Klinke 36_Layout 1 - FSP - Förderkreis Sozialpsychiatrie eV Münster

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Klinke 36_Layout 1 - FSP - Förderkreis Sozialpsychiatrie eV Münster
Klinke
Literatur und Psychiatrie in Münster
Jahresausgabe 2011 / Nr. 36
kostenfrei zum mitnehmen
10. Irrlichter Lesung
Sonntag, 08. Mai 2011, 19.00 Uhr Klinke live!
Studiobühne Münster, Domplatz 23a
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Die KLINKE ist eine Zeitschrift aus
dem Psycho-Sozialen Zentrum.
Die KLINKE erscheint einmal im
Jahr. Namentlich gekennzeichnete
Artikel geben nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wieder.
Über das Verstehen
Interview mit der Therapeutin Frau Moser
Auftritt der Irrlichter
Der Dichter und die Psychiatrie / Teil 4
Ein Klavier, ein Klavier!
Gedichte
Urlaub in Schoorl / Der Hai
Zurück aus Island
Ausflugsziel Berlin
Sinn und Wahrheit / Gedicht..
Frauenfreizeit 2010 / Gedichte
Unbekanntes Mädchen
Gedichte
Interview mit dem Theater Sycorax
Zum Theaterstück „Kommt ein Mann zur Welt“
Wahnsinn im Staatstheater Kassel
Bürgerlied
Buchbesprechung: Depressionen
Ausgesucht und zusammengestellt...
Lene in Not
Mutterland – Vaterland / Im Wartestand
Später mal ein Kind / Sinnespark
Der Mann...
Kommission zur Förderung der Inklusion
Der Hausidiot / Gedankengut
Für Loba
Ein Neues Outing tut Not
Verhältnis psychisch Kranker zu Ihrer Umwelt
Mit der Krankheit umgehen
Klinke und Irrlichter in einem Taschenbuch
Gedicht / Umzug PSZ
LeserInnenbriefe, Kommentare und
Rückmeldungen sind erwünscht!
Anschrift:
Die KLINKE
c/o Psycho-Soziales Zentrum
Geiststraße 2 - 4
48151 Münster
Tel. 0251/39937-0
E-Mail:
[email protected]
Treffpunkt der Redaktion:
Donnerstag 17.15 – 18.45 Uhr
Cafe Paul (Geiststraße 49 – 51)
Auflage: 1500
Redaktion (im engeren Sinne,
neben vielen externen “Textlieferanten“) dieser Ausgabe:
Hans-Jürgen Blümel, Regina Borgerding, Nina Burmeister, Jens
Dombrowski, Jürgen Knoch, Eduard
Lüning, Gerd Potthoff, Dieter
Radtke, Jürgen Rath, Anke S., Regina Schmick, Vera Schnieder, Martin Schröer, Regina Seehausen,
Thomas Speich, Andreas Stork,
Charlotte Tözlin
Internetbetreuung:
Christoph Aschenbrenner
Verantwortlich:
Michael Winkelkötter
Dank an:
Petra Wagner
Illustrationen:
Jens Dombrowski, Jürgen Knoch,
Thomas Riesner, Ingo Wabnik
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Uns gibt es auch online: www.muenster.org/klinke
Seite 2: Nina Burmeister
Vormerken:
Titelbild: Gerd Potthoff
Fotos: Jens Dombrowski, Ralf Emmerich, Gerd Potthoff, Jürgen Rath,
Anke S. , Regina Seehausen
Lesung der Irrlichter in der Studiobühne der Universität
Münster, Domplatz 23 a
Sonntag, 08. Mai um 19.00 Uhr,
Eintritt: ermäßigt 4 €, Vollzahler 6 €
Sie können die Arbeit der Klinke-Redaktion tatkräftig
unterstützen!
Wenn Ihnen die aktuelle Ausgabe gefallen hat und Sie uns aktiv helfen wollen, auch in den
nächsten Jahren weiterhin für die Belange von (ehemals) psychisch kranken Menschen
einzutreten, dann freuen wir uns über eine Geldspende, die direkt für die Arbeit der Redaktion
(Druckkosten, Satztechnik, Arbeitsmaterialien usw...) verwandt wird.
Spendenkonto: Förderkreis Sozialpsychiatrie e. V., Bank für Sozialwirtschaft, Bankleitzahl
370 205 00, Stichwort: „Klinke“, Konto Nr. 72 24 200
Klinke 3
Über das Verstehen
Ein kleiner lyrischer Essay
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir uns einlassen, müssen zuhören, hinhören,
unvoreingenommen sein, mit unverstelltem Blick, neugierig,
frei von Vorstellungen und vorgefassten Meinungen,
weil wir nur so bereit sein werden, das zu sehen, was ist.
Wenn wir wirklich verstehen wollen, brauchen wir Mut,
den Mut, Bekanntes loszulassen, Fremdes wahrzunehmen, neue Wege zu gehen, Neuland zu betreten.
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir stark sein,
stark genug, um das Neue, das Unbekannte aushalten zu können.
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir achtsam sein,
dürfen uns nicht aus lauter Geltungssucht ein vorschnelles Urteil bilden
und aus Überheblichkeit bewusstseinslos Phrasen herunterbeten.
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir weise sein,
weise genug, um zu wissen, dass wir nichts wissen.
Wir müssen wissen, dass das, was wir wissen, provisorisch ist,
und nur ein Tropfen, gemessen an dem Ozean unseres Nichtwissens.
Wir brauchen Mut und Stärke, um unsere Unwissenheit aushalten zu können.
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir uns gewahr sein, dass die Welt jenseits unseres Horizontes unermesslich
groß ist und dass das, was wir mit unserem kleinen Geist zu erfassen vermögen, im Vergleich zum Ganzen allenfalls die Größe einer Erbse hat,
und uns dennoch stetig und aufrichtig bemühen, weiter hinaus zu schauen.
Wenn wir verstehen wollen, müssen wir demütig sein.
Wir dürfen nicht dem Irrglauben verfallen sein,
wir seien dem zu Verstehenden überlegen.
Es braucht Mut, innere Stärke und Weisheit, diese Ebenbürtigkeit aushalten zu können.
Wer das zu Verstehende nicht als gleichwürdig zu sich selbst anerkennt, wird es niemals verstehen lernen.
Wenn wir verstehen wollen, dürfen wir uns nicht vormachen, etwas verstanden zu haben, das wir in Wirklichkeit
nicht verstanden haben,
denn dann machen wir uns allenfalls ein Bild.
Ein Bild aber entspricht dem, was wir bereits in uns tragen und nicht dem, was es zu verstehen gilt.
Dann werden wir in die Irre gehen und das vermeintlich Verstandene, das falsche Bild, mit uns nehmen,
wie die schlechte Kopie eines Kunstwerkes,
werden es in einem Fach unserer Vorstellung ablegen,
in das es nicht hineingehört.
Wenn wir wirklich verstanden haben, machen wir uns keine fachgerechten Bilder mehr
und brauchen keine Fächer für die Bilder in uns.
Denn was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr,
dann braucht es nicht mehr die Flucht in ein blind übernommenes Wissen,
kein ängstliches Verschanzen hinter einem hermetisch abgeschlossenen Denksystem,
welches trügerisch Halt und Sicherheit verspricht.
Wenn wir wirklich gelernt haben, von innen her, aus uns selbst heraus zu verstehen,
dann können wir wahrhaftig helfen, dann können wir wahrhaftig heilen.
Dann können wir selbstständig auf unseren eigenen Füßen stehen
und selbstbewusst aus unserem eigenen inneren Wissen schöpfen.
Wer heilen will, muss verstehen lernen,
und verstehen lernen heißt lieben lernen.
Denn nur die Liebe, nichts als die Liebe heilt wirklich.
Regina Seehausen
Klinke 4
Entstehung psychischer Erkrankungen ist immer
vielschichtig
Klinke:
Worin sehen Sie die Ursachen einer psychischen
Erkrankung?
Moser:
Früher waren Psychiater eher von einer biologistischen Sichtweise geprägt. Dies hängt natürlich
auch mit deren Ausbildung zusammen. Psychologen hingegen betonten immer sehr stark den sozialen Aspekt bei der Entstehung einer psychischen
Erkrankung. Ich denke, dass beide Disziplinen mittlerweile voneinander gelernt haben und gewissermaßen aufeinander zugegangen sind. Es ist jetzt
unstrittig, dass es für die Entstehung und auch für
die Behandlung einer psychischen Erkrankung multifaktorielle Erklärungsansätze geben muss und entsprechend auch die Behandlung auszurichten ist.
Moser:
Manchmal ist bei psychischen Erkrankungen eine
gewisse familiäre Vorbelastung anzunehmen. Oft
sind es Belastungen und schwierige Lebenssituationen, die in der Kindheit und Jugend auftreten.
Manchmal jedoch, und dies ist meine Erfahrung, ist
das Auftreten einer psychischen Erkrankung ohne
nachvollziehbare Vorbelastung festzustellen.
Klinke:
Was halten Sie vom sog. „Stress-Vulnerabilitätsmodell?
Klinke:
Bedarf es bei psychisch kranken Menschen eines
anderen Zugangs als bei Menschen in einer Krise?
Moser:
Das Modell liefert sicherlich eine gute Erklärung für
die Entstehungsbedingungen von psychischen Erkrankungen. Aber wie eben bereits gesagt: Nicht
immer ist ein Stressor auszumachen.
Moser:
Jeder Mensch kann in schwierigen Lebenssituationen in eine Krise geraten. Es zeichnet eine Krise
aus, dass es sich um eine vorübergehende Leidenssituation handelt. Eine solche Krise kann oft mit
Hilfe einer Psychotherapie bewältigt werden, wenn
sich eine Behandlungsnotwendigkeit abzeichnet.
Dies ist aber längst nicht immer erforderlich. Psychische Erkrankungen hingegen „verschwinden“
nicht einfach wieder sondern benötigen oftmals eine
längere und auch wiederkehrende Behandlung.
Bei Ängsten, Depressionen oder bei einer Zwangserkrankung z.B. hilft oftmals eine Psychotherapie.
Dabei spielt es natürlich eine Rolle, wie schwer ausgeprägt und wie lange die Störung vorhanden ist
und ob sich der Patient oder die Patientin auf eine
Behandlung einlassen kann. Bei Psychosen gibt es
unterschiedliche Verläufe. Ich kenne Patienten, die
mehrere psychotische Episoden hatten und danach
auch ohne Medikamente ausgekommen sind. Wieder andere lernen durch eine Psychotherapie, besser mit der Erkrankung umzugehen. In der Regel
aber ist bei diesen Erkrankungen eine medikamentöse Behandlung notwendig.
Klinke:
Können Sie bitte den Unterschied zwischen Psychotherapeuten und Psychiatern erklären?
Und wie erleben Sie die Zusammenarbeit dieser
beiden Berufsgruppen?
Moser:
Psychiater sind Ärzte, die das Fach Medizin studiert
haben und den Schwerpunkt „Psychiatrie“ gewählt
haben. Psychologen dagegen haben das Fach Psychologie studiert. Bei ärztlichen Psychotherapeuten
und psychologischen Psychotherapeuten hingegen
gibt es ein und dieselbe Zusatzausbildung: eben die
zum Psychotherapeuten. Diese Ausbildung unterscheidet sich nicht. Die Zusammenarbeit von Psychiatern und psychologischen Psychotherapeuten
hat sich in den letzten Jahren meiner Erfahrung
nach verbessert. Diskutiert wird derzeit eine Erweiterung der Kompetenzen der psychologischen Psychotherapeuten im Hinblick auf „ krank schreiben“
und Verordnung von z.B. gängigen antidepressiven
Medikamenten. Derzeit ist dies noch nicht möglich
und muß immer von einem Arzt übernommen werden.
Klinke:
Welche Rolle spielt das Alter bei psychischen Erkrankungen? Es ist häufiger zu lesen, dass psychotische Erkrankungen im Alter nicht mehr so stark
ausgeprägt sind. Ist dies auch Ihre Erfahrung?
Klinke:
Ist die Psychiatrie derzeit nicht zu sehr an Erklärungsmodellen interessiert, die wir als biologistisch orientiert bezeichnen würden – d. h. das
Entstehen einer psychischen Erkrankung auf biologische Vorgänge im Körper zu reduzieren ohne soziale Aspekte zu berücksichtigen?
Moser:
In meine Praxis kommen immer mehr Menschen im
fortgeschrittenen Lebensalter. Es ist mein Eindruck,
dass Depressionen hier im Vordergrund stehen. Das
Alter bringt ganz spezifische Belastungen mit sich,
die manchmal auch eine psychotherapeutische Behandlung notwendig machen. Bei Menschen mit
Klinke 5
psychotischen Erkrankungen ist es auch meine Erfahrung, dass die Beeinträchtigungen etwas in den
Hintergrund rücken.
schreiben? Welche Rolle spielt die Geschlechtszugehörigkeit bei psychischen Erkrankungen?
Moser:
In meine Behandlung kamen früher mehr Frauen als
Männer. Dies hat sich aber zwischenzeitlich verändert. Männer haben offenbar gelernt, besser über
ihre Probleme und Gefühle zu sprechen. Mittlerweile
suchen genauso häufig Männer die Unterstützung
durch eine Psychotherapie. Allerdings unterscheiden sich die Probleme zwischen den Geschlechtern.
Bei Männern sind es häufig Existenzängste, Probleme am Arbeitsplatz oder Burn-Out-Symptome,
während bei Frauen Ängste und Gesundheit, Partnerschaft und Familie in Vordergrund stehen. Aber
auch hier gibt es Angleichungsprozesse.
Klinke:
Nach der Veröffentlichung von Aderhold zur erhöhten Sterblichkeit nach der Einnahme von Neuroleptika stellt sich für viele Psychiatriepatienten die
Frage, ob diese Medikamente eigentlich viel zu
schädlich sind und eine (langfristige) Einnahme abzulehnen ist.
Moser:
Es ist schon länger bekannt, dass die langjährige
Einnahme von Neuroleptika gesundheitliche Beeinträchtigungen mit sich bringen können. Es ist immer
ein Prozess der Abwägung, ob diese Medikamente
eingenommen werden müssen oder nicht. Es gibt
gute Gründe und Erfahrungswerte, weiterhin bei der
Behandlung von Psychosen auf Neuroleptika zu
setzen. Neuere Medikamente sind inzwischen deutlich nebenwirkungsärmer.
Klinke:
Vielen Dank für dieses Interview!
Klinke:
Unterscheiden Sie in Ihrer Arbeit in die Kategorien
psychisch krank / psychisch gesund?
Moser:
Diese Kategorien definiert zum einen jeder für sich
selbst. Solange sich jemand selbst annehmen kann
und subjektiv zufrieden ist, stellt sich in der Regel
auch nicht die Frage nach Krankheit oder Gesundheit. Erst wenn Leidensdruck entsteht, kommt auch
der Begriff der Krankheit ins Spiel. Schwieriger ist
es da bei Menschen, die sich selbst als gesund erleben, allerdings die Umwelt sehr stark unter diesen
Menschen bzw. deren Verhalten leidet. Dies ist häufiger bei Menschen der Fall, bei denen aufgrund der
Erkrankung eine Einsicht in Behandlungsbedürftigkeit fehlt. Hier bedarf es eines sensiblen Umgangs
mit dem Bedürfnis und Recht nach Selbstbestimung und der Fürsorgenotwendigkeit.
Zur Person:
Barbara Moser, Jahrgang 1957, ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin. Barbara Moser hat seit 1996 ihre Praxisräume in
Münster-Hiltrup. Davor arbeitete sie in der LWL-Klinik Lengerich wie auch in der dortigen Institutsambulanz, Schwerpunkt: Arbeit mit Menschen, die
sowohl eine geistige Behinderung wie auch eine
psychische Erkrankung haben.
Klinke:
Gibt es einen Unterschied in der Arbeit mit Männern
und Frauen? Können Sie die Unterschiede bitte be-
Klinke 6
Glanzvoller Auftritt der „Irrlichter“
Die Studio-Bühne war am 2. Mai 2010 beim Auftritt
der „Irrlichter“ (KünstlerInnen aus dem Umfeld der
Psychiatriezeitschrift „Klinke“) gut besucht, über 60
BesucherInnen verhalfen dem neuen Auftrittsort zu
einem gelungenen Einstand.
sparsam eingesetzter Dramatik vor. Viele Akteure
wären noch zu nennen, erwähnt werden soll hier nur
Bernhard Fechner mit sensibler und melodischer Gitarrenbegleitung, die für die nötigen Atempausen
sorgte.
Michael Winkelkötter führte durch ein abwechslungsreiches Programm, von Kabarett über nachdenkliche Lyrik bis zu Kurzgeschichten, die unter die
Haut gingen, wurde vielerlei für das Publikum geboten, das dafür nicht mit Beifall sparte.
Michael Winkelkötter konnte ebenso wie die KünstlerInnen und BesucherInnen mit dem Ablauf des
Abends zufrieden sein. Als Chefredakteur der
„Klinke“ engagiert er sich schon seit rund 20 Jahren für die Öffentlichkeitsarbeit von Psychiatrie-Erfahrenen, um in der Gesellschaft Aufmerksamkeit
für ihre Anliegen zu erlangen und der noch vorhandenen Ausgrenzung und Stigmatisierung entgegen
zu wirken. Die „Klinke“ selber existiert schon seit
1977 und ist somit eine der ältesten deutschen Psychiatriezeitschriften und eine der wenigen, die unabhängig von einer stationären Einrichtung sind. Mit
der gelungenen Irrlichter-Lesung Nr. 9 wurde die Erfolgsgeschichte weiter geschrieben, zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
Besonders Regina Seehausen als Putzfrau Frau Kaltebier, die einen Mann im Ohr hat, sprich Tinnitus,
der aber fälschlicherweise unterstellt wird, Stimmen
zu hören, konnte mit ihrem neuen Kabarettstück
wieder manchen Lacher ernten.
Jens Dombrowski trug Widmungsgedichte für Hölderlin, Rilke und Benn sowie jeweils ein Originalgedicht der genannten Dichter auswendig und mit
Dieter Radtke
Frau Kaltebier jetzt auf YouTube
In dem Kabarettstück
„Find’st Dich beim Psychiater ein,
kommst kränker raus als vorher rein“
live während der 9. Irrlichter-Lesung
am 02. Mai 2010
in der Studiobühne Münster
www.kaltebier.ds-vision.de
(Die kölsche Putzfrau „Frau Kaltebier“ erzählt, während sie die Bühne putzt,
von ihrem merkwürdigen Besuch bei dem Psychiater Dr. Schmalspur……)
Klinke 7
Der Dichter und die Psychiatrie
(Teil 4: Zwei die sich brauchen:
der Hypochonder und der Pathologe- ein Briefwechsel)
Erster Brief des Hypochonders
Sehr geehrter Pathologe,
ich hab da mal eine Frage:
ist die Krankheit eine Droge,
und Gesundheit eine Sage?
Auch die Heiler, andrerseits,
haben oft ein kleines Ego;
unterhalb des Halbgottkleids
spielen viele noch mit Lego.
Denn es sitzt, hab ich gelesen,
mancher Mensch – trotz Schöpfungskrone,
tief in seinem innern Wesen
gar nicht gern auf seinem Throne.
Geh ich Ihnen hier zu weit,
oder stimmt es, was ich sage?
Ihre Antwort, die hat Zeit
– noch besteht kein Grund zur Klage.
Voller Angst hinabzusteigen
quälen ihn Gesundheitsmythen;
an den neuronalen Zweigen
treibt der Wahnsinn bunte Blüten.
Schönen Gruß, Ihr Hypochonder!
Die Antwort des Pathologen
Hypochonder, guten Tag!
Vielen Dank für Ihre Zeilen!
Ihre Analyse mag
gar ein Stück ihr Leiden heilen.
Viele Kranke, ihrerseits,
sind doch gerne unsre Kunden;
als Gewinn des Selbstmitleids
legt man „Liebe“ auf die Wunden!
Doch es herrscht auf dieser Welt
– so auch in der Medizin,
nun einmal das große Geld
– dem kann keiner sich entzieh n.
Mag der Brief auch Schmerz bereiten
wünsch ich Ihnen doch nur Gutes;
dass sie auch in schweren Zeiten
fröhlich sind und guten Mutes.
Und so dient die Krankheitslehre
bald nur noch dem Kapital;
dass sich sein Profit vermehre
wird Gesundheit oft zur Qual!
Gott zum Gruß, Ihr Pathologe!
Klinke 8
Zweiter Brief des Hypochonders
Pathologe, kann es sein,
ist der Mensch vielleicht ein Zwitter
– als Patient das Burgfräulein,
und als Arzt der weiße Ritter?
Leuchtet nicht in unserm Leiden
dann erst hell des Guten Stern,
um das Böse zu vermeiden
auf dem Weg zu unserm Herrn?
Beide spielen ihre Rollen
im Gesundheitsgrenzverkehr;
um die Heilung zu verzollen
muss ja erst die Krankheit her.
Hiermit will ich Abschied nehmen
und den Schweinehund besiegen;
widme mich den schönen Themen,
die mir so am Herzen liegen.
Dramen und Tragödien
sind doch schon seit Alterszeiten
(mehr noch als Komödien)
Dinge die uns Lust bereiten.
Freundlich grüßt Ihr Hypochonder!
Die Antwort des Pathologen
Hypochonder, jetzt ganz ehrlich:
bleiben Sie mal auf dem Boden
– abzuheben ist gefährlich
in den Krankheitsepisoden!
Trägt die Medizinerzunft
langsam auch groteske Züge
– noch entscheidet die Vernunft
im Gesunheitsdienstgefüge.
Wenn ich Sie da recht verstehe,
hat das Leiden diesen Sinn:
in der Arzt- Patientenehe
steigert es den Lustgewinn.
Dieses bitte nie vergessen
(auch wenn Sie der Wahnsinn schafft):
handeln Sie niemals besessen
– dazu wünsch ich Ihnen Kraft!
Dass die Krankheit eine Quelle
eines echten Ethos ist,
gilt wohl nicht für alle Fälle
– auch gesund bin ich ein Christ!
Leb’n Sie wohl, Ihr Pathologe!
Jens Dombrowski
Klinke 9
Ein Klavier, ein Klavier!
Der Pianist
(für Roland Halemba)
Sitzt ein Mensch vor einem Kasten,
tanzt mit seinen Fingerspitzen
über schwarz- und weiße Tasten
– dringt Geräusch aus allen Ritzen.
Sitzen Menschen, meist auf Stühlen,
lauschend um die zwei herum;
sich dem Meister nah zufühlen
bleiben ihre Münder stumm.
Wenn er’s kann, was oft der Fall,
ist Musik das Endergebnis;
und mit einem lauten Knall
endet unser Tonerlebnis.
Das verstimmte Klavier
Ein Instrument von Meisterhand
war wohl für Höheres bestimmt;
doch keiner je ein Mittel fand
– es war nie wirklich gut gestimmt.
Jens Dombrowski
„Ach, wenn ich doch ein Flügel wär ,
– so groß und elegant geschwungen,
schon gäb ich schöne Töne her,
– da wär mein Leben glatt gelungen.“
Es spielte mal, ganz ohne Ziel,
ein Kind auf unserm Piano;
es kitzelte der neue Stil,
– da waren plötzlich beide froh.
Jens Dombrowski
Klinke 10
The Köln Concert
Frédéric Chopin
(für Keith Jarrett)
Ich höre ihn, und möchte meinen:
er spricht von wunderschönen Sachen;
die Töne tanzen selbst im kleinen
Prelude, dass alle Herzen lachen.
Es ist vom ersten Ton an Zauber
(der Dichter hält den Atem an);
ich bin für heute Kurzurlauber
– und frage: wer ist dieser Mann?
Ein Pianist, der ihn belebt,
darf das auf seine eig’ne Weise;
doch wenn er nicht nach Höh’rem strebt
bleibt er allein auf seiner Reise.
Doch sein Gesicht spielt keine Rolle,
(mein altes Ich wird neu durchdrungen);
ich treibe auf der CD-Scholle,
bis auch der letzte Ton verklungen.
Der Dichter, der das Ganze sieht,
spricht leider nur zu Minderheiten;
doch weil es mich zur Schönheit zieht
wird er mich stets ein Stück begleiten.
Your music is a way of life,
a magic rhythm flows beneath;
in endless ocean I will dive
– so play it once again, oh Keith!
Jens Dombrowski
Jens Dombrowski
Herbstbeginn
Früchte fallen vor die Füße
mir von Gottes Lebensbaum;
von der Sonne Abschiedsgrüße
– golden glänzen Zeit und Raum.
Und ich löse von den Dingen
mich für Gottes Lebenslicht;
denn es wird ein zähes Ringen
mit des Winters Eisgesicht.
Doch im ewig jungen März
wartet Gottes Lebenslust;
und so schlägt mein reifes Herz
ungerührt in meiner Brust.
Jens Dombrowski
Klinke 11
Abwesenheit
30.04.2010
Kein Gedicht über Liebe
Die Liebe wartet
Am fremden Ufer –
Unendlich fern
Ein Blick aus Deinen Augen
Der meinen Blick
Niemals kreuzt –
Und Du lachst immer
Einen Augenblick zu spät
Steine
Die Stadt ist ein Labyrinth
Abertausend Augen
Denen ich verfallen bin
05.05.2010
Die Zärtlichkeit der Steine –
Sie saugen sich voll
Mit Wärme
Wenn die Sonne
Auf sie scheint
Ich – ein Jäger
Mit einer untauglichen Waffe –
Ein hässlicher bitterer Blick
Steht mir ins Gesicht
Geschrieben
Steine –
Sie träumen vom Tod
Weil sie selbst nicht leben
Und trotzen Witterung
Und Verfall
Es gibt nur ein Gedicht
Welches mich schöner malt –
Das letzte ungeschriebene Gedicht
Auf den Grabsteinen –
In den Lüften
Bis auch sie zerrieben werden –
Staubiger Sand im Getriebe
Und im Räderwerk
Der Uhren
Und immer setze ich
Neu an zu Irrgärten –
Verschlungenes Material – Worte
Niemand findet in mir
Ein Ziel
Staub von toten Steinen
Liegt zärtlich in der Luft
Er weht in alle Fugen
Und bedeckt als gelber Teppich
Die Welt
Nur die Fragen schweben
Anmutig in der Luft
Über dem Häusergewirr der Stadt
Dieter Radtke
Ich atme Staub
Und spüre – ich lebe noch
In der festgefügten
Und flüchtigen Zärtlichkeit
Der Steine
Dieter Radtke
Klinke 12
Wasserspiele
02.05.2010
Die Fährte führt
In den Fluss
Ich folge ihr
Bis tief ins Wasser
Ich werde ein Fisch
Und lebe und vergesse
Der Prophet
Und Flugzeuge fallen
Und schweben sacht
In den Wolken
Die sich spiegeln über mir
In der Oberfläche
Des Wassers
16.10.2010
Das Ende der Zuversicht –
Mein Herz ist eine offene Wunde
Gras wächst über Ruinen
Ich träumte vom Tod
Und sah blühendes Leben
Kinder baden und ich umspiele
Ihre schmalen Füße
Und sie rufen
Wenn sie mich bemerken:
Da ist ein Fisch
Leer sind die Kirchen
Um Mitternacht im Regen
Der Türmer von Lamberti
Begrüßt den neuen Tag
Und ich tauche tief
Immer tiefer ins Vergessen
Bis ich selbst das Vergessen bin
Und Wasser und Wolke
Und alles und nichts
Dieser Tag ist rot angestrichen
Im Kalender – Hauptgewinn
In der Lotterie des Lebens
Dieter Radtke
Und Kinderlachen in der Stube
Die Haare aber werden grau
Orkane rasen über die Erde –
Ausgedörrt und wüst
Der Prophet will sich nähren
Von Heuschrecken und wildem Honig
Die Bienen aber sind tot
Die Seelen verkauften sich
An die Welt flimmernder Bilder
Der Rufer in der Wüste –
Er hat sich isoliert
Durch die Taubheit und Blindheit
Durch ein wagemutiges Wort
Dieter Radtke
Klinke 13
Einsame Gestalten
Krepieren nach Auschwitz
01.01.2010
30.07.2010
„Trab Trab“
Waren die verspotteten
Helden meiner Jugend –
Du bist krepiert
Er sie es sind krepiert
Die große keifende Frau
Und der kleine Mann
Mit der brüchigen Stimme –
Ihr seid krepiert
Sie sind krepiert
Ich und wir leben
Auf Messers Schneide
Bepackt mit Einkaufstaschen –
Im Bahnhofsbereich verstrickt
In endlosen Zwist
Horrorfilme lehren uns:
Krepieren ist schön
Jetzt lacht man
Verstohlen über mich –
Jemand nannte mich
„Feldmaus“ –
Mein Gedicht
Ist mein Messer
Ins Herz der Welt:
Ich krepiere
Den unscheinbaren Dichter
Mit den glühenden
Gedichten der Vergeblichkeit
Millionenfach
Im Herztakt aller Toten
Ihr aber:
Begrabt nicht die Hoffnung!
Der Menschen
Ein Denkmal setzt
Die es eigentlich nicht verdienten
Die Zeit der Horrorfilme
Ist eine schnell-lebige Zeit
Dieter Radtke
Dieter Radtke
Lichtrettung
Vision
22.10.2010
25.10.2010
Traumverloren fand ich mich –
Ich war Ritter
Der traurigen Gestalt –
Das Herz pochte immer laut
Vor Empörung und Liebe
Am Grunde meiner Seele
Wohnte das Tier mit den Hörnern
Eine Spinne kroch aus meinem Leib
Eigensinn aber knechtete
Und warf mich zurück –
Im Keller isoliert
Musste ich mich ducken
Deine Hände schlossen sich
Zur Faust
Und angststarrend sah ich
In das Wolfsauge des Feindes
Der Kampf mit mir
Zerriss mich im Innersten
Bis ich im Abgrund
Nur noch beten konnte
Verzweifelt erhoben im Traum
Fand ich das Gegenglück –
Jenes geistige Gold –
Leuchtende Substanz der Heilung
Und doch: ich wusste mich
Nicht verlassen –
Beflügelt –
In schimmernder Rüstung
Durchstieß ich die Gitter
Der äußeren Welt
Am Horizont des neuen Morgens
Brach sich Sonnenlicht
An Tieren und Untieren
Und schien neu und verwandelt
In mein inneres Auge
Und fand die Rettung in mir –
Jenen göttlichen Kern –
Ewiges Licht meiner Seele
Am Ende sah ich:
Dem Wunder die Hand hinhalten
Ist schön und kostbar
Dieter Radtke
Der Kelch der Finger öffnet sich
Und empfängt Dein Blut
Der Berührung
Dieter Radtke
Klinke 14
Urlaub in Schoorl
An einem Montagmorgen fuhren wir vom PSZ aus nach Schoorl an der Niederländischen Küste. Wir waren zwanzig Leute und drei Betreuer. Die Fahrt dauerte fünf Stunden. Wir bezogen Quartier in einem Feriengruppenhaus. Wir
blieben fünf Tage dort. Die meisten von uns liehen sich Fahrräder aus; andere fuhren mit dem Bus. Wir gingen zum
Strand und in die Stadt. Wir fuhren nach Bergen und Alkmaar. Wir sahen die Fußball-WM, eines Abends haben wir
gegrillt
Am Freitag fuhren wir wieder zurück.
Es war ein schöner Urlaub!
Hans-Jürgen Blümel
Schoorl
Krisenjahr Zweitausendzehn.
Urlaub auch in schweren Zeiten,
um mal wieder Licht zu sehn
– mag es meine Seele weiten!
Ja, das ist es was uns fehlt:
für die Zukunft die Vision;
täglich uns der Abstieg quält,
und von „Oben“ klingt s wie Hohn!
Bergen, Schoorl und Alkemaar,
und ein Badetag am Meer,
sind ein Pluspunkt für das Jahr
– ach, was fällt der Abschied schwer!
Jens Dombrowski
Der Hai in der Türkei
Nachdem meine beiden Freunde sich aus der Türkei verabschiedet hatten, wollte ich alleine das gegenüberliegende Dorf erkunden, gegenüber dem
Hafenbecken, ca. 1 km entfernt.
look down!“ Außerdem machte er ein Photo. Ich befolgte die Anweisung und richtete meinen Kopf weiter nach oben. Am Ufer angekommen sagte jemand
„Nice photo“. In Münster angekommen, legte ein
Freund mir ein Photo aus einer Zeitschrift vor. Es
handelte sich offenbar um jenes, welches der Mann
im Flugzeug geschossen hatte. Es zeigte meine Wenigkeit, wie ich nach oben schaute. Unter mir befand sich ein ungefähr 5 m langer Hai mit einem
scheußlichen Gebiss. Der Mann im Boot und der im
Boot und der im Flugzeug haben mir das Leben gerettet. Ich vergaß die Episode bis vor einigen Monaten. Es war bestimmt immer derselbe Hai, der bei
Flut im dunklen, vermüllten Hafenbecken nach Nahrung suchte.
Peter Birkhoff
Also schwamm ich los. Auf halbem Wege kam mir
ein Schnellboot entgegen, in dem zwei Einheimische saßen. Der eine rief: „Fleet is dangerous, shark
is coming!“ Ich machte mich sofort auf den Rückweg. Unterwegs spürte ich etwas am rechten Fuß.
Es konnte eine kalte Meeresströmung sein oder
etwas, worüber ich lieber nicht nachdenken wollte.
Als ich noch so 200 m vom Ufer entfernt war, flog
ein Sportflugzeug über mich hinweg, in dem ein
Mann an der offenen Seitentür stand. Er rief: „Don’t
Klinke 15
Zurück aus Island
gern würde. Ich richtete mir ein Tagebuch ein mit
einer bestimmten Anzahl von Seiten für jeden Reisetag, um einerseits eine Schreibblockade zu überwinden und andererseits einen Schreibrausch zu
vermeiden.
„Reisen ist doch eine wunderbare Form, der Seele
bei der Arbeit zuzuschauen.“ so schrieb Jens Clausen mir als Widmung in sein Buch ,Das Selbst und
die Fremde‘, das ich als Vorbereitung für meine Islandreise gelesen habe und über das ich eine Rezension in der Klinke 2009 schrieb.
Die Reise begann mit einem Bad in der Blauen Lagune, einem der fünf schönsten Bäder der Welt. Den
Höhepunkt erreichte mein Islandaufenthalt am
sechsten Tag, bei der Umrundung eines Berges in
der Vulkanzone; aus Erdlöchern kam heiße Luft. Ich
hob einen Lavastein auf und legte ihn wieder zurück
mit den besten Wünschen für mich und die Welt.
Danach fühlte ich mich begleitet von Engeln und
Elfen.
Wie auch sonst so manches Mal in meinem Leben
habe ich bei diesem Urlaub hoch gepokert: 20 Jahre
lang habe ich davon geträumt, 10 Jahre lang dafür
gespart und in 7 Jahren über 30 Bücher gelesen, die
ich mit Island verband.
Mein Hauptmotiv für die Reise war, mich in einem
Land wiederzufinden, in der ein Magmaherd nur
2200 m unter der Erdoberfläche sich bewegt und
das zu einer Jahreszeit, in der die Nächte nur drei
Stunden lang sind.
Auf dem absoluten Tiefpunkt der Reise war ich, als
wir am siebten Tag stundenlang bei starkem Sturm
auf einer Piste durch die Hochlandwüste fuhren.
Während eines Stopps stolperte ich über einen
Stein und stürzte; zum Glück bekam ich dabei nur
ein paar Schürfwunden an den Händen. Zu dem
Zeitpunkt war es gut, in einer Reisegruppe zu sein,
die fürsorglich, freundlich und friedlich war.
Immerhin schrieb ich ein kleines Testament auf, falls
ich nicht lebend zurückkehren würde. Auch nahm
ich Tabletten von meinem Psychopharmakum für
sieben Wochen mit, falls wegen Widrigkeiten wie
einem Vulkanausbruch sich meine Rückreise verzö-
Zwei Tage später lachte mein Herz wieder und ich konnte Reykjavik erobert.
Als Souvenirs nahm ich u.a. einen Wollpullover und eine CD ,Vikivaki‘ mit Volksmusik mit nach Hause. So wie ich mich
kenne, werde ich die meisten isländischen Namen und Orte vergessen. Meine
umfangreichen Notizen und Fotos werden mein Gedächtnis stützen. Die
Freude, so eine Reise machen zu können,
soll mir helfen, Ärger und Verdruß demnächst im Alltag zu begegnen.
Anke S.
Klinke 16
Ausflugsziel Berlin
Kurfürstendamm, Brandenburger Tor.
Abends sind wir in einer sehr gemütlichen Pizzeria
gewesen. Ich ging wieder früh schlafen. Am Mittwoch stand die Besichtigung des Plenarsaals auf
dem Programm. Achim kannte eine Dame von den
Grünen, von der waren wir zum Gratismittagessen
im Plenarsaal eingeladen.
Ich sah dem Tag der Abfahrt nach Berlin sehr gespannt entgegen. Ein Freund sagte mir, ich solle ihm
einen Berliner Bären mitbringen. Wir trafen uns morgens um 9.00 Uhr, zur Abfahrt um 10.00 Uhr gings
los. Ohne Stau fuhren wir bis Berlin. Die Spannung
auf Berlin wuchs. Wir fuhren in den Grunewald ein.
Berlin gefiel mir sehr gut. Ich hatte sie mir viel industrieller vorgestellt. Berlin hatte den Charakter von
Münster.
In Berlin Grunewald waren wir im St. Michaelhaus
untergebracht. Die Pension war ein bisschen bescheiden, aber dafür billig. Den ersten Abend machten wir in Berlin nichts anderes mehr als zu essen.
Ich ging schlafen, ich war sehr müde.
Ich finde es ein bisschen komisch, dass die Politiker
trotz ihrer hohen Diäten auch noch gratis Essen kriegen. Nach dem Essen lauschten wir einer Fragestunde zu. Wir hätten aber lieber eine Debatte
gehört. Ich habe mir den Plenarsaal viel größer vorgestellt. Berühmte Politiker haben wir leider nicht
gesehen.
Am nächsten Morgen gings nach dem Frühstück zur
Spreefahrt per Schiff. Sightseeing durch Berlin. Es
war beeindruckend.
Mittags sind wir zu einem schönen See gefahren
und haben Kaffee getrunken. Das Ende des Tages
wie üblich mit Essen, heute chinesisch.
Dann sind wir in der Straßenbahn verschiedene Sehenswürdigkeiten angefahren:
Donnerstag fuhren wir nach Potsdam Sanssouci besichtigen. Leider nur von außen, der Eintritt war so
teuer. Den letzten Abend beendeten wir beim Italiener. Abends saßen wir noch im Biergarten zusammen.
Freitagmorgen war
die Abfahrt näher
gerückt.
Für meinen Bekannten hatte ich
leider keinen Berliner Bären gefunden. Als letztes
kaufte ich noch
Ansichtskarten.
Der Nachhausweg
ging wieder ganz
problemlos – staufrei.
Charlotte Tözlin
Klinke 17
Sinn und Wahrheit
Wer lügt, weiß die Wahrheit,
doch ich kenn’ sie nicht.
Was immer von Wert scheint,
dass in mir was aufkeimt –
ich trau’ keinem Licht.
Es lässt sich erhärten,
dass zehn ungleich acht.
Doch so ist’s mit Werten:
Sie mehrfach sich kehrten
und kehren sich noch.
Die Welt zerfließt stetig –
Gestirn treibt dahin.
Es ist nichts befestigt.
Gält’ ein Wert doch ewig!
Er stiftete Sinn.
Wer straft, sich gut auskennt,
doch ich kenn’ kein Recht.
Wer irgendwas auslegt,
der irrt, weil’s nicht feststeht.
Ich glaube ihm nicht.
Zwar nicht zu bestreiten
ist greifbarer Tand,
doch Völker sich scheiden:
Moral kann nicht einen
durch ungleichen Stand.
Der Glanz eines Wertes –
man oft damit blufft.
Denn scheinbar Gerechtes,
aus Gier man verficht es
und so manch’ Leid schafft.
Herrscht Gott, so herrscht Weises –
ist beides geklärt?
Denn mit welchem Maß misst
ein Gott, was denn wahr ist?
Er hätt’s uns gelehrt!
Das Hirn erbringt Weises
und Wissen, so scheint’s.
Doch ungewiss bleibt es,
welch’ Ethos birgt Wahres –
drum wahrscheinlich keins.
Ich wühle nach Werten,
nach währendem Sinn.
Ich will darauf setzen,
dass mit solchen Schätzen
auch ich wertvoll bin.
Ich trau’ keinem Wert.
Trät’ Sinn doch zutage!
Birgt ihn wohl ein Traum?
Ersehne, recht bange,
die Kunst und die Gabe,
das Wahre zu schau’n.
Jürgen Rath
Der Stern
Gelassen sein –
sich lösen von der Last,
dass minder erscheine
sie, wenn sie so fern ...
Es weise tun:
das Glück erspür’n mit Rast.
Es nähert sich nun –
am Grund glänzt ein Stern ...
Jürgen Rath
Klinke 18
Frauenfreizeit 2010
Mit 9 Frauen und 3 Betreuerinnen vom PSZ fuhren
wir am 17. Mai 2010 los in Richtung Eiderstedt,
Schleswig-Holstein. Nach guter Fahrt kamen wir an
unserem Ziel an: ein großes reetgedecktes Haus
und eine große Wiese mit zwei Strandkörben. Das
Haus war ganz aus Holz und wir hatten Doppel- und
Dreibettzimmer. Wir kochten für uns selbst und
saßen im Esszimmer an der langen Tafel gemütlich
zusammen
Welch ein Glück, dass wir als Betreuerin eine gelernte Physiotherapeutin dabei hatten, so waren die
Abende mit Rücken-, Igel- und Fußmassage ausgefüllt bei schöner Musik.
Der dritte Tag war ein Sonnentag, an dem wir
draußen frühstückten und dann nach St. Peter-Ording fuhren. Dort verbrachten wir den Tag im
Strandkorb und mit Spaziergängen am Meer und
mit Muschelsuchen. Das Meer war 11 Grad kalt.
Am ersten Abend gingen wir ans Meer auf die Promenade und zwei Frauen gingen mit bloßen Füßen
ins Meer; das war kalt und erfrischend! Einen Tag
machten wir einen Ausflug nach Friedrichstadt, wo
viele Tee- und Souvenirläden waren. Wir kauften
noch jede Menge Fisch fürs Abendessen.
Am Abreisetag frühstückten wir wieder draußen und
waren uns einig: Das war ein schöner Urlaub! Hier
kommen wir noch mal wieder hin!
Regina Borgerding
Eine Psychose ist...
im Flugzeug über dem Meer
über den Wolken dahinziehen
die Wolkendecke als
Schneelandschaft wahrnehmen
und die geschlossene Gesellschaft
verlassen,
um im Schnee zu
wandern
Anke S.
„Bild Zweier“
Ich hege tiefes Vertrauen zu Dir
Aber ich zweifele oft –
An mir ·
Die Blume am Wegrand
Das Lächeln der Wegblume
Zwischen Bürgersteigbordstein
Und
Straßenrinne/ -gosse entwachsen
Anvertrautes Anvertrauen
Anheimgegeben
Liebevoller Blick
Hingabe ·
Was gebe ich?
Streift an mir vorüber
Streift mich und streift zu mir ·
Bild zweier
Mädchen mit dem unbekannten Namen
Fremde in meinen Armen
Andreas Stork – VlothoFestival
„Umsonst und Draußen“ 1978
·
Klinke 19
Unbekanntes Mädchen
Mädchen mit den blauen Augen
Hast mich um den Schlaf gebracht
Bis zum frühen Morgen
Habe ich nur an dich gedacht
Diese Nacht ist wie verklärt, im Radio
Spielen sie schon seit Stunden wehmütige Lieder
Ich denke nur noch an dich, ich sehne mich so
Wann sehe ich dich endlich wieder
Ich kann dich nicht mehr vergessen
Bin vor Liebe ganz aufgeregt
War selbst noch im Traum von dir besessen
Die Sehnsucht hat mich wieder aufgeweckt
Müde geht das alte Jahr
Draußen fällt schon der erste Schnee
Ich wünschte du wärest jetzt da
Denn die Sehnsucht tut so weh
Jürgen Knoch
„Unbekanntes Mädchen · Zeichnung: Jürgen Knoch
Klinke 20
nicht so
es hätte angefangen
werden können
das Sein
im Jetzt
wir singen ein Lied
sagen uns
das kann sein
Das Leben
es hätte begonnen
zu fragen
was sei
mit Dir
zu singen
ein Lied
und warten
bis wir froh
Ingo Wabnik
ich liebe Dich
und sehe zu
dass Du feierst
immerzu
Klinke 21
Der Fantasie der Zuschauer Flügel geben
Interview mit Monika Korn, Simon Schwering, Johannes Beyer, Ina Krüll, Paula Artkamp und Manfred Kerklau vom
Theater Sycorax
Klinke:
Bitte schildern Sie uns, wie die Theatergruppe
Sycorax entstanden ist
Altersstruktur ist weit gefächert, es können junge
und auch ältere Menschen mitmachen. Insgesamt
darf das Ensemble aber nicht mehr als 15 Menschen umfassen, da wir ansonsten einfach nicht
mehr gut miteinander arbeiten können. Neben dem
Ensemble gibt es noch viele weitere Bereiche, die
Sycorax ausmachen. Wir denken dabei an die Regiearbeit, die durch Paula Artkamp und Manfred
Kerklau gemacht wird, an das Bühnenbild, die Kostüme, die Öffentlichkeitsarbeit. Da wir einen hohen
künstlerischen Anspruch verfolgen, muss auch das
Licht und die Musik sehr professionell sein.
Sycorax:
Am Anfang stand bei Paula Artkamp die Idee, ein
integratives Theaterprojekt, zusammengesetzt aus
psychisch kranken Menschen und Menschen ohne
Psychiatrieerfahrung, zu gründen. Aus diesem
Grund sind verschiedene psychiatrische Kliniken
angefragt worden, ob grundsätzlich eine Zusammenarbeit vorstellbar wäre. Die Resonanz auf diese
Anfrage war sehr bescheiden. Schließlich ist die
Idee im Psycho-Sozialen-Zentrum positiv aufgenommen worden. Von dort wurde Interesse an einer
Zusammenarbeit signalisiert. Zu Anfang sollte uns
von Seiten des Psycho-Sozialen-Zentrums noch ein
„Psychiatrie-Profi“ zur Seite gestellt werden. Doch
nachdem eine Mitarbeiterin ein Mal an einer Probe
teilgenommen hatte, wurde darauf verzichtet. Es
war wohl deutlich geworden, dass diese Idee auch
ohne „Psychiatrie-Profis“ umzusetzen ist.
Klinke:
Welche Rolle spielt es bei Sycorax, ob jemand der
Mitspieler oder Mitspielerinnen eine psychische Erkrankung hat – ist dies vielleicht sogar eine Voraussetzung?
Sycorax:
Nein, eine Voraussetzung ist dies sicher nicht. Wir
fragen nicht danach, ob jemand Psychiatrieerfahrung hat. Dies ist für unsere Theaterarbeit auch nicht
wichtig. Wir wissen aber voneinander, dass einige
aus dem Ensemble betroffen sind.
Dem Ensemble war es von Anfang an wichtig, dass
nicht ständig die „psychiatrische Brille“ aufgesetzt
wird und alles und jedes in irgendeine psychiatrische (Krankheits-) Kategorie einzuordnen ist. Daher
war es wichtig, auf die Mitarbeit von „PsychiatrieProfis“ zu verzichten.
Klinke:
Wie gelangt man in das Ensemble und was sind die
Voraussetzungen, mitzuspielen?
Sycorax:
Wenn wir ein neues Projekt planen, dann sind auch
immer Interessierte eingeladen, sich bei uns vorzustellen. Dies machen wir z. T. auch öffentlich bekannt. Natürlich ist es auch möglich, sich bei uns zu
bewerben. In den anstehenden Übungen und Proben schauen wir dann, ob eine Zusammenarbeit
möglich ist. Jede(r) geht unterschiedlich mit der Erfahrung um, auf der Bühne zu stehen. Dies ist nicht
für jeden etwas. Das Wichtigste ist natürlich, Spaß
und Freude an der Theaterarbeit mitzubringen. Aber
das ist natürlich nicht alles. Der oder diejenige muss
auch in das Ensemble passen, menschlich gesehen.
Grundvoraussetzungen sind Zuverlässigkeit und
auch Kontinuität und die Bereitschaft, sich auf diese
spezielle Situation einzulassen. Natürlich ist es beim
Theaterspielen wichtig, sich Abläufe merken zu können. Textsicherheit kommt dann noch dazu. Vorerfahrungen in der Theaterarbeit sind aber keine
Voraussetzung.
Klinke:
Wie finanziert sich das Theater Sycorax?
Sycorax:
Für das Theater Sycorax gibt es keine Regelfinanzierung. Für jedes Projekt müssen neue Gelder beantragt werden. Das Theater ist ein eingetragener
Verein und Mitglied im Paritätischen. Finanziell werden wir u. a. von der Stadt Münster und dem Förderkreis Sozialpsychiatrie e. V. unterstützt. Auch gibt
es einen gemeinnützigen Förderverein „Sycorax“.
Klinke:
Wieviel Stücke habt Ihr bisher aufgeführt und was
bedeutet eigentlich Sycorax?
Sycorax:
Sycorax ist der Name einer Hexe aus William Shakespeares Stück „Der Sturm“, welches wir auch
aufgeführt haben. Sycorax klingt auch wie ein Medikament, von daher haben wir diesen Namen für
gut geeignet gehalten. Das Theater Sycorax hat seit
1996 insgesamt 16 Stücke aufgeführt, die nächste
Produktion ist in Planung.
Klinke:
Wie setzt sich das Theater Sycorax zusammen?
Klinke:
Wie groß ist der „Aufwand“ der Mitarbeit? Die
Stücke sind immer sehr gut gespielt und inszeniert –
überhaupt macht das Theater einen sehr professionellen Eindruck.
Sycorax:
Der Anteil von Frauen und Männern ist ungefähr
gleich groß. Da immer auch Veränderungen im Ensemble stattfinden, schwankt es entsprechend. Die
Sycorax:
Das ist richtig. Wir arbeiten sehr intensiv und auch
professionell. In der „heißen Phase“, d. h. beim Entstehen eines neuen Stückes, proben wir 1 – 2 x in
Klinke 22
der Woche, meistens an den Wochenenden. Das
Lernen der Texte muss noch dazu gerechnet werden. Für einige Rollen ist Gesang wichtig. Dass
muss dann noch extra geübt werden. Da kommt einige Zeit zusammen. Es ist gut sich das vorher bewusst zu machen.
serer Gesellschaft. All das, was in unserer Gesellschaft ein Thema ist, kann auch bei Sycorax zum
Thema gemacht werden. Ein politischer Anspruch
steht nicht im Vordergrund. Wenn wir uns aber mit
der Gesellschaft beschäftigen, dann bedeutet dies
sicherlich auch mit der Politik. Der Reichtum unserer Theaterarbeit ist es, die Fantasie des Zuschauers beflügeln zu können. Dabei wollen wir sicherlich
auch unterhalten, dies aber mit einem klaren künstlerischen Anspruch. Die Regie achtet darauf, dass
sich die Zuschauer auch in dem Stück wieder finden können.
Klinke:
Hilft das Theaterspielen bei der Bewältigung einer
psychischen Krankheit oder einer Krise? Gibt es
vielleicht auch einen therapeutischen Ansatz in der
Theaterarbeit?
Sycorax:
Zum therapeutischen Anspruch gibt es ein klares
Nein. Den verfolgen wir mit unserer Theaterarbeit sicher nicht. Wir haben einen künstlerischen Anspruch. Zu Beginn des Theaterprojektes wurde von
Psychiatrie-Profis die Befürchtung geäußert, dass
die Arbeit sogar schädlich sein könnte. Die Erfahrungen zeigen aber klar, dass dies nicht zutrifft. Im
Gegenteil. Mit der Theaterarbeit ist bei fast allen ein
„Wachsen“ verbunden. Die Arbeit gibt Selbstbewusstsein. Jede(r) wird so genommen, wie sie oder
er ist. Das Entstehen eines Stückes ist auch ein
großer persönlicher Erfolg, ein persönlich sehr schönes Ereignis. Hier kann entsprechend Selbstbewusstsein wachsen. Alle sind stolz auf das Ergebnis, über
den sehr positiven Zuspruch des Publikums.
Klinke:
Sycorax spielt vor allen Dingen im Theater Pumpenhaus. Wie ist das zu erklären?
Sycorax:
Das Theater Pumpenhaus ist der langjährige Kooperationspartner unseres Theaters. Die Zusammenarbeit ist sehr erfreulich, die Bühne gut für
unsere Vorstellungen geeignet. Dies wollen wir auch
in der Zukunft weiter fortsetzen.
Klinke:
Kennt Ihr auch das Bühnenprogramm der Klinke,
die „Irrlichter“?
Sycorax:
Ja, die Irrlichter sind uns bekannt. Wir haben einige
Aufführungen gesehen. Auch Ihr arbeitet sehr professionell und überzeugend. Die Irrlichter sind sicherlich eine gute Ergänzung zu Eurer
Zeitungsarbeit.
Klinke:
Welche Themen werden bei Eurer Theaterarbeit aufgegriffen? Versteht Ihr Eure Arbeit auch politisch?
Sycorax:
Das Theater und die gespielten Stücke haben unterschiedliche Themen. Es geht dabei z. B. um Arbeitslosigkeit, also auch um soziale Themen. Wir
verstehen unsere Theaterarbeit als Spiegelbild un-
Klinke:
Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Euch
weiterhin viel Erfolg mit Eurer Theaterarbeit!!!
Klinke 23
Zum Theaterstück „Kommt ein Mann zur
aufgeführt von der Theatergruppe Sycorax
(Theater im Pumpenhaus Ende Oktober 2010)
Welt“,
Teil 1
Führung entlassen, ging es ans Shoppen und auch
Brunos Lied lief im Radio. Der Lebensberatung Pro
Vita-Fen musste er zwar gestehen, manchmal einfach tot sein zu wollen, aber es ertönte ein Stimmenchaos aus dem Off und die neue Parole: new
track, hey Massenpublikum.
Ein Mann kam zur Welt, aus den Tiefen des Mutterschoßes oder aus chilenischer Erde (wie Zeitungen
nach dem Grubenunglück titelten), es wurde dargestellt als beschwingte Nummernrevue, als Parforceritt durch das Leben von Bruno Benjamin Raphael
Stamm, er war auch nur ein Mensch, heißt es am
Schluss … und er handelte und irrte unter der Begleitung eines Chaos sich widerstreitender Stimmen. Vom eigenen Vater ungewollt, wurde er zur
Welt gebracht und wuchs gut behütet auf. Erste Liebeswirren und das Heranreifen zum Mann fanden
Ausdruck im Refrain eines Liedes: sie hat ihm den
Kuss gegeben, mir aber nicht.
Wechselfälle des Lebens – auf der Suche nach der
entschwundenen Suse wird Bruno in der Erotikabteilung fündig, wo Suse gerade eine Peitsche für
ihren Freund kaufen möchte. Wiedergefunden und
verloren wird das Glück, bei der harten Arbeit in der
Kiesgrube schweigen die Stimmen, Bruno ist frei,
aber hat alle Lieder vergessen. Am Ende lauern Altern und Sterben – das Lied mit Refrain „dumm – in
den Himmel kumm“ hat ungeahntes Hitpotenzial,
vor dem Absturz in Alzheimer gibt es noch ein bisschen Luxus und Erinnerung an schöne Momente,
der Tod wird schön sein – „Ich höre auch nichts
mehr“ und „Er war auch nur ein Mensch“ – aber wer
hat diese Stimmen gesprochen?
Und fremde Stimmen riefen: alles ist auch anders
möglich. Die Individuation, das Werden zum Künstler zeitigte weitere Enttäuschungen: alles kam dem
Juror bekannt vor – Wolke, Herold, Kippenberger.
Das politische Erwachen gipfelte im Schuss des Revolutionärs, der Veränderung verhieß. Was folgte,
war Liebe in Zeiten des Arrests und „die Hoffnung,
dass ein Ende singend aufzuheben sei.“ Nach guter
Dieter Radtke
Foto: Ralf Emmerich
Klinke 24
Teil 2
Bei aller Fülle des Lebens, die auf der Bühne gezeigt
wurde, bleibt plakativ der Eindruck des Schildwortes ‘reduziert’, das an einer Matratze hängt. Auf dieser Matratze wurde er gezeugt – ungewollt – und
zeugte selber seinen Sohn. Das Unvollkommene in
den verschiedenen Bereichen des Lebens ist zu
spüren. Beziehungen, Produktion und Kreativität,
Konsum und Erleben im Genuss sind Elemente
eines misslungenen Individuationsprozesses – dar-
gestellt wurde die Hauptfigur durch drei Schauspieler – psychisches Clonen? Zum Schluss wird der
Vergänglichkeit des menschlichen Körpers und Verstandes ein Ahnen von Transzendenz angehängt.
Ich als Frau denke: während zum Leben eine Mannes Zeugen und Arbeiten gehören, gelingt es nicht
jeder Frau Gebären und Arbeiten zusammenzukriegen. Die Frage bleibt: wo bleibt der Wille?
Anke S.
Wahnsinn im Staatstheater Kassel
Theater Sycorax gibt ein Gastspiel vor vollen Rängen
Um es vorweg zu nehmen: es war das kleine Haus, das wir im April 2010 im Rahmen eines Theaterfestivals füllten.
Das Theaterensemble ,Chaosium‘ hatte Sycorax und zwei weitere Gruppen anlässlich seines zwanzigjährigen Bestehens nach Kassel eingeladen.
Die integrativen Theatergruppen boten eine Woche lang Theaterwahn pur. Der Titel war Programm: hier konnten
Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine Woche lang einem interessierten Publikum ihr ganzes Können
zeigen.
Den Anfang machte die Bohnice Theater Company aus Prag mit dem Stück „Naked Life“, eine Art bildhaft-fragmentarische Collage selbst erlebter Kämpfe, Siege und Niederlagen.
Die beiden weiteren Abende gestaltete das gastgebende Ensemble ,Chaosium‘. Zuerst spielte die Haupttruppe
„Don Q“ – Don Quijote in der Psychiatrie, eine Satire über Idealismus und Wahnsinn.
Das zweite Stück mit dem Titel „Die Reise der Vögel“ behandelte den Prozess der Selbstfindung der Menschen.
Die kleinere Gruppe von ,Chaosium‘ erzählte von diesem Abenteuer in poetischen Bildern und Texten.
Am vorletzten Abend zeigte das Theater ,hArt times‘ aus Hannover sein neues Stück „Best song of my life“. In
ihm entwickelten die Schauspieler, von ihrem Lieblingslied ausgehend, kurze Geschichten über wichtige Ereignisse
in ihrem Leben.
Zum Abschluss der Aufführungen präsentierten wir vom Theater Sycorax dann unser Stück „Kommt noch was“
(siehe auch Klinke Nr.35).
Der Abend endete mit einer Party im zentralen Treffpunkt des Festivals, dem Cafe „Dock 4“, mitten in der Kasseler Innenstadt.
Dort wurden auch die aufgeführten Stücke jeweils am darauf folgenden Tag besprochen. Es zeigte sich, dass die
Theaterarbeit mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung sehr viel Sensibilität erfordert. Auch wurde deutlich, dass die Auffassungen darüber, was die Schauspieler in einem Stück von sich preisgeben können, oft weit auseinander liegen.
Das Festival bot in entspannter Atmosphäre die Möglichkeit, Eindrücke über die Theaterarbeit der anderen Gruppen zu sammeln und die eigene Leistung so noch einmal aus einer neuen Perspektive zu beurteilen.
Es war ein wahnsinnig gutes Gefühl, dabei zu sein.
Jens Dombrowski
Klinke 25
Bürgerlied
Anonymus/Zusatztexte von Jürgen Rath
„Ob wir gelbe, rote Kragen,
Helme oder Hüte tragen,
Stiefel tragen oder Schuh,
Oder ob wir Röcke nähen
Und zu Schuhen Drähte drehen:
Das tut, das tut nichts dazu.
Drum ihr [Wir, die] Bürger, drum ihr [ihr als] Brüder,
Alle eines Bundes Glieder,
Was auch jeder von uns tu –“
Nein! Denn ihr nur, ihr seid Glieder,
Einst sind wir der Bauch, den wieder
Füll’n müsst ihr. So geht das zu.
Ihr seid arm und Bein und Glieder,
Einst sind wir der Bauch, den wieder
Füll’n müsst ihr. So geht das zu.
Ob wir können präsidieren
Oder müssen Akten schmieren,
Ohne Rast und ohne Ruh’,
Ob wir just Collegia lesen
Oder aber binden Besen:
Das tut, das tut nichts dazu.
„Alle, die dies Lied gesungen,
So die Alten, wie die Jungen,
Tun wir, tun wir was dazu! [,]“
Dass wir sind an Rechten reicher Alle gleich und wir noch gleicher.
Tut für uns doch was dazu,
Dass euch künftig wir ausnützen,
Denn Gesetze, die euch schützen,
Die gesteh’n wir euch nicht zu.
Ob wir stolz zu Rosse reiten,
Oder ob zu Fuß wir schreiten
Fürbaß unserm Ziele zu,
Ob uns Kreuze vorne schmücken
Oder Kreuze hinten drücken,
Das tut, das tut nichts dazu.“
„Tun wir, tun wir was dazu!“
Wenn von Rang ihr auch seid niedrig,
Lasst uns wehr’n den Herr’n einträchtig,
Die uns zwingen immerzu!
Die heut’ euer Recht verletzen,
Wollen morgen wir ersetzen,
Ob nun wir, tut nichts dazu.
Zu diesem Lied und den zusätzlichen Versen
„Hoffmann von Fallersleben, der Dichter der deutschen Nationalhymne, sagt, dass dieses Bürgerlied
im Mai 1845 für den Elbinger Bürgerverein geschrieben wurde. Die für diesen Text verwendete
Melodie des Liedes ,Prinz Eugen, du edler Ritter‘
sorgte seinerzeit für den satirischen Pfeffer.“
(Booklet der CD „Alle die dies Lied gesungen“ von
Zupfgeigenhansel)
„Aber ob wir [Darum lasst uns] Neues bauen
Oder [Und nicht] Altes nur verdauen,
Wie das Gras verdaut die Kuh,
Ob wir in der Welt was schaffen
Oder nur die Welt begaffen:
Das tut, das tut nichts dazu.
Heute sollen die zusätzlichen Verse, die auf die für
Jahrzehnte ungelöste soziale Frage (Verelendung)
in Europa im späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts
bezogen sind, für den „satirischen Pfeffer“ sorgen.
Ob im Kopfe etwas Grütze
Und im Herzen Licht und Hitze,
Dass es brennt in einem Nu –
Oder ob wir hinter Mauern
Stets im Dunkeln träge kauern:
Das tut, das tut was dazu.
Diese kritischen Verse richten sich nicht gegen das
Bürgerlied und dessen unbekannte(n) Autoren,
zumal man ja über dessen/deren Werdegang nichts
weiß.
Aber das Bürgertum im Allgemeinen, das „dies Lied
gesungen“ (Bürgerlied), das also jene, die „Kreuze
hinten drücken“ (ebd.) zur Solidarität aufgerufen
hatte, um die Verhältnisse zu verbessern zum vermeintlichen Vorteil aller, verriet die Interessen der
Besitzlosen und des sich rasch vergrößernden Proletariats, sobald es die Macht in Europa früher
(Frankreich) oder später (Deutschland) eroberte. Nur
eine Minderheit der Bourgoisie (Bürgertum) engagierte sich für dessen soziale Rechte, statt von dessen Verelendung zu profitieren.
Ob wir rüstig und geschäftig,
Wo es gilt zu wirken, kräftig
Immer tapfer greifen zu,
Oder ob wir schläfrig denken,
‘Gott wird’s schon im Schlafe schenken’ –
Das tut, das nichts dazu.
Begleittext von Jürgen Rath
Klinke 26
Der Psychiater und sein Entwurf
„Was tun Sie“, wurde der Psychiater gefragt,
„wenn Sie einen Patienten behandeln?“ –
„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte der
Psychiater, „und sorge, dass er ihm ählich wird.“
– „Wer? Der Entwurf?“ – „ Nein“, sagte der
Psychiater, „der Patient.“
Frei nach Bertolt Brecht
„Wenn Herr K. einen Menschen liebte“
aus „Geschichten von Herrn Keuner“
Regina Seehausen
Klinke 27
Rezension über das Buch „Depression – Wege aus der
dunklen Nacht der Seele“ von Rüdiger Dahlke
Erkrankung die besonders typisch in unsere Zeit
passe, im Zeitalter von Globalisierung, Konkurrenzkampf oder der materiellen Übersättigung. Häufige
Auslöser der Krankheit seien zum Beispiel Jobverlust oder Verlust des Lebenspartners, zum Beispiel
durch Trennung.
In dem vorletzten Kapitel des Buches geht es dann
um die Bedeutung der Symptome. Denn Krankheit
ist nach Rüdiger Dahlke kein willkürliches Schicksal
oder Zufall, sondern eine Chance zu innerem
Wachstum. Es soll nämlich durch Krankheit ein
Wachstumsschritt erzwungen werden, der bei dem
Kranken nicht erfolgt ist. So habe zum Beispiel Antriebsschwäche den Sinn einmal Innezuhalten und
seine Lebenssituation zu überdenken. Sinnlosigkeitsgefühle wollen zur verstärkten Sinnsuche animieren, bei Schuldgefühlen sollte man sich fragen,
was man dem Leben bisher schuldig geblieben ist,
und Schlaflosigkeit zeige an, das man mit dem Tag
und dem Leben überhaupt nicht fertig wird und abschließen kann.
Im letzten Kapitel geht es schließlich um die „Wege
aus der dunklen Nacht der Seele“, nämlich verschiedene Therapien aus dem schulmedizinischen,
aber auch aus dem esoterischen Bereich. Man wird
jedoch einige Sachen in dem Buch nicht verstehen,
wenn man nicht einige frühere Bücher von Dahlke
oder Torwald Detlefsen kennt. So tauchen zum Beispiel Begriffe wie „Urprinzipienlehre“, „Schattenbereiche der Seele“ oder auch „Individuationsweg“
oder „Archetypen“ auf. Einige Begriffe haben Detlefsen und Dahlke von C.G. Jung übernommen,
stellen diese Begriffe aber in ihren eigenen weltanschaulich esoterischen Bereich, während C.G. Jung
ja weltanschaulich neutral war, weil er sich als Naturwissenschaftler sah. So sollte man die Bücher
„Krankheit als Weg“, oder „Schicksal als Chance“
von Detlefsen oder auch das Buch „Das senkrechte
Weltbild“ von Nikolaus Klein kennen, im letzten wird
die Urprinzipienlehre ausführlich erklärt. Es ist natürlich eine Schwäche des Buches, dass man zum Verständnis andere Bücher kennen sollte. Auch
Dahlkes Gedankengänge über Depression sind
nicht immer Allerweltsmeinung. Außerdem kann
einem das Lesen, zum Beispiel die Schilderung der
Depression in Kunst und Mythos, runterziehen,
wenn man selber zu Depressionen neigt. Aber andererseits enthält das Buch auch sehr viel Wissenswertes über die Depression und kann doch schon
einige wichtige Erkenntnisse über die Erkrankung
anregen.
Das Buch „Depression – Wege aus der dunklen
Macht der Seele“ von Rüdiger Dahlke ist im Wilhelm
Goldmann Verlag erschienen und kostet gebunden
19,50 Euro und als Taschenbuch 9,95 Euro.
Der Doktor der Medizin, Psychotherapeut und esoterische Heiler Rüdiger Dahlke ist durch das Buch
„Krankheit als Weg“, das er zusammen mit dem
Psychologen und Esoteriker Torwald Detlefsen geschrieben hat, bekannt geworden. Es folgten dann
weitere Nachfolgebücher ohne die Mitwirkung von
Torwald Detlefsen. Das waren Bücher wie „Krankheit als Sprache der Seele“, „Aggression als
Chance“, „Lebenskrisen als Entwicklungschance“,
und so weiter. Ein Nachfolgebuch von „Krankheit als
Weg“ ist nun auch dieses Buch, in dem sich Dahlke
ausführlich zu Depressionen äußert. Er habe selbst
nie eine Depression gehabt, doch die Beschäftigung
mit dieser Erkrankung habe ihn reicher gemacht,
schreibt er.
Im ersten Kapitel geht es als Einstimmung in die
Welt der Depressionen um die Erkrankung in „Kunst
und Mythos“. Es werden auch Gedichte zitiert, die
die Krankheit und das Leiden der Betroffenen eindrucksvoll schildern. Intensiv beschäftigt sich
Dahlke dann mit dem Leben und Werk von Hermann
Hesse, der in seinem Leben immer wieder Depressionen bekam und schließlich damit zu leben lernte.
Es werden zwei längere Abschnitte aus Hermann
Hesses Romanen zitiert, in einem davon geht es um
einen Selbstmord.
In weiteren Kapiteln beschreibt Dahlke Tatsachen
der Erkrankung, aber auch seine vielfältigen Gedankengänge zum Thema Depression. Es sei eine
Martin Schröer
Klinke 28
Und Du sehnst Dich so
nach diesem einem
Atemzug,
der Dich am Leben lässt
und Dir sagt, dass alles
hier vergessen ist.
von Silbermond
Ich glaub`ich brauch`
frische Luft
Von Clueso
Ausgesucht und zusammengestellt von Nina Burmeister
Klinke 29
Lene in Not
Sie ist allein. Allein mit ihrer Angst. Unruhig und nervös in erregter, aufgewühlter Anspannung steht sie
in der Schlange fremder Menschen. Menschen, die
sie noch niemals zuvor in ihrem Leben gesehen hat.
Menschen, die sie wahrscheinlich, ja, die sie hoffentlich, nie jemals wiedersehen wird, in diesem
dunklen, fremden, stickigen Flur. Ein penetranter
Geruch nach Bohnerwachs liegt in der Luft, raubt
ihr die frische Luft zum Atmen, benebelt ihr die
Sinne. Sie wäre jetzt lieber an einem anderen Ort.
Sie wünscht sich weg, weit weg von hier, egal
wohin, nur nicht hier. Die Schlange steht jetzt schon
bis zur Haustür und es ist noch nicht einmal neun
Uhr. Immer neue Menschen kommen jetzt, schieben
von hinten nach. Es liegt eine aufgestaute Unruhe
in der Luft. Man kann die unterdrückten Aggressionen förmlich spüren. Sie würde jetzt am liebsten laut
aufschreien. Doch sie darf nicht. Sie muß jetzt Ruhe
bewahren. Jetzt bloß ruhig bleiben. Ruhig Blut, sagt
sich Lene. Sie braucht diese Wohnung. Unbedingt!
Lisa bestimmt gut helfen können, da ist Lene sich
sicher. Überhaupt Wohnungssuche. Diese Wohnungssuche ist das letzte, was Lene jetzt noch gebrauchen konnte. Eigentlich besitzt sie ja eine
schöne preiswerte Zwei-Zimmer-Wohnung, Altbau,
in guter Innenstadtlage gelegen. Eigentlich! Denn
aus ihrer Wohnung muß Lene jetzt raus, sagt das
Sozialamt. Weil die Wohnfläche zu groß ist. 52 qm
groß ist ihre Wohnung. 45 qm maximal sind erlaubt.
Da läßt die Sachbearbeiterin nicht mit sich reden.
Da nützt es auch nichts, daß die Wohnung super
günstig ist, viel günstiger als vom Sozialamt erlaubt.
Auch nicht, daß sie persönlich mit Annegret bei Frau
Schlenker, so heißt ihre Sachbearbeiterin, vorgesprochen hat. Knallhart und eiskalt war sie dort abgewiesen worden. Interessiert hatte sich Frau
Schlenker erst ihre Krankheitsbiographie und die
besonderen Lebensumstände angehört. „Das tut
mir alles sehr leid“, hatte sie dann in einem beiläufigen kühlen Ton gesagt. „Doch mir sind da leider die
Hände gebunden. Ich kann auch nicht einfach die
Gesetze ändern.“ Lene hatte sich selten psychisch
so nackt und hilflos gefühlt. Annegret hatte die
ganze Zeit nur still vor sich hingeschwiegen. Richtig
peinlich war Lene das gewesen.
Eigentlich hatte Lene mit Lisa auf Wohnungssuche
gehen wollen. Lisa ist, oder vielleicht sollte man
besser sagen, Lisa war Lenes Betreuerin. Doch Lisa
ist jetzt im Babyurlaub. Mit Annegret, ihrer neuen
Betreuerin, versteht sich Lene nicht so gut. Die will
doch sowieso immer nur reden. Quatschen und Kaffee trinken. Für praktische Sachen ist die sowieso
nicht zu gebrauchen. Einmal sollte sie für Lene beim
Sozialamt anrufen, weil sie an dem Tag wirklich
keine Zeit hatte. Doch sie hat sich einfach geweigert. Hinterher hat sie dann alles abgestritten.
Manchmal glaubt Lene, daß diese Annegret noch lebensuntüchtiger ist als viele der psychisch Kranken.
Ach wäre damals doch nur Lisa dabei gewesen. Das
hatte sich Lene so sehr gewünscht. Die hätte dieser Frau Schlenker sicherlich richtig die Meinung
gegeigt. War die erst mal richtig in Fahrt die Lisa,
dann war die nicht mehr so leicht zu bremsen. Lisa
das Energiebündel, der Powerzwerg haben alle sie
nur genannt. Alle hat sie angesteckt mit ihrer Vitalität
und Fröhlichkeit. Auch jetzt muß Lene wieder unwillkürlich an Lisa denken.
Für ihr Privatleben interessiert sich Annegret da
schon mehr. Manchmal
bohrt sie in ihren intimsten
Gedanken und Gefühlen.
Ob sie schon mal einen
Freund hatte, hat sie Lene
einmal gefragt. Das war ihr
höchst unangenehm gewesen. Am liebsten wäre
sie im Boden versunken.
Nein, trauen kann man
dieser Frau Annegret wirklich nicht. Ob sie nun will
oder nicht, bei der Wohnungssuche ist Lene auf
sich ganz allein gestellt. Da
muß sie jetzt durch,
gucken, wie sie das irgendwie schafft. In solchen Augenblicken wünscht sie
sich die alten Zeiten mit
Lisa zurück. Oft weiß man ja erst hinterher, was man
an einem Menschen hatte, dann wenn diese Person
nicht mehr da ist. Bei der Wohnungssuche hätte ihr
„Hallo! Junge Dame. Hallo!
Hallo! Hören sie mich“, wird
Lene urplötzlich aus ihren
tiefsten Gedanken gerissen.
Der Vermieter spricht sie
persönlich an. „Wollen sie
die Wohnung jetzt haben
oder nicht?“ Lene ist richtig
baff. Der Vermieter scheint
sie zu mögen. Das hat sie
eben schon beim Betreten
der Wohnung gemerkt. Wie
der sie angeschaut hat.
Richtig unangenehm ist ihr
das gewesen. „Ja sicher. Sicher doch“, sagt sie ganz
überrascht. „Ich muß nur
noch erst mit dem Sozialamt reden. Ich bekomme
nämlich Sozialhilfe. Ist das
ein Problem für sie?“ „Wie
bitte. Nee. Das kannst du vergessen. Mädchen.
Hätte ich gewußt, daß du Sozialhilfe kriegst, hätte
ich dich niemals eingeladen. Komm schon, Kleine,
Klinke 30
ich habe keine Zeit für so’n Scheiß“. Kleine sagt er
zu ihr. Ja doch, sie hat richtig gehört. Kleine sagt er
und er erdreistet sich auch noch, sie am Jackenärmel zu tatschen. Jetzt nur nicht ausflippen sagt sich
Lene. Jetzt um Himmels Willen bloß cool bleiben.
Aber sie ist eh viel zu schwach, um jetzt noch groß
Widerstand zu leisten. Sie fühlt sich wehrlos und
hilflos ausgeliefert. So wie immer. So wie damals ....
bei Vater!
Traum. Mit schmerzverzerrtem Gesicht starrt er sie
an. Wie ein Ertrinkender. Er ruft sie um Hilfe. Doch
sie rettet ihn nicht. Sie kann ihm nicht helfen. Sie
kann sich nicht bewegen. Sie möchte um Hilfe
schreien. Doch sie kann nicht. Sie ist wie gelähmt, in
eiserne Ketten gelegt. Hilflos muß sie mitansehen,
wie er vor ihren Augen versinkt. Noch einmal erscheint sein todtrauriges Gesicht vor ihren Augen.
Dann ist er plötzlich verschwunden.
Niedergeschlagen verläßt Lene die Wohnung. Sie
sieht noch wie ihr eine junge Wohnungsinteressentin hämisch hinterher grinst, während sie in der tiefsten Verzweiflung das Haus verläßt. Das fängt ja gut
an, denkt sich Lene. Deprimiert und frustiert tritt sie
schließlich den Heimweg an. Am Kiosk an der
Ecke kauft sie sich auf den Schock erst mal Alk,
Felskrone Bier, fünf
Flaschen für 3,35
Euro. An der Kasse
vor ihr erblickt sie
plötzlich Timo, den
hübschesten Jungen
der gesamten PsychoSzene. Lene spürt, wie
sie nervös wird. Unauffällig schielt sie die
ganze Zeit zu ihm
hinüber. Wie intuitiv
dreht er sich plötzlich
zu ihr um. Er schaut
ihr tief in die Augen
und grüßt sie freundlich mit dem schönsten Lächeln. Lene schaut verlegen zur Seite, spielt
ihm vor, als sehe sie ihn nicht. Dabei ist Timo so süß!
Er hat kakaobraune Augen und eine Stimme süß wie
Espresso mit Schokolade, findet Lene. Doch sie erwidert seine Blicke nicht, sie ignoriert ihn einfach
und zeigt ihm die kalte Schulter. Sie hat keine Erfahrung in diesen Dingen, mit der Liebe und zu tiefen Gefühlen. Zu große Nähe macht ihr Angst. Diese
Dinge sind nicht für mich bestimmt. Anderen bereiten sie Freude und Glück, mir brächten sie doch
noch nur Leiden und Schmerzen. Ich würde dich eh
nur unglücklich machen, liebster Timo, resümiert sie
traurig. Timo wendet sich schließlich betroffen von
ihr ab. Sie sieht noch, wie er niedergeschlagen den
Kiosk verläßt. Noch einmal dreht er sich zu ihr um.
Ein letztes mal sieht er sie an. Ganz kurz mit dem
verzweifelsten Blick in den Augen. Lange noch
schaut sie ihm nach, wie er die Straße hinuntergeht,
bis er schließlich an der nächsten Straßenbiegung
verschwunden ist.
Am nächsten Morgen erwacht Lene mit einem tierischen Kater. Sie hat schreckliche Kopfschmerzen.
Höllentief schluchzend zu neuem Leben erwacht, so
fühlt sich Lene. Sie liebt solche sarkastischen Wortspiele. Es hilft ihr, die Verzweiflung zu ertragen. Es
ist heute Samstag, der 17. September. Ein trüber
Spätsommertag. Nach dem Aufstehen raucht sie
erst mal zwei Zigaretten, trinkt eine halbe
Kanne
Kaffee.
Schwarz, auf nüchternen Magen. Sie hat
keinen Appetit. Ihr ist
kotzübel. Sie hat keine
Lust. Zu rein gar
nichts. Sie zieht sich
dann trotzdem an.
Beim Bäcker kauft sie
sich die neueste Zeitung. Auf Seite Zwei
liest sie von dem
neuen Antidiskriminierungsgesetz. Niemand
darf auf Grund seiner
Behinderung diskriminiert werden. Eigentlich eine
gute Sache, denkt Lene. Sie blättert dann weiter.
Zielstrebig sucht sie nach den Wohnungsanzeigen.
Sie will es jetzt wissen. Jetzt erst recht! Sie telefoniert den ganzen Morgen. Zwischendurch muß sie
immer wieder an Timo denken. Die meisten Vermieter fragen sie gleich nach ihrem Beruf und verlangen eine Einkommensbescheinigung. Lene ist dann
jedesmal ganz verlegen, legt einmal vor Schreck
gleich wieder auf. Beim siebten Anruf hat sie endlich
Glück. Frau Tischbein, so heißt die Vermieterin, ist
sehr freundlich zu ihr am Telefon. Das mit der Sozialhilfe sei auch kein Problem für sie. Gleich am
Montag solle sie doch bei ihr vorbeischauen. Am
Montag ist Lene schon ganz früh auf den Beinen.
Die Sonne lacht freundlich zum Fenster herein, als
sie die Vorhänge ihrer Mansarden aufzieht. Gut gelaunt zieht sie sich an, macht sich im Bad frisch und
frühstückt dann gemütlich und ausgiebig. Schon um
fünf vor zehn ist sie bei Frau Tischbein. Frau Tischbein ist eine ältere Dame mit einem altmodischen
Knoten im ergrauten Haar. Der Sohn von Frau Tischbein ist auch da. Er nennt sie Mütterlein, sie sagt
mütterlich Wölfi zu ihm. Etwas sonderbar findet
Lene das schon. Doch die beiden machen einen
gutmütigen Eindruck auf sie. Etwas skurril zwar,
aber auf eine merkwürdig vertrauenswürdige Art
und Weise. Sie solle doch erst mal mit dem Sozial-
Zu Hause angekommen trinkt sie erst mal eine Dose
Bier. Auf EX. Nach dem vierten Bier wird sie endlich
etwas ruhiger. Sie fällt in einen dumpfen, unruhigen
Schlaf.
In der Nacht schläft sie unruhig. Sie hat schreckliche
Alpträume. Immer wieder erscheint ihr Timo im
Klinke 31
amt reden. Wenn die grünes Licht geben, könne sie
die Wohnung haben. Lene ist überglücklich.
Im Café bestellt sie sich dann einen Milchkaffee. Der
Kellner, ein Italiener, ist sehr freundlich, und übertrieben bemüht um sie. Er mag die beiden. Das
spürt sie. „Ich hätte gerne einen Cafe au Latte“.
Timo muß immer solche Scherze machen. Der Kellner ist im ersten Moment etwas perplex. Er braucht
einen kleinen Augenblick bis er die Fassung wiedergefunden hat Dann muß er herzhaft über Timos
kleinen Scherz lachen. Timo und Lene grinsen sich
vielsagend an. „Was macht ihr denn hier. Ihr könnt
euch das doch überhaupt nicht leisten. Ihr seid
doch psychisch krank“. Lene zuckt unwillkürlich zusammen. Willy Brockmann betritt plötzlich die
Bühne. Wie eine besenkte Wildsau stürmt er das
Café. Der hat ihr gerade noch gefehlt, dieser Unhold, der Wüstling, denkt sie. Eine unheilvolle Aura
geht von diesem Willy Brockmann aus.
Auf dem Heimweg begegnet ihr überraschend
Timo. Sie sieht ihn gleich, wie er auf dem Fahrrad
die Straße herunterkommt, lange noch bevor er sie
bemerkt. Als er sie schließlich dann doch erblickt,
schaut er demonstrativ zur Seite. Sie grüßt ihn
freundlich, fast euphorisch und läuft direkt auf ihn
zu. Er kann ihr gerade noch ausweichen. Er fährt
fast in sie hinein, mit seinem Mountain Bike. Völlig
überrascht starrt er sie an, mit einem ungläubigen
Staunen in den Augen. Sie strahlt ihn herausfordernd an. „Hallo“, sagt er noch ganz verlegen.
„Hallo“, erwidert sie in einer Mischung aus Schüchternheit und Koketterie. Lene muß selbst über ihre
kühne Art staunen. „Ich habe endlich eine neue
Wohnung“, sagt sie freudig, ganz leise. Sie flüstert
fast. „Gratuliere“, erwidert er ebenso leise und sehr
vertraut. „Das müssen wir unbedingt feiern“. Timo
freut sich fast noch mehr als sie über die neue Wohnung. „Ich habe noch 2,50 Euro. Wenn wir im Nordpark Pfandflaschen sammeln gehen, kriegen wir
bestimmt noch viel mehr Kohle zusammen. Drei,
vier Euro sind da locker drin. Ich kenne eine super
Stelle. Die Liegewiese, gleich am Pappelwäldchen
gelegen. Am Wochenende ist da immer. Party. Die
Besoffenen schmeißen dann immer die Flaschen in
den Wald. Das ist ein guter Platz zum Pfand suchen“. Sie suchen eine gute Stunde lang. Mensch
kommt sich immer näher. Die Zeit vergeht kurzweilig, wie im Fluge. „So jetzt haben wir genug beisammen“, sagt Timo plötzlich „Darf ich die Dame
auf eine Tasse Kaffee einladen. In einem Lokal ihrer
Wahl?“. „Sehr gerne der Herr“, erwidert sie in distinguiertem Tonfall. Vornehm reicht sie ihm ihren
Arm. Er hakt sie sich unter, während er sie in gespielt galanter Manier aus dem Wäldchen führt. Als
sie eben auf die Lichtung hinaustreten, bricht plötzlich die Sonne aus den Wolken hevor. Die späte
Sommersonne überzieht die Landschaft mit einem
golden leuchtenden Band. Der so still gelegene
Nordpark entfaltet noch einmal seine ganze sommerliche Pracht. Die Natur zeigt sich heute von ihrer
schönsten Seite. Nur für sie, so scheint es Lene. Wie
im Traum geht sie an Timos Seite. Sie schwebt fast.
Sie kann ihre Seelen im Gleichklang schwingen
hören. Sie fühlt es. Sie war noch niemals so glücklich in ihrem Leben. Man kann dem Glück nicht
immer davon laufen, denkt sie. Das ist ihr schönster
Tag heute. Heute ist endlich sie mal dran. Es liegt
eine unbeschreibliche Magie in der Luft. Man kann
die Luft geradezu knistern hören. Die anderen Menschen spüren es auch. Ein altes Ehepaar dreht sich
ganz plötzlich nach ihnen um. Wildfremde Menschen lächeln sie an. Noch niemals schien Lene ihr
Leben so leicht. Sie fühlt sich frei und unbeschwert.
Im Supermarkt an der Ecke tauschen sie dann das
Pfand ein. ,,4,50 Euro. Ein guter Tag“, sagt Timo.
Lene strahlt ihn glücklich an.
Timo wird ziemlich ungehalten. Er stellt Willy zur
Rede. Lene hat Timo noch niemals so wütend gesehen. „Ich lasse dich zwangseinweisen, du Penner“, tönt Willy Brockmann. Er grinst sie böse und
höhnisch an. Timo gibt schließlich genervt auf. Er
hat keine Lust auf diesen kaputten, verkommenen
Zyniker. Er läßt sich die Rechnung kommen. Der
Kellner schaut ihn beim Bezahlen bedauernd und
vielfragend an. Fast fluchtartig verlassen sie das
Café. Draußen hat es zu regnen angefangen. Ihre
Stimmung ist nun endgültig im Keller. Traurig blicken
sie sich an. Ein herrlicher Tag geht zu Ende, ein wunderschöner Augenblick ist auf einmal grausam zerstört. Wehmütig schauen sie sich noch einmal in die
Augen. Ein wenig verlegen nehmen sie schließlich
Abschied.
„Tschüß“, sagt Timo noch. „Es war ein wunderschöner Tag. Ich werde ihn niemals vergessen“.
Dann ist er auch schon verschwunden. Niedergeschlagen tritt sie den Heimweg an. Der Herbst ist
auf einmal mit ganzer Macht eingekehrt. Vom Sommer keine Spur mehr. Müde bahnt sie sich durch
Regen und Matsch ihren Weg nach Hause. Als sie
endlich völlig durchnässt zu Hause ankommt, ist sie
total erschöpft. Sie geht auch gleich zu Bett. Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende. Noch einmal gehen
ihr die vielen verschiedenen Bilder des Tages durch
den Kopf. Dann ist sie auch schon eingeschlafen.
Am nächsten Morgen ist sie schon um sieben Uhr
wach. Sie ruft dann gleich um neun Uhr bei Frau
Schlenker im Sozialamt an. Den ganzen Tag versucht sie verzweifelt, ihre Sachbearbeiterin zu sprechen. „Die ist heute krank“, erfährt sie schließlich
von einer Kollegin. „Versuchen sie es morgen doch
noch einmal“. Am nächsten Morgen ist Frau Schlenker immer noch krank. Sie versucht es bei der Vertretung. Ohne Erfolg. Schließlich lässt sie sich mit
der Abteilungsleiterin verbinden. Die Dame ist sehr
freundlich zu ihr am Telefon. Drei Tage später hat sie
endlich die Zusage. „Sie können die Wohnung anmieten“, erfährt sie von der Abteilungsleiterin. Lene
ist überglücklich. Sie ruft sofort bei Frau Tischbein
Klinke 32
an. Die hat aber eine schlechte Nachricht für sie.
„Die Wohnung ist leider schon vermietet“, sagt sie
bedauernd. „Ich dachte sie wollten die Wohnung
nicht mehr haben“, erklärt sie fast entschuldigend.
Als sie aufgelegt hat bekommt Lene erst mal einen
Schreikampf. Noch niemals in ihrem Leben war sie
so abgrundtief enttäuscht. Sie braucht ein paar Minuten bis sie die Fassung wiedergefunden hat.
Es sollte eben einfach nicht sein, resümiert sie traurig.
Epilog: Einige Wochen später nach vielen Mühen,
Ärger und noch mehr Stress, hat Lene endlich doch
noch eine Wohnung gefunden. Die neue Wohnung
ist sieben qm kleiner, dafür aber 30 Euro teurer als
die alte.
Nach einem kurzen Aufenthalt in der Psychiatrie erholt sich Lene langsam wieder von dem vergangenen Streß. In ihrer neuen Wohnung hat sie sich
inzwischen einigermaßen eingelebt.
Jürgen Knoch
Blümchenkaffeestunde
12.01.2010
Meine Gedanken –
Aufflatternde Vögel
Aus dem Nest der Stille
Fische
Ich gehe Schritte
In die Luft –
In den Wolken liegt
Eine Blumenwiese aus Wort
Und Laut –
Wir gehören wie die Fische
in das Wasser
und wenn unser Planet nur
noch aus Wüstensand
besteht,
dann sind wir schon
längst gestorben
Wahrheit und Scherz
Mischen sich – Milch
Und Zucker –
In der Kaffeestunde
Angekommen
Nina Burmeister
Der Blümchenkaffee
Ist mein Augenzeuge –
Sein Duft liegt wolken–
Leicht in der Luft
Wie ein Lächeln
Über Blume und Kaffee
Und Welt
Dieter Radtke
Klinke 33
Mutterland – Vaterland
09.03.2010
(für alle Litauendeutschen)
Pagarschwen
Das Spiel meiner Geige war lauter
Als das Schweigen der Toten –
Hans, den die Mine zerriss –
Paul, den die Partisanen lynchten
Und der einen entsetzlichen Tod starb
Am nächsten Tag suchten sie Zuflucht
Im Schnaps und ertränkten die Bilder
Der Zerstörung – ich spielte auf
Zur Hochzeit und zum Totentanz –
Die Toten waren unter uns
Wie ein unsichtbares Band
Angurklen
Hier spielte niemand Geige
Richard fuhr werktags mit dem Bummelzug
Nach Tilsit – unter der Arbeit
Seiner Hände wuchsen Tisch und Stuhl
Und Sarg aus dem Nichts
Heute bin ich der einzige Überlebende
Jemand, der Buch führen will
Über Lebende und Tote – die Bilanz
Lässt sich erst ziehen – wenn niemand
Mehr lebt, der aufrechnen will – niemand
Braucht Erinnerung – diese schöne Lügnerin
Dieter Radtke
(Erläuterung: Pagarschwen und Angurklen sind die Geburts-/ Wohnorte meiner Mutter und meines Vaters. In den
ersten beiden Strophen begleite ich als fiktiver Geiger in
Pagarschwen die teils leidvollen Geschehnisse, die vor
allem im zweiten Weltkrieg alltäglich waren. In der dritten
Strophe geht es nüchterner zu, das Arbeitsleben meines
Vaters (Richard) wird beleuchtet. Das Fazit am Schluss
lautet: erst wenn niemand mehr aufrechnet und wenn die
Zeitzeugen von der Bühne abtreten, wird Versöhnung zur
umfassenden und unumkehrbaren Realität werden.)
Klinke 34
Im Wartestand
2. Fassung vom 09.02.2010
Schwere Koffer
Gefüllt bis an den Rand
Mit unermüdeten Träumen
Schleppe ich hingebungsvoll
Durch dunkle Bahnhofshallen
Wohin sich selten
Ein Vogel verirrt
Träume warten
In den Tiefen des Gepäcks
Zärtliche Hände –
In der Erinnerung streicheln sie
Meine Seele
Ich bade im Rost
Alter abgenutzter Züge
Und verpasse den Schnellzug
Zu Dir – das Herz friert
Ausgerissen – entblößt
Im Wartestand
Alle Türen sind verrostet
Und zugefroren – alle Signale
Sind tot – mein Bahnsteig
Markiert das unerlöste
Ende der Welt –
Morgen aber taut es
Von den Rändern
Wind stößt
Durch das Bahnhofsdach
Und fegt den Rost hinweg
Die Signale beleben sich
Ich höre den Klang
Deiner Stimme –
Träume kommen
Aus schweren Koffern
Und machen sich flügelleicht
Auf den Weg
Ich spüre aus der Distanz
Deine zärtliche Hand
Nach Marc Chagall, Zeichnung Jürgen Knoch
Die Taube bringt
Über die Fluten der Einsamkeit
Den Ölzweig vom Paradies
Dieter Radtke
Klinke 35
Später mal ein Kind werden
Sinnespark
Ich möchte später ein Kind mal werden,
ein Kind fröhlich, unbeschwert.
Lustvoll Erlebtes wird mich noch stärken.
Ich bin unverzagt, mit Herz.
Von trauten Menschen, die mir nie wehtun,
beschützt und geliebt ich bin.
Drum bin ich wertvoll und bin beherzt nun.
In diesem Lied und Gedicht
mischt sich erheblich Dichtung und Wahrheit,
sofern es die darin erwähnten Personen betrifft.
Den Sinnespark hingegen beschreibe ich
weitgehend dem Eindruck gemäß,
den er auf mich machte.
Dieser Park befindet sich auf dem
Gelände des Alexianer-Krankenhauses
in Münster-Amelsbüren.
Hab’ mich gern –
kann mich wehr’n;
born to win.
.
Wir schlendern beide
mit heit’rem Gefühl.
Der Weg führt im Kreise –
der Weg ist das Ziel.
Ich will ein junger Spund einmal werden,
unversehrt und unbeschwert.
Und Abenteuer werden mich stärken.
Ich bin unverzagt, mit Herz.
Kein Mensch hat mich je versucht zu brechen.
Drum kein Leid mich lang’ bedrückt.
So bin ich standhaft; mich kann nichts schrecken.
Bezaubernd der Garten;
still ruht der Teich.
Was wir empfangen,
macht uns gar so reich.
Entschwunden die Zeiten –
‘s ist nur Augenblick.
Die Herzen sich weiten –
wir schlendern ins Glück.
Ich liebe mich –
finde dich;
auf ins Glück!
Ich hab’ dich gern,
Augenstern;
auf ins Glück!
Dann hocken uns wir zwei ins Grüne
und plaudern vertraut.
Als Zeugen stehen Monolithe;
die geben keinen Laut.
War auf dem Wege einst jung zu werden;
vergaß alten Schmerz und Pein.
Begann schon Liebe und Lust zu lernen,
heiter und beherzt zu sein.
Doch war’n mir Wunden recht bald geschlagen.
Darum brachen and’re auf.
Mir schwand der Mut; ich kann nur verzagen.
Eine Augenweide –
wie bunt die Flora blüht!
Segen für uns beide –
heilsam für’s Gemüt.
Klangsteine, -hölzer, -glöckchen,
wohltu’nder Ohrenschmaus.
Welch’ Kleinod sie hier schöpften,
mein Freund spricht sanft es aus:
Schlechtes Spiel,
und ich fühl’
mich verbraucht.
Ich möcht’ so gerne ein Kind mal werden,
das Glückseligkeit gewinnt.
Bin unverzagt und greif’ nach den Sternen.
Und ich weiß, dass mir’s gelingt,
die Frucht der Träume einmal zu ernten.
Ich werd’ lieben – werd’ geliebt.
Will später mal was ganz Tolles werden;
und ich weiß, dass mir’s gelingt.
Will später mal was ganz Tolles werden –
„Die hab’n die Kranken wohl sehr lieb“ –
dafür lieb’ ich ihn sehr!
Ich konnt’s nicht sagen, sondern schwieg –
und nun liebt er mich nicht mehr.
Jürgen Rath
aber ach!
Ich zerbrach
schon als Kind.
Ich bin so schwach
und zerbrach
schon als Kind.
Jürgen Rath
Klinke 36
Klinke 37
„Der Mann Adô Tokayâ“
und werdet wach. Seht, wie ihr lebt. Ergreift selbst
eure Zügel. Werdet wach, das Elend zu sehen, in
dem ihr verbracht eure Zeit, euer Los, nutzlos und
schwach. Ergreift eure Zügel. Lenkt euer Los. Seid
eigen. Seid eure eigenen Herren. Ihr, all die Bürger
dieser Stadt.“
Ihm floss das Wasser zu, das Edle. Ihm waren die
Lande weit um die Wasser. Ihm war der Strom und
der Thron.
Seine Lande waren gesegnet voll der Früchte. Golden reifte das Korn, und die Untertanen lobten die
gütige Hand des Herrn Adô Tokayâ. Sie freuten sich
ihres Da-Seins und priesen die Sonne und das Licht.
So lebten sie und so lebten sie glücklich.
Ein Aufruhr entstand. Laut ward es auf dem Platz.
Die Stimmen: „Hinweg. Hinweg mit ihm, diesem anderen Herrn. Wir sind glücklich und frei. Hinweg.“
Die Anderen: „Lasset uns warten. Lasset uns hören.
Was er sagt, trägt. Trägt uns ins Frei. Ohne Zügel
und Zwang. Da ist doch was dran. Wartet und hört.
Seht selbst die Verheißung, die hier wird benannt.
Sehet und kommt. Kommt voller Freude mit in dies
Land.“ So die Anderen.
Eines fernen Tages nun entstand Unruh im Land.
Denn es wurde bekannt, dass ein mächt’ger Herrscher ward gesandt. Gesandt, um zu bringen die
neue Botschaft ins alte Land.
Kunâ ManChu geheißen, ritt er in die große Stadt
des Herrn Adô Tokayâ. Sein Bote eilte ihm voran
und blies ins Horn, zu sammeln die Bürger, die Kinder und die Alten, die Frauen und die Lahmen. Seinen Bogen entrollt, gab er diese Kunde:
Es war keine Freude, es war auch kein Friede, es
war Zwist überall. Kunâ ManChu verließ diese Stadt.
Er hatte getan, wofür er bestimmt. Dass Frieden und
Freiheit jeder sich nimmt. Und nimmt er sich’s nicht,
so ist es sein Los. Jeder bestimmt, wann und wo er
sich Freiheit nimmt.
„Höret und sehet von diesem prächtigen Herren. Er,
der sich aufgemacht, zu richten dies freie Wort, zu
richten dies Wort an euch. Befreit euch. Befreit euch
Andreas Stork, 2010
Klinke 38
Aus der Kommission zur Förderung der Inklusion
Seit Januar 2010 vertrete ich als Betroffene die
Menschen mit psychischer Behinderung in der
Kommission zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen (KIB).
Hier sind zwei Texte, in denen ich Themen aus der
Kommission verarbeitet habe:
Bekanntmachung müssen als unzureichend bezeichnet werden. Wir haben an dieser Stelle das
Problem aufgezeigt. Die Verantwortlichen können es
beheben, wenn sie guten Willens sind.
Nachtrag
In der Kommissionssitzung am 27.05.2010 entkräftete Dr. Gollmer das Argument, dass gerade Menschen im betreuten Wohnen keine Versorgung am
Wochenende erfahren könnten. Er sagte, ein freier
Träger, z.B. das Alexianer-Krankenhaus, erhalte vom
LWL nur die Genehmigung für das betreute Wohnen, wenn in gewisser Hinsicht ein Wochenendangebot bestehe.
Im Januar 2010 lag der KIB ein Bericht über den
psychiatrischen und psychosozialen Krisennotdienst an Wochenenden vor. Die zukünftige Finanzierung des Dienstes ist dadurch gesichert, dass die
Honorarkräfte für ihre Bereitschaft, die Telefonberatungen und die Hausbesuche jeweils eine Pauschale von der Stadt bekommen und die Stadt
wiederum z.T. von der LWL-Klinik monatlich eine Rückvergütung erhält.
Ich denke: die Information über Wochenendangebote wird zurückgehalten, um
die Nachfrage gering zu halten. Wir Menschen mit einer psychischen Erkrankung
spüren jedoch, wenn unsere Anliegen
abgewehrt werden. Vielleicht würde so
manches Schicksal weniger dramatisch
verlaufen, wenn es für die Betroffenen leicht und kräftemäßig erschwinglich wäre, Hilfe in Krisen am Wochenende zu bekommen.
Der Dienst besteht seit 1995. Ein Tandem, bestehend aus einem ärztlichen
und einem nichtärztlichen Mitarbeiter,
ist von freitags von 20.00 Uhr bis montags 8.00 Uhr – also 60 Std. am Stück
– im Einsatz. „Im Jahr 2007 wurden 6602 Stunden
Rufbereitschaft an 58 Krisennotdienstterminen geleistet. Dabei waren die Mitarbeiter bei 535 Klienten
647 Stunden im Einsatz. Die Ausgaben betrugen in
2007 47810 Euro.“ (Bericht S. 3) Da der Dienst sehr
anstrengend ist, bestehen Schwierigkeiten, Ärzte
dafür zu finden. Mit dem neuen Finanzierungskonzept soll auch dem Personalmangel entgegengewirkt werden.
Inklusion
Seit Anfang 2009 gilt die Behindertenrechtskonvention (BRK), das ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen, auch in Deutschland. Das bedeutet, dass die Menschenrechte ausdrücklich auch für
Menschen mit psychischer Behinderung gelten. Die
Behindertenpolitik hat sich geändert, weil
Der Kontakt zum Krisennotdienst erfolgt über die
Notfallhilfen aus der Tageszeitung, die LWL-Klinik,
die Telefonseelsorge sowie über die Feuerwehr oder
die Polizei. Zielgruppe sollen „besonders psychiatrisch Ersterkrankte mit noch nicht oder schwer definierbaren Störungen und ihre Angehörigen, aber
auch schwer und chronisch psychisch kranke Menschen sein. Informationen über die Wege, den Krisennotdienst in Anspruch nehmen zu können,
werden kaum bekannt gemacht. Dr. Gollmer, der
Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes beim Gesundheitsamt, welches auch für die Verwaltung des
Krisennotdienstes verantwortlich ist, sprach deshalb von einem hochschwelligen Angebot, als er in
der KIB nach der Erreichbarkeit des Dienstes gefragt wurde.
1.) die Betroffenen einbezogen werden,
2.) eine Abkehr vom medizinischen Modell hin zum
sozialen Modell festgeschrieben wird. D. h. Menschen mit Behinderungen werden nicht länger
über Defizite definiert. Es gilt in der Gesellschaft
Vielfalt statt Einfalt.
3.) die Prinzipien Selbstbestimmung, Teilhabe und
Inklusion gelten. Es sollen Bedingungen geschaffen werden, die niemanden ausschließen
und die die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen berücksichtigen.
In diesem Zusammenhang bedenkenswert ist, dass
sich der Bereich des betreuten Wohnens seit 2004
vervierfacht hat und dass in diesem Bereich keineswegs von den verschiedenen Trägern eine
Wochenendbetreuung gesichert ist und der Krisennotdienst prinzipiell für diese Zielgruppe nicht vorgesehen ist. Es besteht insofern ein großer Bedarf
einem klein gehaltenen Angebot gegenüber. Die
ambulante Versorgung von psychisch kranken Menschen in Münster am Wochenende und deren
Die Schrift der Bundesregierung ,all inclusive’ – Die
neue UN-Konvention – umfasst mehr als 40 Seiten
mit 50 Artikeln. Voraussichtlich dauert der politische
Prozess, der jetzt am Anfang steht, noch Jahre. Es
bietet sich aber eine Sichtweise an, dass die eigene
persönliche Situation in einem weltweiten und geschichtlichen Zusammenhang eingebunden ist. Die
Regierungen haben sich verpflichtet, ihre Politik an
den Menschenrechten zu orientieren, diese sind jedoch nicht auf juristischem Wege einklagbar.
Klinke 39
In den kommenden Klinkeausgaben wird Gelegenheit sein, auf verschiedene Artikel der BRK einzugehen. Bei Diskussionen in der Redaktion ist das
Thema ,Arbeit‘ ein zentraler Kritikpunkt, wenn es um
Barrieren im Leben von Menschen mit psychischer
Behinderung geht. In Artikel 27 ,Arbeit und Beschäftigung‘ wird formuliert
Für Menschen mit psychischer Behinderung ist die
Annahme dieser Möglichkeiten vielleicht eine Herausforderung, nicht zu resignieren und sich neue
Ziele zu setzen und anzugehen, d.h. an der eigenen
Willensbildung zu arbeiten. Das eigene Selbstverständnis bezüglich der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben hat mehr Gewicht bekommen. Es ist
sicher schwierig, sich selbst einzuschätzen. Die
Chance, als Bürokraft eine Stelle zu finden, ist
größer als First Lady von den USA zu werden.
Grundsätzlich gilt m. E.: es gibt Menschen, die brauchen mehr als eine Chance, und diese möglicherweise nicht nur zweite, sondern auch zehnte
Chance muss gewährt werden. Es kann nicht sein,
dass ein Mensch arbeiten will, aber nicht kann,
wobei auch gilt, dass das Können nicht nur von
außen, sondern auch von innen bestimmt wird und
nach Förderung verlangt. Das alles zu begreifen und
zu erfahren, ist eine Lebensaufgabe , die jedem Einzelnen in unserer Gesellschaft real zugebilligt werden sollte.
1.) „Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche
Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit,
dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den
Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in
einem offenen, integrativen und für Menschen mit
Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.“
Die Anerkennung dieses Rechtes soll durch verschiedene Maßnahmen konkretisiert werden.
Außerdem gilt:
2.) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen nicht in Sklaverei oder
Leibeigenschaft gehalten werden und dass sie
gleichberechtigt mit anderen vor Zwangs- und
Pflichtarbeit geschützt werden.“
Nach der Devise ,denke global, handle lokal‘
möchte ich in diesem Zusammenhang schließen: es
besteht die weltweit gesetzliche Grundlage für
Selbstbestimmung auch in deinem Leben. Wenn du
also mit Vertretern der Gesellschaft – Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und Betreuern – zu tun
hast, fasse in Worte oder versuche zum Ausdruck
zu bringen deine Bedürfnisse, deine Träume, deine
Pläne, deine Wünsche für dein Leben.
Damit sind nicht alle Ungerechtigkeiten im Arbeitsleben ausgeräumt. Das Recht auf Arbeit wird auch
für „gesunde Menschen“ nicht verwirklicht. Die Arbeitswelt entzieht sich weitgehend der politischen
Einflussnahme. Es sind aber zwei Pole – ein positiver und ein negativer – beschrieben, zwischen
denen sich meine Entwicklung vollziehen kann.
Vera Schnieder
Unbedingt vormerken!
10. Irrlichterlesung am
08. Mai 2011
um
19.00 Uhr
in der Studiobühne Münster
Domplatz 23a
48143 Münster
Eintritt: 4 € / 6 €
Klinke 40
„Der Hausidiot“
Er sitzt da und stört mich. Ich weiß, sobald ich den
geringsten Blickkontakt zu ihm aufbaue, wenn ich
meinen Blick durch’s Lokal schweifen lasse, beginnt
er zu agieren und zu reagieren. Auf eigenartige
Weise verhält er sich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eigen-Artig. Idiotisch halt, gehe ich vom altgriechischen Wortsinne idios = eigentümlich,
eigenartig aus. Er ist immer da. Immer. Seine Blicke
machen mich nervös. Sein Grimassenschneiden
trifft mich. Ich meide es, ihn sehen zu müssen, und
setze mich so, dass ich ihn weitestgehend ausblenden kann. Wieso stört er mich? Wieso nehme ich
keinen direkten Kontakt zu ihm auf, indem ich ihn
z. B. grüße. Ich könnte ihm auch über die Bedienung
ein Bier ausgeben oder so. In einer anderen Nacht
und in einem anderen Lokal habe ich dergleichen
einmal getan. Es hat sich eine interessante Entwicklung ergeben. Doch ich scheue mich. Ich
scheue ihn. Er macht mir vielleicht im tiefsten Herzen Angst. Angst vor meinen eigenen Anteilen.
Angst, weil ich Impulse zu auffälligem Verhalten in
mir unterdrücke? Weil ich unentdeckt als Psycho
leben will? Nicht auffallen! Der Hausidiot.
Andreas Stork, 31. August 2010
„Gedankengut“
- Ob Christ, Buddhist, ob Atheist,
Egal, Hauptsache: kein Faschist! In meinem Wohnviertel fallen mir in der letzten Zeit Aufkleber auf mit der Schrift „Fight Fascism“, also „Bekämpft
Faschismus“. Gezeigt wird eine schwarz gekleidete Person mit ebensolcher Gesichtsmaske, die in der rechten
Hand einen Stein zu werfen droht. So sieht’s für mich aus. Und bei jedem Vorbeigehen frage ich mich: Halte ich es
für gerechtfertigt, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, auf Intoleranz ebenso mit Intoleranz zu antworten.
Nein, sage ich mir. Wer beansprucht mehr Legitimation? Der „Autonome Schwarze Block“ oder die „Braunhemden“. Beide haben in meinen Augen kein Recht darauf, ihre Ansichten mit Gewalt durchzusetzen. Dies Recht hat
niemand.
Kurzum: Jedes Mal, wenn ich an einem Laternenpfahl oder Straßenschild mit besagtem Aufkleber vorbei laufe,
denke ich: Ihr seid nichts besser. Ihr wähnt euch auf der moralisch ‚besseren‘ Seite als Antifaschisten. Aber mit der
deutlich zu erkennenden Drohgebärde des Steinewerfens macht ihr euch selbst unglaubwürdig. Schade nur, dass
euch das selbst nicht auffällt.
Andreas Stork, Frühjahr 2010
Klinke 41
13.07.2010
15.07.2010
Für Loba
Für Loba
Der Mais
wächst
es stört ihn nicht
dass Loba
stirbt
Trösterin
auf Todes Schwelle
Schwarze Weise
Dunkler Rubin
Sonnenstrahl auf
Wintergräbern
Morgenröte
Morgenstern
bist da
für uns
und da
für uns
warst Kind
und Mann
und wärmende
Mutter
Ein Tag,
eine Woche
höchstens
zwei Monate
Die Schultern
des Doktors
sind gebeugt
(flüstert er mit dem Fräulein, der Helferin)
Er ist
empfindsam geblieben.
Karstens Herz:
schreiendes Blut
und Tränen blanke Augen
die lange,
sehr lange
nicht versiegen wollen
Mein Lebensgrund
mein Lebenssinn
Uns Überlebenden
die unsere Liebe zu dir verbindet
die blutende Herzen
und dir dein Grab
bereitet haben
bleibt
dich gehen zu lassen
aus Schmerz zerrissenen Händen
Ach,
wäre es nur
dein Himmel
auf Erden
Unser Schmerz
ist stumm
und will nicht
verstummen
Du kehrst
zurück zur Erde
unwiederbringlich
behütest uns
aus deinem
Hundehimmel
Regina Schmick
Regina Schmick
(Der Rubin ist in der Esotherik Der Stein des Lebens und
der Liebe; Anmerkung der Autorin)
Klinke 42
16.07.2010
08.08.2010
Morgenspaziergang
LOBAs Tag, der 7te August
Ich übe
den Blick
auf Sonnen beschienene Felder
Ich weine
Tränen um dich
unzählig
wie Gras
Es ruhen
die Weiden
und dehnen sich
sanft aus
im frühen Licht
Die Weide
Spätsommer grün wartet
im Kirchenglockengeläut
dass du sie
umsamtest
Glitzernder Tau
auf leuchtendem Gras
So schwarz
die Hündin
vor sattem
Grün
Schwarz
die Hündin
vor sattem Grün
Und wieder
die Sieben!
Du reckst
deine Nase
in den Wind
Dein gnädiger
Tod wartet
bis ich selbst
stehen kann
Bist mir
Sorge
bist mir
Trost
Heute Nacht
bist du
durchs dunkle
Tal gewandert
Dies Bild
bewahr
ich mir
für Hungerjahre
Regina Schmick
Wenn der
Morgen graut
schaust du dich
kurz um
und gehst
in Licht
und grüne
Wiesen
Ich höre
deine Läufe
auf dem
Asphalt
und höre nicht
auf
sie zu hören
Regina Schmick
Am 07. August 2010 gegen 15.00 Uhr nachmittags ist unsere Hündin LOBA eingeschlafen.
Der Tierarzt hat sie von einem fortschreitenden, bösartigen Tumor erlöst.
LOBA hat uns von drüben Botschaften gesendet und gesagt, dass es ihr gut geht und, dass es wunderschön dort ist.
Sie hat uns sehr bereichert.
Ihre Asche wird im Wald hinter dem Haus verstreut, wo sie nach Herzenslust buddeln kann.
Klinke 43
„Ein Neues Outing tut Not“
Fange ich bei mir an. Kürzlich hatte ich zwei schlaflose Nächte. Im Gemeindegebet schloss meine Frau
eine Fürbitte für mich ein. Erst ärgerte ich mich, als
ich dies erfuhr. Später fragte ich mich, warum ich so
reagiert hatte. Ich bin in unserer Gemeinde nicht der
einzige mit psychiatrischer Erfahrung. Im Gegenteil.
In unserer Gemeinde fühlen sich viele Menschen gut
aufgehoben, die woanders an den Rand gedrängt
werden. Was also befürchte ich von mir wohlgesonnenen Menschen, die mir mit Verständnis begegnen.
Schäme ich mich? Warum scheue ich mich, Sätze
zu sagen, wie: „Ich bin ,psychisch‘ krank. Seit meinem 23. Lebensjahr. Ich bin Epileptiker. Seit meinem
27. Lebensjahr. Ich bin Minderleister (,schwerbehindert‘). Seit meinem 35. Lebensjahr. Ich bin Frührentner. Seit meinem 41. Lebensjahr.“ Warum fällt es mir
schwer, mich in Begriffen wie psychische Erkrankung, Behinderung oder Schwerbehinderung wieder zu finden.
Will ich mein Leiden selbst nicht wahrhaben? Will
ich es vor mir und vor anderen verbergen? Diese
Selbstverleugnung gilt es bewusst zu überwinden.
Ich will mir zutrauen, heraus zu treten aus dem Kreis
der Frührentner und Psychotiker, der Depressiven
und anderer, und zu sagen: „Hier bin ich. Ich bin so
wie ich bin. Und so bin ich gut. Ich bin gut als
Mensch mit einer offiziell bescheinigten Leistungseinschränkung. Ich bin gut, gerade hier, als Überlebender vieler innerer und äußerer Katastrophen. Ich
bin gut als Mensch mit besonders wertvollen Erfahrungen. Andere können diese Erfahrung vielleicht
gar nicht machen.“
Ich brauche mich also nicht zu schämen. Ich will lernen, zu mir zu stehen. Auch öffentlich. Auch auf die
Gefahr hin, auf Unverständnis zu stoßen. Ein Neues
Outing tut also Not.
Andreas Stork
Klinke 44
Dieser Bericht basiert auf eigenen und mir zugetragenen Erfahrungen
Über das Verhältnis psychisch kranker Menschen
zu ihrer Umwelt
genen Schwächen und Unzulänglichkeiten, wenn
man einen vermeintlich Schwächeren vor sich hat.
Einige „Normalos“ setzen psychisch behindert mit
doof gleich.
Manche Menschen haben eine verzerrte Wahrnehmung über psychisch Kranke, dieses wird auch
über diverse Medienberichte geschürt, in denen
psychisch Kranke regelrecht vorgeführt werden. Sie
werden dann auch manchmal mit Verbrechern, die
irgendeine abnormale Verhaltensweise an den Tag
legen, in einen Topf geworfen. Manche „Normalos“
können auch die Zusammenhänge nicht überblicken.
Sie denken z. B, das mit Robert Enkes war ganz
schlimm. Der arme Kerl hatte Depressionen und hat
sich umgebracht, weil er unter anderem mit dem
Druck, dass das mit seiner Depression an die Öffentlichkeit kommt und er dann seine Kariere möglicherweise an den Nagel hängen muss, nicht mehr
zurechtkam. Das ist in ihren Augen schlimm,
schlimm, schlimm, aber hopp, da kommt ja so ein
„Psycho“ um die Ecke, ich weiß zwar kaum etwas
über ihn, aber der ist ja behindert (z. B. auch wegen
Depressionen), das ist so ungeheuer komisch. Es ist
ja auch so ein erhebendes Gefühl unbedeckt die ei-
Zugegeben, wenn man tief in einer Krise steckt, leidet oft die Kommunikation mit der Umwelt. Das hat
aber nichts mit Doofheit zu tun und gibt sich auch
wieder, wenn man aus der Krise wieder herausgekommen ist. Man sagt, das Leben ist wie eine Achterbahn. Das stimmt, aber wir sitzen nicht alle in
einem Wagen. Jeder hat seine eigene Achterbahn.
„Normalos“ glauben oft: Einmal „Psycho“ immer
„Psycho“ und kriegen gar nicht mit, dass wir auch
Höhen und nicht nur Tiefen haben und uns dann
auch dementsprechend verhalten. Abschließend
möchte ich betonen, dass es auch viele „Normalos“
gibt, die uns akzeptieren und respektieren.
N. N.
Klinke 45
Mit der Krankheit umgehen
Manchmal tut es gut, Bilanz zu ziehen, festzuhalten, wie die eigene Situation in Bezug auf einen Aspekt des Lebens aussieht:
1.) Zur Ruhe kommen
b) der Status
Ärzte, die eine eigene Praxis haben, sind Unternehmer. Wenn ich Probleme am Arbeitsplatz habe und
davon sprechen möchte, kann ein angestellter Arzt
mich eher verstehen.
Seit 1997 mache ich Autogenes Training. Dabei
handelt es sich um eine Kurzversion, die meine Ärztin entwickelt und nach langer Überzeugungsarbeit
mir beigebracht hat.
In vier Phasen spreche ich meinen ganzen Körper,
Puls und Atem, mein Sonnengeflecht und meine
Stirn an. In jeder Phase spreche ich in Gedanken
einen positiven Satz, den ich nach Rücksprache mit
meiner Ärztin ändern kann. Mit folgenden Sätzen
habe ich in den vergangenen Jahren versucht, mich
zu beruhigen:
c) das Alter
Je älter ich werde, desto wichtiger ist mir, dass mein
Arzt ebenfalls Lebenserfahrung und auch fachliche
Erfahrungen gesammelt hat. Es wird auf mich – jetzt
56 Jahre alt – zukommen, dass ich mit einer jüngeren Ärztin zurecht kommen muss. Das wird schwierig, denke ich.
•
•
•
•
•
Ich gehe meinen Weg Schritt für Schritt
Gedanken sind gleichgültig, Ruhe ist wichtig
Überall und jederzeit Ruhe und Gelassenheit
Ich bin mir meiner selbst bewusst
Ich bin bei anderen Menschen ganz ruhig, fest
und frei
• Ich bin hoffnungsvoll und zuversichtlich
• Ich nehme mich an
d) das Geschlecht
Eine gleichgeschlechtliche Arzt / Patient -Beziehung
halte ich für belastbarer, was den emotionalen Kontakt und die Stabilität der Beziehung angeht. Aus
dieser Einstellung ergibt sich, dass Frauen es nicht
ganz so leicht wie Männer haben, weil es mehr
männliche Ärzte gibt.
Ich mache das Autogene Training morgens im Bus,
zu Hause auf dem Bett und wann immer es mir einfällt. Ein Durchgang dauert nur fünf Minuten; manchmal mache ich zwei oder mehr Durchgänge an einem
Stück. Zum Schluss strecke und recke ich mich.
Grundsätzlich sehe ich es so: in dem Maße, in dem
ich in der Lage bin, die Begegnung mit meiner Ärztin zu gestalten, in dem Maße bin ich auch fähig, andere Situationen, mein Leben im Allgemeinen zu
gestalten.
Oft genug muss ich feststellen, dass ich rappelig
und nervös bin. Doch das kann ich mit den Übungen in Schach halten, und insgesamt bin ich nicht
so schnell gestresst und aufgeregt wie früher. „Danach dürfen Sie süchtig werden.“, sagte meine Ärztin beim Üben.
Die differenzierteste Unterstützung erhalte ich seit
über 20 Jahren in Briefen von einem angestellten
Arzt mit Therapieausbildung, der in der Ambulanz
einer Bezirksklinik in Bayern arbeitet.
Es stimmt, was meine niedergelassenen Ärztin hier
vor Ort mir oft gesagt hat: ich bin selbst meine beste
Therapeutin. Sie ist meine Supervisorin; ich behalte
das Heft in der Hand.
Eine Entspannungmethode zu erlernen – sei es Autogenes Training oder sei es Progressive Muskelentspannung nach Jacobson – kann ich nur
empfehlen.
3) Übergewicht
Vor vier Jahren beschloß ich, mein Gewicht – ich
wog ca. 83 kg bei einer Größe von 1,72m – zu reduzieren. Den einen Grund für mein Übergewicht,
das Medikament Clozapin, konnte ich nicht ändern.
Ich war jedoch bereit, meine Ess- und Trinkgewohnheiten von Grund auf umzustellen. Um mich
mental einzustimmen, bestellte ich Broschüren aus
dem Verzeichnis ,Publikationen für Verbraucher und
Fachkräfte‘ über die
2.) Die Arztwahl
Es hat Jahre gedauert, bis ich bereit war, gegen
meine Psychose, für meine Normalität, ein Medikament zu nehmen. Es war ein Schritt der Anpassung.
Ich blieb aber kritisch, was die Auswahl meines Psychiaters anging. Folgende vier Kriterien sind für
mich wichtig:
a) die Ausbildung
Es spielt eine Rolle für mich, dass der Arzt außer
einer Fachausbildung auch psychologisch, psychotherapeutisch Ahnung hat, weil ich die Medizin nur
als Grundlage sehe, auf der ich aufbauen kann, die
mich befähigen soll, für das Leben zu lernen.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.
Postfach 930201
60457 Frankfurt
Sie empfiehlt, verschiedene Lebensmittel verschieden zu gewichten: Grundsätzlich ist das Trinken von
Klinke 46
viel, viel Wasser angesagt. Darauf aufbauend sollte
man Obst und Gemüse in großen Mengen zu sich
nehmen und dabei die Regel „5 am Tag“ beachten,
d.h. jeden Tag fünf verschiedene Sorten von den
bunten Lebensmitteln auf dem Speiseplan zu bringen und damit auch Krebs vorzubeugen. In der Tat
gehe ich bei der Planung meiner Hauptmahlzeit von
Gemüse aus und esse viel Salate. Brot, Kartoffeln,
Getreide und Nudeln sind danach wichtig. Deshalb
esse ich morgens ein Müsli. Milchprodukte, Fleisch,
Fisch und Eier dürfen schon weniger sein. Mit Fetten sollte man sparen und Salziges, Süßes und Alkohol nur als Ausnahme zu sich nehmen.
Es gibt auch Situationen, da bin ich so genervt und
gereizt, dass ich mein Gegenüber verletze; da bin
ich so blockiert, dass ich nichts sagen kann, nicht
reagieren kann, wenn mich jemand anspricht. Dann
erlebe ich Ablehnung und Unverständnis. Es endete
die Beziehung zu einer anderen Patientin, die meine
Ärztin angeregt hatte, aufgrund einer Provokation
meinerseits, und sie, die Ärztin, gab mir den Rat, ein
psychologisches Buch über Kommunikation – ‘Anleitung zum Unglücklichsein’ von Paul Watzlawik zu lesen. Das lehne ich jedoch ab. Statt dessen
nehme ich mir Jahre Zeit, um die gesammelten
Werke von Dorothee Sölle (1929-2003) einer Befreiungstheologin, nachzuvollziehen.
Immer noch zähle ich täglich Kalorien anhand der
folgenden Broschüre:
Ich glaube, dass durch eine intensive Beziehung zu
Jesus Christus sich auch meine Beziehungen hier
auf der Erde verbessern können. Durch seine Liebe
kann ich mich selber akzeptieren, auch wenn es anderen anders geht und Disharmonie herrscht bzw.
man sich aus dem Wege geht.
Sven-David Müller-Nothmann
Kalorienampel
(mit 3000 Lebensmitteln)
Knaur Verlag
Um abzunehmen, versuche ich, bei 1200-1500 Kalorien zu bleiben, ansonsten bei 1700-1900. Ich
habe es aufgegeben, mich durch Essen zu trösten.
Ich genieße das Essen jedoch sehr. Immer wieder
freue ich mich auf meine Mahlzeiten; sie sind oft das
Schönste an einem Tag.
Anke S.
Im Laufe eines Jahres nahm ich 14 kg ab.
Grundsätzlich nehme ich im Winter ca. 4 kg zu. Mein
Körper reagiert instinktiv bei Kälte mit dem Signal
„verschaff dir Energie!“ Im Sommer aber auch umgekehrt: “gib Fett ab!“ Das finde ich o.k.
Ich fühle mich gut in Futter, bin aber mit meinen
69 kg zufrieden.
4.) Immer wieder daneben - ins Fettnäpfchen
Es gibt Tage, da fallen mir wichtige Dokumente aus
der Hand, und ich muß sie auf dem Fußboden zusammensuchen; da renne ich gegen Schreibtischecken und bleibe mit dem Blusenärmel an den
Türklinken hängen, weil ich so fahrig bin. Das ist mir
peinlich und unangenehm in den jeweiligen Situationen. Ich kann dann einfach nicht darüber lachen
und leide unter meiner Ungeschicklichkeit.
Zu meinem alltäglichen Erleben gehört auch, dass
ich Angst vor Nähe habe. Ich bin in Beziehungen
schnell verwirrt. Es ist kein Zufall, dass ich Single
bin. Es gibt Beziehugen, in denen ich mich akzeptiert fühle in meiner Art zu kommunizieren; dann erzähle ich ganz viel von mir und meinen Erlebnissen;
teilweise bin ich dabei so angestrengt, dass ich
überlaut rede, so dass man mir nicht mehr zuhören
mag. Manchmal halte ich mich zu meiner eigenen
Sicherheit an Floskeln der Höflichkeit, die ich in meiner Familie gelernt habe oder mir im Laufe meines
Lebens ausgedacht habe. Ein wirklicher Kontakt
kommt dadurch aber nicht zustande.
Klinke 47
Notizen zum Tod
Heute möchte ich sie finden – sie tot, ich lebendig;
ich habe die Vorstellung: sie ist erhöht; ich habe den
Eindruck: ich bin hier unten – : es ist eine Eiche, zwischen deren Wurzeln sie ruht, an deren Stamm ein
Vogelhäuschen hängt, vor der ich ruhiger werde.
„Ich bin dankbar für dein Verständnis. Du erspürtest,
dass ich ehrgeizig bin und dass ich kaum in der
Lage bin, bei allen Anstrengungen das Leben zu genießen – Gründe für ein schweres Leben,
Schwächen, die ich bedaure.“
Meine Trauer über den Verlust derjenigen, die vom
Tod erfasst wurden, ist nun hier präsent.
Noch ist in mir die Angst vor dem Tod größer als die
Freude auf ihn. Er ist ein Risiko beim Abenteuer des
Lebens. So wie das Leben ist jedoch auch er ein
Geschenk. Ein Glück, dass das lebenslange Ringen
um die materielle und um die geistige Existenz ein
Ende hat. Mit ihm ist Hoffnung verbunden auf ein
Leben ohne Beschränkungen, in der Weite, die die
Seele sich sucht, auf ein ewiges Leben.
Jetzt aber heißt es: wirklich Abschied nehmen, weiter laufen und stille werden.
Anke S.
Sonniges Lied
Da war ein Herz,
nach Liebe schreiend.
Ich küsste sie am Fluß;
Leute spazierten des Weges und riefen: „Hey, hey, hey.“
– (Wo seid ihr heut gewesen?) „Wir spazierten im Zoo daher und unterhielten uns gut.“
Nun, sitze ich hier denke an meine Liebe
sie ist in Amerika
nun, ein Freund kommt rein bald, wir erzählen uns was
und trinken „Selters“
Matu
Klinke 48
Klinke und Irrlichter jetzt auch in einem tollen
Taschenbuch erschienen
„seit langem bin ich schwindelfrei,
ich lasse dich auch gern vorbei...“ Wolfgang Brandl
„gedankenschwer und federleicht“:
Das Buch verleiht dem Schreiben einen Halt, es bündelt die vielen Texte, Gedichte, Skizzen, Gedanken und
Zeichnungen. Dieser Publikation ging eine Ausstellung
voraus, in der Texte, graphische Arbeiten und Lesungen aus dem Umfeld der Psychiatrie auf spannungsreiche Weise vorgestellt wurden. Es sind Werke, die
uns beeindrucken und anrühren, welches uns zu Herzen gehen, weil sie von Herzen kommen. Sie regen uns
zum Nachdenken an, weil sie manches in Frage stellen, was in fest gefügter, so genannter Normalität als
selbstverständlich und richtig gilt. Die Texte wie auch
die Zeichnungen beeindrucken dabei gleichermaßen
in ihrer Vielfalt, Bandbreite und Qualität und berühren
durch die Originalität, Offenheit und ihren Humor. Der
individuelle Ton von 24 Autorinnen und Autoren wird
auf der beiliegenden CD hörbar. Sie haben daher die
Möglichkeit, u. a. auch die Irrlichter käuflich zu erwerben und auf einer CD zu Hause in Ruhe auf sich wirken
zu lassen. Dabei fehlt dann auch nicht das bissige
„Psüschatter-Lied“!
Das Buch, herausgegeben vom Kunsthaus Kannen
der Alexianer Münster GmBH ist incl. CD für 18 Euro
im Kunsthaus Kannen, aber auch im Buchhandel erhältlich. Falls es dort nicht vorliegt, kann es unter ISBN
3-930330-19-9 bestellt werden.
Klinke 49
„Auf Ostern zu“
Mondbeschien’ne Nacht
– gibt mir Kraft.
Leuchtet mir den Weg,
welcher mir so fehlt.
Deine Stimme durch die Nacht
Erwacht / Ertönt / Erlöst
Glockenhell / Ruft
Sei acht-sam / zu Dir
In dieser Nacht.
Dein Gesang tönt frisch / Nach der Wacht.
Mit Bedacht / Wählst Du / Aus.
O, Mond, Du Mond / Gesicht
Söhnst mich aus / mit deiner Nacht.
Andreas Stork
Das Psycho-Soziale Zentrum ist vorübergehend
umgezogen!
Warum?
Dauer:
Umbau und Sanierung des Gebäudes an der Paulstr. 19
Voraussichtlich 1 Jahr
Neue Adresse der Büroräume: Geiststraße 2 - 4, 48151 Münster
(Eckgebäude Weseler Str./Geiststraße)
Die Büroräume in der Geiststraße 2 – 4 sind zu den bekannten Zeiten geöffnet.
Die Telefon- und Faxnummern bleiben erhalten.
Sowohl die alte als auch die neue Anschrift haben ihre Gültigkeit.
Neue Adresse des Freizeitbereichs:
Geiststraße 49 - 51, 48151 Münster
Klinke 50