Islam und Medien - Evangelische Akademie Hofgeismar

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Islam und Medien - Evangelische Akademie Hofgeismar
Die arabischen Fernsehsender Al Jazeera und Al Arabiya
Dr. Iskandar El-Dick*
Medienlandschaft der arabischen Welt
Die arabische Welt umfasst 22 Länder, in denen ca. 300 Mio
Menschen leben. Die Medienlandschaft gestaltet sich trotz des
starken Analphabetismus vielfältig: Presse, Rundfunk, Fernsehen
und Internet. In diesen Ländern erscheinen täglich und periodisch ein
paar tausend potentielle und wichtige, aber auch weniger wichtige
bis kaum bedeutende Blätter. Es strahlen auch hunderte RadioSender und ein paar dutzend Fernsehstationen aus, viele davon
weltweit. Die wichtigsten von ihnen, die einen arabischen und
internationalen Ruhm erreicht haben, sind Al Jazeera, Alarabiya,
MBC, LBC und Dubai-TV.
Gerade aufgrund des noch starken Analphabetismus, insbesondere
unter den Frauen (fast 70 % von ihnen sind Analphabeten), spielen
die elektronischen Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen bei
der Unterhaltung und Meinungsbildung eine entscheidende Rolle.
Daraus resultiert der permanente Versuch der Regierenden, neben
den staatlich kontrollierten Medien ihre Hand auch auf die privaten
Medien zu strecken, sie zu lenken und wenn nötig, zu sanktionieren
oder zu verbieten.
Nur wenige von den arabischen Medien fühlen sich frei im Sinne der
Pressefreiheit und des unabhängigen Wortes. Auch wenige von
ihnen sind in der Lage, sich finanziell selbständig abzusichern. Der
Verkauf der Zeitungen und die Werbung in der Presse sowie im Sehund Hörfunk decken kaum die Kosten ab, so dass sich die Besitzer
gezwungen sehen, auf staatliche oder fremde finanzielle Hilfe zu
stützen, was zweifelsohne zur Abhängigkeit des Mediums führt.
Im Laufe des Freiheitskamfes in den arabischen Ländern wurden
nach der Erringung der politischen Unabhängigkeit in den 50ger und
60ger Jahren des vorigen Jahrhunderts viele Journalisten verhaftet,
gefoltert oder ermordet.
Immerhin ist das Monopol des Staates auf die Massenmedien
heutzutage gebrochen, wenn auch die privaten Medien nicht ganz
frei sind von politischer und finanzieller Abhängigkeit zu potentiellen
Kreisen innerhalb und außerhalb ihres eigenen Landes.
In meinem Referat beschäftige ich mich mit zwei
Medienphänomenen, und zwar mit Al Jazeera und Al Arabiya, die
seit Jahren eine Erfolgsgeschichte in der Informationspolitik
schreiben. Deshalb ist es erforderlich, neben der Bedeutung der
beiden „Giganten“ in der arabischen Welt und im Ausland, die
Hintergründe ihrer Entstehung und Entwicklung sowie die der im
Schatten agierenden politischen und Finanzkräfte zu beleuchten.
Al Jazeera: Entstehungsgeschichte und Entwicklung
Zwischen 1991, dem Jahr, in dem der erste Golfkrieg gegen den
Irak wegen dessen unrechtmäßiger Besatzung des kleinen
Nachbarn Kuwait stattfand und dem 11. September 2001, wo
bekanntermaßen Al Kaida ihre Terrorangriffe in den USA
durchführte, spätestens jedoch im März 2003, als die USA den Irak
militärisch besetzte, begann im medialen Raum Arabiens eine neue
Ära der globalen TV-Berichterstattung, die in keiner Weise mit der
der vorangegangenen Zeit zu vergleichen ist.
Bei der Berichterstattung über den ersten Golfkrieg 1991 waren die
arabischen Zuschauer weltweit ausschließlich auf die
Berichterstattung der westlichen Sender, insbesondere von CNN
und BBC angewiesen, die sie jedoch als nicht objektive Medien
sowie Sprachrohre ihrer Regierungen und deren Interessen
betrachteten. Sie fühlten sich zugleich dieser medialen Übermacht
ausgeliefert, bedrückt und machtlos. Der Hass auf die USA, der
aufgrund des seit 1967 ungelösten Palästina-Problems schon in
hohem Maße unter der Bevölkerung vorhanden war, verstärkte sich
nach dem zweiten Golfkrieg im Jahr 2003, da sich die
Behauptungen
der
USA
über
die
Existenz
von
Massenvernichtungswaffen im Irak als gezielte Verleumdung der
Tatsachen herausstellte und sich der Kriegsvorwand damit als
unbegründet erwies.
Als der Sender Al Jazeera im Jahr 1996 in Katar seinen weltweiten
Betrieb aufnahm und mit fast den gleichen professionellen
journalistischen Methoden wie westliche Sender betrieb, ebenso
die Prinzipien des freien Journalismus, der objektiven
Berichterstattung und des freien und unabhängiges Wortes
respektierte und in diesem Sinne seine Nachrichten und
Sendungen ausstrahlte, entdeckten die arabischen Massen etwas
noch nie da Gewesenes. Bis dahin unterlagen fast alle
Massenmedien in den arabischen Ländern der staatlichen Zensur
und Kontrolle. Die Einschüchterung der Journalisten war ständig an
der Tagesordnung. Die meisten arabischen Medien arrangierten
sich mit den jeweiligen Machthabern, aber die Zuhörer, Zuschauer
und Leser schenkten ihrer Berichterstattung keinen Glauben. So
wurde Al Jazeera mit ihrem neuen Konzept schnell zur
Hoffnungsträgerin für die breiten Massen und zugleich die
glaubwürdigste Alternative zu den westlichen und staatsgelenkten
arabischen Medien.
Es dauerte einige Zeit, bis immer mehr Zuschauer die Beziehungen
des Senders zu der herrschenden Familie Al-Thani in Katar und
dem später gestürzten Regime von Saddam Hussain in Irak
hinterfragten. Fragezeichen wurden - und werden bis heute- jedoch
vor allem über die Nähe des Senders zur islamistischen Ideologie
und zu Al Kaida im Allgemeinen, aber auch zur Hisbollah-Partei
des Libanon und zur palästinensischen Hamas-Bewegung gesetzt.
Im Laufe der Zeit wurde der Widerspruch zwischen den Formen
und den Inhalten der Berichterstattung und der Informationspolitik
des Senders immer deutlicher. Trotz der allumfassenden
Berichterstattung ist der latente Einfluss der islamistischen Kreise
der herrschenden Familie Al-Thani verstärkt zu bemerken, was zur
Folge hat, dass sich Al Jazeera immer mehr zu einer Bühne der
verschiedenen islamistischen Bewegungen entwickelt.
Im Allgemeinen zieht sich durch das gesamte Programm von Al
Jazzera eine antiamerikanische, allerdings weniger antiwestliche
Informationspolitik, was natürlich ein breites Echo unter den
arabischen Massen findet. Die meisten Sprecher und Gäste des
Senders kritisieren beispielweise ständig jede Kooperation mit den
USA in der Region, und betrachten die Länder und Parteien, die
dieses tun, als „Verräter“ und „Helfershelfer“ der Feinde des Islam
oder der neuen Imperialisten.
Paradox ist es allerdings, dass sich die größte US-Militärbasis der
gesamten Nahost-Region gerade im Kleinemirat Katar befindet.
Von dieser Basis aus wurde der Irak im Jahre 2003 überfallen und
besetzt. Und von dort aus werden logistische Operationen gegen Al
Kaida und Taliban in Afghanistan durchgeführt. Auch Iran fühlt sich
von dieser Basis, die nicht weit vom Persischen Golf entfernt liegt,
verstärkt bedroht. Erstaunlich ist nur, dass die islamistischen
Bewegungen und nationalistischen Gegner der USA, die häufig im
Sender präsent sind, keine Kritik an dieser militärischen
Zusammenarbeit Katars mit dem Erzfeind USA üben.
Diskussionen über die Innen-und Außenpolitik des Emirs Hamad
bin Khalifa Al-Thani und seiner Regierung stehen deshalb nicht auf
der Tagesordnung des Senders, wie dies beständig mit der Politik
der anderen arabischen Länder und Regierungen der Fall ist.
Tatsache ist auch, dass Katar seit vielen Jahren politische Kontakte
mit den jeweiligen israelischen Regierungen und Politikern
unterhielt und bis heute unterhält. Der Emir erlaubte sogar die
Eröffnung eines israelischen Handelsbüros in der Hauptstadt Doha,
welches alle Kontakte zwischen Katar und Israel abwickelt, und das
obwohl alle Beschlüsse der Arabischen Liga jegliche Beziehungen
zu Israel untersagen, solange die besetzten arabischen Gebieten
nicht zurückgegeben sind. Erstaunlich ist auch, dass die
palästinensisch-islamistische Bewegung Hamas und die
proiranische und prosyrische Hisbollah-Partei in Libanon keinerlei
kritischen Worte zu der Politik Katars finden. Bekanntermaßen
lehnt Hamas bis heute, im Gegenteil zu Fatah und der PLO, jeden
Kontakt mit israelischen Politikern sowie jede mögliche
Anerkennung des israelischen Staates ab. Hisbollah empfing
seinerseits den katarischen Emir mit allen Ehren in seinem nach
dem Juli-Krieg 2006 in Libanon zerstörten Quartier bei Beirut, weil
er dieser Partei und nicht der libanesischen Regierung Geld zum
Wiederaufbau spendete. Im Gegenzug wirft Hisbollah jeden Tag
der libanesischen Regierung Verrat und Kollaboration mit den USA
und Israel vor. Beide Bewegungen, Hisbollah und Hamas, erhalten
beständig ausreichend Sendeplatz bei Al Jazeera.
Die gleiche paradoxe Berichterstattung im Sender findet man seit
dem 11. September 2001 was die terroristische Bewegung Al
Kaida betrifft. Vor diesem Datum feierte man Osama Bin Laden als
Held aufgrund seines Kampfes gegen die Sowjetunion in
Afghanistan. Nach den Anschlägen hat sich das Bild des
islamistischen Führers im Bewusstsein vieler Araber und Muslime
aus den unterschiedlichen Gründen sehr langsam und mühevoll
verändert, nicht aber im Bewusstsein der Islamisten und Ihrer
Anhängerschaft. Bei dieser Veränderung spielt der nach und nach
vollgezogene Bruch zwischen dem saudischen Bin Laden und der
herrschenden Familie Al-Saud eine entscheidende Rolle. In der
Folge kam es zu einer Reihe von blutigen Attentaten in diesem
Land, die zum Ziel hatten, das saudische Königshaus zu stürzen
und das Land nach dem Vorbild Afghanistans unter der TalibanBewegung umzuwandeln und den Krieg von dort aus gegen die
„Ungläubigen“ zu führen. Bin Laden und Al Kaida haben diesen
Krieg jedoch bitterlich verloren und wurden in den Augen vieler
Araber und Muslime zu „Mördern ihrer eigenen Brüder im Islam“.
Die mediale Beziehung zwischen Al Jazeera und Bin Laden folgt
zum größten Teil dem von mir geschilderten Prozess, also von
anfänglicher Sympathie bis später zur Distanzierung von ihm und
seinen Zielen. Allerdings wird der Sender von Al Kaida bis heute
als Sprachrohr seiner Botschaften genutzt und der Sender
wiederum räumt diesen Video-Botschaften von Bin Laden oder
seinem Stellvertreter Ayman Zawahiri viel Platz ein, sogar mit
unzähligen Wiederholungen über eine Zeitdauer von mehreren
Tagen.
Wenn man also die journalistische Arbeit des Senders genauer
betrachtet, so ist bei den wichtigsten Moderatoren eine Ideologie
mit islamistischem Hintergrund deutlich zu spüren. Dieser Eindruck
verstärkt sich noch in seiner Internetseite www.aljazeera.net, wo
die Leser, die sich in Sachen Islam, Al-Kaida oder Taliban melden,
überwiegend extrem islamistisch eingestellt sind.
Al Arabiya: Entstehungsgeschichte und Bedeutung
Im März 2003, zeitgleich mit dem militärischen Einmarsch der USTruppen in Irak, nahm der arabische TV-Sender Al Arabiya als
Nachrichtenkanal und unmittelbarer Konkurrent zu Al Jazeera seinen
weltweiten Betrieb auf. Der Sender ist eine Unternehmenstochter der
MBC-Mediagruppe, die zunächst vor 16 Jahren von London aus,
dann seit sechs Jahren von Dubai aus, das elektronische
Unterhaltungsgeschäft erfolgreich betreibt.
Diese Gruppe repräsentiert eine Reihe von starken
Geschäftsmännern aus der Golfregion, vor allem Saudis und
Kuwaitis, und besitzt mehrere Fernsehkanäle und Radiosender, die
ebenfalls von Dubai aus senden. Anders als Al Jazeera, dessen
Finanzierung allein von der katarischen Herrscherfamilie Al-Thani
erfolgt, wird Al Arabiya von seinem Mutterkonzern finanziert, der aber
bedeutende Finanzspritzen vom saudischen Königshaus erhält.
Ebenso fließen ihm viele Werbeaufträge von Seiten einer saudischkuwaitische Werbeagentur zu, die auf Grund der politischen
Streitigkeiten zwischen Riad und Kuwait einerseits und Doha
andererseits dem Sender Al Jazeera Spots vorenthalten.
Infolge dessen sind also beide Sender von ihren Arbeitgebern
finanziell und politisch-ideologisch abhängig, ungeachtet dessen, wie
groß oder klein der Freiheitsraum für jeden von ihnen ist. Nur die
Tatsache, dass Al Arabiya von Dubai aus sendet und nicht von Riad
sowie zu einer Geschäftsgruppe gehört, erlaubt ihr zumindest
theoretisch gesehen mehr Unabhängigkeit und Pluralität, aber auch
mehr Bürokratie und Entscheidungsschranken.
Es war insbesondere der immer deutlicher ausgeprägte Wille des
saudischen Königshauses, einen gegenüber Al Jazeera starken
Konkurrenten auf die Beine zu stellen, nachdem der Katarische
Kanal des Öfteren zu einer Tribüne von Islamisten und Nationalisten
geworden war, die Saudi Arabien als Helfershelfer der USA in der
Region darstellen.
Wie Al Jazeera übt auch Al Arabiya harsche Kritik an der
amerikanischen Politik im Nahen- und Mittleren Osten, jedoch mit
dem entscheidenden Unterschied, dass er anders als Al Jazeera die
islamistischen Kräfte und Organisationen attackiert und anprangert
sowie den Terrorkurs des Al Kaida-Netzwerkes scharf verurteilt. Die
Sympathie von Seiten Al Jazeeras für diese Kräfte ist dagegen nicht
zu übersehen, wie bereits von mir dargelegt.
Darüber hinaus fehlen bei der Informationspolitik Al Arabiyas sowohl
die latente Ideologie der Moslembrüder, die ständige Präsenz Ihrer
Vertreter und der nationalistischen Kräfte, als auch der saudische
Wahabismus, eine im Islam sehr reaktionäre Auslegung der Religion,
insbesondere was die Frauen anbelangt. (Das sechsjährige Regime
von Taliban und Al Kaida in Afghanistan stellte beispielsweise eine
noch stärkere Form des Wahabismus dar. Zur Zeit steht diese
offizielle Richtung in Saudi Arabien einer erstarkten liberalen
Bewegung gegenüber und ist dadurch in die Defensive geraten,
insbesondere auch durch die Tatsache, dass König Abdullah eine
moderate Haltung im Islam vertritt und vorsichtige Reformen
befürwortet).
Die Internetseite www.alarabiya.net reflektiert genauso wie bei Al
Jazeera die Informationspolitik des Senders. Die überwiegende
Mehrheit der Leser und Zuschauer der Al Arabiya vertritt jedoch eine
angemessene Haltung zum Islam und distanziert sich vom
Islamismus sowie von Al-Kaida und Taliban.
* Parlamentarischer Redakteur des Arabischen Programms der
Deutschen Welle in Berlin und Korrespondent der panarabischen
Zeitung „Al-Hayat“ und des libanesischen TV-Senders LBC.