Wenn mich jemand fragen würde, wie soll man denn leben?, dann
Transcription
Wenn mich jemand fragen würde, wie soll man denn leben?, dann
19 Mittwoch, 16. Juni 2010 Heidi Kabel is nich doot! Ein plattdeutscher Nachruf von Jasper Vogt Seite 24 Online Heidi Kabel singt „Mein Hamburg, ich liebe dich“ und andere Lieder Abendblatt.de/heidi-kabel-singt Heidi Kabel 1914–2010 Wenn mich jemand fragen würde, wie soll man denn leben?, dann würde ich sagen: Für alles Neue offen bleiben, auch für neue Menschen. Aufeinander zugehen. Den Blick für die Schönheit des Einfachen behalten. Und alles nicht so tierisch ernst nehmen. Wenn Sie geliebt werden wollen, dann müssen Sie zuerst die Menschen lieben mit all ihren Schwächen. So einfach und so schwer ist das. Heidi Kabel Das Ohnsorg war ihr Leben: Heidi Kabel 1992 im Theater. Foto: T&T + 20 H E I D I KA B E L 1914 – 2 010 Hamburger Abendblatt Mittwoch, 16. Juni 2010 Online Ein Video-Interview mit Ohnsorg-Intendant Christian Seeler Abendblatt.de/video-interview-seeler Stationen eines langen Lebens Heidi Kabel, mein Vorbild Mit norddeutscher Gradlinigkeit und Witz spielte sich Heidi Kabel in die Herzen :: Die große Heidi Kabel war meine Urgroßmutter. Natürlich nur auf der Bühne, 1992 standen wir gemeinsam auf den Brettern des Ohnsorg-Theaters, und sie hat für meine Liebe gekämpft. In dem zauberhaften Stück „Manda Voss ward 106“ nach Jean Sarment. Sechs Wochen Proben, sechs Wochen Spielzeit, drei unvergessliche Monate. Ich war damals gerade 25 Jahre alt und noch ziemlich neu im Ensemble des Ohnsorg-Theaters. Und dann gleich eine wunderschöne Rolle neben Heidi Kabel! Gemeinsam mit dieser unglaublich talentierten Komödiantin, die ein bekannter Star war, eine „Volksschauspielerin mit Leib und Seele“, wie es heute vielleicht gar keine mehr gibt. Schon als kleines Mädchen habe ich, wie so viele, in den 70er-Jahren die Ohnsorg-Stars vom Wohnzimmer aus angehimmelt, in den Stücken, die seit 1954 bundesweit im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass ich auch Schauspielerin werden würde. Und ich ahnte nicht, dass ich mit Heidi Kabel arbeiten dürfte. 1914 Am 27. August wird Heidi Kabel, die vollständig Heidi Bertha Auguste Kabel heißt, in Hamburg geboren. Sie wächst an den Großen Bleichen auf, wo ihr Vater, selbstständiger Buchdrucker, niederdeutsche Abende veranstaltet und sie selbst das Plattdeutsche lernt. 1932 Kabel wird in das Ensemble der „Niederdeutschen Bühne“ als Schauspielerin aufgenommen. Eigentlich wollte sie Pianistin werden, begleitete nur zufällig eine Freundin zum Vorsprechen beim Theater; dort wird ihr Talent erkannt. 1933 Sie tritt in ihrer ersten Rolle auf, Kabel steht in dem Stück „Ralves Carstens“ auf der Bühne. 1937 Kabel heiratet ihren Kollegen Hans Mahler, der auch als Regisseur erfolgreich ist. Zuvor hatte Heidi Kabel eine mehrjährige Schauspielausbildung absolviert. 1938 Kabel wird Mutter, der erste gemeinsa- me Sohn Jan-Rasmus wird geboren. 1942 Sohn Nummer zwei, Heiko, kommt zur Welt. 1944 Kabel bringt Tochter Heidi auf die Welt. Auch sie wird Schauspielerin und gehört seit Mitte der 60er-Jahre mit zum Ohnsorg-Ensemble. Mit ihr und Schwiegersohn Michael Koch geht Kabel mehrmals auf Tournee. 1954 Über hanseatische Grenzen hinaus wird Kabel mit ihren Mundart-Stücken erst jetzt populär, denn nun werden die Ohnsorg-Aufführungen bundesweit im Fernsehen übertragen. Das erste dieser Stücke war „Seine Majestät Gustav Krause“. Insgesamt spielt sie in mehr als 160 plattdeutschen Stücken abgearbeitete Hausfrauen und keifende Hausdrachen, gute Mütter und andere Frauen mit norddeutscher Geradlinigkeit, Witz und Herz. Schauspielerin Sandra Keck hat 1992 mit dem Ohnsorg-Star auf der Bühne gestanden. Ein ganz persönlicher Abschied Die große Heidi Kabel ließ auch anderen Schauspielern Raum Aufgeregt war ich vor der ersten Probe. Heidi Kabel, damals 77 Jahre alt, muss das sofort gespürt haben. Sie kam auf mich zu, nahm meine Hand und sagte ganz herzlich: „Bruukst nich bang ween, mien Deern! Dat klappt al!“ Dieser Zuspruch hat mir viel Selbstvertrauen und Mut gegeben, ich habe einfach drauflosgespielt. In den nächsten anderthalb Stunden war ich einfach nur Marie-Luise, Urenkelin von Manda Voss. Angenehm war es, neben Heidi Kabel auf der Bühne zu stehen. Weil sie sehr kollegial war. Weil sie auch anderen Schauspielern Raum ließ, sich zu entfalten. Kein Star mit großem Ego und großem Namen, nicht zu eitel, um die Entfaltung jüngerer Kollegen zuzulassen. Heidi Kabel ist dagegen immer „hanseatisch“ gewesen, bescheiden und bodenständig. Fasziniert hat mich häufig der Schalk in ihren Augen, dieses unbeschreibliche Glitzern. Auf dem Fernsehbildschirm war mir das schon aufgefallen, auf der Bühne war es unübersehbar. Ein paarmal hat Heidi Kabel mich damit regelrecht rausgebracht, weil ich mein Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Ich erinnere mich an eine Szene, in der ich ihr den Nachtrock zuknöpfen sollte. Die Zuschauer konnten mein Gesicht sehen, aber nicht das Gesicht von Frau Kabel. Also hat sie Grimassen geschnitten. Ich musste richtig losprusten, so komisch war sie. Wer hätte ihr diese kleinen Ausbrüche zugetraut, dieser legendären Grande Dame des Theaters! Aber dann dachte ich mir: Sie ist Sandra Keck, Ohnsorg-Schauspielerin und AbendblattKolumnistin. 1970stirbt ihr Ehemann Hans MahIm März eben jung geblieben und manchmal so übermütig wie wir jungen Schauspieler. Was ich von Heidi Kabel gelernt habe: Ein großer Name ist noch lange kein Grund, die Bodenhaftung zu verlieren. Sie ist immer authentisch geblieben. Volksnah eben. Und natürlich wollten die Zuschauer „ihre“ Heidi Kabel sehen, mit ihr sprechen, sie berühren, nachdem ihr Spiel die Menschen so bezaubert hatte. Ich habe bewundert, mit welcher Grandezza sie das hingenommen hat. Denn sie war zwar ein Star zum Anfassen, mochte dieses Angefasstwerden aber nicht so, glaube ich. Privat war sie eher zurückhaltend. Aber wenn sie jemanden mochte, dann war Heidi Kabel sofort warmherzig und alles andere als unnahbar. Sie war pünktlich, gut vorbereitet, stets ein Vorbild an eiserner Disziplin. Vielleicht hatte sie manchmal Knieschmerzen oder es ging ihr nicht so gut. Nie hat sie ein Wort darüber verloren, alles hinter der Bühne gelassen. Ihr Publikum sollte ihr den Schmerz nicht anmerken. Ganz ehrlich, bis zu zehnmal in der Woche haben wir mit „Manda Voss ward 106“ auf der Bühne gestanden – das ist ein Kraftakt, auch wenn man jung ist. Heidi Kabel hat der plattdeutschen Sprache ein Gesicht gegeben und dem Ohnsorg-Theater eine unglaubliche Popularität! Und damit hat sie auch mir den beruflichen Weg geebnet. Gerade habe ich mit ihrer Tochter Heidi Mahler auf der Bühne gestanden, und ich glaube sagen zu dürfen, dass sie so viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hat: die Gestik und auch diesen unverwechselbaren Schalk in den Augen. Heidi Kabel war dem Ohnsorg-Theater immer verbunden. Auch als sie selbst nicht mehr auf der Bühne stand, kam sie zu jeder Premiere – so auch zu unserer Kultrevue „Rock op Platt“, die ich 2002 geschrieben und inszeniert habe. Rasante Rockmusik op Platt, na, wenn das mal was für die Ohren einer 87-Jährigen ist?! Doch Heidi Kabel sagte: „Toll gemacht. Das ist ein ganz neuer Weg für das Ohnsorg-Theater! Ich freu mich so, wenn das Haus sich modern und frisch präsentiert!“ Vorbildlich, wie sie als dreifache Mutter Familie und Beruf vereinbart hat Heidi Kabel war nicht nur schauspielerisch ein Vorbild. Als Mutter eines sechsjährigen Sohnes finde ich es beeindruckend, wie sie als dreifache Mutter Familie und Schauspielerei vereinbart hat – in einer Zeit, in der das nicht selbstverständlich war. An unsere gemeinsame Zeit auf der Bühne habe ich gestern intensiv gedacht. Auch an ihre Sterbeszene am Ende von „Manda Voss“, die sie jeden Abend mit so einer darstellerischen Kraft gespielt hat, dass vielen Menschen vor und hinter der Bühne die Tränen kamen. Es war so anrührend, wie meine Urgroßmutter beruhigt von dieser Welt gehen konnte, weil sie für mich, ihre Urenkelin, alles erreicht hatte. Ick warr di nich vergeeten, Heidi Kabel! Heidi Kabel am Telefon – am 14.12.1986 in „Froo Pieper levt gefährlich“ im Ohnsorg-Theater. Foto: Chris Pohlert Aufgezeichnet von Vanessa Seifert ler. Kabel ist erst 56, heiratet kein zweites Mal. 1985 Sie gewinnt die Goldene Kamera für ihre Arbeit im Ohnsorg-Theater. Ausgezeichnet wird sie in ihrem Leben mit zahlreichen weiteren Preisen, darunter Bambi, Goldener Bildschirm, Silbernes Blatt der Dramatiker Union und der Ehren-Schleusenwärter. 1989 Kabel nimmt nun auch Schallplatten auf. Ihre beliebtesten Stücke sind die Schlager „In Hamburg sagt man Tschüs“ oder „An de Eck steiht ’n Jung mit ’nem Tüdelband“. 1992 Kabel begeht ihr 60. Theaterjubiläum und feiert – nach zwei Jahren OhnsorgUrlaub – mit 78 Jahren in der Komödie „Manda Voss ward 106“ ein viel beachtetes Comeback. 2007 In Detlev Bucks Verfilmung von „Hände weg von Mississippi“ übernimmt Kabel eine kleine Rolle an der Seite ihrer Tochter Heidi, obwohl sie sich seit 2002 zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. 2010 stirbt die VolksschauspieleAm 15. Juni rin in Hamburg. „Das Spiel mit ihr war immer entzückend“ CHRISTIAN SEELER :: Der Intendant des Ohnsorg-Theaters, in dessen Foyer ein Porträt von Heidi Kabel hängt, ist der beliebtesten Schauspielerin seines Hauses seit vielen Jahren sowohl ganz persönlich als auch beruflich verbunden. Meine erste Begegnung mit ihr war 1984, damals war sie schon die große Dame des Volkstheaters, und ich war ein Jungschauspieler von 26 Jahren und als jugendlicher Liebhaber eingesetzt. Es gab eine Szene, in der ich meine Schwärmerei für das Mädchen spielen sollte, einen Tanz mit einem Lied, aber es lief nicht so, wie es sollte. Heidi Kabel nahm mich beiseite und sagte: „Mien Jung, so geiht das nich“, sie drückte mir ein dickes Sofakissen in die Arme, erklärte: „Stell dir vor, das ist dein Mädchen! Noch mal!“ – und dann lief’s. Das vergesse ich nicht. Das Spiel mit ihr war immer entzückend. Sie hat übrigens immer sehr streng darauf geachtet, dass wir gutes Plattdeutsch sprachen, hat auch korrigiert, und wehe, wenn einer den Text nicht kannte! Sie konnte ihn immer. Heidi Kabel hat jahrzehntelang auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters gestanden und die Besucher begeistert. Die Zuschauer konnten sich mit ihren Bühnenfiguren identifizieren und mit ihnen lachen oder weinen. Ihre Glaubwürdigkeit musste sie nie herstellen, sie war immer da. Durch ihr außergewöhnliches Talent, verbunden mit unermüdlicher Arbeit, war sie der Star des deutschen Volkstheaters. Ihr Publikum hat ihr ein einzigartiges Attribut verliehen, das mehr bedeutet als jeder Preis und jede andere Auszeichnung: „Uns Heidi“. Ein liebevoller Ritterschlag – eine wunderbare Liebeserklärung. Der Name Heidi Kabel und der Name des Ohnsorg-Theaters sind untrennbar miteinander verbunden. Ohnsorg-Intendant Christian Seeler mit Heidi Kabel. Foto: Fotopress + Bilder, Videos und viele weitere Informationen auf abendblatt.de Modeschöpfer Jürgen Hartmann: „Ich vermisse meine Heidi“ Noch viel mehr Informationen, Fotos und Videos zur großen Schauspielerin Heidi Kabel finden Sie unter www.abendblatt.de/heidi. Es gibt eine Fotostrecke mit mehr als 80 Bildern der beliebten Schauspielerin, darunter Familienaufnahmen und Fotografien ihrer langen und bewegten Karriere. Außerdem sind mehrere Videos zu sehen, auch ein Film über die Feier anlässlich des 80.Geburtstags von Heidi Kabel 1994 auf dem Jungfernstieg. Dort hatte sie mit Tausenden Fans gefeiert. Außerdem dokumentiert ein Video eine Straßenumfrage: Was sagen die Hamburger zum Tod von Heidi Kabel? Ein weiteres Video zeigt schöne Aufnahmen von Hamburg, die untermalt werden von Heidi Kabels berühmtesten Lied „In Hamburg sagt man Tschüs“. Der Intendant des Ohnsorg-Theaters, Christian Seeler, berichtet in einem Video-Interview von seinen Begegnungen mit Heidi Kabel und verrät den schönsten Moment, den er mit ihr erlebte und in Erinnerung behalten wird. Um persönlich von der großen deutschen Volksschauspielerin Abschied zu nehmen, können Sie sich online unter www.abendblatt.de/letztergruss eintragen und Ihre Gefühle für den außergewöhnlichen Menschen Heidi Kabel zum Ausdruck bringen. :: Jürgen Hartmann erfuhr die Nachricht vom Tod seiner langjährigen und besten Freundin Heidi Kabel gestern aus dem Radio. Kein persönlicher Anruf aus dem Familienkreis, das Verhältnis des Modeschöpfers zu Heidis Angehörigen sei nicht das Beste gewesen, sagt er. Privat war Heidi sehr ruhig, „sie war eigentlich ein scheuer Mensch“ Die Künstlerin und Hartmann kannten sich seit 1970, „da stand Heidi mit ihrer Managerin in meinem Atelier, weil sie ein Kleid für eine Fernsehsendung brauchte“, erinnert er sich. Von diesem Zeitpunkt an kreierte er alle Roben für die Schauspielerin – und sie wurde zu einer engen Freundin. Trotz des Altersunterschieds von 17 Jahren verstanden sich die beiden blendend, fuhren fast jedes Jahr gemeinsam mit zwei weiteren Freunden in den Urlaub zu den heißen Quellen von Abano. „Heidi und ihre drei Musketiere“, sagt Hartmann gedankenverloren. Oft sei er gefragt worden, ob er mit der „Rappelschnute“ wirklich seinen Urlaub verbringen könne, aber privat sei Heidi sehr ruhig gewesen. „Eigentlich war sie ein scheuer Mensch.“ In den Wochen in Italien hatten sie Spaß zusammen, „wir haben immer gewitzelt, dass die Quellen unser Jugendelixier sind“. In diesen Sommern habe Heidi gelernt, das Leben zu genießen, das Rollenbuch mal aus der Hand zu legen, gut zu trinken und zu essen – mit Leidenschaft blutige Steaks. „Sie hat sich immer mehr entwickelt, hat dann Spaß an der Mode gefunden, obwohl sie ungern anprobierte. Sie liebte starke Farben und wurde immer kühner und schicker“, erinnert sich Hartmann. Er schluckt. „Sie ist einfach nicht zu ersetzen.“ Doch er habe Heidi Kabel schon länger verloren, seit die Demenz sie langsam vergessen ließ. Auch der Tod war ein Thema in ihren Gesprächen. Er sang ihr bei seinen Besuchen vor, dann erkannte sie ihn manchmal Alle vier Wochen besuchte Hartmann seine Freundin im Altenheim. „Seit Weihnachten habe ich schon gemerkt, dass es ihr nicht gut geht. Sie hat mich nur noch erkannt, wenn ich ihr vorgesungen habe.“ Der Gesang gehörte zu ihrer Freundschaft, sie nahmen gemeinsam zwei CDs auf. „Sie hat unsere ‚Tingeltouren‘ geliebt. Zum Beispiel an die Ostsee, wo wir aufgetreten sind.“ Als Heidi noch ganz gesund gewesen sei, da hätten sie täglich bis zu fünfmal telefoniert. „Und richtig gern sind wir bodenständig essen gegangen, auf dem Bootssteg oder auf dem Alsterdampfer – nicht nur das vermisse ich.“ Mittwoch, 16. Juni 2010 H E I D I KA B E L 1914 – 2 010 Hamburger Abendblatt 21 Online Frage des Tages: Sollte Heidi Kabel Ehrenbürgerin von Hamburg werden? Abendblatt.de/ehrenbuergerin Z I TAT E VON HEIDI KABEL Leuchtturm des Nordens Für Freunde und Kollegen war Heidi Kabel hanseatisch, talentiert und authentisch – das Musterbeispiel einer Volksschauspielerin Mit persönlichen Erinnerungen oder Anekdoten und vielen lieben Worten erinnern sich Freunde und Weggefährten an Heidi Kabel. Und die eine oder andere Liebeserklärung an die bekannteste Hamburgerin findet sich unter den Reaktionen vom Bürgermeister Ole von Beust über Uwe Seeler bis Detlev Buck: Ole von Beust, Erster Bürgermeister: Heidi Kabel gehörte zu Hamburg wie der Michel. Zu Recht als die große deutsche Volksschauspielerin gefeiert, eroberte sie mit Witz, Geradlinigkeit und Herzenswärme die Zuschauer im Sturm. Sie war in ihren Rollen wie im wahren Leben immer hanseatisch, bodenständig und ehrlich, eben eine echte Hamburger Deern! Uwe Seeler, Ehrenspielführer der Nationalmannschaft: Sie war eine der größten Hamburgerinnen, sie war beliebt bei Jung und Alt, sie hatte eine unglaubliche Wärme und Herzlichkeit – sie war einmalig. Wir hatten ein ganz enges Verhältnis. Wenn wir uns trafen, waren wir stets ein Herz und eine Seele, unsere Familie ist über ihr Ableben tieftraurig. Hamburg ist um einen ganz lieben Menschen ärmer geworden, wir werden Heidi Kabel niemals vergessen. Jan Fedder, Schauspieler: Beim letzten großen Leuchtturm des Nordens ist das Licht ausgegangen. Heidi Kabel war eine der größten deutschen Volksschauspielerinnen, wir haben ein paarmal zusammen gedreht, sie war – wie ich auch und wie Uwe Seeler und Siegfried Lenz – Alsterschleusenehrenwärter, und ich habe sie sehr verehrt. Sie war ein wirklich herzensguter Mensch, war immer bemüht, dass auch alle genug zu essen haben. Ich sag ja immer, ich bin hauptberuflich Mensch und nebenberuflich Schauspieler. Bei ihr war das auch so. Sie war nie affektiert, sie war ganz natürlich. Und 95! Mensch! Ich wär froh, wenn ich mal so alt werde. Helge Adolphsen, ehemaliger MichelPastor: Heidi Kabel war eine Komödiantin, die einen Pastor wie mich viel lehren konnte. Einmal hatte ich sie in den Michel zum Lesen eingeladen. Sie bestand drauf, auf Plattdeutsch zu lesen, setzte sich durch und las dreimal plattdeutsch. Sie hat das beherzigt, was Luther sagte: Man muss dem Volk aufs Maul schauen, so hat sie die Menschen wirklich erreicht. Detlev Buck, Regisseur (u. a. des letzten Kinofilms mit Heidi Kabel, „Hände weg von Mississippi“): Heidi Kabel hat als Schauspielerin Identität geschaffen und Wärme ausgedrückt. Durch ihre direkte, kernige Art hat man sich wohlgefühlt, im besten Sinn. Heute, wo alles global und international sein will, ist viel von dieser Wärme und Identität verloren gegangen. Ihr Tod macht das umso schmerzlicher bewusst. Laudator Jan Fedder begleitet Heidi Kabel am 18. November 2004 zur Bambiverleihung auf die Bühne. Jutta Wübbe, Schauspielerin (Marlene Jaschke): Ich habe es immer als Auszeichnung empfunden, wenn man Marlene Jaschke mit Heidi Kabel verglichen hat, und werde nie den Tratsch im Treppenhaus vergessen. Foto: AP / Fabian Bimmer Karin von Welck, Kultursenatorin: Für Sie starb um 6 Uhr im Seniorenstift viele Menschen war Heidi Kabel weitaus mehr als eine Schauspielerin. Sie war ein Hamburger Original. Mit Heidi Kabel verbinden wir nicht nur die plattdeutsche Sprache, die sie mit dem Ohnsorg-Theater über Jahrzehnte in deutsche Wohnzimmer brachte. Sondern Heidi Kabel, das war und bleibt Hamburg: Hafen, Michel, Reeperbahn, unnachahmlich bodenständig, mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und mit großem sozialen Engagement. Kinder der Schauspielerin planen die Trauerfeier. Kondolenzbuch liegt im Rathaus aus CLAUDIA EICKE -DIEKMANN :: Heidi Kabel starb gestern früh um 6 Uhr in der Seniorenresidenz „Ernst und Claere Jung Stiftung“ in Othmarschen im Alter von 95 Jahren. Dort hat die große Dame der plattdeutschen Volksbühne, die zuletzt an Altersdemenz litt, ihre letzten fast sieben Lebensjahre in Betreuung verbracht. Sohn Heiko Mahler hatte am frühen Morgen die Nachricht vom Tod seiner Mutter vom Seniorenstift erhalten. „Sie ist friedlich eingeschlafen“, sagte Enkel Jan-Hinnerk Mahler am Mittag. „Wir sind traurig, aber sie hat ein sehr schönes Leben gehabt.“ Am frühen Nachmittag trafen sich die drei Kinder von Heidi Kabel in Hamburg. Jan-Rasmus, Heiko und Heidi Mahler begannen mit den Planungen der Beisetzung. Ob die Beerdigung öffentlich oder im engen Kreis stattfinden soll, hat die Familie noch nicht entschieden. Alle Hamburger können sich in ein Kondolenzbuch im Rathaus eintragen Das Ohnsorg-Theater hatte am Mittag die Nachricht vom Tod Heidi Kabels in Abstimmung mit der Familie veröffentlicht. „Wir trauern um eine großartige Schauspielerin, eine wunderbare Kollegin und einen einzigartigen Menschen“, so Intendant Christian Seeler. Im Rathaus können von heute an die Hamburger und auch die Gäste der Hansestadt ihre Erinnerungen an die deutschlandweit verehrte Schauspielerin in einem letzten Gruß aufschreiben. „In der Rathausdiele liegt neben einem Foto und einem Blumenstrauß das Kondolenzbuch der Hansestadt aus“, sagt Bürgerschaftssprecher Ulfert Kaphengst. In den kommenden Tagen wolle man sich mit der Familie Mahler und dem Ohnsorg-Theater über eine öffentliche Trauerfeier abstimmen. Sie war eine sehr elegante und stets perfekt frisierte Frau Den Bewohnern, Gästen und Nachbarn der „Ernst und Claere Jung Stiftung“, in der Heidi Kabel seit 2003 wohnte, wird die Schauspielerin vor allem als „gediegene und freundliche Dame“ in Erinnerung bleiben. Meta Stölken hat sie kennengelernt, als sie ihren inzwischen verstorbenen Mann Harald täglich in der Seniorenresidenz besuchte. „Heidi Kabel war eine sehr elegante, stets perfekt frisierte Frau und hatte so gar nichts gemein mit der volkstümlichen resoluten Deern, die sie immer in den Theaterstücken gemimt hat.“ Heidi Kabel sei von den Bewohnern verehrt worden. „Das konnte man spüren“, sagt Meta Stölken. „Jeder begegnete ihr mit Hochachtung und gleichzeitig rücksichtsvoll.“ Die Familie habe sich rührend um sie gekümmert. „Heidi Kabel liebte das Singen“, sagt Meta Stölken. „Ich habe sie jeden Montag beim Singen erlebt. Die Volksliedertexte kannte sie allesamt auswendig. Ich bin mir sicher, dass es ihr im Seniorenheim sehr gut ging und dass sie ein glücklicher Mensch war.“ Für ihre Nachbarin Magdalene Lahs war Heidi Kabel vor allem in den Jahren, in denen sie fernab von Hamburg in Bonn lebte, „ein Stück Heimat“. „Ich habe sie mir damals immer im Fernsehen angeschaut. Das brauchte ich“, sagt die ehemalige Altenpflegerin. „Hier bin ich ihr einmal in unserer Straße begegnet. Sehr schick sah sie aus. Ich habe ihr nachträglich zum Geburtstag gratuliert. Ich glaube, sie hat sich gefreut, dass ich sie erkannt habe.“ Edgar Bessen, Schauspieler: Man konnte sich auf sie verlassen, sie hat immer die anderen auf der Bühne unterstützt, wenn mal was wackelte. Bei einer Feier im Thalia-Theater hat sie spontan ihre Hamburger Lieder gesungen, und alle haben mitgesungen, auch die jungen Menschen. Das konnte sie eben, sie hatte diese Ausstrahlung. Margret und Detlef Olzog leben seit 42 Jahren in den USA, besuchen zweimal im Jahr die Mutter im Ernst-undClaere-Jung-Stift. „Zu Heidi Kabels 95. Geburtstag waren wir zufällig hier. Das ganze Haus war voller Blumen.“ Heidi Kabel habe Blumen gemocht. „Das haben wir bei einem Gespräch zwischen ihr und ihrer Tochter über eine Sonnenblume gehört.“ + Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen: Heidi Kabel ist die bekannteste Hamburgerin überhaupt. Sie hat uns damals als jüngere Generation die plattdeutsche Sprache ins Herz gepflanzt. Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck, war bodenständig und ging direkt auf Menschen zu. Wie die Stücke auf mich zukommen, so kommt auch das Leben. Und wie der Augenblick ist, so handle ich. Rüdiger Kowalke, Fischereihafenrestaurant: Sie war für mich die größte Volksschauspielerin. Und im Restaurant war sie immer gut drauf und immer nett zu uns. Sie kam privat mit ihren Kindern und bevorzugte Bodenständiges – zum Beispiel Karpfen blau. Männer sind zwar oft so jung, wie sie sich fühlen, aber niemals so bedeutend . . . Uwe Friedrichsen , Schauspieler: Ich empfinde große Trauer. Ich habe sie sehr geschätzt, ja sehr lieb gehabt. Sie war für mich das Musterbeispiel einer Volksschauspielerin. Heute ist der Begriff mehr und mehr inflationiert. Bei ihr trifft er wirklich zu. Sie betrat die Bühne. Die Leute guckten hin und liebten sie. Das passiert ganz selten. Ulrich Tukur, Schauspieler und Musiker: Mit ihr ist die letzte Hamburger Volksschauspielerin von uns gegangen. Damit ist eine Zeit abgeschlossen, die so nicht wiederkommt. Jürgen Flimm, Regisseur und Leiter der Salzburger Festspiele: Ich habe viele Gespräche mit ihr geführt und durch sie etwas kennengelernt, von dem ich nicht wusste, dass es das gibt: eine echte Hamburger Seele. Die Hamburger gelten als nüchtern und spröde. Sie war das Gegenteil. Sie war zugewandt und fröhlich. Meine erste Begegnung mit ihr hatte ich bei einem Sonntagsfrühstück in Köln bei Willy Millowitsch, wir haben lange geplaudert, und meine Lust auf Hamburg stieg. Sie war eine große Schauspielerin, und ihr Publikum hat sie zu Recht auf Händen getragen. Von wem kann man das schon sagen? Maria Jepsen, Bischöfin: Beeindruckt hat mich die Selbstverständlichkeit, mit der sie eine ganz natürliche Frömmigkeit lebte. Als ich sie vor einigen Jahren im Altenheim besuchte, haben wir spontan zusammen Weihnachtslieder gesungen. Frank Schira, CDU-Bürgerschaftsfraktionschef: Der Tod von Heidi Kabel ist ein schwerer Verlust für Hamburg. Mit ihrer Leistung als große Volksschauspielerin, ihrem Charme und Humor hat sie die Herzen der Menschen erobert und nie an Bodenhaftung verloren. Michael Neumann, SPD-Bürgerschaftsfraktionschef: Ich habe an ihr bewundert, dass sie trotz ihres Alters und ihrer angegriffenen Gesundheit nie ihren Lebensmut verloren hat. Und wie sie im Wahlkampf 2002 in Altona Gerhard Schröder die Schau gestohlen hat – das hatte schon was. Rolf Salo, Landesvorsitzender der Hamburger Liberalen: Mit Heidi Kabel verliert die Hansestadt eine Theaterlegende. Ihr Witz und ihr mimisches Talent haben sie zur Kultfigur werden lassen! Friedrich Schirmer, Schauspielhaus-In- tendant: Heidi Kabel war ein Stück Hamburg, einzigartig aufgrund ihrer Popularität. Und die wurzelte darin, dass die Figuren, die sie spielte, absolut authentisch waren, und sie waren es, weil Heidi Kabel als Mensch authentisch war. Ulrich Waller, Intendant St.-Pauli-Thea- ter: Für mich war Heidi Kabel immer eine Verbindung nach Norddeutschland. Mit ihr ist eine Ikone meiner Kindheit verschwunden. Heidi Kabels Tod ist ein großer Verlust für uns alle. Sie war, solange ich denken kann, eine wundervolle Botschafterin Hamburgs. Abschiede gehören natürlich zum Leben dazu, aber dieser ist auch für mich persönlich schmerzhaft. Auf der Bühne habe ich sie Dutzende Male erlebt und vor allem ihre Natürlichkeit genossen. Horst Königstein, Theatermann und Filmemacher: Heidi Kabel war die ideale Verbindung aus absoluter Volkstümlichkeit und feiner Komik. Sie hatte keine Angst vor Grobheiten, konnte es aber mit ihrer Komik mit den Größten dieser Kunst aufnehmen. Ähnlich wie Ulrich Wildgruber, bei dem man sich wegen seines chaotisch-aufbrausenden Temperaments nicht vorstellen konnte, dass er dieselbe Figur zweimal auf die gleiche Weise spielt, es dann aber doch tat, war auch sie immer hundertprozentig bei der Sache. Joachim Lux, Thalia-Intendant: Am Tode von Heidi Kabel erkennt man, was uns fehlt: Künstlerpersönlichkeiten, mit denen sich die gesamte Bevölkerung identifizieren kann. Das nennt man Volksschauspieler. Es scheint immer schwieriger zu sein, Menschen mit Michael Lang, Direktor Komödie Winterhuder Fährhaus: Heidi Kabel gab ihren Figuren eine emotionale Tiefe, eine große Ernsthaftigkeit, und verstand es dabei, ein breites Publikum zu unterhalten. (asti, jomi, msch, See, ma, reba, TRS) Lutz Mohaupt, Bürgerschaftspräsident: Fernab von Hamburg war Heidi Kabel für viele ein Stück Heimat solcher Lebensnähe und einem solchen Humor anzutreffen. Vielleicht hat das mit einer veränderten Zeit zu tun, in der solche Gestalten kaum mehr ermöglicht werden. Ich bin glücklich über das Prädikat Volksschauspielerin. Die Leute identifizieren sich mit mir und fühlen sich mit mir in den Stücken verbunden. Nee, ich bin nie auf die Idee gekommen, mich selbst zu verwirklichen. Dazu hatte ich keine Zeit. Es gibt für mich nichts Schöneres, als mein Publikum zum Lachen, zum Nachdenken und zum Weinen zu bringen. Ich habe immer versucht, mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben, habe nie versucht, mir Wolkenkuckucksheime zu bauen, und ich bin ganz gut damit gefahren. Boulevard ist sehr schwierig. Die meisten verwechseln Heiterkeit mit Oberflächlichkeit. Leider wissen viele junge Leute gar nicht ihr Glück zu schätzen. Wenn ich an meine Jugend denke, da gab es keine Zuschüsse, kein BAföG, kein Mutterschutzgesetz. Da waren wir froh, wenn wir etwas zu essen hatten und mal ein paar Kohlen klauen konnten. Ich habe immer versucht, mit Anstand zu leben, was mir mein Schicksal vorgegeben hat. Ich habe zeit meines Lebens gearbeitet. Das hält frisch. Das frühe Aufhören, so mit 60 oder 65, ist ein großer Fehler. Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist. Flirtende Ehemänner am Strand sind keine Gefahr, denn sie schaffen es nicht lange, den Bauch einzuziehen ... 22 H E I D I KA B E L 1914 – 2 010 Hamburger Abendblatt * Mittwoch, 16. Juni 2010 Online Ein Video zu Heidi Kabels 80. Geburtstag Abendblatt.de/heidi-kabel-geburtstag Mit der „Rosenkönigin“ fing alles an Die Mutter Courage der kleinen Leute Warum die Zuschauer Heidi Kabel zur Volksschauspielerin machten: Ihr Erfolg setzt sich aus fünf Bausteinen zusammen Die wichtigsten Stationen einer Schauspielkarriere mit mehr als 200 Bühnenrollen :: In mehr als 200 Ohnsorg-Aufführungen trat Heidi Kabel auf und wirkte in mehr als 200 Fernsehfilmen mit. Außerdem spielte sie Schallplatten ein, verfasste zwölf Kochbücher und drei Erinnerungsbände. 1932 Erste Hauptrolle in „Die Rosenkönigin“. 1951 Filmdebüt mit einer Nebenrolle in „Grün ist die Heide“. 1954 Das Fernsehen beginnt, mit dem Stück „Seine Majestät Gustav Krause“ Ohnsorg-Aufführungen aufzuzeichnen. 1966 spielt in „Tratsch im TrepHeidi Kabel penhaus“ eine Paraderolle. Das Publikum feiert sie enthusiastisch. 1973 Erste Theatertournee mit dem Stück „Zwei Engel“, das später in „Mein ehrlicher Tag“ umbenannt wird. 1979 bringt ihre ersten MemoiHeidi Kabel ren unter dem Titel „Manchmal war es nicht zum Lachen“ heraus. 1982 Große Triumphe feiert Heidi Kabel mit den Produktionen „Mudder Mews“ und „Die Kartenlegerin“. 1983/84 in der ARD-Fernsehserie Kabel wirkt „Rummelplatzgeschichten“ mit. 1985 mit der „Goldenen Kamera“. Ehrung 1988 ARD-Tatort „Pleitegeier“. Rolle im 1989 Gemeinsamer Auftritt mit ihrer Tochter Heidi Mahler in „Een Mann is keen Mann“. 1990 Mit der Aufführung „Een Mann mit Charakter“ in Rostock spielen Kabel und das Ohnsorg-Ensemble erstmals seit 53 Jahren wieder in der DDR. 1990 veröffentlicht das Album „Meine Kabel Heimat ist der Norden“ mit zum Teil eigenen Liedern. Heidi Kabel vor der Kulisse ihres geliebten Hamburg. Im Frühsommer 2002 machte sie einen Spaziergang an der Alster. Foto: action press HANS -JUER GEN FINK :: Wie ist Heidi Kabel zum in ganz Deutschland populären Gesicht der Hansestadt geworden, so bekannt wie Michel, Hafen, Fischmarkt, der HSV oder das HH auf dem Nummernschild? Heidi Kabels gewaltiger Erfolg hatte fünf Bausteine. Eine von uns. Heidi Kabel galt den Menschen auf der Straße immer als „eine von uns“. Dabei war die Drucker- und Verlegertochter nicht in einfachen Verhältnissen geboren. Ihre Rollen in niederdeutschen Stücken holten sie in die Volksnähe: Das war die Sprache des Volkes, das waren Frauen von nebenan, aus dem Mietshaus oder vom Bauernhof. Frauen, die sich durchbeißen. Wichtig vielleicht auch: Heidi Kabel war in der NS-Frauenschaft, sie durfte deshalb zwei Jahre nicht spielen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie musste weiterleben im Bewusstsein, dass sie vor 1945 wohl zu unkritisch gedacht hat. Das verband sie mit einer Mehrheit der Hamburger, denen es ähnlich ging, die auch weiterleben mussten mit moralischer Schuld. Sie war eine von ihnen. Und sie erlebte, wie es ist, wenn man in Kriegsund Nachkriegszeiten drei kleine Kinder durchbringen muss. Da alles half, die Nase nicht hoch zu tragen. Das Ohnsorg-Ritual. Mit der Fußball- WM 1954 wird Fernsehen zum Massen- ereignis. Das Zeitalter von Salzstangen und Käse-Igel bricht an; wer schon einen Bildschirm hat, lädt Nachbarn ein. 1954 geht zum ersten Mal das OhnsorgTheater auf Sendung, damals aus dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld und mit einer Revolution: Man spricht vor der Kamera eine entschärfte Form des Plattdeutschen, damit es draußen im Land auch jeder verstehen kann. Die Stücke kommen gut an, die Einschaltquoten liegen nicht selten bei Straßenfeger-Zahlen: bei 70, 80 Prozent der Geräte. Der Marktanteil beträgt, weil das Erste noch das Einzige ist, 100 Prozent. Heidi Kabel wird zum nationalen Fernsehstar, auch weil man sie so gut verstehen kann. Meine Eltern haben ebenfalls immer wieder auf das „Ohnsorg“ gewartet. Die Kinder durften länger aufbleiben, weil jugendfrei, der rote Vorhang ging so hübsch auf, und das Publikum applaudierte. Fernsehen war Theater. und Pläne, schimpft begnadet, explodiert auch mal. Dann aber so, dass man ihr dabei nicht begegnen möchte. Sie ist immer ein Familientier, und vor der Mattscheibe sitzen ebenfalls Familien. Die wollen heile Welt, mentales Kuscheln, Zusammenhalt in schweren Zeiten. Sie wollen auch Lachen, das befreit. Heidi Kabel gibt es ihnen. Noch besser, als die eigene Tochter mit auf der Bühne steht – die wird Tausende Male vor dem falschen Liebhaber, vor Betrügern, Hochstaplern und arroganten Schnöseln gerettet und in die richtigen Hände geleitet. Heile Familie wird immer wichtiger, je seltener sie sich zum Ohnsorg-Ritual vor dem Fernseher versammelt. Am Ende wird Heidi Kabel so etwas wie das Leitfossil dieser Idee, so wie Freddy Quinn an eine Romantik der Seefahrt erinnert, die längst vergangen ist (und die so selten ist wie Familien-Idylle). Im Grunde sucht sie immer den guten Kompromiss, ist eine Vertreterin des Machbaren, des Vernünftigen. Sie empört sich aufrichtig über Unrecht. Und regelt pragmatisch, dass es nicht gewinnen kann. Gelebter Pragmatismus zugunsten der heilen Welt – das unterscheidet sie wohltuend altmodisch vom Egoismus unserer Tage. Auch dafür wird sie geliebt. Bleibende Werte und vergängliche. Das Ohnsorg ist ein Theater der kleinen Leute, und Heidi Kabel war ihre Klatschbase und Mutter Courage. Sie rettet das gute Kleine vor dem großen Bösen – ein bisschen Heinz-RühmannSyndrom steckte in fast jeder Rolle: Man kennt seinen Platz in der Gesellschaft, aber zu doll sollen es die anderen nicht treiben, sonst … Ja, was? Sonst werden sie Heidi Kabel mal so richtig kennenlernen. In ihren Rollen trickst sie und intrigiert, schmiedet Allianzen Unterhaltung ist harte Arbeit. Kollegen rühmen ihr Arbeitsethos. Dass sie immer auf der Bühne stand, auch wenn sie kränkelte. Dass sie selbstverständlich die Vorstellung zu Ende brachte, in der sie 1970 hinter der Bühne erfuhr, dass ihr Mann gestorben war. Sie hat jungen Kollegen mit ganz praktischen Ratschlägen geholfen: „So, das Kissen hier, das ist jetzt deine Deern, nu mal los.“ Das Publikum hat ihr alles gedankt, so wie die großen Tourneen mit bis zu 450 Vorstellungen. Den Klönschnack mit Zuschauern, die Autogramme. Das waren nicht ihre Lieblingstätigkeiten, aber sie wusste, was sie ihren Zuschauern und Fans schuldig war. Am stärksten war Heidi Kabel, wenn sie sich in kleinen, fast anarchischen Momenten aus der Wirklichkeit herausträumte. Wenn sie plötzlich für unkalkulierbare Sekunden hinüberglitt in einen kleinen Traum – Liebe, Reichtum, Glück, dessen Seifenblase an der nächsten Realität zerplatzte. Dieses kleine „könnte aber doch auch sein, dass …“ – das war wunderbar. So wie die komischen Augenblicke, in denen sie Männer bezirzte, ihnen hemmungslos um den Bart ging, bis die kommunikationsgestörten Bären brummelig einlenkten. Oder die erschütternden, in denen sie scheitert und verzweifelt war. Die Volksschauspielerin. Fast jeden Titel kann man kaufen oder herbeischreiben. „Volksschauspielerin“ nicht – das ist eine bilaterale Vereinbarung, bei der nur das Volk sagt, wer das ist und wer nicht. Wer es ist, muss authentisch sein, das Volk möchte sich wiedererkennen und ernst genommen fühlen. Und es möchte seine eigene Sprache hören. Das Plattdeutsche, sagte sie mal, hat mehr Kraft für Gefühle. Privat hat sie hochdeutsch gesprochen, mit unverkennbarem Hamburger Einschlag. Viele möchten gar keine Volksschauspieler sein, fühlen sich da eingesperrt in Schubladen. Anders Heidi Kabel. Sie war es mit Leib und Seele, war vor allem menschlich nicht weit entfernt von den Figuren, die sie gespielt hat. Von der quasseligen Meta Bold aus „Tratsch im Treppenhaus“, der „Kartenlegerin“ Wilhelmine Lührs – und 250 anderen Rollen. Mit herrlich querschießendem Humor und Warmherzigkeit, mit hartnäckigem Charme und Durchhaltetalent. Sie hat auch gesungen („Hamburg, ich liebe dich“), gefilmt, und 2002 (in Bremen – bitter, aber wahr) ihr 70. Bühnenjubiläum gefeiert. „Weil ich verkörpere, was sie in sich selbst fühlen“ – so sah sie ihren Ehrentitel „Volksschauspielerin“ begründet, den jeder Applaus bekräftigte. Das Volk gönnte ihn nicht vielen, in Hamburg gehören noch Helga Feddersen, Henry Vahl, Hans Albers ihnen. Die Brüder Wolf („An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband“) wurden von den Nazis zum Schweigen gebracht. Von den Heutigen ist Jan Fedder auf einem guten Weg. Aber Heidi Kabel, die wird es für immer sein. Im Fernsehen, auf YouTube und in unserer Erinnerung. 1992 Eine ernste Charakterrolle übernimmt sie in der TV-Serie „Mutter und Söhne“. 1992 Mit der Premiere des Stücks „Manda Voss ward 106“ kehrt Heidi Kabel nach zwei Jahren Pause auf die OhnsorgBühne zurück und begeht ihr 60. Bühnenjubiläum. 1996 durch ganz Deutschland mit dem Tour Programm „Wenn du Geld hast“. 1997 Gemeinsamer Auftritt mit Harald Juhnke und dem Programm „Heidi & Harald“ in der Musikhalle Hamburg. 1998 beendet am Silvesterabend Heidi Kabel im CCH ihre Bühnenkarriere mit einer Doppelrolle in „Mein ehrlicher Tag“, ihrem ersten Tourneestück. 2007 Letzte Filmrolle in Detlev Bucks Kinderfilm „Hände weg von Mississippi“ nach einer Buchvorlage von Cornelia Funke. Ende eines Zeitalters Das Hamburg-Bild in den Stücken des Ohnsorg-Theaters wirkt rückblickend wie aus der Welt gefallen. Es wurde von der harten sozialen Gangart des Kinos abgelöst TOM R. S CHULZ :: Heidi Kabel war eine Volksschauspielerin. Sie wollte auf der Bühne verkörpern, was die Menschen im Saal oder im Puschenkino der 60er-, 70er-Jahre in sich selbst sahen: Otto und Herta Normalzuschauer mit all ihren Hemmungen, Sehnsüchten, Ängsten, Sorgen und Nöten. Und sie wollte Humor nicht nur zeigen, sondern über die Rampe bringen, ohne hochtourige Comedy-Anstrengungen. Sie verfügte über die vielleicht bestimmende Eigenschaft des Volksschauspielers: dass er den Menschen im für ihn heikelsten Moment zum Lachen bringt – beim Blick in den Spiegel. Heidi Kabel war die Hamburger Volksschauspielerin. Mit ihr stirbt nicht nur eine Ära, mit ihr stirbt ein Beruf. 66 Jahre hat Heidi Kabel auf der Bühne gestanden. Ihre nahezu beispiellos lange Karriere spannt sich wie ein weiter Bogen gleich über mehrere Zeitalter nicht nur der Filmgeschichte, sondern auch der Stadtgeschichte Hamburgs. Hamburgfilm-spezifisch gesehen bildet Heidi Kabel das Missing Link zwischen Hans Albers und Fatih Akin, zwischen „Große Freiheit Nr. 7“ und „Soul Kitchen“. Welten trennen diese Filme. Aber Heidi Kabel, eine Art hanseatische Superwoman, spannt sie auf wundersame Weise zusammen, durch ihre Persönlichkeit, durch ihre zentrale Stellung im Tableau der öffentlichen Wahrnehmung Hamburgs. Wer in den Jahren des Kalten Kriegs in der Pfalz, in Franken, am Bodensee oder in Thüringen sagen sollte, was ihm oder ihr zu Hamburg einfällt, hätte mit ziemlicher Sicherheit die Namen Uwe Seeler, Helmut Schmidt und Heidi Kabel genannt. Sie gehört so unverrückbar in unsere Stadt wie Willy Millowitsch zu Köln. Spiegelt soziale Realität: Regisseur Fatih Akin („Soul Kitchen“). Foto: dpa stuben der Republiken links und rechts der deutsch-deutschen Grenze übermittelten, wurde erst in den mittleren 70er-Jahren abgelöst – durch die Filme des Regisseurs Hark Bohm. Der zeigte ein anderes, härteres Bild von Hamburg. Die vermeintlich heile Welt intakter Familien war gründlich in die Brüche gegangen, die soziale Wirklichkeit hatte sich unschön ins Bild gedrängt und ließ sich fortan nicht mehr wegschieben. In Bohms erstem HamburgFilm „Nordsee ist Mordsee“ (1976) blieb vom Meer als nasser Chiffre fürs Fernweh und Seefahrerromantik nicht mehr viel übrig. Und die längst Realität gewordene multikulturelle Gesellschaft In den 70er-Jahren zeigten die Filme ein härteres Hamburg-Bild Das nach Schmierseife und düsteren Möbeln riechende Heimatgefühl der kleinen Leute, wie es die OhnsorgÜbertragungen des Deutschen Fernsehens damals aus Hamburg in die Wohn+ Steht für maritime Romantik: Hans Albers (1891–1960). Foto: KP/dpa mit ihren gewaltigen Konflikten fand hier in Gestalt des Jungen Dschingis Einzug ins Bewusstsein der Zuschauer. Unzählige „Tatorte“ und Polizeirufe und sonstige TV-Produktionen mit innigem Hamburg-Bezug löschten anschließend auf der Netzhaut der Zuschauer die Bilder vom hanseatischen Alltag à la „Tratsch im Treppenhaus“ aus dem Ohnsorg. Auf der Gedächtnisfestplatte älterer Zuschauer konnten sie sich freilich halten. Und Fatih Akin trug das HamburgBild dann mit seinen ersten Kurzfilmen Mitte der 90er-Jahre und weithin sichtbar mit Spielfilmen wie „Kurz und schmerzlos“, „Gegen die Wand“ oder eben „Soul Kitchen“ vollends in eine fiktionale, gleichwohl der sozialen Gegenwart dicht abgehörte Kinowelt. Heidi Kabel schien da nicht mehr reinzupassen. Das Volk, aus der die Volksschauspielerin stammte, war abhanden gekommen. Die sozialen Verschiebungen und Verwerfungen der letzten 40 Jahre lassen die Schwänke und Stücke aus dem Ohnsorg im Rückblick wie Spielzeugtheater erscheinen. Sie zeigen eine seltsam irreal gewordene Welt – aus der Zeit gefallen wie jene Postkarten-Hafenkulissen, von denen aus Heidi Kabel noch im hohen Alter den „Jung mit’m Tüdelband“ sang, „In Hamburg sagt man Tschüs“ oder „Mein Hamburg, ich liebe dich“. Noch in der Zurückgezogenheit des Pflegeheims, in dem Heidi Kabel ihre letzten Lebensjahre verbrachte, blieb sie präsent. So scheint erst ihr physischer Tod jetzt mit 95 Jahren jene Zäsur zu markieren, für deren Benennung man um ein ziemlich großes Wort kaum herumkommt: das Ende eines Zeitalters. H E I D I KA B E L 1914 – 2 010 Mittwoch, 16. Juni 2010 * Hamburger Abendblatt 23 Online Hinterlassen Sie einen letzten Gruß an Heidi Kabel im elektronischen Kondolenzbuch Abendblatt.de/letzter-gruss Z I TAT E ÜBER HEIDI KABEL „Wir spielen für Heidi Kabel“ Dienstagabend im Ohnsorg-Theater. Der königsblaue Vorhang öffnet sich. So hätte es die Volksschauspielerin auch gewollt Am Ende von „Ich brauche Dich“ gab es wahre Ovationen. Allen voran brillierte Heidi Kabel, die mit der minutiösen Studie einer spitzzüngigen Klatschbase gleichsam einen verblüffenden Doppelsalto ins Fach der komischen Alten vollführte. Hamburger Abendblatt, 1949 Ohnsorg-Fan Inge Petterson trägt sich in das Kondolenzbuch ein. Heidi Kabel wandelt sich vom Abendkleid über Badeanzug und Biedermeierkleid bis zur Zitronenjette. Ein lustiger Abend. Hamburger Abendblatt, 1952 Ein Bild der Schauspielerin hängt im Foyer des Ohnsorg-Theaters. Heidi Kabel in „Sluderee op de Trepp“ muss man selbst sehen und hören, zumal wenn es sich um eine derart gute Aufführung handelt wie im Ohnsorg-Theater. Heidi Kabel war die Königin des Abends. Mit schauspielerischer Bravour löste sie Salven des Gelächters aus. Gelungener Start eines echten Erfolgsstückes. Hamburger Abendblatt, 1962 Frank Grupe kündigte gestern Abend die Vorstellung an. Fotos: Roland Magunia JENS MEYER- ODEWALD :: Still ist es im Ohnsorg-Theater, sehr still. Im Kontrast zur sonst hier alltäglichen Heiterkeit. An diesem Abend jedoch ist alles ganz anders. „Heidi Kabel ist von uns gegangen“, sagt der Herr in Schwarz oben auf der Bühne. Es ist Oberspielleiter Frank Grupe. „Ein Stück Ohnsorg und Hamburg ging unwiederbringlich verloren“, fährt er fort. Man sei traurig und bestürzt: „Wir spielen für Heidi Kabel.“ Das Publikum schweigt in Andacht. Dann öffnet sich der königsblaue Vorhang. „Heidi hätte sich keine Vorstellung mit Trauerflor gewünscht.“ „Nix as Sand“ stand gestern auf dem Programm, eine eigentlich brüllend komische Komödie – op Platt natürlich. Bodenständiger Spaß mit Witz und Herz. Ganz nach dem Geschmack der Verstorbenen. „Am allerwenigsten hätte sich Heidi heute eine Vorstellung mit Trauerflor gewünscht“, hat Kollege Jürgen Lederer unmittelbar vor seinem Einsatz gesagt. Jahrelang spielte er an der Seite der Verstorbenen. Wenn’s mal kritisch wurde, habe sie ein Rezept parat gehabt. Nun gelte dieses auch für die Trauernden: „Dor möt wi dörch!“ Jetzt muss da auch Jasper Vogt durch. Seit 34 Jahren wirkt er im Ensemble und animierte die Zuschauer gemeinsam mit der berühmten Kollegin mehr als tausendmal zu höchster Heiterkeit: „Nicht nur in ihrer Heimatstadt wird Heidi Kabel unvergessen bleiben.“ Die Königin der Volksschauspieler ist in aller Munde – und optisch präsent. Unverändert. Vor dem Ohnsorg-Café hängt ein Ölgemälde von Hans-Albert Dithmer, eine Reverenz zu Heidi Kabels 75. Geburtstag. 20 Jahre ist das her. In den Vitrinen liegen DVDs und CDs, allesamt Erinnerungen an urkomische, bisweilen herzergreifende, in jedem Fall unvergessene Stunden. „Mein Mann fährt zur See“. Oder „Verteufelte Zeiten“; „die“ Kabel gemeinsam mit „Sir Henry“ Vahl sowie Edgar Bessen. Legendär. An den Wänden sind großformatige Fotos der Doyenne zu sehen. Aus dem Stück „Suuregurkentied“ oder, gleichfalls grandios, aus „Keen Utkommen mit dat Inkommen“. Und immer wieder ist dieser Satz zu hören: „Weißt du noch?“ Er wird weiterklingen, das ist sicher. „Vielen Dank, dass ich durch Sie so viel lachen durfte. Tschüs.“ Dutzende Besucher nutzen das Kondolenzbuch im Foyer; auch Passanten tragen sich in das schwarze Lederbuch ein. „Danke für die schönen Stunden“, notieren Nicole und Annette. „Vielen Dank, dass ich durch Sie so viel lachen durfte. Tschüs.“ steht darüber geschrieben. „Sie haben mir Theater schon als Kind nahegebracht“, hält ein Mann fest. Auch Alex und Markus aus dem Schwarzwald bekunden ihr Beileid. Gepaart mit Dankbarkeit. Ein anderer bringt seine Gefühle so auf den Punkt: „Tschüs, Heidi!“ Während der Aufführung bleiben Menschen in den Großen Bleichen stehen, verharren nachdenklich. „Heidi Kabel ist untrennbar mit meiner Kindheit verbunden“, sagt Werner Wanesis aus Lokstedt. Noch immer denke er gerührt an das Sonnabend-Programm einer vergangenen Ära zurück: Badewanne, im Frotteemantel aufs Sofa vor den Fernseher, ausnahmsweise dort Butterbrot essen … und nach der „Tagesschau“ Ohnsorg-Theater mit Heidi Kabel. Ein Ritual, eine wunderschöne Reminiszenz an eine heile Welt. Um 20 Uhr verschließt Carmen Schneider ihr Kassenhäuschen. Auch sie erzählt von damals, zudem von Heidi Kabel als Kundin. Immer wieder kam sie nach ihrem Bühnenabschied auf einen Abend vorbei. „Unkompliziert, höflich und charmant“, weiß Frau Schneider aus eigener Erfahrung. An Schönes denkt auch Dorothee Schwandt aus Halstenbek: „Irgendwie war Heidi immer schon da.“ Sie sei eine Seele von Mensch gewesen und habe ihr großes Herz auf der Zunge getragen. Selbst im Auslandsurlaub, berichtet Frau Schwandt, sei sie auf die großartige Volksschauspielerin angesprochen worden. „Sogar von Bayern.“ „Irgendwie war Heidi immer schon da.“ Ein Pulk hat sich vor der Theaterpassage versammelt. Jedem fällt eine andere Episode persönlicher Verbindung mit der Verstorbenen ein: „Ich weiß noch ganz genau …“ Eine junge Dame um die dreißig mischt sich ein. „Ich war noch nie im Ohnsorg“, sagt sie. „Aber Heidi Kabel habe ich hoch geachtet.“ Ob ihres bescheidenen Naturells und ihres hanseatischen Habitus. Mehr Sein als Schein, diese Rolle habe sie grandios verkörpert. „Was ist los?“, fragt ein älterer Herr in Nadelstreifen und mit Aktenkoffer. Als er den Grund erfährt, senkt er kurz sein Haupt, ruft dann dennoch gut gelaunt: „Tratsch im Treppenhaus.“ Dieses Stück habe er an der Seite seiner Eltern im Theater erlebt, irgendwann Mitte der 60er müsse das gewesen sein. Und noch ein Schauspiel hat der Mann spontan auf Lager: „Manda Voss ward 106.“ Hebbt wi lacht. Unvergessen. Im Saal läuft die Vorstellung weiter. Ganz normal. Um 22 Uhr sinkt der Vorhang. So wie immer. Aber doch ist heute Abend alles ganz anders. Einige verlassen schweigend das Ohnsorg-Theater, andere lächeln. Ganz im Sinne von Heidi Bertha Auguste Kabel, die Trübsal ganz und gar nicht schätzte. „Kinners, ihr sollt die Sonne sehen, nicht den Schatten“, hat sie einmal gesagt. Dann sei es auch so. Klar, offen, verlässlich und herzlich Sie spielte in seinem Leben eine Hauptrolle: Altbürgermeister Henning Voscherau über Heidi Kabel sönlich. Ihr Publikum liebte sie und wird Heidi Kabel nie vergessen. Mir wird sie ganz besonders fehlen. An eine Zeit meines Lebens ohne Heidi Kabel kann ich mich gar nicht erinnern. Sie war schon immer da. Ihr Mann Hans Mahler und sie gratulierten meinen Eltern zu meiner Geburt. Kindheitserinnerungen an sie habe ich spätestens, seit ich fünf oder sechs war. Mit ihren Kindern Jan, Heiko und Heidi haben mein Vetter, mein Bruder und ich in den Ferien gespielt – unbeschwerte gemeinsame Erinnerungen beider Familien aus einer für unsere Eltern schweren HENNING VOS CHERAU :: Unsere Heidi ist eingeschlafen. Alle wahren Hamburger Familien trauern um sie. Heidi Kabel war gelungen, was nur ganz Großen der Bühne gegeben ist: Ihr Publikum hatte sie ins Herz geschlossen – ein für allemal. Heidi Kabel war mehr als eine populäre Volksschauspielerin, sie war eine ganz natürliche große Menschendarstellerin. Wer ihr zuschaute und zuhörte, wusste: Sie ist eine von uns geblieben, der Ruhm ist ihr nicht zu Kopf gestiegen. Sie schaut ihrem Publikum von oben zu und denkt wohl gerade: gut so Im ganzen deutschen Sprachraum war Heidi Kabel Hamburg – klar, offen, spröde, verlässlich, herzlich, zugleich handfest und burschikos mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Immer durch und durch vernünftig. Nie wird es eine bessere Botschafterin unserer Hamburger Wesensart, unserer Kultur und unserer norddeutschen Sprache geben. Als ein Stück Hamburg ist Heidi Kabel unersetzlich. Aber die Trauer über ihren Tod geht über diese öffentliche Rolle weit hinaus. Sie ist ganz per- Zwei, die sich mochten: Heidi Kabel und Henning Voscherau. Foto: dpa Zeit. In den fast zehn Jahren meiner Bürgermeisterzeit waren Heidi Kabels Zuspruch, ihre öffentlichen Äußerungen und sogar gemeinsame Shanty-Auftritte unschätzbar für mich. Als ein Stück Hamburg ist Heidi Kabel unersetzlich Alle Hamburger fühlten: Das ist echt, das kommt von Herzen, das tut sie nicht für den Politiker, sondern für den Menschen, dem sie vertraut, für Henning. Das Vertrauen einer solchen großen Frau überträgt sich. So hat sie mir das Amt, ein schönes, aber kein leichtes Amt, viele Jahre tragen helfen. Auch dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Vor allem aber: Das Stück meines Lebens, in dem sie eine Hauptrolle spielte, bleibt in meinem Herzen. Über 70 Jahre stand Heidi Kabel auf der Bühne. Zu ihrem 60. Bühnenjubiläum im Ohnsorg-Theater spielte sie „Manda Voss ward 106“. Damals haben wir beide ausgerechnet, das wäre 2020. Nun ist der Vorhang schon in ihrem 96. Lebensjahr gefallen. Sie schaut ihrem Publikum von oben zu und denkt wohl gerade: gut so. Sie ist jetzt erlöst. Slop god, Heidi. Sie prägte das Programm des NDR In der ausgezeichneten niederdeutschen Fassung des Stückes „Froo Pieper levt gefährlich“ steht auf den Brettern an den Großen Bleichen – wer könnte es anders sein – „uns Heidi“, Heidi Kabel, und sie ist einfach eine Wonne. Was sie aus dem Rollenklischee an Menschlichkeit herausholt, verblüfft und bezaubert. Sie weiß genau, was sie tut, sie weiß natürlich auch, was am besten wirkt, aber nie überzieht sie ihre Rolle, nie entlässt sie sie aus ihrer Kontrolle. Dass sie mit ständigem Szenenapplaus belohnt wurde, war nur allzu verständlich. Hamburger Abendblatt, 1975 Heidi Kabel befindet sich jetzt in einem Entwicklungsstadium. Möge sie sich die Fähigkeit, Kunst und natürliche Menschlichkeit in der Waage zu halten, immer bewahren.“ Hamburger Abendblatt, 1979 Ein „Tatort“ besonderer Klasse: Manfred Krug und Charles Brauer steuerten die Zuschauer so nüchtern und realistisch durch den Wust der Unwahrscheinlichkeiten, dass daraus eine fesselnde Geschichte wurde. Und dann die Besetzung: Heidi Kabel als sorgengeplagte Mutter – einmal fern von jeder LachSchote. Hervorragend! Hamburger Abendblatt, 1988 Für NDR-Intendant Lutz Marmor ist Heidi Kabel „untrennbar“ mit seinem Sender verbunden gente Komik verkörpert. Gerd Spiekermann findet für die Verdienste der Hamburgerin den aktuellen Vergleich: „Heidi Kabel verdankt das Fernsehen ein so hohes Maß an Popularität, da kann keine Fußball-Weltmeisterschaft mithalten.“ Der Redakteur für Niederdeutsch bei NDR 90,3 und Autor der Reihe „Hör mal’n beten to“ erinnert daran, dass in den 60er-Jahren die Übertragungen aus dem Ohnsorg-Theater wahre Straßenfeger waren, selbst der HSV habe an diesen Tagen nie ein Spiel angesetzt. Spiekermann hat gemeinsam mit seinem Kollegen Friedhelm Mönter in den vergangenen Jahrzehnten die runden Geburtstagsfeste von Heidi Kabel moderiert, zum Achtzigsten begrüßten sie in der Show live aus dem CCH illustre Gäste: Ilse Werner, Anna Maria Kaufmann, Harald Juhnke, Willy Millowitsch. ARD-Programmdirektor Volker Herres, der von 1987 bis 2008 in Diensten des NDR stand, zuletzt ebenfalls als KARIN FRANZKE KAI-HINRICH RENNER :: Mit dieser Rolle ist Heidi Kabel im kollektiven Gedächtnis von Millionen Fernsehzuschauern: Als klatschsüchtige Meta Boldt tyrannisiert sie die Nachbarschaft, bis dem „Tratsch im Treppenhaus“ auf pfiffige Art und Weise Einhalt geboten wird. Der NDR sendete gestern einen langen Themenabend zum Tode Heidi Kabels Das Theaterstück aus dem Jahr 1966 zeigte das NDR-Fernsehen gestern zum Auftakt eines langen Themenabends anlässlich des Todes der Volksschauspielerin. „Mit ihren Rollen steht Heidi Kabel für beste volkstümliche Unterhaltung. Sie ist untrennbar mit Norddeutschland und dem NDR verbunden“, würdigte NDR-Intendant Lutz Marmor die Verstorbene. Wie kaum eine andere habe sie Authentizität, norddeutschen Humor und intelli+ Programmdirektor, ist Heidi Kabel von klein auf ein Begriff: „Als kleiner Junge habe ich mit meinen Eltern immer Ohnsorg-Theater mit der damals noch jungen Heidi Kabel geguckt“, sagt er. Heidi Kabel drehte erstmals 1954 für den NDR, der damals noch NWDR hieß Das Abendblatt erreichte Herres auf einer Programmkonferenz, auf der beschlossen wurde, am Dienstagabend um 23.10 Uhr ein Porträt der Verstorbenen ins Programm des Ersten zu nehmen. Für den ARD-Programmdirektor ist Heidi Kabel eine „der ganz großen Volksschauspielerinnen“. Auf die Frage, ob Heidi Kabel, das Programm des NDR geprägt habe, sagt Herres: „Das kann man ohne Einschränkung sagen.“ Heidi Kabel drehte erstmals mit dem Sender, als der noch NWDR hieß: 1954 zeichnete er mit ihr und dem Ensemble des Ohnsorg-Theaters im Bunker auf dem Heiligengeistfeld das Stück „Seine Majestät Gustav Krause“ auf. Und Heidi Kabel darf sich schließlich sogar selbst ironisieren: Aus dem Radio ertönt die volkstümliche Melodie „Mein Hamburg“ (Interpretin: Heidi Kabel), wenn Konsulwitwe Marie alias Heidi Kabel ganz in Rosa im hanseatischen Appartement eintrifft. Meint Marie: „Heidi Kabel – gibt’s die immer noch?“ Es gibt sie. Und wie! Hamburger Abendblatt, 1997 Ihre Rolle im Stück „Mein ehrlicher Tag“ verlangt es aber, dass sie einmal „Sch…“ sagt. Da geht ein Raunen durch den Saal; das ist man nicht gewohnt. „Bild“, 1999 24 Hamburger Abendblatt H E I D I KA B E L 1914 – 2 010 Mittwoch, 16. Juni 2010 Online Weitere Bilder aus Heidi Kabels langer Karriere Abendblatt.de/heidi-kabel-bilder Heidi Kabel und ihre Tochter Heidi Mahler, die 1964 ihre erste Rolle im Hauptprogramm des Ohnsorg-Theaters hatte, im Januar 2008. Heidi Kabel in „Der möblierte Herr“ am Ohnsorg-Theater. Als eines der tratschenden Weiber macht sie dem Untermieter Kolbe das Leben schwer. In der TV-Serie „Heidi und Erni“ (mit Erni Singerl, l.) erfahren die beiden Witwen erst bei der Testamentseröffnung, dass sie mit demselben Mann verheiratet waren. Heidi Kabel is nich doot! Toeerst is dor bi mi Dankborkeit, dat ik so veel mit ehr op de Bühne vun’t Ohnsorg-Theoter heff stahn kunnt. Veel fine Rullen weern dor bi, un se is jümmer fründlich to mi west un hett mi hulpen, wenn dat nödig weer, dat is keen Snack, dat stimmt würklich. Un denn kümmt bi mi sogoor Freid op – jawoll, Freid! Ik frei mi, dat jüst in de Tied, as se de groten Rullen bi Ohnsorg speelt hett, dat Fernsehen dorbi west is. Un nu kann ik mi Heidi Kabel jümmer wedder to mi in de Wohnstuuv inladen, so faken ik will. Denn kann se mi vun „Tratsch in’t Treppenhuus“ vertellen oder een vun de annern velen Hunnert Geschichten, de se in de velen Johren op de Bühne bröcht hett. Un denn is se maal jung un maal’n beten öller un denn old. Un eenmaal is se as „Manda Voss“ sogoor hunnertsoss worrn. Un dorüm köönt de Lüüd noch so veel snacken, ik segg: Heidi Kabel is nich doot, dat geiht jo gor nich. Un nu schall mi eerst maal een dat Gegendeel bewiesen. Fotos: face to face (2), Frederika, kpa, adolph press, AP, dpa (3), babiradpicture, Ullstein Bild JASPER VOGT Güstern geiht dat Telefon, seggt een to mi: Hest al höört? Heidi Kabel is doot. – Dumm Tüüch, segg ik, Heidi Kabel is nich doot. – Doch, seggt de anner, dat stimmt würklich! – Du hest dat nich begrepen, wat ik meen, segg ik. Heidi Kabel kann gor nich doot sien, wiel so en Minsch as Heidi Kabel nienich starven deit. Dat geiht gor nich, de ward jümmer lebennig sien. Heidi Kabel is doot. Över fievunnegentich is se worrn, dor kann’n jo nu egentlich nich vun „plötzlich und unerwartet“ snacken. Aver ik geev to, so’n Ogenblick is mi dat doch in’n Maag schaten un mien Knee sünd’n lüttbeten week worrn. Denn nu is dat würklich vörbi – endgültig. Un dat maakt trurig. Aver denn heff ik faststellt: Bi all de Truur kümmt bi mi bannig fix ok wat anners hooch, wenn ik an Heidi Kabel denken do. 1937 heiratete Heidi Kabel den Regisseur Hans Mahler, mit dem sie bis zu dessen Tod 1970 verheiratet war und drei Kinder bekam. Kurz vor Beginn einer SPD-Wahlkampfveranstaltung stellt sich Heidi Kabel im August 2002 mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den Fotografen. Eine fröhliche Miene sieht anders aus: Heidi Kabel 1970 zusammen mit Henry Vahl in „So richtig schön zum Lachen“ im Ohnsorg-Theater. Nicht immer nur das brave Hausmütterchen: 1970 mit Hut und Zigarre. Posierte schon als kleines Mädchen: Heidi Kabel als Zweieinhalbjährige. Neue Serie im Abendblatt Heidi Kabel mit zwei von 160 Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren, für die sie 1979 nach einem neuntägigen Urlaub auf Jamaika die Patenschaft übernommen hatte. Lila Outfit, blaues Haar – als mondäne Tante Mary aus Paris in „Zwei Engel“. Mit der Komödie „Manda Voss ward 106“ gelang Heidi Kabel nach zweijähriger Ohnsorg-Pause im Oktober 1992 ein triumphales Bühnen-Comeback. + Es war Zufall, dass Heidi Kabel eine Freundin zum Vorsprechen ins Ohnsorg-Theater begleitete. „Heidi, du nicht!“, mahnte Mutter Agnes, als ihre Tochter dort ein Angebot erhielt. So begann eine Karriere, deren Wurzeln, Hintergründe und Überraschungen das Hamburger Abendblatt in einer großen Serie aufleben lässt. Lesen Sie morgen: „Holl di fuchtig, Heidi!“