Mr. Israel - Jüdische Allgemeine

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Mr. Israel - Jüdische Allgemeine
SHIMON STEIN
Mr. Israel
Shimon Stein paart Diplomatisches mit Witz und Offenheit. Ein
Abschiedsgruß
05.07.2007 - von Josef Joffe
von Josef Joffe
Früher, als es weder Telefon noch Email gab, haben Botschafter noch richtig Außenpolitik
gemacht – man denke nur an Otto von Bismarck in St. Petersburg. Oder noch früher an
Benjamin Franklin in London und Thomas Jefferson in Paris. Heute aber hängt sich Frau Merkel
ans Telefon, um direkt mit den Bushs und Putins dieser Welt zu plaudern, derweil die Botschafter
einen allzu großen Teil ihrer Zeit damit verbringen müssen, Geschäftskontakte zu stöpseln oder
den Quartiermacher für anreisende Politiker zu spielen.
Shimon Stein, der nach sechs Jahren im September Berlin verlässt, ist einer der Letzten des
klassischen Gewerbes. Im Dienst ist er „twenty-four/seven“, wie man auf Englisch sagt, praktisch
rund um die Uhr, und sieben Tage in der Woche. Nur zwei Arten von Pausen gönnt er sich: den
täglichen Gang ins Fitness-Studio und den regelmäßigen Konzert- und Opernbesuch quer durch
Deutschland; da kennt sein Terminkalender keine Gnade. Ansonsten aber ist er ständig „auf
Achse“, und dies nicht nur in Berlin, sondern auch in den kleinsten Kaffs der Republik, wo er
unermüdlich für und über sein Land spricht.
In Berlin gibt es gewiss „gewichtigere“ Botschafter – die Gesandten aus Amerika, England,
Frankreich, Russland, China ... Aber sind sie auch bekannter als Shimon Stein? Der Mann muss
nebenher noch ein paar Klone von sich zu laufen haben, denn irgendwie kennt ihn jeder, der im
weitesten Sinne mit Politik und Wirtschaft zu tun hat – und nicht nur in der Hauptstadt. Sein
Handy ist sein Büro. (Räumlich gesprochen ist sein Büro das „Einstein“ in der Kurfürstenstraße
und dessen Ableger Unter den Linden; sein Hauptnahrungsmittel ist Espresso.) Stein duzt sich
mit Ministern und Abgeordneten; wahrscheinlich hat kein Botschafter in Berlin so viele
Handy-Nummern von den Großkopferten gespeichert wie er. Und wahrscheinlich hat keiner den
raschen, verlässlichen Zugang, den er bekommt – von der Bundeskanzlerin abwärts.
Dies ist umso erstaunlicher, als Israel hierzulande nicht gerade ein Darling der politischen Klasse,
inklusive der Medien, ist. Er spüre die „fehlende Empathie“, sagte Stein 2005 zum 40. Jahrestag
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der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Das Bild Israels sei „eindimensional negativ“. Und
doch hat Stein bei der Sisyphus-Arbeit nie verzagt, ohne je der Versuchung zu verfallen, seinen
deutschen Gesprächspartnern nach dem Munde zu reden. Seine Freunde ahnen, dass er, ein
unabhängiger Kopf, nicht alles gut heißt, was seine Regierung sagt oder tut. Aber bei aller
Gedankenschärfe und Lust am schweißtreibenden intellektuellen Match vergisst er nie, dass er
„Mr. Israel“ in Berlin ist – die Stimme seines Landes.
Warum schätzen sie ihn dann alle? Weil er diplomatische Verbindlichkeit mit Witz und Offenheit
paart; er ist kein Mann der vorgestanzten Floskeln, der sich an der jeweiligen Aktenlage entlang
hangelt. Er redet „Tachles“ und springt plötzlich mühelos ins Ironische oder Selbstironische. Das
lernen sie nicht auf der Diplo- matenschule, das ist Shimon Stein, das Naturtalent. Und deshalb
ist diesem außergewöhnlichen Diplomaten so manches Bravourstück in den Verhandlungen mit
seinen deutschen Partnern gelungen.
Die Zeit von 2001 bis 2007 ist die zweite Tour des ehemaligen Fallschirmspringers in
Deutschland. Seine Auslandskarriere begann er 1980 als Botschaftsrat in Bonn. Später bekannte
er: „Dänemark wäre mir damals lieber gewesen.“ Es war trotzdem ein guter Griff, die Vorstufe für
den Botschafterposten in Berlin, den er so glänzend wie effektiv ausgefüllt hat. Seine
Außenministerin Zipi Livni wollte, dass er noch ein Jahr bleibt. Das ist das beste Kompliment, das
sie ihm zollen konnte, wenn man bedenkt, wie viele andere Anwärter nach Berlin drängen, in die
Hauptstadt, die nach Washington der zweitwichtigste Posten ist, den Jerusalem zu verge- ben hat.
Der 59-Jährige bleibt im Auswärtigen Dienst, nimmt sich aber eine Auszeit. Die hat er sich nach
seinem Rund-um-die-Uhr-Job in Berlin wahrlich verdient. Und wir werden noch von ihm hören.
Vorläufig aber hinterlässt er sehr große Schuhe in der Botschaft an der Auguste-Viktoria-Straße.
Und eine noch größere Schar von Fans zwischen Bundeskanzleramt und Bad Hersfeld. Schalom
und Auf Wiedersehen, Herr Botschafter.
Der Autor ist Herausgeber der „Zeit“. Zuletzt erschien von ihm „Die Hypermacht. Warum die USA
die Welt beherrschen“ (Hanser).
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