wie die Flasche
und die Gläser auf der Ablage klingelnd aneinander stießen, streckte sie die Arme nach mir
aus. Sie hob ein wenig den Oberkörper an, voller Gier nach meiner Nähe, während sich die
Hände in einer unbewussten Lockbewegung öffneten und wieder schlossen.
"Komm ... Paul ... komm ...“
Ich sah sie an und konnte es nicht fassen.
Mehrfach hatte ich sie jetzt schon unbekleidet gesehen, aber nie so verlockend schön, eine
Gestalt wie aus einem Traum, von dem ich in diesem Augenblick wünschte, er würde nie,
niemals zu Ende gehen.
Ganz vorsichtig, als wäre sie aus kostbarem, hauchfeinem Glas, als könnte ich sie
beschädigen oder gar zerstören, glitt ich auf Katharina zu, auf die Hochebene, verharrte
wieder und setzte mich auf.
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich sie betrachtete, wie sie sich ohne jegliche Scheu
oder Zurückhaltung vor mir entblößend lasziv ausbreitete.
Ich ahnte ihre Lust, ahnte, dass sie sich ihre Seele herausreißen würde, um mich im Meer
ihrer unbändigen Lust zu baden, sie wie ein Fest zu zelebrieren.
Für mich, der ich noch nie eine solch wahrhaftige, rückhaltlose Frau erlebt oder kennengelernt hatte, erschien sie wie ein wunderbares Versprechen, zauberhaft und unglaublich.
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Sie wirkte beinahe irreal, wie ein fleischgewordener Traum purer, provozierender Sinnlichkeit.
Ich betrachtete sie mit wild klopfendem Herzen, vermochte mich nicht mehr zu rühren, die
Augen fest an sie gefesselt, an die warme Haut, die wogende Brust, ihren heftigen Atem,
die halb geöffneten Lippen, die weit aufgerissenen Augen, deren Lider mit den schwarzen,
dichten Wimpern, wie ein wildgewordener Schmetterlingsschwarm flatterten.
Ich wollte sie ansehen, am Liebsten stundenlang nur noch schauen.
Katharina drängte nicht mehr, fühlte trotz ihrer rasenden Lust meinen Blick, und ließ mich
mit mühsam gebändigter Ungeduld gewähren. Sie wartete und lauschte auf meinen schweren Atem, ohne Vorstellung davon, dass sie hier oben auf dem Hochbett im goldwarmen
Licht der Messinglampe, ein atemberaubender Anblick war.
Doch sie verstärkte auch ihr Locken mit einer noch weiteren Spreizung ihrer Beine, entblößte das Zentrum ihrer Lust für meine Augen, die sie auf ihrem Körper wandernd wusste.
Ihre Brüste hoben und senkten sich, und die palisanderfarbenen Nippel ragten fest und
dunkel empor.
Mir brach der Schweiß aus bei diesem Anblick, und noch heftiger schlug mein Herz.
Mein eigenes Begehren rauschte wie eine wilde Welle durch mich hindurch, schien mein
Blut zum Kochen zu bringen.
Katharinas intensiv lustvolle erotische Ausstrahlung, ihr sinnlich, warmer Atem, wie sie sich
hastig die Lippen leckte, es trieb mich fast zu Raserei, ehe ich sie auch nur mit einer
Fingerspitze berührt hatte.
Ihre feuchte Hitze, nur knapp einen Meter von mir entfernt, zog mich magisch an, schienen
mich förmlich zu versengen.
Meine Sinne waren wie benebelt.
Ich sah Katharinas hochrote Wangen, eingekringelt von ihrem nachtschwarzen Haar, das
sie längst von dem Band befreit hatte, wie sich selbst.
Ich sah Katharinas leicht zitternde Lippen, wie zu einem Kuss geöffnet, die Stirn, die
gesamte Haut spiegelglatt und seidig glänzend.
"Du ... du bist ... wunderschön ...“, hauchte ich leise, und Katharina strahlte mich mit einem
liebevollen Lächeln an, streckte erneut ihre Arme nach mir aus, bereit mich lustvoll zu umfangen.
Doch ich saß wie benommen da, unfähig dieser Verlockung anders zu folgen, als mit meinen Augen. Es schien mir endlos zu dauern, vielleicht für sie noch länger, bis ich die Kraft
hatte, allein mit den Fingerspitzen, so zart und sanft ich nur konnte, ganz langsam über
ihren Fuß zu streichen.
Katharina antwortete mir mit einem leisen Stöhnen, bäumte sich leicht auf und seufzte
heftig.
Keine Frage, ihre eigene Zustandsbeschreibung war kaum präziser in Worte zu fassen, sie war unübersehbar geil.
Ich hatte keinen Plan, keine Idee, keine Strategie, keine übliche Vorgehensweise, nicht
einmal einen klaren Gedanken, was ich tun konnte oder sollte. Ich folgte allein meiner
spontanen Intuition, meinem Instinkt, meiner Lust und Fantasie, - und strich mit aller Zärtlichkeit, zu der ich fähig war, von ihrem Fuß hauchzart weiter höher, an ihrer Wade empor,
hinauf zum Oberschenkel.
Wieder keuchte Katharina auf, begann ganz leise und unkontrolliert in zarten Wellen zu
zittern.
Währenddessen spürte ich immer deutlicher diese feuchte Wärme unter meinen Fingerspitzen, erreichte die Innenseite ihres Oberschenkels, den Beckenknochen, den Bauch, und nahm meine zweite Hand zu Hilfe.
Kaum, dass die Fingerspitzen sie am anderen Fuß, schnell und zart huschend an der
Wade, am Oberschenkel berührten, stöhnte sie heftig und leidenschaftlich auf.
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Ich sah, wie Katharina der Schweiß ausbrach, wie ihre Hitzigkeit sich restlos entfachte. In
schnellen Atemzügen sog sie die Luft ein, und stieß sie fast genauso schnell wieder aus,
dass ich Angst bekam, sie könnte hyperventilieren und dabei vielleicht sogar Schaden
nehmen.
Also hielt ich eine Sekunde inne, sah voller Lust auf sie, wie sie vor mir lag und leise stöhnte vor Begierde.
Doch plötzlich reagierte sie unerwartet mit ungeheurer Heftigkeit, fauchte beinahe wie eine
Raubkatze. Sie bleckte die Zähne, packte selbst ihre Beine in den Kniekehlen, zog den
letzten Vorhang ihrer ohnehin schon kaum verhüllten Lust beiseite und die Beine so weit
auseinander, hoch über den Körper, bis nahe an die Schultern, dass ihre Knie die Brust
berührten.
Sie wollte alles und sie wollte es jetzt - sofort.
Aber ich tat nichts, ließ sie vor Gier beben, konnte mich nicht erinnern, jemals einer Frau
begegnet zu sein, die ohne falsche Scham solche Lust ausstrahlte und sich damit präsentierte.
Ich folgte nur meiner Eingebung und meiner eigenen Lust, die von ihr auf nie gekannte
Höhen gebracht worden war.
Katharina schien gespannt wie eine Bogensaite, und dennoch weich und fließend wie ein
warmer Sommerwind.
Ich wusste und fühlte, dass sie meine Berührung herbeisehnte, dass jede Faser ihres
Körpers erregt auf meine Liebkosungen wartete.
Dennoch hatte ich so ein Ungestüm nicht erwartet, nicht so drastisch und unverhohlen.
Ich zögerte nur einen Wimpernschlag, aber gerade dies schien Katharina noch hitziger zu
machen, wenn das überhaupt möglich war. Es war fast ein Wimmern, das da leise über ihre
Lippen brach, als sie mir ihren Rücken entgegen bog, sodass ich ihre feuchte Hitze dicht
vor meinem Gesicht, ihre Dünste und Düfte in der Nase spürte.
Ganz nah bei mir war dieses krause schwarze Schamhaar, das rosig glänzende Muschelfleisch ihres Lustzentrums, die gebräunte warme Haut, die Hände an den Oberschenkeln.
Es machte mich trunken vor Lust, sie so weit offen und schamlos begehrend vor mir zu
sehen.
Mit einer Plötzlichkeit, die sie zwangsläufig selbst überraschen musste, die sie sicherlich
nicht erwartet hatte, küsste ich sie mitten in dieses Zentrum ihrer lustvollen Hitzigkeit.
Katharinas Antwort war ein halblauter, stöhnender, langanhaltender Schrei. Eine erste Entladung ihrer aufgestauten Lust ließ sie wie unter einem Peitschenhieb zusammenzucken.
Zweifellos erwartete sie etwas ganz anderes, war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Sie
ließ ihre Beine los, riss die Hände zum Mund, erstickte den lauten Schrei, ehe er alle Wände durchdringen konnte.
Aber genau das war es, was mich nun schier rasend machte in meinem eigenen Begehren.
Vielleicht hatte Katharina ein bestimmtes Vorgehen, ein irgendwie verlaufendes Szenario
erwartet. Aber ich spürte instinktiv sofort, dass sie auf mein Tun nicht vorbereitet war.
Denn alle ihre Sinne gingen mit ihr durch. Ihre bisher mühsam gebändigte Selbstbeherrschung brach blitzschnell zusammen. Sie war erkennbar irritiert und gleichzeitig angetan
von den Berührungen meiner Lippen und meiner Zunge, aber auch verunsichert und aufgewühlt zugleich.
Ich fühlte ihre Hände, die sanft versuchten meinen Kopf wegzuschieben und sich im selben
Moment in mein Haar krallten. In kraftlosem Widerspruch zerrten sie an meinen Schultern,
gruben sich dann erneut in meine Haare. Es war, als wolle Katharina diese unerwartete
Berührung abbrechen und mich gleichzeitig noch dichter an diesen gierigen Leib heranziehen.
Ein Welle lustvoller Schreie, nur mäßig gedämpft, brandete an meinen Ohren vorüber.
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Katharinas Leib zu halten war nahezu unmöglich, sie bebte und wogte, stieß mir ihr Becken
heftig entgegen und versuchte gleichzeitig sich mir zu entziehen.
Mit beiden Händen packte ich ihr Gesäß, drückte sie gleichzeitig mit den Schultern auf das
Laken, und trank gierig entfesselt von ihrer heißen Feuchtigkeit. Ich schmeckte ihre salzige
Hitze, trank von ihr voller Hingabe und Lust.
Katharina löste sofort ihre Hände aus meinem Haar, riss sie fort in unsichtbare Ferne und
antwortete mit einem gurgelnden Schrei, der offenbar nur durch ihre fest auf die Lippen
gepressten Hände gedämpft wurde. Danach folgte noch einer, dann ein keuchendes
Wimmern, ein unterdrücktes Kreischen.
Und schon waren ihre Hände zurück.
Sie suchten wieder meine Haare, zerrten für eine Sekunde daran, nur um erneut zu
entfliehen.
Unzusammenhängende Laute kam von irgendwo über mir, wildes Stammeln, Gebrabbel
und immer wieder mühsam gedämpfte spitze Schreie.
Irgendwo in meinem Unterbewusstsein spürte ich, wie Katharina der Schweiß aus allen
Poren sprang. Glänzende Feuchtigkeit dampfte auf ihrer Haut, ihr biegsamer Leib bäumte
sich auf. Sie besaß erstaunlich viel Kraft, was mir auch schon früher aufgefallen war. Nie
zuvor hatte ich eine Frau mit so ausgeprägten Muskeln gesehen, ohne dass sie dabei
unweiblich wirkte.
Ihre Bauchdecke wogte, wurde einen Lidschlag lang steinhart, wieder weich, dann wieder
gespannt wie eine Trommel, nur um erneut außerhalb jeglicher Selbstbeherrschung zu
zerfließen.
Es wurde unmöglich Katharina zu halten, denn ihr Körper war so glatt wie eingeölt, triefend
von feinem Fluidum aus Schweiß. Sie glitt rückwärts zur Wand, suchte mir scheinbar zu
entkommen, ohne die offene Einladung ihrer gespreizten Beine zu beenden.
Doch ich wollte sie nicht loslassen, nicht aufhören, denn ich fand nie gekannten Genuss an
ihrer Lust, spürte meine eigene Leidenschaft, die mich ihren kleinen Fluchtbewegungen
folgen ließ.
Ich sicherte mir ihren Körper, indem ich meine Hände über schweißfeuchte Haut zu ihren
Schultern gleiten ließ, sie dort hielt und noch dichter an mich heranzog.
Ihre Antwort war ein letztes wildes Aufbäumen mit dem Oberkörper und ein langgezogenes,
nicht endenwollendes voluminöses Stöhnen und Keuchen.
Ich hörte ihre Stimme flüstern: „Ja ... ja, jetzt ... jetzt ...“
Ich genoss Katharinas erlahmenden Widerstand, machte weiter und weiter, schmeckte und
trank sie aus, während sie völlig hilflos ihren spasmischen Entladungen ausgeliefert war.
Ich fühlte und schmeckte ihren Orgasmus, erlebte ihn auf meinen Lippen und meiner
Zunge.
Keine Ahnung, welcher Lustteufel mich ritt, aber ich genoss diese zitternden Bewegungen.
Das halblaute Schreien, Wimmern und Stöhnen, ihre völlig entfesselte Lust. Sie impulsierte
mich sogar unbewusst dazu, mit ihr zu spielen, indem ich ganz plötzlich innehielt.
Katharina quiekte kreischend auf, presste wieder schnell ihre Hand auf den Mund um die
Lautstärke zu dämpfen, und bettelte förmlich in endlosen Wiederholungen mit wispernder
Stimme jetzt bloß nicht aufzuhören, weiter zu machen.
Immer wieder hörte ich ihre Bitte rasend schnell und geflüstert über ihre Lippen sprudeln.
Doch ich hielt sie hin.
Ganz zart und keusch strich ich statt dessen mit den Lippen über ihren Venushügel, hörte
sie über mir vor Enttäuschung fast aufschluchzen, dann wieder ihre schnell gehaspeltes
Flehen.
Ich löste meine Hände von ihren Schultern, wollte sie irreführen, ohne mir dessen wirklich
bewusst zu sein. Wieder hörte ich einen fast weinerlichen Laut von ihren Lippen. Als ich
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dann auch noch meinen Kopf aus ihrem Schoss löste, schien sie richtig enttäuscht, stöhnte
herzzerreißend auf.
Ich drückte einen Kuss auf ihren Oberschenkel, setzte mich ein kleines Stück auf, indem
ich die Beine etwas an den Körper heranzog.
Katharina lag zitternd vor mir, beide Hände auf den Mund gepresst, die Haut mit glitzernden
Schweißperlen überzogen, das Haar feucht zerwühlt.
Fasziniert sah ich zu, wie dicke Schweißtropfen langsam auf ihrer Stirn zur Schläfe rollten,
im tiefschwarzen Haar versickerten. Sie schien sich mit dem Ende der lustvollen Raserei
abgefunden zu haben, nahm beide Hände vom Mund, streckte mir die Arme entgegen.
"Komm zu mir ... mein Liebster ... komm zu mir ... komm ...“
Ich rührte mich nicht, strich nur sanft mit einer Hand über ihren Oberschenkel, und weidete
mich an ihrer Sehnsucht nach mir, ihrer maßlosen Gier nach mehr.
Es war tatsächlich kein planvolles Vorgehen, aber ganz unterbewusst in mir brannte der
Wunsch, diese Frau gänzlich außer Fassung zu bringen, ohne darüber nachzudenken.
Denn dazu wäre ich in diesen Augenblicken gar nicht fähig gewesen. Ich war nur beseelt
von dem Wunschtraum, mit ihrer Lust zu spielen.
Katharina forderte mich atemlos auf, in ihren Armen zu versinken.
Doch ich strich mit beiden Händen über ihre Oberschenkel, an ihren Innenseiten, drückte
sie dann mit sanfter Gewalt so weit wie möglich nach außen, legte meinen Kopf direkt in
ihren Schoss, streckte mich zu ihren Füßen bequem aus.
Katharina reagierte sofort und ihre Antwort war ein heftiges, gurgelndes Stöhnen, noch ehe
ich sie in irgendeiner Weise berührt hatte.
Einige wenige Lidschläge lang tat ich nichts, rührte mich nicht und ihr Zentrum der Lust
nicht an.
Erst als sie vor Anspannung heftig zu zittern begann, strich ich mit weicher Zunge durch ihr
Muschelfleisch, trank erneut von ihrer warmsalzigen Lust.
Das Zittern verstärkte sich sofort zu einem heftigen Beben, und Katharina schrie wieder
unterdrückt auf. Wie vorher griffen ihre Hände in mein Haar, wühlten sich hinein, forderten
mehr und gleichzeitig ein Ende dieser süßen Quälerei.
Wieder meinte ich halbbewusst ihre Lustentladung auf meiner Zunge zu schmecken und
hielt erneut inne.
Wieder ließ ich sie einige Sekunden warten, ehe ich ihr eine Wiederholung schenkte.
Dann das gleiche Spiel und noch eine Wiederholung, dann noch einmal von vorn.
Katharina schien mein Spiel zu durchschauen, keuchte und winselte leise, spannte all ihre
Muskeln im Unterleib an, wenn sie die nächste Berührung herbeisehnte.
Ich spürte, wie sie sich an diesen wie zufälligen Rhythmus gewöhnte, wie sie ihn genoss,
immer von mir und meinem Mund bis dicht an die Schwelle ihrer höchsten Lust getragen.
Ich selber fühlte mich wie benebelt, und mich ihr dennoch so nahe, wie nie geahnt, völlig
verbunden mit ihren Empfindungen.
Mein Wunsch war es sie zur Raserei zu treiben, sie völlig fassungslos zu erleben, wie ein
spielendes Kind mit ihrer Lust zu experimentieren.
So traf es sie gänzlich unvorbereitet, als ich ihr plötzlich mit aller Wildheit nicht die winzigen
Pausen zwischen den lustvollen Spielereien schenkte, sondern rasend schnell weitermachte, sie austrank und trank und trank von ihrer Lust.
Gerade noch im letzten Moment schaffte sie es einen gellenden Schrei im Ansatz zu
ersticken. Sie löste blitzschnell die Hände aus meinem Haar und presste sie auf den Mund.
So hörte ich ihren Lustgesang nur gedämpft, aber er schien mir in den Ohren zu dröhnen.
Katharina zitterte völlig unkontrolliert vor Ekstase und schrie erneut auf, als ich schlagartig
abbrach.
Doch auch ihr Unterbewusstsein hatte längst dieses Spiel durchschaut, und so hörte ich sie
halb weinend lachen, als sie auf einen weiteren Neubeginn wartete.
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Unter meinen Händen, die wieder ihre Schultern hielten, spürte ich Ströme von Schweiß
auf ihrer Haut, der sich mit meinem mischte. An meinen Armen fühlte ich ihre feuchten
Brüste, ihren wilden Herzschlag.
Dieses Mal nahm ich nicht meinen Kopf aus ihrem Schoss, sondern blieb einfach schwer
atmend liegen, blies nur einmal ganz zart warmen Atem gezielt auf das feuchte Zentrum
ihrer Lust, nicht einmal eine Nasenspitze von meinem Gesicht entfernt.
Katharina entlockte es ein tiefes Stöhnen und ein heftiges Zusammenzucken.
Noch bevor sie Zeit hatte sich wirklich zu erholen, setzte ich mein Spiel fort, was ihr erneut
ein keuchendes, langanhaltendes Stöhnen über die Lippen forderte.
Schon kurz darauf fühlte ich, wie ihre Muskeln mit den konvulsivisch spasmischen Zuckungen begannen, wie sie dem Höhepunkt ihrer Lust bis auf einen Lidschlag nahe kam.
Da hielt ich wieder inne - und Katharina schrie halblaut schluchzend vor Enttäuschung auf.
Sie hielt mir stammelnd vor, dass sie ganz dicht, ganz dicht davor gewesen wäre.
Es machte mich richtig glücklich, mich so intensiv an ihrer Raserei weiden zu können.
"Ja ... meine Schöne ... ich weiß, ich ... weiß ...“
Katharina versuchte angestrengt ihren flatternden Atem wieder unter Kontrolle zu bringen,
verschluckte sich, lachte, seufzte, stöhnte und keuchte, alles in der Zeit eines einzigen
Atemholens.
Dann begann ich das Spiel von neuem und verlor eine Weile jegliche Beziehung zur Realität ringsum, - bis ich wieder spürte und hörte, wie Katharina voller euphorischer Begeisterung auf den höchsten Punkt der Klippen ihrer Lust stürmte, die Arme ausbreitete, um
sich sinnenberaubt lustvoll in die Tiefe zu stürzen.
Erst da nahm ich sie wieder wirklich wahr - und hielt erneut inne.
Es war wie ein kreischender Schrei der Enttäuschung, als sie feststellen musste, dass der
Gipfelpunkt ihrer Lust noch immer nicht erreicht war.
Ein mühsam gedämpfter Schrei, der sich mehrfach wiederholte, Katharina ihre Luft zum
Atmen wiedergab.
Sie hatte das Spiel erkannt, genoss es sichtlich und hörbar, war sich aber nicht sicher, ob
sie weinen oder lachen sollte und vor allem, wie lange sie das noch aushalten konnte.
Auf jeden Fall brachte sie es sichtlich und hörbar an den Rand des Wahnsinns, - und mich
nicht minder, - und es gefiel mir.
Denn ich war längst so verrückt nach diesem Spiel, dass ich mich regelrecht weidete an
ihrem rasenden Herzschlag, den Schweißausbrüchen, dem Zittern ihrer Muskeln, ihrem
Aufbäumen mit letzter Kraft, ihrem Stöhnen, Seufzen, Keuchen und Wimmern, die Gesänge ihrer Lust.
Wieder und wieder wollte ich dieses Spiel spielen und spielte es, bis ich keinerlei Kraft
mehr unter meinen Händen fühlte.
Ich spürte, wie Katharina zusammensackte, ihre Kräfte außer Kontrolle erlahmten, bis sie
schwer atmend zu keiner Regung mehr fähig schien.
Erst da kam ich zur Besinnung, sah Katharina scheinbar völlig leblos auf dem Rücken
liegen, leise stöhnend und keuchend. Ihre Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg, und
sie brabbelte irgendwelche Laute, deren Sinn sie vielleicht selber nicht verstand.
Auch ich war erschöpft, schweißgebadet, und es schien mir endlos lang, bis ich wieder das
Gefühl hatte, meinen Sinnen vertrauen zu können.
Selbst dann aber meinte ich im ersten Augenblick einer Täuschung zu erliegen, als das
Blutrauschen in meinen Ohren schwächer wurde, und ich Katharina heftig weinen hörte.
Erschrocken fuhr ich hoch, und sah sie mit immer noch leicht umnebeltem Kopf tatsächlich
weinen, - und konnte es nicht fassen.
Was hatte ich getan?
Hatte ich ihr gänzlich ungewollt Schmerzen zugefügt?
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Doch als ich sie in meine Arme nehmen und beruhigen wollte, dabei ihr Gesicht nur mit den
Fingern streifte, schrie sie hell und schrill auf, schlug unkontrolliert um sich, als wollte sie
mich abwehren, zappelnd am ganzen Körper.
"Hab ... hab ich dir weh getan ...?“
Meine Sorge ernüchterte mich sofort weitgehendst, und Katharina stürzte sich förmlich in
meine Arme, von Schauern geschüttelt.
Sie lachte und weinte zugleich, schien hysterisch und völlig durchgedreht. Dabei hielt sie
mich so fest umschlungen, als wolle sie mich für den Rest ihres Lebens nie mehr loslassen.
Sie stammelte irgendwelche Laute, die ich weder verstehen, noch zu irgendeinem Sinn
zusammenfügen konnte. Unablässig wurde sie von Schauern geschüttelt.
Ich hielt sie sanft umschlungen, fühlte mich unerklärt schuldig, wollte sie nicht zu sehr einschränken, ihr Luft zum Atmen lassen. Wenn ich aber nur den Versuch machte, mich einen
Hauch von ihr zu lösen, dann rückte sie sofort ganz dicht an mich heran und schloss ihre
Arme noch fester um mich.
Sie zitterte ohne Unterlass, und es schien endlos zu dauern, bis sie sich soweit beruhigt
hatte, dass ich sie wenigstens fragen konnte, ob ich ihr ungewollt weht getan hätte.
"Oh ... oh, mein Gott ...“, brachte sie endlich stammelnd über die zitternden Lippen, "ich ...
ich glaube ... ich ... ich ... ich bin gestorben ... Bist du sicher ... dass ich ... dass ich ... dass
ich ... ich nicht ... tot bin?“
Ich war völlig sprachlos und verwirrt, denn ich begriff den Sinn ihrer Worte nicht.
"Hab ich dir ... hab ich dir weh getan ...“
"Was ... was ...?“ Katharina wandte mir unsicher ihr Gesicht zu, "ob du ... nein ... du hast
mir ... nicht weh getan ...“, sie bekam fast einen hysterischen Lachanfall und japste mit
mühsamer Beherrschung: "Nein ... nein ... eher das Gegenteil ... es war ... toll ... es war
wunderschön ... aber ich glaub´ trotzdem ... dass ich gestorben bin ... ich fühle mich ...
mausetot ...“
"Du bist nicht tot ... glaub mir ...“
Ich fühlte mich ungeheuer erleichtert, sah sie noch etwas sprachlos an, bekam aber wieder
Boden unter den Füßen. Sanft küsste ich ihre Tränen fort, die ihr Gesicht überschwemmt
hatten, und schmeckte diese unnachahmliche Mischung aus Tränen und Schweiß.
Wir waren beide schweißgebadet, mit klatschnassem Haar und keuchendem Atem.
Katharina nahm meine Hände, küsste sie zärtlich und suchte nach Worten, um ihre Empfindungen mit mir zu teilen.
"Es war so ... so ... so ... so ... ich weiß nicht ...“, sie machte auf mich einen Eindruck völliger innerer Aufgewühltheit, die sich in ihrer Stimme widerspiegelte. Offenbar suchte sie
vergeblich nach undefinierbaren Worten, gestikulierte heftig herum, um ihre Sprachlosigkeit
zu überbrücken, - und reizte mich damit erleichtert zu einem lauten Lachen.
Besonders, als ich endgültig begriff, dass es ihr wirklich gut ging.
Mein Lachen steckte Katharina an, ließ sie ebenfalls lachen und befreite damit ihre Sprache.
"So was ... so was ist mir ... ist mir noch nie passiert ... oh mein Gott ...“, sie stieß pfeifend
den Atem aus und lachte dann wieder hell auf,
"Ich habe am Anfang ... nur noch gehofft, dass du ... dass du sofort damit aufhörst ...“,
gestand sie stockend ein, "und ich habe ein paar Sekunden ... ich meine ... später ... habe
ich gebetet, dass du ... du bloß nicht aufhörst, dass du weitermachst ... weiter ... immer
weiter ... Es ... es war schmerzhaft ... weil es so schön war. Ich bin ... völlig durcheinander."
Sie begann für ein paar Sekunden wieder zu weinen.
Doch als ich sie beruhigen und trösten wollte, begann sie zu lachen, aber schon viel entspannter.
Ganz langsam begann ich zu begreifen oder glaubte es zumindest. Sie war offenbar so
stark berührt von ihren lustvollen Genüssen, dass sie so schnell gar nicht verarbeiten konn-
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te und von ihnen regelrecht überrollt wurde. Ihre eigene Lust hatte sie innerlich in Stücke
gerissen, die sie nun langsam wieder zusammenzusetzen versuchte.
"Es war ... es war großartig ... umwerfend ...“, wisperte sie in mein Ohr und lachte wieder,
"ich hab gedacht, dass ... dass ich sterben würde ... und ... und ich ... ich glaube ... ich bin
einmal ohnmächtig geworden ...“
"Wieso?“
"Mach dir keine Sorgen“, wieder lachte sie kichernd auf, "ich habe davon gelesen, aber ...
aber es ist mir nie passiert ... und ich habe auch noch keine Frau getroffen, der ... der es
passiert ist ...“
"Was denn ...?“
"Na ja ...“, sie kicherte wieder vor Begeisterung, statt nur vor Erschöpfung, "vier oder fünfmal habe ich noch ... mitgekriegt ... Danach war es ... war es wie Wellen ... riesige Wellen
... Es war beängstigend ... aber auch schön ... und intensiv ... und ... am Schluss ... da ... da
... war es wie eine ... wie ein ... Feuer ... eine Feuerwelle ... die über mich hinweg raste ...
ich konnte nicht mehr denken ... nicht mehr hören ... du warst einfach weg ... und ich ... ich
auch ...“
"Vier oder fünfmal ...“, ich fing endlich auch an zu begreifen, "du meinst ... du hattest
viermal einen Orgasmus ...?“
"Nein ...“, Katharina wurde flammend rot und kicherte wieder ausgelassen, "viermal bin ich
mir sicher ... aber es waren mehr ... ich fürchte viel mehr ...“
"Oh, mein Gott ...“
"Ja, ... das habe ich auch gedacht ...“ sie grinste und gewann offenbar schnell ihre Kräfte
zurück, "haben wir ... wir noch was zu trinken ...?“
"Ja ... ich glaube ...“
"Schnell ... schnell gib mir was ...“, bettelte sie mit kicherndem Lachen, "ich habe furchtbaren Durst ... ich bin ganz ausgetrocknet ...“
Sie hörte das Klirren der Gläser und lachte: "Gib mir die Flasche, das ... das geht schneller
...“
Ich gab sie ihr, und sie trank in gierigen Schlucken, atmete dann erleichtert auf und reichte
sie mir. Ich beugte mich vor, schlürfte an dem kleinen Rinnsal, das ihr vom schnellen
Trinken auf die Brust getropft war, und erntete ihr fröhlich, kicherndes Lachen.
"Ich glaube ... äußerlich sind wir beide nicht so trocken“, witzelte sie japsend und bat um
noch einen Schluck, den ich ihr bereitwillig gab, "ich fühl´ mich klatschnass ... und du fühlst
dich genauso an ...“, wieder lachte sie voller Begeisterung, "es war toll ... es war so toll ...
aber ... aber sag mal ... machst du ... du das immer so ...?“
"Ich habe dir ... nicht weh tun wollen ...“
"Das hast du doch auch gar nicht“, Katharina lachte schon wieder ganz entspannt, "aber
wenn ich so was zwei Mal in der ... in der Woche erlebe ... bin ich in einem Jahr garantiert
tot ...“
Ich sah sie zweifelnd an, wie sie mühsam ein Lachen unterdrückte, dann prusteten wir
beide wie auf ein unausgesprochenes Kommando los. Es befreite uns beide von der Sorge
und dem Emotionssturm, der über uns hinweggefegt war.
Katharina ging es hervorragend, daran ließ sie keinen Zweifel aufkommen.
"Ich habe mal was darüber gelesen“, erzählte sie mir ohne falsche Scham und lachte wieder, "aber ich hab´ es für Blödsinn gehalten. Ich ... ich wollte das immer mal erleben, aber
...“ sie kicherte und schüttelte sich, "aber kein Mann wollte mich ... da küssen, die wollten
mit mir bumsen, aber nicht ...“ sie legte schnell eine Hand auf meine Wange und ich spürte,
dass sie immer noch leicht zitterte, "bist du jetzt böse, dass ich von anderen Männern ...
spreche ...“
"Nein ... nein ...“, ich war es wirklich nicht.
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Katharina atmete erleichtert auf, denn sie wollte mich keinesfalls eifersüchtig machen oder
auf meinen Gefühlen herumtrampeln.
Wenn sie eine Hand auf meine Wange legte, das hatte ich schon lange herausgefunden,
dann konnte sie ganz genau meine Emotionen spüren.
"Ich hab auch nie einem Mann einen ...“, sie stockte wieder, grinste dann anzüglich, "ich
hab’s auch nie umgekehrt gemacht ... obwohl Männer das sehr mögen. Aber das war mir
zu nah ... ich wollte nicht, dass sie mir so nahe kommen“, wieder lachte sie leise auf, und
gestand mir dann, dass sie sich bei mir in den ersten Sekunden sehr unwohl gefühlt habe.
Dann sei ihr wieder klargeworden, dass sie ja wollte, dass ich sie berührte, und nicht nur
körperlich. Aber dann waren die Empfindungen so stark geworden, so weit außerhalb ihrer
Kontrolle, dass sie ständig zwischen Lust und Angst hin und her gependelt habe.
"Und das ... das hat mich halb wahnsinnig gemacht ... am Schluss wusste ich nicht mehr,
was ich wollte ... und hab mich einfach fallen lassen“, weil sie mir vertraue, wie sie bestätigte, absolut und blind. Aber es wäre ungeheuer intensiv gewesen, viel stärker, als sie sich
das je hatte vorstellen können.
"Es war fast ... als wärst du in mir drinnen ... nicht ein Stück ... sondern ganz und gar ...
vollkommen ... als würdest du mich von innen ... ganz langsam auffressen und das mit ...
mit großer Lust für mich ...“
Ich gestand ihr im Gegenzug, dass es liebte, eine Frau so durch ihre Lust zu treiben, sie
zum Höhepunkt zu bringen, den Geschmack ihrer Lust auf der Zunge zu spüren.
Katharina hatte mich so stark berührt mit ihrem Anblick, dass ich es unbedingt mit ihr
erleben wollte. Meine Wahrnehmung ihrer Lust war nicht wesentlich geringer gewesen.
"Ja ...“, Katharina lächelte mir zärtlich zu, "ich habe mich nie zuvor so begehrt ... so
angenommen und geliebt gefühlt ... ich hab das gespürt ... aber ich konnte es nicht richtig
einordnen ...“, und plötzlich legte sie ihre Hand auf meinen Bauch und grinste mich
provozierend an, "wollen wir es noch einmal probieren ...?“
"Bist du sicher, dass du nicht zu müde bist ...“
"Mir geht´s gut ...“, wieder lachte sie unverschämt schamlos, „außerdem ... haben wir noch
nicht gevögelt ... Willst du dir um mich Sorgen machen oder ... mit mir vögeln ... Ich will mit
dir vögeln ... auf jeden Fall ...“
"Maria wird keinen Schlaf finden“, versuchte ich einen Witz und trank selber noch mal kräftig aus der Sektflasche.
"Wieso ...?“
"Du ... du warst so ... laut“, es war mir fast peinlich darüber zu sprechen, doch Katharina
prustete explosionsartig los.
"War ich so laut ...?“
"Ich fürchte ja ... du hast wahrscheinlich das ganze Haus geweckt ...“
"Oh mein Gott“, sie ließ sich lachend auf ihr Bett fallen, "ich kann einfach nicht leise dabei
sein ...“, sie federte wieder hoch und kuschelte sich dicht an mich, "ich ... ich hasse es leise
dabei zu sein ... Mir ... mir ist ganz wichtig dabei laut zu sein, und ... und ich mag auch
keine Männer, die ganz leise dabei sind ... so was ... das sagt mir nichts ... ich habe nichts
davon ...“
"War ich ... zu leise ...?“
"Keine Ahnung“, gab sie ganz offen zu, "ich hab dich ja kaum mitgekriegt ... ich bin völlig in
meiner eigenen Lust abgesoffen ... ich weiß es nicht ... Bist du ... laut ... beim Vögeln ...“,
sie grinste mich an und griff mir provozierend zwischen die Beine, "komm ... sei auch laut ...
ich würde dich gerne vor ... vor Geilheit stöhnen und schreien hören ...“
Ob ich wollte oder nicht, ich wurde flammend rot vor Verlegenheit, und Katharina spürte es
sofort mit ihrem Feingefühl.
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"Wenn ich zu laut bin“, kicherte sie mir zu, "dann kannst du mir ... kannst du mir ja den
Mund zuhalten ... aber nicht so fest, dass ich keine Luft mehr kriege ... Also, ... bist du laut
beim Bumsen ...?"
"Ich ... ich weiß es nicht ...“
"Wir werden sehen“, Katharina grinste anzüglich und strich sanft über meine Wange, "können wir ... können wir weitermachen?“
Wieder mussten wir beide lachen, und dies baute sofort einen neuen Spannungsbogen
zwischen auf.
Wir tranken noch einmal Sekt aus der Flasche, bekämpften die trockene Kehle und fühlten
uns großartig.
Trotzdem fühlte ich mich nach der Wildheit unseres ersten Beisammenseins ein wenig
befangen, aber das verging sehr schnell wieder.
Katharina angelte nach ihrer Bettdecke, wischte sich damit über das Gesicht und streckte
sich dann wohlig auf dem Bettlaken aus, breitete sich wieder vor mir aus. Ich betrachtete
sie voller Zärtlichkeit, und verspürte Lust sie noch einmal so zu erleben wie schon zuvor.
Doch, als ich beginnen wollte ihre Leidenschaften erneut in Wallungen zu bringen, kam sie
mir direkt entgegen, strich mit zarten Fingern über meine Beine, meine Lenden, meinen
Bauch und küsste mich lustvoll auf die Brust. Ganz wie von selbst fanden sich unsere
Lippen, eröffneten den Tanz der Sinnlichkeit.
Wir versanken beide in diesen Küssen, sanken zusammen auf unser Lager, rollten uns
herum, bis sie wieder auf dem Rücken lag. Katharina lenkte meinen Kopf von ihrem Hals zu
ihrer Brust, griff mir zwischen die Beine und umfasste mit zartem Griff meine Männlichkeit,
fand sie lustvoll bereit und drückte sanft ein paar Mal zu. Doch sie ließ mich gewähren und
uns beiden Zeit, umfasste ihre Brust, als wolle sie mir die voll erblühte Knospe wie eine
edle Frucht servieren.
Ich saugte sie zwischen meine Lippen und ihre Antwort war ein scharfes Luftholen, was
mich dazu animierte den saugenden Druck zu erhöhen.
Ein japsender, halblauter Lustschrei war Katharinas Antwort darauf.
Ihre Haut schmeckte nach Salz, genau wie meine, schmeckte nach Lust und nach mehr,
einem Ansinnen, dem wir beide mehr als bereitwillig nachgaben. Zug um Zug steigerten
uns die Verlockungen in neue Gelüste, wurde unser Atmen lauter und schneller.
Die Welt um uns versank erneut, beschränkte sich wieder auf unsere Leiber, auf Haut auf
Haut, Hand in Hand, Bauch an Bauch, tanzende Zungen in weichen Mündern mit hungrig,
gierigen Lippen.
Ich ließ die eine Knospe ihrer Brust frei, widmete mich der anderen und erntete nicht minder großen Zuspruch. Leises Seufzen und Stöhnen, und ein warmer Unterleib, der zu mir
drängte.
Wieder verfolgte ich keine Strategie, verließ mich allein auf meine Intuition und meine
Fantasie.
Und ich spürte, dass Katharina zwar mehr drängende Initiative einbrachte, aber auch ohne
konkrete Zielrichtung, trotz der unbestreitbaren Gier, die sie verspürte.
Vorsichtig, warm, feucht und zart tupften wir ganze Teppiche von Küssen auf unsere
Körper, bedeckten Arme und Hals, Brust und Bauch, das Gesicht und die Hände. Katharina
lachte gurrend, als meine Lippen den Weg zu ihrem Bauchnabel fanden, als sich meine
Zunge am Salzgeschmack in ihrer Leistenfalte erfreute.
Ich biss sie sanft in die Hüfte, während sie sich zusammenrollte und meine Seite mit
Küssen tapezierte, meinen Brustwarzen ganz neue Erfahrungen verschaffte.
Ich zeichnete mit der Zunge ihren Beckenknochen nach, sie meinen Hals, meine Ohren,
meine Wangen, soweit sie die erreichen konnte.
Doch ihre kleine Gier, sie könne wieder hemmungslose Zärtlichkeiten genießen, enttäuschte ich, indem ich meinen Mund, meine Zunge und Lippen fernhielt vom Zentrum ihrer Lust.
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Statt dessen zog ich eine Spur zu ihrem Schlüsselbein, ihrer Schulter und erneut zu ihrem
Hals hinauf.
Katharina ließ sich für eine Sekunde auf das Laken zurücksinken, umschlang mich dann
mit beiden Armen, und schickte Lippen und Zunge auf eine langsame Reise über meinen
Arm.
Es gab nichts Hemmungsvolles zwischen uns. Obwohl sie mich überraschte, als sie meinen Arm hob, ihre Gesicht sanft unter meiner Achsel rieb und dann lustvoll seufzte.
"Ich liebe deinen Geruch ... nach Geilheit ... und Lust“, hauchte sie mir zu und küsste mich
leidenschaftlich, ehe sie mich wieder an ihre Schulter ließ. Sie drehte sich mit ihrem Körper,
sodass ich ihren Rücken erreichen konnte. Für eine Sekunde fühlte ich das feuchte Bettlaken unter ihr, wo sie gelegen hatte, dann verlockte mich wieder der sanfte Salzgeschmack auf ihrer Haut. Meine Lippen und Zunge suchten den Weg über ihren Rücken,
tastete sich an ihren Rückenwirbeln entlang.
Währenddessen beschäftigte sich Katharina interessiert und lustvoll mit meinem deutlich
angeschwollenen Begehren, drückte und liebkoste es mit den Fingern, legte dabei den
Kopf auf die Brust, bot mir genießerisch auch ihren Nacken, ehe ich wieder mit dem Mund
bei ihrer Brust anlangte.
Ganz langsam näherte ich mich ihr, was sie wohl zu der Annahme veranlasste, ich werde
die Knospe gleich zwischen meine Lippen saugen. So blieb sie mit dem Rücken zu mir
sitzen, dem Zugriff auf meine Männlichkeit entzogen.
Wieder umfasste sie mit der Hand die warmfeuchte Brust und ich spürte, wie sie vor
gieriger Erwartung zitterte, den Kopf in den Nacken legte, um mir nicht ungewollt den
Zugang zu versperren.
Doch ich wollte jetzt wieder spielen, berührte ihre Warze nur mit einem hauchfeinen
Kontakt, der sie dennoch heftig zusammenzucken ließ, so gespannt war sie in ihrer Bereitschaft.
Ein tiefer Seufzer entfuhr ihren Lippen, und ich konnte neue Schweißausbrüche unter
meinen Händen auf ihrem Bauch fühlen, spürte das Zittern der Muskeln darunter.
Katharina wollte meinen Kopf fester auf ihre Brust drücken, doch ich entzog mich ihr, und
griff ihr ohne Vorbereitung mit der ganzen Hand in ihr Lustzentrum.
Ein heller Aufschrei war die Folge, und rasende Hände auf meiner Haut, die nach Halt
suchten, Arme die Umarmungen spüren wollten.
Ich begann das Spiel, massierte nur mit den Fingerspitzen ganz leicht, aber so galoppierend schnell ich vermochte, ihr rosiges Muschelfleisch.
Wieder zuckte Katharina heftig zusammen, schrie erneut leise auf und fand endlich einen
Weg die Arme um mich zu schlingen.
Sie krallte sich förmlich an mich, wollte mich vor sich ziehen, - doch ich blieb, wo ich war,
hinter ihrem Rücken und setzte mein Spiel fort.
Ich war fasziniert und aufgestachelt von ihrer Reaktion, suchte sie noch höher auf die
Klippen ihrer Lustentfaltung zu bringen, - und sie zog scharf die Luft ein, stieß sie mit einem
gurgelnden Keuchen wieder aus, begleitet von tiefem, kehligen Stöhnen.
Ich folgte endlich ihren Signalen, glitt vor sie, brachte sie mit zärtlichem Schwung auf den
Rücken und setzte mich rittlings auf sie. Sofort griff Katharina nach meiner Männlichkeit,
konnte sie aber nicht halten. Denn ihre Lust wurde zu groß, riss sie ein Stück von mir fort,
während ich mit einer Hand zärtlich ihr Gesicht streichelte, mit den Fingerspitzen ihre Linien
nachzeichnete, und mit der anderen Hand jetzt kraftvoll ihr Lustzentrum massierte.
Ihr brach wieder massiv der Schweiß aus, strömte aus allen Poren.
Völlig hilflos lag sie unter mit, hatte beide Arme ausgebreitet, stöhnte und keuchte, bis sie
fürchten musste, gellend laut zu schreien, und sich beide Hände auf den Mund legte. So
war ihr Schrei gedämpft, nicht aber ihre Lust, die sie aufbäumte, den Kopf hin und her
werfend.
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Ich sah sie an, voller Faszination, sah ihr deutlich an, wie sie den Höhepunkt ihrer Lustklippe erreichte, die Arme ausbreitete, hörte sie leise und beseelt wispern: „Ja ... ja ... jetzt
... jetzt ... oh, mein Gott ...“ - und flog, flog auf dem warmen Strom ihrer Ekstase, die nicht
enden wollte.
Ich massierte sie weiter, sah Schweißperlen ihre Stirn hinunterlaufen, im Haar versickern.
Schweißperlen sammelten sich zu Rinnsalen zwischen ihren Brüsten, schimmerten auf
ihrer ganzen Haut, und Speichel tropfte ihr aus dem Mundwinkel. Sie ballte die Hände zu
Fäusten, spannte jeden Muskel im Körper an, und ließ widerstandslos ein furchterregendes, keuchendes Stöhnen aus ihrer Brust den Weg ins Freie suchen.
Dieses Mal wollte ich sie nicht hinhalten, sondern ließ sie fast hilflos von einer glühend
heißen Welle auf die nächste fliegen.
Wieder musste sie sich den Mund zuhalten, dämpfte einen lauten, endlos langen Lustgesang. Katharina Augen waren weit aufgerissen, mit flatternden Lidern, als hätte sie
unendliche Panik gepackt und mitgerissen. Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie zu keiner Handlung außer purer Hingabe fähig gewesen.
Sie streckte einmal ihre Arme aus, versuchte mich zu umfangen, an sich zu ziehen. Doch
ein kreischendes Keuchen hielt sie auf, ließ sie den Kopf weit in den Nacken legen, den
Oberkörper weit nach oben gebogen.
Ich empfand unbeschreibliche, atemlose Lust bei ihrem Anblick, fühlte mich wie losgelöst
von allem Irdischen, wollte nur noch ihre Ekstase zelebrieren. Unterbewusst nahm ich
wahr, wie sich ihr Becken in kraftvollen Stößen vor und zurück bewegte, wie ihr Lustgesang
zu einem röchelnden Schluchzen wurde, und ihr ganzer Leib von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt wurde.
Da glitt ich von ihr herunter, brach ihre vor besinnungsloser Lust zusammengepressten
Beine ohne große Sanftheit auf, glitt dazwischen und drang sofort tief in sie ein.
Ich ahnte einen Lidschlag vorher ihren gellenden Schrei, hielt ihr den Mund zu. Mit scharfem Schmerz fühlte ich ihre Zähne, die sie in meine Finger gruben, und sofort halb
bewusst, halb in Trance, wieder losließen. Es gelang ihr ganz kurz aufzutauchen aus ihrem
Meer der Emotionen, nach mir zu greifen, mich zu umarmen, die Arme um meinen Nacken
zu schlingen.
Doch wir waren beide so ungreifbar glatt von Schweiß, dass wir uns kaum gegenseitig zu
halten vermochten.
So kreuzte sie kraftvoll instinktiv ihre Beine über meinem Rücken.
Als ich Katharinas Gesicht sah, die Augen weit aufgerissen, schwankend zwischen Euphorie und schmerzvoller Lust, hielt ich mich ganz bewegungslos. Ich sah die Tränen und den
Schweiß, die sich in ihren Augenwinkeln sammelten, sah die hauchfeinen Perlen auf ihrer
Oberlippe, die dickeren auf ihrer Stirn, die feuchten, zerzausten Haarsträhnen. Tonlos
flüsterten mir ihre zitternden Lippen immer zu, nach was sie verlangte.
Doch ich lag ganz still, rührte mich nicht, ließ Katharina auftauchen aus ihren Tiefen, bis sie
schwer atmend und keuchend zu mir zu flüstern verstand, halb lachend, halb atemlos.
"Wenn du ... jetzt eine Bewegung machst ... dann ... kann ich nicht mehr ... Dann brüll´ ich
das ganze ... das ganze Haus zusammen ...“
"Ich ... ich werde ... mich nicht bewegen ...“
"Doch ... doch tu es ...“
"Nein ... nein ...“
"Doch ... bitte ... bitte ... tu es ...“
Ihre Brust hob und senkte sich wie ein Dampfhammer, ihre Haut brannte wie Feuer auf
meiner. Ich konnte kaum noch mein Begehren im Zaum halten, doch einen Augenblick wollte ich noch mit ihr spielen.
"Ich werde mich ... nicht bewegen ...“
"Doch ... bitte ...“
252
"Nein ... denn das ist es vorbei ...“
"Scheißegal ... dann ist es eben ... vorerst vorbei ...“
"Ich werde mich nicht bewegen ...“
Wieder einmal unterschätzte ich ihre Kraft und Gelenkigkeit. Denn Katharina sah mich mit
einem zärtlichen Lächeln an, grinste dann breit und schlang ihre Arme fest um meinen
Nacken, sich eng an mich schmiegend.
"Gut ...“, hauchte sie mir ins Ohr, "bleib´ genauso liegen ... bleib´ in mir ...“
Mit einem einzigen Schwung warf sie uns gemeinsam herum, brachte mich auf den
Rücken, und hielt blitzschnell meine Hände mit ihrer Kraft über meinem Kopf gefangen.
Katharina beugte sich tief zu mir herab, das Gesicht ein einziges triumphierendes Grinsen,
ein sinnlich lustvolles Versprechen. Ganz konzentriert zog sie ihre Beine an, bis sie breitbeinig über mir knien konnte, ohne auch nur eine Sekunde den Kontakt zwischen unseren
Lenden zu verringern.
"So ... mein Liebster“, kündigte sie mir ohne jedes Schamgefühl leise lächelnd an, "und jetzt
... jetzt werde ich dich ficken ...“
Und dann begann sie, mit ihrer kraftvollen, intensiven Körperbeherrschung, die sie so
unverwechselbar machte. Ihr Oberkörper entfernte sich nur minimal von mir, aber ihr
Becken begann mit weit ausholenden Schwüngen, ohne die Verbindung unserer Fleischeslust zu gefährden, langsam, konzentriert und intensiv, immer schneller werdend.
Ich hätte sie vielleicht abschütteln oder auf den Rücken zurückzwingen können, aber ich
wollte mich ihr ausliefern, - und vielleicht wusste sie das.
Dennoch hielt sie weiter meine Hände über meinem Kopf gefangen, stützte ihren Oberkörper gleichzeitig damit ab.
Ihre Beckenbewegungen wurden schneller und schneller, meine Lust nahezu grenzenlos,
mein Begehren übermächtig.
Katharina fing an meinen Namen zu flüstern, seufzte, stöhnte und schrie dann lustvoll auf.
Noch konnte ich sie sehen, war meine Wahrnehmung in Resten vorhanden.
Ich sah die Schweißperlen, die von ihrem Rücken liefen, sich bei den Brustwarzen sammelten, auf mich herabtropften.
Ich fühlte diese ungeheure Feuchtigkeit und Hitze zwischen ihren Beinen, und schnappte
mit den Lippen nach ihrer Brust, die dicht über mir sanft schaukelte, - und hörte Katharina
heftig aufstöhnen. Sie gab meine Hände frei, ließ ihren Oberkörper tiefer sinken, ohne ihre
Beckenbewegungen zu verlangsamen. Dicht auf mir kauernd fuhr sie fort, keuchte und
stöhnte, ließ es zu, dass ich ihre Lustschreie mit langen Küssen erstickte.
Doch mehr und mehr versank auch meine Wahrnehmung.
Irgendwann hörte ich sie halblaut aufheulen, spürte unterbewusst die Zuckungen in ihren
Lenden, und dass sie ihr Becken wie eine Maschine im rasenden Tempo vor und zurück
bewegte.
Schweißperlen stoben um sie herum, wenn sie voller Ekstase den Kopf schüttelte, unkontrolliert meinen Namen wisperte.
Wie in einem Blitzlicht sah ich ihre Halsmuskeln, die dick wie Stränge hervortraten, während ich immer weniger von meinem Körper wahrnahm.
Da waren über mir nur noch flatternde, weit aufgerissene Augen, keuchende Lustschreie
und feuchtheiße Haut, Schweiß, der über unsere Körper floss. Irgendwo in den Tiefen
zwischen Bettlaken und Matratze verlor er sich schließlich.
Ich war wie von Sinnen, wusste nicht, ob ich auch stöhnte und keuchte, sah oder spürte
aber, wie Katharina mir plötzlich fest eine Hand auf den Mund legte, als in derselben
Sekunde eine grellheiße Feuersäule von den Füßen bis zur Schädeldecke durch meinen
Körper schoss.
253
Für eine Sekunde spürte ich wie die Muskeln ihres Lustzentrums ganz fest meine Männlichkeit umschlossen, fühlte ihre hitzigen Säfte, hörte ihren keuchenden Schrei an meiner
Seite, als sie über mir nach vorn zusammenbrach.
Ich glaubte kurz Katharinas Gesicht zu sehen, doch das konnte täuschen.
Denn die rasende Feuerwelle überflutete mich, entriss mir alle Kontrolle. So spürte und
ahnte ich nicht, dass sich meine Finger kraftvoll um Katharinas Po krallten, wie sie mich vor
Verzückung fest in die Schulter biss.
Ich wusste nichts von ihren gebleckten Zähnen und ahnte doch um sie.
In meinem Kopf entlud sich ein furchtbares Gewitter mit krachenden Blitzen, begleitet von
einem gewaltigen Rauschen, das meine Ohren betäubte.
Aus den tiefsten Tiefen unserer Seelen formte sich eine gewaltige Entladung, ein furchterregendes Grunzen und ein fast schmerzensvoller, schier endloser Schrei. Tausende von
roten Luftballons zerplatzten in meinem Kopf, und mein ganzer Körper löste sich in blubbernde Bläschen auf, verschmolz mit dem dieser Frau auf mir, mit ihrem nachtschwarzen,
nassen Haar, ihrer glühenden Haut.
Alles brach aus uns heraus, unsere Lust, unsere Schreie und unsere Säfte, überdeckten
die zitternden Körper mit einem friedvollen Teppich, - während unsere fleischliche Wirklichkeit noch in schier endlosen Intervallen erzitterte, ehe uns ein greller Blitz nahezu
gleichzeitig vom letzten bewussten Sein in tiefes, dunkles Schweigen katapultierte.
254
12. Kapitel
Irgendwann erwachte ich, so glaubte ich zumindest. Es war so ein surreal wechselndes,
ambivalentes Gefühl von zwischen Schlafen und Wachzustand, mit unbestreitbar realen
Empfindungen, und dennoch so unwirklich wie im Traum. Ich nahm mich und meine
Körperlichkeit zwar greifbar wahr, aber es wirkte dennoch wie ein Traum.
In diesem Traum wurde alles eigenartig und warmfeucht.
Die schweren Nebel der physischen Erschöpfung wichen einer collagenartigen Vision von
tiefschwarzen Augen, zärtlichen Umarmungen, Küssen, heiß dampfender Haut, weichen
Lippen und warmen Schenkeln, einer streichelnden Hand und wippenden Brüsten.
Doch da war noch etwas, dieses sanfte Schnurren, das ich nicht räumlich orten und nicht
und niemandem zuordnen konnte, wie von einer versteckten Katze.
Plötzlich schwang alles in wirbelnden Bildern durcheinander, wirr und zusammenhanglos.
Es war angenehm und zugleich beunruhigend, animierend und animalisch, ein wenig
erschreckend, alles vermischt zu einem verwirrenden Zauber aus irrationalen Gefühlen und
realen Empfindungen.
Dunkelheit wurde schlagartig ein mächtiger Verbündeter - oder ein unbesiegbarer Feind.
Die wirbelnden Bilder versanken in waberndem Schwarz.
Das leise Schnurren wurde lauter, steigerte seine Präsenz und Intensität, - und bekam
einen drohend gefährlichen Unterton.
In das längst alles beherrschende Schwarz begannen sich sanftere Blautöne zu mischen,
Sterne tauchten auf, suchten und fanden ihren Platz an einem gewaltigen, endlosen
Sternenhimmel, der mich mit seiner Nachtkühle umfing – und dennoch auch warme
Elemente offenbarte.
Letzte erste Ahnungen von warmen Mistralwinden und heißem Atem aus dem Bauch der
Wüste, aus großer Weite herangetragen, begannen mich einzufangen. Schwere und
zauberhafte Duftwolken erfreuten meine Nase, betäubten aber gleichzeitig auch meine
nach Realität suchenden Sinne.
Noch immer verfolgte mich dieses Schnurren - vielleicht eines unbekannten Tieres - und so
suchte ich in alle Richtungen, wo es seinen Ursprung haben könnte, - und stürzte - stürzte - schwebte schließlich –
- und fand mich auf einer Ebene des unbewussten Erwachens.
Ein weiträumiger Saal, verziert mit grotesken Fresken und farbenfrohen Bildern an den
Wänden entstand um mich herum. Blau und goldgerahmte Deckenmalereien nahmen
meinen Blick gefangen, mit zahlreichen realen und surrealen Darstellungen von Katzen und
nackten Frauenleibern, von Gnomen und Satyren.
Auf silberfarbenem Leinwandgrund in einem stuckverzierten Goldrahmen entdeckte ich die
groteske Darstellung einer obszön posierenden, unbekleideten Frau mit großen Brüsten,
einem runden Po am dicht und schwarz behaartem Katzenkörper. Sie besaß einen langen
buschigen Schwanz am runden Hinterteil, den sie hoch aufgerichtet hin und her schwang.
Prächtige Marmorstatuen von Frauengestalten in provokativ bis völlig vulgär erotischer
Körperhaltung standen in überall herum. Sie präsentierten mit zurückgebogenem oder vorgeneigtem Oberkörper ihre prallen Brüste, lagen auf dem Rücken und entblößten schamlos
ihre Vulva, öffneten sie mit den Händen.
Andere wirkten eher infantil und ein wenig albern, mit einem langgestreckten Finger
zwischen den Lippen und sinnlich geschlossenen Augen.
Barockengel mit unangemessen großen Brüsten und ausladendem Po schwebten wie von
Geisterhand durch diesen Saal, schwebten in die Raumecken oder sanken auf Sockel aus
255
weißem Marmor. Wie in einem völlig überladenen königlichen Audienzsaal standen sie
überall herum, mit einer barocken Mischung aus Erotik und Kitsch.
Ihre überirdische Schönheit, die kaltglatte Marmoroberfläche, fesselten meine Augen,
entlockten mir tiefe Bewunderung. Ich konnte mich nicht an ihnen sattsehen.
Andere erschreckten mich beinahe in ihrer provokant pornografischen Nacktheit.
Doch keine der steinernen Frauengestalten hatte ein richtig ausmodelliertes Gesicht, alles
nur angedeutet, - und dort wo die Augen in dem klassisch modellierten Kopf sein mussten,
waren tiefschwarze, runde Kreise oder ovale schwarze Löcher.
Mein Interesse begann zu schwinden, sank langsam zusammen.
Doch dann nahm ich zum ersten Mal diesen intensiven Duft wahr, der diesen Raum erfüllt.
Ich suchte nach einer Erklärung und entdeckte, dass der ganze Saal dieses unwirklichen
Traumraumes mit reifen, prallen Erdbeeren bedeckt war, die säftevoll und sanft
schmatzend unter meinen Füßen zerplatzten, als ich mit ihnen den Boden berührte. Dabei
strömten sie noch intensiver ihr unwiderstehliches, erotisch sinnliches Aroma aus, das mich
schwindelig machte und in seinen Bann zog. Es erweckte ungeheuer amoralische Lüste in
mir.
Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, wie viele ich zwangsläufig wegen ihrer dichten
Ausbreitung zertrat. Es erschien mir sogar so, dass sie flehend herbeisehnten, von mir
zerquetscht zu werden, damit sie für mich ihren Duft verströmen konnten. Dicht an dicht
drängten sie sich zu meinen Füßen, schienen dabei ständig neu aus dem Boden zu
schießen um jeden Zentimeter bedecken zu wollen. Die gerade entstehenden Lücken in
der Spur meiner Füße wurden sofort wieder gefüllt mit neuem weichem Rot und feinen
gelben Sprenkeln. Bis zu den Knöcheln watete ich in musigem Erdbeergelee.
Erneut verstärkte sich das gleichmäßige Schnurren, in das sich jetzt aber auch noch das
leise Mauzen einer Katze mischte.
Suchend streifte mein Blick umher, fand eine gedrehte altgriechische Säule, auf der eine
blutrote Vase mit langstieligen weißen Blumen stand.
Ich trat nach kurzem Zögern näher und atmete begierig ihren vollsüßen Duft ein. Mit seiner
prophetablen Verheißung auf einen warmen Sommer verwirrte er sofort meine Sinne.
Die tiefkelchigen Blüten befreiten ihren Namen aus meinem Gedächtnis, obwohl ich sicher
war, sie noch nie zuvor gesehen zu haben. "Engelstrompeten", die mir zauberhafter als die
schönsten Blumen aus dem Paradies erschienen in ihrer vollendeten Schönheit.
Doch, noch während ich sie betrachtete, wechselten die Blüten ihre Farbe, bekamen zuerst
einen leichten Schimmer von Violett, tendierten dann aber zu einem kräftigen Aubergine,
um dann Nachtschwarze anzunehmen, seidenmatt glänzend.
Wieder drängte sich die Unsicherheit auf, was dieser Traum zu bedeuten vermochte.
Dann sah ich sie. Aus der Tiefe des Raumes schwebte sie plötzlich wie aus dem Nichts auf
mich zu, - eine schwarze Perserkatze mit langhaarigem, seidig flauschigem Fell und
ebenso nachtschwarzen Augen, die wie polierter Achat glänzten.
Wie eine ägyptische Götterkatze schwebte sie auf mich zu, ließ von diesem wuscheligen,
aufgebauschten Kopf - der irgendeine feine Erinnerung in mir auslöste - ein behaglich
wohliges Schnurren ertönen.
Hochaufgerichtet und stolz schwebte sie schwerelos vor mir. Ihr Anblick war wie eine
Erquickung für meine Seele, - und zugleich eine Quelle der Furcht.
Ich spürte ihre Macht, auch über mich und mein Denken, wollte ihr nicht zu nahe sein,
wandte mich ab, versuchte ein Stück von ihr fernzubleiben.
Aber wohin ich mich auch wandte und drehte, sie war und blieb stets vor mir. Immer in der
gleichen gottköniglichen Körperhaltung, unnahbar schön und doch von sanfter Anmut.
So suchte ich einen Weg an ihr vorbei, wollte diesen unbekannten Saal verlassen, - doch
da fauchte sie mich heftig an, duldete keinen Widerspruch und ich wagte keine weitere
Bewegung.
256
Ich sah sie nur an, stumm und still. Da wurde sie wieder ruhig und begann erneut zu
schnurren.
Ein unbegreiflicher Zwang ließ mich die Hand nach ihr ausstrecken, suchte die Berührung
zu ihr. Sofort wurde sie still, und beobachtete mich wachsam aus ihren achatglitzernden
Augen. Sie ließ ein ganz klein wenig ihre Zähne sehen, und beschnupperte misstrauisch
meine Finger, ehe sie sich von mir hinter den Ohren kraulen ließ.
Vielleicht hätte ich diese Berührung besser vermeiden sollen, aber es war wie ein Zwang,
dem ich mich nicht entziehen konnte.
Meine Finger verrieten mir, dass nichts so war, wie es schien, dass diese wunderschöne
Katze aus Porzellan war, ihr Fell nicht weich und flauschig, sondern kalt und glatt.
Genauso zwangsläufig schien es da, dass mein Traumbild zerplatzte, durcheinander
wirbelte, Milliarden von Farbspektren und Regenbögen erzeugend. Sternschnuppen zogen
blitzend durch meinen Traum, feurige Kometen. Lichtblitze und Gewitterstürme, - ehe es
schlagartig aufhörte ...
... und ich wohl die nächste Stufe dieses seltsamen Traumes erreichte.
Eingeschlossen oder eingetaucht in ein unbegreifliches, undefinierbares und unsagbares
weißes Nichts, - es hüllte mich ein.
Dabei war diese Farbe jedoch nicht konstant, sondern schimmerte ab und zu von Rosarot,
Gold, Aubergine, Gelb und Grün, allesamt sehr kurz aufblitzend und vergänglich,
durchwoben von Wolken aus Silberstaub.
Die schwarze Perserkatze war auch wieder da.
Doch als ich sie nur einmal ansah, löste sie sich wie ein schwarzer Nebel auf, wurde zu
etwas ohne feste Substanz, - und kehrte nach Sekunden wieder, - aber nun plötzlich mit
mir verwachsen. Sie war ein Teil von mir selbst geworden, die zweite, untere Hälfte meines
Körpers.
Verwundert und ungläubig drehte ich mich in diesem seltsamen Nichts schwerelos um die
eigene Achse, versuchte zu fassen, wo nichts Greifbares war, versuchte zu sehen, wo
nichts Sichtbares war.
Also beugte ich mich nach vorn, weit und weiter, schlug schließlich einen ganz langsamen
Salto, als befände ich mich schwerelos im Wasser. So betrachtete ich voller Faszination
und Ungläubigkeit meinen Unterleib, der sich unterhalb meines Bauchnabels im fließenden
Übergang in einen Katzenkörper verwandelt hatte.
Für eine Sekunde funkelte die kleine, stille Welt goldfarben um mich herum auf, gab mir
eine Ahnung von Wärme, die mich einhüllte, mir entgegen strahlte, mich liebevoll
umschmeichelte, - und dennoch fröstelnd machte.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich in umnebeltem Denken begriff, dass ich keine Beine
mehr hatte, dass ich eine Art surreales Fabelwesen geworden war.
Dort, wo einmal meine Beine gewesen waren, ragten jetzt in gleicher Größe zwei Katzenvorderpfoten aus meinem Körper. Dazu ein Stück haariger Leib, ein kurzer, bauschiger
Fellhals und der breite Kopf der tiefschwarzen Perserkatze. Ich sah die weit ausgefahrenen
Krallen, die lauernd hungrigen Augen und die unruhig lauschenden Ohren.
Heftig fauchte mich mein eigener Unterleib – diese schwarze Katze an, schlug mit einer
Pfote nach mir, ließ die Pranke mit ihren Krallen auf mich zusausen.
Ich fürchtete, sie würde mich zerfetzen ...
Doch nur ein leiser Windzug streifte meine Brust, während wir gemeinsam vereint wie eine
grotesk erdachte Bildspielkarte durch unsere milchigweiße Welt schwebten.
Plötzlich entdeckte ich etwas Neues im Fell der Katze auf ihrer Brustseite.
Da waren zwei ausgedünnte Stellen, wo die Haare etwas feiner, spärlicher wuchsen.
Dabei hätte ich nicht sagen können, ob das schon die ganze Zeit so gewesen und mir erst
jetzt aufgefallen war.
257
Vorsichtig beugte ich meinen Oberkörper der Katze entgegen, hielt mühsam eine unbequeme, aber leichter als gedacht realisierbare Balance in der Schwerelosigkeit.
Ich erkannte, dass die zwei ausgedünnten Stellen zwei feste, große Brüste waren, Frauenbrüste mit hart aufgerichteten, warmroten Nippeln aus Erdbeeren.
Erstaunt und fasziniert streckte ich vorsichtig eine Hand aus, berührte sie sehr vorsichtig
mit einer Fingerspitze. Sofort verströmte aus ihr ein nebelhafter Duft von Erdbeeren.
Doch weil ich meiner eigenen Wahrnehmung nicht sicher war, umfasste ich nun eine dieser
Brüste mit der ganzen Hand.
Es gab keinen Zweifel, - es war eine weibliche Menschenbrust, wie ich sie kannte, gesehen
und hin und wieder berührt hatte. Sogar den kräftigen Herzschlag konnte ich darunter
fühlen, ein leichtes Vibrieren in der Haut.
Unvermittelt schlug die Katze wieder mit ihrer Pfote und den scharfen Krallen nach mir,
fauchte leidenschaftlich und wild, nachfolgend von einem scharfen Jaulen begleitet.
Ich zuckte zurück, doch dieses Mal nicht schnell genug.
Denn sie traf sie mich mit halber Wucht, zog eine blutige Schramme über meine Brust.
Erneut fauchte sie auf, bleckte die Zähne.
Sie erschien mir erregt und verärgert, ein wenig aggressiv und böse. Sie beugte sich
ungeahnt gelenkig meinem Oberkörper entgegen, belauerte mich aus funkelnd wachen
Augen.
Ich hingegen versuchte vor ihr zurückzuweichen, beugte mich zurück, und rollte mich über
den Rücken ab.
Aber da sie fest mit mir verwachsen und Teil meines neuen surrealen Körpers war, rollte
sie sich mit mir. Ich konnte sie nicht abschütteln, mich nicht von ihr trennen.
Sie näherte sich mit stetig und unaufhaltsam, bis ihre Pfoten mich wieder berührten.
Diese schwarzen Augen sahen mich an, musterten mich, ehe sie mit der Pfote mein Blut
auf der Brust in unerwarteter Sanftheit abtupfte. Sie leckte daran, beugte sich noch dichter
zu mir, bis sie mir auf Augenhöhe gegenüber war.
Unsere Körper bildeten nun ein gleichschenkeliges, offenes Dreieck, so war es kein
Problem für sie, mich mit ihren weichen Pfoten zu umschlingen.
Wieder fauchte sie mich halblaut an, und ich spürte ihren heißen Atem auf meinem Gesicht,
wie er mich einhüllte. Ohne Schmerz bohrte sie ganz langsam ihre Krallen in meine
Rückenhaut.
Das wirklich Erstaunliche aber war, dass sie dabei zu lächeln schien, als wollte sie mich
wortlos fragen, wie mir das gefiele, ob ich es schön fände.
Doch ich wusste es nicht.
Dafür spürte ich die seltsamen Frauenbrüste der Katze auf meiner Brust. Harte Nippel
rieben gegen meine Haut, zogen sogar leichte Schrammen, ohne mich tatsächlich zu
verletzen.
Wie eine Wolke hüllte mich durchdringender Erdbeerduft ein, benebelte rauschhaft meine
Sinne. Schweiß brach mir am ganzen Körper aus, lief perlend über meine Haut an mir
herunter. Er brannte in meinen winzigen Verletzungen, in meinen Augen, versickerte im Fell
der Katze, vermischte sich mit ihrer eigenen Hitze.
Wieder fauchte sie mich leise an, stieß wild und fordernd mit ihrem gegen meinen Körper,
während sich ihre spitzen Krallen erneut in meine Rückenhaut bohrten.
Grelle Feuerblitze erschütterten plötzlich diese Welt der Träume, als hätten sich alle
Elemente, Dämonen und Götter gegen mich und diese Katzenkreatur verschworen.
Es wurde gleißend hell und glühender Wind wehte uns stürmisch um die Nase, ohne dass
er dadurch auch nur einen Hauch kühler wurde. Schweiß strömte aus allen meinen Poren, und ich sah, dass die Katze ebenfalls schweißnass war.
Ich roch ihre starke, schwüle Hitze, ihre Ausdünstungen, die ihre Bereitschaft zur Paarung
kündeten.
258
Ich erschrak, als sie plötzlich blitzschnell und ohne Vorwarnung mit einer Pfote meinen Arm
emporriss und meine Hand hinter ihr Ohr legte, damit ich es kraulen konnte.
Dabei fauchte sie mich wie rasend an.
Was sie wollte, wollte ich jetzt auch.
Ich begann sofort sie sanft und liebevoll zu kraulen. Sie schüttelte sich vor Behagen,
versprühte einen dichten Regen aus Schweißtropfen auf meine Haut und mein Gesicht. Sie
perlten von mir ab, fielen langsam schwebend zu Boden, wobei sie sich in neue, pralle
Erdbeeren verwandelten.
Die Katze maunzte zufrieden, begann unmittelbar friedlich zu schnurren.
Immer noch zuckten riesige, grelle Lichtblitze durch unsere weiße Welt, und Farbschimmer
aus dem universalen Farbspektrum überzogen wabernd alles Leben, kreuzten und
verbanden sich mit Zeit und Raum.
Die schwarze Perserkatze umschlang mich mit ausgesuchter Zärtlichkeit, presste mich
sanft an sich, atmete mich heiß und wild an. Ihr Schnurren wurde intensiver und heftiger.
Ihr Atem ähnelte eher einem Keuchen und flutete stoßweise aus ihrem Mund. Leise
Schreie mischten sich hinein, wurden lauter und lauter.
Dann öffnete sich ganz langsam, wie in Zeitlupe, ihr Kopf.
Und dies geschah nicht blutig und hässlich, sondern sah völlig natürlich und wunderschön
aus.
Ihr Kopf enthüllte rosig schimmerndes, warmes Fleisch, umflossen von Erdbeersaft, der
uns beide überflutete, sich rasch zu einem Sturzbach entwickelte, während sich ihr Schädel
mit faszinierender Anmut weiter öffnete.
Plötzlich entdeckte ich, wie sich ihr Fell abzuschälen begann, heiß dampfende Haut enthüllte.
Ein heller, lauter Schrei hallte in meinem Ohr: "Jaaaaaa ... ja ... ja ... ja ... ja!"
Aus dem letzten Rest des Schlafes tauchte ich ins verwirrende Erwachen - und fand die
Katze nicht mehr.
Aber dafür Katharina und mich, wieder völlig vertraut in meinem und ihrem Körperbau,
zwischen klammernden Beinen gefangen, die sich über meinem Rücken kreuzten.
Schweiß tropfte zwischen unseren Körpern, floss von Haut zu Haut, von Pore zu Pore, von
Bauch zu Bauch.
Mir war glühend heiß, als wäre mir der Wind aus dem Traum in die Realität gefolgt, als
wolle er nicht von mir lassen. Katharinas Gesicht war dicht vor meinem, die Augen wie
wahnsinnig weit aufgerissen, hechelnd und keuchend atmend.
Ich sah, wie ihre Lippen sich öffneten, sah ihre Zunge rosig hervorgestreckt und fühlte, wie
sie an meinen Hals emporleckte, von meinem Schweiß kostete, von meiner Lust.
Ich fühlte kaum, dass meine Lenden sich rhythmisch vor und zurück bewegten, spürte nur
dieses brennende Feuer, das rasend schnell aus meinem Kopf in meine Männlichkeit
schoss.
Alles in mir explodierte, zerfetzte sich selbst, löste sich auf.
Halb bewusst spürte ich Katharinas Leib unter mir heftig erbeben, hörte ihren röchelnden,
gurgelnden Schrei und fühlte unerwartet schmerzhaft ihre Fingernägel, die vor purer
Ekstase blutige Schrammen über meinen Rücken zogen.
Es schien mir Ewigkeiten zu dauern, doch es konnten nur Sekunden sein.
Ich nahm Katharina wieder wahr, die ihren Mund weit aufgerissen auf meine Schulter
gepresst hielt, so ihren gellenden Schrei halb erstickte, der wieder und wieder in dicht
gefolgten Intervallen aus ihr hervorbrach.
Dann warf sie plötzlich ihren Kopf in den Nacken, und ich sah ihr Gesicht schweißnass, die
Adern an der Stirn und die Muskeln an ihrem Hals dick angeschwollen. Sie ließ den halb
aufgerichteten Oberkörper zurück auf das Laken fallen, stöhnte noch einmal langanhaltend
auf und warf den Kopf hin und her, während ich mich mit lustvollem Schmerz in sie ergoss.
259
Ich roch die Düfte nach Erdbeeren auf ihrer Haut, sah und fühlte die Feuchtigkeit zwischen
ihren wogenden Brüsten, sah ihr seidig feuchtes Achselhaar, einen winzigen Tümpel in der
Kuhle ihres Schlüsselbeines. Ihre Augen waren vor Erschöpfung geschlossen, aber ihre
Lider flatterten unkontrolliert und wild, während ihr Gesicht noch verzerrt und angespannt
war. Abklingend verspürte ich Katharinas leidenschaftliche Gegenbewegung aus ihrem
Becken, bis ihre Beine schlaff und kraftlos von meinem Rücken sanken und auf das Bett
plumpsten.
"Ooooh ... mein Gott ...“, hörte ich sie flüstern und versuchte vergeblich einen Zusammenhang aus all dem um mich herum herzustellen.
Doch es wollte mir nicht so recht gelingen.
Zudem verließ mich die Kraft, und so ließ ich mich einfach auf sie sinken. Ich spürte sofort
ihre Lippen, die meine Wange küssten, meine Schläfe, schließlich meinen Mund fanden,
als Katharina kurz entschlossen meinen Kopf mit verschwitzten Händen zu sich drehte.
Dann schmiegte sie sich dicht an mich, ließ die Schweißströme zwischen unseren Körpern
abkühlen.
Atemlos und noch immer halb benebelt starrte ich sie an, wusste mich nicht zu erinnern,
wie es soweit gekommen war. Ich hatte keinerlei Erinnerungen an den Beginn dieses
Liebestanzes.
Noch immer halb benebelt betrachtete ich die dampfende Leidenschaft unter mir, sah die
Schweißperlen auf Katharinas Oberlippe, die kleinen Rinnsale auf ihrer Stirn, die hochroten
Wangen und die fiebrig glänzenden Augen, die jetzt wieder geöffnet in meine zu sehen
schienen.
"Geht´s dir ... gut?“
Ich wusste es nicht, fühlte mich zwar erschöpft, aber auf keinen Fall schlecht.
Nur hätte ich gerne gewusst, wie sich das alles entwickelt hatte, denn jede Erinnerung
daran schien mir entflogen.
Als ich versuchte das zu erklären, zog Katharina zuerst die Augenbrauen hoch, begann erst
zu schmunzeln, dann breit zu grinsen, lachte am Ende hell auf und resümierte dann, dass
ihr jetzt auch alles viel klarer würde.
Ich hätte unruhig geschlafen, erklärte sie mir mit noch zitternder Stimme, davon wäre sie so
halb aufgewacht. Sie hatte sich schon gedacht, dass ich träumte, und wollte mir beruhigend
über die Wange streichen.
Doch als Antwort hätte ich sie plötzlich bei den Händen gepackt, nahezu blitzartig eine
Erektion bekommen, sie auf den Rücken geworfen, und wäre dann ohne jede Zärtlichkeit in
sie eingedrungen.
"Es hat mich erst etwas erschreckt“, gab sie unumwunden zu, "denn du hast auf kein Wort
reagiert, dass ich gesagt habe. Du ... du bist ... einfach ... in mich rein ... und dann ging´s
los ... Aber ... aber, dann fand ich es ... irgendwie auch toll ...“
Alles um uns herum war feuchtnass und warm.
Wir kamen beide zu dem Schluss, dass etwas Seltsames geschehen war, dass ich halb
schlafend, vielleicht sogar richtig träumend, mit Katharina Sex hatte.
Ich fand es eher beunruhigend, sie eher lustig, bis wahnsinnig komisch.
Besonders als ich ihr versicherte, dass meine erste reale Wahrnehmung erst kurz vor dem
Ende begann.
Sie meinte grinsend, dass das ja beinahe unmoralisch wäre, mit einem Schlafenden Sex zu
haben.
Eine Sekunde wusste ich nicht genau, wie sie das meinte, ob sie gekränkt wäre.
Doch ihr mühsam unterdrücktes Lachen zeigte mir ihre wahre Einstellung, und wir brachen
beide in befreites Gelächter aus.
260
Ich barg mein Gesicht in Katharinas triefend nassem Haar, sie umschlang mich mit ihren
Armen und griff genüsslich nach meinem Po, drückte ihn lustvoll. Wir lachten und kicherten,
seufzten und fühlten uns wohl.
Da es draußen noch nahezu dunkel war, gönnten wir dem Körper Ruhe und Entspannung.
So entging uns beiden der Augenblick, wo wir wieder einschliefen.
261
13. Kapitel
Erneut ergriff ganz langsam das Erwachen von mir Besitz, trieb mich in Intervallen
wellenförmig ins Bewusstsein zurück, bis ich Wachträumte, - träumte von einem frischen
grünen Morgen, Tau auf den Gräsern, die kühl meine Füße netzten. Bilder und Erinnerungen von frischem, sprudelndem Wasser zogen an meinem geistigen Auge vorbei, ein
reich gedeckter Tisch mit Milch, Kaffee, warmem Brot und Käse.
Dabei war mir warm und kühl, wurden mir Hunger und Durst zugleich bewusst.
Ich versuchte gänzlich zu erwachen und fühlte ein dumpfes Dröhnen, eine bleierne
Schwere im Kopf. Meine Muskeln schmerzten ein wenig, und das am ganzen Körper, selbst
feinste Muskeln, von deren Existenz ich bis dahin nichts wusste. Dabei fühlte ich mich
dennoch gelassen und entspannt. In meinen Lenden zwickte ein hauchfeiner Schmerz, als
hätte ich mich überanstrengt.
Das ließ mich endgültig erwachen, doch schloss ich gleich wieder die Augen. Denn ein
stumpfes und viel zu helles Licht blendete mich. Gleichförmiges leises Rauschen drang an
mein Ohr, steter Tropfenklang und spinnwebenfeines Rieseln.
Vorsichtig öffnete ich erneut die Augen, sah verblüfft durch ein halb geöffnetes Fenster auf
ein unvertrautes Gebäude gegenüber, daneben viel Grün, Bäume und Sträucher, - und
hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, wie ich hierhin gekommen war.
Zusätzlich irritierte mich eine ganze Weile, dass ich mich im Vergleich zu dem Fenster auf
einer ungewöhnlichen Höhe in meiner Betrachter-Position befand.
Dabei konnte ein flüchtiger Rundblick keinen Zweifel daran lassen, dass ich mich liegend in
einem Bett befand.
Doch das Bett war mir fremd, sehr groß, total zerwühlt und ein wenig klammfeucht.
Außerdem war mir kalt, weil ich nicht zugedeckt war. Dafür türmten sich zwei zerknautschte
Bettdecken neben mir über einer kräftigen Wölbung.
Draußen vor dem Fenster tropfte ein feiner, steter Nieselregen, und hüllte ganz Oldenburg
in ein seltsam graues Zwielicht.
Ich versuchte mich halb aufzurichten, spürte ein kurzes Schwindelgefühl, wieder die dumpfe und schwere Leere im Kopf und stöhnte leise auf.
Ein leises unwilliges Murren an meiner rechten Seite antwortete mir sofort.
Mit einer Mischung aus Verblüffung und Freude erkannte ich Katharinas Kopf, der in zwei
Kissen halb vergraben war. Sie hatte mir in der Nacht nicht nur irgendwann meine Decke,
sondern auch mein Kissen stibitzt. Im Gegensatz zu mir schlief sie fest und war gut
zugedeckt. Sie hatte sich wohl alles an Decken genommen und herangezogen, was sie zu
packen bekam.
Ihr spärlicher Anblick unter den warmen Decken löste schlagartig wieder die Erinnerung an
die vergangene Nacht aus und ließ mich selbstzufrieden grinsen. Da mochte Rolf über die
geschmähte „Zweierkiste“ und ihre politische Bedeutung in der modernen, veränderten
Gesellschaft denken, was er wollte. Wir beide, Katharina und ich, hatten in der Nacht eine
Lust und Liebe genossen, die dem geforderten Zwang zur Auflösung der Ehefessel und
Zweierkiste völlig konträr entgegenstand. Es war unsere lusterfüllte Gemeinsamkeit gewesen, voller wechselseitiger Hingabe.
Plötzlich erfasste mich eine Welle sentimentaler Zärtlichkeit, und ich strahlte wahrscheinlich
ziemlich einfältig auf sie herab. In mir erwachte der spontane Wunsch, sie in die Arme zu
nehmen, sie wie ein Kind in meinen Armen zu wiegen.
Indes tat ich das nicht, fühlte mich nur wahnselig glücklich und betrachtete sie, wie sie tief
und fest neben mir schlief, das zerzauste Haar wirr um den Kopf gewirbelt, die rechte Hand
in eine Decke gekrallt, während der linke Arm irgendwo unter der Decke verschwand. Ein
262
paar Haarsträhnen klebten ungeordnet auf ihrer Stirn, über ruhig geschlossenen Augen in
einem Gesicht mit heißroten Wangen, so voller Ruhe, Zartheit und Entspannung.
Ihr völlig gleichmäßiger Atem erzählte davon, wie tief sie noch schlief, weit vom Erwachen
entfernt.
Mir war kalt, und als ich meine Hand auf meinen Bauch legte, fühlte ich die letzten Reste
von Schweiß.
Voller Verblüffung starrte ich auf mehrere rote Schrammen auf meiner Brust, die sich vom
Schlüsselbein abwärts bis fast zum Bauchnabel zogen. Sie brannten ein klein wenig, waren
offenbar eine verbliebene Spur der Wildheit, die wir in der Nacht ausgelebt hatten, - aber
nicht weiter beunruhigend.
Die Feuchtigkeit des Lakens unter mir wurde mir jetzt voll bewusst, und ich wusste sofort,
dass ich es nicht allein gewesen war, der es völlig durchgeschwitzt hatte.
Meine anfängliche Verwirrung war bereits bei Katharinas Anblick restlos verflogen. Ich hätte
sie gerne geküsst, sie gestreichelt, sie umarmt und den gewaltigen Sturm der Gefühle
geschildert, der mich bei ihrem Anblick erfasste.
Aber ich ließ sie weiterschlafen.
Dafür meldeten sich jetzt Hunger und Durst um so stärker zurück.
Noch einmal warf ich einen Blick auf diese Frau mit der leicht gebräunten Haut, von der
jetzt nur wenig sichtbar war. Wie sie da so zart und unschuldig schlief, erinnerte nichts an
ihr an die kräfteraubende, lustvolle Raserei, ihre Wildheit und Gier, die sie in der Nacht
ausgelebt, und in die sie mich leidenschaftlich mitgerissen hatte. Dabei enthüllte sie einen
erotischen Wortschatz, wie mir siedend heiß wieder einfiel, den ich so an ihr nicht vermutet
hätte. So friedlich und harmlos, wie sie jetzt schlafend wirkte, die schamlose Deutlichkeit,
mit der sie mich in der zurückliegenden Nacht regelrecht nach noch mehr Fleischeslust
angefeuert hatte, stand dazu im krassen Gegensatz. Katharina sprach aus, was andere
Frauen vielleicht dachten oder leise flüsterten, damit es nur ja niemand hörte. Mir hatte sie
in ihrer Hitzigkeit Worte zugetragen, die ich vorher nicht einmal zu denken gewagt hätte.
Und dennoch empfand ich keinerlei Zweifel oder Unbehagen bei dem Gedanken daran,
denn Katharina und diese tobende Wollust waren absolut identisch.
Aus dem Rest der Wohnung war kein Geräusch zu hören. Aber es konnte nicht mehr ganz
früh am Morgen sein, denn aus der nahen Innenstadt klang das gleichmäßige Summen von
typischem Autoverkehr in Oldenburg am Sonntagmittag.
Ein schnell streifender Blick auf die Ablage neben dem Bett zeigte mir ein halbvolles
Sektglas und eine bauchig grüne Flasche. Sie war leer, aber ich hatte Durst.
Wieder einmal siegte die Erkenntnis, dass es kaum Schrecklicheres gibt nach einer leicht
angetrunkenen Nacht, als abgestandener, lauwarmer Sekt. Etwas angewidert verzog ich
das Gesicht.
Um Katharina nicht zu wecken, krabbelte ich so leise und vorsichtig zum Rand des Hochbettes und spähte hinunter in den Raum.
Meine Kleidung lag halbwegs übereinander hingeworfen auf dem Boden, Katharinas
Sachen nicht minder verstreut. Mir dämmerte, dass wir es plötzlich sehr eilig gehabt hatten,
ins Bett zu kommen.
Ich kletterte die Leiter hinunter, grabschte nach meiner Unterhose, meinem Hemd und
Socken, meiner Hose.
Sicherlich musste es in der Küche doch etwas zu Trinken geben. Ich schien der Erste zu
sein, der den Weg aus dem Bett gefunden hatte. Das war mir ganz recht, denn ich verspürte wenig Lust jetzt mit Maria oder Rolf in Kontakt zu treten. Sie würden mir sicherlich
manch eindeutigen Blick zuwerfen, allein schon wegen der Lautstärke, die Katharina und
ich heute Nacht entfaltet hatten.
Barfuß tappte ich zur Küche und spähte hinein.
263
Leer - wie ich erwartet hatte.
Ich öffnete den Kühlschrank und suchte nach einer Flasche Mineralwasser. Doch es war
nichts Derartiges vorhanden. Nur eine Menge Lebensmittel, eine Flasche Ketchup und eine
Flasche Essig, nebst den üblichen Tuben und kleinen Döschen, die man sicher in jedem
Kühlschrank findet.
Rohe Eier waren jetzt auch nicht unbedingt meine Sache, denn sie löschten meinen Durst
nicht. Milch war nur als Dosenmilch vorrätig.
Mir kam der Gedanke, dass vielleicht in der kleinen Vorratskammer etwas zu finden sein
könnte. Ich schloss den Kühlschrank wieder und richtete mich auf.
"Möchtest du einen Kaffee oder lieber was zum Durstlöschen ...?“
Erschrocken fuhr ich herum und sah mich Maria gegenüber, in Hemd, Jeans und ebenfalls
barfuß, frisch geduscht, mit glatt ausgekämmtem, nassen Haar, - und so wach, wie man an
einem Sonntagmorgen nur sein konnte.
"Mein Gott ... hast du mich erschreckt ...“
"Wieso?“
Sie grinste breit und zwinkerte mir zu, dann kam sie auf mich zu, wünschte mir einen guten
Morgen.
"Ich dachte ihr ... ich meine ... du schläfst noch ...“
"Oh, ich bin schon lange wach“, sie nahm einen Wasserkessel, setzte ihn auf den Gasherd
und wies dabei mit der anderen Hand auf die Vorratskammer, wo ich wie erwartet einen
Kasten Mineralwasser fand.
"Rolf schläft allerdings noch ... wie ein Murmeltier."
"Katharina auch ...“
"Kein Wunder ...“
Ich war wirklich etwas verblüfft, hätte mich beinahe an dem ersten großen Schluck Wasser
verschluckt.
Maria grinste spitzbübisch, als ich sie fragend ansah, und das verriet mir sofort ihre
Gedanken. Mir brannte es auf der Seele herauszufinden, wie sie zu der vergangenen Nacht
stand, was sie darüber dachte, und was sie mit ihrer offenen Anspielung gemeint haben
mochte.
Doch brachte ich nicht genug Mut auf, sie offen danach zu fragen.
Maria schien voll beschäftigt damit Kaffee zu kochen, Tassen, Teller und Besteck auf den
Tisch zu legen. Ich bot ihr als Einstieg an, ihr beim Tischdecken zu helfen. Doch sie wies
mich lächelnd an, mich zu setzen, meinen Durst zu löschen und sie alleine arbeiten zu
lassen. Es machte ihr sichtlich Vergnügen das Sonntags-Frühstück vorzubereiten. Sie war
offenbar auch gut darauf vorbereitet, vielleicht in Absprache mit Katharina, denn sie holte
einen Rosinenstuten aus dem Schrank. Mir hingegen ließ der Anblick von Brot, Kaffee,
Käse, Marmelade, Butter, Eier und Stuten schon jetzt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Mein Magen begann sich richtig auf das Frühstück zu freuen.
"Mann ... hab ich einen Hunger ...“
"Das will ich dir wohl glauben ...“
"Wie ... wie meinst du das?“
Die Frage war heraus, ehe ich darüber nachdachte, und mein Interesse an Marias Gedankenstandpunkt offenbar ungebrochen. Sie wandte sich kurz zu mir um, grinste breit. Maria
fiel es sichtlich schwer, sich ein Lachen zu verbeißen, und sie hatte ein frech schelmisches
Blitzen in den Augen.
"Na ja ...“, erklärte sie mir wunschgemäß, aber mit leisem Kichern in der Stimme, "du hast
ja auch schwer gearbeitet ... heute Nacht ... und ... und lautstark ...“
"Waas?“
"Na, ist doch so ...“, Maria konnte ihr Lachen nicht länger zurückhalten, "ihr habt heute
Nacht ... mit eurem Lärm ... sicher das ganze Haus erfreut ...“
264
Meine Gesichtsröte hätte leicht für eine oder zwei Ampeln gereicht, denn ich fühlte mich,
als würden wahre Feuersbrünste aus meinem Gesicht schlagen. Schlagartig war meine
Kehle wieder wie ausgedörrt, während Maria fast an ihrem halb unterdrückten Lachen
erstickte.
"Waren wir ... wirklich so laut?“
Das war so ziemlich das Dämlichste, was ich dazu sagen konnte, - und Marias helles
Gelächter war die passende Antwort. Doch es war kein boshaftes Lachen, sondern
ansteckend fröhlich wie immer.
"Laut ist eine Untertreibung“, prustete sie glucksend los, "ich dachte eine Zeit lang, ihr ... ihr
benutzt Megaphone ...“
Mit so einer Antwort konnte sie einfach nicht erwarten, dass meine Verlegenheitsröte vielleicht wieder nachlassen würde. Doch sie kam zu mir, nahm mich in den Arm und
versicherte mir, dass es durchaus okay wäre. Sie und Rolf hätten allerdings noch nie so
lange Sex in einer Nacht gehabt.
"Immer ... wenn wir gedacht haben, das war´s“, grinste sie fröhlich, "dann habt ihr wieder
angefangen ... und wir natürlich auch ... Rolf hat das ganz schön angetörnt ...“
Sie setzte die Kaffeekanne auf ein Stövchen, gleich neben der Teekanne, stellte Eierbecher
auf und lachte mir dann über die Schulter zu.
"Nun kuck nicht so verlegen“, meinte sie aufmunternd, "kein Grund für ein schlechtes
Gewissen ...“, sie hielt einen Augenblick inne und hatte sichtlich Spaß an meiner Verunsicherung, "obwohl ich ... auch zugeben muss, dass es mich neugierig gemacht hat. Entweder bist du ... oder sie ist ein As im Bett ... Vielleicht war es gar keine so gute Idee, dass
ich nie was mit dir angefangen habe. Sie hat heute Nacht gebrüllt ... wie am Spieß ...“
Wir erkannten beide gleichzeitig die Zweideutigkeit hinter ihren letzten Worten, und brachen
sozusagen synchron in schallendes Gelächter aus, konnten uns kaum wieder beruhigen.
Es war ein Riesenspaß für uns, die leichte Peinlichkeit damit gebrochen.
Wir juchzten und kicherten ausgelassen vor uns hin.
Das rief offenbar Rolf auf den Plan, der etwas zerknautscht in der Küche ankam und sich
nach dem Lärm, unserer ausgelassenen Fröhlichkeit erkundigte. Allerdings konnte sein
Anblick in Marias rosa Morgenmantel unsere Heiterkeit nur noch erhöhen. Maria nahm ihn
in den Arm, küsste ihn zärtlich und fragte ihn, wie es mit dem Duschen, Anziehen und
einem ausgedehnten Frühstück stünde.
Dem hatte er in keiner Weise etwas entgegen zu setzen.
"Und klopf gleich mal bei Katharina an die Tür“, rief sie ihm beim Rausgehen nach, "das
Frühstück ist fertig!"
"Ich glaube, ich muss auch erst einmal duschen ... und wach werden ...“
"Gut ... dann weck du sie auf ...“
Ich kletterte die Leiter zum Hochbett hinauf, fand sie schlafend und glitt leise an ihre Seite.
Doch wenn ich geglaubt hatte, dass sie tief schliefe, dann sah ich mich getäuscht. Kaum
dass ich einen zärtlichen Kuss auf ihre Stirn gedrückt hatte, schlug sie auch schon die
Augen auf, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und gähnte ausgiebig.
"Guten Morgen."
"Hhhmm ... morgen ... Paul ... wie spät ist es ...“
Sie hatte sich nicht getäuscht, es war Zeit zu frühstücken.
Doch sie rollte sich noch einmal auf die Seite, gähnte erneut und fragte mich, ob wir denn
unbedingt dabei sein müssten.
"Maria hat sich solche Mühe gegeben ...“
"Na schön“, sie entschloss sich nun doch, hockte sich hin und fiel beinahe gleich wieder
um, was uns beide zum hellen Lachen reizte.
"Können wir nicht vorher ... noch mal ...“
"Nein, das Frühstück ist fertig ...“
265
Sie war nur gespielt enttäuscht, meinte aber, dass wir ohnehin warten müssten, bis Rolf mit
Duschen fertig wäre. Ich nahm sie in die Arme, kuschelte mich dicht an sie, was sie sofort
hörbar genoss.
Doch dann siegte erst einmal unsere Disziplin, denn Katharina hörte Rolf aus dem Bad
kommen, und so krabbelte sie nahe an den Rand des Hochbettes.
"Kannst du ... kannst du bitte vor mir runterklettern ...?“
"Gern ... warum?“
"Mir zittern die Beine ...“, gestand sie verlegen grinsend ein, "ich habe Angst abzustürzen ...
ich kann kaum zur Leiter ... krabbeln ...“
Ich brach in schnaubendes Gelächter aus und wollte vor ihr runter. Doch als ich sie so
nackt am Rand des Hochbettes hocken sah, das graue Licht des Fensters in ihrem Rücken,
das einen schwachen Lichtkranz um sie wob, - da konnte ich nicht anders. Ich sah ihre
Brüste vor mir, und legte mein Gesicht auf sie, grub mich richtig im Delta zwischen ihnen
mit dem Gesicht ein, wohlig grunzend. Katharina strich mir über den Kopf, meinen Rücken
und ich legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. Mit der anderen Hand strich ich sanft
hinauf zu ihrer Hüfte, hinüber zu ihrem Gesäß.
Katharina rührte sich nicht, lächelte mir nur warm zu.
Doch als ich mit der Hand zwischen ihre, wegen der Balance weit gespreizten Schenkel
griff, sog sie deutlich vernehmbar die Luft ein.
Da entschloss ich mich spontan wieder ein wenig mit ihr zu spielen, tauchte mit der Hand
tiefer, spürte krauses Haar an meinen Fingern, gleich darauf warme Feuchtigkeit und
weichschwitzige Hautfalten. Aufsteigende Ahnungen neuer Lust breiteten sich wellenförmig
in mir aus, und so tauchte ich schnell mit einem Finger in die Säfte jener Höhle, die mir als
verlockendes Paradies erschien.
Katharina hatte Mühe, einen Schrei zu unterdrücken, keuchte auf und warf sich spielerisch
gegen mich. Gleichzeitig rollte sie sich von mir weg, entzog so meinem Finger seinen
warmen Wonneplatz.
"Hör sofort auf“, wisperte sie mit hastigem Atem, und hielt sich selbst die eigene Hand als
Kühlung auf die warm durchblutete Wange, "sonst ... kommen wir nie zum Frühstück ...“
"Wir können uns doch selber frühstücken ...“
Sie lachte, ließ sich auf den Rücken fallen, hatte sichtlich ihren Spaß an meinem Gedanken. Doch sie zögerte, ehe sie sich wieder zu mir herumrollte, mir nahezu ernst das Gesicht
zuwandte, mit einem mühsam unterdrückten Grinsen.
"Kannst du denn nie ... genug bekommen?“ fragte sie mich mit gespielter Entrüstung, und
als ich nicht gleich antwortete, sondern nur lachte, fügte sie hinzu: "Ich kann auf keinen Fall
... genug ... von dir bekommen ...“
Noch ehe ich überhaupt reagieren konnte, nestelte sie meine Hose auf, zog den Reißverschluss herunter, zerrte mit beiden Händen am Hosenbund.
Ich brauchte keine weitere Einladung, zog mein Hemd aus, half ihr, meine Hose auszuziehen, meine Strümpfe. Als ich gerade die Unterhose abstreifen wollte, kam Katharina mir
zuvor, stieß mich heftig auf den Rücken und entfernte den letzten kleinen Rest von Stoff
von meinem Körper.
Ich wollte mich wieder aufrichten, sie in die Arme schließen. Doch Katharina stieß mich
erneut zärtlich vor die Brust, neigte sich gewandt über mich. Meinen aufkeimenden leisen
Protest erstickte sie mit einem leidenschaftlich wilden Kuss.
Meine Lüste waren wieder voll geweckt. Ich packte sie mit beiden Armen, ließ mich von der
aufsteigenden Raserei mitreißen und rollte mich mit ihr auf die Seite.
Vielleicht verlor sie für eine Sekunde die Orientierung, aber sie lachte hell auf, als sie
plötzlich auf dem Bauch vor mir lag, und versuchte sich wieder umzuwenden.
Doch da ging es mit mir durch.
266
Was als kleine lustvolle Balgerei erst vor wenigen Sekunden begonnen hatte, war plötzlich
tobende Begierde.
Ich sah, wie sie auf die Knie kam, sich zu mir umdrehen wollte, und war mit einer einzigen
Bewegung hinter ihr. Mit einer Hand drückte ich ihren Oberkörper auf das Bett, mit dem
anderen Arm umfasste ich ihre Taille. Für einen Moment, ehe ich heftig und ohne große
Zärtlichkeit in sie eindrang, schien sie fast erschrocken zu sein. Sie versuchte sich zu
befreien, weil sie auf diese entfesselte Gier einfach nicht vorbereitet war.
Doch ich hielt sie fest, drückte ihren Kopf ins Kissen und erstickte so ihren halblauten
Schrei, als ich begann mich in ihr zu bewegen, schneller und schneller.
Es lag mir völlig fern ihr wehzutun, aber ihre leichte Panik, ihr Widerstand und ihr Strampeln
stachelten meine Lust noch weiter auf. So nahm ich sie mit Kraft und Leidenschaft, hielt
ihre Taille umschlungen und hörte an ihrem tiefen, kehligen Stöhnen, dass sie nicht nur
genügend Luft bekam, sondern auch ihre eigene Lust hörbar genoss, gepaart mit einer
Spur freiwilliger Unterwerfung.
Es war das Erregendste, was ich mit ihr in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt hatte.
Keine noch so sinnlich lustvolle Begegnung konnte das aufwiegen, wie sie mir nicht nur die
Initiative überließ, sondern sich vollkommen darauf einstellte. Sie breitete sie Arme aus,
drückte sich kraftvoll mit dem Po gegen meine Beckenbewegungen. Schon nach wenigen
Augenblicken konnte sie die eigene Wonne nicht mehr ertragen. Sie stopfte sich ein großes
Stück Kissenzipfel in den Mund und brüllte so gedämpft ihre Lust aus Leibeskräften in das
Kissen.
Ich behielt dieses Mal die Wahrnehmung unseres Spiels, hörte ihr heiseres Aufschluchzen
der Leidenschaft, fühlte ihre konvulsivischen Muskelanspannungen, und steigerte noch das
Tempo meiner Bewegungen.
Nie hätte ich in diesem Augenblick damit gerechnet, dass sie unsere Verbindung trotzdem
beenden würde.
Aber sie tat es, mit einer ungeahnt gelenkigen Rolle nach vorn.
Im nächsten Augenblick war sie dann bei mir, schloss die Arme um mich, küsste mich voller
Zärtlichkeit und ließ sich mit mir schwungvoll auf das Bett fallen. Das Podest unter uns
ächzte kaum hörbar, während wir oben tobten.
"Warte ... warte mein Liebster“, flüsterte Katharina mir keuchend zu und strich mir zärtlich
über die Wange. Ihr Gesicht war ganz dicht vor meinem, sodass die Konturen ein wenig
verschwammen. Dennoch sah ich, wie ihre Lippen bebten und ihre Wangen flammend rot
gefärbt waren vor Begierde. Doch sie ließ nicht zu, dass ich sie erneut dominierte, blies mir
leise kühlen Atem ins Gesicht, strich damit über meine Stirn, und verhinderte mit zärtlichen
Fingern, dass ich erneut in sie eindringen konnte, - bis sie spürte, wie mein rasender Atem
sich wieder beruhigte.
"Langsam ... langsam ... Paul ...“, flüsterte sie mir noch einmal zu, und als ich aufbegehren
wollte, verschloss sie meine Lippen mit einem zärtlichen Kuss, beendete so meinen ohnehin erlahmenden Widerstand.
Ganz langsam beruhigten sich meine aufgewühlten Sinne, die drängende Dynamik
schwand aus meiner Begierde.
Katharina küsste mich zärtlich, strich mit den Fingerspitzen über mein Gesicht, küsste
meine Augenlieder, meine Nasenspitze, meine Lippen, strich mit sanfter Zunge über sie,
hob mit den Händen meinen Kopf in den Nacken, küsste auch meinen Hals. Sie strich mit
Zunge und Lippen über meinen Arm, hob ihn an, sog den Geruch unter meiner Achsel in
die Nase.
Ich glaubte erneut fast vor Verzückung durchzudrehen, als sie nur mit der Zungenspitze die
zarte, schweißfeuchte Haut liebkoste, dann weiter wanderte zu meinem Arm, wieder
zurückkehrte, meine Schulter küsste.
Ich wollte sie ebenfalls küssen, doch sie legte ihre Hand auf meinen Mund.
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"Pssssst ... ganz ruhig ... mein Liebster“, flüsterte sie mir zu und drückte mich zurück auf
das Bett, meinen Kopf in die Kissen, "genieß es einfach ...“
Also überließ ich mich ihren Zärtlichkeiten, schloss die Augen, spürte, wie Katharina sich
rittlings auf mich setzte, ihre Hände und Fingerspitzen wie ein kühlender Wind über meine
Haut strichen, meine Leidenschaften zügelte.
Ich fühlte ihre Lippen, die ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter über meine Brust wanderten, hier lustvoll, dort hauchfein liebkosten.
Sie war sanft wie ein taumelnder Schmetterling, entrückte meine Sinne in einen halbwachen Zustand, sodass ich erst gar nicht spürte, wo sie alles meine Haut mit Lippen und
Zunge erforschte, wo sie schmeckte und verweilte, denn ihre Hände und Fingerspitzen
schienen überall gleichzeitig zu sein.
Ich spürte sie wie ein Wind an meinen Seiten entlangstreichen, kräftiger auf meinem Brustkorb, zärtlich an meinem Oberschenkel, und dann plötzlich mit einer Hand fest und sanft
zugleich zupackend, umschließend meine Männlichkeit. Ich warf einen flüchtigen Blick zum
Fußende, sah Katharina mit konzentrierter Sitzhaltung, den Kopf leicht schief gelegt, als
würde sie meinem Atem lauschen. Sie strich mit einer Fingerspitze an meinem Penis entlang, bis oben zur Spitze, zog ihn dann zurück, roch und leckte an dem Finger.
„Bist du geil?“ fragte sie mich mit leiser schwerer Stimme.
Ich nickte erregt und fügte dann hörbar hinzu: „Hmmmh ...“
Sie schloss die andere Hand zärtlich um mein Scrotum, und bewegte plötzlich und unerwartet ihre umspannende Hand an meiner Männlichkeit mehrmals rasend schnell auf und
ab, sodass mir unwillkürlich ein kräftiges Stöhnen entfuhr.
„Pssst ... nicht schreien,“ sie kicherte beinahe vor Vergnügen über meine Reaktion.
Katharina lächelte wissend, strich erneut mit zwei Fingerspitzen an meiner Männlichkeit
empor, über die Spitze, schien jede Hautfalte zu ertasten, und leckte dann wieder mit rosaroter Zungenspitze an ihren Fingern.
Mir überschlug sich förmlich der Atem.
Wieder lächelte sie fast spitzbübisch, schien zufrieden mit dem, was sie schmeckte. Sie
wandte mir ihr Gesicht zu, lauschte still und machte es mir und sich selbst so zur Gewissheit, dass ich sie dabei beobachtete. Dann beugte sie sich nach vorn, küsste mit ganz
spitzen Lippen die breite Kuppe in ihrer umspannenden Hand, zögerte noch einmal, küsste
sie sofort erneut und grinste.
Ihre andere Hand strich jetzt zärtlich über meine Bauchdecke, ließ mich wissen, dass sie
jede meiner emotionalen Regungen auf diese Weise miterleben wollte.
Dann leckte sie ganz vorsichtig mit spitzer Zunge über die geküsste Stelle und nickte
lächelnd, als sie mein tiefes Stöhnen hörte. Sie wiederholte es noch einmal, erntete erneut
einen hörbares Echo ihrer Zärtlichkeit und spürte zweifellos, wie meine Bauchdecke vor
Erregung zitterte.
Katharina atmete tief durch, leckte noch einmal über die breite Kuppe meiner handumspannten Männlichkeit, dieses Mal jedoch intensiver und entlockte mir damit ein erneutes
Stöhnen und Erzittern.
Sie beugte sich ein wenig vor, berührte absichtsvoll wie ein Windhauch mit ihrem Oberkörper und Brüsten den meinen, legte mir ihre Hand vom Bauch auf die Lippen.
„Gefällt dir das?“ ihre Stimme vibrierte ein wenig vor Vergnügen an den Reaktionen, die sie
mir entlockte. „Pssst ... mein Liebster, nicht schreien ... auch wenn du geil bist“, sie kicherte
leise und ehe ich ahnte, was sie als nächstes tun würde, richtete sie sich wieder auf und
bewegte erneut ihre andere Hand um meine Männlichkeit schnell auf und ab.
Mir entfuhr ein halblauter Lustschrei, was Katharina wiederum ein amüsiertes Lächeln entlockte.
„Nicht schreien, mein Liebster“, wiederholte sie leise gurrend und schon massierte sie
erneut sanft und kraftvoll zugleich meine Männlichkeit. Ich hatte das Gefühl, dass jede
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Sekunde meine ganze Lust explodieren könnte. Das Herz hämmerte mir in der Brust, alles
Blut schien in die Lenden zu schießen.
Katharina bettete wieder ihre Hand auf meiner Bauchdecke, strich beruhigend darüber, bis
mein Atem wieder kontrollierter klang. Dann liebkoste ihre umspannende Hand erneut mit
schnellem Tempo und ließ mich tief aufstöhnen. Irgendwie schoss mir die Erinnerung in
den Kopf, was Katharina kurz vor den Höhepunkten ihrer Lust getan hatte, und so legte ich
mir die eigene Hand auf den Mund, um die Lautstärke meiner Reaktionen zu dämpfen.
Zwar konnte Katharina das nicht sehen, aber sie ließ keinen Zweifel daran aufkommen,
dass sie jede meiner Bewegungen genau registrierte.
Wieder bewegte sich ihre umspannende Hand auf und ab, aber dieses Mal langsamer und
noch lustvoller, während ihre Hand sanft über meinen Bauch glitt.
Ich hörte Katharinas leises Kichern, las das ungeheure Vergnügen aus ihrem Gesicht und
versuchte wieder zu Atem zu kommen, während sie erneut innehielt.
Zweifellos, sie spürte das Pulsieren in ihrer Hand und wusste sehr genau, was sie wann tun
wollte, wann sie ihr Spiel unterbrechen musste, um nicht vorschnell ein Ende zu erreichen.
Spielerisch nahm sie nun ihre Hand von meiner Bauchdecke, zeichnete mit einem Finger
meinen Penis nach, strich ganz langsam und bedächtig über die Kuppe, führte ihn dann
zum Mund und leckte mit rosiger Zunge daran. Sie lächelte versonnen, gönnte meinem
Leib wieder das sanfte Streicheln zur Beruhigung meiner tanzenden Nerven.
Es waren ihre Lippen und ihre Zunge, die mich nun süßer Qual aussetzten, meine Lüste mit
fantasievoll spielerischen Berührungen wie Springfluten hochschießen ließen. Wie Liebende miteinander spielen konnten, hatte sie selbst in der vergangenen Nacht erlebt, jetzt wollte sie die bestimmende Kraft dabei sein.
Mit geschlossenen Augen überließ ich mich ihr, genoss halb träumend und verzückt ihre
Entdeckungsreise in bisher für sie unbekanntes Terrain, auf dem sie ganz neue, lustvolle
Sinnenspiele entdeckte.
Sie kannte aus eigener Erfahrung hinlänglich mein Spiel aus rasender Erwartung und Hinhalten, aus Verzögerung und wechselnden Tempi, mit denen sie selbst immer wieder bis
dicht an die höchsten Klippen ihrer Leidenschaften herangetragen worden war. Jetzt spielte
sie dieses Spiel auf ihrer Entdeckungsreise, und es war unverkennbar, dass es ihr gefiel
und das sie es beherrschte. Manches schien ihr nahezu vertraut, anderes musste sie mit
ihrer Fantasie und ihrem Einfühlungsvermögen völlig neu erkunden.
Katharina strich mit ihrer anderen Hand immer wieder warm über meinen Bauch, fühlte so
die Anspannungen meiner Ekstase, und versuchte sie zu steuern.
War sie sicher, dass mein Atem ruhiger wurde, dass die Spannung unter ihrer Hand ganz
leicht abkühlte, so setzte sie ihr Spiel fort, trieb mich erneut bis ganz dicht vor den Gipfel
meiner Lust.
Nur, um dann sofort innezuhalten. Ich keuchte und stöhnte atemlos, krallte mich vor Lust in
das Bettlaken unter mir, lieferte mich Katharina voller Vertrauen rückhaltlos aus. Ihre
Lippen und ihre Zunge nutzten diese kleinen Atempausen zu zärtlichem Liebesspiel an
meinem Bauchnabel, der empfindsamen Haut an meiner Hüfte und an meinem Becken. Sie
entdeckte spielerisch meine emotionale Reaktion, wenn sie mit dem Finger die feuchte
Falte zwischen Oberschenkel und Männlichkeit entlangstrich, fand Vergnügen daran, ganz
behutsam und liebevoll mein Scrotum zu massieren.
Danach begann sie konzentriert von vorn, setzte fort, was sie angefangen hatte.
Ich wurde schier toll vor Verzückung, hörte mich nicht einmal mehr stöhnen und winseln,
hörte nicht meinen keuchenden Atem, ahnte nichts von meinem Betteln um Erlösung.
Katharina allein war es, die spielerisch meine Grenzen erforschte, die begierig darauf war
in diesem Spiel zu lernen, sich vollkommen ihrer Kontrolle über mich bewusst. Zufällige
Berührungen erkannte sie sofort als besonders lustvoll, wenn sie meine Reaktionen spürte,
- und weitete sie maßlos aus.
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Sie ließ mir keine Chance zu erkennen, wann es ihr genug schien.
Sie ließ mich absichtsvoll in diese Lustangst fallen, sie könnte dieses Spiel endlos fortsetzen, bis an den Rand der wahnsinnigen Verzückung, - bis sie mich ganz langsam und
konzentriert, aber auch unvermutet hoch in die schwindelndsten Höhen meiner Lustklippe
katapultierte.
Mit einer einzigen, hauchfeinen Berührung ihrer Zunge, noch während ihr warmer Mund
meine Männlichkeit umschloss, stieß sie mich leicht über den Rand hinaus, hörte mich mit
einem röchelnden Schrei fallen, und trank mich aus mit gierigen Zügen. Es riss mich förmlich mit dem Oberkörper vom Laken hoch, nur um sofort wieder zuckend zurückzufallen.
Keine Scham und kein fordernder Zwang vermochten sich zwischen uns zu stellen, keine
Befangenheit, keine moralischen Werte. Nur die Freiheit des Vertrauens, dass keiner von
uns beiden allein gelassen wurde im Augenblick der höchsten Verzückung, das alle Grenzen und Schranken überschritt.
Ich begann zu weinen, als mich meine eigenen Emotionsstürme überrannten, konnte und
wollte zugleich nichts dagegen tun. Mein ganzes Becken schien wie in Flammen zu vibrieren. In Katharinas warmen Armen fand ich mich aufgefangen und liebevoll gehalten, nach
Atem ringend und zappelnd wie ein aufs Land geworfener Fisch.
Katharina ließ mir alle Zeit, die ich brauchte, um meine Erregung ausklingen zu lassen.
Die Wogen begannen sich zu glätten, mein Atem wurde ruhiger, meine Umgebung bekam
wieder Konturen und klare Formen.
Wir genossen wechselseitig unsere Nähe, das Gefühl an einem Ort zu sein, der uns allen
Schutz und Sicherheit gewährte, wo uns nichts Böses geschehen konnte.
Schließlich küsste Katharina sanft meine Stirn, strich mir schweißverklebte Haare aus der
Stirn, genauso wie ich es oft bei ihr getan hatte. Ich kam mir überhaupt nicht unmännlich
vor, dass ich in ihrem Arm ruhte, statt umgekehrt. Katharina bedeckte mein Gesicht mit
vielen kleinen Küssen, ließ mich ruhen und erwachen in der Umhüllung ihrer Arme.
Von der Küche hörten wir Maria rufen, die uns ungeduldig fragte, ob und wann wir endlich
frühstücken kommen wollten, - und fingen beide leise an zu lachen.
"Wir kommen gleich“, antwortete Katharina ihr mit melodisch voluminöser Stimme. Sie
wandte sich dann mir zu, als ich sie fragte, warum sie das wollte, wo sie mir doch gesagt
hatte, sie habe das nie bei einem Mann getan.
"Das ... das hab´ ich auch nicht“, antwortete sie mir leise flüsternd, "denn ich wollte nicht ...
dass sie mich so nah berührten ...“, ganz zärtlich küsste sie meine Lippen, ehe sie fortfuhr,
"aber ich wollte, dass du mich berührst ... ganz tief berührst, was du auch getan hast. Ich
war neugierig ... ich wollte dich berühren ... auch ganz tief ...“
Sie schwieg nachdenklich für einen Augenblick, legte eine Hand auf meine Wange und
fesselte so meine Aufmerksamkeit.
"Es ist ... es war mir fremd“, erklärte sie mir leise und errötete tatsächlich ein wenig, "es ist
... seltsam ... irgendwie komisch ... aber auch ...“, sie suchte zögernd nach den richtigen
Worten, „es ist ungeheuer erregend ... Erst hatte ich kein gutes Gefühl ... sogar etwas
Angst ...“, gestand sie mit ihrer typischen Offenheit, "besonders vor dem Moment ... wo du
... wo ... es dir kommt ... Aber auf einmal ...“, lächelnd suchte sie fast verträumt erneut nach
Worten, "auf einmal habe ich nur noch dich erlebt ... und es sehr genossen. Ich wollte am
Liebsten gar nicht mehr aufhören ... weil ... weil ich spürte ... wie sehr ich dich erregen
konnte ... weil ich ... weil ich plötzlich unglaubliche Macht über dich hatte ... Ich habe mich
stark gefühlt ... und unbesiegbar ...“
Es fiel ihr hörbar schwer vor lauter Begeisterung ihre Stimme zu dämpfen. Sie schien es
gar nicht fassen zu können.
"Ich war richtig stolz auf mich ...“, gestand sie ganz aufrichtig, "denn, was da mit dir
geschah, das ... das war allein mein Werk ... Ich fand es toll ...!“
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Sie schwieg mit einem versonnenen Lächeln, und ich strich ihr über die glühenden Wangen, küsste ihre glänzenden Augen. Katharina seufzte zustimmend auf, strich mir zärtlich
mit den Fingern über die Lippen, hauchte einen Kuss in meinen Mundwinkel.
"Du bist wunderbar ...“, flüsterte sie mir zu, und ihre Stimme erzählte mir von ihrer inneren
Bewegtheit, "das ist genau das Gefühl, das ... das mich wirklich berührt. Du gibst mir das
Gefühl etwas ganz Besonderes zu sein, etwas ganz Erlesenes ... Ich kann dir gar nicht
sagen, wie gut mir das tut. Dafür liebe ich dich noch zusätzlich ... und ganz besonders ...“
"Du bist etwas Besonderes ...“
"Das hätte ich wohl eher sagen sollen“, erwiderte sie mit einem Strahlen im Gesicht, das
mich förmlich dahinschmelzen ließ, "ich habe weder vorher von einem Mann wie dir gehört
... noch habe ich jemals einen wie dich kennengelernt."
"Ich fühle mich aber gar nicht als etwas Besonderes."
Katharinas Worte machten mich verlegen, riefen Unsicherheiten in mir auf, dass ich vielleicht unmännlich wäre, untypisch und keineswegs normal, wie man es von einem Mann
erwartete.
"Das mag schon sein ... und ist auch gut so ...“, erwiderte sie und ließ meine Bedenken
nicht gelten, "aber mit dir Liebe machen, ist wie ... ist wie ein rauschendes Fest, auf dem
ich der Stargast bin, für den das alles ganz allein erschaffen wurde ... nur um mich zu ehren
... Ja, so fühle ich mich mit dir ... wie auf einem rauschenden Fest nur für mich ...“
Schweigend ließ ich ihre Worte in mir nachklingen, und wollte sie eine Zeit lang in mir
überdenken.
Aber nicht an diesem Morgen, denn Maria würde jeden Moment stinksauer werden, dass
sie sich all die Mühe gemacht hatte, wir aber nur unser erotisches Frühstück zelebrierten.
Katharina erschrak fast, als sie sich wieder darauf besann, und riss grinsend die Hand vor
den Mund.
"Guten Morgen ... mein Kuscheltier ...“, lachte sie mich fröhlich an, "los ... los raus aus dem
Bett ... das Frühstück ist fertig ... du Lustmolch ...“
Wir kletterten schnell und ohne weitere Verzögerung vom Hochbett herunter. Katharina
ging zu dem alten Bauernschrank und reichte mir ein großes Handtuch.
"Du seifst mich unter der Dusche ein“, schlug sie mir grinsend vor, "und ich seife dich ein ...
dann geht es schneller ...“