Didaktische Innovation. durch Blended Learning

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Didaktische Innovation. durch Blended Learning
Huber Psychologie Praxis
Lernen mit Neuen Medien
Herausgegeben von
Peter Reimann, Maria Bannert, Heinz Mandl und Eckart Severing
Der Einsatz neuer Medien nimmt in allen Bereichen rapide zu. Die Einführung
von Informations- und Kommunikationstechnologien
in Unternehmen führt zu
starken Veränderungen im Anforderungsprofil der Beschäftigten. Immer mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen für zunehmend anspruchsvollere Tätigkeiten
in immer kürzer werdenden Abständen qualifiziert werden.
Ziel dieser Reihe ist es, neue Entwicklungen zeitgerecht und praxisnah aus psychologisch-pädagogischer Sicht darzustellen. Allen, die Weiterbildungs- und Unterrichtsmaßnahmen gestalten, sollen frühzeitig solche Informationen und EmpfeWungen an
die Hand gegeben werden, die besonders dringend benötigt werden: Von den Vorbedingungen, die auf Seiten der Lernenden, der Lehrenden und der Technik gegeben sein
müssen, über konkrete Hinweise zu Einsatz und Durchführung bis zu Anleitungen für
die Evaluation. Dies geschieht in kompakter und anschaulicher Form, illustriert durch
zaWreiche Beispiele aus der Praxis.
In der Reihe bereits erschienen:
]oachim Hasebrook und Mathias Otte
E-Learning im Zeitalter des E-Commerce
Die dritte Welle
Michael Henninger und Heinz Mandl
Zuhören - verstehen - miteinander reden
Ein multimediales Kommunikations- und Ausbildungskonzept
Helmut M. Niegemann
Neue Lernmedien
Konzipieren, entwickeln, einsetzen
Gabi Reinmann-Rothmeier und Heinz Mandl
Individuelles Wissensmanagement
Strategien für den persönlichen Umgang mit Information
und Wissen am Arbeitsplatz
Gabi Reinmann-Rothmeier und Heinz Mandl
Virtuelle Seminare in Hochschule und Weiterbildung
Drei Beispiele aus der Praxis
Eckart Severing, Christel Keller, Thomas Reglin und ]osef Spies
Betriebliche Bildung durch Telelernen
Konzeption, Umsetzung, Evaluation - Eine Einführung für Praktiker
Gabi Reinmann -Rothmeier
Didaktische Innovation.
durch Blended Learning
Leitlinien anhand eines Beispiels aus der Hochschule
Unter Mitarbeit von Frank Vohle,
Frederic Adler und Heidi Faust
Verlag Hans Huber
Bern . Göttingen . Toronto· Seattle
Adresse der Autorin:
Prof. Dr. Gabi Reinmann-Rothmeier
Medienpädagogik
Philosophisch -Sozialwissenschaftliche
der Universität Augsburg
Universitätsstraße 10
D-86135 Augsburg
Fakultät
Die im Buch erwähnten Materialien können
abgerufen werden: www.semivirtuell.de.
über folgende URL In elektronischer
Lektorat: Dr. Peter SteWin
Herstellung: Daniel Berger
Umschlag: Atelier MüWberg, Basel
Titelillustration: ÄSOP, Köln
Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik
Printed in Germany
Form
GmbH, Kempten
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Internet: http://verlag.hanshuber.com
1. Auflage 2003
© 2003 by Verlag Hans Huber, Bern
ISBN 3-456-83952-9
Univ.-Bibl.
Bamb,:}rg
IC 20084
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
3
Einführung
4
Kapitel I.
1.
2.
3.
4.
5.
Innovationen in der Hochschullehre
Der Innovationsbegriff
1.1
Merkmale von Innovationen
1.2
Verschiedene Definitionsansätze
1.3
Entwicklung des Innovationsverständnisses
Didaktische Innovationen
2.1
Kennzeichen didaktischer Innovationen
2.2
Das Innovationspotential der neuen Medien
2.3
Der Begriff der Nachhaltigkeit
Innovationen durch neue Medien in der Hochschullehre
3.1
Förderpolitik und Erwartungen
3.2
Die Effizienzfalle
3.3
Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften
Innovationsbarrieren und wie man sie überwinden kann
4.1
Die sog. Innovationskiller
4.2
Innovationsbarrieren in der Hochschule
4.3
Überwindung von Innovationsbarrieren
Fazit
Kapitel 11.
6.
7.
8.
9.
10.
Blended Learning
Der Begriff des Blended Learning
6.1
Die (wirtschaftliche) Herkunft des Blended Learning
6.2
Was hinter dem Blended Learning steckt
Der Begriff des e-Learning
7.1
Verschiedene e-Learning-Varianten
7.2
Unterschiedliche Anforderungen beim e-Learning
Die Integrationskraft des Blended Learning
8.1
Existenz und Notwendigkeit verschiedener Lerntheorien
8.2
Instruktion und Konstruktion
8.3
Integration durch Blended Learning auf verschiedenen Ebenen
Das Innovationspotential von Blended Learning in der Hochschullehre
9.1
Didaktische Innovationen durch Blended Learning
9.2
Überwindung von Innovationsbarrieren durch Blended Learning
Fazit
7
8
8
9
10
11
11
13
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16
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29
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31
33
35
35
37
38
41
42
43
45
2
Kapitel 111. Die semivirtuel/e Vorlesung - ein Prototyp des Blended Learning in der
Hochschul/ehre
46
11.
12.
13.
14.
15.
Entstehungsgeschichte
und Grundidee der semivirtuellen Vorlesung
11.1 Wie die semivirtuel/e Vorlesung entstanden ist
11.2 Die Grundidee und ihre Rahmenbedingungen
Das didaktische Konzept
12.1 Inhalte und Ziele
12.2 Der erwartete Nutzen
12.3 Medien, Methoden und pädagogisches Grundkonzept
12.4 Technische Umsetzung und Ablauf
Die Evaluation: Erfahrungen und Ergebnisse
13.1 Das Evaluationskonzept
13.2 Die Evaluationsergebnisse
13.3 Die Frage nach der didaktischen Innovation
13.4 Verbesserungsideen
Weiterentwicklung: Blended Learning zur Nutzung verteilter Expertise
14.1 Die Kernidee
14.2 Das mediendidaktische Szenario
14.3 Der Mehrwert
Fazit
Kapitel IV.
16.
17.
18.
19.
20.
Leitlinien für Blended Learning in der Hochschul/ehre
Projektmanagement
16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement
16.2 Aufgaben des Projektmanagements
Planung
17.1 Zielfindung
17.2 Kontextanalyse und Ressourcenplanung
17.3 Teamarbeit und Kooperationen
17.4 Der Projektplan
Konzeption und Gestaltung
18.1 Normative und strategische Entscheidungen
18.2 Gestaltung auf der operativen Ebene
Durchführung und Qualitätsmanagement
19.1 Pilotierung
19.2 "Echtbetrieb"
Fazit
Literatur
47
47
49
51
51
53
54
59
61
62
64
70
72
73
74
75
79
80
82
83
83
84
86
87
89
93
96
100
100
103
108
108
112
115
116
3
Vorwort
Aus der Not eine Tugend machen. Das vorliegende Buch ist im Rahmen eines Projektes entstanden, für das am besten das alt bekannte Sprichwort passt: "Aus der
Not eine Tugend machen": Nach mehrjährigen Erfahrungen mit virtuellen Seminaren,
in denen mit maximal 30 Lernenden Themen in einer hoch-interaktiven
Form und
unter konsequenter Nutzung der virtuellen Kommunikation und Kooperation (ebenfalls dokumentiert im Huber-Verlag 1) effektiv bearbeitet wurden, stand ich im Herbst
2001 infolge eines Hochschulwechsels
plötzlich vor der Situation, dass Seminare mit
Teilnehmergrenzen
kaum mehr vertretbar waren - egal ob virtuell oder face-to-face.
Aus dieser "Not" heraus erwuchs die Idee zu einem hybriden Lernarrangement oder
- wie man derzeit auch sagt - zu einem Blended Learning-Modell
mit Potential zu
nachhaltigen didaktischen Innovationen. Entstanden ist die "semivirtuelle Vorlesung":
Wie wir diese konzipiert und durchgeführt
haben, welche Erfahrungen wir dabei
machen konnten und welche Empfehlungen man daraus ableiten kann, haben wir in
diesem Buch zusammengefasst.
Ziele und Zielgruppe des Buches. Das Buch will an hand des konkreten Beispiels
"semivirtuelle Vorlesung" aufzeigen, wie man mit Blended Learning didaktische Innovationen anstoßen kann. Dabei handelt es sich um Innovationen, die sich nachhaltig
in der Hochschullehre umsetzen lassen (auch in "Massenfächern" sowie in Disziplinen, die den neuen Medien bisher eher fern standen) und nicht in den Anfängen von
Pionierleistungen
stecken bleiben, wie dies in den vergangenen
Jahren oft geschehen ist. Das Buch wendet sich an Hochschullehrer/innen
(vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften2),
an Wissenschaftler/innen
im Bereich des Lernens
mit neuen Medien sowie an Personalentwickler/innen
und Weiterbildner/innen,
die
trotz der Ernüchterungen den Glauben an die Vorteile des e-Learning (noch) nicht
aufgegeben haben. Der besseren Lesbarkeit zuliebe bitten wir alle Leserinnen männliche Formen nur als Abkürzung für Frauen und Männer zu verstehen. Alle bisherigen
Lösungen (Schrägstriche, das große "I", wechselnde Formen) sind unbefriedigend auch die hier gewählte. Wir hoffen auf das Verständnis unserer Leserinnen!
Die Mitwirkenden. Frederic Adler, Heidi Faust und Frank Vohle haben entscheidend
an der Konzeption und Evaluation der semivirtuellen Vorlesung wie auch am Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt: Frederic Adler hat sich vor allem für die Online-Elemente des Projekts eingesetzt; Heidi Faust war in hohem Maße an der Evaluation beteiligt; und Frank Vohle war vom Anfang bis zum Ende mein Denk- und Diskussionspartner in allen Fragen des Projektes und Buches. Danken möchte ich Eva
Häuptle und Christine Erlach für formale und inhaltliche Korrekturarbeiten.
Und
schließlich gilt mein Dank auch allen Studierenden, die sich im Sommersemester
2002 in Augsburg an der Pilotdurchführung der semivirtuellen Vorlesung beteiligt und
damit einverstanden erklärt haben, Ausschnitte aus der Veranstaltung sowie besonders gut gelungene Lösungen zu den gestellten Aufgaben über eine URL zu diesem
Buch öffentlich zu machen.
Oktober 2002,
Gabi Reinmann-Rothmeier
1 Reinmann-Rothmeier, G. & Mandl, H. (Hrsg.) (2001 b). Virtuelle Seminare in Hochschule und
Weiterbildung. Drei Beispiele aus der Praxis. Bem: Huber.
2 einschließlich der Wirtschaftswissenschaften.
4
Einführung
E-Learning wird das Lernen und Lehren revolutionieren - noch vor wenigen Jahren
war man sich, zumindest in der Wirtschaft, einig, dass durch den Einsatz der neuen
Medien ein gigantischer neuer Markt entsteht und Bildung und Weiterbildung einen
innovativen Schub erfahren. Heute ist allerorten Ernüchterung eingekehrt. Zu enttäuschten Erwartungen in Bezug auf Effizienz und Effektivität beim e-Learning gesellen sich allgemeine Sparmaßnahmen
seitens Staat und Industrie, dem so manches e-Learning-Projekt
zum Opfer gefallen ist. Da ist es fast schon sympathisch,
dass die Hochschulen wie ein Fels in der Brandung stehen und immer nur die Ausläufer der Wellen verspüren, die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien verursachen: Mit Verzögerung haben vor wenigen Jahren im Rahmen der
Hochschullehre Investitionen in die neue Medien begonnen, ohne dass der "Hype" so
groß war und ist wie in der Wirtschaft; entsprechend weniger dramatisch wirkt sich
die jetzige Krisenstimmung beim e-Learning aus. Da auch die Hochschulen nicht mit
Geld gesegnet sind, stellt sich aber auch hier die große Frage, wie es nach Jahren
der Projekte und Programme mit Pilotcharakter zum Medieneinsatz in der Hochschule nun weitergeht: Sind didaktische Innovationen durch neue Medien in der Lehre
hervorgegangen oder zu erwarten? Wie kann man neue Medien und "neu es Lernen"
nachhaltig implementieren, um langfristig Entwicklungen in Gang zu setzen?
Innovationen in der Hochschul/ehre. Unisono werden in der Hochschullehre Innovationen angemahnt, doch es erscheint fraglich, ob allen klar ist, was man unter einer
Innovation überhaupt versteht. Kapitel I dieses Buches will vor diesem Hintergrund
Begrifflichkeiten rund um das Thema "Innovation" klären - nicht motiviert aus wissenschaftlicher
Kleinkrämerei,
sondern angespornt durch die Einsicht, dass eine
klare Sprache gerade bei schlagwortbesetzten
Themen wie e-Learning besonders
wichtig ist. Der Schwerpunkt wird dabei auf didaktischen Innovationen durch neue
Medien liegen, die bottom up und evolutionär entstehen, ohne die auch Initiativen
"von oben" im Sinne eines strategischen Innovationsmanagements
wenig Aussicht
auf Erfolg haben. Neben begrifflichen Klärungen zu Fragen der Innovation durch Medien in der Lehre sollen auch typische Innovationsbarrieren
beschrieben und Überlegungen angestellt werden, wie man diese am besten überwinden oder umgehen
kann. Und hier kommt auch das Blended Learning ins Spiel.
Blended Learning. Unsere These ist, dass Blended Learning - eine neue Wortkreation, die auf die Mischung traditioneller
und neuer Medien und Methoden beim
Lernen setzt - didaktische Innovationen in der Hochschullehre ankurbeln und nachhaltige Entwicklungen anstoßen kann. Kapitel 11will darlegen, was hinter dieser Sonderform des e-Learning steckt und inwiefern die oben genannte These auf solidem
Boden steht. Vor diesem Hintergrund bietet das zweite Kapitel eine knappe theoretische Einführung in wesentliche Konzepte des Lernens, in medien basierte LehrLernmethoden und in die Besonderheiten der neuen Medien für Fragen des Lernens
und Lehrens. Die Kenntnis solcher Grundlagen erachten wir für alle als wichtig, die
sich dem e-Learning im Allgemeinen und dem Blended Learning im Besonderen
ernsthaft nähern und bunten Hochglanzbroschüren
nicht auf den Leim gehen wollen.
Da dies zwangsläufig auch theoretisch wird, bietet das Buch zusätzlich auch ein
konkretes Beispiel an - die semivirtuelle Vorlesung.
5
Die semivirtuel/e Vorlesung - ein Prototyp des Blended Learning in der Hochschullehre. Kapitel 111dieses Buches gibt eine ausführliche Antwort auf die Frage "Wie
mache ich es jetzt?". Beschrieben wird ein Blended Learning-Modell mit Vorlesungscharakter: Angefangen von der Entstehungsgeschichte
über die Konzeption bis zur
Evaluation der Pilotdurchführung wird dargestellt, was man bei einem Blended Learning-Vorhaben berücksichtigen
muss, welche Entscheidungen
im Einzelnen anstehen und wie man den Balanceakt zwischen konzeptionellen
Ideen und den bestehenden Gegebenheiten
schaffen kann. Das Anschauungsmaterial
unter der URL
www.semivirtuell.de
bietet unter anderem einen Einblick in Leistung und Kreativität,
die Lernende in einem Blended Learning-Projekt an den Tag legen. Die semivirtuelle
Vorlesung, wie wir diesen Veranstaltungstyp
genannt haben, ist ein Prototyp des
Blended Learning - ein Beispiel also, das alle wichtigen Merkmale des Blended
Learning erfüllt, dabei aber nicht alle Möglichkeiten dieser Form des e-Learning ausschöpfen kann und will. Mit einer Zusammenfassung
der wichtigsten Erfahrungen
und Ergebnisse aus der Pilotierung der semivirtuellen
Vorlesung wollen wir zum
einen zeigen, dass Blended Learning auch unter weniger günstigen Bedingungen innovative Entwicklungen in der Hochschullehre anstoßen kann; zum anderen wollen
wir damit auch Mut machen für eigene Projekte, die neben "verordneten Innovationen von oben" keineswegs eine geringere Chance auf nachhaltige Innovationen
haben - Gegenteil! Mit Hinweisen auf die Weiterentwicklung
der semivirtuellen
Vorlesung werden auch Möglichkeiten deutlich, die das Blended Learning der Weiterbildung bietet.
Leitlinien für Blended Learning in der Hochschul/ehre. Auch wenn z.B. die Managementliteratur in den letzten Jahren die sogenannten Best Practices etwa beim e-Learning preist, die zum Nachmachen motivieren sollen, können Beispiele immer nur Anregungscharakter haben - zum bloßen Kopieren taugen sie nicht. Auch wir empfehlen nicht, in beliebigen Kontexten eine semivirtuelle Vorlesung in genau der gleichen
Form durchzuführen,
wie wir dies getan haben. Von daher soll Kapitel IV zu den
wichtigsten Phasen eines Blended Learning-Vorhabens
Leitlinien liefern, die mit Hilfe
des Beispiels aus Kapitel 111einerseits konkret genug sind, um eine Vorstellung von
dem zu haben, was man in etwa tun sollte, die in Form von Checklisten und Empfehlungen andererseits auch ausreichend abstrakt sind, um sie unter verschiedenen
Bedingungen anwenden zu können - mit Einschränkungen
auch im Kontext der
Weiterbildung. Diese Leitlinien haben heuristischen Charakter, geben Orientierung
und einen Rahmen, laden aber auch zum Experimentieren ein. In diesem Sinne hoffen wir, dass die Leser dieses Buches den einen oder anderen Impuls für die eigene
Arbeit erhalten!
Die nachfolgende
Abbildung gibt einen Überblick über die vier Kapitel des Buches.
6
Überblicksgrafik
Kapitel II:
Blended Learning
Kapitel I: Innovationen In der
Hochschullehre
1.
2.
3.
4.
5.
Der Innovationsbegriff
Didaktische Innovationen
Innovationen durch neue Medien
in der Hochschullehre
Innovationsbarrieren und wie
man sie überwinden kann
Fazit
KapitelllI:
Die semlvirtuelle Vorlesung - ein Prototyp des Blended
Learnlng In der Hochschullehre
11. Entstehungsgeschichte u. GrundIdee der semlvirtuellen Vorlesung
12. Das didaktische Konzept
.13. Die Evaluation: Erfahrungen und
Ergebnisse
14. Weiterentwicklung: Blended
Learning zur Nutzung verteilter
Expertise
15. Fazit
zum Buch
6.
Der Begriff des Blended
Learning
7. Der Begriff des e-Learning
8. Die Integrationskraft des
Blended Learning
9. Das Innovationspotential von
Blended Learning in der
Hochschullehre
10. Fazit
Kapitel IV: Leitlinien für Blended
Learning in der Hochschullehre
16.
17.
18.
19.
Projektmanagement
Planung
Konzeption und Gestaltung
Durchführung und Qualitätsmanagement
20. Fazit
Warten auf die Hochschule. Im einem kürzlich 1 erschienenen Buch, das erstmals im
deutschsprachigen
Raum die Bezeichnung "Blended Learning" im Titel trägt, schreiben Sauter und Sauter (2002) im Vorwort: "Leider können wir nicht auf ... Lösungen
aus dem Hochschulbereich warten. Der aktuelle Handlungsdruck wird dazu führen,
dass die Innovationen im Lernbereich überwiegend aus der Praxis heraus entstehen"
(S. VII). Richtig ist, dass weniger die Entwicklung, dafür aber die Implementation innovativer Lösungen insbesondere im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften
mit einigen Hindernissen zu kämpfen hat, die zu einem guten Teil im "Wesen" der
derzeitigen Hochschule liegen - wir werden uns in diesem Buch im ersten Teil ausführlicher mit dieser Problematik beschäftigen. Fraglich ist allerdings, ob Innovationen aus der Praxis, die in der Regel auf die kurzfristige Lösung akuter Probleme
ausgerichtet sind, den nachhaltigen Effekt haben, den man sich gerade auf dem Bildungssektor zunehmend (und zu Recht) wünscht. Wir hoffen, mit dem vorliegenden
Buch, eine Lücke schließen zu können - und zwar in einer Art, die das Wissen und
die Erfahrungen aus der Hochschule auch für die Praxis mit ihrem Handlungsdruck
wieder interessant machen.
1
Oktober 2002
7
Kapitel I. Innovationen
in der Hochschullehre
.Obwohl eine technisch-methodische Innovation die Gesellschaft rasant erfasst hat, wird sich Hochschule evolutionär
wandeln. Die Integration der Neuen Medien in die Hochschulen
stellt für diese ... einen Prüfstein ihrer Innovationsfähigkeit dar"
(Beck, 2002, S. 129).
Inhalt und Ziel von Kapitel I
In diesem Buch geht es um neue Medien, um Hochschullehre und damit vor allem
um die Hoffnung auf didaktische Innovationen durch e-Learning bzw. durch eine besondere Form von e-Learning, nämlich Blended Learning. Von daher soll im ersten
Kapitel geklärt werden, was man unter einer Innovation überhaupt versteht, was
Innovation in der Hochschullehre bedeuten kann und welche Rolle die neuen Medien
für didaktische Innovationen in der Hochschule spielen. Wir werden uns dem Thema
sozusagen trichterförmig nähern: Ausgehend von der Klärung des Innovationsbegriffs soll in diesem Kapitel das Augenmerk auf didaktische
Innovationen gelenkt
werden. Da es in diesem Buch um Blendend Learning in der Hochschullehre geht,
stehen der Hochschulkontext und das Innovationspotential der neuen Medien im Vordergrund des Interesses. Bei der Behandlung dieser Punkte gelangt man zwangsläufig auch zu typischen Innovationsbarrieren,
die sich hochschuldidaktischen
Innovationen systematisch entgegen stellen. Dass diese nicht einfach auszuschalten
sind, aber u.a. durch ein neu es Innovationsverständnis
und einen evolutionären Ansatz des e-Learning zumindest abgeschwächt werden können, soll dieses Kapitel
deutlich machen.
Übersichtsgrafik
zu Kapitel I
1. Der Innovationsbegriff
--..
1.1 Merkmale von Innovationen
1.2 Verschiedene Definitionsansätze
1.3 Entwicklung des Innovationsverständnisses
2. Didaktische
----...
2.1 Kennzeichen didaktischer Innovationen
2.2 Das Innovationspotential
der neuen Medien
2.3 Der Begriff der Nachhaltigkeit
~
3.1 Förderpolitik und Erwartungen
3.2 Die Effizienzfalle
3.3 Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften
---..
4.1 Die sog. Innovationskiller
4.2 Innovationsbarrieren
in der Hochschule
4.3 Überwindung von Innovationsbarrieren
Innovationen
4. Innovationsbarrieren und wie
man sie überwinden kann
9
Überleitung zu Kapitel Il
8
1. Der Innovationsbegriff
Der Begriff der Innovation löst bei den meisten (sofern sie sich nicht professionell
damit beschäftigen) Assoziationen
von Neuerungen aus, die in irgendeiner Form
etwas Bahnbrechendes, also deutlich erkennbar Neues, beinhalten. Falsch ist dieses
Laienverständnis
nicht, steckt doch das lateinische "novus" im Innovationsbegriff,
was nichts anderes heißt als "neu". Und doch ist diese einfache Umschreibung von
Innovation als etwas "Neuartiges" in mehrfacher Hinsicht verkürzt. Von daher ist es
für Fragen der Innovation in der Hochschullehre wichtig, den Innovationsbegriff
genauer unter die Lupe zu nehmen, um nicht denselben verkürzten Interpretationen
anheim zu fallen, wie man sie (auch in der Hochschule) nach wie vor antrifft.
1.1 Merkmale von Innovationen
Der gemeinsame Kern. Die Innovationsforschung
- angesiedelt in den Wirtschaftswissenschaften - kann bislang keine allgemein anerkannte und verbindlich angewandte Definition von Innovation vorweisen; folglich gibt es unterschiedliche Begriffsbestimmungen. "Aus der Synthese 17 verschiedener
Definitionen leitet Hauschildt
(1997, S. 6) ab, dass "Innovationen [...] im Ergebnis qualitativ neuartige Produkte
oder Verfahren [sind], die sich gegenüber dem vorangehenden Zustand merklich wie immer das zu bestimmen ist - unterscheiden.
Die Neuartigkeit muß wahrgenommen werden, muß bewußt werden. [...] Das reine Hervorbringen der Idee genügt
nicht, Verkauf oder Nutzung unterscheidet Innovation von Invention"" (von Rosenstiel
& Wastian, 2001, S. 208). Der gemeinsame Kern verschiedener
Definitionen von
Innovation besteht also darin, dass eine neuartige Idee nicht ausreichend ist, um von
einer Innovation sprechen zu können; sie muss auch umgesetzt bzw. zielgerichtet
durchgesetzt werden und damit (sichtbar) etwas verändern. Zu den wichtigsten
Wesensmerkmalen
von Innovationen zählen neben der Umsetzung auch der subjektive Neuigkeitsgrad (aus der Sicht derer, die die neue Idee hervorgebracht
und
umgesetzt haben) und die prinzipielle Unsicherheit in Bezug auf Kosten, Ergebnis
und Nützlichkeit. Innovationen sind in ihrem Weg und Ausgang nicht im Detail planbar, oder mit anderen Worten: "Im Gegensatz zu Routineprozessen
zeichnen sich
Innovationsprozesse durch Komplexität, Unsicherheit, Neuigkeitsgrad und Konfliktgehalt aus" (Schmid, 1999, S. 103).
Normative und subjektive Aspekte der Innovation. Wann aber gilt eine neue Idee und
deren Umsetzung als Innovation? Was sind die Kriterien, an hand derer der Erfolg
einer Innovation bewertet werden kann? Wer beurteilt die Innovativität einer Lösung
und wer entscheidet, was für wen eine Neuerung darstellt? Hier handelt es sich um
Fragen, die normativen und subjektiven Charakter haben und von daher nicht allgemeingültig beantwortet werden können (vgl. Hauschildt, 1997). Was als innovativ gilt,
wer dies bestimmt und woran dies bemessen wird, ist abhängig von der Domäne3
und den darin herrschenden Regeln, Routinen und Heuristiken, vom Umfeld4 einschließlich der Personen, die den Zugang zu einer Domäne überwachen sowie von
den Menschen, die hinter den Innovationen stehen. Letzteres bedarf der besonderen
Aufmerksamkeit,
denn: "Psychologisch verstanden ist Innovation das kreative und
3
4
"Domäne" bedeutet so viel wie "Gegenstandsbereich", mitunter auch Disziplin oder Fachbereich.
Gemeint ist vor allem der soziale Kontext.
9
potentiell erfolgreiche Ergebnis kompetenten
Handeins von Menschen" (Baitsch,
1997, S. 59). Ähnlich wie das Phänomen der Kreativität, das als psychologische
Voraussetzung hinter jeder Form von Innovation steht, lassen sich auch Innovationen
sowie die Beurteilung und Anerkennung von Neuerungen als Innovationen nur in den
Wechselbeziehungen
eines Systems wahrnehmen, das sich aus der Domäne, dem
sozialen Umfeld und dem Individuum zusammensetzt (Csikszentmihalyi,
1997). Nicht
selten wird eine Neuerung erst Jahre nach ihrer "Erfindung" und ersten Umsetzung
als Innovation verstanden; und was in unserem Kulturkreis als innovativ angenommen wird, kann anderswo der selektiven Wahrnehmung zum Opfer fallen und umgekehrt. Last but not least sind oft auch günstige Machtgefüge, zufällige Konstellationen und das rechte Marketing dafür verantwortlich, was wann und in welcher Intensität eine Innovation wird.
1.2 Verschiedene
Definitionsansätze
In der Vielzahl verschiedener Definitionsversuche
des Begriffs "Innovation" (die zum
Teil auch aus verschiedenen
Fachrichtungen
kommen) kann man zwei grundsätzliche definitorische Ansätze erkennen (Wingens, 1998), nämlich zum einen ergebnisorientierte und zum anderen prozessorientierte
Definitionen: Während sich ergebnisorientierte Definitionen auf das Resultat eines Erneuerungsprozesses
beziehen, konzentrieren sich prozessorientierte
Definitionen auf den gesamten Vorgang der Entstehung einer Innovation.
Ergebnisorientierte
Definitionen. In Nicht-Fachkreisen
ist sicher die ergebnisorientierte Betrachtung von Innovation besonders gebräuchlich: Geht man vom Ergebnis
einer Innovation aus, kann man folgende Innovationsarten
unterscheiden: (a) Produktinnovationen im Sinne von neuen technischen Problemlösungen,
(b) Prozessinnovationen im Sinne von neuen Lösungen für Verfahrens- oder Arbeitsprozesse,
(c)
Strukturinnovationen
im Sinne von neuen organisatorischen
Problemlösungen
und
(d) Sozialinnovationen
im Sinne von neuen sozialen Problemlösungen
(z.B. Vahs &
Trautwein, 2000). Wie später anhand der Frage von Innovationen in der Hochschullehre gezeigt werden kann (siehe Abschnitt 2.1), sind Zuordnungen nicht immer eindeutig möglich - oft reicht eine Innovation in mehrere der genannten Innovationsarten gleichzeitig hinein. Auch liegen die genannten Innovationsarten
nicht auf der
gleichen logischen Ebene - dennoch handelt es sich dabei um die gebräuchlichste
Einteilung, weshalb sie auch in diesem Buch herangezogen wird.
Prozessorientierte Definitionen. Nimmt man eine prozessorientierte
Perspektive ein,
interessiert weniger das Resultat als vielmehr der Ablauf einer Innovation: Nach
Hauschildt (1997) beginnt die Innovation bereits beim Finden oder Konstruieren des
Problems, für das eine Lösung gesucht wird; daran schließt sich die Ideengenerierung, die Meinungsbildung
und Entscheidungsfindung
an; schließlich muss die
Neuerung auch realisiert und in den Markt oder in die Organisation eingeführt werden. Das Ende des Innovationsprozesses
wird in aktuellen Definitionen darin gesehen, dass die Neuerung in eine Routine überführt wird. Ebenfalls prozessorientiert
ist die Unterscheidung zwischen Innovationen, bei der man für bestehende Technologien neue Nutzungsmöglichkeiten
sucht, und Innovationen, bei denen man für bestimmte Zielsetzungen und Zwecke neue Technologien sucht - eine Unterscheidung,
10
die weiter unten bei der Auffassung von Innovationen
von Bedeutung sein wird (siehe Abschnitt 3.3).
Abbildung
sammen.
1 fasst die wichtigsten
Bestimmungsstücke
in der Hochschullehre
einer Innovationsdefinition
noch
zu-
Innovation
• Produktinnovationen
• Prozessinnovationen
Ergebnisorientierte
Definition
• Strukturinnovationen
• Sozialinnovationen
• Problemkonstruktion
• Ideengenerierung
• Meinungsbildung /
Entscheidungsfindung
• Realisierung / Einführung
der Neuerung
• Überführung in Routine
Prozessorientierte
Definition
/
Suche nach neuen
Suche nach neuen
Technologien für
bestimmte Zielsetzungen/Zwecke
Nutzungsmöglichkeiten für bestehende
Technologien
Abb. 1: Definitionen
und Merkmale
von Innovation
1.3 Entwicklung im Innovationsverständnis
Traditionelles Innovationsverständnis.
Das traditionelle Innovationsverständnis
ähnelt
dem eingangs skizzierten Laienverständnis
von Innovation. Markantes Zeichen der
Innovation nach einem eher "alten" Verständnis ist der kurzfristige und dramatische
Effekt, dem individuelle Ideen und große Schritte von wenig auserwählten Spezialisten vorausgehen. Innovation hat in dieser Interpretation stets mit radikal-revolutionären Veränderungen zu tun (vgl. Bullinger, 1994). Die Erfindung der Eisenbahn und
deren Etablierung als neu es Transportmittel kann in diesem Sinne ebenso als Innovation (nämlich als Produkt- oder technologische Innovation) gelten wie die Einführung des Fließbandes in der Automobilindustrie
(Prozessinnovation)
oder der gesetzlichen Krankenversicherung
im Deutschen Reich (Sozialinnovation).
Bei allen Beispielen handelt es sich sozusagen um "große Würfe", die niemandem entgehen
konnten und geradezu umwälzende Veränderungen (im Verkehr, in der Industrie, in
der Gesellschaft) zur Folge hatten. Zugleich handelt es sich um Innovationen, die
den Geist des Abbruchs und Neuaufbaus tragen und von daher zu Recht als "revolutionär" bezeichnet werden können.
Modernes Innovationsverständnis.
Im derzeitigen Innovationsverständnis
haben sog.
inkremental5-evolutionäre
Neuerungen neben den "großen Würfen" einen ebenbürtigen Platz. Im neueren Verständnis können die Effekte von Innovationen auch undramatisch und damit wenig auffällig sein. Neben großen Schritten können kleine Schritte das Tempo des Innovationsprozesses
bestimmen. Vorherrschend
ist heute die
5
.Inkremental"
bedeutet so viel wie: in kleinen Schritten
vorwärts
gehend.
11
Auffassung, dass prinzipiell jeder zum Ideengeber für Innovationen werden kann
(auch ohne Spezialist zu sein) und dass Gruppenarbeit und Teamgeist eher zum Erfolg führen als individuell-einsames
Nachdenken und Ellenbogenmentalität.
Zusätzlich zur Devise vom "Neuaufbau" umfasst ein modernes Innovationsverständnis
auch
den Erhalt und die Verbesserung des Bestehenden, sofern damit neue und nachhaltige Veränderungen6 in Gang gesetzt werden (vgl. Bullinger, 1994). Beispiele für Innovationen, die inkremental-evolutionären
Charakter haben, gibt es viele - nur ist
man sich derer (per definitionem) als Nutzer derselben oft nicht bewusst: Die Beispiele reichen von der kontinuierlichen Erhöhung der Leistungsfähigkeit
von Computerchips in den vergangenen Jahren (Produktinnovation)
über den langjährigen Ausbau
des Bildungssystems durch Ausdifferenzierung
der Schularten (Sozialinnovation)
bis
zur Einführung neuer Führungsstile, die sich über längere Zeit auf Hierarchien und
andere Strukturmerkmale
von Organisationen
auswirken können (Strukturinnovation).
2. Didaktische Innovationen
Nachdem nun in groben Zügen geklärt ist, was man sich unter einer Innovation vorstellen kann, soll im Folgenden überlegt werden, wodurch sich didaktische Innovationen auszeichnen und welches Innovationspotential
die neuen Medien haben, die in
diesem Buch im Mittelpunkt stehen.
2.1 Kennzeichen
didaktischer
Innovationen
Was sind didaktische Innovationen?
Wenn man die aus den Wirtschaftswissenschaften stammenden definitorischen Merkmale des Innovationsbegriffs
heranzieht,
lassen sich didaktische Innovationen wie folgt beschreiben: Didaktische Innovationen
sind Neuerungen der Organisation, der Inhalte undloder Methoden des Lehrens, die
den vorangegangenen
Zustand der Wissensvermittlung
merklich verändern und als
Konsequenz auch einen Wandel der intendierten Bildungs- und Lernprozesse7 bewirken. Um Lehr-Lernprozesse
in diesem Sinne neu zu gestalten, braucht man neue
Lehr-Lerninhalte, neue Lehr-Lernmethoden
undloder neue Rahmenbedingungen
für
die Organisation von Lehre und Unterricht, wobei diese drei Punkte keineswegs
unabhängig voneinander sind. Somit können z.B. curriculare Reformen zu didaktischen Innovationen werden, wenn sie die oben genannten Bedingungen erfüllen;
man könnte hier genauer von curricularen Innovationen sprechen. Auch Änderungen
in der Schul- oder Hochschulorganisation
- z.B. die Einführung von Ganztagsschulen
oder virtuellen Studiengängen für Teilzeitstudierende - können didaktische Innovationen anstoßen, weil sie die Rahmenbedingungen
für Lehr-Lernprozesse
verändern;
präziser könnte man das auch als organisatorische Innovationen im Lehrbereich bezeichnen. Am unmittelbarsten
aber wirken die Entwicklung und Einführung neuer
Lehr-Lernmethoden
auf Innovationen im Bereich der Bildung: Beispiele hierfür sind
etwa handlungsorientierte,
problemorientierte oder fallbasierte Ansätze der Wissensvermittlung oder spezielle Verfahren wie die Leittextmethode
oder kooperative Instruktionsmaßnahmen
(um hier nur zwei Möglichkeiten
zu nennen). Im Rahmen
Zum Begriff der Nachhaltigkeit siehe Abschnitt 2.3.
Auf den Begriff der Bildung wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, weil die Aufmerksamkeit
vorrangig auf die Optimierung des Lehrens und Lernens gerichtet ist.
6
7
12
derartiger instruktionaler Innovationen kann der Einsatz von Medien eine Rolle spielen - er muss es aber nicht; wir werden darauf noch ausführlicher zurück kommen.
Zuordnung didaktischer Innovationen zu verschiedenen Innovationsarten.
Vom Ergebnis her handelt es sich bei einer didaktischen Innovation auf den ersten Blick um
eine Sozialinnovation,
sofern man mit der didaktischen Neuerung ein bestimmtes
Bildungs- oder Lehr-Lernproblem
löst, das man im weitesten Sinne unter die Rubrik
des Sozialen subsumieren kann. Bei genauerem Hinsehen aber lassen sich didaktische Innovationen potentiell auch anderen Innovationsarten zuordnen: Eine Art Prozessinnovation liegt z.B. in dem Sinne vor, dass didaktische Neuerungen (im Idealfall) nicht nur Lehrprozesse, sondern auch Strategien des Lernens (und damit Prozesse der Konstruktion neuen Wissens) erheblich beeinflussen. Zudem kann die
Implementation didaktischer Neuerungen Lehr-Lernsituationen
in ihrer Struktur verändern (z.B. die Aufgabe eines bestimmten Zeittakts durch projektorientierte
Methoden) und sogar strukturelle Veränderungen ganzer Bildungsinstitutionen
im Sinne
der Organisationsentwicklung
hervorbringen; in diesem Fall kann man auch von einer
Strukturinnovation sprechen. Basiert eine didaktische Innovation vorrangig auf neuen
Entwicklungen etwa im Bereich der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, ist selbst eine Zuordnung zur Produktinnovation nicht ausgeschlossen.
Die Rolle der neue Medien. Angesichts des Themas dieses Buches interessiert an
dieser Stelle vor allem das didaktische Innovationspotential
der neuen Medien. Didaktische Innovationen infolge von Medieneinsatz
sind - wie im Folgenden noch
deutlich werden wird - meist instruktionale oder organisatorische
und weniger curriculare Innovationen, auch wenn diese durchaus Einfluss auf die Auswahl und Zusammenstellung von Lehr-Lerninhalten
haben können. Die Frage nach dem didaktischen Potential von Medien ist keineswegs neu, wie man vielleicht im Zuge der aktuellen Diskussion über das e-Learning und seine Auswirkungen auf das Lehren und
Lernen meinen könnte8: Die in einem bestimmten
historischen
Kontext jeweils
"neuen" Medien wurden (in regelmäßigen Abständen) zum Anlass für didaktische Innovationen herangezogen oder als solche gleich zu Innovationen erklärt. Angefangen von einfachen Bildern und Illustrationen zu Zeiten von Comenius über Sprachlabore und die audiovisuelle Welle mit Schulfernsehen
und Telekolleg bis zu Computern und Computernetzen
gehören die Medien seit ihrer Entstehungsgeschichte
zum Repertoire didaktischer Neuerungen. Spätestens seit den Empfehlungen des
Wissenschaftsrats
im Jahre 1998 zum Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre sind Multimedia und Internet zum zentralen Ausgangspunkt für didaktische Innovationen geworden - ob dies gerechtfertigt ist oder nicht, ist eine andere Frage.
Um diese beantworten zu können, muss man das Innovationspotential
der neuen
Medien in der Hochschullehre etwas genauer analysieren.
Der Begriff .e-Learning" wird synonym zu .Lernen mit neuen Medien" verstanden und in Kapitel 11
ausführlich behandelt.
8
13
2.2 Das Innovations potential
der neuen Medien
Garantieren neue Medien didaktische Innovationen? Stellvertretend für eine Vielzahl
von Autoren stellen Schlageter und Feldmann (2002) ein hohes Innovationspotential
der neuen Medien für die Hochschullehre fest: "Es bedarf keiner Erläuterung, dass
Konzepte des E-Learning auch an Präsenzuniversitäten
zu einer ganz erheblichen
Steigerung der Qualität der Lehre führen können" (S. 355). Wichtig in solchen Aussagen ist das Wort können, denn allein die Verfügbarkeit oder der Einsatz von Multimedia und Internet bringt noch keine didaktische Innovation hervor. Die neuen Medien können die Darstellung und die Vermittlung von Wissen verbessern, sie können
neue Formen des Lernens anregen, anleiten und begleiten, und sie können auch die
Organisation des Lernens erheblich verändern, sofern sie zusammen mit entsprechenden didaktischen Konzepten und instruktionalen Methoden eingesetzt werden
(vgl. z.B. Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a). Neue Medien haben von daher vor
allem das Potential für didaktische Innovationen im Bereich der Instruktion und Organisation von Lernprozessen. Hier besteht sogar die Chance für einen Paradigmenwechsel in der Auffassung von Lernen und Lehren9, wie er in der Lehr-Lernforschung
längst vollzogen wurde, in der Praxis aber auf sich warten lässt (Stiehl, 2001).
Hypermediale Darstellung von Lehr-Lerninhalten
mit neuen Medien. Die neuen Medien haben das Potential, Lehr-Lerninhalte multimedial, verlinkt und interaktiv darzustellen und damit verschiedene Formen der Wissensaneignung
nahe zu legen, die
sich vom Lernen mit linearen Texten erheblich unterscheiden.
Die Integration von
Text, Bild, Audio und Video über den Computer kann den Grad der Anschaulichkeit
erhöhen, motivierend wirken und Behaltenseffekte erhöhen; hypertextuelle Präsentationen können den Aufbau mentaler Modelle und kreatives Weiterdenken unterstützen; und interaktive Elemente, die eine Exploration und Simulation medial präsentierter Phänomene möglich machen, können Verstehen und einen flexiblen Wissenserwerb fördern. Obschon sich allgemein gültige Vorteile hypermedialer Wissensrepräsentation empirisch nicht nachweisen lassen, finden sich doch eine ganze Reihe
von Vorzügen, die sich unter bestimmten Bedingungen zeigen und damit didaktisches Innovationspotential mit sich bringen (vgl. Issing & Klimsa, 2002).
Selbstgesteuertes Lernen mit neuen Medien. Ein zentraler Vorzug etwa von Lernsoftware in CD-ROM-Format
wie auch von netzbasierten Bildungsangeboten
- angefangen von iernrelevanten Informationen im Internet über sog. WBTs (Web Based
Trainings) bis zu Online-Kursen - besteht darin, das Lernende darauf eigenständig
zurückgreifen, sich damit ohne Lehrende neues Wissen aneignen und entsprechend
selbstgesteuert
lernen können (z.B. Friedrich & Mandl, 1997). Selbstgesteuertes
Lernen mit neuen Medien eröffnet neue Möglichkeiten der Verteilung von Lehr-Lernprozessen zwischen der direkten Interaktion im Lehr-Lerngeschehen
und Phasen
des eigenständigen
Lernens an anderen (beliebigen) Orten. Darüber hinaus ist
selbstgesteuertes
Lernen die Voraussetzung
dafür, sich auch außerhalb von Bildungsinstitutionen weiterzubilden und über informelles Lernen das eigene Wissen zu
erweitern. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die neuen Medien auch in der
Debatte um das lebensbegleitende und informelle Lernen eine gewichtige Rolle spieGemeint ist vor allem ein Wandel der Auffassung vom Lernen als Informationsverarbeitung mit
mechanistischen Zügen hin zu einer Auffassung vom Lernen als sozialer und individueller Prozess der
Wissenskonstruktion; siehe hierzu Abschnitt 8.2 in Kapitel 11.
9
14
len (Dohmen, 2001) und als Impulsgeber
Gestaltung von Lernprozessen gelten.
für Innovationen
in der Organisation
und
Kooperatives Lernen mit neuen Medien. Standen vor einigen Jahren noch die Effekte
von Multimedia auf Prozesse und Ergebnisse des Lernens im Vordergrund
des
Interesses von Forschung und Praxis, blickt man heute allem voran auf die neuen
Kommunikationsund Kooperationswege,
die die Vernetzung von Computern und
Computernetzen
eröffnet haben: E-Mail, Chat, Diskussionsforen
und Video-Conferencing sind Komponenten des technischen Repertoires, das sich zunehmend auch
in Lehr-Lernkontexten
durchsetzt, wenn es darum geht, die neuen Medien für Bildungszwecke zu nutzen. Kooperatives Lernen mit neuen Medien kann angeleitet
oder selbstorganisiert erfolgen - in jedem Fall aber zeigt sich inzwischen, wie wichtig
eine (fremd- oder selbstbestimmte)
Koordination und Moderation kooperativer Lernprozesse in virtuellen Gruppen ist. Auch beim kooperativen Lernen sind die neuen
Medien eine große Chance für positive Veränderungen, aber kein Garant für Lernerfolg: Neben einigen gravierenden (sozialen) Problemen etwa im gegenseitigen Wissensaustausch sind auch die Ergebnisse der virtuellen Kooperation umstritten (vgl.
Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2002). Da viele dieser Schwierigkeiten
aber zu bewältigen sind, lassen sich die neuen Formen der orts- und zeitunabhängigen medienbasierten Kommunikation und Kooperation als Innovationschancen
betrachten; zumindest verschaffen sie der didaktischen Kreativität ein hohes und neues Maß an
Freiräumen.
Abbildung
men.
2 fasst das didaktische
Neue Medien
Hypermediale Darstellung
von Lehr-Lerninhalten
•••.
Potential der neuen Medien noch einmal zusam-
• Höhere Anschaulichkeit,
Motivation, Behaltenseffekte
durch Integration
verschiedener Symbolsysteme
• Verseh. Formen der Wissensaneignung
• Aufbau mentaler Modelle
• Mehr Verstehen u. flexibler Wissenserwerb
• Ort- und zeitunabhängiger
Selbstgesteuertes
Lernen
Kooperatives Lernen
Abb. 2: Das didaktische
Zugriff auf Inhalte, Kurse, CBTs etc.
• Neue Möglichkeit der Verteilung
von Lehrprozessen (face-to-face(online(offline)
• Voraussetzung
für informelles und lebensbegleitendes
Lernen
• Neue Kommunikationsund Kooperationsformen; neue Formen sozialen Lernens
• Hohe Effektivität
bei guter Selbstorganisation oder unter Anleitung/Moderation
• Großer Spielraum für didaktische Kreativität
Potential
der neuen Medien
15
2.3 Der Begriff der Nachhaltigkeit
Der Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs.
Immer häufiger wird im Zusammenhang
mit dem Einsatz neuer Medien in der Hochschule der Begriff der Nachhaltigkeit herangezogen. Angesichts der Tatsache, dass das heute geforderte Innovationsverständnis nicht mit der einmaligen Nutzung einer Neuerung endet, sondern die Überführung neuartiger Produkte, Strukturen oder Prozesse in eine Art Routine einfordert,
kommt der sog. Nachhaltigkeit in der Tat eine hohe Bedeutung zu. Doch was steckt
hinter diesem Begriff und woher stammt er eigentlich? Kruppa, Mandl und Hense
(2002) haben die Forstwirtschaft als den Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs
ausgemacht: Bereits im 18. Jahrhundert war von Nachhaltigkeit die Rede, die eine Waldwirtschaft bezeichnete, bei der nur so viel Holz geschlagen wird als nachwächst. In
der Energiekrise Anfang der 1970er Jahre wurde dieser Begriff wieder aufgegriffen
und auf die natürlichen Ressourcen der Umwelt insgesamt ausgeweitet.
Nachhaltige Entwicklung. Bekannt wurde der Nachhaltigkeitsbegriff
vor allem durch
das Schlagwort der "nachhaltigen Entwicklung", das Ende der 1980er Jahre mit dem
sog. Brundtland-Report in die politische Diskussion eingeführt wurde. "Grundaussage
des Begriffs 'nachhaltige Entwicklung' ist es, eine soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung zu schaffen, die weltweit die Bedürfnisse der gegenwärtigen Gesellschaft befriedigt, ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu gefährden" (Kruppa et al., 2002, S. 5). Naheliegend ist es, dass der Nachhaltigkeitsbegriff
nach der geschilderten Entwicklung zunächst im Rahmen der Umweltbildung
Eingang in pädagogische Diskussionen fand. Im Kontext Schule wurde der Begriff in
den 1990er Jahren aufgegriffen und dazu verwendet, den Grad einer gelungenen
Umsetzung oder Einführung z.B. neuer Lehr-Lernmodelle
in den Unterricht zu beschreiben. Angesichts der oben genannten Merkmale von Innovation (siehe Abschnitt 1.1) ist Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung geradezu ein (abschließendes) Charakteristikum
einer didaktischen Innovation: Erst wenn eine Neuerung
konkret umgesetzt wirdlO, wenn sie die Praxis der (Hochschul-)Lehre dadurch verändert und eine nachhaltige Entwicklung anstößt, kann man diese als Innovation bezeichnen.
Nachhaltige Veränderungen durch neue Medien in der Hochschule. Nachhaltige Veränderungen durch neue Medien können in zwei Formen in Erscheinung treten: Am
wichtigsten - und derzeit im Rahmen der Hochschule auch am meisten gefordert ist die Implementation didaktischer Innovationen durch neue Medien in den regulären
Hochschulbetrieb. Das bedeutet: Aus Pilotprojekten müssen reguläre Prozesse oder
Strukturen werden, und an die Stelle von Pionieren in Form von Einzelkämpfern
muss eine kritische Masse an Lehrenden (und Lernenden) treten, die die neuen Medien in den "Echtbetrieb" überführen und in den Hochschulalltag integrieren (MüllerBöling, 2001). Eine zweite Form von nachhaltiger Veränderung durch neue Medien
besteht darin, dass sich die Organisation Hochschule als Ganzes weiterentwickelt,
indem didaktische Innovationen auch in strategische Entwicklungspläne
Eingang
finden. In diesem Zusammenhang fordert Kerres (2001 a, b) ein gezieltes Management von Innovationen an den Hochschulen: Ein solches Innovationsmanagement
10 In diesem Zusammenhang gebraucht man auch den Begriff der Implementation (vgl. ReinmannRothmeier & Mandl, 1998), der in den vergangenen Jahren häufig mit dem Merkmal "nachhaltig" in
Verbindung gebracht wird.
16
müsste dafür sorgen, dass mediengestützte
Information und Kommunikation in Forschung und Lehre richtig gehend verankert werden und die Kernaufgaben der Hochschule unterstützen. Beide Strategien zur nachhaltigen Veränderung durch neue Medien - die "Bottom-up"-Initiative
durch Medieneinsatz
in der Lehre und das "Topdown"-Innovationsmanagement
durch die Hochschule - erfüllen komplementäre
Funktionen und sollten im Idealfall parallel eingesetzt werden. Anders als Kerres
plädieren wir als sofortigen Schritt den ersten (den bottom-up-)Weg, um Hochschullehrer nicht zum Abwarten zu verdammen - ohne dabei allerdings die Bedeutung des
zweiten Wegs zu verkennen.
3. Innovationen durch neue Medien in der Hochschullehre
Wenn die neuen Medien das Potential haben, didaktische Innovationen anzuregen
oder hervorzubringen und wenn es sogar die Forderung und damit auch Erwartung
gibt, dass neue Medien nachhaltige
Entwicklungen
in der Hochschule in Gang
setzen, stellt sich die Frage, wie dies im Einzelnen aussehen und vor sich gehen soll.
Was kostet ein solcher Innovationsschub und wie stellt man sicher, dass dieser auch
eintritt? Lassen sich die zum Teil hohen Erwartungen an das Innovationspotential
der
neuen Medien überhaupt erfüllen? Und wie sieht es speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus, die in diesem Buch besonders akzentuiert werden?
3.1 Förderpolitik und Erwartungen
Maßnahmen zur Förderung neuer Medien in der Hochschul/ehre.
Bereits seit 1996
gibt eine ganze Reihe von hochschul politischen Empfehlungen zur Reform der Hochschullehre unter Nutzung der neuen Medien. Besonders einflussreich waren die Empfehlungen des Wissenschaftsrats
im Jahr 1998, in denen neben technischen Neuerungen auch pädagogische Zielsetzungen
angemahnt wurden (vgl. Schulmeister,
2001). Seit 2001 unterstützt das Bundesbildungsministerium
(BMBF) über das Förderprogramm "Neue Medien in der Bildung" gut 100 Verbundprojekte
(und damit
mehrere hundert Einzelprojekte) mit jährlich 60 Millionen Euro. Bereits in den Jahren
davor haben die Bundesländer Sonderprogramme
aufgelegt, und die Europäische
Union investiert ebenfalls in neue Möglichkeiten des e-Learning in der Hochschule.
"Das Geld geht überwiegend an Projekte, die Lernsoftware und multimediale Lernumgebungen als Ergänzung oder Ersatz für Vorlesungen, Übungen und Praktika entwickeln. Wenn Online-Studiengänge
entstehen, dann vornehmlich
als Weiterbildungs- oder Aufbaustudium" (Schneller, 2002, S. 180).
Die ungewisse Zukunft von innovativen Medienprojekten. Das Problem der aktuellen
Förderung besteht darin, dass viele Programme 2003 auslaufen. Der Bund hat für die
Anschubfinanzierung
in Sachen e-Learning gesorgt und Hochschulen und Länder
haben zugesagt, geförderte Projekte dann im Dauerbetrieb fortzuführen - doch wie
dies gelingen soll, darüber ist man von Seiten der Politik, der Länder und der Hochschulen sehr unterschiedlicher
Meinung. Insbesondere die Hochschulen haben aufgrund ihrer angespannten Finanzlagen die begründete Sorge, dass mit dem Auslaufen von Förderprogrammen
die investierten Mittel nicht die angestrebte nachhaltige Wirkung haben (Schneller, 2002). Die Förderung von Medienprojekten erfolgt
in den meisten Fällen auf Antrag und ist damit auch von vornherein zeitlich befristet.
Dies ist nicht nur die Ursache für fehlende finanzielle Mittel zur Überführung von
17
Projekten in den Hochschulalltag. Mitunter ist das Förder- und Forschungsinteresse
mit dem Auslaufen von Projekten schlichtweg befriedigt - auch ohne nachhaltige
Implementation in den Lehrbetrieb (Müller-Böling, 2001).
Entwicklung von Erwartungen. Immer häufiger trifft man auf die skeptische Frage, ob
man das e-Learning im Allgemeinen und das Innovationspotential
der neuen Medien
für die Hochschullehre im Besonderen mit zu vielen und zu hohen Erwartungen überfrachtet hat. Die Frage ist berechtigt: Nach einer Analyse zentraler bildungspolitischer
Stellungnahmen zu e-Learning in der Hochschullehre in den letzten 5 Jahren stellt
Christine Schwarz (2002) folgende Entwicklungen fest: Waren 1998 die Erwartungen
groß, mittels Multimedia und Internet die Qualität der Hochschullehre zu verbessern,
so zeigt sich heute (im Jahre 2002) eine gemäßigtere, vor allem differenziertere Erwartungshaltung: Zwar erhofft man sich nach wie vor eine Qualitätssteigerung,
allerdings nicht allein durch Technikeinsatz,
sondern durch neue Lehr-Lernmethoden.
Deutlich ist inzwischen: Qualitätssteigerung
mit neuen Medien hat seinen Preis nicht nur rein finanziell (siehe Abschnitt 3.2), sondern auch in Bezug auf die Anforderungen an Lehrende und Lernende. Der Einsatz und die Nutzung der neuen Medien in der Hochschullehre erfordert Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden,
die nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können (siehe Abschnitt 4.2).
Zurück auf dem Boden der didaktischen Realität. Abschied genommen hat man von
der Vorstellung einer Virtualisierung der Präsenzhochschulen
in größerem Umfang:
Statt dessen werden zunehmend Hybridformen gefordert, bei denen das Lernen mit
neuen Medien in traditionelle Lehr-Lernarrangements
integriert werden - man kann
auch sagen: Man setzt auf "Blended Learning", wie wir es noch ausführlicher beschreiben werden (siehe Kapitel 11). Langsam, aber sicher macht sich die Erkenntnis
breit, dass sich nicht jeder Inhalt für eine Virtualisierung der Hochschullehre eignet,
dass es Unterschiede im e-Learning je nach Fach und Zielgruppe geben muss, und
dass man nicht alle Lehr-Lernziele mit neuen Medien besser erreicht als ohne sie;
kurz: Das Heil der Hochschullehre liegt nicht darin, dass alle Lehr-Lerninhalte weltweit und zu jeder Zeit elektronisch zum selbstorganisierten
Lernen abrufbar sind.
Auch die Erwartung, Hochschulen könnten die e-Learning-Produktion
völlig allein bewerkstelligen, wird in dieser Form kaum mehr aufrechterhalten. Autoren wie Michael
Kerres (2001 a) weisen eindrücklich darauf hin, wie wichtig eine intelligente Arbeitsteilung bei der digitalen Medienproduktion
an der Hochschule ist: Sachexpertise,
fachdidaktische
Expertise und mediendidaktische
Expertise finden sich selten in
einer Person, bisweilen nicht einmal an einem Ort - eine koordinierte arbeitsteilige
Zusammenarbeit wird zur Voraussetzung für gute "Bildungsprodukte".
3.2 Die Effizienzfalle
Hohe Anschub- und Dauerkosten. Von den vielen Erwartungen wurden die an Effizienzsteigerungen 11 durch den Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre am
schnellsten und am einschneidendsten
zurückgenommen:
Bereits im Jahre 2000
stellte die BLK fest, dass e-Learning an der Hochschule ohne zusätzliche Finanzmittel nicht zu machen sei. Anschubfinanzierungen
wurden (und werden) unterschätzt;
11 Effizienz liegt dann vor, wenn man optimale Ergebnisse mit möglichst niedrigem Aufwand (z.S. an
Kosten, Zeit und Personal) erreicht; im Gegensatz zur Effektivität, bei der .nur" das Ergebnis bzw. die
Wirkung zählt, werden bei der Effizienz die investierten Ressourcen mitbedachl.
18
vor allem aber wird die Notwendigkeit der Dauerfinanzierung
und der Entwicklung
entsprechender Konzepte nach wie vor zu wenig beachtet: "Woran es mangelt, damit
die Gelder auch langfristig wirken, sind Konzepte für eine effektive Nutzung der
elektronischen Medien" (Schneller, 2002, S. 180). Wo Kosteneinsparungen
in der
Hochschullehre die investierten Mittel aus ökonomischer Sicht rechfertigen können,
ist niemandem so recht klar: "In welchem Maße durch die Nutzung von Multimedia
und Internet im traditionellen Hochschulbereich tatsächlich erhebliche Kosteneinsparungen möglich sind, ist derzeit noch nicht nachgewiesen, da die Betreuung der Studierenden auch im Netz kein zu unterschätzender
Kostenfaktor ist" (Schlageter &
Feldmann, 2002, S. 356). Doch nicht nur die Betreuungskosten sind unklar; auch die
Zahlen, mit denen die Entwicklungskosten
von Multimedia-Produkten,
Plattformen
und die Gestaltung virtueller Umgebungen beziffert werden, sind unsichere Schätzungen. Ähnlich geht es im Übrigen auch der Wirtschaft: Neue Befragungsergebnisse zeigen deutlich, dass in Unternehmen die Hoffnung auf Kostenreduktion
und
Effizienzsteigerung
durch e-Learning bis dato kaum erfüllt werden kann und die
"virtuelle Zukunft" zwar nicht schwarz aber verhaltener gesehen wird als noch vor ein
paar Jahren (Rieckhof, 2002).
Enttäuschende Kosten-Nutzen-Verhältnisse.
Neue Kosten-Nutzen-Vergleiche
in Bezug auf neue Medien in der Hochschullehre
lassen die (Hochschul- )Politik, Hochschulleitungen und diejenigen hochschrecken, die (materiell und immateriell) in Medienprojekte an der Hochschule investieren. Dazu ein illustrierendes Beispiel: "Der
Aufwand für die Entwicklung jedes 4 SWS-Moduls im Studiengang Medieninformatik
des BMBF-Leitprojekts Virtuelle Fachhochschule wurde mit 160.000 € beziffert - für
diesen Betrag kann ein Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen eine Veranstaltung dieses Umfangs 100 Semester lang durchführen" (Risse & Wilkens, 2002, S. 3).
Dazu kommt, dass aufwändige Entwicklungsarbeiten
im Bereich der neuen Medien
an den Hochschulen häufig durch unterdurchschnittlich
bezahlte Angestellte, zum
Teil sogar unentgeltlich durch Studierende erfolgen; versteckte Kosten dieser Art
potenzieren den Aufwand noch einmal erheblich (Schwarz, 2002). Und der Nutzen?
Eine Hoffnung geht dahin, einmal entwickelte Multimedia-Produkte
vielfach (z.B. auf
Lizenzbasis) (wieder-)verwenden
oder auch international vermarkten zu können, was
sich bislang allerdings nicht im erwarteten Ausmaß realisieren ließ 12. Eine weitere
Erwartung ist, dass insbesondere netzbasierte Veranstaltungen
für eine Entlastung
der Lehrenden sorgen und Spielraum für anspruchsvolle, hoch-interaktive Seminare
in der Präsenzlehre schaffen (Beck, 2001). Die bisherigen Erfahrungen aber zeigen,
dass virtuelle Lehre - sofern sie gut gemacht ist - keineswegs eine Arbeitsentlastung
bedeutet: Zwar kann die Effektivität des Lernens steigen; dies aber setzt auch einen
entsprechend hohen Aufwand seitens der Lehrenden (und der Lernenden) voraus
(vgl. Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 b).
Wie bereits im Vorwort angekündigt wurde, sprechen wir mit diesem Buch nicht ausschließlich, aber vorrangig Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften
an, sodass es Sinn macht, die Situation in diesen Disziplinen (in aller Kürze) etwas genauer
unter die Lupe zu nehmen.
12
Hierfür gibt es natürlich Gründe, die aber an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden können.
19
3.3 Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften
Mangelnde technische Ausstattung und ihre Folgen. Eine relativ aktuelle Skizze zur
Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften
in puncto neue Medien in der
Hochschullehre von Stiehl (2001) zeigt, dass diese im Vergleich zu technischen und
naturwissenschaftlichen
Disziplinen insgesamt betrachtet schlechter ausgestattet
sind13. Dies trifft vor allem auf die technische Ausstattung zu, was verschiedene
(meist miteinander verwobene) Ursachen hat: z.B. weniger Fördergelder, weniger
Drittmittel, weniger Wirtschaftskontakte
etc. In der Folge hat die Mehrheit der Lehrenden in den Geistes- und Sozialwissenschaften
wenig oder keine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den neuen Medien in der Hochschullehre; entsprechend mangelt es an Fähigkeiten (aber auch an Mut) zur Beteiligung an didaktischen Innovationen durch neue Medien.
Besonderheiten in fachbezogenen
Strukturen. Ein Großteil der Veranstaltungen
in
den Geistes- und Sozialwissenschaften
(die zu 80 % in Form von Vorlesungen und
Seminaren erfolgen) ist textorientiert und textgestützt; der unmittelbare Bedarf an
Veranschaulichungen
etwa durch den Einsatz von Multimedia ist von daher eher
gering - jedenfalls für die meisten nicht hoch genug, um multimediale Entwicklungen
anzustreben. Hier liegt eine Art strukturelles (bzw. disziplin- und fachimmanentes)
Problem vor, das an dieser Stelle weniger in der Organisation Hochschule liegt als
vielmehr mit den Inhalten der Disziplinen und deren Vermittlungstradition
zu tun hat.
Wegen der strukturellen Technik-Ferne sind die mentalen und emotionalen Vorbehalte gegenüber den neuen Medien in der Hochschullehre tendenziell größer als in
anderen Disziplinen (Stiehl, 2001).
Der Hang zur eigenen Nachrangigkeif. Ein besonderes Merkmal in den Geistes- und
Sozialwissenschaften
besteht in einer einseitigen Interpretation von didaktischer Innovation: Im Vordergrund steht eine Auffassung von Innovation mit neuen Medien,
bei der von bereits vorhandene Technologien ausgegangen wird, um darauf aufbauend nach neuen Anwendungen zu suchen. Mit andere Worten: Immer dann, wenn
"neue" Medien auf den Markt kommen, setzt die Suche nach didaktischen Potentialen ein, die das neue Medium auch für den Kontext der Lehre interessant machen.
In der Tat ist dies auch eine Form von Innovationsprozessen
(vgl. Abschnitt 1.2). Die
andere Form, nämlich für bestimmte Zielsetzungen
und Zwecke neue Mittel bzw.
Technologien zu suchen, mit denen man die angestrebten Ziele besser, einfacher
oder schneller erreicht als mit dem bisherige Repertoire, ist in den Geistes- und Sozialwissenschaften (und paradoxerweise vor allem in pädagogischen Disziplinen und
Fächern) weniger bekannt: Dies würde nämlich bedeuten, dass Pädagogen, Didaktiker und andere Lehr-Lernexperten
(aber auch "normale" Lehrende als Experten für
die Lehrpraxis) ihre Ziele für die Verbesserung von Lehr-Lernprozessen
formulieren
und damit gestaltend in die Produktion neuer Medien eingreifen - was bis dato kaum
geschieht. Die pädagogisch-didaktische
Expertise bleibt bislang vor allem nachrangig.
13
Eine Ausnahme sind hier in vielen Fällen die Wirtschaftswissenschaften.
20
4. Innovationsbarrieren
und wie man sie überwinden kann
Welche Hindernisse sich einer idealtypischen Vorstellung von "echter" didaktischer
Innovation an den Hochschulen (einschließlich einer nachhaltigen Entwicklung) in
den Weg stellen, ist an einigen Stellen dieses Kapitels bereits angeklungen. Innovationsbarrieren
gibt es keineswegs nur in der Hochschule; auch in Unternehmen
kennt man sog. Innovationskiller. Die Kenntnis genereller und hochschulspezifischer
Hindernisse ist wichtig, denn nur so lassen sich Wege finden, diese zu bewältigen
oder zumindest derart zu reduzieren, dass didaktische Innovationen durch neue
Medien nicht chronisch stecken bleiben.
4.1 Die sog. Innovationskiller
In der Innovationsforschung
hat man einige typische Hindernisse für Innovationsprozesse ausfindig gemacht, die in wirtschaftlichen
Kontexten eine oft unterschätzte
Rolle spielen und von v. Rosenstiel und Wastian (2001) als "Innovationskiller"
bezeichnet werden. Diese lassen sich zwar nicht eins-zu-eins auf die Hochschule übertragen; ihre Kenntnis aber kann für hochschultypische
Innovationsbarrieren
sensibilisieren, die auch beim Einsatz der neuen Medien zu beachten sind.
Hindernisse in Prozessen und Strukturen. Hauschildt (1997) führt mehrere Innovationshindernisse an, die im Innovationsprozess
selbst liegen: z.B. die Beteiligung zu
vieler Personen am Innovationsprozess,
was zur Folge haben kann, dass Konformitätsdruck aufgebaut wird, Informationen unzureichend verarbeitet oder Probleme und
Lösungen zu vage definiert und kommuniziert werden. Zu Beginn von Innovationsprozessen erweist sich eine zu ausgeprägte Zielklarheit (insbesondere eine Starrheit
in der Zielsetzung) als hinderlich, weil sie die kreative Ideengenerierung
blockieren
kann. In hohem Maße dysfunktional sind fehlende (finanzielle und/oder personelle)
Ressourcen im Innovationsprozess
sowie zu hoher Zeitdruck. Auch ein Mangel an
Information oder ein unzureichender Informationsfluss kann Innovationsprozesse
aufhalten. Weitere Phänomene, die sowohl die kreative Ideengenerierung als auch die
Implementation von Neuerungen behindern können, sind struktureller Art: bürokratisch geregelte Abläufe, formale Kommunikation und eine starr festgelegte Entscheidungsmacht sowie eingeschränkte
Autonomie der Beteiligten, restriktive Kontrolle
und ein kontrollierender Führungsstil (von Rosenstiel & Wastian, 2001).
Psychologische und kulturelle Hindernisse. Was Menschen, die am Innovationsprozess beteiligt sind, wollen und wünschen, was sie fühlen und wie sie denken, hat
großen Einfluss auf alle Phasen des Innovationsprozesses,
denn: Ohne den Menschen und ohne individuelle Kompetenz gibt es keine Innovation (z.B. Staudt & Kley,
2001). Umgekehrt aber gilt auch, dass etwa mangelnde Motivation, negative Gefühle
und unflexibles Denken erhebliche Störgrößen darstellen. Dazu kommt, dass Bereitschaften, Gefühle und Denkstile von organisationalen
Bedingungen verstärkt oder
erst hervorgerufen werden können (von Rosenstiel & Wastian, 2001): So vergrößern
sich z.B. Versagensängste
von Individuen durch eine leistungsorientierte
Organisationspolitik; individuelle Wahrnehmungsbarrieren
werden gestärkt durch starre Routinen, und eindimensionales Denken erfährt geradezu Bestätigung, wenn eine Art tay-
14
te
21
loristische14 Arbeitsteilung praktiziert wird. Neben Schwierigkeiten dieser Art, die im
einzelnen Individuum liegen, sind es Kommunikationsdefizite
und ausgeprägte (vor
allem nicht ausgetragene) Konflikte, die zu Innovationshindernissen
werden können.
Eng verbunden mit psychologischen Aspekten ist die Kultur einer Organisation, die
ebenfalls eine Rolle für den Innovationsprozess
spielt: Hierzu gehört etwa der Grad
der Offenheit im sozialen Umfeld, das Menschenbild und die Auffassung von der Umwelt (als gestaltbar oder nicht) sowie der Stellenwert des Lernens und sozialer Netzwerke in der Organisation (vgl. Hauschildt, 1997). Insgesamt gilt, dass starre Normen
und Wertvorstellungen,
mangelnde Flexibilität, fest verwurzelte Überzeugungen und
Geringschätzung
von Lern- und Kommunikationsprozessen
kulturelle Hindernisse
darstellen.
4.2 Innovationsbarrieren
in der Hochschule
Finanz- und Persona/notstand. Mangelnde Ressourcen sind nach Überzeugung vieler Autoren eines der größten Innovationsbarrieren
in der Hochschullehre - vor allem
in den Geistes- und Sozialwissenschaften
(vgl. Abschnitt 3.3). Allem voran fehlen die
Finanzmittel, um die Nachhaltigkeit didaktischer Innovationen durch neue Medien zu
sichern. Anschubfinanzierungen
allein lösen - das hat man inzwischen erkannt keine positiven Kettenreaktionen aus. Nachhaltigkeit muss vielmehr im Sinne eines
Innovationsmanagements
geplant und eigens gefördert werden; d.h.: "Auch im Dauerbetrieb gibt es die Verbesserung der Lehre nicht zum Nulltarif' (Schneller, 2002, S.
180). Besonderer Notstand herrscht bei den personellen Ressourcen. Für Sachmittel
(wie Hard- und Software) ist allemal leichter Geld aufzutreiben als für längerfristig zu
planende Stellen, die gerade für eine nachhaltige Implementation der neuen Medien
in der Hochschullehre
dringend erforderlich sind: Der Personalbedarf
reicht von
Technikern über Netzwerkspezialisten
bis zu Dozenten und Tutoren, die Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien aufweisen. Woher das dafür erforderliche
Geld insbesondere nach Auslaufen vieler Förderprojekte kommen soll, ist eine offene
und entsprechend brisante Frage. Die aus dieser Situation heraus entstehende Planungsunsicherheit, die durch neue Hochschulreformen
wie Einschränkung der Autonomie von Lehrstühlen in Zukunft noch größer werden könnte (Scholz, 2002), stellt
eine weitere gravierende Innovationsbarriere dar.
Mänge/ im System. An der Stelle fragt man sich, ob man mit Geld die genannten
Probleme ein für allemal lösen könnte. Nun ist es nicht von der Hand zu weisen, dass
eine nachhaltige Implementation von e-Learning an der Hochschule ressourcenintensiv ist; allerdings sind finanzielle Mittel "nur" eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für didaktische Innovationen. Defizite in der nachhaltigen Implementation guter Ideen zur Verbesserung der Hochschullehre haben oft auch strukturelle Ursachen: "In der Hochschulrealität
zeigen sich fundamentale organisationale
Hürden zur Implementation entsprechender Ansätze" (Kerres, 2001 b, S. 17). Bürokratische Stolpersteine, unzumutbar lange Entscheidungswege,
eingleisige Informationsflüsse und eingefahrene Machtverhältnisse
- Innovationsbarrieren,
die in der
Wirtschaft allseits bekannt sind - entfalten auch an den Hochschulen ihre (destruktiven) Wirkungen. Besonders beklagt wird in einer aktuellen Befragung an 42 deut14 Die Bezeichnung "tayloristisch" bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie "orientiert an
technischer Rationalisierung".
22
schen Universitäten die zunehmend starre Bürokratie (Scholz, 2002). Systemoffenheit, große Handlungsspielräume,
informeller Informationsstil,
Konfliktbereitschaft
sowie die Bereitschaft und Möglichkeit, Grenzen (von Kompetenzen und Verantwortung) auch einmal zu überschreiten, sind nach Hauschildt (1997) wichtige Voraussetzungen für Innovationen. Wie es um diese (kulturbezogenen)
Merkmale an deutschen Hochschulen bestellt ist, mag der Leser selbst entscheiden.
Aktuelle Befragungsergebnisse,
die den Hochschulen ein zunehmend raueres Arbeitsklima bescheinigen, sprechen jedenfalls nicht dafür (Scholz, 2002).
Fehlende Anreizsysfeme. Welchen Nutzen haben Hochschullehrer, wenn sie Kompetenz, Zeit und Energie in didaktische Innovationen stecken? Wie steht es um Anreize 15 für die Nutzung der neuen Medien in der Hochschullehre und für die Erarbeitung
und Umsetzung neuer didaktischer Konzepte, die eine nachhaltige Entwicklung anstoßen? Nun gibt es inzwischen verhaltene und umstrittene Versuche, die Verbesserung der Lehrqualität zu erhöhen, indem z.B. Evaluationen durchgeführt werden, bei
denen Studierende Lehrveranstaltung
mittels Multiple-Choice-Fragen
bewerten was in der Regel ohne Konsequenz bleibt. Nach wie vor ist es so, dass allenfalls das
Einwerben von Drittmitteln mit variablen Leistungszulagen
belohnt wird bzw. (nach
den neuen Reformen) belohnt werden soll. Nur eine kleine Zahl von Hochschulen
(ca. 7%) honoriert auch die Entwicklung neuer Veranstaltungsformen
(Scholz, 2002).
Ebenfalls nachteilig für die Motivation, didaktische Innovationen zu initiieren, kann
sich die Tatsache auswirken, dass die Autonomie von Universitätspräsidenten
und
Rektoren derzeit erhöht, die von Lehrstuhlinhabern
eingeschränkt
wird (Scholz,
2002). Die Vermutung, dass gekappte Eigenverantwortung
auch die Eigeninitiative
(vor allem im Bereich der ohnehin eher unbeliebten Lehre) reduzieren kann, ist naheliegend. Schließlich sind nicht nur die Hochschulgehälter
objektiv (nach Gehaltsvergleichen) und subjektiv unattraktiv; auch der Beruf des Hochschullehrers verliert laut
aktuellen Ergebnissen seit einigen Jahren enorm an Attraktivität (Scholz, 2002).
Kompefenzdefizife.
Bei aller Beachtung von Barrieren auf Seiten der verfügbaren
Ressourcen sowie den bestehenden Strukturen und (defizitären) Anreizsystemen
darf man eines nicht vergessen: Ohne individuelle Kreativität und Wissensgenerierung, ohne Durchsetzungsfähigkeit
und Wille zur Umsetzung von Wissen gibt es
auch in der Hochschullehre keine Innovationen. Notwendig ist also auch auf der psychologischen Ebene so etwas wie "Innovationskompetenz",
die kognitive ebenso wie
emotional-motivationale
Komponenten enthält16. Die Verfügbarkeit neuer Ideen bzw.
neuen Wissens allein führt nicht zu Innovationen, sondern erst "die kompetente Umsetzung und kreative Anwendung von Wissen .... Kompetenz ist der Schlüssel zur
Bewältigung des strukturellen Wandels sowohl auf organisationaler als auch auf individueller Ebene" (Staudt & Kley, 2001, S. 1). In Bezug auf didaktische Innovationen
umfasst diese Kompetenz neben den genannten allgemeinen Komponenten unter
anderem: Wissen über menschliche Lernprozesse, Kenntnis verschiedener Lehrmethoden, Medienkompetenz (im umfassenden Sinne) sowie didaktische Kreativität und
15 Mit "Anreizen" sind an dieser Stelle nicht mechanistisch anmutende Motivierungsinstrumente gemeint, wie man sie in der Industrie bisweilen vorfindet (Sprenger, 2002); vielmehr soll der Anreizbegriff
hier für Rahmenbedingungen stehen, die ein (eigen-)motiviertes Handeln möglich machen.
16 Wie die sog. Entrepreneurship-Forschung gezeigt hat, gehören hierzu z.B. neben Kreativität, Risikobereitschaft und Durchsetzungsvermögen auch die Fähigkeit, in Unsicherheit zu handeln und Widersprüchlichkeiten zu tolerieren.
23
praktisches Können. In Unternehmen hat man die Kompetenz von Fach- und Führungskräften als erfolgskritische Ressource für Wertschöpfung und Innovation längst
erkannt - an den Hochschulen traut sich an dieses Thema kaum jemand heran: Wer
will Hochschullehrern schon einen Mangel an Kompetenz nachsagen?
Ein dysfunkfionales
Innovationsverständnis.
Wer als Lehrender an der Hochschule
von neuen Medien in der Lehre oder gar von "e-Learning" hört, denkt erst einmal überspitzt formuliert - an bunte Animationen, an das multimediale Explorieren von
dreidimensional dargestellten Phänomenen, an die Simulation komplexer Prozesse
und an andere beeindruckende
Ereignisse und Effekte. Daran schließt sich in der
Regel der Gedanke an, welche (zeitlichen und finanziellen) Ressourcen und welche
(für den normalen Lehrenden unerreichbaren)
Kompetenzen die Entwicklung und
Produktion derartiger "High- Tech"-Veranstaltungen
erforderlich machen. Viele beruhigen sich dann damit, dass der Hypermedia-Aufwand
ohnehin nur für spezielle Fächer
wie Medizin oder einige Naturwissenschaften
lohnt und dass das Umgehen didaktischer Innovationen mit neuen Medien von daher nicht weiter ins Gewicht fällt. Mit
anderen Worten: Insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften
hält sich
hartnäckig eine Auffassung von "Innovation in der Hochschullehre", die vorrangig den
großen Wurf im Blick hat, der allgemeine Bewunderung, Aha-Effekte und eine Art
Umwälzung hervorruft und damit dem traditionellen Innovationsverständnis
entspricht
(vgl. Abschnitt 1.3). Trotz anders lautender Ankündigungen
verstärkt auch die Förderpolitik die skizzierte Einstellung, indem sie immer noch stark auf Produkte (also
Software und Plattformen) fixiert ist und die Frage offen lässt, "woran ... sich diejenigen orientieren [sollen), die weder Bildungssoftware
produzieren noch im großen
Rahmen nutzen, aber durchaus sinnvolle luK-Technologien
routiniert in die Hochschullehre einbringen möchten" (Schwarz, 2002, S. 4).
Abbildung 3 gibt einen zusammenfassenden
Überblick über generelle und hochschulspezifische Innovationsbarrieren,
wie sie in den vorangegangenen
Abschnitten
beschrieben wurden.
Barrieren
Finanz- IPersonalnotstand
• Fehlende Mittel für Nachhaltigkeit
• Breites Defizit an kompetentem
Personal
• Mangelnde Planungssicherheit
• Ausgeprägte
Bürokratie
• Lange Entscheidungswege
Mängel im System
• Eingleisige
Informationsflüsse
• Eingefahrene Machtverhältnisse
Fehlende Anreizsysteme
• Belohnung von Drittmittelforschung, nicht
jedoch von Engagement in der Lehre
• Beschneidung
der Lehrstuhlautonomie
• Schlechte Hochschulgehälter
• Mängel/Defizite
Dysfunktionales
Innovationsverständ
in Bereichen
der Innova-
tionskompetenz: Kreativität, Ideengenerierung, Durchsetzungs-/Transferfähigkeit
• Mängel/Defizite im Bereich Mediendidaktik
Kompetenzdefizite
nis
Abb. 3: Typische
• Eingeengtes (trad.) Innovationsverständnis
• Geringe Betroffenheit (in den Geistes-/Sozialwissenschaften)
• Verstärkung durch die Förderpolitik
Innovationsbarrieren
24
4.3 Überw\ndung 'Ion \nno'la\\onsban\eren
Kein Mangel an guten Ratschlägen.
Empfehlungen
dafür, wie man Innovationsprozesse generell unterstützen und typische Innovationskiller überwinden kann, gibt
es - bezogen auf wirtschaftliche Kontexte - genug (z.B. Hauschildt, 1997; von Rosenstiel & Wastian, 2001): Nahe gelegt wird etwa, kleine Teams oder Qualitätszirkel
einzusetzen, Lern- und Arbeitsprozesse miteinander zu verbinden, nicht nur Informationen, sondern auch Erfahrungswissen
weiterzugeben
und auszutauschen
(auch
über Organisationsgrenzen
hinaus), auf Erfolge und Misserfolge unmittelbare Rückmeldungen zu geben, Ideen und Ergebnissen rasch umzusetzen, die Organisationsmitglieder zum Fragen zu ermutigen und die Fehlertoleranz zu erhöhen. Fast schon
gebetsmühlenartig wird gefordert: Weniger Formalisierung, weniger Spezialisierung,
weniger Standardisierung.
Wie man das im Einzelnen genau bewerkstelligen kann,
darüber finden sich weniger brauchbare Hinweise. Konkreter fallen Empfehlungen
aus, die beispielsweise Promotoren und verschiedene Rollen fordern, die den Innovationsprozess
in verschiedenen
Phasen unterstützen (Hauschildt & Gemünden,
1999). Last but not least gibt es die Forderung, in Menschen zu investieren, etwa
mittels Weiterbildung, die innovative Prozesse unterstützen kann - vorausgesetzt, es
werden Prinzipien berücksichtigt, die aus der Weiterbildung Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung
machen (Erpenbeck & Sauter, 2000): Zu diesen Prinzipien gehört
das Lernen im Prozess der Arbeit mit Nähe zu konkreten Problemen, das Lernen im
sozialen Umfeld (also in Netzwerken mit Erfahrungsaustausch)
und der beständige
Zugang zu relevantem Wissen, zu hilfreichen Beispielen und wichtigen Kontakten (im
Sinne von Wissensmanagement;
vgl. Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a).
Der Ruf nach Innovationskultur. Neben Ressourcenmangel
und Strukturdefiziten sind
vor allem Wertvorstellungen
und Überzeugungen
und deren Manifestation
in bestimmten Strukturen und Routinen 17 sowie andere kulturbezogene Bedingungen als
Innovationsbarrieren
erkannt worden. Von daher liegt es nahe, zur Förderung von
Innovationen eine entsprechende
Innovationskultur
zu fordern. "Unter der Innovationskultur sind ... alle Normen, Wertvorstellungen
und Denkhaltungen zu verstehen,
die das Verhalten der am Neuerungsprozess
beteiligten Personen prägen" (Vahs &
Trautwein, 2001, S. 21). Merkmale einer erfolgreichen Innovationskultur
sind oben
bereits angeklungen und lassen sich mit Vahs und Trautwein (2000) wie folgt zusammenfassen: In einer erfolgreichen Innovationskultur
wird den Organisationsmitgliedern und deren Fähigkeit zu Kreativität und eigenverantwortlichem
Handeln grundsätzlich Vertrauen entgegen gebracht; Kreativität hat einen hohen Stellenwert im
Symbol- und Wertesystem der Organisation; innovative Organisationsmitglieder
werden unterstützt und gezielt gefördert; Fehler und Misserfolge werden toleriert und
nicht sanktioniert; das Informations- und Kommunikationsverhalten
ist offen, wichtige
Informationen werden nicht zurückgehalten.
Innovafionsförderliche
Bedingungen für die Hochschul/ehre.
Ohne Zweifel wäre es
auch für die Organisation Hochschule erstrebenswert, die oben genannten innovationsförderlichen
Bedingungen herzustellen. Dabei sind allerdings zwei Einschränkungen zu beachten: Zum einen tun sich auch Unternehmen schwer, empirisch und
theoretisch untermauerte Faktoren erfolgreicher Innovation quasi synthetisch herzu17 An der Stelle zeigt sich deutlich die Wechselbeziehung von Kultur und Struktur in Organisationen,
sodass die Frage nach der Ursächlichkeit eher müßig ist.
25
stellen - neue strukturelle, psychologische und kulturelle Bedingungen lassen sich
nicht wie ein technisches Tool von heute auf morgen implementieren. Zum anderen
kann man nicht alle für die Wirtschaft gemachten Forderungen auf Bildungskontexte
übertragen: Hochschulen sind kein Unternehmen und eine didaktische Innovation
unterscheidet sich grundsätzlich von einer Innovation etwa in der Biotechnologie.
Von daher sollte man Maßnahmen zur Förderung von Kreativität und Teamgeist (zur
Ideengenerierung
in den ersten Phasen des Innovationsprozesses)
ebenso wie
Maßnahmen zur Um- und Durchsetzung neuer Ideen (zur nachhaltigen Implementation von Neuerungen in den letzten Phasen des Innovationsprozesses)
in hohem
Maße kontext- und gegenstandsbezogen
angehen. Was aber könnte man vor diesem Hintergrund konkret empfehlen?
Möglichkeiten zur Überwindung von Innovationsbarrieren
in der Hochschule. Nach
dem bisher Gesagten ist es nahe liegend, zunächst Veränderungen
in der Förderpolitik anzustoßen: Förderkriterien,
die nicht auf aufwändige Multimedia-Produkte
fixiert sind und speziell den Geistes- und Sozialwissenschaften
gezieltere Chancen
zur Beteiligung am Innovationsprozess
einräumen; mehr Geld für nachhaltige Entwicklungen in der Hochschullehre; und eine höhere Planungssicherheit
für konkrete
Vorhaben. Des Weiteren ist der Abbau bürokratischer Hürden für die Entwicklung
und Umsetzung innovativer Ideen in der Hochschule zu fordern. Noch wichtiger aber
erscheinen grundsätzliche Änderungen in der Anreizpolitik innerhalb der Hochschule:
Wenn didaktische Innovationen wirklich gewollt sind, muss sich dieser Wille auch
darin zeigen, dass Engagement in der Hochschullehre ähnlich wie das Einwerben
von Drittmitteln materiell "belohnt" und anerkannt, also als hochschulrelevante
Neuerung immateriell honoriert wird. Kompetenzdefizite
lassen sich (mit Einschränkung)
durch Weiterbildungsangebote,
vor allem aber durch gute Beispiele sowie durch
Möglichkeiten zum Erfahrungslernen und kollegialen Erfahrungsaustausch
angehen.
Angesichts des vorherrschenden
traditionellen
Innovationsverständnisses
in den
Geistes- und Sozialwissenschaften
(vgl. Abschnitt 4.2) gehört es unserer Ansicht
nach zu den wichtigsten Schritten, das didaktische Innovationspotential
der neuen
Medien direkt und konkret erfahrbar zu machen. Nur so ist mit einer höheren Bereitschaft zu rechnen, sich überhaupt (auch gedanklich) in das Feld des e-Learning
zu begeben (Stiehl, 2001). Technische Highlights und didaktische "Leuchttürme"
sollten zu Beginn eines Innovationsprozesses
in der Hochschullehre nicht im Vordergrund stehen; vielmehr muss man die aktuelle hochschuldidaktische
Situation vor Ort
im Blick haben und nach Neuerungen suchen, die den Status quo merklich verbessern - was je nach Kontext zu sehr unterschiedlichen Neuerungen führen kann.
26
5. Fazit
In diesem Kapitel haben wir uns zunächst dem Innovationsbegriff gewidmet und geklärt, was im Wesentlichen dahinter steckt. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine
neue Idee noch lange keine Innovation ist: Erst deren Umsetzung - nach neuem
Verständnis deren Überführung in eine Routine - macht sie zur Innovation, sofern
damit eine merkliche Veränderung des vorangegangenen
Zustands verbunden ist.
Das gilt auch für didaktische Innovationen! Es wurde dargelegt, dass die neuen Medien in mehrfacher Hinsicht Innovationspotential
für die Hochschullehre
besitzen,
dass sich Neuerungen aber keineswegs automatisch mit dem Einsatz von Multimedia
und Internet einstellen, sondern erst noch mit instruktionalen Konzepten verbunden
werden müssen. Um nicht im luftleeren Raum zu argumentieren, haben wir die derzeitige Förderpolitik in Sachen e-Learning in der Hochschule aufgegriffen und untersucht, welche Erwartungen an die neuen Medien geknüpft wurden und werden: Besonders deutlich zeigte sich dabei die Effizienzfalle, in die viele (vor allem auch die
Politik) getappt sind, was zu großer Ernüchterung in Bezug auf ökonomische Vorteile
durch neue Medien in der Hochschullehre geführt hat. Aber auch didaktisch scheint
man inzwischen wieder auf dem Boden der Realität zu sein; jedenfalls hat der Ruf
nach grunds.ätzlicher Virtualisierung der Hochschule nachgelassen und die Suche
nach differenzierten e-Learning-Modellen
begonnen (was auch für die Weiterbildung
in der Wirtschaft gilt).
Schwierig ist die Situation nach wie vor in den Geistes- und Sozialwissenschaften.
Finanz- und Personalnotstand,
Mängel im System, fehlende Anreizsysteme
und
Kompetenzdefizite sind typische Barrieren für didaktische Innovationen in der Hochschule, zeigen sich dort aber besonders deutlich und in Kombination mit disziplinimmanenten Schwierigkeiten, wenn es um den Einsatz neuer Medien in der Lehre geht.
Doch es war keineswegs Ziel dieses ersten Kapitels, in ein allgemeines Klagen zu
verfallen; vielmehr sollten auch einige grundlegende Lösungsansätze zur Überwindung von Innovationsbarrieren
deutlich geworden sein. Neben einigen ganz konkreten Maßnahmen, die Besserung versprechen, ist es vor allem an der Zeit, die herrschende Auffassung, was eine Innovation in der Hochschullehre ist, an ein modernes
Innovationsverständnis
anzupassen - ein innovationsverständnis,
das nicht revolutionäre Sprünge, sondern evolutionäre Entwicklungen und damit auch nachhaltige
Veränderungen in den Vordergrund stellt. Oder, um mit den Worten Stiehls (2001) zu
sprechen: "Angesichts dieser Situation (Anm.: der Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften)
empfiehlt sich eine inkrementale
Vorgehensweise,
die dem
didaktischen Grundsatz folgt, die Adressaten dort abzuholen, wo sie stehen und mit
ihnen die nächsten Schritte zu gehen. Statt technologischer Sprünge und Highlights
und einer Top-Down-Strategie
dürfte eine Strategie kleiner Schritte Bottom-up
Breitenwirkung und Nachhaltigkeit sichern" (Stiehl, 2001, S. 11).
Inwiefern die Forderung nach differenzierten e-Learning-Modellen,
nach evolutionären Innovationsprozessen,
nach Anschlussfähigkeit
und Nachhaltigkeit mit dem sog.
Blended Learning, das dem Buch seinen Titel gibt, besonders gut zu erfüllen ist, soll
im nun folgenden Kapitel 11 beschrieben und in Kapitel 111 an einem konkreten Beispiel demonstriert werden.
27
Kapitel 11.Blended Learning
"Wir gehen von einer Welt des 'Entweder/Oder'
in eine Welt
des 'Sowohl/als auch'. Dies gilt insbesondere für die Lernwelt"
(Sauter 2001, S. 1).
Inhalt und Ziel von Kapitel
11
Ob Blended Learning wieder mal ein neues Modewort ist, das uns nur blenden will,
oder ob es sich dabei um eine didaktische Innovation handelt - das ist die zentrale
Frage des zweiten Kapitels dieses Buches. Auch hier kommen wir ohne Begriffsschärfungen nicht aus, und so sind zunächst einmal die Begriffe des Blended Learning und des e-Learning genauer zu betrachten und aufzudecken, was sich dahinter
verbirgt. In einem zweiten Schritt interessiert vor allem der didaktische Mehrwert des
e-Learning im Allgemeinen sowie das didaktische Potential des Blended Learning im
Besonderen: Dabei wollen wir nicht auf der operativen Ebene des Lehr-Lerngeschehens stehen bleiben, sondern auch einen Blick auf die jeweils zugrunde liegenden
'Lehr-Lernauffassungen
werfen. Erst wenn die Begrifflichkeiten im Umkreis des Blended Learning geklärt und die didaktischen Möglichkeiten und Hintergründe bei dieser
Form des e-Learning erörtert sind, wollen wir der Frage nachgehen, ob und inwieweit
wir mit Blended Learning didaktische Innovationen erreichen können, wie wir sie im
ersten Kapitel beschrieben haben.
Übersichtsgrafik
6. Der Begriff des Blended Learning
zu Kapitel 11
6.1 Die (wirtschaftliche)
Herkunft des
Blended Learning
6.2 Was hinter dem Blended Learning steckt
7.1 Verschiedene e-Learning-Vartanten
7.2 Unterschiedliche
Anforderungen
beim
e-Learning
18.
Die Integrationskraft
Learning
des Blended
8.1 Existenz und Notwendigkeit
9. Das Innovationspotential von Blended
Learning in der Hochschullehre
9.1 Didaktische Innovationen
durch Blended Learning
9.2 Überwindung von Innavationsbarrieren
durch
Blended Learning
LiO. F~
verschie-
dener Lerntheorien
8.2 Instruktion und Konstruktion
8.3 Integration durch Blended Leaming auf
verschiedenen
Ebenen
c:>
Überleitungzu KapitelIII
28
6. Der Begriff
des Blended
Learning
Ohne Zweifel kann man "Blended Learning" (ähnlich wie e-Learning, e-business und
e-commerce) zu den neuen Wortkreationen - man kann auch sagen: zu den "buzz
words" - der "e-Branche" zählen, die erst Unverständnis
hervorrufen, dann aber
rasch in den Wortschatz von Multiplikatoren eingehen und durch wiederholten Gebrauch zu Modewörtern werden (Baumgartner,
Häfele & Häfele, 2002). Dennoch,
oder gerade deshalb, ist zunächst einmal eine genauere Betrachtung des "Blended
Learning"-Begriffs notwendig, um eine Grundlage für Lob und Kritik zu haben.
6"1 Die (wirtschaftliche)
Herkunft des Blended Learning
Aufruhr im Kreise der Wirtschaft. Wir befinden uns in einer schnelllebigen
Zeit jedenfalls was Begrifflichkeiten
insbesondere
in der Wirtschaft betrifft, in der die
Uhren bekanntlich anders ticken als im deutschen Hochschulsystem:
Kaum hat sich
- nach mehreren Jahren Verzug - das Schlagwort und damit (zum Teil) auch die
Idee des e-Learning in den Hochschulen eine gewisse Position erobert, ist der "eLearning-Hype" in den Unternehmen auch schon wieder verschwunden. "Versuchen
wir es mal mit "Blended Learning"", heißt es in der Financial Times Deutschland
(Reppert, 2002) - als Reaktion auf die enttäuschten Erwartungen in Bezug auf die
Virtualisierung
der Weiterbildung:
"Zurückrudern
heißt jetzt das Motto. "Blended
Learning" ist die neue Philosophie der Branche. Hinter dem englischen Begriff, der in
keinem Anbieterprospekt mehr fehlt, verbirgt sich die Erkenntnis, dass E-Learning die
herkömmliche Weiterbildung in den Unternehmen nicht ersetzen kann. Statt dessen
ist gemischtes, in der deutschen Fachübersetzung,
"hybrides Lernen" gefragt, also
ein Methodenmix aus Präsenzschulungen
und elektronischem
Lernen" (Reppert,
2002; S. 1). Es ist die Rede vom "kollektiven Bußgebet" der Branche auf der diesjährigen (2002) Learntec in Karlsruhe; und nachdem die IT-Abteilungen den Personalern im e-Learning-Rausch
kurzzeitig das Ruder in Sachen Weiterbildung aus der
Hand genommen haben, hört man gar wieder Devisen wie "Technologie ist out und
Bildung in" (Reppert, 2002).
Erste Reaktionen. Im Juni 2002 fand in Mannheim ein (in Deutschland) erstes Symposium zum Blended Learning statt: Zentraler Diskussionspunkt
war auch hier die
allgemeine Ernüchterung rund um das Thema e-Learning, das noch wenige Monate
zuvor als eine Innovation des Lernens in der Arbeitswelt gefeiert wurde. Statt "electronic learning" lobte das fachkundige Publikum nun die ideale Mischung aus klassischen und neuen Organisationsformen,
Methoden und Medien: Face-to-Face-Arrangements (wie Seminare und Konferenzen) werden mit asynchronen und synchronen Medienarrangements
verknüpft; Intra-, Internet, CBT18 und WBT19, Audio und
Video, Handouts und Bücher haben ihren gleichberechtigten
Platz; Selbstlernphasen
wechseln mit Situationen, in denen der Lehrende den Ton angibt, und daneben gibt
es Trainer-Lerner-,
Lerner-Mentor-,
Peer-to-Peer oder Team-Lernsituationen;
kurz:
Alles ist möglich. Und schon gibt es erste Kooperationsverträge
zwischen klassischen Weiterbildungsanbietern
und e-Learning-Anbietern2o,
mit denen Unternehmen
CBT: Computer Based Training
WBT: Web Based Training
20 Z.B. zwischen der CDI GmbH - dem größten deutschen IT-Trainingsanbieter - und der imc AGdem e-Learning-Marktführer in Deutschland.
18
19
29
in der "Bildungsbranche"
ihre jeweiligen Kompetenzen bündeln wollen, um als Komplettanbieter für Blended Learning aufzutreten - ein deutliches Zeichen jedenfalls,
dass die Branche offenbar einen Bedarf an Blended Learning entdeckt und sogleich
reagiert hat.
Der Mixer hinter dem Blended Learning. Direkt übersetzt heißt Blended Learning zunächst einmal nichts anderes als "vermischtes Lernen". Joachim Vögele und Joschka
Remus (2002) stellen in der Stuttgarter Zeitung online folgenden Vergleich an: "Ähnlich dem Blended Whiskey, bei dem verschiedene Sorten zusammengemixt werden,
kommen beim Blended Learning verschiedene Lernformen und -medien zum Zuge"
(S. 1). Nach den Recherchen der beiden Journalisten geht der Begriff auf einen Streit
zwischen klassischen Trainern und technikorientierten Tele-Trainern zurück, die beim
Treffen des weitgrößten Trainerverbandes ASTD (American Society for Training and
Development) in Florida aneinander geraten waren. "Blended Learning" sollte beide
Lager miteinander versöhnen und dem neuen e-Learning sowie dem herkömmlichen
Face-to-Face-Lernen
Gleichwertigkeit zuerkennen. Immer mehr Autoren sehen die
Zukunft darin, bei der Gestaltung von Lernumgebungen wie ein "Blender" (Mixer) vorzugehen, der eine intelligente Komposition von e-Learning-Angeboten
und klassischen Lernformen kreiert. Vor diesem Hintergrund mag es auf den ersten Blick etwas
verwunderlich erscheinen, dass der Begriff des Blended Learning in einigen neueren
deutschsprachigen
Werken, z.B. in der ersten Ausgabe des umfangreichen e-Learning-Handbuchs
des Deutschen Wirtschaftsdienstes21
überhaupt nicht vorkommt.
Das dürfte unter anderem daran liegen, dass es auch eine ganze Reihe anderer Bezeichnungen für Blended Learning gibt, die in etwa dasselbe meinen.
6.2 Was hinter dem Blended learning
steckt
Blended Learning und wie man es sonst noch nennen kann. Im angloamerikanschen
Raum wird Blended Learning auch unter Stichworten wie Distributed Learning, Integrated Learning (z.B. Grabe & Grabe, 2001), Flexible Learning (z.B. Caladine, 2002)
und Hybrid Teaching (z.B. Young, 2002) gehandelt (vgl. Hanft & Müskens, 2002).
Jeder dieser Begriffe betont eine andere Eigenschaft, die das Blendend Learning
kennzeichnet: Die Bezeichnungen Distributed Learning und Integrated Learning verweisen darauf, dass bei dieser Form des Lernens die Lehr-Lerninhalte auLrnehrere
Medien verteilt sind (distributed learning), dass diese aber (technisch und methodisch
betrachtet}nicnteinfach
additiv aneinander gereiht, sondern auf verschiedenen Ebenen aufemaoJißLabg~t
sind (siehe auch Abschnitt 8.3) und damit in einem gemeinsamen Konzept mitei..nander verbunden werden (integrated learning). Der Begriff
"flexible learning" dagegen macht darauf aufmerksam, dass es infolge von Medienund Methodenmix als Grundidee mit dieser Art des Lernen (und Lehrens) besonders
gut möglich ist, sich an verschiedene Kontextbedingungen
(Lehr-Lernziele und -inhalte, Zielgruppen, technische und andere Ressourcen etc.) anzupassen, auf aktuelle situative Bedingungen reagieren und entsprechend
flexibel sein zu können.
"Hybrid Teaching" schließlich kann man als die englische Fassung der "hybriden
Lernarrangements"
verstehen, die vor allem Michael Kerres (z.B. 2002) fordert22.
2'
22
Herausgegeben von Hohenslein und Wilbers (2002)
und die in dieser Form auch im o.g. e-Learning-Handbuch zu finden sind.
30
Hybride Lernarrangements
bzw. hybrides Lernen23 sind die am häufigsten
fenden Synonyme für Blended Learning im deutschen Sprachraum.
anzutref-
Alter Wein in neuen Schläuchen? "Blended Learnin
ie 0 timierung von
Lernprozessen zur Erreichung individueller Lernziele unter Nutzung aller dafür geeigneten e r- ernme oden an" (Hanft & riIIüskens, 2002, S. 1j. Jeder Studierende der
Pädagogik, jeder tehrer-um:l Trainer wird (zu Recht) die Nase rümpfen, wenn er
einen solchen Satz zu lesen bekommt: War es denn nicht schon immer der Auftrag
eines Lehrenden, Lernprozesse zu fördern und zu optimieren, dabei die Bedürfnisse
des Lernenden im Auge zu behalten und sich eines auf die Lehr-Lernsituation
abgestimmten Repertoires an Methoden und Medien zu bedienen? Zugegeben: Dieser
Auftrag wird nicht immer und überall erfüllt - es könnte also durchaus eine Neuerung
im Sinne einer Innovation (vgl. Kapitel I) sein, wenn es gelingt, diesem Auftrag gerecht zu werden; wir kommen an anderer Stelle noch einmal darauf zurück (siehe Abschnitt 9). Eine gewisse "Neuheit" steckt im Blended Learning, wenn man die letzten
drei bis vier Jahre vor Augen hat, in denen die (mehr oder weniger) komplette Umwandlung von Weiterbildungsabteilungen
in raum- und kostensparende e-LearningZentren zentraler Bestandteil vieler Unternehmensstrategien
war: Wer sich einige
Zeit auf die Virtualisierung des Lernens und Lehrens versteift hat, für dessen Ohren
kann die Forderung nach hybriden Lernarrangements
durchaus innovativ klingen,
stellt sie doch eine Differenz zum vorherigen Zustand dar.
Blended Learning als neue Form des e-Learning. Wenn Blended Learning allem
voran den bewusst arrangierten Mix aus Medien und Methoden meint, liegt es nicht
unmittelbar auf der Hand, dass diese Form des Lernens Uedenfalls angesichts ihrer
Entstehungsgeschichte)
als eine eigenständige Form des e-Learning gilt. Doch genau dies ist der Fall: "Blended Learning ... möchte betonen, dass e-Learning grundsätzlich eine Kombination von sowohl IKT-basiertem als auch nicht-IKT-basiertem
Lernen umfasst" (Back, Bendei & Stoller-Schai 2001, S. 288). So jedenfalls lautet die
Interpretation seitens der Wirtschaft, die sich auf das e-Learning bereits eingeschworen hatte. Schulen und Hochschulen dagegen sehen die Entwicklung der neuen Medien im Bildungsbereich aus einer anderen Warte, denn bei ihnen ist der e-LearningHype ja gerade erst angekommen und konnte gedanklich noch gar nicht richtig verarbeitet werden. Es kommt also auf die Perspektive an: Vom Standpunkt des Präsenzlehrens und -Iernens (und damit auch vom Standpunkt der Hochschule) aus betrachtet ist Blended Learning eine Bezeichnung dafür, dass man traditionelle Methoden
und Medien mit Möglichkeiten des e-Learning kombiniert. Im Vordergrund steht nach
wie vor die Präsenzlehre. Vom Standpunkt des virtuellen Lernens und Lehrens (und
damit vom Standpunkt großer Unternehmen) aus betrachtet, beschreibt Blended
Learning einen Ansatz, der e-Learning mit dem klassischen Lehr-Lernrepertoire ohne
Technikeinsatz "mischt". Im Fokus steht weiter das-Lernen mit neuen Medie . Ob so
oder so: Um den e:.learning-Begriff.Jsommtman
nicbtumhin,
wenn von Blended
'Learning die Rede ist. Und weil es wenig zielführend ist, Schlagwörter mit Schlagwörtern zu diskutieren, ohne die tiefere Bedeutung und didaktische Implikationen
näher zu analysieren, wenden wir uns im Folgenden dem e-Learning zu.
Die Formulierung "hybrides Lehren oder Unterrichten" in Anlehnung an "hybrid teaching" findet man
derzeit kaum, denn: Zumindest verbal hat sich inzwischen eine Auffassung von Lernen (und Lehren)
durchgesetzt, die den Lernenden, sein Wissen, seine Motivation und seine Denkprozesse in den Vordergrund stellt (vgl. Abschnitt 8.1).
23
o
31
7. Der Begriff
des e-Learning
Wenn von e-Learning die Rede ist, sollte man nachfragen, was genau damit gemeint
ist, denn der Begriff ist - wie die meisten "buzz words" - weder allgemein gültig definiert noch wird er einheitlich verwendet: Vielmehr gibt es mehrere e-Learning-Varianten, die unterschiedliche Anforderungen an die Beteiligten im Lehr-Lerngeschehen stellen.
7.1 Verschiedene
e-Learning-Varianten
'J
Die Anwendung des e-Learning-Begriffs.
Ganz so neu, wie man (u.a. in den Hochschulen) meint, ist der Begriff des e-Learning nicht, wenn man darunter erst einmal
die Abkürzung für "electronic learning" versteht, bei dem Lernprozesse in irgendeiner
Form "elektronisch" angeleitet, gelenkt oder unterstützt werden .•Was sich in diesem
Zusammenhang unter dem Merkmal "elektronisch" verbirgt, ist einem gewissen Wandel unterworfen: "Die Bedeutung des Begriffs "e-Learning' war zu Beginn seines Auftretens stärker auf das elektronisch unterstützte Lernen (satellitengestütztes
Lernen,
Lernen per interaktivem TV, CD-ROM, Videobänder etc.) konzentriert. Im Zuge des
Internet-Hype der ausgehenden 90er Jahre wurde e-Learning hauptsächlich für das
"netzangebundene"
Lernen (sogenanntes
"webunterstütztes"
Lernen) verwendet,
etabliert sich jedoch zusehends wieder als Überbegriff für alle Arten medienunterstützten Lernens. E-Learning schließt also heute sowohl Lernen mit lokal installierter
Software (Lernprogramme, CD-ROM) als auch Lernen über das Internet ein" (Baumgartner et al., 2002, S. 4). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung
in der Begriffsanwendung
ist e-Learning also so etwas wie ein übergeordneter
Begriff für
softwareunterstütztes
Lernen - softwareunterstützt
deshalb, weil das Endgerät keine
besondere Rolle (r:nehr) spielt (heute ist es der Computer, morgen vielleicht das
Handy).
Die Unübersichtlichkeit beim e-Learning. Bereits im ersten Kapitel haben wir in aller
Kürze die didaktischen Potentiale der neuen Medien skizziert, die folglich auch beim
e-Learning genutzt werden (vgl. Abschnitt 2.2): Dabei wurde auf die Möglichkeit
verwiesen, mittels neuer Medien Lehr-Lerninhalte
hypermedial darzustellen sowie
selbstgesteuerte und kooperative Lernformen zu unterstützen. Möglich ist dies durch
drei wesentliche Eigenschaften der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. Issing & Klimsa, 2002): (a) Infolge der Multimedialität neuer Medien
können verschiedene (auch "alte") Medien integriert und damit verschiedene Symbolsysteme miteinander kombiniert werden. (b) Infolge der Interaktivität neuer Medien
können Mediennutzer mit dem medialen System interagieren und unmittelbare Rückmeldung von diesem erhalten. (c) Infolge der organisationsinternen,
regionalen und
weltweiten Vernetzung im Bereich der neuen Medien lassen sich neue Kommunikationsformen praktizieren sowie Ort und Zeit überwinden24.
Wenn man sich diese
Haupteigenschaften
der neuen Medien vor Augen hält und sich dann überlegt, was
e-Learning alles bedeuten kann, wird nachvollziehbar,
dass das Feld "e-Learning"
unüberschaubar und die Diskussion darüber zwangsläufig vage ist. Nun könnte man
exemplarisch aufzählen, was e-Learning alles umfassen kann. Angesichts der raAuch in Bezug auf die Vernetzung kann man von einer Form von Interaktivität sprechen: Baumgartner et al. (2002) bezeichnen diese als didaktische Interaktivität und grenzen sie von der steuernden
Interaktivität, der interaktion zwischen Nutzer und System, ab.
24
32
schen Entwicklung auf diesem Sektor ist es aber sinnvoller, ein Orientierungsmodell
zu haben, das einem hilft, die Übersicht im e-Learning-Dschungel
zu behalten. Hierzu schlagen wir vor, in Anlehnung an Back, Seufert und Kramhöller (1998) drei Leitfunktionen der neuen Medien im Hinblick auf Lernen (und Lehren) zu unterscheiden:
die Verteilung oder Distribution von Information auf elektronischem Wege, die Interaktion eines Mediums bzw. eines elektronischen Systems mit dem Lernenden sowie
die Unterstützung der Interaktion und Zusammenarbeit - also die Kollaboration - von
Lehrenden und Lernenden, aber auch von Lernenden untereinander. Alle drei Funktionen haben unterschiedliche
Auswirkungen auf den Lernenden und seinen Lernprozess.
E-Iearning by distributing. Wenn jemand im Internet gezielt nach bestimmten Informationsquellen sucht, um ein Problem zu lösen oder im Rahmen eines Weiterbildungsangebots
selbständig elektronisch zugesandtes Material durcharbeitet,
liegt
eine Form des e-Learning vor. Die Funktion der neuen Medien bei dieser Form des
e-Learning besteht darin, lernrelevante Information zu verteilen bzw. zu distribuieren.
Man könnte also auch von einem e-Iearning by distributing sprechen: Die neuen
Medien übernehmen hier die Funktion der Distribution von Information. Aus der Sicht
des Lerners besteht diese Form des e-Learning darin, elektronische Information aufzunehmen, selbstgesteuert zu verarbeiten und umzusetzen. Oder knapper formuliert:
Es geht um "Iearning from information" (Staub, 2001). Ein Lehrender im klassischen
Sinne ist für das e-Iearning by distributing (oder learning from information) nicht erforderlich.
E-Iearning by interacting. Wenn jemand ein GBT für die Bedienung einer neuen
Software absolviert oder im Rahmen eines tutorieIl begleiteten WBTs Sprachkenntnisse für einen Auslandsaufenthalt
auffrischt, liegt eine weitere Form des e-Learning
vor. Die Funktion der neuen Medien bei dieser Form des e-Learning besteht darin,
didaktisch aufbereitete Informationen anzubieten, sodass der Lerner sich (weitgehend) ohne personelle Hilfe durch die Interaktion mit dem technischen System neue
Inhalte erarbeiten kann. Man könnte also auch von einem e-Iearning by interacting
sprechen; die neuen Medien übernehmen hier die Funktion, eine Interaktion zwischen Nutzer und System zu ermöglichen. Aus der Sicht des Lerners besteht diese
Form des e-Learning darin, lern relevante Informationen technisch angeleitet zu verarbeiten und angebotene Übungen oder Spiele selbstorganisiert
durchzuführen.
Auch hier kann man mit Staub (2001) verkürzt sagen: Es geht um "Iearning from
feedback". Auch für das e-Iearning by interacting (oder learning from feedback) ist ein
Lehrender im klassischen Sinne nicht erforderlich; möglich, aber nicht zwingend, ist
ein Lernberater oder Tele-Tutor.
'\]_
~
E-Iearning by collaborating. Wenn jemand in einem Online-Seminar
Aufgaben in
virtuellen Kleingruppen bearbeitet oder Mitglied einer virtuellen Interessengemeinschaft ist, in der Gleichgesinnte
ihre Erfahrungen zu bestimmten Problemen austauschen, kann man ebenfalls von e-Learning sprechen. Die Funktion der neuen
Medien bei dieser Form des e-Learning besteht darin, Lernende an verschiedenen
Orten miteinander in Kontakt zu bringen und sie zu einer gemeinsamen
Problemlösung im virtuellen Raum anzuregen. Man könnte daher von einem e-Iearning by
collaborating sprechen; die neuen Medien übernehmen hier die Funktion, eine Kolla-
33
boration25 zwischen Lernenden anzustoßen. Aus der Sicht des Lerners besteht diese
Form des e-Learning darin, relativ eigenständig neues Wissen in der Lernumgebung
zu konstruieren und dies vor allem im Prozess des sozialen Problemlösens zu tun.
Von daher passt auch die Kurzformel "Iearning from different perspectives" (Staub,
2001). Beim e-Iearning by collaborating (oder learning from different perspectives) ist
ein Lehrender als Initiator und Moderator von Lernprozessen oder als Coach beim
virtuellen Problemlösen unabdingbar.
Abbildung 4 (in Anlehnung an Back et al., 1998) gibt noch einmal einen Überblick
über die verschiedenen Formen (und Bezeichnungen) des e-Learning.
E-Iearning
Learn from
multiple perspectives
by
collaborating
E-Iearning
by
interacting
Learn from
feedback
Learn from
information
E-Iearning
by
distributing
Distribution
Information
von
zw.
Nutzer u. System
Interaktion
Abb. 4: Verschiedene
7.2 Unterschiedliche
Kollaboration
Lernenden
ZW.
e-Learning-Varianten
Anforderungen
beim e-Learning
E-Iearning by distributing, e-Iearning by interacting und e-Iearning by collaborating
sind drei Varianten von Lernen mit neuen Medien, die unterschiedliche Anforderungen stellen und zwar zum einen an die Gestaltung der e-Iearning-Umgebung
und
damit an die Fähigkeiten der Mediengestalter und der Lehrenden und zum anderen
an die Lernprozesse und damit an die Voraussetzungen,
die die Lernenden mitbringen müssen. Bei allem Eifer für das e-Learning werden beide Aspekte in der Praxis
oft vernachlässigt.
Im Deutschen ist der Begriff der Kollaboration wenig üblich, meist wird er mit "Kooperation" gleichgesetzt. Was
Kollaboration von Kooperation in der englischsprachigen Literatur unterscheidet, ist die Akzentuierung der Wissensteilung und der gemeinsamen Wissenskonstruktion gegenüber der bei der Kooperation fokussierten Arbeitsteilung (vgl. z.B. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002).
25
34
Anforderungen beim e-Iearning by distributing. Wenn die neuen Medien zur Distribution von Informationen eingesetzt werden, stellen sich Lernprozesse nur ein, wenn
die Gestaltung der Information auch lernfreundlich ist, wenn multimediale Potentiale
ausgeschöpft, aber auch zielsicher eingesetzt werden. Kurz: Wenn das Design von
Text und Bild ebenso stimmt wie die Struktur und Aufbereitung der Information (z.B.
Weiden mann, 2002) - was bekanntlich im weltweiten Netz bei Leibe nicht immer der
Fall ist. Die Anforderungen an den Lernenden bei dieser Form des e-Learning sind
hoch: Die Information zum Lernen ist da, aber der Antrieb diese auch zu lesen, zu
verstehen und zu nutzen muss aus einem selbst heraus kommen, was Motivation
und meist auch Vorwissen voraussetzt.
Ebenso sind Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und Selbststeuerung
sowie zum Umgang mit den neuen Medien, also
Medienkompetenz, eine Bedingung für erfolgreiches e-Iearning by distributing.
Anforderungen
beim e-Iearning by in te ra cting. Wenn die neuen Medien zur Interaktion zwischen Nutzer und System dienen, muss zur lernfreundlichen Informationsgestaltung auch eine professionelle Gestaltung von Instruktionen, Übungen, Aufgaben und Rückmeldungen
hinzukommen
(z.B. Leutner, 2002); auch hier hinkt die
Wirklichkeit dem Anspruch oft hinterher. Die Anforderungen an den Lernenden bei
dieser Form des e-Learning sind eher niedrig: Nicht nur die aufbereitete Information
zum Lernen ist da, auch der notwendige "Trainingsapparat"
(in Form von CBTs und
WBTs) ist bereit, um zu loben und zu piesacken, bis Wissen und Fertigkeiten endlich
sitzen. Freilich setzt auch das beim Lernenden ein ausreichendes Maß an Motivation
und Fähigkeiten zur Selbstorganisation am "Trainingsgerät" voraus.
Anforderungen beim e-Iearning by collaborating. Wenn die neuen Medien zur Unterstützung der Kollaboration zwischen Lernenden eingesetzt werden, müssen Lernumgebungen neben didaktisch überlegter Gestaltung von Information, Instruktion und
Aufgaben auch geeignete inhaltliche und soziale Kontexte bereitstellen. Das heißt:
Kooperative Lernprozesse im virtuellen Raum stellen sich nur ein, wenn Problemstellungen so gewählt sind, dass sich eine Zusammenarbeit
für die Lernenden auch
lohnt; zudem muss die soziale Situation die Kooperation beim Lernen wirksam unterstützten (Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2002). Das hierzu erforderliche didaktische
Know-how wird chronisch unterschätzt. Die Anforderungen
an den Lernenden bei
dieser Form des e-Learning sind ebenfalls sehr hoch: E-Iearning by collaborating gilt
zwar immer häufiger als Königsweg des Lernens mit neuen Medien - man denke nur
an die Community-Bewegung
(z.B. Bielaczyc & Collins, 1999): Doch Kooperation ist
generell schwierig und verlangt unter virtuellen Bedingungen ein hohes Maß an
Medienerfahrung, Selbststeuerungsfähigkeit
und sozialer Kompetenz.
Tabelle 1 stellt die verschiedenen
Überblick zusammen.
Aussagen
zu den drei e-Learning-Varianten
im
35
Tab. 1: Drei e-Learning-Varianten
Leitfunktion
Medien zur
e-Learning
durch:
Anforderungen an den
Lernenden
Distribution
von
Information
Informationsrezeption + selbstgesteuerte Informationsverarbeitung
Interaktion
zw. Nutzer +
System
angeleitete Informationsverarbeitung +
selbstorganisiertes
Üben
Sei bststeueru ngsfähigkeit; Medienkompetenz; ausreichendes
Vorwissen; insg. hohe
Anforderunqen
Motivation; Fähigkeit
zur Selbstorganisation;
insg. eher niedrige
Anforderungen
Kollaboration
zw. Lernenden
eigenständige Wissenskonstruktion +
soziales Problemlösen
Sei bststeueru ngsfäh igkeit; Medienerfahrung'
soziale Fähigkeiten;
insg. sehr hohe
Anforderungen
8. Die Integrations kraft des Blended Learning
Aufgaben des
Entwicklers!
Mediengestalters
Lernfreundliche Informationsgestaltung
Lernfreundliche Info.gestaltung + Gestaltung von Instruktionen, Übungen, Aufgaben, Feedback +
Antworten
Lernfreundliche Info.gestaltung + Gestaltung von Instruktionen, Aufgaben sowie
inhaltlichen + sozialen Kontexten
Rolle des
Lehrenden
Keine Personen
in der Rolle des
Lehrenden
erforderlich
Lehrender als
Lernberater
oder Tele-Tutor
möglich
Lehrender als
Initiator und Moderator!Coach
notwendig
J
Als eine Form des~-Learning
greift ~ded
Learning die oben beschriebenen Varianten des Lernens und damit auch verschiedene Methoden des Lehrens auf und
realisiert sie mit alten und neuen Medien. Es werden sowohl Informationen vermittelt
u~t
ein eller rezeptives Lernen gefördert als auch Anregung zur aktiven Wissenskonstruktion (allein oder in der Gruppe) gegeben; die Medienwahl erfolgt situativ. Der Blended Learning-Ansatz
nimmt für sich in Anspruch, an den Bedürfnissen
und Voraussetzungen
der Lernenden anzusetzen und von daher "anschlussfähige"
Informationen zur persönlichen Wissenskonstruktion
zu bieten; gleichzeitig aber wird
eine systematische Wissensvermittlung
nicht verweigert (Hanft & Müskens, 2002). Es
findet beim Blended Learning also nicht nur ein Medien- und Methodenmix statt;
auch die dem Lernen und Lehren zugrunde liegende Auffassung lässt sich nicht
einem einzigen (erkenntnis-)theoretischen
"Lager" zuordnen - jede Theorie des
Lernens kann prinzipiell zur Anwendung kommen V-a diesern--Hintergrund
kommt
unter anderem der Kenntnis einschlägiger Lerntheorien für die Konzeption von eLearning- bzw. Blended Learning-Szenarios eine oft unterschätzte Bedeutung zu.
8.1 Existenz und Notwendigkeit verschiedener Lerntheorien
Drei große Theoriegebäude. Es gibt bis dato keine Theorie des Lernens, die alle Veränderungen von Wissen und Können auf den verschiedensten
Komplexitätsstufen
zufriedenstellend
beschreiben und erklären könnte - und es wird eine solche wohl
auch nie geben. Auf einen einfachen Nenner gebracht, kann man sagen, dass sich
im Bereich der Lehr-Lernforschung
drei große Theoriegebäude
finden lassen, die
auch für das e-Learning von Bedeutung sind: der Behaviorismus, der Kognitivismus
und der Konstruktivismus.
Die genannte Reihenfolge
spiegelt die Chronologie der.
Entwicklung dieser Theorien wieder, ohne dass jedoch einer der Ansätze im Laufe
der Zeit von der Bildfläche verschwunden ist - was auch nicht funktional wäre, denn:
\
36
"Im Alltag der täglichen Lernprozesse werden wahrscheinlich unterschiedliche Lernprozesse zu beobachten sein, für die je nach konkretem Einzelfall einmal behavioristische Lerntheorien, ein andermal kognitivistische oder konstruktivistische
Ansätze
für die theoretische
Erklärung nützlich sind. Es dürfte einleuchten,
dass für die
Konstruktion von Lernwelten, auch für das Design von elektronischen Lernangeboten
die Kenntnis gewisser Lerntheorien und der Bezug zu bestimmten Lernkonzepten
unverzichtbar sind" (Dichanz & Ernst, 2001, S. 30 f.).
Behaviorismus und Kognitivismus.
Behavioristische
Lerntheorien sehen im Lernen
eine Reiz-Reaktions-Abfolge,
die entweder konditionierbar ist oder verstärkt werden
kann. Worauf es aus behavioristischer
Sicht in Lehr-Lernsituationen
folglich ankommt, ist geeignete Stimuli zu setzen und den Reaktionen ein angemessenes
Feedback folgen zu lassen. Was dazwischen passiert, ist nicht weiter von Interesse
und gehört in die Black Box. Für das Training von körperlichen, zum Teil auch kognitiven Fertigkeiten hat sich eine solche Auffassung von Lernen (mit Einschränkung)
bewährt. Für höhere Lernprozesse aber mangelt es dem Behaviorismus eindeutig an
Aussagekraft. Kognitivistische Ansätze sprechen dem Lernenden ein höheres Maß
an Aktivität beim Lernen zu: Lernprozesse wel·den analog zum Computer als Prozesse der Informationsverarbeitung
interpretiert, für die man nach Algorithmen sucht,
die sich in Lehr-Lernsituationen
anwenden lassen. Der Kognitivismus
sieht den
Lernenden nicht mehr nur als passiven Rezipienten; vielmehr wird ihm die Fähigkeit
zur aktiven und eigenständigen Aufnahme und Verarbeitung von Information sowie
zum Lösen von Problemen zugestanden, die in didaktischen Situationen entsprechend aufbereitet werden. Dies kommt der Komplexität des menschlichen Lernens
immerhin schon näher als der behavioristische
Ansatz; den realen Alltag des Lernens, in dem man selten auf präparierte Probleme trifft, die sich regelgeleitet lösen
lassen, können auch kognitivistische Prinzipien nicht einfangen (vgl. Baumgartner,
Laske & Weite, 1999).
Konstruktivismus.
Lernen wird im Konstruktivismus
als Prozess der eigenaktiven
Wissenskonstruktion
gesehen, der individuell und selbstgesteuert
abläuft und von
außen allenfalls angeregt und unterstützt, aber weder gesteuert noch kontrolliert
werden kann. Der Begriff des Konstruktivismus
ist vieldeutig und vielschichtig (vgl.
Terhardt, 1999). Der sog. radikale Konstruktivismus
ist eine Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, der zufolge alles, was der Mensch wahrnimmt, auf subjektive Konstruktion und Interpretation zurückzuführen ist (von Glasersfeld, 1987). Daneben gibt
es in Disziplinen wie Biologie, Soziologie und Psychologie konstruktivistische
Strömungen. Für die Pädagogik hat sich der sog. neue Konstruktivismus als einflussreich
erwiesen: Hier ist die Annahme zentral, dass Wissen keine Kopie der Wirklichkeit,
sondern eine Konstruktion von Menschen ist: Wissen ist weder ein "transportierbarer"
Gegenstand noch dieAbbildung eines äußeren Gegenstandes - mit entsprechenden
Grenzen für die Vermittlung von Wissen. In Lehr-Lernsituationen
bedeutet das, dass
konstruktivistische Ansätze nicht das Lösen didaktisch aufbereiteter Probleme, sondern das eigenständige Auffinden und Konstruieren von Problemen sowie den Umgang mit authentischen Situationen in den Vordergrund rücken. Festzuhalten gilt:
"Der Konstruktivismus ist keine Supertheorie und erst recht keine Heilslehre. Er 'widerlegt' andere Theorien nicht - auch nicht den Behaviorismus. Er nimmt eine ande-
37
re Beobachterperspektive
zur Welt ein ... und erweitert so das Spektrum der Erkenntnismöglichkeiten" (Siebert, 2001, S. 328).
8.2 Instruktion und Konstruktion
Behavioristische, kognitivistische und konstruktivistische
Lerntheorien haben unterschiedlichen Einfluss darauf, was in Lehr-Lernsituationen
fokussiert wird: Zum einen
können nämlich die Auswahl und Zusammenstellung
von Lehrmethoden (mit dem
Ziel, "Lernen zu machen") und damit Aktivitäten des Lehrenden - oder pointiert
formuliert: die Instruktion - im Vordergrund stehen; zum anderen können Motivation,
Vorwissen, Verstehensprozesse
sowie der Aufbau und die Anwendung von Wissen
seitens des Lernenden - also die Konstruktion - Mittelpunkt des Interesses sein.
Lehrerzentrierte
Informationsvermittfung.
Systematische
Unterrichts- und Lehrplanung, angeleitetes und fremdgesteuertes
Lernen, Frontalunterricht,
strenge Fächergrenzen und strikte Lernkontrolle - das sind Merkmale, die in vereinfachter Form das
Lernen und Lehren nach behavioristischen
und kognitivistischen
Prinzipien26 kennzeichnen. Man kann auch von einer lehrerzentrierten Informationsvermittlung
(Rheinberg et al., 2001) oder vom Primat der Instruktion sprechen. Hier steht die Frage im
Mittelpunkt, wie Lernende am besten anzuleiten, in ihren Lernprozessen zu steuern
und Lernerfolge zu kontrollieren sind. Ziel ist der "Transport" didaktisch aufbereiteten
Wissens vom Lehrenden zum Lernenden. Der Lehrende gilt als der Präsentierende
und Erklärende, der die zu lern,enden Inhalte in geplanter und organisierter Form
vorgibt; die Lernenden sind passive oder rezeptive Informationsempfänger.
Diese
Form der Informationsvermittlung
blickt auf eine lange Tradition zurück und hat sich
in vielen Fällen durchaus als wirkungsvoll erwiesen. Dennoch sind die Probleme unübersehbar (Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a): Neben theoretischen Unklarheiten und empirisch heterogenen Befunden sind vor allem praktische Schwierigkeiten von Bedeutung. Zu nennen sind etwa demotivierte und gelangweilte Lernende, Mängel im Aufbau von Kulturtechniken
und Basiswissen sowie Defizite in der
Entwicklung überfachlicher Fähigkeiten wie Medienkompetenz,
soziale Kompetenz,
Lernkompetenz etc.
Lernerorientierte
Unterstützung
des Wissensaufbaus.
Selbstbestimmtes
und entdeckendes Lernen, handlungsorientierter
Unterricht, Lernen in fächerübergreifenden
Projekten und Selbstevaluation über "Produkte" aus selbständiger Arbeit - das sind
Schlagwörter, mit denen man eine alternative Form des Lernens und Lehrens verbindet, die man unter die konstruktivistische Lehr-Lernauffassung
subsumieren kann.
Diese hat ebenfalls Tradition, nämlich in der deutschen Reformpädagogik
und im
amerikanischen
Pragmatismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts; allerdings konnte
sich der Konstruktivismus (vgl. Abschnitt 8.1) als Grundphilosophie im Bildungsalltag
nicht so durchsetzen wie die kognitivistische Lehr-Lernauffassung.
Man kann auch
von einer lernerorientierten
Unterstützung des Wissensaufbaus
(Rheinberg et al.,
2001) oder vom Primat der Konstruktion sprechen. Hier interessiert weniger die
Frage, wie Wissen vermittelt wird (also die Instruktionsfrage) als vielmehr die Frage,
wie Wissen zu Handeln wird und wie man Lernende darin unterstützen kann, eigen-
Außer zum Ferligkeitserwerb trifft man heute nur noch selten auf rein behavioristisch gestaltete
Lernumgebungen.
26
38
aktivanwendungsbezogenes
Wissen zu entwickeln (also die Konstruktionsfrage).
Der Lernende übernimmt hier eine aktive, selbstgesteuerte Rolle, während dem Lehrenden die Aufgabe zukommt, (a) Lernsituationen zu arrangieren, die motivieren und
möglichst authentische Problemstellungen
(die manchmal auch erst "entdeckt" werden müssen) beinhalten, (b) "Werkzeuge" zur Problembearbeitung
zur Verfügung zu
stellen, die auf andere Situationen übertragen werden können, und (c) den Lernprozess zu begleiten und die Begleitung zugunsten einer zunehmenden Selbststeuerung auszublenden. Doch auch die konstruktivistische
Auffassung hat mit theoretischen, empirischen und praktischen Problemen zu kämpfen: Zentrale Schwierigkeiten sind kognitive Überforderung durch offene und zu wenig angeleitete Lernprozesse sowie Lernprozesse, die wegen mangelnder Selbststeuerungsfähigkeit
nicht
zu den erhofften Lernergebnissen führen (Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a).
8.3 Integration durch Blended Learning auf mehreren Ebenen
"Es gibt Lehr-Lernsituationen,
in denen es didaktisch angemessen ist, ein Grundlagenwissen ohne irritierende Relativierungen zu vermitteln. Es gibt aber auch LehrLernsituationen, in denen es "viabel,,27 ist, die Konstruktivit~t der Wahrheitsansprüche
wissenschaftlicher,
weltanschaulicher,
politischer Autoritäten offenzulegen" (Siebert,
2001, S. 330). Eine solche Aussage eines bekennenden
Konstruktivisten
macht
deutlich, dass man beim Lehren und Lernen immer mehr ein "Sowohl-als-auch"
anstelle eines strikten "Entweder-oder" bevorzugt - und zwar nicht nur auf der strategischen Ebene der Lehr-Lernmethoden
sowie auf der operativen Ebene der Lernmedien, sondern auch auf der normativen Ebene28 erkenntnistheoretischer
Positionen. Wie kann man sich dieses "Sowohl-als-auch" auf den drei Ebenen vorstellen?
Lernen und Lehren auf der Basis von Überzeugungen. Muss man sich als Lehrender
entscheiden, ob man Konstruktivist oder Kognitivist ist? Ist ein "Bekenntnis" zu einer
Seite notwendig? In der Theorie ist man mitunter geneigt, eine solche Frage mit "ja"
zu beantworten, weil eine eindeutige theoretische Positionierung die wissenschaftliche Argumentation erheblich erleichtert. Praktiker dagegen wehren sich meist gegen eine eindeutige Zuordnung, weil ihnen die tägliche Erfahrung zeigt, dass vor
allem situative Faktoren das didaktische Handeln bedingen - Theorien haben allenfalls nachrangige Bedeutung. Studien zeigen zwar, dass es so etwas wie epistemologische Überzeugungen gibt, nach denen Lehrende handeln, ohne dass diese vollkommen bewusst sein müssen (z.B. Rheinberg et al., 2001). Das heißt aber nicht,
dass implizit bestehende Überzeugungen eindeutig zu einer theoretischen Position
gehören. Neben derartigen Befunden mehren sich auch auf der Metaebene die Stimmen, die eine integrative Lehr-Lernauffassung
postulieren - eine Auffassung also,
die eine konzeptionelle Brücke zwischen kognitivistischen29 und konstruktivistischen
Annahmen schlagen kann (vgl. Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a).
Integration auf der~normativen Ebene. Greift man an der Stelle noch einmal auf die
oben verwendeten Begrifflichkeiten zurück (vgl. Abschnitt 8.2), dann besteht eine integrative Auffassung von Lernen und Lehren darin, die lehrerzentrierte InformationsMit .Viabilität" ist im Rahmen des Konstruktivismus "Nützlichkeit" gemeint.
Die folgenden Merkmalsbezeichnungen .normativ", .strategisch" und .operativ" sind der Managementlehre entlehnt, bieten sich aber an der Stelle auch für unser Thema an.
29 mit Einschränkung auch behavioristischen.
27
28
39
vermittlung (also das Primat der Instruktion) und die lernerorientierte
Unterstützung
des Wissensaufbaus (also das Primat der Konstruktion) miteinander zu verbinden und zwar derart, dass es dem Gegenstandsbereich,
dem Lehr-Lernziel, vor allem
aber den Lernenden dienlich ist. Von daher ist eine gemäßigt konstruktivistische
Auffassung die Grundhaltung einer integrativen Position - trotz aller "Mischungen".
Vor dem Hintergrund einer integrativen Position findet kein radikaler Funktionswandel
des Lehrenden vom "didactic leader" zum "coach" statt. Vielmehr übernimmt der
Lehrende situationsorientiert
multiple Funktionen, die vom Präsentieren, Strukturieren, Anleiten und Erklären bis zum Anregen, Beraten und Kooperieren reichen. Doch
auch hier gibt der Lernende (mit seinen Voraussetzungen
und Zielen) den Maßstab
der didaktischen Integration vor. In einer Studie bei Hochschuldozenten
zeigte sich,
dass diese am häufigsten eine kognitivistische, in selteneren Fällen eine konstruktivistische Auffassung haben, dass es aber auch integrative Positionen im hier beschriebenen Sinne gibt Ein Hochschullehrer
mit integrativer Lehr-Lernauffassung
"versteht sich nicht länger als bloßer Vermittler'
oder 'Präsentierer'
des Fachwissens, sondern zusätzlich als Tutor, der die Studierenden anleitet, das Wissen selbstständig zu erweitern und zu vertiefen .... Zwar ist der Dozent weiterhin alleine für die
Inhalte der Lehre verantwortlich,
doch vom Studenten wird erwartet, dass er sich
innerhalb dieses Rahmens eigenständig um die Aufbereitung und den Erwerb des
neuen Wissens kümmert" (Rheinberg et al., 2001, S. 337).
Integration auf der strategischen Ebene. Gleichsam dem Spruch, dass viele Wege
nach Rom führen, gibt es im Rahmen einer normativen Entscheidung (etwa zur Rolle
des Lernenden, zur Art der Förderung von Lernprozessen etc.) in der Regel mehrere
methodische Möglichkeiten zur Zielerreichung.
Umgekehrt können methodischen
Entscheidungen unterschiedliche
Lehr-Lernauffassungen
zugrunde liegen - auch
beim e-Learning: Wie wir gesehen haben (vgl. Abschnitt 7.2), stellen verschiedene eLearning-Varianten unterschiedliche Anforderungen an Lernende (und Lehrende) und zwar deshalb, weil sie sehr verschiedene Formen des Lernens nahe legen. Elearning by interacting z.B. funktioniert in aller Regel nach behavioristischen
und/
oder kognitivistischen Prinzipien: CBTs und WBTs "trainieren" den Nutzer nach Prinzipien des operanten Konditionierens
und/oder bieten vorgefertigte
Problemstellungen an, die man interaktiv bearbeiten kann. Es gibt allerdings auch Simu/ationen,
Planspiele und Modellbildungssysteme,
die man dem e-Iearning by interacting zuordnen kann und die auch konstruktivistische
Elemente umfassen, indem man sich
Wissen durch Exploration im System erarbeitet. E-Iearning by distributing dagegen
führt den Lernenden in eine didaktisch "unverfälschte", weil unbearbeitete Situation,
in der er völlig eigenverantwortlich
dafür sorgen muss, dieses e-Learning-Angebot
zur Konstruktion neuen Wissens heranzuziehen. E-Iearning by collaborating schließlich verlangt Prozesse im Umgang mit Wissen, Problemstellungen
und sozialen Situationen (im virtuellen Raum), die meist konstruktivistischen
Charakter haben; dies
gilt umso mehr, je offener die Interaktionsräume
sind (vgl. Kerres, de Witt & Stratmann, 2002). Bei zunehmender Anleitung und Vorstrukturierung
der virtuellen Kommunikation und Kooperation (etwa durch Vorgabe bestimmter Rollen und/oder sequentieller Lernwege) können aber auch beim e-Iearning by collaborating kognitivistische Elemente hinzukommen.
40
Integration auf der operativen Ebene. Medien wie das Buch, die Audio-Kassette, der
Videofilm, der Hypertext auf CD-ROM, die interaktive Grafik im Netz, die Lernplattform mit Diskussionsforum
etc.30 sind zunächst einmal Transportmittel,
sodass (mit
Einschränkungen) ein und derselbe Lehr-Lerninhalt je nach gewähltem Medium unterschiedlich distribuiert werden kann, ohne dass sich für den Lernenden damit
größere Unterschiede ergeben: So kann man sich einen bestimmten Gesetzestext
aus einem Buch holen oder ihn als elektronisches
Dokument auf den heimischen
Computer laden - in beiden Fällen wird der annähernd gleiche Lernprozess ablaufen. Medien sind allerdings auch Mittler von Wirklichkeit und als solche nicht ohne
Wirkung auf die Darstellung, Aufnahme und Verarbeitung der vermittelten Lehr-Lerninhalte durch die Lernenden: Der Gesetzestext als Audio-File im Internet (oder auf
Kassette) kann dem Lernenden zwar denselben Dienst erweisen als das schriftlich
vorliegende Dokument; genauso gut aber kann die mündliche Darstellung derart
sein, dass der Lernende etwa durch paraverbale Signale auf bestimmte Passagen
mehr achtet als auf andere; möglicherweise wird er auch andere Lernstrategien auf
den gesprochenen Text anwenden als auf den niedergeschriebenen.
Jedes Medium
schließlich hat eigene Charakteristika,
die dieses Medium für verschiedene
LehrLernmethoden besonders "empfänglich" und für andere wiederum ungeeignet machen: Wird den Lernenden der Gesetzestext auf CD-ROM verteilt, legt dies ein vorrangig selbstgesteuertes Lernen nahe; zudem bietet sich gerade das Offline-Medium
CD-ROM dazu an, den Text z.B. durch ein Video anzureichern,
denn es gibt mit
diesem Medium kaum Platzprobleme und vor allem keine zusätzlichen Kosten für
den Lernenden (vgl. Schulmeister,
2001). Wird den Lernenden der Gesetzestext
dagegen online zur Verfügung gestellt, bietet sich (neben dem individuellen Lernen in
Eigenregie) eine kooperative Bearbeitung z.B. über asynchrones
Diskutieren mit
anderen an; zudem liegt die Recherche nach weiteren Informationen nahe, die sich
dann mit dem Ausgangsmaterial verlinken lassen.
Induktive und deduktive Wege zum Blended Learning. Wenn man sich an dieser
Stelle noch einmal die gängigen Definitionen des Blended Learning als "gemischtes
Lernen" in Erinnerung ruft (vgl. Abschnitt 6.2), wird deutlich, dass die Integrationsleistung auf der strategischen
und operativen Ebene gewissermaßen
inhärentes
Merkmal dieser Form des e-Learning ist. Die Entstehungsgeschichte
des Blended
Learning-Begriffs
hat gezeigt, dass vor allem Unzufriedenheit
und Enttäuschung,
aber auch Kostenprobleme
dazu geführt haben, auf hybride Lernarrangements
zu
setzen, in denen e-Learning "das Alte" (also traditionelle Lehr-Lernformen
und -medien) nicht ersetzt, sondern darauf aufbaut. Von daher ist das Blended Learning
zunächst einmal induktiv aus Erfahrungen und Erfordernissen
der Praxis heraus
entstanden. Eine kurze Analyse verschiedener Lerntheorien und Auffassungen vom
Lernen und Lehren hat gezeigt, dass sich ein "Mix" von Methoden und Medien auch
auf einer theoretischen Ebene nicht nur rechtfertigen, sondern postulieren lässt - und
das nicht erst seit gestern: Mehrere Jahre schon mahnen verschiedene Stimmen
integrative Konzepte an - und so mancher Hardliner hat sich bereits zu einer Kombination verschiedener
theoretischer
Elemente hinreißen lassen (z.B. Anderson,
Greeno, Reder & Simon, 2000). Blended Learning findet also auch auf einem de30 An der Stelle wird auf eine Differenzierung des Medienbegriffs, wie sie z.B. Weidenmann (2002)
vornimmt, verzichtet, und es werden statt dessen Geräte, verwendete Symbolsysteme und angesprochene Sinnesmodalitäten gleichermaßen miteingeschlossen.
41
duktiven Wege die nötige Bestätigung, die neben einer Mischung von Methoden und
Medien sogar eine Kombination theoretischer Grundannahmen
"absegnet". Wenn
praktische Erfordernisse und theoretische Überlegungen in dieser Weise konform
gehen, dann kann dies nur von Vorteil sein - gerade auch für Innovationen in der
Hochschullehre.
Abbildung 5 bündelt noch einmal die gemachten Aussagen zum Integrationsvermögen von Blended Learning. Auf die dort dargestellten verschiedenen
Ebenen kommen wir in Kapitel IV (Abschnitt 18) noch einmal zurück.
Blended Learning
Normative
Ebene (Theorie)
Integrative Auffassung von Lernen und Lehren: Balance zwischen
Instruktion (Lehrerzentrierung) und Konstruktion (Lernerzentrierung) mit gemäßigt-konstruktivistischer Grundhaltung
Strategische
Ebene (Methoden)
Kombination von selbstgesteuertem und angeleitetem, von rezeptiv-übendem und aktiv-explorierendem, von individuellem und kooperativem Lernen
Operative
Ebene (Medien)
Hybride Lernarrangements mit Face-to-Face-, Online- und OfflineElementen, Beachtung und Nutzung der methodischen Impiikationen verschiedener Medien
Abb. 5: Integration durch Blended Learning
9. Das Innovationspotential
von Blended Learning in der Hochschullehre
In Kapitel I wurde dargelegt, warum und in welcher Weise man derzeit differenzierte
e-Learning-Modelle, evolutionäre Innovationsprozesse,
Anschlussfähigkeit
und Nachhaltigkeit fordert, wenn es um das Thema neue Medien in der Hochschullehre geht.
Das erste Kapitel endete mit dem "Versprechen",
im vorliegenden
Kapitel aufzuzeigen, dass Blended Learning als eine neue Form des e-Learning diese Forderungen besonders gut erfüllen kann. Die vorangegangenen Abschnitte haben bereits an
mehreren Stellen gezeigt, dass dies kein leeres Versprechen war. Dennoch soll im
Folgenden der Zusammenhang
zwischen dem Blended Learning-Ansatz
und dem
Thema Innovation in der Hochschullehre noch einmal explizit herausgearbeitet wer-
den.
42
9.1 Didaktische Innovationen
durch Blended Learning
Warum Blended Learning einem modernen Innovationsverständnis
entspricht. Ein
modernes Innovationsverständnis
hat mehrere Merkmale, die das traditionelle Verständnis von Innovation als einen "großen Wurf' von Spezialisten mit bahnbrechender Wirkung und sichtbaren Effekten erheblich erweitern (vgl. Abschnitt 1.3). Dass
sich der Blended Learning-Ansatz im Rahmen eines modernen (und damit erweiterten) Innovationsverständnisses
dazu eignet, Innovationen in der Hochschullehre anzustoßen, lässt sich an mehreren Punkten festmachen: (a) Blended Learning fällt in
der Hochschullehre nicht weiter auf, wenn es sich dabei um eine Medien-, Methodenund Konzept-Mischung
handelt, die auf die neusten technischen Entwicklungen und
multimedialen Highlights mit Aufsehen erregenden Wirkungen verzichtet. Trotzdem
kann es das Lernen und Lehren nachhaltig verändern, weil es keinem revolutionären
Akt gleichkommt, für den man organisatorische
Hürden niederreißen und Studierende mühsam überzeugen muss, sondern in kleinen Schritten wirksame Veränderungen hervorruft. (b) Die Entwicklung und Umsetzung von Blended Learning-Modellen ist nicht nur für die Medien-Pioniere der Hochschulen machbar. Auch der "normale" Hochschullehrer ist dazu in der Lage, wenn er da beginnt, wo er eigene Lehrpraxis und Expertise hat. Natürlich braucht man auch zum Blended Learning Wissen
über Lerntheorien, Lehrmethoden und das didaktische Potential der neuen Medien,
das aber jedem Lehrenden zumindest in den Grundzügen geläufig sein müsste31.
Spezialkenntnisse und ausgeprägtes Können in den Bereichen Multimedia und Netzwerktechnologie (wie man sie etwa für die Entwicklung eines CBTs oder für die Implementation von komplexeren Lernplattformen benötigt) oder eingehende Erfahrung
in der virtuellen Lehre (wie man sie z.B. für Online-Seminare braucht) sind kein K.-o.Kriterium, das einen von vornherein ausschließt, wenn man es nicht erfüllen kann. (c)
Da Blended Learning bewusst am Bestehenden ansetzt und Anschlussfähigkeit
sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden sucht, eignen sich Konzepte
dieser Form des e-Learning besonders gut dazu, nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Blended Learning ist im Rahmen der Hochschule geradezu prädestiniert für
eine inkremental-evolutionäre
didaktische Innovation.
Blended Learning als Prozess- und Strukturinnovation.
Blended Learning im Sinne
einer Medien-, Methoden- und Konzept-Mischung
ist nach den definitorischen Merkmalen didaktischer Innovationen (vgl. Abschnitt 2.1) vor allem eine Prozessinnovation: Mit dem Einsatz multipler Methoden und Medien werden neue instruktionale
Gestaltungen vorgenommen32 und damit Prozesse und Strategien des Lernens und
Lehrens verändert. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, werden wir in Kapitel 111
mit einem Prototyp des Blended Learning - der semivirtuellen Vorlesung - genauer
darlegen. Anhand der Weiterentwicklung
dieses Beispiels (siehe Abschnitt 14) lässt
sich zeigen, dass Blended Learning neben Prozessveränderungen
auch Neuerungen
in der Organisation des Lernens im Sinne einer Strukturinnovation
möglich macht.
Für beide Innovationsarten spielen vor allem diejenigen Merkmale des Blended Learning eine Rolle, die in den zahlreichen Synonymen wie "flexible", "hybrid", "distributed" und "integrated learning" (vgl. Abschnitt 6.2) zum Ausdruck kommen.
Dass dies häufig nicht so ist, ist ein anderes und ernst zu nehmendes Problem, das durch Blended
Learning aber keinesfalls verschärft, sondern bestenfalls durch eigenständiges .Iearning by doing"
sogar reduziert werden kann.
32 die auch auf den Inhalt ausstrahlen können, aber keine genuin curricularen Innovationen sind.
31
43
Flexibel- hybrid/verteilt - integriert. Blended Learning ist flexibel, weil es sich per definitionem an die gegebenen Bedingungen eines Lehr-Lernkontextes
(an die Inhalte,
die Voraussetzungen
der Studierenden, die verfügbaren Ressourcen etc.) anpasst;
damit steigt die Wahrscheinlichkeit,
dass sich didaktische Neuerungen aus dem
Blended Learning-Ansatz in der Hochschullehre durchsetzen und zu "echten" Innovationen werden. Blended Learning arbeitet mit virtuellen und mit Face-to-Face-Anteilen und bringt damit hybride Lernarrangements hervor, in denen die Lehr-Lerninhalte
auf verschiedene Medien und Methoden verteilt sind. Dabei kann und soll es stellenweise zu einer gewissen "Überdeterminiertheit"
in dem Sinne kommen, dass verschiedene Elemente der Umgebung dem gleichen Ziel dienen (Kerres, 2002). Dieses
Charakteristikum macht didaktische Konzepte aus dem Blended Learning-Ansatz anschlussfähig an verschiedene Lernerfahrungen und Lernstile der Studierenden; und
da die Akzeptanz der Lernenden erforderlich ist, um aus einer guten Idee eine Innovation werden zu lassen, kommt diesem Aspekt eine nicht zu unterschätzende
Bedeutung zu. Indem Blended Learning nicht nur Medien und Methoden "mixt", sondern
auch verschiedene
Lehr-Lernauffassungen
integriert, knüpfen diese didaktischen
Konzepte an Bestehendes an, werfen gewachsene Strukturen, Einstellungen und
Routinen zum Lernen nicht schlagartig über Bord, sondern binden sie in neue Vorgehensweisen ein, um sie allmählich zu verändern. Es ist vor allem diese Integrationskraft, die es möglich macht, dass didaktische Konzepte aus dem Blended Learning-Ansatz Chancen auf eine nachhaltige Implementation in der Hochschule haben.
9.2 Überwindung von Innovationsbarrieren
durch Blended Learning
Dass Blended Learning-Konzepte
"Innovationskandidaten"
mit hohen Erfolgsaussichten sind, ist auch der Tatsache zu verdanken, dass Blended Learning eine ganze
Reihe typischer Innovationsbarrieren
in der Hochschule (vgl. Abschnitt 4.2) überwinden oder umgehen kann.
Geld und Bürokratie. Zunächst einmal liegt es auf der Hand, dass die Chancen auf
weniger Kosten höher stehen, wenn man hybride Lernarrangements
anstatt aufwändiger virtueller Umgebungen mit hohem Multimedia-Anteil
realisieren will. Zwar
gibt es auch das Blended Learning nicht zum Nulltarif, da der Einsatz neuer Medien
immer Kosten verursacht (wobei die Höhe der Kosten sowohl vom technischen Aufwand als auch vom Betreuungsaufwand
in den entstandenen Veranstaltungsformen
abhängt) - das Kosten-Nutzen-Verhältnis
aber ist nach ersten Erfahrungen tendenziell besser als beim reinen e-Learning. Ein wesentlicher Vorteil des Blended Learning auf der Finanzierungsebene
besteht darin, dass man mit relativ geringen Ressourcen beginnen und (erfolgreich) experimentieren kann, um darauf aufbauend sehr
viel konkreter die notwendigen Kosten für eine Optimierung und Weiterentwicklung
(auf höherer Stufe) abschätzen zu können33. Im Vergleich zum Gießkannenprinzip
vieler Fördermaßnahmen34
oder zu Finanzierungsmodellen,
die gewissermaßen
blank (ohne Abschätzung der künftigen Kosten) entstehen, ist dies auch für die Geldgeber eine intelligente Form der Investition. Aufgrund der Tatsache, dass das Blended Learning auf Bestehendem aufbaut, steht die Implementation derartiger Konzep-
Dies war auch das Modell der semivirluellen Vorlesung (siehe Kapitel 111).
Gemeint ist damit die oft beobachtbare Praxis, dass alle möglichen Projekte gefördert werden, ohne
dass sinnvolle Auswahlkriterien und/oder Auswahlverfahren vorgenommen werden.
33
34
44
te vor weniger organisatorischen Hürden als z.B. Online-Seminare oder virtuelle Studiengänge. Je "kleiner" die Projektgröße im Hinblick auf Finanz-, Personal- und Ressourcenvolumen
ist, umso weniger fatal wirken sich bürokratische Schwierigkeiten
aus, weil Entscheidungen relativ autonom getroffen werden können. Das ist natürlich
keine wirkliche Bewältigung von Innovationsbarrieren
wie Finanz- und Personal notstand oder Mängel im System; Blended Learning-Konzepte
können diese aufgrund
ihrer Eigenheiten aber besser umgehen und neue Lösungswege aufzeigen.
Kompetenzen und Anreize. Wie weiter oben bereits ausgeführt wurde (vgl. Abschnitt
9.1), erfordert die Entwicklung und Umsetzung von Blended Learning-Konzepten
keine außergewöhnlichen
(medientechnischen)
Kompetenzen und langjährigen Erfahrungen im Bereich der neuen Medien; letztlich steht es jedem Lehrenden frei, sich
beim Blended Learning nicht nur den Studierenden und den Rahmenbedingungen,
sondern auch den eigenen Kompetenzen anzupassen. Daneben kann das Blended
Learning, so wie es in diesem Kapitel vorgestellt wurde, auch einen Beitrag dazu
leisten, das Innovationsverständnis
zu ändern bzw. zu erweitern: Wer (als Hochschullehrer) selbst auf eine evolutionäre Weise innovativ tätig ist und am eigenen
Leibe erlebt, was es heißt (bzw. heißen kann), innovative didaktische Ideen zu entwickeln, durchzusetzen und in Routinen zu überführen, der wird auch ein breites und
praxisorientiertes (und damit realistisches) Verständnis davon entwickeln und weitergeben, wie didaktische Innovationen in der Hochschullehre aussehen. Anreizsysteme gibt es allerdings auch für das Blended Learning nicht - jedenfalls sind äußere
Anreize in Form von finanzieller oder immaterieller "Belohnung" besser nicht zu erwarten35. Motivierend außerhalb klassischer Anreizsysteme aber wirken Lernerfolge,
kreative Lernergebnisse und zufriedene Studierende - erstrebenswerte
Ziele also,
die man mit Blended Learning leichter und vor allem rascher und mit höherer Wahrscheinlichkeit erreichen kann als mit anderen Formen des e-Learning.
Tabelle 2 fasst die wichtigsten Punkte zum Überwinden
durch Blended Learning kurz zusammen.
von Innovationsbarrieren
Tab. 2: Blended Learning contra Innovationsbarrieren
Innovationsbarrieren
(siehe Abschnitt 4.2)
Finanz- und Personal·
notstand
Mängel im System
Fehlende Anreizsysteme
Kompetenzdefizite
Dysfunktionales
Innovationsverständnis
Bewältigung/Umgehung
durch Blended Learning
(irn Vergleich zu e-Learning)
•
•
·•
·•
•
··
Besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis
Chance für intelligentere Investition
Irnplernentation ohne zu große organisatorische Hürden
Teilweise Anpassung an Bestehendes
Auch hier leider keine äußeren Anreize
Motivierung durch effizient zu erreichende Lehr-Lernerfolge
Keine außergewöhnlichen (technischen) Kompetenzen nötig
Anpassung an vorhandene Kompetenzen möglich
Erweiterung des Innovationsverständnisses
Erfahrungen
durch eigene
35 Eigene Bemühungen, für die empirisch untermauerte Optimierung einzelner Elemente der semivirtuelIen Vorlesung (siehe Kapitel 111)
an überschaubare Geldsummen zu kommen, sind fehlgeschlagen.
Von sichtbarerer Anerkennung "von oben" also keine Spur! Während drittmittelfinanzierte Projekte
etwa der Informatik der Universität Innovationen im traditionellen Verständnis versprechen, hat die
inkremental-evolutionäre Innovation in der Hochschullehre eben kaum eine Außenwirkung - hier stellt
sich das moderne Innovationsverständnis leider selbst ein Bein.
45
10. Fazit
Im zweiten Kapitel dieses Buches haben wir uns zunächst mit dem neuen Schlagwort
"Blended Learning" - zu Deutsch "vermischtes Lernen" - beschäftigt, mit seiner wirtschaftlichen Herkunft und mit seiner Verwandtschaft zum e-Learning, das noch vor
kurzer Zeit die Innovation der Weiterbildung werden sollte. Als Form des e-Learning
sind für das Blended Learning die verschiedenen Varianten des Lernens mit neuen
Medien von Bedeutung, die vOllL.§elbgorganisierten
Lernen mit Online- und OfflineInformationen, über angeleitet s ernen äüi'C1fTr1tera Ion mit technischen Systemen
bis zu sozialem und ~ekOgenem..J..emeD
io yJr:tueHen...Gr:upp_enreichen. Elearning by distributing, interacting und collaborating,
wie man diese Lernformen
auch nennen kann, stellen unterschiedliche
Anforderungen
an Lernende und Lehrende - Anforderungen,
die man beim Blended Learning miteinander verbinden
kann. Wir haben gezeigt, worin die derzeit viel gepriesene Integrationskraft des Blended Learning liegt und konnten drei Ebenen ausfindig machen, auf denen diese zum
Tragen kommt: Auf der Ebene der Medien (operative Ebene) und der Methoden
(strategische Ebene) gehört das Potential zum Kombinieren gewissermaßen
zum
Selbstverständnis des Blended Learning: Es gilt, verschiedene instruktionale Verfahren sowie virtuelle und Face-to-Face-Elemente
und damit auch neue und "alte"
Medien miteinander zu kombinieren. Das klingt zunächst einmal trivial, und es drängt
sich der Verdacht auf, dass man der didaktischen Willkür ein marktfähiges Label
verpasst hat. Umso wichtiger sind theoretische Möglichkeiten der Integration der kognitivistischen und der konstruktivistischen
Auffassung und dazugehöriger
Modelle
zum Lernen und Lehren: Hier zeigt sich die Möglichkeit, auch auf der normativen
Ebene eine integrative Position zu vertreten, die weder einem theoretischen Dogma
noch praktischer Beliebigkeit das Wort redet: Die Mischung von Medien, Methoden
und Konzepten beim Blended Learning ist vor diesem Hintergrund flexibel, aber nicht
beliebig, sondern in erster Linie orientiert am Lernenden, seinen Voraussetzungen
und Zielen, in zweiter Linie an Gegenstand und vorhandenen Rahmenbedingungen.
Ein so verstandenes Blended Learning ist aus mindestens zwei Gründen ein erfolgversprechender "Innovationskandidat"
in der Hochschullehre: Zum einen entsprechen
Neuerungen durch Blended Learning infolge von Flexibilität, hybriden Lernarrangements und integrativem Charakter einem modernen Innovationsverständnis,
das neben den "großen Würfen" auch die schrittweise Evolution des Neuen umfasst - und
wer mit Blended Learning in der Hochschule arbeitet, wird sich diesem modernen
Innovationsverständnis
anschließen. Zum anderen gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass Blended Learning typische Innovationsbarrieren
in der Hochschule teils bewältigen, teils (wenigstens) umgehen kann. Im Vergleich zum "reinen"
e-Learning hat Blended Learning Vorteile in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis
und bürokratische Gegebenheiten; die Hürden im Kompetenzbereich
sind niedriger
und es ergeben sich neue Möglichkeiten zum Kompetenzaufbau;
an der schlechten
Anreizpolitik deutscher Hochschulen in puncto Lehre kann allerdings auch Blended
Learning nichts ändern - hier sind andere Akteure als die Hochschullehrer gefragt.
Wie man sich Blended Learning in der Hochschullehre konkret vorstellen kann, wie
sich die genannten Eigenschaften und Vorteile im realen Kontext entfalten, was die
Studierenden dazu sagen und welche Ergebnisse resultieren, soll im nachfolgenden
Kapitel 111 am Beispiel der semivirtuellen Vorlesung ausführlich gezeigt werden.
1
46
Kapitel
11I.Die semivirtuelle Vorlesung - ein Prototyp
Learning in der Hochschullehre
des Blended
"Ich hoffe, dass in Zukunft mehr solcher Angebote zur Verfügung gesteilt werden können. - Für mich war die semivirtuelle Vorlesung
eine richtig positive Lernerfahrung. - Selten habe ich so viel von
einer Veranstaltung
profitiert! - Endlich etwas Innovatives. - Ich
würde mir auch in anderen Fächern mehr solche Veranstaltungen
wünschen." (Online-Anmerkungen von Studierenden, Juli, 2002).
Inhalt und Ziel von Kapitel
11I
Während Kapitel 11sozusagen den Boden für den Kernteil dieses Buches bereitet
und die Idee des Blended Learning als eine neue Form des e-Learning beschrieben
hat, liefert Kapitel 111ein konkretes Beispiel für Blended Learning in der Hochschullehre: die semivirtuelle Vorlesung. Indem nicht nur das didaktische Konzept mit Zielen und Inhalten, Medien, Methoden und der pädagogischen Grundauffassung,
sondern auch die Entstehungsgeschichte
und die konkreten Umstände der Entwicklung
der semivirtuellen Vorlesung skizziert werden, soll ein möglichst plastisches Bild von
dieser Blended Learning-Veranstaltung
entstehen. Was die Durchführung der semivirtuellen Vorlesung im Echtbetrieb der Hochschule bewirkt hat, welche Erfahrungen
wir gemacht haben und wie die Evaluationsergebnisse
aussehen, soll ebenfalls dargestellt und vor dem Hintergrund diskutiert werden, inwieweit dadurch innovative
Impulse für die Hochschullehre ausgehen. Den letzten Teil des dritten Kapitels bilden
Ideen zur Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung zu einem Veranstaltungskonzept, in dem die Nutzung verteilter Expertise als Mehrwert hinzukommt. Blended
Learning mit Nutzung verteilter Expertise wird unter anderem für die Weiterbildung
sowie für Kooperationen mit der Wirtschaft interessant.
Übersichtsgrafik
115.
11.1 Wie die sem/virtuelle Vorlesung
entstanden ist
11.2 Die Grundidee und ihre
Rahmenbedingungen
12. Das didaktische Konzept
•
12.1 Inhalte und Ziele
12.2 Der erwartete
Fazit
zu Kapitel 111
I
q Überleitung zu Kapitel IV
14. Weiterentwicklung: Blended
Learning mit Nutzung verteilter
Expertise
14.1 Die Kernidee
14.2 Das mediendidaktische
14.3 Der Mehrwert
Szenario
Nutzen
12.3 Medien,Methodenund
piidagogisches Grundkonzept
12.4 Technische Umsetzung und Ablauf
13. Die Evaluation: Erfahrungen
und Ergebnisse
13.1 Das Evaluationskonzept
13.2 Die Evaluationsergebnisse
13.3 Die Frage nach der didaktischen
Innovation
13.4 Verbesserungs ideen
47
11. Entstehungsgeschichte
und Grundidee der semivirtuellen Vorlesung
Im dritten Kapitel geht es vorrangig darum, die Möglichkeit der didaktischen Innovation an der Hochschule durch Blended Learning an einem konkreten Beispiel festzumachen. Dieses Beispiel soll auch entsprechend authentisch eingeführt werden:
Es wird im Folgenden beschrieben, wie und unter welchen Umständen es zur Entwicklung der semivirtuellen
Vorlesung als einem Prototyp des Blended Learning
gekommen ist und welche gundlegenden Überlegungen dahinter stecken. Um den
Grad der Authentizität dieser Einführung zu erhöhen, wird der Abschnitt 11.1 in der
Ich-Form geschrieben; ein "wir" würde an dieser Stelle auch nicht stimmen und ein
"man" zu falschen Generalisierungen verleiten36.
11.1 Wie die semivirtuelle Vorlesung entstanden ist
Oktober 2001. Ich bin neu an der Universität Augsburg und habe eine Professur für
Medienpädagogik (ohne festen Mitarbeiter) übernommen. Ich weiß in etwa, was auf
mich zukommt: Von ca. 400 Studierenden war bei der Berufung die Rede (ein paar
Wochen später erfahre ich, dass wir 140 Studierende im ersten Semester haben, die
zu den 400 Studierenden noch dazu kommen), von inhaltichem Chaos wegen häufigem Wechsel der Professorenlinnen
(was man an mehreren Schichten Ordnern und
Papieren der Vorgänger im Büro anschaulich ablesen kann), von verunsicherten und
entsprechend
skeptischen jungen Menschen, die sich fragen, was und wer nun
wieder auf sie zukommt (die Fachschaft ist folglich aufgeschreckt und sitzt alle zwei
Wochen in meinem Büro). Wie es in Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften
so ist, waren auch die Inhalte und Ziele mit den wechselnden Professoren/innen permanenten Veränderungen unterworfen: Was sollen wir lernen, was müssen wir wissen, was kommt in der Prüfung dran? Fragen wie diese sind verständlich, wenn es
an Struktur und Orientierung fehlt - noch dazu in einem eher jungen und interdisziplinär bearbeiteten Fach wie der Medienpädagogik, in dem konsensfähige Curricula
ohnehin nicht zur Verfügung stehen. Mich befällt ein wenig Panik, weil mehrere Dinge im Prinzip sofort gemacht werden müssten: dem Fach eine Struktur vor Ort geben, Lehrveranstaltungen
abhalten und im Hinblick auf die neue Struktur vorausplanen, eine Homepage mit allen notwendigen Informationen machen, Vertrauen
unter den Studierenden gewinnen ... und das ohne eigene große Vorerfahrungen.
November 2001. Das Semester ist im Gange. Es gibt eine überschaubare, mit Lehrbeauftragten gerade ausreichende Anzahl an Lehrveranstaltungen,
die wichtigsten
Infos zu Studium und Lehre der Medienpädagogik
stehen im Internet, die Beseitigung des Büromülls wird kurzerhand auf die kommende vorlesungsfreie
Zeit verschoben. Bei der Festlegung von Themen für die anstehenden Prüfungen wird mir
die inhaltliche Fragmentierung des Faches (vor Ort) so richtig bewusst. Die Seminare
sind im Prinzip37 viel zu groß, um Lehrmethoden anzuwenden, die die Teilnehmer zu
Die folgenden Ausführungen sollen den Kontext der Entstehung der semivirluellen Vorlesung deutlich machen, weshalb auf Beschönigungen verzichtet wird; wenn manche Äußerungen etwas provokativ klingen (weil einen die Situation dazu verleitet), geschieht dies in keiner Weise als Angriff gegen
i'jlendwelche Personen, die letztlich auch immer nur "im System" handeln und entscheiden können.
3 "Im Prinzip" deshalb, weil wir in den großen Seminargruppen trotzdem versucht haben, das klassische Referatseminar zu vermeiden und motivierendere Verfahren einzusetzen - was in Grenzen und
mit Einschränkung auch möglich war.
36
48
aktiver und intensiver Mitarbeit sowie zu problemorientiertem
und kooperativem Lernen bewegen könnten. Ein virtuelles Seminar (angeboten über die Virtuelle Hochschule Bayern; vhb), das ich noch einnmal leite38, wird von keinem Augsburger Studierenden besucht - die Skepsis gegenüber virtuellen Lehr-Lernangeboten
ist einfach zu groß. Muss ich mich verabschieden von hoch-interaktiven
(weil kleinen) Seminaren, vom Einsatz der neuen Medien und Pionierarbeiten
wie dem "virtuellen
Wissensmanagement-Seminar"?
Muss ich mich der Kraft des Faktischen beugen
und - wie ein Kollege - einfach nur noch Vorlesungen mit Abschlussklausuren
abhalten, um das Mengenproblem bewältigen zu können? Ende November komme ich
zu dem Entschluss: Nein! Ich will (mir) zeigen, dass man die neuen Medien auch
sinnvoll in die Präsenzlehre einbauen kann, und zwar in einer die Studierenden nicht
überfordernden Weise; und ich will (mir) beweisen, dass auch jenseits der paradiesischen Teilnehmerzahl von 28 Lernen ein aktiver und sozialer Prozess sein kann, der
nicht Langeweile auslöst, sondern Interessen weckt. Auf einem ersten internen Papier notiere ich die wichtigsten Ziele des Vorhabens mit einfachen Worten: Eine neue
bzw. andere Form des e-Learning für den regulären Hochschulbetrieb entwickeln, mit
der es möglich wird, (a) dass die Studierenden Orientierungswissen
erwerben, (b)
dass sie - trotz des "Massenproblems" - aktiv und konstruktiv arbeiten, (c) dass sie
Medienkompetenz in und ducrh die Veranstaltung aufbauen.
Dezember 2001. Ich sitze am Entwurf einer Vorlesung für das Sommersemester, die
teils klassisch als Face-to-Face-Sitzungen,
teils virtuell in einer netzbasierten Umgebung ablaufen und von Hypertexten begleitet werden soll, die das traditionelle Skript
ersetzen. Die didaktische Grundidee ist simpel: Alle zwei Wochen mache ich eine
Vorlesung wie gehabt; dazwischen lernen und vertiefen die Studierenden den jeweiligen Themenblock eigenständig anhand einer CD-ROM. Es soll Aufgaben geben,
die man in der Gruppe löst - und zwar obligatorisch und mehrfach im Semester,
sodass man sich eine Klausur am Ende des Semesters sparen kann. Die Lösungen
sollen im Netz für alle sichtbar sein - nicht nur für mich. Vielleicht motiviert das die
Studierenden? Ich diskutiere das Grundgerüst mit einem Kollegen aus einem anderen Projekt und mit meinen studentischen Mitarbeiter; es entsteht ein zweites internes Papier, auf dem die wichtigsten Prinzipien der neuen Veranstaltung festgehalten
sind. Wesentlich zeitaufwändiger
ist die Gestaltung der Inhalte: Da aber auch eine
gute "klassische" Vorlesung seine Vorbereitungszeit
braucht, intensive Literaturrecherchen und eine sorgfältige Strukturierung erfordert, lohnt in meinen Augen der
Mehraufwand: Ich mache Übersichtsgrafiken,
schreibe überschaubare Informationsblöcke und suche nach sinnvollen Möglichkeiten der Verlinkung - immer mit dem Ziel
im Kopf, dass die Studierenden Orientierung und damit einfache, aber wirksame
"Gerüste" für die wichtigsten Themenbereiche der Medienpädagogik brauchen.
Januar 2002. Das Schreiben der Hypertexte ist mühsam - es kommt einem kleinen
Buch gleich; gleichzeitig muss ich meine lineare Denkweise immer wieder revidieren,
umschreiben und dazulernen. Ende Januar steht die erste Version des Manuskripts.
Ich habe noch nie eine CD-ROM gemacht - was mache ich jetzt eigentlich mit dieser
Rohfassung, damit daraus ein elektronisches Dokument mit bildschirmfähigen Grafiken, Links und handhabbarer Navigation wird? Die Planungen für das kommende
Durchführung des virtuellen Seminars .Einführung in das Wissensmanagement" von 1998 - 2001
(vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 b).
38
49
Sommersemester
laufen bereits an: Ich gebe die semivirtuelle Vorlesung "Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" in die Vorankündigungen
der Fakultät. Aber
ist das bis dahin zu schaffen? Für die CD-ROM-Erstellung
hole ich mir dann doch
lieber Hilfe von außen39; auch die studentischen Mitarbeiter packen mit an. Es entsteht eine einfache, aber funktionale CD-ROM mit ca. 100 Seiten Text - verpackt in
kleine Informationseinheiten
und insgesamt fünf Themenblöcke
mit Übersichtsgrafiken und problemorientierten Aufgaben.
Februar 2002. Die Frage des Online-Forums steht an. An der Fakultät hat man keine
Erfahrungen und (nach ersten Auskünften) auch keine Möglichkeiten für interaktive
Vorhaben, die eine Lernplattform erforderlich machen. In München hatten wir (für das
virtuelle Seminar) das Glück, einen begabten Studierenden zu haben, der dem Institut eine gut funktionierende Plattform "gebaut" hat - was natürlich einige Jahre Zeit in
Anspruch nahm. Ich rufe diverse Firmen aus der "e-Branche" an und falle fast vom
Stuhl, als man mich über Preise und Einarbeitungszeiten
informiert - alles unrealistisch, noch dazu im gegebenen Zeitrahmen. Ein bekannter Informatiker rät mir zum
BSCW40, einer für Universitäten
kostenlosen Plattform, die stabil und einfach zu
handhaben ist - heißt es - und diese Information ist richtig. Nur: Das hiesige Rechenzentrum kennt kein BSCW. Aber ich kenne einen Informatik-Professor
an der
TU-München, der einen BSCW-Server hat; und dieser nimmt unser Vorhaben aur1.
März, April 2002. Wir testen das BSCW, und wir testen und verbessern die CD-ROM;
wir brennen 160 CD-ROMs und überlegen, was im April wohl passieren wird, wenn
wir jedem Studierenden eine CD-ROM in die Hand drücken, eine Einladung ins
BSCW (per e-Mail) schicken und nur noch alle zwei Wochen eine Face-to-FaceSitzung haben. Alle in unserem kleinen Team sind gespannt, aber auch ein wenig
beunruhigt, weil die Vorankündigung für die neue Veranstaltung nicht nur begeisterte
Gesichter hervorruft. Mitte April fällt der Startschuss .... 135 Studierende beginnen
mit der semivirtuellen Vorlesung "Medienpädagogik
in Wissenschaft und Praxis". Die
Bezeichnung "Blended Learning" (oder gar "e-Learning") unterlassen wir - wir wollen
niemanden beunruhigen.
11.2 Die Grundidee
und ihre Rahmenbedingungen
Keine untypische Situation. Vergleicht man Daten zur Situation in den Geistes- und
Sozialwissenschaften
(vgl. Abschnitt 3.3) mit der geschilderten Ausgangssituation für
die semivirtuelle Vorlesung, so wird deutlich, dass diese keineswegs untypisch ist: Es
mangelt an guter technischer Ausstattung, die neuen Medien sind alles andere als
selbstverständlicher
Bestandteil in der Lehre und die Einstellung der Studierenden
(und Lehrenden) gegenüber virtuellen Lernangeboten ist reserviert bis ablehnend.
Dazu kommt in unserem Fall die Tatsache, dass das Fach (bei der gegebenen Besetzung mit nur einer Person) überlaufen ist42, und dass die Studierenden vor dem
Hintergrund schlechter Erfahrungen unzufrieden und fordernd sind. Einer von mehreren Gründen für diese Unzufriedenheit und fordernde Haltung ist das Fehlen von
von Gertrud Kemper (ÄSOP)
BSCW: Basic Support for Cooperative Work; siehe Abschnitt 12.3.
41 An der Stelle gilt noch einmal Herrn Prof. Dr. Schlichter und seinem Mitarbeiter Herrn Dr. Koch
herzlicher Dank für die unbürokratische und hilfreiche Unterstützung.
42 Diese Situation trifft man im Übrigen sehr häufig in den Wirtschaftswissenschaften
an.
39
40
50
Orientierung und (inhaltlichem) Überblick bei den Studierenden - ein Grund, der im
Fall Augsburg durch den häufigen Professorenwechsel
erklärbar war, der aber auch
auf anderen Wegen entstehen kann und keineswegs ein Einzel- oder Sonderfall ist.
In Bezug auf die Lehr-Lerninhalte gilt auch für die Medienpädagogik,
dass die Wissensvermittlung bis dato eher textlastig erfolgt ist, was dem Gegenstand nicht unbedingt angemessen ist. Kurz: Die geschilderte Ausgangssituation
bietet keine geeigneten Bedingungen etwa für e-Learning, wie wir es in Kapitel 11beschrieben haben
(vgl. Abschnitt 7) - ein Blended Learning-Ansatz
ist nach dem bisher Gesagten
schon eher nahe liegend.
Die zugrunde liegende Idee. Die semivirtuelle Vorlesung war von Anfang an als ein
(medien-)didaktisches
Konzept gedacht, das (entsprechend eines modernen Innovationsverständnisses)
die neuen Medien nachhaltig in der Hochschullehre
einsetzt
und mit der klassischen Lehrform der Vorlesung verknüpft. Wichtig dabei ist, dass es
nicht darum geht, die klassische Vorlesung virtuell anzureichern und damit den Vorlesungscharakter weitgehend beizubehalten; vielmehr sollen die verschiedenen Medien und Methoden im Sinne des Blended Learning so miteinander verbunden werden, dass - trotz Anschlussfähigkeit
an die traditionelle Vorlesung - etwas Neues
entsteht. Ebenfalls von Beginn an "mitgedacht" war die Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung hin zu einem Blended Learning-Konzept, das die an verschiedenen Hochschulen verteilte Expertise zu einem Fach heranzieht; wir kommen in Abschnitt 14 noch genauer darauf zu sprechen. Das Konzept der semivirtuellen Vorlesung und seine Weiterentwicklung
basiert auf einer gemäßigt-konstruktivistischen
Auffassung von Lernen und Lehren (vgl. Abschnitt 8) sowie auf mehrjährigen Erfahrungen mit virtuellen Seminaren. Vor diesem Hintergrund war und ist es erklärtes
Ziel, eine Balance zwischen theoretischen
und praktischen Erfordernissen
herzustellen, verschiedene Aspekte von Medienkompetenz
bei den Veranstaltungsteilnehmern schrittweise aufzubauen und einen anschlussfähigen
Veranstaltungstypus
zu
erarbeiten, der langfristig auf die gesamte Lehre Einfluss haben kann.
Die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des Blended Learning. Wir verstehen die semivirtuelle Vorlesung als einen Prototypen des Blended Learning, dessen Merkmale
die Chance einer inkremental-evolutionären
Innovation (vgl. Abschnitt 1.3) in der
Hochschullehre mit sich bringt: (a) Die semivirtuelle Vorlesung beinhaltet neue Ideen
für die Lehrform "Vorlesung", für die bislang vorrangig technikintensive
Tele-Teaching-Modelle (ohne besonderen didaktischen Mehrwert) vorhanden waren. (b) Die
semivirtuelle Vorlesung berücksichtigt die oft vorfind baren ungünstigen Bedingungen
an Hochschulen vor allem in stark nachgefragten Fächern sowie Defizite in der Medienkompetenz von Studierenden (insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften), die reine e-Learning-Konzepte
als Standardmodell nicht sinnvoll erscheinen lassen. (c) Die semivirtuelle Vorlesung ist ausbaufähig für die Nutzung verteilter
und komplementärer Expertise, was diesen Prototyp des Blended Learning auch für
die wissenschaftliche
und berufliche Weiterbildung interessant macht, die nach wie
vor zwar vehement gefordert, aber nur in bescheidenem Ausmaß (in Deutschland)
umgesetzt wird. (d) Die didaktische Konzeption der semivirtuellen Vorlesung läuft auf
ein mediales Hybridarrangement hinaus, in dem zielgruppen- und inhaltsadäquat verschiedene Medien entsprechend ihrer Lehr-Lernpotentiale miteinander verknüpft werden (Kerres, 2002).
51
12. Das didaktische Konzept
Wie ist die semivirtuelle Vorlesung inhaltlich, methodisch und (medien-)technisch
aufgebaut und wie wird sie durchgeführt? Worum geht es im Einzelnen und welche
Medien und Methoden kommen bei diesem Prototyp des Blended Learning zur Anwendung? Welche Erwartungen liegen dem Konzept zugrunde? Der folgende Abschnitt gibt Antworten auf diese Fragen und vermittelt einen konkreten Einblick in die
Möglichkeit des Blended Learning in der Hochschullehre.
12.1 Inhalte und Ziele
Der Gegenstandsbereich.
Die semivirtuelle Vorlesung trägt den Titel "Medienpädagogik in Wissenschaft
und Praxis" und behandelt mehrere medienpädagogische
Inhaltsbereiche, die sowohl theoretische und forschungsbezogene
als auch praktische und handlungsbezogene
Aspekte umfassen. Die Inhalte sind in fünf Themenblöcke gegliedert: (1) Im Themenblock "Medienforschung"
(bzw. Medienwirkungsforschung) geht es um die Medienwirkung und deren empirische Untersuchung, wie sie
auch in der Kommunikationswissenschaft
und in der Medienpsychologie
betrieben
wird. (2) Im Themenblock "Medien kompetenz" stehen der Mediennutzer,
sein Handeln mit und durch Medien sowie pädagogische Möglichkeiten der Förderung von
Kompetenzen zum Umgang mit Medien im Mittelpunkt des Interesses. (3) Der Themenblock "Medien und Lernen" widmet sich dem Medieneinsatz und damit pädagogisch-psychologischen
und didaktischen Fragen der Nutzung von Medien in verschiedenen Lehr-Lernsituationen.
(4) Ein für die Medienpädagogik
neues und kaum
etabliertes Inhaltsgebiet wird im Themenblock "Medien und Organisation" behandelt;
hier geht es um den Medienkontext und Fragen der Organisationsentwicklung
durch
neue Medien. (5) Mit dem letzten Themenblock "Medien und Qualität" schließt sich
der Kreis zur Forschung wieder: Behandelt werden Möglichkeiten der Medienevaluation und der Evaluationsforschung
in der Medienpädagogik. Die Inhalte der semivirtuellen Vorlesung sind so gewählt, dass sowohl klassische Themen der Medienpädagogik als auch zukünftige Herausforderungen
an die Medienpädagogik
thematisiert
werden. Des Weiteren sind die Themen in einer Form zusammengestellt,
die eine inhaltliche Vernetzung möglich macht.
Abbildung 6 veranschaulicht
Medienpädagogik.
noch einmal die Inhalte der semivirtuellen
Vorlesung zur
52
Themenblock 5
Medien und
Qualität
Abb. 6: Inhalte der semivirtuellen
Vorlesung
Die Veranstaltungsziele.
Die semivirtuelle Vorlesung wendet sich an Studierende mit
medienpädagogischen
Grundkenntnissen
(also nicht an Studierende im ersten Semester). Jeder der genannten Themenblöcke
beleuchtet ein anderes Phänomen im
Zusammenhang mit pädagogisch motivierten Fragen zu alten, vor allem aber zu neuen Medien. In allen Themenblöcken wird anhand ausgewählter Beispiele versucht,
wissenschaftliche
Fragestellungen
und Probleme aus der (Medien-)Praxis gleichermaßen im Blick zu haben. Ziel der semivirtuellen Vorlesung ist es, die Studierenden
dabei zu unterstützen, mentale Modelle43 zu den wichtigsten medienpädagogischen
Themen aufzubauen, die bei der weiterführenden
Beschäftigung mit speziellen medienpädagogischen
Problemen, Konzepten, Forschungsarbeiten
und praktischen
Herausforderungen als Orientierung und Gerüst für eine aktive (auf den Grundlagen
aufbauende) Wissenskonstruktion
dienen können. Die verschiedenen
Medien und
didaktischen Elemente sind so gewählt, dass eine intensive Auseinandersetzung
mit
den dargebotenen Inhalten angeregt wird, um auf diese Weise die Voraussetzung für
die Entwicklung mentaler Modelle zu schaffen (siehe Abschnitt 12.2). Neben der Modellbildung sollen auch Transferprozesse
bereits während des Lernens in der semivirtuellen Vorlesung angeregt werden; zur Herstellung des dazu notwendigen Anwendungsbezugs
dienen problemorientierte
AufgabensteIlungen
nach jedem Themenblock. Ein weiteres Ziel besteht darin, Medienkompetenz bei den teilnehmenden
Studierenden aufzubauen; dies ist deshalb von Bedeutung, weil Erfahrungen und
Fertigkeiten im Umgang mit virtuellen Lehr-Lernangeboten
gerade in den Geistesund Sozialwissenschaften
derzeit noch nicht überall vorausgesetzt werden können.
Typische, in der klassischen Vorlesung alt bekannte Phänomene wie Passivität,
Fremdsteuerung der Lernenden, Isolierung beim Lernen und "träges Wissen" sollen
in jedem Fall vermieden werden.
Der Begriff des mentalen Modells stammt aus der Kognitionspsychologie und bezeichnet ein schematisches Konstrukt in der Vorstellung, das einem hilft, auch spezielle Sachverhalte einzuordnen und
zu bewerten (ähnliche Bedeutung haben Begriffe wie Schema und Skript).
43
53
Die Aufbereitung der Inhalte44. Wie weiter oben bereits angedeutet wurde, ist den Inhalten, deren Strukturierung
und Aufbereitung für die Vorlesungsphasen
(face-toface) und den virtuellen Phasen (mit der CD-ROM) viel Zeit und Energie gewidmet
worden - und das mit gutem Grund. Im Laufe der vergangenen e-Learning-Jahre
ist
nämlich deutlich geworden, dass die Aufbereitung der Inhalte den Mehrwert eines
Bildungsangebots
ausmacht und weniger die technische Umsetzung und das multimediale oder netzbasierte Design (Kerres et al., 2002). Eine professionelle Technik
und ein professionelles Design sind für den "Komfort" des (virtuellen) Lernens von
großer Bedeutung, Mängel in diesem Bereich können sich sehr ungünstig auf den
Lernprozess auswirken. Unbedacht ausgewählte,
schlecht strukturierte
und lernunfreundlich formulierte Inhalte lassen sich aber mit High-Tech auf der Hard- und
Softwarebene trotzdem nicht wieder gutmachen. Bei der Aufbereitung der Inhalte erfolgte eine Orientierung an den oben genannten Zielen, sodass viel Wert auf ÜJ2.ersichts.9.!afiken, überschaubare Infomationseinheiten,
verständliche Sprache und eine
K are Struktur gelegt wurde. Auf der CD-ROM findet der Lernende vor allem logische
Grafiken, mit dEmen sich die Bildung mentaler Modelle anregen lässt; die einzelnen
Themenbereiche werden auf der CD-ROM zusammenfassend
dargestellt, aber auch
mit Details und Verweise auf weiterführende Themen, Autoren und Literatur angereichert. In den Präsenzphasen
dagegen wurden zur Veranschaulichung
und zur Förderung des Gedächtnisses bildhafte Anker (statt logischer Grafiken) gewählt und der
Fokus lag auf dem "Gesamtbogen" und einer nachvollziehbaren Argumentationskette
im jeweiligen Themenblock (statt auf Details). Auf der inhaltlichen Ebene stehen die
Präsenzveranstaltungen
und die CD-ROM in einem doppelten Verhältnis zueinander:
Teilweise gibt es eine inhaltliche Überlappung, teilweise eine inhaltliche Ergänzung in
dem Sinne, dass die CD-ROM vertiefende Informationen zur Präsenzveranstaltung
bietet. Mit Kerres (2001 a) kann man dieses doppelte Verhältnis auch als "Überdeterminiertheit" bezeichnen, bei der verschiedene Elemente der Lernumgebung das glei
che Lehrziel anstreben.
12.2 Der erwartete Nutzen
In Zeiten inflationärer e-Learning-Produkte
erscheint es besonders wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, welchen Nutzen ein Blended Learning-Szenario
wie die
semivirtuelle Vorlesung genau haben kann, welchen Bedarf es im Bildungsbereich
deckt, welche Probleme damit besser lösbar sind als ohne den Einsatz neuer Medien
und welches Innovationspotential
für die Hochschullehre zu erwarten ist. Die Frage
nach dem Nutzen sollte man sich bereits vorab, also v r der K
ierun und
Durchführun
einer solchen Ver
Lt.\J~
denn sie zwingen zum
acdenken über den didaktischen Mehrwert und bewahren einen vor blindem Aktionismus. Zudem hat die Formulierung von Erwartungen den Vorteil, dass man auf diese
Weise zu Zielen des gesamten Vorhabens und damit zu Kriterien für die Evaluation
des Erfolgs der Veranstaltung kommt (siehe auch Kapitel IV). Inwieweit die Evaluation der semivirtuellen Vorlesung unsere Erwartungen zu Beginn dieses Blended
Learning-Projekts bestätigt hat, wird an anderer Stelle ausführlich dargestellt (siehe
Abschnitt 13).
Letztlich gehört die inhaltliche Aufbereitung natürlich auch zum didaktischen Konzept, wird hier aber
der besseren Übersicht wegen bereits beim Abschnitt "Inhalte" behandelt.
44
54
Erwartung 1: Aktives, motiviertes und wirkungsvolles Lernen. Da in jedem Themenblock mindestens eine AufgabensteJlungen
integriert ist, werden die Lernenden zu
einer aktiven Auseinandersetzung
mit den dargebotenen Inhalten angeregt. Durch
die Bearbeitung in der Gruppe sowie durch einen gewissen Wettbewerb zwischen
den Gruppen ist die Motivation höher als bei einer klassischen Vorlesung. Regelmäßige (versus einmalige) Aufgabenbearbeitungen
ermöglichen den Studierenden
einen kontinuierlichen und verteilten Lernprozess und damit auch eine semesterbegleitende (Selbst- )Evaluation. Insbesondere durch das verteilte Lernen steigt auch
die Wirksamkeit des Lernprozesses. Regelmäßige Rückmeldungen auf die Qualität
der Aufgabenlösungen haben ebenfalls positive Effekte auf Motivation und Aktivität.
Erwartung 2: Größere Verarbeitungstiefe,
besseres Verstehen uod mehr Aowendung. Das Ineinandergreifen einer persönengebundenen
und authentischen Face-toFace-Darstellung komplexer Inhalte durch einen Dozenten, einer hypertextuellen Aufbereitung derselben Inhalte und einer kooperativen Bearbeitung dazugehöriger Aufgaben führt dazu, dass verschiedene Repräsentationsmodi
sowie zeitgebundene und
zeitunabhängige Darstellungsformen von Wissen miteinander kombiniert werden. Die
bereits genannten teilweisen Überlappungen und komplementären Ergänzungen der
verschiedenen Elemente der semivirtuellen Vorlesung im Sinne einer Überdeterminiertheit erweitern die Möglichkeiten individueller Informationsverarbeitung
und vergrößern die Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung.
Und je tiefer neue Inhalte verarbeitet werden, desto besser werden diese verstanden45; damit steigt wiederum die
Wahrscheinlichkeit, dass das Gelernte auch praktisch zur Anwendung kommt.
Erwartung 3: Aufbau von Fähigkeiten zum e-Learning. Als ein Prototyp des Blended
Learning fängt die semivirtuelle Vorlesung infolge der Kombination von Präsenzlehre
und virtuellem Lernen typische Probleme des e-Learning wie Überforderung
oder
Motivationsdefizite auf, insbesondere wenn es sich bei den zu vermitteltenden Lerninhalten um komplexe Sachverhalte handelt. Die Kombination von Face-to-Face-Veranstaltungen und virtuellen Lerneinheiten erleichtert den Aufbau von Fertigkeiten im
Umgang mit elektronisch verfügbaren Lehr-Lernangeboten
und berücksichtigt damit
das oft übersehene Problem, dass virtuelles Lernen Lern- und Medienkompetenz erfordert, die im Allgemeinen erst durch eigenverantwortliches
Lernen mit neuen Medien entwickelt und nicht überall als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.
12.3 Medien, Methoden und pädagogisches
Grundkonzept
In Kapitel 11 haben wir bei der Beschreibung der Integrationskraft des Blended Learning (vgl. Abschnitt 8.3) auf die drei Ebenen "Grundauffassung zum Lernen und Lehren" (normative Ebene), "methodische Vorgehensweisen"
zur Realisierung bestimmter Ziele innerhalb der Grundauffassung (strategische Ebene) und "Medienwahl und gestaltung" (operative Ebene) verwiesen. Für die Darstellung der semivirtuellen Vorlesung als einem Prototyp des Blended Learning in der Hochschule wollen wir auf
diese drei Ebenen zurückgreifen.
Das Medienarrangement.
Die semivirtuelle Vorlesung umfasst im Sinne eines Hybridarrangements erstens Präsenzelemente
in Form von klassischen Vorlesungsterminen, zweitens ein Offline-Element
in Form einer CD-ROM und drittens ein Online45
im Sinne einer kohärenten, vernetzten Wissensstruktur.
55
Element in Form einer Lernplattform (BSCW). Bei den Präsenzterminen (die alle zwei
Wochen stattfinden) wird jeweils ein Überblick über den aktuellen Themenblock gegeben, der mit Bildmaterial46 begleitet wird; es besteht die Möglichkeit zum Fragen
und Diskutieren der aktuellen Vorlesungsinhalte sowie der vorangegangenen
Inhalte;
zudem können bei Bedarf zeitnahe Geschehnisse47 eingebaut werden. Auf der CDROM finden die Studierenden zu jedem Themenblock einen Hypertext - eingeleitet
durch eine Übersichtsgrafik,
in der die Zusammenhänge
der einzelnen Inhalte dargestellt sind und von der aus einzelne Inhalte (sog. Informationsblöcke)
angeklickt
werden können. Die CD-ROM enthält darüber hinaus eine Einführung in die Gesamtthematik und in den neuen Veranstaltungstyp
der semivirtuellen Vorlesung sowie
Literaturverweise und weiterführende Links zu passenden Inhalten anderer Fakultäten und Fachbereiche48. Das BSCW dient zum einen als Ablage aktueller Informationen wie Zeitplan und Aufgaben49; zum anderen ist das BSCW der virtuelle "Raum", in
den die Studierenden ihre Lösungen zu den Aufgaben stellen und die Dozentin die
Bewertung der Lösungen zugänglich macht; schließlich gibt es im BSCW in eigens
definierten Bereichen die Möglichkeit, Fragen an die Dozentin zu stellen und untereinander (asynchron) zu diskutieren.
Abbildung 7 zeigt noch einmal die drei medialen Elemente, die das Gerüst der semivirtuellen Vorlesung bilden, und wie sie zueinander stehen bzw. welche Funktionen
sie erfüllen.
Beide Eiementedienen
der Wissensvermittlung/dem Aufbau
mentaler Modelle
Beide Elemente dienen
der Kommunikation/
Interaktion (diskutieren,
fragen etc.)
Abb. 7: Das mediale Grundgerüst der semivirtuellen
Vorlesung
Bevorzugt wurden neben einigen grafisch aufbereiteten Übersichten vor allem visuelle Metaphern
und/oder Analogien (im Gegensatz zu logischen Grafiken auf der CD-ROM).
471n unserem Fall konnte durch die Präsenzelemente z.B. der Amoklauf in Erfurt (Frühsommer 2001)
thematisiert und mit den Vorlesungsinhalten verknüpft werden.
48 Ausschnitte aus der CD-ROM finden Sie unter der URL: www.semivirtuell.de
49 In unserem Fall waren die Aufgaben zusätzlich auf der CD-ROM integriert, sodass diese online und
offline abgerufen werden konnten.
46
56
Das methodische Vorgehen. Die Wahl der Medien und der damit zusammenhängenden Organisationsformen
des Lernens ist - wie an anderer Stelle bereits gezeigt
wurde (vgl. Abschnitt 8.3) - nicht unabhängig von Entscheidungen, die das methodische Vorgehen (im engeren Sinne) betreffen. J.>ie Präsenzphasen
beinhalten die
klassische Form der Informationsvermittlung,
indem über die jeweiligen Inhalte referiert wird; die Studierenden sind dabei in einer eher reze tiven Position. Allerdings
werden die Studierenden von Anfang an zu Fragen und Diskussionen (auch spontan
innerhalb einer Argumentationslinie,
nicht erst am Ende der Veranstaltung)
aufgefordert. Möglich ist dieses "Zugeständnis", weil etwaige Auslassungen aufgrund eines
hohen Diskussionsanteils nicht weiter ins Gewicht fallen, wenn die wichtigsten Inhalte
auch auf einem anderen Medium (hier der CD-ROM) sicher zur Verfügung stehen. In
der nach jedem Präsenztermin sich anschließenden
Selbstlernphase
arbeiten die
Studierenden zum einen individuell mi der CD-ROM anhand derßie den jeweiligen
Themenblock wiederholen, vor allem aber vertiefen können. Ebenfalls in die Selbstlernphase fällt die Bearbeitung einer problemorientierten
Aufgabe in jedem Themenblock (s.u.), die in Face-to-Face-Gruppen5o
erfolgt; die Lösungen werden zum jeweiligen Abgabetermin
ins BSCW gestellt. Informationsaufnahme
und Diskussion im
Plenum, selbstgesteuerte
Phasen des individuellen Lernens und selbstorganisierte
Gruppenarbeit erfolgen nach einer fest vorgegebenen T~ktung, die zu Semesterbeginn über einen (Online-)Zeitplan bekannt gemacht wird. Eine Schlüsselfunktion nehmen im Rahmen dieser Taktung die problemorientierten Aufgaben ein.
Die Schlüsselfunktion der problemorientierten
Aufgaben. Zu jedem der fünf Themenblöcke der semivirtuellen Vorlesung (vgl. Abschnitt 12.1) gibt es eine Aufgabe, in der
die Studierenden die neu erworbenen Inhalte anwenden sollen. Zudem müssen die
Studierenden eine Abschlussaufgabe
bearbeiten, in der es darum geht, die behandelten fünf Themenblöcke miteinander zu vernetzten. Den Anwendungscharakter
erhalten die Aufgaben dadurch, dass sie zum einen in möglichst authentische Kontexte
eingebettet sind, die für die Studierenden auch nachempfunden werden können, und
dass sie zum anderen eine praktische Umsetzung im Rahmen der authentischen
Kontexte erfordern. Das nachfolgende Beispiel der Aufgabe zum Themenblock "Medien und Organisation" (Kasten 1) kann dies veranschaulichen.
Kasten1: Beispiel für eine problemorientierte
Aufgabe
Einleitung: Organisationsentwicklung
mit neuen Medien ist für die Medienpädagogik
ein
bislang kaum betretenes Feld. Als Teildisziplin der Pädagogik muss es aber im Interesse
der Medienpädagogik
sein, dass die durch die neuen Medien forcierten Veränderungsund Entwicklungsprozesse
in Bildungsinstitutionen
wie Schule und Hochschule in eine
Richtung gehen, die mit pädagogischen (und psychologischen)
Annahmen und Vorstellungen zu Lernen, Lehren, Bildung und Erziehung konform gehen. Von daher ist ein "Mitdenken" seitens der Medienpädagogen etwa bei Themen wie "Virtuelle Hochschule" wichtig und wünschenswert.
Problemstellung51:
Stellen Sie sich vor, dass das Video labor der Universität Augsburg
zu einem Medienzentrum ausgebaut werden soll; ein Schwerpunkt dabei soll die interne
und externe Aus- und Weiterbildung
sein. Im Vorfeld dieses Entwicklungsprojekts
wird
Da es sich um Studierende einer Universität handelt, wäre eine virtuelle Gruppenarbeit eher künstlich gewesen. Allerdings haben sich etliche Gruppen auch der neuen Medien in der Gruppenarbeit
bedient, indem sie vor allem e-Mail bei der Aufgabenbearbeitung genutzt haben.
51 Hierbei handelt es sich um eine authentische Problemstellung, weil zum Zeitpunkt der Aufgabenbearbeitung Diskussionen zum Ausbau des Videolabors zu einem Medienzentrum in Gang waren.
50
57
von Seiten der Hochschulleitung ein schlüssiges Konzept erwartet. Für den Schwerpunkt
Aus- und Weiterbildung sollen darin zwei Beispiele (Typen) der Virtualisierung erkennbar
sein: eine on campus- und eine off campus-Variante. Den Entscheidern kommt es zudem
darauf an, dass Konzepte der Organisationsentwicklung
ebenso wie pädagogische Grundgedanken integriert sind und die Vor- und Nachteile beider Virtualisierungstypen
gegenübergestellt werden, um so eine vergleichende Diskussion führen zu können.
Instruktion:
Überlegen Sie sich in Ihrer Gruppe, wie der in der Problemstellung
genannte Teil des Konzepts aussehen könnte, in dem es um die interne und externe Ausund Weiterbildung als einer Aufgabe des neuen Medienzentrums geht. Versuchen Sie, die
geforderten Virtualisierungstypen
so zu formulieren, dass die Entscheider eine gute Diskussionsgrundlage haben. Beschränken Sie sich wenn möglich auch hier wieder auf ca. 2
Seiten. Verwenden Sie Word und Power Point und stellen Sie (wie gehabt) Ihre Lösungen
(L) mit Ihren Nachnamen als Dateiname(n)
in das Forum von Themenblock 4 (Bsp.:
L_Mueller_Meier_Schulze).
Wenn Sie die Aufgabe nur zur Selbstevaluation
bearbeiten,
kennzeichnen Sie Ihre Datei(n) bitte noch mit "SE" für "Selbstevaluation
(Beispiel:
SE_Mueller). Nutzen Sie für die Aufgabenbearbeitung
die Vorlesungsinhalte und den vorliegenden Hypertext, bei Bedarf auch den Hypertext von Themenblock 4 als Grundlage.
Ziehen Sie zudem weiterführende
Literatur hinzu, denn eine bloße Wiedergabe der hier
vorgestellten Inhalte ist nicht Ziel der Aufgabensteilung.
Beachten Sie den Kontext und
die zugrundeliegende
Problemstellung
der Aufgabe und gestalten Sie Ihre Lösung so,
dass Sie auf die vorgegebene Situation auch passt. Abgabetermin für die Aufgabenlösung
ist der 18.06.2002.
Ziel: Ziel der Aufgabenbearbeitung
ist es, dass Sie aktuelle Medienentwicklungen
und
deren Folgen für Organisationen mit pädagogisch-psychologischen
Konzepten zum organisationalen Lernen in Verbindung bringen können und den möglichen Beitrag der Medienpädagogik zu diesem Thema erkennen bzw. erarbeiten. Viel Erfolg!
Die problemorientierten
Aufgaben spielen in der semivirtuellen Vorlesung eine zentrale Rolle (vg.
elnmann-Rothmeier
& Mandl, 2001a) und können als "Lernaufgaben" mit mehrfacher Funktion verstanden werden. Nach Kerres et al. (2002) haben
Lernaufgaben in e-Learning-Angeboten
die Funktion der Aktivierung der Lernenden
und der Sicherung des Lernerfolgs: Die Aktivierung kann kognitiv, emotional-motiVä="
tionafüi1d/oder
in Bezug auf söZTale Interaktionen erfolgen. Bei der Sicherung des
Lernerfolgs geht es um Anwendung des Gelernten, um Übung neuer Inhalte und
Überprüfung des Gelernten. Die problemorientierten
Aufgaben in der semivirtuellen
Vorlesung erfüllen alle genannten Funktionen gleichzeitig: (a) Sie aktivieren kognitiv,
weil sich die Aufgaben nur sinnvoll bearbeiten lassen, wenn man die (face-to-face
und offline) dargebotenen Inhalte auch verstanden hat. (b) Sie aktivieren emotionalmotivationaI, weil die Aufgaben so gestellt sind, dass die Studierenden einen persönlichen Bezug zu den geforderten Inhalten haben oder herstellen können; zudem bewirkt die Online-Veröffentlichung
der Lösungen einen (positiven) Wettbewerb, der
motivierend ist und den man nicht gefühlsneutral absolvieren kann. (c) Sie aktivieren
durch soziale Interaktion, weil die Aufgaben in der Gruppe bearbeitet und mit anderen Gruppenlösungen
verglichen werden. (d) Sie haben Sicherungscharakter
in Bezug auf Anwendung, weil die Bearbeitung der Aufgaben einen ersten (Paper-Pencil-)
Transfer der neu erworbenen Inhalte auf eine realitätsnahe Problemstellung
erfordern. (e) Sie haben Sicherungscharakter
in Bezug auf Übung, weil die Aufgaben ein
zusätzliches (und nicht einzigartiges) Element für den Wissenserwerb sind und damit
eine wiederholte Auseinandersetzung
mit den Inhalten bewirken52. (f) Sie haben Sicherungscharakter
in Bezug auf Prüfung, weil die Lösung der Aufgaben (mit einem
Hier greift noch einmal die bereits beschriebene.Überdeterminiertheit"der didaktischen Elemente
(vgl. Abschnitt 12.1).
52
58
Punktesystem) bewertet wird und die Bearbeitung aller sechs Aufgaben eine abschließende Klausur ersetzt. Abbildung 8 (in Anlehnung an Kerres et al., 2002) fasst
die Funktionen der Aufgaben in der semivirtuellen Vorlesung zusammen.
Emot.-motivat.
(persönlicher Bezug
und Wettbewerb)
Übung
Problemorientierte
Aufgaben
SOZ.Interaktion
Prüfung
(Gruppenarbeit,
Gruppaber
enverglelch)
Abb. 8: Problemorientierte
(Aufgaben als zusätzliches Element)
(Aufgabenbewertung;
Klausurersatz )
Aufgaben
als zentrales
didaktisches
Element
Die zugrunde liegende pädagogische Auffassung. Das pädagogische Grundkonzept
der semivirtuellen Vorlesung, auf dem die geschilderten methodischen Vorgehensweisen und das gewählte Medienarrangement
fußt, entspricht einer gemäßigt-konstruktivistischen Auffassung, der zufolge Lernen ein aktiv-konstruktiver,
selbstgesteuerter, sozialer und situativer Prozess ist (vgl. Reinmann-Rothmeier
& Mandl, 2001 a).
Im Hinblick auf die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des Blended Learning lassen
sich diese Prozessmerkmale wie folgt beschreiben: (a) Die Studierenden rezipieren
die angebotenen medienpädagogischen
Inhalte nicht nur, sondern bauen aktiv und
konstruktiv mentale Modelle zu den einzelnen Themenblöcken
auf und/oder erweitern und verändern bereits bestehende Modelle. (b) Die Studierenden erarbeiten sich
die Inhalte weitgehend eigenständig und selbstgesteuert
und werden darin unterstützt, ihren Wissenserwerb
auch selbständig zu evaluieren. (c) Die Studierenden
praktizieren neben individuellem (selbstgesteuerten)
Lernen auch soziales bzw. kooperatives Lernen, indem sie vorgegebene AufgabensteIlungen
in Gruppen bearbeiten. (d) Die Studierenden erkennen beim Wissenserwerb erste anwendungsbezogene Anker, indem sie Aufgaben bearbeiten, die Anwendungsmöglichkeiten
des Gelernten aufzeigen; damit werden auch situative Aspekte in den Lernprozess aufgenommen. Die zugrunde liegende gemäßigt-konstruktivistische
Auffassung zeichnet
sich dadurch aus, dass sie anders als radikal-konstruktivistische
Ansätze nicht vollständig offene Lernumgebungen favorisiert, die den Lernenden allenfalls Aufgaben
Urid "Werkzeuge" zu derenLösung anbieten. Vielmehr integriert die hier gewählte
Position auch instruktionale Anleitung und Unterstützung,
wodurch die in offenen
Lernumgebungen erforderlichen
Selbstlernkompetenzen
schrittweise entwickelt werden können.
59
12.4 Technische Umsetzung und Ablauf
Die technische Umsetzung. Der technische Aufwand für die semivirtuelle Vorlesung
ist gering: Zur Erstellung der CD-ROM mit Hypertexten, Übersichtsgrafiken
und einer
an diesen Grafiken orientierten "guided tour,,53 wurde das Programm "Macromedia
Director" herangezogen. Durch die Programmierung
mit "Director" sind die Inhalte
der CD-ROM netzwerktauglich
und damit anschlussfähig für Weiterentwicklungen.
Als Lernplattform für die Online-Begleitung
von Präsenzveranstaltungen
und CDROM wurde auf das bereits mehrfach genan~
BSCW (Version 4.0) von der OrbiTeam Software GmbH54 zurückgegriffen:
Das BSCW ist eine stabile, anwenderfreundliche und an der Hochschule bereits seit längerem bewährte Software, die für
die Nutzung in der Hochschullehre kostenfrei ist. Der Online-Betrieb lief in der Pilotdurchführung (2002) über den Server der TU München (Lehrstuhl für Angewandte
Informatik). Die technischen Investitionen für die Online-Komponente
der semivirtuellen Vorlesung halten sich damit in einem bescheidenen Rahmen; die Anschaffung
eines zusätzlichen BSCW-Servers
ist zwar empfehlenswert,
aber nicht zwingend
notwendig55. Die Nutzung des BSCW setzt (sowohl bei den Lernenden als auch beim
Lehrenden) nur geringe technische Fertigkeiten voraus: Allenfalls der Umgang mit
Internet-Browsern und e-Mail-Programmen
muss vorausgesetzt werden. Für die Gestaltung der Arbeitsbereiche im BSCW sind keine speziellen Kenntnisse erforderlich.
Gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten braucht man für die Gestaltung und Programmierung der CD-ROM. Hat man jedoch ein fertiges Manuskript, konkrete Grafikvorstellungen (was man mit Word und PowerPoint machen kann) sowie genaue Anleitungen zur Umsetzung, kann man diese Tätigkeiten auch "outsourcen"; unter den
genannten Bedingungen (funktionales Niveau, ausgearbeitete Ausgangsmaterialien,
konkrete Anleitungen) halten sich die Kosten auch hier in vertretbaren Grenzen.
Das Vorlesungsportal. Für die semivirtuelle Vorlesung gibt es ein Vorlesungsportal,
auf das man von der Homepage für Medienpädagogik an der Universität Augsburg56
gelangt und das zu "Wiedererkennungszwecken"
ähnlich gestaltet ist wie die Homepage. Auf diesem Vorlesungs portal finden die Studierenden zum einen eine Zugangsmöglichkeit
zum BSCW, wofür ein Passwort gebraucht wird, sodass nur die
von der Dozentin eingeladenen Studierenden auf das On line-Element der Veranstaltung zugreifen können. Zum anderen befinden sich auf dem Vorlesungsportal
Hilfen
in Form von Erläuterungen zur Handhabung des BSCW sowie eine PowerPoint-Präsentation, in der das Einloggen, Anmelden etc. Schritt für Schritt dargestellt ist. Zudem kann man das Vorlesungsportal
auch für andere aktuelle Zwecke nutzen; so
haben wir an dieser Stelle z.B. Fragebögen für die Evaluation der semivirtuellen Vorlesung platziert. Abbildung 9 zeigt das Vorlesungsportal im Sommersemester 2002.
Mit "guided tour" ist gemeint, dass dem Nutzer auch innerhalb der CD-ROM ein bestimmter Weg
durch die Inhalte nahegelegt wird (im Gegensatz zu einem völlig freien "Browsen").
54 Siehe auch: www.orbiteam.de/
55 Das BSCW kann auch auf bereits bestehende Server installiert werden, wenn die Kapazitäten damit
nicht überschritlen werden.
56 htlp:/Iwww.philso.uni-augsburg.de/web2/medienpaed/index.htm
53
60
.
/'
" -"
.'
:
:o.·Hilfen
Abb. 9: Portal zur semivirtuellen
Vorlesung
Der Ablauf. Im Folgenden soll zur Veranschaulichung
gezeigt werden, wie man sich
den konkreten Ablauf einer semivirtuellen Vorlesung vorstellen kann: Bei der ersten
Präsenzveranstaltung
erfolgt eine Einführung in die Inhalte und in die Methodik des
Seminars (anhand der CD-ROM) sowie eine Einführung in den Umgang mit dem
BSCW. In der darauf folgenden Woche wird die CD-ROM (zu "Skriptpreis") verkauft
und die Studierenden werden zum BSCW eingeladen. In diesem Zeitraum werden
zudem eine e-Mail-Adressen-Verwaltung
eingerichtet und ein Punktesystem für die
Bewertungen der Aufgabenbearbeitungen
ausgearbeitet. Für "Nachzügler" gibt es in
der darauf folgenden Woche für die genannten Aspekte noch einmal einen zweiten
Termin5? Im Anschluss daran erfolgen die Face-to-Face-Veranstaltungen
(in Form
klassischer Vorlesungen) im Zwei-Wachen-Rhythmus;
zwischen jeweils zwei Vorlesungsterminen sind virtuelle Selbstlernphasen einschließlich kooperativer Aufgabenbearbeitung integriert. Nach jeder selbstgesteuerten und kooperativen Phase können
in der Face-to-Face-Sitzung
zum letzten Themenblock Fragen gestellt und Statements abgegeben werden. Die Aufgaben werden in (Face-to-Face-)Gruppen
zwischen zwei Präsenzveranstaltungen
bearbeitet; jede Gruppe stellt ihre Lösung im
vorgegebenen Zeitrahmen in das dafür eingerichtete Forum des BSCW. Die Gruppenlösungen sind zu jeder Zeit für alle transparent; unauffälliges "Abschreiben" ist
dennoch kaum möglich, weil für alle sichtbar das Datum erscheint, zu dem die Lösung ins BSCW gestellt wurde. Nach Ablauf des Abgabetermins wird jede Lösung
(ebenfalls für alle sichtbar) in Form einer Tabelle mit einer bestimmten Punktzahl
Eine solche Planung hat sich als realistisch herausgestellt, weil erfahrungsgemäß viele Studierende
(der Geistes- und Sozialwissenschaften!) in der ersten Semesterwoche noch .auf der Suche" sind.
57
61
(innerhalb von drei bis vier Tagen) bewertet. Im nachfolgenden
Kasten (Kasten2)
wird beispielhaft gezeigt, wie ein Punktesystem für eine Veranstaltung wie die semivirtuelle Vorlesung aussehen kann. Die Gruppen sammeln auf diese Weise bis zum
Semesterende
Punkte, für die es nach einem vorher festgelegten
und allen bekannten Notenschlüssel am Ende einen benoteten Schein gibt. Die letzte Face-toFace-Veranstaltung ist einer abschließenden Diskussion gewidmet.
Kasten 2: Bewertungsverfahren
Jede Lösung (insgesamt
wertet
o
1
2
3
4
P=
P=
P=
P=
P=
in der semivirtuellen
6 Lösungen) wird mit Punkten
Vorlesung
nach folgendem
Schlüssel be-
nicht akzeptierte Lösung
gerade noch akzeptierte Lösung
mittelmäßige Lösung
gute Lösung
hervorragende Lösung
Bei der Bewertung
der Lösungen wird darauf geachtet,
ob und inwieweit die wiedergegebenen Inhalte korrekt sind,
wie übersichtlich und verständlich die Inhalte aufgearbeitet wurden,
wie gut die Lösung zur Aufgabe "passte" und ein Transfer vom abstrakten
praktisch orientierten Problemstellung gelungen ist.
Inhalt zur
Nach jedem Themenblock und jeder "Bewertungsrunde"
werden ein allgemeiner Kommentar zur Qualität der Lösungen verfasst und die Gründe für die Punktevergabe dargelegt. Für die Noten der Teilnehmer werden die Punkte aller Aufgabenbearbeitungen
zusammengezählt. Insgesamt können 24 Punkte erreicht werden; ein Notenschlüssel regelt die Noten je nach erreichter Punktzahl.
13. Die Evaluation: Ergebnisse und Erfahrungen
Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wurde, haben wir die semivirtuelle
Vorlesung im Sommersemester
2002 erstmals durchgeführt. Zielgruppe waren bei
der Pilotdurchführung
135 Studierende der Medienpädagogik.
Während der Pilotierung wurde eine umfangreiche Evaluation durchgeführt, die zum einen einem praktischen Interesse, nämlich dem Qualitätsmanagement
der semivirtuellen Vorlesung,
zum anderen aber auch einem wissenschaftlichen
Erkenntnisinteresse
diente - was
sich stellenweise natürlich auch überlappt hat. Im Folgenden sollen das Evaluationskonzept, die Evaluationsmethoden
und die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt werden. Zudem kann und soll an hand der Erfahrungen und Ergebnisse aus der Evaluation noch einmal die Frage aufgegriffen werden, in welcher Weise mit der semivirtuelIen Vorlesung eine didaktische Innovation in der Hochschullehre entstanden ist
oder entstehen kann.
62
13.1 Das Evaluationskonzept
Evaluation als Qualitätssicherung
und -entwicklung. Insgesamt betrachtet war die
Evaluation der semivirtuellen Vorlesung weniger eine summative Analyse im Sinne
eines einmaligen Forschungsvorhabens
als vielmehr eine formative Bewertung im
Sinne des Qualitätsmanagements
(siehe auch Abschnitt 19.1), bestehend aus Qualitätssicherung58 und Qualitätsentwicklung59
(vgl. Reinmann-Rothmeier,
2000). Im Vordergrund stand also nicht so sehr eine abschließende wissenschaftliche Beurteilung,
sondern eine prozessbegleitende
Optimierung der semivirtuellen Vorlesung: Mittels
der Evaluation soll der Prototyp des Blended Learning auch in weiteren Anwendungen zunehmend an studentische Bedürfnisse angepasst und soweit verbessert werden, dass der oben skizzierte Nutzen (vgl. Abschnitt 12.4) schrittweise erreicht wird.
Ziel ist also die Sicherstellung und Optimierung der didaktischen Qualität im gegee:.-t>enen Kontext. Eingebettet in diesen formativen Charakter der Evaluation war allerdings auch ein wissenschaftliches
Erkenntnisinteresse
zu mehreren Fragen, die die
Gestaltung des Evaluationsdesigns
sowie die Auswahl und Ausgestaltung der Evaluationsmethoden beeinflusst haben.
Die Forschungsfragen6o.
Zunächst ging es uns bei der Evaluation um die Akzeptanz
und andere emotionale Aspekte sowie um die Frage der Einstellung zu virtuellen
Lernangeboten. Dies ist deshalb von Interesse, weil wir die begründete Vermutung
hatten, dass die Teilnehmer der semivirtuellen Vorlesung wenig Medienkompetenz
im Zusammenhang mit e-Learning und von daher eine eher skeptische Haltung mitbringen würden. In dem Zusammenhang
sollte eruiert werden, ob die semivirtuelle
Vorlesung dazu beitragen kann, mögliche Blockaden gegenüber e-Learning-Angeboten abzubauen und negative Einstellungen in eine positive Richtung-zu verän-dern.
~ Des Weiteren wollten wir wissen, welche kognitiven Wirkungen diesemivi
uel e Vorc:lesung hat: Eine Frage ging dahin, ob und inwieweit die Stuaierenden mit der Teilnahme an der semivirtuellen Vorlesung Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Lernangeboten aufgebaut haben; eine weitere Frage beschäftigte sich mit dem Wissenszuwachs in einzelnen Themenblöcken
und mit dem Aufbau von Handlungskompetenz im Sinne der Fähigkeit, das erworbene Wissen auch anzuwenden. Zudem sollte'Untersucht werden, welche didaktischen Elemente diese kognitiven Veränderungen
(wenn es denn welche gibt) unterstützen können. Schließlich ging es darum, nach
der ersten Durchführung der semivirtuellen Vorlesung seitens des Projektteams einzuschätzen, wie gut sich dieser Prototyp des Blended Learning im regulären Lehrbetrieb inhaltlich und methodisch integrieren lässt und ob sich der Aufwand in zumutbaren Grenzen hält. Last but not least stellt sich (uns) die Frage, ob sich das Blended
Learning in dieser Form - trotz oder wegen seiner hohen Flexibilität - auch eine didaktische Innovation in der Hochschule ist oder werden kann61.
also die Gewährleistung, dass eine einmal erreichte Qualität erhalten bleibt.
also Maßnahmen zur Steigerung der Qualität.
60 Anstelle von .Forschungsfragen" kann man bei einem vorrangig praktischen (Optimierungs-)
Interesse auch von Evaluationszielen und -kriterien sprechen.
61 Dieser Aspekt wird separat in Abschnitt 13.3 behandelt.
58
59
63
Das Evaluationsdesign.
Da wir sowohl an emotional-motivationalen
als auch an kognitiven Veränderungen
interessiert waren, musste/} zwei Untersuchungszeitpunkte_
gewählt werden, nämlich der Beginn und das Ende der semivirtuellen Vorlesung. Eingesetzt wurden schriftliche Befragun en (vor und nach der Veranstaltung) mit Selbsteinsc ätzungej(Zudem
bestand (nach Semesterende) die Möglichkeit erner freien
·Rüclmlelaung in einem dafür eingerichteten BSCW-Forum. Ergänzend dazu wurden
Methoden eingesetzt, die neben Selbsteinschätzungen
auch intersubjektiv nachvollziehbare Daten erbringen, nämlic~n
Vorwissenstest, eine Analyse der Aufgabenlösungen sowie (Online- )Beobachtungen
während des Semesters
Die Bewertung
aN\ffiTschiedenen
didaktischen Elemente durch die Studierenden erfolgte ebenfalls
schriftlich am Ende der Veranstaltung; hierbei haben wir zu allen eingesetzten Medien und Methoden mit Hilfe geschlossener und offener Fragen Rückmeldungen der
Lernenden eingefordert, die in die Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung
einfließen62. Eine Analyse verschiedener Aspekte wie Anschlussfähigkeit
und Innovationspotential derserii"i.;lrtuellen Vorlesung erforderte eine Gegenüberstellung
er
-Erfahrungen bei der Durchführung mit den theoretischen Kriterien, wie sie im ersten
und zweiten Kapitel dieses Buches zusammengestellt sind.
Die Evaluationsmethoden.
Zu Semesterbeginn wurde eine schriftliche Befragung viCl
Fragebogen durchgeführt, in der die Studierenden ihr medienpädagogisches
Vorwissen, emotionale Aspekte sowie ihre Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Lernangeboten einschätzten sowie eine Reihe von Fragen zu den einzelnen Themenblöcken
im Sinne eines (kleinen) Vorwissenstests
beantworteten63. Während des Semesters
wurden via Online-Beobachtung
die Anzahl und Qualität der eingegangenen Aufgabenlösungen sowie die Drop-out-Rate dokumentiert; auch Geschehnisse wie Fragen,
Statements u.ä. in der Face-to-Face-Vorlesung
wurden beobachtet. Am Semesterende schätzten die Studierenden erneut via Fragebogen64 Veränderungen in ihrer Einstellung, im Wissenserwerb
und in verschiedenen
Fähigkeiten sowie die verschiedenen didaktischen Elemente der semivirtuellen Vorlesung hinsichtlich ihrer "Brauchbarkeit" für den Lernprozess ein. Die Lösungen zur letzten themenübergreifenden
AufgabensteIlung sowie die freien Rückmeldungen im BSCW-Forum wurden einer Inhaltsanalyse unterzogen.
Diese Rückmeldungen werden im Folgenden nicht näher vorgestellt, weil sie nur verstanden werden
können, wenn man alle Details der Gestaltung der semivirtuellen Vorlesung auf der Mikroebene kennt,
die in dieser Form nicht Inhalt des vorliegenden Buches waren.
63 Bei der Vorbefragung wurden 144 Fragebögen ausgewertet; teilgenommen haben aber nur 135
Studierende; 6 Studierende sind folglich nach der Vorbefragung abgesprungen.
64 Bei der Abschlussbefragung konnten 112 Fragebogen ausgewertet werden; bis zum Ende
teilgenommen haben 130 Studierende; 18 Studierende haben den Fragebogen also nicht oder zu spät
abgegeben.
62
64
13.2 Die Evaluationsergebnisse
Im Folgenden werden Ausschnitte aus den Ergebnissen der Evaluation - bezogen
auf die oben genannten Forschungsfragen
- zusammenfassend
dargestellt65. Wir
werden an dieser Stelle nur auf solche Ergebnisse eingehen, auf deren Grundlage
man Aussagen über die in Kapitel 11und Kapitel 111beschriebenen angenommenen
Vorteile des Blended Learning in der Hochschullehre treffen kann. Über diese Ergebnisse hinaus haben wir in der Evaluation zahlreiche Hinweise für die Verbesserung
des Präsenz-Elements,
der CD-ROM wie auch der Gestaltung des Online-Elements
erhalten, die in die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung einfließen, an dieser Stelle aber nicht weiter dargestellt werden.
Vorerfahrungen mit e-Learning. In der Vorbefragung zu Beginn der semivirtuellen
Vorlesung wollten wir von den Studierenden wissen, welche Vorerfahrung sie mit eLearning im Sinne des Lernens mit neuen Medien haben. Diese Frage erschien uns
deshalb sinnvoll, weil man davon ausgehen kann, dass mangelnde Erfahrung tendenziell eher negative Gefühle gegenüber virtuellen Lernangeboten bewirkt. Die Antworten haben ergeben, dass - wie erwartet - nur 11,8 % der Veranstaltungsteilnehmer bereits ein paar Mal mit virtuellen Lehr-Lernangeboten
gearbeitet haben,
während über 88 % keine oder kaum Erfahrung mit e-Learning aufweisen. Tabelle 3
gibt die Verteilung der Antworten wieder.
Tabelle 3: Vorerfahrungen mit e-Learning
Haben Sie bereits mit virtuellen
Lehr·Lernangeboten
gearbeitet?
59,7%
28,5%
11,8 %
0%
Antwortmöglichkeiten
noch nie
ein Mal
ein paar Mal
schon oft
Sorge und Überforderung. Ebenfalls zu Beginn der semivirtuellen Vorlesung haben
wir die Studierenden danach gefragt, ob sie in Bezug auf die Veranstaltungsteilnahme besorgt sind, z.B. wegen möglicher Überforderung oder zu hoher Arbeitsbelastung infolge des neuen mediendidaktischen
und methodischen Ansatzes der Veranstaltung. 31,5 % haben angegeben, dass sie die semivirtuelle Vorlesung mit Sorge
beginnen; die restlichen 68,5 % waren in dieser Hinsicht nicht besorgt. Angesichts
der fehlenden Vorerfahrung ist der Prozentsatz der "besorgten Studierenden" nicht
übermäßig groß; für die Durchführung der Veranstaltung ist es dennoch von großer
Bedeutung, dass sich fast ein Drittel der Teilnehmer vor Überforderung oder zu hoher
Arbeitsbelastung fürchten. Die folgende Abbildung zeigt die Verteilung der Antworten.
65
Eine detaillierte Darstellung der Evaluationsergebnisse findet sich bei Faust (in Vorbereitung).
65
trifft völlig zu
trifft eher nicht zu
trifft weitgehend zu
-
Ich beginne die
Teilnahme an der
semivirtuellen
Vorlesung mit
Sorge.
trifft gar nicht zu
Abb. 10: Besorgte Studierenden zu Beginn der semivirtuellen Vorlesung
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass lediglich 17% der Studierenden nach
Abschluss der semivirtuellen Vorlesung angegeben haben, manchmal (in seltenen
Fällen auch oft) von der Methodik des Blended Learning tatsächlich überfordert gewesen zu sein, während die große Mehrheit der Studierenden selten oder nie eine
derartige Überforderung während des Semesters erlebt haben. Im Vergleich zur Vorbefragung kann man eine tendenzielle Reduktion negativer Gefühle in Bezug auf die
semivirtuelle Vorlesung feststellen. Abbildung 11 zeigt die Ergebnisse im Einzelnen.
----
-
50,0%1
40,0%-
JO,O'l"-
2O,O'l"-
10'0%1
I
.....,....
nie
seilen
manchmal
Wann fühlten Sie sich
im Rahmen der sem ivirtuellen Vorlesung
von der Methodik
überfordert?
oft
Abb. 11: Überforderung durch die Methodik der semivirtuellen Vorlesung
Einstellungsänderung.
Sowohl in der Vorbefragung
als auch in der Befragung am
Ende der Veranstaltung haben wir die Studierenden explizit nach ihrer Einstellung zu
virtuellen Lehr-Lernangeboten
im Vergleich zu traditionellen Veranstaltungen an der
66
Hochschule befragt. Vor der semivirtuellen Vorlesung gaben immerhin 20,2 % der
Befragten an, dass ihnen eine "normale Vorlesung" tendenziell lieber wäre. Nach der
semivirtuellen Vorlesung waren nur noch 1,8 % dieser Meinung. Konform geht dieses
Ergebnis auf der Basis subjektiver Einschätzungen mit der beobachteten Dropt-outRate von unter 4 % - eine Zahl, von der man in traditionellen Vorlesungen Uedenfalls
in den Geistes- und Sozialwissenschaften)
in der Regel nur träumen kann. Die genaue Verteilung der Antworten auf diese beiden Einstellungsfragen zeigt Tabelle 4.
Tabelle 4: Einstellung zu virtuellen Anteilen vor und nach der semivirtuellen Vorlesung
Eine "normale" Vorlesung wäre
mir lieber (vorher)
2,8 %
Eine "normale" Vorlesung wäre
mir lieber gewesen (nachher)
0%
Antwortmöglichkeiten
trifft völlig zu
17,4 %
66,7 %
1,8 %
39,3 %
trifft weitgehend zu
trifft eher nicht zu
13,2 %
58,9 %
trifft gar nicht zu
Diese Ergebnisse bescheinigen der Pilotdurchführung
der semivirtuellen Vorlesung
zum einen eine hohe Akzeptanz; zum anderen kann sogar gefolgert werden, dass
die Einstellung gegenüber virtuellen Lehr-Lernangeboten
in der Hochschule durch
die Teilnahme an der semivirtuellen Vorlesung positiv beeinflusst wurde. Unterstrichen wird Letzteres dadurch, dass fast alle Studierenden (98,2 %) in der Abschlussbefragung angaben, in Zukunft gerne ähnliche Veranstaltungen wie die semivirtuelle
Vorlesung besuchen zu wollen. Dazu kommt, dass mehr als 50 % der Studierenden
ihre Ansicht zu virtuellen Lernangeboten in der Hochschule in eine Richtung geändert haben, die für mehr Online-Zugriff auf Lehr-Lerninhalte sowie für eine stärkere
Nutzung der neuen Medien für Interaktion und Kommunikation in der Hochschullehre
spricht. Abbildung 12 zeigt die Veränderungen
in den Einstellungen zwischen der
Vorbefragung und der Abschlussbefragung.
100
GA
Meinungszuwachs
/
nachher
I Meinung
vorher
I
Abb. 12: Veränderung der Einstellung gegenüber
e-Learning an der Hochschule
67
Von Akzeptanzproblemen,
wie man sie z.B. beim e-Learning in Unternehmen kennt,
kann beim Blended Learning in der Hochschullehre im hier geschilderten Fall also
keine Rede sein. Im Gegenteil: Vielmehr erhöhen die Studierenden ihre Erwartungen
und Anforderungen an den Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre
nach
ihren Erfahrungen mit einem Prototyp des Blended Learning wie ihn die semivirtuelle
Vorlesung darstellt.
Aufbau von Fähigkeiten im Umgang mit e-Learning-Angeboten.
Zu Beginn der Veranstaltung schätzten die Studierenden ihre Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen
Lehr-Lernangeboten
hauptsächlich als "mittelmäßig" ein (63,4 %); nur 12 % hielten
ihre Fähigkeiten diesbezüglich
für hoch bis sehr hoch, während 24,6 % sogar
meinten, diese seien gering bis sehr gering. Angesichts der defizitären Vorerfahrungen mit e-Learning-Angeboten
(siehe oben) deutet dies auf eine realistische Selbsteinschätzung der Studierenden hin. Unsere Beobachtungen
im Verlauf der Pilotdurchführung haben ergeben, dass es im Umgang mit den virtuellen Elementen der
Vorlesung (CD-ROM und BSCW) kaum Schwierigkeiten gab. Bei der Abschlussbefragung hatten 71,5 % der Studierenden das Gefühl, dass sich ihre technischen
Fertigkeiten im Umgang mit dem Online-Element (BSCW) etwas oder sehr verbessert haben; beim Offline-Element (CD-ROM) waren nur knapp über 30 % dieser Ansicht. Hier liegt der Schluss nahe, dass die CD-ROM - wie erhofft - selbsterklärend
war, und die für das BSCW erforderlichen technischen Fertigkeiten im Prozess des
Lernens problemlos erworben werden konnten. Neben der Verbesserung technischer
Fertigkeiten haben wir in der Abschlussbefragung
auch nach einer möglichen Erhöhung der Nutzungsstrategien
mit dem Online- und dem Offline-Element beim Lernen gefragt: Hier gaben 71,5 % an, dass sich ihre Strategien bei der Nutzung des
BSCW verbessert haben; bei der Nutzung der CD-ROM sahen 47,3 % verbesserte
Nutzungsstrategien .
Wissenszuwachs
und Aufbau von Handlungskompetenz.
In Bezug auf den Erwerb
inhaltlichen Wissens haben wir die Studierenden vor der Vorlesung um eine Selbsteinschätzung des Wissensstands in den fünf Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung gebeten: Dabei zeigte sich, dass der Wissensstand
insgesamt betrachtet
nicht sonderlich hoch, in den Bereichen Medienwirkungsforschung
und Medienkompetenz noch am höchsten eingeschätzt wurde66. Die Ergebnisse des Vorwissenstests stützen diese Selbsteinschätzung
allerdings nur bedingt und verweisen auf
einen eher niedrigen Vorwissensstand zu den Inhalten der Veranstaltung. Interessant
ist an dieser Stelle vor allem die Einschätzung der Studierenden im Hinblick auf den
Wissenszuwachs durch die semivirtuelle Vorlesung: Mit einigen Schwankungen bei
den einzelnen Themenblöcken
waren die Studierenden mehrheitlich der Ansicht,
dass sie bei den Inhalten der Vorlesung einen hohen bis sehr hohen Wissenszuwachs erreichen konnten. Abbildung 1367 veranschaulicht
den Wissenszuwachs
in
den verschiedenen Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung, wie ihn die Studierenden selbst einschätzten.
Dies stimmt auch damit überein, dass in den Semestern vor 2001 die meisten Seminare zu diesen
Schwerpunkten angeboten wurden.
67 Bei "Lernen/Lehren mit Medien" machen 0,9 % keine Angaben.
66
68
Wissenszuwachs
zum Thema
l
Farbe
Evaluation % •••••••••••
_
•
mitteil sehr groß
11I ge'n9
I
C
I.·..•·..•.•1••••••••
I
,eh, ge,n91
Organisationsent••
wicklung mit Medien %
LernenILehren
mit Medien %
Medienkompetenz
%
_)1••••••••••••
I
-I••••••••••••
I
Medienwirkungsforschung %
~riQilM==~
••••
I
_
,
25
--,50
75
100
Abb. 13: Einschätzung des Wissenszuwachses nach der
semivirtuellen Vorlesung
Unterstützt wird die Selbsteinschätzung
des Wissenszuwachses
durch eine Analyse
der Lösungen zu den problemorientierten
Aufgaben, die in jedem Themenblock gesteilt wurden: Fast alle Lösungen zeichneten sich durch keine oder geringe Fehlerhaftigkeit in der Verwendung theoretischer Konzepte aus. Zudem zeigte sich, dass
die Studierenden in der Lage waren, die erworbenen Konzepte in konkreten Kontexten sinnvoll anzuwenden und kreativ umzusetzen, was neben dem Wissenszuwachs
auch auf einen Aufbau von Handlungskompetenz68
hindeutet. Schließlich verweisen
die Lösungen in der Abschlussaufgabe,
die eine Vernetzung der "mentalen Modelle"
aus den vorangegangenen Themenblöcken erforderte, darauf, dass es der Mehrheit
der Studierenden gelungen ist, die neu erworbenen Inhalte auch zu vernetzen und
bei der Bearbeitung einer authentischen Problemstellung sinnvoll zueinander in Bezug zu setzen69.
Unterstützung des Lernens durch verschiedene didaktische Elemente. Nach Ansicht
der Studierenden waren für den Wissenserwerb in der semivirtuellen Vorlesung sowohl die verschiedenen Repräsentationsarten
der Lehr-Lerninhalte als auch die (damit zusammenhängende)
Medien- und Methoden-Mischung
von Bedeutung. Fast alle
Studierenden (99,1 %) waren der Ansicht, dass die verschiedenen Formen der Repräsentation von Wissen (insbesondere in der Vorlesung und auf der CD-ROM) beim
Lernen geholfen haben. Alle drei wesentlichen Elemente der semivirtuellen Vorlesung - das Face-to-Face-Element,
das Offline-Element (CD-ROM) und das OnlineElement (BSCW) - wurden als wichtig für das Lernen erachtet: Die meisten Befragten (92 %) hielten die CD-ROM für wichtig bis sehr wichtig für das Lernen. Beim
66 Handlungskompetenz meint an dieser Stelle die Fähigkeit, das Gelernte in einer problemorientierten
Aufgabe anzuwenden (im Gegensatz zu einer bloßen Reproduktion neu erworbener Inhalte).
69 Zwar gibt es bei den Lösungen zu problemorientierten Aufgaben kein eindeutiges "richtig" oder
.,falsch"; bei der Bewertung der Aufgabenlösungen lässt sich jedoch durchaus die Qualität einer
Lösung bewerten; dies erfolgte bei der Pilotierung mit einem Punkteschlüssel von 0 (nicht akzeptierte
Lösung) bis 4 (hervorragende Lösung), wobei 80% der Abschlusslösungen mit 3 oder 4 Punkten
bewertet wurden. Eine wissenschaftliche Analyse der Lösungen steht allerdings noch aus.
69
Online-Element (dem BSCW) waren knapp 13 % dieser Ansicht; 56,8 % meinten,
das BSCW habe zumindest "ein wenig" geholfen. Allerdings hielten knapp 39 % die
Veröffentlichung der Aufgabenlösungen
im BSCW für wichtig bis sehr wichtig, was
ebenfalls für das Online-Element spricht. Die Schlussfolgerung
liegt nahe, dass das
Prinzip der "Mischung" von Medien und Methoden, wie es für das Blended Learning
charakteristisch ist, insgesamt betrachtet eine positive Einschätzung erfährt. Abbildung 14 zeigt noch einmal im Detail die Einschätzung der verschiedenen Elemente
der semivirtuellen Vorlesung in ihrer Bedeutung für das Lernen.
Unterstützung
durch
das BSCW
(Online- )Forum
%
-
Farbe
die Dnline-Veröffentlichung
der Aufgabenlösung
%
EI
gar nicht
•
ein wenig
•
sehr viel I viel
die kooperative
Gruppenarbeit
%
die CD-ROM % ••
die Face-to-FaceVorlesung %
.
0,0
,
,
25,0
50,0
.
75,0
.
100,0
Abb. 14: Einschätzung der verschiedenen Element der
semivirtuellen Vorlesung in ihrer Bedeutung für das Lernen
Auch die didaktischen Elemente "kooperative Aufgabenbearbeitung"
und "Problemorientierung bei den Aufgaben" wurden von den Studierenden als vorteilhaft für das
eigene Lernen beurteilt: 63,4 % der Studierenden waren der Meinung, dass die kooperative Bearbeitung der Aufgaben ein kontinuierliches
Lernen gefördert haben;
und das kontinuierliche Lernen wiederum ist für die große Mehrheit der Studierenden
(86,6 %) günstig für den Wissenserwerb.
Dass die problemorientierten
Aufgaben
erste Anwendungsmöglichkeiten
der neu erworbenen Inhalte aufzeigen, meinten fast
alle Befragten (91 %) und äußerten sich damit sehr zufrieden mit dem Anwendungsbezug der Lehr-Lerninhalte in der semivirtuellen Vorlesung.
Implementation. Die Frage, wie gut sich die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des
Blended Learning im regulären Lehrbetrieb inhaltlich und methodisch integrieren
lässt, ist nach der Pilotierung natürlich nur in Grenzen zu beurteilen - hier sind Beobachtungen im Echtbetrieb erforderlich, worüber wir noch keine Daten haben. Im
Rahmen der Pilotdurchführung
konnte die semivirtuelle Vorlesung im vorliegenden
Kontext nahtlos in das bestehende Curriculum eingebunden werden, weil die Inhalte
hierauf zugeschnitten waren. Aber auch methodisch fügte sich diese Form des Blended Learning selbst auf der Grundlage anfänglicher Skepsis und fehlender Vorerfahrungen der Studierenden (siehe oben) ohne Schwierigkeiten in den regulären Lehrbetrieb ein: Nach wenigen Wochen war die in der se mi virtuellen Vorlesung geforderte
Art des Lernens und Arbeitens bereits zu einer Selbstverständlichkeit
geworden, was
70
auch die vorgestellten hohen Akzeptanzwerte belegen. Der Aufwand seitens des Dozenten lag während der Durchführung der Veranstaltung (also ohne Konzeption und
Vorbereitung) mit ca. drei bis vier Stunden pro Woche über dem üblichen Aufwand
für einer Vorlesung. Diese "Kosten", die vor allem durch die Bewertung der Aufgabenlösungen während der Semesters verursacht wurden, konnten aber aufgrund des
Wegfalls z.B. von Klausurkorrekturen am Ende der Veranstaltung wieder weitgehend
"wettgemacht" werden. Hoch ist allerdings der Aufwand für die Konzeption der semivirtuellen Vorlesung. Inwieweit sich dies im Laufe mehrerer Semester sozusagen
amortisiert, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Im Falle einer regelmäßigen Evaluation im Sinne eines Qualitätsmanagements
(siehe Abschnitt 19)
sollte man nach bisherigen Erfahrungen jedenfalls nicht von Kosteneinsparungen
(also Einsparungen von Zeit, Anstrengung und Geld) im Vergleich zu herkömmlichen
Veranstaltungen
ausgehen. Einfache Kosten-Nutzen-Kalkulationen
auf der Dozentenseite sind jedoch an dieser Stelle nicht angebracht; denn ohne Einbezug des
"Nutzens" auf der Seite der Studierenden muss eine solche Rechnung im Rahmen
einer Bildungsinstitution wie der Hochschule zwangsläufig hinken.
13.3 Die Frage nach der didaktischen
Innovation
Ist die semivirtuelle Vorlesung nun so etwas wie eine didaktische Innovation? Sind
die Kriterien einer Innovation erfüllt und kommt es zu nachhaltigen Veränderungen in
der Hochschullehre, wenn man einen Prototypen des Blended Learning wie die semivirtuelle Vorlesung konzipiert und umsetzt? In ähnlicher Weise wie im ersten Kapitel
wollen wir uns dieser Frage im Rahmen der Evaluation ein letztes Mal und in aller
Kürze "trichterförmig" nähern und untersuchen, ob die semivirtuelle Vorlesung die
generellen Kriterien einer Innovation erfüllt, inwieweit man sie als eine didaktische
Innovation bezeichnen kann und wie dies im Kontext der Hochschule zu bewerten
ist.
Erfüllte Innovationskriterien.
Die Kriterien einer Innovation, wie sie im Rahmen der Innovationsforschung gefordert und in Kapitel I beschrieben wurden, nämlich merkliche
Veränderung durch die Neuerung, bewusste Wahrnehmung der Neuerung, nachhaltige Implementation, können in der semivirtuellen Vorlesung als erfüllt gelten: (a) Die
semivirtuelle Vorlesung brachte (wie die Evaluation belegt) qualitativ neue Ergebnisse hervor, die eine merkliche Veränderung zum vorangegangenen
Zustand (nämlich
zum Lehren sowie zu Lernprozessen und -ergebnissen) in der klassischen Vorlesung
bewirkten. (b) Die Neuartigkeit der Veranstaltung im Medienarrangement,
in der Methodenkombination
und in der Organisation des Lernens wurde (von den Studierenden) bewusst wahrgenommen
und (nach eigenen Aussagen) als innovativ empfunden. (c) Das der Veranstaltung zugrunde liegende Blended Learning-Konzept wurde
konkret umgesetzt und in den regulären Veranstaltungsbetrieb
implementiert; nach
einigen Verbesserungen
wird die semivirtuelle Vorlesung als fester Bestandteil der
Medienpädagogik (in Augsburg) alle zwei Semester angeboten und damit eine nachhaltige Nutzung realisiert.
Die semivirtuelle Vorlesung als didaktische Innovation. In einem ersten Schritt kann
man festhalten, dass die semivirtuelle Vorlesung dem Blended Learning-Ansatz zuzuordnen ist, wie er in Kapitel 11 beschrieben wurde. Für das Blended Learning
wiederum haben wir herausgearbeitet,
dass diese Form des e-Learning insbeson-
71
dere durch seine Integrationsmöglichkeiten
auf den didaktisch relevanten Ebenen
der Theorie, der Methodik und der Medien ein nicht zu unterschätzendes
Innovationspotential für die Hochschullehre
beinhaltet. In einem zweiten Schritt ist anzumerken, dass es sich beim Blended Learning im Allgemeinen und bei der semivirtuellen Vorlesung im Besonderen um eine Prozess- und Strukturinnovation (in seltenen
Fällen auch um eine Produktinnovation)
handelt, die in erster Linie Neuerungen bei
der instruktionalen Gestaltung (mit Auswirkungen auf die curriculare Gestaltung) und
mit Einschränkung auch auf die Gestaltung der Lernorganisation in der Hochschule
hat. Das Innovationspotential
der semivirtuellen Vorlesung erfährt darüber hinaus
eine Stärkung durch die Tatsache, dass dieser Prototyp des Blended Learning einige
zentrale Innovationsbarrieren
in der Hochschule teils umgehen, teils bewältigen
kann.
Inkremental-evolutionärer
Innovationsprozess durch die semivirtuelle Vorlesung. Eine
regelmäßige Durchführung der semivirtuellen Vorlesung wird schrittweise - so unsere Erwartung - Lerngewohnheiten,
Ziele und Ansprüche sowie Einstellungen verändern: Lerngewohnheiten
von Studierenden können sich dahingehend ändern, dass
z.B. eher verteilt gelernt wird, dass mehr kooperativ gearbeitet wird, dass auch in
selbstgesteuerten Lernphasen mit neuen Medien experimentiert wird. Auch die Ziele
und Erwartungen der Studierenden beim Besuch von Lehrveranstaltungen
können
durch vermehrte Blended Learning-Angebote wie die semivirtuelle Vorlesung Veränderungen erfahren: So steigen womöglich die Ansprüche der Studierenden etwa an
Anwendungsbezug,
multiple Darstellungsformen
und Freiheitsgraden beim Wissenserwerb. Frontalunterricht in Reinform, sofern er dysfunktional ist, fehlende Anschauung und andere Mängel in der Lehre werden möglicherweise
nicht mehr klaglos
hingenommen, wenn man es auch anders kennen gelernt hat. Zwar kann man davon
ausgehen, dass es ohnehin bald eine generelle Erwartungshaltung der Studierenden
im Hinblick auf den Einsatz der neuen Medien an den Hochschulen geben wird, weil
man zunehmend mehr von Generationen ausgehen muss, für die der Umgang mit
Multimedia und Internet eine Selbstverständlichkeit
ist (Müller-Böling, 2001). Doch
auch hier können Blended Learning-Angebote wie die semivirtuelle Vorlesung modellierend wirken und positiven Einfluss auf eine eigenständige sinnvolle Medienauswahl und -nutzung nehmen. Und schließlich sollte es im Laufe der Zeit dazu kommen, dass die Einstellungen der Studierenden (und der Lehrenden) einen Wandel
durchmachen: weg von einem Lernverständnis wie dem "Nürnberger Trichter" hin zu
einer Auffassung vom Lernen als eigenaktiven und konstruktiven Prozess in Selbstverantwortung, aber auch weg von einer (in den Geistes- und Sozialwissenschaften
häufig anzutreffenden) strikten Ablehnung des e-Learning (oder auch einem selteneren unkritischen e-Learning-Fieber)
hin zu einer intelligenten, ziel- und gegenstandsbezogenen Nutzung der neuen Medien. Veränderungen dieser Art, die sich "bottom
up" entwickeln, können zu einem inkremental-evolutionären
Innovationsprozess
durch Blended Learning führen, der im Vergleich zu sprunghaften Neuerungen und
Veränderungen eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit
für nachhaltige Entwicklungen hat.
72
13.4 Verbesserungsideen
Viele Hinweise für die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung haben wir aus
Beobachtungen während der Durchführung sowie aus Verbesserungsvorschlägen
im
Online-Form des BSCW seitens der Teilnehmer und aus der Beantwortung offener
Fragen bei der Abschlussbefragung
(auf die hier im Detail nicht eingegangen wurde)
gewonnen. Die Evaluation kann vor diesem Hintergrund als entscheidender Motor für
die Optimierung virtueller Lehr-Lernangebote
betrachtet werden (siehe hierzu Abschnitt 19). Was wir bei der Fortführung der semivirtuellen Vorlesung im regulären
Lehrbetrieb ändern werden, soll im Folgenden in aller Kürze skizziert werden.
Mehr Online- Texte. Neben den Hypertexten auf der CD-ROM werden wir bei der
Uberarbeitung des Offline-Elements
zu jedem Themenblock noch zwei bis drei zusätzliche Online-Texte, die im Netz frei verfügbar sind, anbieten. Dies erscheint notwendig, um denjenigen Studierenden mehr Material zur Verfügung zu stellen, die bereits - trotz der Stofffülle - vertiefende Studien zu einzelnen Themen betreiben wollen. Da ein- und dasselbe Thema von verschiedenen Autoren oft recht unterschiedlich interpretiert und gehandhabt wird, kann damit auch der Multiperspektivität
der
Themen stärker Rechnung getragen werden.
Praktikablere DruckfunktiQfr. Bei der Überarbeitung der in der semivirtuellen Vorlesung eingesetzter1CD-ROM
werden wir eine bessere Druckfunktion der Informationsblöcke einbauen, da sich diese für viele Studierende als wichtig herausgestellt
hat. Zwar wurde bei der Erstellung der Hypertexte darauf geachtet, kurze und auf
dem Bildschirm gut lesbare Informationsblöcke zu erstellen - dennoch ist das Bedürfnis, die Informationen auf Papier zu haben, ungebrochen, was man nicht einfach
übergehen kann.
Genauere Instruktione
Obschon die Instruktionen etwa zur Bearbeitung der problemorientierten Aufgaben bereits viele Details beinhalten (vgl. Kasten 1 in Abschnitt
12.3), zeigte sich, dass man zusätzlich auf die große Variationsbreite der möglichen
Antworten hinwiesen sollte. Aufgrund der Tatsache, dass sich einige Gruppen geradezu professionell an die Bearbeitung der Aufgaben gemacht hatten, entstand bei
denjenigen, die sich den Aufgaben mit weniger Professionalität
gewidmet hatten,
eine gewisse Verunsicherung.
Diese mögliche Verunsicherung
werden wir künftig
durch geeignete Hinweise in der Instruktion auffangen. Keinesfalls aber wollen wir
auch in Zukunft die Kreativität einzelner Gruppen blockieren.
Differenzierteres Pun tesy.stem.
ng verbunden mit dem gerade Gesagten ist die
Erfahrung, dass wir ein differenzierteres Punktesystem benötigen. Die gewählte Beurteilung der einzelnen Aufgabenlösungen
von 0 bis 4 Punkten stellte sich vor allem
im oberen Bereich als eher unflexibel heraus (vgl. Kasten 2 in Abschnitt 12.3): Es
gab zu wenig Differenzierungsmöglichkeiten
zwischen sehr guten Lösungen, die den
Erwartungen voll und ganz entsprachen, und herausragenden Lösungen, die die Erwartungen übertrafen. Bei der nächsten Durchführung werden wir das Punktesystem
von 0 auf 6 Punkte erweitern und genauer darauf hinweisen, was unter welcher
Punktezahl im Einzelnen zu verstehen ist.
Konze tionelle Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung.
er dargestellte Prototyp des Blended Learning in Form einer semivirtuellen
or esung lässt sich weiterentwickeln zu einem Veranstaltungskonzept,
in dem mehrere Lehrende/Experten
beteiligt sind und somit der Aspekt "verteilte Expertise" hinzukommt (siehe Abschnitt
73
14). Diese Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung war von Anfang an mitgedacht, da man davon ausgehen kann, dass sowohl Face-to-Face-Vorlesungen
als
auch Hypertexte dann an Qualität zunehmen, wenn der Vortragende bzw. der Autor
für den jeweiligen Themenbereich ein ausgewiesener Experte ist, also zu diesem Bereich auch Erfahrungen in der Forschung oder in praktischen Umsetzungen aufweisen kann. Bei der Einschätzung des Wissenszuwachses
in den fünf Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung zeigte sich - wenn auch nur mit leichter Tendenz - ein besonders hoher Wissenszuwachs
beim Thema "Medieneinsatz"
bzw.
"Medien und Lernen" (vgl. Abbildung 13 in Abschnitt 13.2). Dieser Themenbereich
umfasst Inhalte, mit denen die Entwicklerin der Veranstaltung und Autorin der Hypertexte am meisten vertraut ist. Mit aller Vorsicht kann man dies als empirischen Hinweis darauf deuten, dass der Expertisegrad des Vortragenden/Autoren
eine große
Rolle spielt - selbst in einer Veranstaltung, die eher orientierende Funktion hat und
entsprechend nicht in die Tiefen einzelner Themen geht.
Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit einer speziellen Möglichkeit der Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung, bei der verschiedene Experten (aus einer oder verschiedenen Hochschulen) für die Konzeption
und Durchführung des Blended Learning herangezogen werden, sodass jedes Thema in Expertenhand ist. Besonderes Kennzeichen dieser Weiterentwicklung
ist damit
die "verteilte Expertise".
14. Weiterentwicklung:
Expertise
Blended Learning mit Nutzung verteilter
Beim Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise setzt man auf Synergie und
Koordination von Expertenwissen und Expertenhandeln
von Hochschullehrern,
die
auf verschiedene Fachbereiche einer Hochschule oder auf verschiedene Hochschulen verstreut sind, um auf diesem Wege einen Mehrwert zu erzielen. Diese Weiterentwicklung erhöht die inhaltliche Qualität des Lernangebots bei gleichzeitiger Reduktion des Aufwands für einzelne Experten. Blended Learning mit Nutzung verteilter
Expertise ist in dieser Form vor allem für kleinere Hochschulen und für Studiengänge
mit geringen (personellen) Ressourcen (z.B. eine Professur für ein Fach im Vergleich
zu mehreren Lehrstühlen für ein Fach7o) vorteilhaft; dazu kommt die wachsende Zahl
von Bachelor- und Master-Studiengängen,
die häufig interdisziplinär aufgebaut sind
und die Kooperation von mehreren Fachexperten in der Lehre erfordern. Aber auch
für die (wissenschaftliche)
Weiterbildung sowie für Kooperationen mit der Wirtschaft
(Stichwort: Corporate Universities; siehe Abschnitt 14.3) wird dieses Blended Learning-Konzept interessant, denn: Wenn Expertise zum knappen Gut wird, ist die synergetische Nutzung verteilten Wissens durch neue Medien nicht nur eine didaktische
Innovation, sondern auch eine Innovation von ökonomischer Bedeutung.
Dies war auch die Ausgangssituation für die semivirluelle Vorlesung, denn: Für die Medienpädagogik in Augsburg gibt es eine Professur (ohne Mitarbeiter) im Vergleich etwa zu drei Lehrstühlen (mit
Mitarbeitern) für die Allgemeine Pädagogik.
70
74
14.1 Die Kernidee
Spezialisierte Generalisten gesucht. Komplexes Problemlösen ist eine Aufgabe, die
im Berufsleben immer häufiger gefordert wird. Meist setzt die Lösung komplexer
Probleme die Zusammenarbeit
von Personen mit verschiedenem
Fachwissen und
Erfahrungshintergründen
voraus, denn reale Probleme halten sich nicht an enge Fächerstrukturen.
Neben Fachwissen muss allerdings auch Verständnis für Zusammenhänge da sein; es steigt der Bedarf an vernetztem Denken und an Fähigkeiten,
etwa multiple Perspektiven eines Phänomens zu begreifen. Diese Anforderung steht
auf den ersten Blick im Gegensatz zu dem in der Wirtschaft immer häufiger geforderten "Iearning-on-demand"
oder "Iearning-just-in-time",
bei dem im Prozess des
Problemlösens bedarfsorientiert
neue Informationen eingeholt, in die eigene Wissensstruktur integriert und unmittelbar umgesetzt werden sollen. Bei genauerer Analyse zeigt sich jedoch, dass in komplexen Domänen ein tiefes Verstehen Voraussetzung für ein solches situatives "Iearning-just-in-time"
ist. Diese Voraussetzung soll
u.a. in den Hochschulen geschaffen werden: Dort erwartet man sich, dass die grundlegenden Prinzipien eines Gegenstandsbereichs
vermittelt werden, dass jemand in
seinem Gegenstandsbereich
in die Tiefe geht und erfährt, was Spezialisierung
bedeutet. Gleichzeitig aber muss - wie oben angedeutet - auch ein Verständnis für
Zusammenhänge
und so etwas wie inhaltliche Breite gefördert werden. Für Hochschullehrer bedeutet das, dass paradoxe Anforderungen auf sie zukommen: Sie sollen auf der einen Seite so viel Expertise haben, dass sie die Tiefen eines Themas
vermitteln können, und auf der anderen Seite sollen sie Generalisten sein, um die
Vernetzung von Inhalten eines Faches und die Multiperspektivität
verschiedener
Phänomene deutlich zu machen. Damit liegt nicht nur ein Lern- sondern auch ein
Lehrproblem vor, denn "spezialisierte Generalisten" dürften auch an der Hochschule
im Zuge des Wissenswachstums
allmählich "aussterben".
Blended Learning und die Synergie von Spezialisten. Mit dem Aufschwung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien
und der e-Learning-Euphorie
der letzten Jahre waren die Hoffnungen groß, beide Probleme (das oben genannte
Lehr- und Lernproblem) mit Hilfe der neuen Medien und virtuellem Lernen in den Griff
zu bekommen. Dass sich diese Erwartungen (gerade auch im Hochschulkontext)
kaum erfüllt haben, wurde in Kapitel I bereits dargestellt (vgl. Abschnitt 3). Inwiefern
Blended Learning dazu geeignet ist, die bisherigen e-Learning-Schwierigkeiten
zu
überwinden und Innovationen in der Hochschullehre
neue Impulse zu geben, war
Gegenstand von Kapitel 11.In den vorangegangenen
Abschnitten schließlich wurde
mit der semivirtuellen Vorlesung ein Prototyp des Blended Learning vorgestellt, der
sich von einem Hochschullehrer als Experten für die zu vermittelnden Inhalte durchführen lässt. Nun haben wir auf die Schwierigkeit verwiesen, dass komplexe Themen
- vor allem solche, die auch in andere Disziplinen und Fächer hineinreichen - von
nur einem Experten kaum abzudecken sind. Von daher liegt es nahe, die im Blended
Learning herangezogenen neuen Medien auch dafür einzusetzen, mehrere Experten
(für verschiedene Inhaltsbereiche) in eine Veranstaltung wie die semivirtuelle Vorlesung einzubinden und unterschiedliche
Expertisen entsprechend zu bündeln. Blended Learning wird damit zu einem Konzept, das verteilte Expertise nutzt, um die
Qualität der Veranstaltungsinhalte
zu erhöhen, und gleichzeitig den Aufwand einzelner Hochschullehrer reduziert (siehe Abschnitt 14.2). Nutznießer dieser Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung sind vor allem die Studierenden bzw. die Ler-
75
nenden, die auf das Wissen und Können mehrerer Experten zurückgreifen können was umso wichtiger wird, je komplexer und anspruchsvoller
die zu erlernenden Inhalte sind und je kleiner die Hochschule und/oder je spezieller der Studiengang oder
das Weiterbildungsangebot
ist.
Von der Vorlesung zur Weiterbildungsveranstaltung.
Da das Blended Learning in
diesem Buch im Kontext der Hochschule eingeführt und realisiert wurde, haben wir
(aus mehreren Gründen) die Veranstaltungsform
der Vorlesung zum Ausgangspunkt
gemacht. Mit der Weiterentwicklung
der semivirtuellen Vorlesung zu einem Blended
Learning-Konzept, das durch Nutzung verteilter Expertise auch für die Weiterbildung
interessant wird, bleiben zwar die zentralen Merkmale der Face-to-Face-Elemente
erhalten, aber man wird nicht mehr von "Vorlesung",
sondern eher von einer
Weiterbildungsveranstaltung
sprechen. Diese begriffliche Anpassung ändert nichts
an der didaktischen Konzeption - und vielleicht würde es auch in der Hochschule
sinnvoll sein, mit einer anderen Bezeichnung die typischen Assoziationen zur Vorlesung ("vorlesen", zuhören, abschalten, träumen, kommen und gehen, wann man
will etc.) zu unterbinden und damit Einstellungen zum Veranstaltungstyp
"Vorlesung"
(in eine positive, nämlich aktive Richtung) langfristig zu verändern. Die folgenden
Ausführungen beziehen sich vor diesem Hintergrund sowohl auf den Kontext der
Hochschule als auch auf die (wissenschaftliche) Weiterbildung?1.
14.2 Das mediendidaktische
Szenario
Unterschiede zur semivirluellen Vorlesung. Die beschriebene Weiterentwicklung
des
Blended Learning zu einem Modell mit Nutzung verteilter Expertise unterscheidet
sich von der "einfachen" semivirtuellen Vorlesung in drei wesentlichen Punkten: (a)
Die Erarbeitung und (medien-)didaktische
Aufbereitung der Inhalte kommt nicht "aus
einer Hand"; vielmehr arbeiten mehrere Experten zusammen, indem jeder nur ein,
nämlich das Thema übernimmt, für das er besondere Expertise hat. Jeder Experte
entwickelt für sein Thema eine Face-to-Face-Veranstaltung72,
einen Hypertext mit
Übersichtsgrafiken
sowie eine problemorientierte
AufgabensteIlung.
(b) Parallel zur
Erarbeitung und Aufbereitung der Inhalte erfolgt auch die Durchführung der Veranstaltung in verteilter Form: Jeder Experte macht vor Ort seine Face-to-Face-Veranstaltung, betreut die nachfolgende Selbstlernphase73
mit der CD-ROM und begleitet
und bewertet die kooperative Bearbeitung seiner AufgabensteIlung. (c) Jede Face-toFace-Veranstaltung wird aufgezeichnet und allen Lernenden, die nicht vor Ort studieren/lernen,
Igltalisiert als Video zur Verfügung gestellt. Möglich, aber nicht notwendig, ist auc ein
nchrone Übertragung an andere Veranstaltungsorte
(siehe unten). Wichtig ist an dieser Stelle, dass die aufgezeichneten
Face-to-Face-Veranstaltungen nich'
'e Selbstlernphase
integriert werden, sondern weiterhin Bestandteil des Präsenzelements der hybriden Lernumgebung bleiben, das heißt: Der
Dozent vor Ort sieht sich mit den Lernenden (vor Ort) gemeinsam die aufgezeichnete
Veranstaltung an, initiiert und moderiert an geeigneten Stellen Diskussionen und
stellt damit die soziale Interaktion in den Präsenzphasen sicher. Zusätzlich kann man
die Videoaufzeichnung
online zugänglich machen. Im Vergleich zur semivirtuellen
71 Statt .Vorlesung" wird im Folgenden von .Veranstaltung" gesprochen, um die Eignung auch für den
Weiterbildungsbereich nicht durch Begriffiichkeiten einzuschränken.
72 Gemeint ist eine Sitzung im Rahmen einer Vorlesung oder Veranstaltungsreihe.
73 Die Betreuung bezieht sich auf alle Lernenden, nicht nur auf die vor Ort.
76
Vorlesung wird in diesem Blended Learning-Modell das Medienarrangement
um die
Videokomponente
erweitert und das Konzept durch die Idee der Nutzung verteilter
Expertise ergänzt. Die grundlegende Blended Learning-Konzeption
bleibt jedoch erhalten.
Arbeitsteilung und Koordination. Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise in
der dargestellten Form setzt auf Arbeitsteilung entsprechend des vorhandenen Expertenwissens: Jeder Experte ist für sein Thema verantwortlich; d.h. er übernimmt für
einen bestimmten Zeitraum (z.B. 2 Wochen) die Verantwortung für das Präsenz-, das
Offline- und das On line-Element der Veranstaltung. In dieser Zeit ist der Experte für
alle Lernenden der Ansprechpartner
für inhaltliche Fragen sowie der Betreuer der
kooperativen Aufgabenbearbeitung.
Arbeitsteilung aber macht auch Koordination erforderlich: Die Qualität der einzelnen Themenblöcke
muss ebenso sichergestellt
werden wie die Kohärenz der gesamten Veranstaltung; es muss gewährleistet werden, dass die methodischen und medienbezogenen
Standards des Blended Learning-Konzepts eingehalten werden und die zeitliche Organisation funktioniert. Zudem
muss natürlich das Medienarrangement
einheitlich sein: Es gibt ein Online-Forum
und eine CD-ROM - nur, dass diese inhaltlich verteilt gestaltet wird. Wichtig ist darüber hinaus eine Koordination der technischen Seite, die mit der Integration von
Video-Elementen im Vergleich zur semivirtuellen Vorlesung ("aus einer Hand") etwas
aufwändiger ist. Arbeitsteilung und Koordination bedürfen einer sorgfältigen Planung;
sowohl bei der Konzeption als auch bei der Durchführung des Blended Learning mit
Nutzung verteilter Expertise kommt es insbesondere darauf an, die Experten, ihr
Handeln und die resultierenden Inhalte sorgfältig zu koordinieren.
Maßgeschneiderte Anpassung an spezifische Lehr-Lernkontexte.
Das hier skizzierte
mediendidaktische
Szenario für eine semivirtuelle Veranstaltung
mit Nutzung verteilter Expertise in Hochschule und Weiterbildung ist ein grundlegendes Modell mit
mehreren Variablen, die sich je nach Lehr-Lernkontext unterschiedlich gestalten lassen. Grundsätzlich gilt, dass sich alle Themengebiete (vor allem in den Geistes- und
Sozialwissenschaften,
einschließlich den Wirtschaftswissenschaften)
für eine semivirtuelle Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise eignen, deren Komplexitätsgrad eine ausgedehntere
Lernphase sinnvoll erscheinen lässe4. Dazu kommt als
Voraussetzung für diese Form des Blended Learning, dass das erforderliche Fachwissen und -können eine knappe Ressource und nicht an einem Ort zu haben ist.
Variieren kann man eine semivirtuelle Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise
im technischen Aufwand, im Zeitrahmen und in der Anzahl der Experten (Umfang), in
der Aufbereitung des elektronischen Materials, in der Anzahl der Aufgaben und der
Art der Aufgabenbearbeitung
(inhaltliche Gestaltung), in der Moderation der virtuellen
Phase, in der Feedbackgestaltung
und der Bewertung (Betreuung). Die variable Gestaltung macht eine maßgeschneiderte
Anpassung dieser Form des Blended Learning an verschiedene Inhalte, Ziele, Zielgruppen, Zeitressourcen
und technischen
Rahmenbedingungen
in Hochschule und Weiterbildung möglich. Die verschiedenen
Varianten bei der Ausgestaltung
der einzelnen Variablen unterscheiden
sich vor
allem darin, wie viele Ressourcen (Zeit, Geld, Personal etc.) sie jeweils binden.
Dieser Hinweis ist vor allem für das Blended Learning in der Weiterbildung wichtig, in der man oft
ein konzentriertes Lernen in kurzer Zeit (z.B. eintägige Seminare) favorisiert - was nicht immer funktional ist, - vor allem dann nicht, wenn Weiterbildungsziele über einen einfachen Fertigkeitserwerb
hinausgehen.
74
77
Umfang. (a) Abhängig von vorhandenen Möglichkeiten sind mehr oder weniger aufwändige technische Varianten für die Umsetzung des Blended Learning mit Nutzung
verteilter Expertise denkbar. So können die Präsenzveranstaltungen
z.B. synchron
übertragen oder so aufgezeichnet werden, dass man darauf asynchron zugreifen
kann. Letzteres ist aus unserer Sicht ausreichend und praktikabler. Eine Variation
des technischen Aufwands ist natürlich auch im Offline-Element möglich, indem man
statt hypertextueller Darstellungen hypermediale Präsentationsformen
wählt. Auch in
Bezug auf die Online-Komponenten
kann man vom Aufwand her variieren und z.B.
zusätzliche Werkzeuge wie Visualisierungs-Tools
u.a. anbieten75. (b) Je nachdem,
wie viele Themenblöcke in der Veranstaltung vermittelt und bearbeitet werden sollen,
kann die zeitliche Erstreckung einer semivirtuellen
Veranstaltung
unterschiedlich
sein: Empfehlenswert erscheinen mindestens drei bis maximal sechs Themenblöcke;
bei jeweils zweiwöchigen virtuellen Phasen führt dies in etwa zu einer zeitlichen
Veranstaltungsdauer
von sechs bis zwölf Wochen. Allerdings lassen sich die virtuellen Phasen prinzipiell auch zu je einer Woche kürzen oder zu je drei Wochen verlängern, was die Veranstaltungsdauer
entsprechend
kürzer oder länger macht; eine
Dauer von sechs Wochen sollte jedoch nicht unterschritten und von achtzehn Wochen nicht überschritten werden. (c) In Abhängigkeit von der (für die Themenvermittlung erforderlichen) Expertise kann man alle oder auch nur einige Themenblöcke von
verschiedenen Experten besetzen. Dabei ist zu beachten, dass die Übernahme von
zwei oder mehr Themenblöcken von einem Experten den erforderlichen Aufwand für
den einzelnen Lehrenden wieder erhöht und die Vorteile einer möglichst breit verteilten Expertise (sowie den Anreizcharakter
für einzelne Experten) entsprechend
mindert.
Inhaltliche Gestaltung. (d) Wie man das elektronische Material (insbesondere auf der
CD-ROM) im Einzelnen gestaltet, ist eine Frage, die man ausgehend von den angestrebten Zielen und den Inhalten eines Themenblocks beantworten muss. Als Grundstruktur ist ein Hypertext vorgesehen, der die Inhalte des Präsenzelements
zusammenfasst, aber auch erweitert bzw. erläutert. Je nach Thema und/oder Ressourcen
ist aber auch eine hypermediale Gestaltung (s.o.) möglich, was wiederum Einfluss
auf die Inhaltsauswahl und Strukturierung hat. (e) Zur aktiven Verarbeitung der dargebotenen Inhalte sollte jeder Themenblock mindestens eine Aufgabe enthalten, die
so beschaffen ist, dass deren Beantwortung eine Anwendung der vermittelten Inhalte
darstellt (vgl. Abschnitt 12.2): Empfehlenswert sind kurze Fälle oder authentische/realitätsnahe Problemstellungen. Je nachdem, wie viel Aufwand in die Feedbackgestaltung investiert werden kann und wie lange eine virtuelle Selbstlernphase dauern soll,
lassen sich natürlich auch zwei oder mehr Aufgaben in einen Themenblock einbauen. (f) Die Bearbeitung der Aufgaben sollte in Kleingruppen von maximal vier Veranstaltungsteilnehmern
erfolgen; diese kann face-to-face oder virtuell durchgeführt
werden. Die Entscheidung für eine direkte oder virtuelle Kooperation in den Kleingruppen hängt vom Thema und der Zielsetzung im jeweiligen Themenblock,
vor
allem aber von den Vorerfahrungen und der Medienkompetenz der Lernenden ab. Zu
beachten sind die relativ hohen Anforderungen der virtuellen Kooperation an die Lernenden, was die Komplexität der Aufgabenbearbeitung
erheblich erhöht (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002).
75
Zum Thema Visualisierung siehe z.B. Mandl & Fischer (2000).
78
Betreuung. (g) Basierend auf Erfahrungen in virtuellen Seminaren (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 b) ist eine Moderation der virtuellen Phasen innerhalb der
semivirtuellen Veranstaltung unabdingbar. In Abhängigkeit vom Zeitbudget des Experten kann die Moderation von diesem selbst oder von einem eigenen Moderator/
Tutor übernommen werden. In letzterem Fall ist dafür zu sorgen, dass die ModeratorenITutoren eine ausreichende Einführung erhalten und die entsprechenden Kompetenzen aufbauen. (h) Während die Moderation der einzelnen virtuellen Phasen
sowohl vom jeweils zuständigen
Experten selbst als auch von einem Moderator
übernommen werden kann, obliegt die inhaltliche Feedbackgestaltung
in jedem Fall
dem Experten. Allerdings kann die Gestaltung der Rückmeldung variieren, je nachdem, wie viele Lernende zu betreuen sind: Hält sich die Anzahl der Teilnehmer in
Grenzen (Beispiel: maximal acht Gruppen) sind kommentierte Rückmeldungen
an
jede Gruppe empfehlenswert, da die Lernenden in der Regel umso zufriedener sind,
je individueller die Rückmeldungen gestaltet werden. Bei hohen Teilnehmerzahlen
wird ein ausführliches Feedback jedoch unrealistisch; ausweichen kann man dann
z.B. auf ein Punktesystem.
Im letzteren Fall sollte man zusätzlich entweder Vergleichslösungen seitens des Experten anbieten oder auf besonders gut gelungene
"Vorzeigelösungen"
unter den teilnehmenden Gruppen verweisen. (i) Die kontinuierliche Bearbeitung von Aufgaben während der Veranstaltung kann dazu genutzt werden, die Lösungen z.B. nach einem vorher definierten Bewertungssystem
zu beurteilen und den Lernenden am Ende eine Bescheinigung zur erfolgreichen Teilnahme
oder ein Zertifikat auszuhändigen. Möglich ist aber auch, die kontinuierliche und ausreichend gute Aufgabenbearbeitung
als Voraussetzung für die Teilnahme an einer
Abschlussprüfung
heranzuziehen.
Kombinierbar sind zudem individuelle und gruppenbezogene Bewertungsverfahren.
Tabelle 3 stellt die variablen Elemente des
Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise noch einmal zusammen.
Tab. 3: Flexible Gestaltung verschiedener Variablen
Variable
Technischer Aufwand
Gestaltung bei niedrigem
Ressourceneinsatz
asynchrone Übertragung der
Face-to-F ace- Vera nstaltu ngen
Gestaltung bei hohem
Ressourceneinsatz
synchrone Übertragung der Face-toFace-Veranstaltungen
kürzer (Minimum: 6 Wochen)
länger (Maximum: 12 - 18 Wochen)
Elektronisches Material
mindestens 3
hypertextuelle Aufbereitung
maximal 5 bis 6
hypermediale Aufbereitung
Anzahl der Aufgaben
Aufgabenbearbeitung
in jedem Themenblock eine
in Face-to-Face-Kooperation
in jedem Themenblock 2 oder mehr
in virtueller Kooperation
Zeitrahmen
Anzahl der Experten
Moderation (virtuelle Phase) durch den Experten selbst
durch geschulte Moderatoren
Feedbackgestaltung
ausführliche Kommentierung
Aufgabenbearbeitung als Voraussetzung für eine Prüfung
Bewertung
Punktesystem
Aufgabenbearbeitung als
"Prüfungsäquivalent"
79
14.3 Der Mehrwert
Der Mehrwert des Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise im Vergleich zur
semivirtuellen Vorlesung ergibt sich aus den oben skizzierten Änderungen des Konzepts und besteht vor allem darin, dass erstens die Qualität der Inhalte steigt (insbesondere dann, wenn die Komplexität der Themen insgesamt betrachtet sehr hoch ist)
und sich zweitens neue Anwendungskontexte
in der Weiterbildung erschließen.
Höhere inhaltliche Qualität durch Nutzung verteilter Expertise. Wer z.B. an einer
großen Universität studiert hat, weiß um den Vorteil, mehrere Experten aus einer Disziplin vor Ort zu haben und für verschiedene Facetten des eigenen Faches auch verschiedene Ansprechpartner mit hoher Expertise zu haben und von diesen lernen zu
können. Je kleiner die Hochschule oder je spezifischer der Studiengang ist, umso
geringer ist die Wahrscheinlichkeit,
inmitten eines "Expertenkreises" sein Wissen aufbauen zu können. Meist ist es so, dass man sich mit einem Experten begnügen
muss, der sein Wissen zwar auf andere Themen für die Lehre erweitern kann, was
aber mit lange gewachsenem Expertenturn keinesfalls gleichgesetzt werden kann.
Die Situation in der Weiterbildung ist diesbezüglich sehr ähnlich, oft sogar noch ausgeprägter76• Von daher kann die Bündelung verteilter Expertise zu einem "Gesamtprogramm" die Qualität der Inhalte einer Veranstaltung
erheblich erhöhen: Trotz
Mangel an mehreren Experten vor Ort erhalten die Lernenden verschiedene Inhalte
aus "Expertenhand" einschließlich der Möglichkeit, auch von diesem Experten angeleitet und betreut zu werden. Die Zusammenführung
mehrerer Experten vor Ort (also
ohne mediale Unterstützung) ist in der Regel kaum möglich, weil dies zum einen sehr
kostspielig für die jeweilige Bildungsinstitution ist und zum anderen an den zeitlichen
Ressourcen von (gefragten) Experten scheitert. Von daher ist die medial gestützte
Bündelung verteilter Expertise durch Blended Learning eine geeignete Lösung - aber
nicht nur das: Da mit zunehmender Arbeitsbelastung
auch die Bereitschaft von Experten für Lehraufgaben sinkt und das weiterentwickelte
Konzept der semivirtuellen
Veranstaltung den Aufwand für den einzelnen Experten insgesamt betrachtet mindert, kann diese Form des Blended Learning für lehrende Experten auch ein Anreiz
sein.
Neue Anwendungsfelder.
Blended Learning in Form einer semivirtuellen Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise ist ein Modell, das auch für die (wissenschaftliche) Weiterbildung von Interesse ist. Grundsätzlich kann man davon ausgehen,
dass verschiedene e-Learning-Varianten
besonders geeignet sind für den Weiterbildungssektor der Hochschulen: Mit dem Einsatz der neuen Medien können die Hochschulen sowohl selbst Weiterbildungsangebote
machen als auch Inhalte etwa für
sog. Corporate Universities77 entwickeln und anbieten. Letzteres ist in anderen Ländern bereits ausgeprägter als in Deutschland; mit virtuellen Lehr-Lernangeboten
er-
Trainer, die gestern noch Experten für Wissensmanagement
waren, sind heute Experten für e-Learning und werden morgen Experten für Blended Learning sein - je nach Marktlage wird die "Expertise"
flexibel angepasst - was dem kognitionspsychologischen
Expertiseverständnis
(vgl. Gruber & Mandl,
1996) in hohem Maße zuwider läuft.
77 Unter einer "Corporate
University" versteht man ein umfassendes
Konzept zur Mitarbeiterentwicklung, das eine strategische
Anbindung an das Unternehmen
hat und in den meisten Fällen auch mit eLearning-Komponenten
arbeitet. Allerdings ist der Begriff nicht geschützt, sodass er in Unternehmen
für die verschiedensten
Lernkonzeptionen
(auch für einfache Schulungszentren)
verwendet wird (z.B.
Kraemer & Klein, 2001).
76
80
hofft man sich hier neue Entwicklungen (Kraemer & Müller, 2001). Im Zuge der Innovationsdebatte im Hochschulbereich wird dafür plädiert, die neuen "Geschäftsfelder",
die sich unter dem gesetzlichen Weiterbildungsauftrag
der Hochschulen öffnen, nicht
ungenutzt zu lassen - schon allein aufgrund der angespannten finanziellen Lage vieler Hochschulen (Müller-Böling, 2001). Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise bietet sich für diese neuen Anwendungsfelder
deshalb besonders an, weil es
erstens dem aktuellen Bedarf an hybriden Lernarrangements
in der Wirtschaft entgegen kommt und weil es zweitens auch die knappen zeitlichen Ressourcen von Experten aus der Hochschule berücksichtigt.
Zudem ermöglicht dieses Konzept die
Bündelung ausgewählter
Expertisen, ohne diese vor Ort haben zu müssen. Die
Hochschulen können von Partnerschaften in der Wirtschaft auch auf anderen Ebenen als der finanziellen profitieren, indem etwa praktische Aufgaben und Fragestellungen deutlich werden, die Forschung und Lehre befruchten können. Auch gibt es
Stimmen, die in solchen Kooperationen einen entscheidenden Vorteil für den Wettbewerb der Hochschulen (national und international) prognostizieren, der in Zukunft
eine weitaus größere Rolle spielen wird als es derzeit noch der Fall ist (Küchler,
2001 ).
15. Fazit
Im dritten Kapitel dieses Buches haben wir einen Prototypen des Blended Learning die semivirtuelle Vorlesung - im Detail beschrieben, um anschaulich zu machen, wie
diese Form des e-Learning didaktische Innovationen in die Hochschullehre in Gang
setzen kann. Dazu wurde zunächst die Grundidee sowie die Entstehungsgeschichte
der semivirtuellen Vorlesung skizziert, woran die Einbettung in einen realen Kontext
mit seinen spezifischen Rahmenbedingungen
deutlich werden sollte. Die "Geschichte
der semivirtuellen Vorlesung" ist ein nicht generalisierbares
Fallbeispiel: Jedes Blended Leßrning-Projekt wird je nach Situation seinen eigenen Charakter baben; wir hof~ber,
auf diesem Wege ein beim Thema e-Learning oft vergessenes Anschauungsmaterial geliefert zu haben. Ausführlich dargestellt wurde auch das didaktische
Konzept der semivirtuellen Vorlesung mit dem Ziel, den in Kapitel 11 beschriebenen
theoretischen Ausführungen zum Blended Learning damit "Leben einzuhauchen": Infolge einer detaillierten Beschreibung der Inhalte und Ziele, der eingesetzten Medien,
Methoden und Konzepte sowie der technischen Umsetzung und des Ablaufs der semivirtuellen Vorlesung wollten wir ein plastisches Bild dieser Form des Blended
Learning zeichnen. Das Begleitmaterialüriter
der URL wwW.semivirtuell.de kann dieses Bild noch abrunden, indem sie sowohl Ausschnitte aus dem BSCW als auch
Beispiele für Lösungen der bearbeiteten Aufgaben seitens der Studierenden enthält.
Wenn - wie in diesem Kapitel - ein Fallbeispiel als Impuls zum Nach- oder besser
zum Mitmachen geliefert wird, ist natürlich von Interesse, welche Resultate damit
erzielt wurden. Aus diesem Grund haben wir in diesem Kapitel auch die wichtigsten
Evaluationsergebnisse
und Erfahrungen zusammengestellt,
die wir im Sommer 2002
mit der Pilotierung der semivirtuellen Vorlesung gesammelt haben: Dabei hat sich
gezeigt, dass das Blended Learning-Projekt
insgesamt betrachtet ein großer Erfolg
war, dass sich dieser Erfolg sowohl in den subjektiven Einschätzun en als auch in
den 0 jektiven Leistungen d r Veranstaltungsteilnehmer
n1eaerschlägt.
81
Die Evaluation der Pilotdurchführung
der semivirtuellen Vorlesung hat uns Mut gemacht, diese Form der didaktischen Innovation in der Hochschullehre weiterzuführen
und auszubauen - nicht zuletzt wegen der positiven Resonanz der Studierenden, die
in dieser Form in anderen Veranstaltungen kaum erzielt wird.
Den Schluss dieses Kapitels bildet das Konzept für eine Weiterentwicklung
der
semivirtuellen Vorlesung zu einem Blended Learning-Modell
zur Nutzung verteilter
Expertise. Mit dieser Weiterentwicklung,
die auch für die Weiterbildung sowie für Kooperationen zwischen Hochschule und Wirtschaft interessant sein dürfte, ergibt sich
ein Mehrwert beim Einsatz der neuen Medien, weil Expertenwissen, das an verschiedenen Standorten verteilt ist, gebündelt und zur Erhöhung der Lehrqualität eingesetzt
wird. Die noch ausstehende Umsetzung und Evaluation des Blended Learning zur
Nutzung verteilter Expertise wird zeigen, ob sich der erwartete Nutzen wie leichtere
Akquise von Experten, höhere Qualität der Inhalte und bessere Betreuung der Lernenden sowie Interesse der Wirtschaft an diesem Konzept einstellt.
Was man aus der semivirtuellen Vorlesung für die Planung, Konzeption und Durchführung von Blended Learning in der Hochschule (aber auch Weiterbildung) lernen,
was man also (mit Einschränkung) als Empfehlungen ableiten kann, ist Gegenstand
des folgenden und letzten Kapitels, in dem als Hilfestellung für die Praxis eine Reihe
von Leitlinien für das Blended Learning ausgearbeiteten wurden.
82
Kapitel IV. Leitlinien für Blended Learning
in der Hochschullehre
"Alle Mittel bleiben nur stumpfe
bendiger Geist sie zu verstehen
nach Roehl, 2000, S. 333).
Instrumente, wenn nicht ein legebraucht" (Albert Einstein, zit.
Inhalt und Ziel von Kapitel IV
Ideen für die Hochschullehre (und Weiterbildung) sind relativ schnell geboren - oft
aber bleibt es dabei, weil Ideen keine Rezepte mitliefern, die die entscheidende
Frage beantworten: Wie mache ich es denn jetzt? Auch das letzte Kapitel dieses
Buches kann keine Rezepte zum Blended Learning bieten, weil jede Hochschule,
jede Disziplin und jeder Hochschullehrer
mit seinen Studierenden andere Voraussetzungen mitbringt, die allenfalls Leitlinien in Form von Heuristiken sinnvoll erscheinen lassen. Aufbauend auf unseren eigenen Erfahrungen bei der Konzeption, Durchführung und Evaluation der semivirtuellen Vorlesung und Überlegungen zum Innovationspotential des Blended Learning für die Hochschule haben wir eine Reihe von
Leitlinien mit heuristischem Charakter zusammengestellt
und diese möglichst praxisnah auch zu Checklisten für die Praxis verarbeitet. Um den Leitlinien eine Struktur zu
geben, haben wir diese entlang der Logik des Projektmanagements
und damit um
Fragen der Planung, der Konzeption und Gestaltung sowie der Durchführung und
des Qualitätsmanagements
organisiert. Diese Leitlinien können auf der einen Seite
keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit
und Vollständigkeit haben; auf der anderen
Seite aber geben sie denjenigen eine induktiv entstandene Starthilfe, die ernsthaft
daran interessiert sind, durch einen evolutionären
Einsatz der neuen Medien die
Hochschullehre (oder Weiterbildung) nachhaltig und positiv zu verändern.
Übersichtsgrafik
116.
Projektmanagement
I --+
16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement
16.2 Aufgaben des Projektmanagements
17.1
17.2
17.3
17.4
~Konzeptlon
und Gestaltung •••
19. Durchführung und
Qualitätsmanagement
--+
zu Kapitel IV
ZIelfindung
Kontextanalyse und Ressourcenplanung
Teamarbeit und Kooperationen
Der Projektplan
18.1 Normative und strategische Entscheidungen
18.2 Gestaltung auf der operativen Ebene
19.1 Pilotierung
19.2 "Echtbetrieb"
83
16. Projektmanagement
"Die konsequente Nutzung der Möglichkeiten von e-Learning erfordert eine mehr
oder weniger umfassende Projektorganisation.
Dies gilt sowohl für die Einführung als
auch für die laufende Nutzung .. ." (Tiemeyer, 2002, S. 1). Dieser Auffassung schließen wir uns an - auch wenn man das in Unternehmen übliche betriebswirtschaftliche
Projektmanagement
unserer Ansicht nach nicht, wie dies oft gefordert oder versucht
wird, eins-zu-eins auf den Hochschulkontext übertragen kann. Von zentraler Bedeutung aber sind die Grundgedanken des Projektmanagements,
wenn es darum geht,
e-Learning im Allgemeinen und Blended Learning im Besonderen als didaktische Innovation in der Hochschullehre einzuführen, durchzusetzen und langfristig weiter zu
entwickeln. Wann aber spricht man von einem Projekt und was genau versteht man
unter Projektmanagement?
Was sind die Aufgaben des Projektsmanagements
und
wie kann man diese auf die Einführung und Weiterentwicklung von Blended Learning
in der Hochschullehre anwenden? Der erste Abschnitt soll knappe Antworten auf diese grundlegenden Fragen liefern, auf denen man bei der Formulierung von Leitlinien
in diesem Kapitel aufbauen kann.
16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement
Was ist ein Projekt? Die Konzeption, Durchführung und Evaluation der semivirtuellen
Vorlesung in der Medienpädagogik, wie sie in Kapitel 111 beschrieben wurde, war eine
(für uns) besondere und umfangreiche, aber auch zeitlich begrenzte78 Aufgabe. Sie
war, bezogen auf die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, umfangreich und
mit Aufgaben verknüpft, die den Routinebetrieb der Lehre gesprengt haben. Zudem
war sie risikoreich, denn wir konnten schwer einschätzen, wie die Veranstaltung
technisch und organisatorisch funktionieren und von den Studierenden aufgenommen werden würde. Mit diesen Merkmalen erfüllt die semivirtuelle Vorlesung wesentliche Charakteristika eines Projekts: In der wirtschaftswissenschaftlichen
Literatur spricht man dann von einem Projekt, wenn zeitlich prinzipiell begrenzte Aufgaben
bearbeitet werden, die relativ neuartig, schwierig und mit Risiken behaftet sind, die
Fragen und Probleme aufwerfen, die über das "normale" Management hinausgehen
und meist auch interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern (z.B. Zielasek, 1999). Es
erscheint also nahe liegend, jedes e-Learning-Vorhaben
(auch Blended Learning) in
der Hochschule zunächst einmal als Projekt durchzuführen.
Der Projektstatus als Innovationsbarriere? Aufmerksamen Lesern wird an dieser SteIle auffallen, dass in Kapitel I gerade der Projektstatus vieler e-Learning-Vorhaben
als
problematisch diskutiert wurde: Das Stecken bleiben im Projektstatus - so haben wir
festgestellt - kann "echte" Innovationen (im Sinne eines modernen Innovationsverständnisses) verhindern, weil Projekte per definitionem neuartige und außergewöhnliche Vorhaben und gerade nicht mit der Implementation in den regulären Lehrbetrieb
verbunden sind. Dieser Widerspruch aber löst sich auf, wenn man das Projekt als
ersten Schritt im Innovationsprozess
und damit als zeitlich befristete Aufgabe versteht, an die sich die Entscheidung anschließt, den Echtbetrieb aufgrund erfolgreicher Projektdurchführung
aufzunehmen
oder nicht. Die letzt genannte Option
muss ebenfalls möglich sein, denn: Es ist ja gerade die Stärke eines Projekts, dass
Von der Idee im November 2001 blieb nur Zeit bis zu Beginn des darauf folgenden Sommersemesters 2002.
78
84
es eine solche Entscheidung auf der Grundlage empirisch gewonnener Informationen überhaupt ermöglicht. Nicht Projekte per se sind also das Problem, wenn es um
den nachhaltigen Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre geht, sondern die
verzögerte oder fehlende Entscheidung zur Implementation didaktischer Innovationen, obwohl das Projekt erfolgreich war.
Was versteht man unter Projektmanagement?
Projektmanagement
gilt als ein Führungsinstrument bzw. als eine Führungskonzeption,
in der es vorrangig darum geht,
Aktivitäten im Rahmen eines Projekts nicht dem Zufall zu überlassen, sondern zielgerichtet zu planen und durchzuführen. Unter Projektmanagement
versteht man daher
die Planung, Koordination, Kontrolle und Steuerung von Maßnahmen, die für die Lösung eines Problems (aus dem das Projekt erwachsen ist) erforderlich sind. Dabei
sollen erprobte Verfahren etwa aus der Führungs- und Organisationslehre
wie auch
aus der Entscheidungstheorie
und Informationstechnik zur Anwendung kommen (Zielasek, 1999). Diese breite Definition ist notwendig, weil es natürlich sehr unterschiedliche Projekte gibt: So unterscheidet sich etwa ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt ganz erheblich von einem Bauprojekt oder Fertigungsprojekt.
Blended Learning-Projekte sind in der Regel Entwicklungsprojekte,
bisweilen auch Forschungsprojekte, sodass auch wissenschaftliche
Standards von Bedeutung sein können. Kompetenzen im Projektmanagement
werden zunehmend zu den Schlüsselqualifikationen gezählt, die heute in der beruflichen Praxis dringend gebraucht werden - nicht
nur in Unternehmen, sondern z.B. auch in Verwaltung, Hochschule und anderen Organisationen.
16.2 Aufgaben des Projektmanagements
Warum Projektmanagement?
Es gibt viele Argumente, die ein Management - also
eine zielorientierte Planung, Gestaltung und Steuerung - von Projekten sinnvoll erscheinen lassen. Deutlich wird das vor allem dann, wenn man sich einmal die Aufgaben des Projektmanagements
vor Augen hält: So gehört es zum Projektmanagement, eine sorgfältige Planung sicherzustellen, bei der die Ziele eindeutig formuliert
werden, Kontext und Bedarf einer genauen Analyse zu unterziehen und daraufhin
eine realistische Ressourcenplanung einzuleiten. Zur Planung gehört auch die Teambildung und das "Einfädeln" von Kooperationen. Krönender Abschluss der Planung
ist ein ausführlicher, aber nicht rigider Projektplan. Eine weitere Aufgabe des Projektmanagements
besteht darin, dass man das Projekt - vom Beginn bis zu seinem
Abschluss - immer wieder einer kritischen Überprüfung unterzieht und sich die Frage
stellt, ob die ablaufenden Prozesse und die resultierenden
Ergebnisse noch den
vorab festgelegten Zielen entsprechen. Ist dies nicht der Fall, obliegt es dem Projektmanagement,
entweder die Ziele, die "Marschroute" oder auch Instrumente des
Projekts (und damit auch den Projektplan) zu korrigieren. Projektmanagement
aber
meint nicht nur die technisch anmutende Steuerung und Kontrolle von Prozessen;
Projektmanagement
umfasst auch Funktionen, die man z.B. von einer guten Führungskraft erwartet: Konflikte rechtzeitig erkennen und gegensteuern, Kreativität und
Innovationsfähigkeit
der Beteiligten fordern und fördern, Teamarbeit und zielorientierte Kooperation unterstützen sowie die Kommunikation nach innen und außen verbessern.
85
Projektmanagement
beim Blended Learning. Die in diesem Kapitel folgenden Leitlinien zum Blended Learning in der Hochschullehre sollen entsprechend einer "Projektmanagement-Logik"
aufgebaut werden, die sich an den oben angedeuteten Aufgaben orientieren; das heißt: Ein Blended Learning-Projekt
muss zunächst einmal
sorgfältig geplant werden. Es müssen Ziele gefunden und formuliert werden, der
Kontext muss analysiert werden, Ressourcen sind zu planen, es muss ein Team gebildet und es können Kooperationen angedacht werden; last but not least steht am
Ende der Planung ein Projektplan. Auf die Planung folgt die Konzeption und Gestaltung einer konkreten Blended Learning-Veranstaltung
auf den Ebenen der Theorie,
der Methodik und der Medien - immer bezogen auf die vorab formulierten Zielsetzungen, aber auch mit der Option, Ziele oder Wege flexibel aufeinander abzustimmen.
Ist die Blended Learning-Veranstaltung
konzipiert und gestaltet, geht es an die erste
Umsetzung (Pilotierung), die auch von Evaluationsmaßnahmen
begleitet sein sollte,
um notwendige Entscheidungen
in Bezug auf die angestrebte Implementation des
Projekts in den Echtbetrieb der Hochschullehre treffen zu können.
Abbildung 15 gibt noch einmal einen Überblick über die wichtigsten Teilbereiche bzw.
Prozesse des Projektmanagements,
wie man sie auch für das Blended Learning nutzen kann.
Phasen des Projektmanagements
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,/ Zielfindung
,/ Kontextanalyse und
Ressourcenplanung
,/ Teamarbeit und Kooperationen
,/ Projektplan
,/ Normative Entscheidungen (z.B. Theorien)
,/ Strategische Entscheidungen (v.a.
Methoden bzw. Lehr-Lernformen)
,/ Operative Entscheidungen (Medien und
konkrete Gestaltungsmaßnahmen)
,/ Pilotierung
(Evaluation)
,/ Echtbetrieb
(Implementation)
Abb. 15: Phasen des Projektmanagements beim Blended Learning
86
Es geht uns in diesem letzten Kapitel nicht darum, ein ausgefeiltes Projektmanagement mit Excel-Tabellen oder anderen komplizierten technischen Tools79 zu propagieren: Mit Blick auf das in den Kapiteln I und 11formulierte Ziel, mittels Blended Learning inkremental-evolutionäre
Innovationsprozesse
anzustoßen, die unter anderem
bottom up entstehen und prinzipiell von jedem Hochschullehrer
ausgehen können,
wäre dies auch nicht funktional. Zudem sagen uns die eigenen Erfahrungen, dass
eine klare, aber einfache Systematik entscheidend ist für eine stringente Projektdurchführung - Klarheit und Konsens erscheinen uns im Kontext der Hochschullehre
wichtiger als verästelte Verfahrensschritte.
Leitlinien zum Projektmanagemenf.
Die folgenden Leitlinien zur Planung, zu Konzeption und Gestaltung sowie zu Durchführung
und Qualitätsmanagement
sind teils
ordnende Dimensionen, die Strukturierungs- und Reflexionshilfen geben, teils offene
Fragen, die jeder selbst für sich beantworten muss, teils handelt es sich um konkrete
Empfehlungen, die zwar keine detaillierten Anleitungen, aber doch Richtungen und
verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten
aufzeigen. Einzelne Punkte mögen für sich
genommen stellenweise als etwas Selbstverständliches
wirken; in der Gänze aber
machen gerade diese oft den Erfolg eines Projektes aus - gemäß dem Spruch: "Eine
Kette ist nur so gut wie ihr schwächstes Glied". Die Orientierung an Leitlinien ist umso wichtiger, je weniger Erfahrung man mit der Planung, Konzeption, Durchführung
und Implementation virtueller Lehr-Lernangebote
hat. Wer dagegen über Vorerfahrungen und entsprechendes
Wissen und Können hierzu verfügt, wird einige Entscheidungen auch implizit fällen, ohne dass diese dadurch weniger professionell und
zielführend sind. Aus der Expertiseforschung (z.B. Gruber & Mandl, 1996) wissen wir,
dass implizites Wissen und intuitives Handeln ein markantes Kennzeichen von Experten ist. Aber auch der Experte hat Theorien und Regeln einmal explizit (meist
sprachgebunden)
erworben. Von daher liegt die Empfehlung nahe, die folgenden
Leitlinien und Checklisten als Unterstützung für die Entwicklung und Durchführung
eines Blended Learning-Vorhabens
vor allem dann heranzuziehen, wenn man Novize auf diesem Gebiet ist8o.
17. Planung
Der Planungsphase kommt im Management eines Blended Learning-Projekts
eine
zentrale Stellung zu. Auch wenn es trivial klingt: Man sollte bei einem e-LearningProjekt genau wissen, was man eigentlich will! Mit anderen Worten: Es sollte ein "Bildungsproblem" (im weitesten Sinne; Kerres, 2002) vorliegen, von dem man annehmen kann, dass es mit e-Learning bzw. Blended Learning besser lösbar ist als ohne
den Einsatz der neuen Medien. Die Zielfindung und die Formulierung konkreter Ziele
ist der erste Schritt, für den man sich ausreichend Zeit nehmen sollte. Des Weiteren
Z.B. MS Projecl.
Die Entstehungsgeschichte der semivirtuellen Vorlesung, wie sie in Kapitel 111
(Abschnitt 11.1) beschrieben wurde, mag an einigen Stellen weniger systematisch geplant erscheinen, als dies im Folgenden postuliert wird. Das ist einerseits richtig, weil die folgenden Leitlinien erst nach der Pilotierung
der semivirtuellen Vorlesung entstanden sind - einige dieser Leitlinien hätte auch unsere Arbeit effizienter machen können. Andererseits lagen bereits umfangreiche Erfahrungen in der Konzeption und
Durchführung virtueller Lehr-Lernangebote vor, sodass so mancher expliziter Planungsschritt umgangen oder reduziert werden konnte.
79
80
87
ist es wichtig, den Kontext, in dem Blended Learning zum Einsatz kommen soll,
genau zu kennen und Bescheid zu wissen, welche Rahmenbedingungen
das Vorhaben fördern und welche es (vielleicht oder wahrscheinlich) behindern werden. Eng
damit verknüpft ist die Frage der Ressourcen, die man für das Vorhaben braucht und
die man entsprechend beschaffen muss. Da man ein Blended Learning-Projekt nicht
allein bewältigen kann (auch der einzelne Hochschullehrer braucht "Helfer"), gehört
die Teambildung auf jeden Fall in den Planungsprozess;
zudem kann man sich bereits in dieser Phase nach geeigneten Partnern umsehen. Ähnlich wie bei einem geförderten Forschungsprojekt
sollte bei jedem Blended Learning-Vorhaben
am Ende
der Planungsphase ein aussagekräftiger
Projektplan stehen, der die Meilensteine,
wichtige Zeitpunkte und Arbeitsphasen definiert.
17.1 Zielfindung
Ob ein Vorhaben erfolgreich ist oder nicht, dafür gibt es keine absoluten Maßstäbe:
Jedes Projekt - und somit auch ein Blended Learning-Projekt - lässt sich nur im Hinblick auf die Ziele bewerten, die dem Vorhaben zugrunde liegen. Gleiches gilt auf der
Ebene des Lernens und Lehrens im Rahmen eines Projekts: Auch hier gibt es verschiedene Ziele und man kann in der Regel je nach Gestaltung des Lernens und
Lehrens nicht jedes beliebige Ziel erreichen. Ziele sind nicht nur wichtige Wegmarken, die dem Projektvorhaben
eine Richtung und Marschroute vorgeben; sie sind
auch die Kriterien, an hand derer am Ende des Projekts dessen Erfolg beurteilt
werden kann (siehe Abschnitt 19). Letzteres ist umso einfacher, je konkreter die Ziele
beschrieben bzw. je besser sie operationalisiert81 wurden.
Ziele des gesamten Projekts. In einem ersten Schritt sollte man sich über die primären Beweggründe des Blended Learning-Vorhabens
Gedanken machen und überlegen, welche grundlegenden Ziele die Basis des Projekts bilden: Geht es primär
darum, die neuen Medien in Kombination mit neuen Lehr-Lernformen
einzusetzen,
um eine didaktische Innovation anzustoßen, um etwas Neues in der Lehre auszuprobieren und die Qualität der Lehre aus "innovativem Antrieb" heraus zu erhöhen? Man
könnte dies eine proaktive Zielsetzung des Projekts nennen. Oder ist das Blended
Learning-Vorhaben eher eine Reaktion auf ein bestehendes Defizit bzw. auf eine Art
"Notlage", wie z.B. Effizienzprobleme, Personalmangel, Druck seitens der Studierenden etc.? Man könnte dies als eine reaktive Zielsetzung des Projekts bezeichnen.
Beide Beweggründe können auch in kombinierter Form vorliegen: So kann man ein
zu lösendes Problem auch zum Anlass für Innovationen nehmen (wie dies z.B. bei
der semivirtuellen Vorlesung der Fall war). Neben diesen Gruppen von Zielen gibt es
natürlich auch andere (situativ entstehende) Beweggründe: So war es in unserem
Fall z.B. ein weiteres Ziel, mittels der semivirtuellen Vorlesung die Einstellung zu eLearning-Angeboten
zu verändern und Anstöße für die Entwicklung von Medienkompetenz zu geben, weil wir dies für Studierende der Medienpädagogik aus mehreren Gründen für geboten hielten.
Zielgruppe. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, wer mit dem Blended LearningAngebot angesprochen wird. Dabei sollte man versuchen, die Zielgruppe - soweit
Mit Operationalisierung wird die Verknüpfung von Begriffen/theoretischen Konstrukten mit Verfahren
(Operationen) bezeichnet, durch die sich die Bedeutung der Begriffe/Konstrukte empirisch bestimmen
(also z.B. beobachten) lässt.
81
88
dies möglich ist - demografisch relativ genau zu beschreiben, also z.B. Umfang sowie Alters- und Geschlechtsverteilung
ebenso zu berücksichtigen wie deren regionale Verteilung, Mobilität und die Verfügbarkeit neuer Medien wie Computer und Internetanschluss (technische Ausstattung). Von besonderer Bedeutung sind die bestehenden Fähigkeiten, Erfahrungen, Gewohnheiten und motivationalen Voraussetzungen: Zunächst einmal muss man an die Vorkenntnisse denken, die die Zielgruppe in
Bezug auf den zu vermittelnden Gegenstand mitbringt: Handelt es sich dabei eher
um Novizen ohne Vorwissen, um Fortgeschrittene
mit Grundlagenwissen
oder bereits um Experten? Zum anderen sollte man Bescheid wissen über die bestehenden
fachübergreifenden
Kompetenzen wie Lern- und Medienkompetenz
sowie Vorerfahrungen etwa im selbstgesteuerten,
kooperativen und/oder mediengestützten Lernen:
Wie lernt die Zielgruppe gewöhnlich? Welche Lernformen stehen im Vordergrund und
auf welche Vorerfahrungen
und Lernstile kann man entsprechend zurückgreifen?
Wichtig ist auch die Motivation der Lernenden und damit die Frage, ob externe Gründe oder eigene Interessen vorherrschen, ob gezwungenermaßen
oder freiwillig gelernt wird. Schließlich ist es von großer Bedeutung, wie homogen die Zielgruppe in
den genannten Merkmalen ist bzw. ob und inwieweit man diesbezüglich von einer
heterogenen Zusammensetzung
ausgehen muss. Natürlich hat man als Hochschullehrer (aber auch in der Weiterbildung) bedingt die Möglichkeit, seine Zielgruppe vorher zu definieren und die verschiedenen Merkmale einfach vorzugeben.
Lehr-Lernziele und -inhalte. Da es sich beim Blended Learning um ein Projekt des
Lernens und Lehrens handelt, stellt sich bei der Planung auch die zentrale Frage
nach den konkreten Lehr-Lernzielen und -inhalten: Zu klären ist, was (also welcher
Gegenstandsbereich)
vermittelt werden soll, und wie das zu vermittelnde Wissen
beschaffen ist: Handelt es sich z.B. eher um Faktenwissen oder um Handlungswissen? Stehen bestimmte fachlich strukturierte Inhalte oder Inhalte im Vordergrund,
die sich um Phänomene gruppieren? Eng damit verbunden ist der Komplexitätsgrad
des Wissens: So sollte man z.B. gut überlegen, welche Vorkenntnisse und welches
Vorverständnis notwendig sind, um die inhaltliche Komplexität bewältigen zu können.
Schließlich muss man sich Gedanken darüber machen, wozu sich die Zielgruppe mit
den Inhalten beschäftigen soll; hier gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen:
Ziel kann es sein, dass sich Lernende einen Überblick über einen größeren Themenbereich erarbeiten oder aber ein spezielles Thema vertiefen. Eine weitere Dimension
bei der Frage nach dem Wozu ist die Art der Anwendung des erworbenen Wissens:
Manches Wissen braucht man, um sich mit einem neuen Gebiet beschäftigen zu
können (Grundlagenwissen);
anderes Wissen wiederum macht nur Sinn, wenn man
es auch bei konkreten Problemstellungen
in der Praxis nutzen kann. Es lohnt sich,
bei den Lehr-Lerninhalten
und -zielen ins Detail zu gehen und sehr genau zu differenzieren, was man will und was nicht, was das Blended Learning-Angebot
für wen
leisten soll und was nicht - bereits bei der Konzeption und Gestaltung der hybriden
Lernumgebung zeigt sich der Lohn für eine präzise Zielsetzung in der skizzierten Art.
Tabelle 4 fasst die wichtigsten
sammen.
Punkte bei der Zielfindung
als eine Art Checkliste zu-
89
Tab. 4: Checkliste 1: Zielfindung
Projektziele
Proaktive Ziele
Reaktive Ziele
Kombinierte Ziele
Andere Ziele
Zielgruppe
Demografische
Daten
Fachliche
Vorkenntnisse
Uberfachliche
Kompetenzen
Motivation
Homogenität!
Heterogenität
Lehr-Lernziele/-in halte
Gegenstands-bereich
Wissen/
Wissensmerkmale
Lernziele
··
•·
·
·
•·
•
··
··
·
•
•
·
··
···
•
·
·
·
·
17.2 Kontextanalyse
Geht es mir/uns vorrangig um eine Innovation in der Hochschullehre?
Wenn ia: Wie lässt sich dies aenauer beschreiben?
Geht es mir/uns vorrangig um die Lösung eines akuten Problems?
Wenn ia: Wie lässt sich dies genauer beschreiben?
Geht es mir/uns vorrangig darum, die Lösung eines Problems mit einer
Innovation zu verbinden?
Wenn ia: Wie lässt sich dies aenauer beschreiben?
Welche anderen Beweggründe liegen meinem/unserem Projekt zugrunde?
Wie lassen sich die damit verbundenen Ziele aenauer beschreiben?
Welchen Umfang hat meine/unsere Zielgruppe?
Wie ist die Geschlechts-/Altersverteilung?
Wie steht es um die regionale Verteilung und die Mobilität?
Welche technische Ausstattuna steht der Zielaruppe zur Verfügung?
Was weiß meine Zielgruppe über den zu vermittelnden Gegenstand?
Handelt es sich um Novizen, Fortaeschrittene oder Experten?
Welche Lern- und Medienkompetenz bringt die Zielgruppe mit?
Welche anderen Kompetenzen/Lernstile können vorausgesetzt werden?
Von welcher Motivation kann man bei der Zielgruppe ausgehen (mehr
extrinsisch oder intrinsisch)?
Wie homogen/heterogen ist die Zielgruppe in welchen Merkmalen?
Im Falle einer heterogenen Gruppe: Wie setzt sich diese zusammen?
Was soll vermittelt werden?
Wie lässt sich der Geaenstandsbereich beschreiben und einarenzen?
Wie kann man das zu vermittelnde Wissen genauer charakterisieren?
Handelt es sich eher um Fakten- oder um Handlungswissen?
Stehen fachliche Strukturen oder (fachübergreifende) Phänomene im
Vordergrund?
Wie komplex ist das zu vermittelnde Wissen und welche Vorkenntnisse
werden entsprechend vorausaesetzt?
Wozu sollen die Inhalte vermittelt werden bzw. was sollen die Lernenden
mit den Inhalten tun können (z.B. Grundlage für weiteren Wissenserwerb;
unmittelbare Anwendung des Wissens etc.)?
Wie sollte sich der Lernerfolg (bezogen auf die Ziele) zeigen (Operationalisierung der Lernziele)?
und Ressourcenplanung
Wenn es um den Kontext und die Ressourcen eines e-Learning- oder Blended Learning-Projekts geht, stehen Geld, Zeit, Personal und Technik zunächst einmal im Vordergrund des Interesses: Abzuklären ist, welcher finanzielle Spielraum da ist (Wie
viel Geld darf das Ganze kosten?), welcher Zeitraum zur Verfügung steht (Wie viel
Zeit darf das Ganze in Anspruch nehmen?), wie viele Personen zur Mitarbeit in Frage
kommen (Wer kann mitmachen?) und auf welcher technischen Basis man aufbauen
kann (Was ist an Technik da?). Zur Lösung eines Bildungsproblems stehen zwar die
globale Zielsetzung, die Zielgruppe und die Lehr-Lernziele an ersten Stelle (vgl. Abschnitt 17.1), doch die Mittel und Wege zur Zielerreichung sind niemals unabhängig
vom Kontext, in dem das Projekt stattfindet. Eine genaue Analyse des Kontextes und
der vorhandenen Ressourcen zeigt, was man aus dem Stand heraus leisten kann,
90
wo man noch nach Ressourcen
lassen sollte.
suchen muss und was man von vornherein
lieber
Der finanzielle Spie/raum. Wie in Kapitel I ausführlich beschrieben wurde, ist die angespannte finanzielle Lage der Hochschulen insgesamt betrachtet (leider) keine
günstige Ausgangsbedingung
für Projekte zum Einsatz der neuen Medien. Besser
sieht es aus, wenn bereits Fördergelder zur Verfügung stehen oder die Möglichkeit
besteht, an Fördergelder zu kommen. Zur Planung der Finanzen gehört also z.B.
auch, Förderanträge zu schreiben oder durch Kooperationen etwa mit der Wirtschaft
an eine finanzielle Unterstützung des Vorhabens zu gelangen. Ob so oder so: Eine
genaue Aufstellung der vorhandenen und/oder zu erwartenden Finanzen, die für ein
Blended Learning-Projekt verwendet werden können, gehört in die erste Phase des
Projektsmanagements.
Dem sind die finanziellen Mittel gegenüber zu stellen, die
man bezogen auf die ersten Ideen und Zielsetzungen
für das Blended LearningProjekt in etwa veranschlagen muss. Auf dieser Basis ist ein realistischer Finanzplan
zu erstellen, auf dem die notwendigen Finanzen für Personalmittel, Sachmittel und
sonstige Mittel verzeichnet sind. Allerdings muss einem klar sein, dass zu Beginn des
Projekts nur ungefähre Angaben möglich sind; konkrete Zahlen ergeben sich erfahrungsgemäß erst nach der Konzeption und Gestaltung des Vorhabens (siehe Abschnitt 17.3). Da es weder Personal noch Technik zum Nulltarif gibt, sind die verfügbaren Geldmittel ein zentrales K.-o.-Kriterium
für etliche nachfolgende
Entscheidungen. Folglich sollte man sich davor hüten, blauäugig - weil doch die Idee so gut
ist - ein Projekt zu starten, das finanziell nicht gesichert ist. Die an mehreren Stellen
postulierte Nachhaltigkeit der Nutzung neuer Medien in der Hochschullehre ist ohne
adäquate finanzielle Planung von vorn herein gefährdet. Damit ist nicht gesagt, dass
mit geringem finanziellen Spielraum kein Blended Learning-Projekt möglich ist. Da es
gerade die Stärke des Blended Learning ist, auch ohne aufwändige technische Voraussetzungen gute Erfolge zu erzielen, kann selbst auf einer schmalen Finanzbasis
begonnen werden. In unserem Fall war für die semivirtuelle Vorlesung erst mal weit
und breit kein Geld in Sicht. Entsprechend haben wir uns für eine Konzeption entschieden, die im finanziellen Rahmen einer Professur (gerade noch) tragbar ist.
Der verfügbare Zeitraum. Bei der Planung eines Blended Learning-Projekts
sollte
man stets auch den Faktor Zeit im Auge behalten. Zeit ist in vielen Fällen Geld, z.B.
wenn es um das zu finanzierende Personal geht, oder wenn Lizenzen (für Software)
u.ä. im Spiel sind. Eine genaue Zeitplanung ist aber auch aus organisatorischen und
motivationalen Gründen von Bedeutung: Die Konzeption, Gestaltung und Durchführung einer Blended Learning-Veranstaltung
muss koordiniert werden, was einen realistischen Zeitplan voraussetzt; es muss in geeigneten Abstände überprüft werden,
ob und wie die gesetzten Ziele erreicht werden, was ebenfalls eine zeitliche Vorausplanung erfordert. Zudem brauchen die am Projekt beteiligten Personen (s.u.) Anker
und damit auch zeitliche Marker, an denen sie sich orientieren können. Dabei sollte
man unbedingt eine Balance finden zwischen dem Motto "Gut Ding will Weile haben"
und dem Wunsch nach schnellen Erfolgen: Zu ausgedehnte Zeitpläne können die
Motivation erheblich strapazieren, weil sichtbare Ergebnisse zu lange auf sich warten
lassen und umso mehr Unwägbarkeiten dazukommen, je länger das Projekt dauert.
Zu gedrängte Zeitpläne wiederum laufen Gefahr, großen Druck aufzubauen, dem
man vor allem dann nicht standhalten kann, wenn mehrere Aufgaben parallel zu
erledigen sind (was im Hochschulkontext die Regel ist). Neben dem Finanzplan sollte
91
von daher auch ein realistischer, dem Kontext angepasster (auch flexibel auszugestaltender) Zeitplan erstellt werden - beides zusammen kann später in den Gesamt-Projektplan (siehe Abschnitt 17.4) einfließen. Neben den genannten "inneren"
Zeitfaktoren, sind auch "äußere" Zeitfaktoren zu berücksichtigen, wie z.B. die vorgegebene Länge einer Projektförderung o.ä. Soll die Pilotierung bereits im Echtbetrieb
der Hochschullehre erfolgen (wie dies z.B. bei der semivirtuellen Vorlesung der Fall
war) sind etwa Semesteranfang
und Semesterende
vorgegebene Zeitpunkte, die
man bei der Planung entsprechend einkalkulieren muss.
Die personellen Kapazitäten. Geld und Zeit sind die eine Sache, Personal die andere: Die Kapazität jedes Einzelnen - auch des einzelnen Hochschullehrers - ist begrenzt, doch in der Euphorie für eine Sache wird diese einfache Erkenntnis schneller
missachtet als man glaubt. Auch für kleinere Projekte im Rahmen der Hochschullehre sollte man sich von daher ein Team zusammenstellen,
das wissenschaftliche,
aber auch studentische Mitarbeiter (Hilfskräfte) oder Studierende einschließt, die z.B.
im Rahmen des Projekts eine Abschlussarbeit
schreiben wollen. Hier sollte man
rechtzeitig nach geeigneten Personen Ausschau halten und verpflichtende Abmachungen treffen, um nicht mitten im Projekt plötzlich allein dazustehen. Beim Blended
Learning zur Nutzung verteilter Expertise (vgl. Abschnitt 14) sind Co-Autoren bzw.
Experten für ausgewählte Inhaltsbereiche zu den wichtigsten Kooperationspartnern
zu zählen. Aber auch dann, wenn es nicht um verteilte Expertise geht, sollten Kooperationspartner
aus anderen Fächern, Fakultäten oder Hochschulen
als externe
Teampartner in Erwägung gezogen werden; zu denken ist dabei zudem an Partner
aus der Wirtschaft. In allen Fällen ist allerdings genau nachzuhaken, in welchem
Ausmaß sich externe Partner für das Projekt engagieren würden - also ob und inwieweit mit einer "echten" Kooperation und nicht nur mit einem Lippenbekenntnis zu
rechnen ist. Was neben der reinen Anzahl an verfügbaren Personen (um die es in
diesem Abschnitt geht) noch alles beim Thema "Personal" zu beachten ist, wird beim
Aspekt "Teambildung" (Abschnitt 17.3) genauer beschrieben.
Die technische Grundlage. Blended Learning als eine Form des e-Learning braucht
immer auch technische Mittel, die jedoch eine weite Spannbreite umfassen können,
je nachdem, ob günstige oder aufwändige und entsprechend kostspielige Lösungen
angedacht sind. Wichtig sind von daher die vorhandenen Infrastrukturen sowie existierende Hard- und Software am Lehrstuhl, an der Fakultät bzw. an der Hochschule
(Netz-Infrastruktur,
Server, e-Learning-Plattformen,
vorhandene Software etc.); ausschlaggebend ist, worauf man zuverlässigen Zugriff hat. Zu berücksichtigen sind neben der technischen auch die dazugehörige personelle Ausstattung, also das technische Personal sowie medientechnisch versierte wissenschaftliche und studentische
Mitarbeiter, die einem zur Verfügung stehen. Dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, denn technische Geräte bedürfen immer auch der Wartung und Pflege und
oft genug der Reparatur. In dem Zusammenhang
sollte auch die Kooperationsbereitschaft des zuständigen Rechenzentrums
in die Planung miteinbezogen werden.
Wenn man von vornherein die Anbindung des Blended Learning-Projekts
an den
Echtbetrieb der Hochschullehre (oder Weiterbildung) vor Augen hat und die zeitliche
Planung nicht allzu viel Spielraum bietet (mit anderen Worten: Wenn man sehr
schnell etwas auf die Beine stellen will), sollte man in jedem Fall die vorhandene
technische Grundlage zum Ausgangspunkt der Grobkonzeption der hybriden Lernumgebung (siehe Abschnitt 17.3) machen. Dies ist insbesondere auch für den Fall
92
anzuraten, wenn die eigenen finanziellen Mittel eher bescheiden sind und keine Fördermittel oder sonstige nennenswerte finanzielle Unterstützung in Aussicht stehen.
Tabelle 5 gibt noch einmal einen Überblick
planung in Form einer Checkliste.
über Kontextanalyse
und Ressourcen-
Tab. 5: Checkliste 2: Kontextanalyse und Ressourcenplanung
Finanzieller Spielraum
Vorhandene Mittel
0
0
In Aussicht
stehende Mittel
0
0
Voraussichtliche
Kosten
0
0
Finanzplan
0
0
Verfügbarer Zeitraum
Geplanter Beginn
0
und geplantes
0
Ende
0
"Innere" Zeitfaktoren
"Äußere" Zeitfaktoren
Zeitplan
0
0
0
0
0
0
Gibt es eine ausreichend gute finanzielle Ausstattung des Lehrstuhls, auf der
man aufbauen kann?
Gibt es bereits bewilligte Fördergelder, mit denen man kalkulieren kann?
Gibt es Möglichkeiten, Fördergelder (aus Bund, Ländern, Stiftungen etc.) zu
beantragen? Wie wahrscheinlich ist die Bewilligung von Fördergeldern?
Gibt es Möglichkeiten, an finanzielle Unterstützung seitens der Wirtschaft zu
kommen (Sponsorinq, Kooperationen etc.)?
Mit welchen Kosten ist voraussichtlich zu rechnen, wenn man von den ersten
Zielsetzungen des Projekts ausgeht?
Welche Differenz ergibt sich aus den voraussichtlichen Kosten und vorhandenen Mitteln?
Erstellung eines ersten Finanzplans (Sachmittel, Personalmittel, sonstige
Mittel) für das Projekt.
Berücksichtigung flexibler Kosten bzw. Kosten, die man erst nach der Konzeption und Gestaltunq qenauer beziffern kann.
Wann kann das Projekt realistischerweise beginnen?
Wann müsste das Projekt nach bisherigem Stand der Dinge beendet sein?
Zu welchen Zeitpunkten sollten einzelne Ziele daraufhin überpnüft werden, ob
sie erreicht sind?
Welchen Zeitrahmen kann ich den Projektbeteiligten "zumuten"?
Gibt es ein Minimum und ein Maximum an Zeit, innerhalb dessen zeitliche
Phasen auch flexibel qeplant werden können?
Gibt es durch Förderungen u.ä. vorgegebene Zeitpunkte oder Zeiträume?
Muss sich die zeitliche Planung an Semestern oder anderen (hochschulspezifischen) Zeitpunkten orientieren?
Erstellung eines ersten Zeitplans für das Projekt.
Einkalkulierung von "Pufferzeiten" .
Personelle Kapazitäten
Personen am
0
Wie viele und welche wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter
eigenen Lehrstuhl
können (und wollen) am Projekt mitarbeiten?
0
Gibt es geeignete Studierende, die man etwa durch Abschlussarbeiten in das
Projekt involvieren kann?
Personen außer0
Wie viele und welche anderen Hochschulangehörigen aus der gleichen
halb des eigenen
Fakultät oder aus anderen Fakultäten oder anderen Hochschulen kommen
Lehrstuhls
als Projektpartner in Frage?
0
Gibt es Kooperationsmöglichkeiten mit Personen aus der Wirtschaft und in
welchem Umfanq könnten diese dem Proiekt zur Verfüqunq stehen?
Technische Grundlagen
Vorhandene tech0
Welche Infrastrukturen, Hard- und Software sind am Lehrstuhl, an der
nische Ausstattung
Fakultät bzw. an der Hochschule vorhanden?
0
Vorhandene technische Unterstützung
Rechenzentrum
0
0
0
Worauf habe ich/haben wir zuverlässig Zugriff?
Gibt es technisches Personal und/oder medientechnisch versierte wissenschaftliehe und studentische Mitarbeiter?
Wer von diesen würde im Bedarfsfall mit Sicherheit zur Verfüqunq stehen?
Wie steht es um die Kooperationsbereitschaft des zuständigen Rechenzentrums?
93
17.3 Teamarbeit und Kooperationen82
Wie im vorangegangenen
Abschnitt bereits erwähnt wurde, sollte man sich im Vorfeld eines Blended Learning-Projekts
ein geeignetes Team83 zusammenstellen
und
bei Bedarf auch Kooperationen mit Partnern außerhalb des eigenen Lehrstuhls, der
eigenen Fakultät oder auch der Hochschule suchen, denn: Ohne soziale Unterstützung - also ohne ein Team - ist ein Vorhaben wie Blended Learning, das multiple
Kompetenzen fordert, kaum zu schultern. Zudem fehlt im Alleingang die gegenseitige
Korrektur, wertvolles Feedback, wechselseitige Motivierung und Kreativität zur Konstruktion von Problemlösungen auch unter widrigen Umständen. All das ist im Team
(und mit Kooperationen) leichter und effizienter zu bewerkstelligen - sofern man die
"richtigen" Menschen um sich hat. Dass es hier keine algorithmisch anzuwendenden
Regeln gibt, liegt auf der Hand, spielt doch gerade in der Zusammenarbeit
von
Menschen neben vielen Faktoren auch die Sympathie eine zentrale Rolle - und die
lässt sich nicht zum Gegenstand eines wie auch immer gearteten (Projekt-) Managements machen. Dennoch wollen wir auch beim Aspekt "Teambildung und Kooperationen" eine Reihe von Leitlinien formulieren, die einem die Arbeit erleichtern können.
Diese Leitlinien, auch wenn sie im Einzelnen einfach klingen mögen, halten wir deshalb für wichtig, weil Teamarbeit und Kooperation in der Ausbildung an deutschen
Hochschulen längst nicht den Stellenwert haben, den man ihnen in der Wirtschaft
beimisst; entsprechend fehlt es oft an Erfahrung, Wissen und Können zu diesem
Thema.
Klassische Erfolgsfaktoren. Es gibt zahlreiche
populärwissenschaftliche
Publikationen zu der Frage, was die Geheimnisse erfolgreicher Teams sind bzw. was Teamarbeit erfolgreich macht. Die Tipps, die man findet, sind meist nicht falsch - wir werden einige davon im Folgenden kurz schildern. Allerdings ist auch Vorsicht angesagt:
Denn erstens lassen sich viele Empfehlungen lange nicht so leicht in die Tat umsetzen wie dies beim Lesen den Anschein hat. Und zweitens ist es allenfalls eine
notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, wenn man sogenannte Erfolgsfaktoren berücksichtigt. Zu viele Geschehnisse und Zustände im Projektkontext und im
Projektverlauf beeinflussen die Teamarbeit, als dass man sich auf Erfolgsfaktoren
verlassen könnte. Dennoch sollte man bei der Teamarbeit folgende Dinge im Auge
haben (vgl. Antoni, 2000): a) Teammitglieder
sind so auszuwählen, dass sie diejenigen Kompetenzen entweder mitbringen oder leicht aufbauen können, die die Inhalte, Ziele und daraus resultierenden Aufgaben des Projekts erforderlich machen.
Neben ausreichender Motivation und Interesse am Gegenstand des Projekts, ist es
natürlich auch von Vorteil, wenn die in Betracht gezogenen Personen Erfahrungen
mit Projektarbeit haben und über soziale Fähigkeiten verfügen. Je weniger "Auswahlmöglichkeiten" man hat, umso mehr wird man seine Ansprüche herunterschrauben
müssen (was im Kontext der Hochschule nicht selten ist); gerade hier aber sollte man
die eigene Kompromissbereitschaft
nicht unter ein vorher definiertes Level geraten
lassen. b) Sowohl beim Abstecken als auch beim Verteilen von Aufgaben ist darauf
zu achten, dass die erforderlichen Tätigkeiten zu den Kompetenzen der TeammitglieNatürlich spielen Teamarbeit und Kooperationen auch bei der Konzeption und Durchführung im
Projekt eine wichtige Rolle. Die Positionierung unter dem Abschnitt ••Planung" rührt daher, dass das
Projektteam und mögliche Kooperationen in jedem Fall auch der Planung bedürfen.
83 Unter dem Projektteam wird hier das Team vor Ort bezeichnet. Wenn externe Partner im Spiel sind,
wird dies im Folgenden als Kooperation bezeichnet.
82
94
der "passen" und von daher motivierend wirken können; allerdings sollten die verteilten Aufgaben auch, zumindest stellenweise, herausfordernd sein, ohne zu überfordern. In der Regel wirkt es positiv, wenn Teammitglieder Teile des Projekts eigenverantwortlich bearbeiten, also ein - bezogen auf Fähigkeiten und Erfahrungen adäquates Maß an Autonomie erhalten. c) Teammitglieder, die neben dem gemeinsamen Nutzen des ganzes Teams84 auch einen persönlichen Nutzen von ihrer Mitarbeit haben, sind eher motiviert und leistungsfähig. Von daher ist im Projekt auch
auf den "Gewinn" des Einzelnen zu achten. Ein wesentlicher Nutzen, den man aus
der Teilnahme an Projektarbeit in der Hochschule ziehen kann, besteht darin, dass
man Lernchancen zum Aufbau auch berufsbezogener
Kompetenzen erhält: Teammitglieder sollten von daher explizit die Möglichkeit haben, ihr Wissen und Können
sowohl fachlich als auch überfachlich auszubauen; im Bereich der Wirtschaft spricht
man hier von der Entwicklung der eigenen "employability"s5.
Führen von Projektteams. In Anlehnung an die Definition eines Projektes als ein Vorhaben mit festen Zeitgrenzen, ist auch ein Projektteam (zunächst) eine zeitlich befristete Gruppe, die zum Zwecke der Bearbeitung neuartiger Aufgaben gebildet wird
(Antoni, 2000). Die Führung derartiger Projektteams ist nicht einfach, weil die langfristige Komponente fehlt, die ein Gruppe sozusagen "zusammenschweißen"
kann.
Umso wichtiger sind einige grundlegenden Leitlinien, die jeder beachten sollte, der in
einem Projektteam Führungsaufgaben
übernimmt: a) Führungsprozesse
im Projektteam sollten zielorientiert (und nicht etwa machtorientiert oder anderweitig motiviert)
sein. Dazu gehört, dass die Ziele des Projekts transparent und präzise formuliert sind
und vom Team weitgehend getragen werden (vgl. Abschnitt 17.1). Zudem bietet es
sich an, mit einzelnen Teammitgliedern
Zielvereinbarungen
zu treffen, auf diese
Weise Verbindlichkeiten
herzustellen, aber auch angemessene Rückmeldungen zu
geben. b) Ziele geben an, was man konkret (in einem vordefinierten Zeitraum) erreichen möchte. Daneben braucht ein Team aber auch eine gemeinsame "fesselnde"
Idee - eine Vision: "Eine Vision ist ein Bild der Zukunft, die man gestalten möchte,
beschrieben im Präsens, so als ob die Dinge sich in diesem Moment ereignen würden. Die Formulierung der 'gemeinsamen Vision' macht deutlich, wohin man gehen
will und wie man sein wird, wenn man dort angekommen ist ... ; je detaillierter und
plastischer das Bild ist, desto überzeugender wird es sein" (Senge et al., 1997, S.
349). Eine gemeinsame Vision in diesem Sinne kann dem Projekt zusätzlichen
Schub geben und helfen, auch über "Durststrecken" hinwegzukommen. c) Wichtig ist
in jedem Projekt der konstruktive Umgang mit Konflikten: Allem voran muss die Führung im Projekt deutlich machen und vorleben, dass Konflikte auch positive Aspekte
haben, sofern man diese nicht im Hintergrund schwelen lässt. Es kommt darauf an,
Konfliktsignale frühzeitig wahrzunehmen,
Konflikte direkt anzusprechen und relativ
rasch Lösungsstrategien
zu entwickeln. d) Eine mögliche Prävention für Konflikte
sind Gruppenregeln im Sinne von "Spielregeln" für die erfolgreiche Zusammenarbeit;
diese sollte jedes Team weitgehend selbst festlegen. Zu den Spielregeln für Führungskräfte sollte es in jedem Fall gehören, keine Namen aus dem Team untergehen
zu lassen, sich nicht allein mit der Leistung des ganzen Teams zu schmücken und
auf diesem Wege vor allem eines zu wahren: Redlichkeit. e) Schließlich gehört es zu
Der gemeinsame Nutzen liegt darin, die definierten Ziele zu erreichen und ein erfolgreiches und
innovatives Blended Learning-Angebot zu entwickeln und durchzuführen.
85 .Employability· meint so viel wie: Beschäftigungsfähigkeil.
64
95
den Aufgaben bei der Führung eines Projektteams, Synergieeffekte zu fördern und
dabei gleichzeitig Reibungs- bzw. Prozessverluste zu vermeiden. Typische Prozessverluste finden z.B. in der Zielfindungsphase statt; aber auch Konflikte, zu große Projektteams (z.B. Teams mit mehr als fünf oder sechs Personen), unpräzise oder langweilige Aufgaben sowie Trittbrettfahrer
und das Untergehen von Einzelleistungen
bzw. mangelnde Anerkennung des Engagements Einzelner sind typische Ursachen
für Reibungsverluste im Team, für die man sensibel sein sollte, um rechtzeitig Abhilfe
schaffen zu können.
Kooperationen mit externen Partnern. Neben dem Team vor Ort kann und sollte man
bei einem Blended Learning-Projekt
auch externe Kooperationspartner
in Betracht
ziehen. Unabdingbar ist dies bei Blended Learning-Modellen
mit Nutzung verteilter
Expertise (vgl. Abschnitt 14); aber auch für Modelle wie die "einfache" semivirtuelle
Vorlesung sind Kooperationen ratsam. Während diese Erkenntnis bei e-LearningProjekten in der Wirtschaft längst State of the Art ist (Picot & Jaros-Sturhahn, 2002),
setzt sie sich in der Hochschule nur sehr langsam durch, obschon es eigentlich auf
der Hand liegt (Kerres, 2001 a): Denn die "Produktion" medialer Lernumgebungen
(im Sinne der digitalen Medienproduktion) erfordert Expertise bezogen auf den fachlichen Inhalt des medialen Angebots, fachdidaktische Expertise sowie mediendidaktische und technische Expertise. Für Kooperationen mit der Wirtschaft sind vor allem
mediendidaktische und technische Aufgaben ein geeignetes Feld. Im Einzelnen lassen sich an mehreren Stellen arbeitsteilige Vorgehensweisen
und entsprechende
Kooperationsmöglichkeiten
entweder mit anderen Hochschulen oder mit der Wirtschaft ausfindig machen: a) Bei der Erstellung von Inhalten kann man mit Kollegen
der eigenen oder einer anderen Hochschule zusammenarbeiten.
Gerade bei komplexen und umfangreichen Themengebieten gilt es, Co-Autoren zu suchen und verteilte Fachexpertise zu nutzen. b) Bei der mediendidaktischen Aufbereitung der Inhalte kann es hilfreich sein, etwa mit Grafikern und Programmierern, im Einzelfall auch
mit Verlagen zusammenzuarbeiten.
c) Geht es darum, Lernangebote außerhalb des
grundständigen Studiums z.B. zum Zwecke der Weiterbildung anzubieten, liegen Kooperationen mit Unternehmen und/oder Bildungsanbietern
nahe. d) In Bezug auf
Hard- und Software einschließlich Plattformen und Tools zum virtuellen Lernen sollte
man neben dem zuständigen
Rechenzentrum
auch an die Zusammenarbeit
mit
externen Providern sowie mit Software- und Plattformherstellern
denken. Wichtig bei
der Zusammenarbeit mit externen Partnern sind eine gerechte "Risikoaufteilung" und
ein solider Kooperationsvertrag:
Bei Kooperationen mit der Wirtschaft ist zu bedenken, dass Unternehmen meist über Rechtsabteilungen
oder Rechtsberatung verfügen; für den einzelnen Hochschullehrer, wenn er denn Laie auf diesem Gebiet ist,
sind derartige Verträge in der Regel wenig durchschaubar - hier sollte man in jedem
Fall eine eigene Rechtsberatung vor Vertragsabschließungen
in Anspruch nehmen86.
Tabelle 6 fasst die wichtigsten Aussagen zur Teamarbeit
Empfehlungen in einer Checkliste kurz zusammen.
und zu Kooperationen
Die TransfersteIlen an den Hochschulen sind hier ein möglicher Ansprechpartner, da diese oftmals
Dienstleistungen in Sachen Recht anbieten.
86
als
96
Tab. 6: Checkliste 3: Teamarbeit und Kooperationen
Klassische Erfolgsfaktoren
Empfehlungen
Zusammenstellung
Auswahl von Personen mit Kompetenzen, die zu den Aufgaben "passen".
des Teams
Motivation und Interesse sowie Erfahrung mit Projektarbeit und soziale
Fähiqkeiten sind von Vorteil.
AufgabendeleKompetenzorientierte Zuweisung von AufgabenlTätigkeiten, die herausgation
fordern, ohne zu überfordern.
Einräumen ausreichender Autonomie bei der Aufqabenbearbeitunq.
Persönlicher
Kombination des gemeinschaftlichen Nutzens ("Projektgewinn") mit persönNutzen
lichen Nutzen ("individueller Gewinn").
Gewährung von Lernchancen als .Anreiz": Aufbau fachlicher und überfachlicher Kompetenzen im Projekt.
Führen von Projektteams
Empfehlunqen
Zielorientierte
Führungsprozesse richten sich an den Projektzielen aus.
Führung
Ziele transparent machen und präzise formulieren.
Persönliche Zielvereinbarungen treffen.
Informatives Feedback geben.
Gemeinsame
Eine motivierende Vision formulieren.
Vision
Ein detailliertes und plastisches Bild von der "Zukunft des Projekts" formen.
Konstruktiver UmPositive Aspekte in Konflikten sehen und nutzen.
gang mit Konflikten
Konfliktsignale frühzeitig wahrnehmen und Konflikte offen legen.
··
·
··
·
···
··
···
···
···
···
Lösungsstrategien für Konflikte rasch entwickeln.
Teamspezifische Gruppenregeln aufstellen.
Beachtung grundlegender Regeln durch die "Führung" (z.B. Teamleistungen
und Einzelleistunqen benennen, Redlichkeit).
Förderung von
Typische Reibungsverluste zu Projektbeginn mindern.
Synergieeffekten
Konflikte durch Teamgröße und Aufgabengestaltung reduzieren.
Gegen Trittbrettfahrer vorgehen und Einzelengagement anerkennen.
Kooperationen mit externen Partnern
Empfehlunqen
KooperationsKooperation bei der Erstellung der Inhalte: z.B. mit anderen Hochschulen.
möglichkeiten
Kooperation bei der mediendidaktischen Aufbereitung z.B. mit Grafikern u.a.
Kooperation bei Lernorganisation in der Weiterbildung z.B. mit Unternehmen
oder Bildungsanbietern.
Kooperation im Bereich der Medientechnik z.B. mit Plattform- und Softwareherstellern .
KooperationsAuf gerechte Risikoverteilung achten.
vertrag
Vertraglich gesicherte Kooperationsvereinbarungen treffen.
Eigene Rechtsberatung vor Vertragsabschluss einholen.
"Spielregeln"
·
···
17.4 Der Projektplan
Im Folgenden soll in al!er Kürze gezeigt werden, wie man die skizzierten Planungsprozesse in einen umfassenden Projektplan münden lässt. Wir wählen die Bezeichnung "Projektplan" für eine prägnante und übersichtliche
Zusammenstellung
von
Zielen, Team, Aufgaben sowie von der zeitlichen und finanziellen Planung des Projekts. In wirtschaftlichen Kontexten werden Projektplan und Finanzplan häufig separat entwickelt; für ein Blended Learning-Projekt
empfehlen wir einen Gesamt-Projektplan, der die Finanzplanung
mit einschließt.
Ein Projektplan sollte folgende
Punkte umfassen: Projektbezeichnung
mit Untertitel; Projektziele einschließlich einer
kurzen Darstellung der Lehr-Lernziele; Projektteam; Aufgabenpakete und Verteilung
von Aufgaben; Meilensteine und Zeitplan; Finanzplan. Nicht zum Projektplan gehört
97
das inhaltliche und didaktische Konzept (siehe Abschnitt 18). Wie dies im Einzelnen
aussehen kann, werden wir (in groben Zügen) an hand unseres eigenen Beispiels der semivirtuellen Vorlesung - zeigen.
Projektplan - Teil I. Der Projektplan beginnt mit einer Projektbezeichnung
(also dem
Namen des Projekts) und mit einem Untertitel, der das Projekt näher spezifiziert. Man
sollte sich für die Namensgebung durchaus Zeit lassen - eine interessant klingende
und gleichzeitig gehaltvolle Bezeichnung kann zu einem wichtigen "Aushängeschild"
werden. Nach der Projektbezeichnung
folgt im Projektplan eine Kurzdarstellung der
Projektziele einschließlich eines knappen Überblicks über die Lehr-Lernziele
des
Blended Learning-Vorhabens;
eine ausführliche Darstellung der Lehr-Lernziele sollte
man in der inhaltlichen und didaktischen Konzeption vornehmen. Schließlich sollte
der erste Teil des Projektplans auch die Personen mit Namen und Funktionsbezeichnungen nennen, die am Projekt beteiligt sind und das Kernteam bilden. Eigens
aufgeführt werden sollten die Kooperationspartner,
die nicht zum Kernteam gehören,
aber am Projekt mitwirken (siehe Beispiel in Kasten 3).
Kasten 3: Beispiel: Projektplan
- Teil I (Basisdaten)87
Projektbezeichnung:
Blended Learning in der Hochschullehre
Untertitel:
Innovative didaktische Impulse durch eine semivirtuelle Vorlesung
in der Medienpädagogik - Konzeption, Durchführung und
Evaluation.
Projektziele:
Entwicklung und Pilotierung einer didaktischen Innovation im regulären Hochschulbetrieb mit Blended Learning
Durchführung und Evaluation eines Prototypen für Blended Learning
in Form einer semivirtuellen Vorlesung
Lehr-Lernziele:
Aufbau von Wissen und mentalen Modellen zu zentralen Themenbereichen der Medienpädagogik;
Aktiv-konstruktives
und kooperatives Lernen anhand problemorientierter Aufgaben;
Aufbau von Medienkompetenz durch Arbeiten mit verschiedenen
virtuellen Elementen im Rahmen der Vorlesung
Kernteam:
Gabi Reinmann-Rothmeier - Professorin für Medienpädagogik;
Frank Vohle - wissenschaftlicher Projektmitarbeiter;
Frederic Adler und Heidi Faust - studentische Mitarbeiter
Kooperationspartner:
ÄSOP; Technische Universität
München (Angewandte
Informatik)
Projektplan - Teil 11.Im zweiten Teil des Projektsplans sollten die wichtigsten Arbeitspakete genannt werden, also abgrenzbare Arbeitsschritte,
die in einer bestimmten
Reihenfolge und/oder parallel bearbeitet werden müssen. Welchen Umfang und
Komplexitätsgrad die einzelnen Arbeitspakete haben, muss in jedem Projekt eigens
bestimmt werden. Grundsätzlich
sollte man die Aufgabenpakete
umso "kleiner
schnüren", je neuartiger die Projektaufgaben
sind und je weniger Erfahrungen mit
den damit zusammenhängenden
Tätigkeiten vorhanden sind. Parallel dazu kann
man auch gleich die Verantwortlichkeiten
festlegen, also im Projektplan festschreiben, wer aus dem Kernteam und/oder welcher externer Kooperationspartner
für
welche Aufgabe zuständig ist. Die Aufnahme der Verantwortlichkeiten
in den Projekt-
87Die Beispiele in den folgenden Kästen beziehen sich auf die semivirluelle Vorlesung, wie sie in
Kapitel 111
beschrieben wurde.
.-------,
Univ.-Bibl.
Bamberg
98
plan erhöht bereits in der Anfangsphase
(siehe Kasten 4: Beispiel).
des Projekts den Verbindlichkeitscharakter
Kasten 4: Beispiel: Projektplan - Teil II (Aufgaben und Verantwortlichkeiten)
Aufgabenpaket
verantwortliche
Inhaltserstellung
Reinmann-Rothmeier
Person
Grafische Aufbereitung
Reinmann-Rothmeier,
Medientechnische Umsetzung der
Inhalte in einer CD-ROM
ÄSOP
Organisation und Gestaltung eines
Online-Forums
Adler
Erarbeitung der Face-to-Face-Elemente
einschließlich Visualisierungen
Reinmann-Rothmeier,
Korrekturlesen
Vohle
Durchführung
Summative
und Probelauf
und formative
Evaluation
Evaluation
Reinmann-Rothmeier
Vohle
Vohle
und Adler
Faust
etc.
Projektplan - Teil 11I.Zur Aufgabenformulierung
und -verteilung muss die zeitliche
Planung kommen; das heißt: Ausgehend von den einzelnen Aufgabenpaketen
sind
sogenannte Meilensteine zu formulieren, für die auch Zeitpunkte anzugeben sind; die
Meilensteine bilden die zeitlichen Marker im Projekt. In Projektanträgen für Fördergelder sind derartige Meilensteine in der Regel vorgeschrieben, denn sie geben einen
guten Überblick über den geplanten Verlauf des Projekts. Meilensteine sollten dann
aber auch eingehalten und nur aus triftigen Gründen im Prozess der Projektdurchführung verändert werden. Die Meilensteine ergeben letztlich den Zeitplan, den man
unterschiedlich darstellen kann: Möglich ist eine tabellarische oder eine grafische
Darstellung; viele setzen hier Excel-Tabellen ein, was möglich, aber durchaus nicht
zwingend ist. Die Art der Darstellung sollte dem Team überlassen bleiben. Entscheidendes Kriterium ist, dass der Zeitplan mit Meilensteinen klar und übersichtlich ist
(siehe Kasten 5: Beispiel).
Kasten 5: Beispiel: Projektplan - Teil III
Meilensteine
und Zeiten)
Zeitpunkte
Projektbeginn
Inhaltliches
(Meilensteine
Anfang November 2001
Manuskript für die CD-ROM
Vorlesungsinhalte
mit Folien
Anfang Januar 2002
Anfang Februar 2002
Evaluationskonzept
Anfang März 2002
Erste CD-ROM-Probeversion
Anfang März 2002
EvaIuations instru mente
Ende März 2002
Einrichtung des BSCW
Anfang April 2002
CD-ROM für die Pilotphase
Mitte April 2002
etc.
99
Projektplan - Teil IV. In einem Finanzplan werden in der Regel Personalkosten und
Sachkosten getrennt aufgelistet; oft kommen noch Reisekosten und sonstige Kosten
dazu. Diese Aufteilung kann man auch für ein Blended Learning-Projekt
übernehmen; angesichts der Empfehlung von Kooperationen sollte noch der Posten "Unteraufträge" vorgesehen sein. Die Erstellung eines Finanzplans und die damit verbundenen Schwierigkeiten sind allen bekannt, die im Rahmen der Hochschule Förderanträge schreiben oder geschrieben haben. Ein Hauptproblern dürfte darin liegen, dass
die Finanzplanung zu Beginn des Projekts viele noch kommende Dinge einfach nicht
vorhersehen kann. Von besonderer Bedeutung ist daher die Möglichkeit, innerhalb
des gegebenen Finanzrahmens "umschichten", also bei Bedarf z.B. die Sachmittel
kürzen und Personalmittel aufstocken zu können u.ä. (siehe Kasten 6: Beispiel).
I Kasten 6: Beispiel:
Personalmittel
Sachmittel
Unteraufträge
Reisekosten
etc.
Projektplan
- Teil IV (Finanzplan)88
1 wiss. Mitarbeiter (BAT IIaj2) für 6 Monate (Summe u.a. abhängig
von Alter, Familienstand
etc.)
2 student. Hilfskräfte (12 Std.jWo.)
für 12 Monate (Summe
abhängig von der Hochschule)
Kopier- und Telefonkosten;
CD-Rohlinge
(unter der Voraussetzung,
dass technische Geräte wie Computer
und Beamer vorhanden sind)
Euro 5.000,(in Abhängigkeit
vom Aufwand und von der Art des vorliegenden
Manuskripts)
keine
Gedanklicher Probelauf. Anhand des Projektplans sollte man den gesamten Projektverlauf auch einmal gedanklich durchlaufen. Mit anderen Worten: Zusammen im
Team sind noch einmal alle Phasen, Aufgaben und Meilensteine durchzugehen und
dabei zu fragen, welche potentiellen Hindernisse auftreten könnten (hier sollte man
z.B. an die in Kapitel I beschriebenen typischen Innovationsbarrieren
denken). Diese
gedankliche Simulation möglicher Schwierigkeiten darf natürlich nicht dazu führen,
dass man das Projekt gleich lieber wieder einstampft. Vielmehr kann man sich bereits anhand der gedanklichen Vorwegnahme von Hindernissen Präventivmaßnahmen überlegen und/oder Lösungsmöglichkeiten
andenken und festhalten.
88 Der folgende Finanzplan ist fiktiv: De facto haben wir die Entwicklung und Durchführung der sem ivirtuellen Vorlesung als Piloten weitgehend ohne zusätzliche Kosten realisiert - dies war aber nur
durch persönliches und "unentgeltliches" Engagement aller Beteiligten möglich - u.a. in der Hoffnung,
mit dieser "Vorleistung" die Weiterentwicklung des Blended Learning anstoßen und unter geeigneten
finanziellen Bedingungen durchführen und "irgendwann" davon profitieren zu können.
100
18. Konzeption und Gestaltung
Der aus pädagogisch-didaktischer
Sicht interessanteste Part im Management eines
Blended Learning-Projekts ist die Konzeption und Gestaltung der Lernumgebungen,
unter der wir sowohl die theoretische Grundauffassung als auch die Kombination und
Ausgestaltung von Methoden und Medien subsumieren wollen. An der Stelle bietet
es sich an, an die in Kapitel 111dargestellten drei Ebenen - die normative, strategische und operative Ebene - anzuknüpfen und darzulegen, welche Entscheidungen
auf diesen Ebenen jeweils anstehen und welche Grundsätze man dabei beachten
sollte. Auch hier gilt wieder, dass es keine Algorithmen, sondern allenfalls Heuristiken
geben kann, da es sich bei der Konzeption und Gestaltung von Blended Learning
nicht um gut strukturierte Probleme mit eindeutigen Lösungsmöglichkeiten,
sondern
um "Design-Aufgaben"
handelt. Der Designbegriff
umfasst alle Tätigkeiten eines
Blended Learning-Projekts, "die innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen
verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten
zulassen" (Baumgartner
& Payr, 1999, S. 75)89.
Baumgartner und Payr (1999) wollen mit dem Designbegriff deutlich machen, wie
wichtig es ist, theoretisches Wissen und Praxiswissen mit einem "aktiven schöpferischen Eingriff' in eine nicht vorab festgelegte Situation miteinander zu verbinden aus unserer Sicht ist genau dies auch bei der Konzeption und Gestaltung einer hybriden Lernumgebung erforderlich.
18.1 Normative und strategische Entscheidungen
Entscheidungen auf der "obersten", nämlich der normativen Ebene der Konzeption
und Gestaltung eines Blended Learning-Vorhabens
betreffen das Menschenbild und
die dazugehörige Auffassung von Wissen, Lernen und Lehren. Entscheidungen auf
der "mittleren", nämlich strategischen Ebene beziehen sich darauf, was pädagogisch
aus den genannten Annahmen und Überzeugungen folgt: Zu entscheiden ist also,
wie die Lernumgebung
strukturiert und welche Lehr-Lernformen
gewählt werden
sollten. Diese Entscheidungen kann man für die gesamte Umgebung des Blended
Learning-Vorhabens treffen, wenn es sich z.B. um ein von Zeit und Umfang her sehr
begrenztes Lernangebot handelt. Bei umfangreicheren Lernangeboten mit mehreren
Phasen und Komponenten können sich vor allem strategische Entscheidungen auch
auf einzelne Teile oder Phasen separat beziehen.
Lehr-Lernauffassung.
In Kapitel 11haben wir in aller Kürze die wichtigsten Lerntheorien beschrieben (vgl. Abschnitt 8.1) und darauf verwiesen, dass sowohl behavioristische und kognitivistische Ansätze des Lernens und Lehrens als auch konstruktivistische Ansätze für das e-Learning im Allgemeinen und das Blended Learning im Besonderen von Bedeutung sind. Einzelne Komponenten dieser Ansätze sind auf der
didaktischen Ebene durchaus kombinierbar - wichtig aber ist in einem konkreten Projekt eine grundlegende
Entscheidung, welche Auffassung man in Bezug auf den
Lernenden, den Lernprozess und damit auch auf Möglichkeiten des Lehrens und der
Lernförderung vertritt. Auf eine sehr einfache Formel gebracht, lässt sich jede Einstellung auf einem Kontinuum zwischen den folgenden zwei Polen verorten: Am
89 Der Designbegriff schließt drei Komponenten ein: ein planerisches, entwickelndes und entwerfendes Element, eine gewisse visionäre Zukunft und der Zusammenhang von Form und Inhalt, was
Design auch von der .reinen" Kunst unterscheidet (Baumgartner & Payr, 1999).
101
kognitivistischen Pol90 geht man davon aus, dass Lernen im Sinne von Prozessen
der Informationsverarbeitung
in Grenzen "machbar" ist, indem man nach bestimmten
Regeln mentale Prozesse von außen anleitet und unterstützt. Am konstruktivistischen Pol dagegen steht die Annahme, dass Menschen zwar "lernfähig", aber nicht
"belehrbar" sind (Siebert, 2001), dass also eine "Machbarkeit des Lernens" unmöglich ist, weil Lernen als ein aktiv-konstruktiver
und vor allem selbstgesteuerter
Prozess zu verstehen ist - "Lehren" im klassischen Sinne ist also nahezu unmöglich. Die
meisten werden eine Auffassung vertreten, die sich zwischen diesen Polen befindet
(wie dies auch bei unserem Projekt der Fall ist; vgl. Abschnitt 12.3). Es wird empfohlen, sich über diese grundlegenden Annahmen zum menschlichen Lernen Gedanken zu machen und sich darüber klar zu werden, welcher Position man sich am
nächsten fühlt. Entscheidend nämlich ist, dass der Lehrende und sein Team hinter
dem Vorhaben in seiner Grobkonzeption stehen, dass alle aktiv Beteiligten von dieser überzeugt sind - und all das ist nur möglich, wenn die erste Entscheidung auf der
normativen Ebene nicht gegen tiefe innere Überzeugungen getroffen wird.
Das Wissensverständnis. Eng mit der Lehr-Lernauffassung
verknüpft sind Annahmen
zum Konstrukt Wissen und damit auch zu den zu vermittelnden Inhalten (ReinmannRothmeier & Mandl, 2001 a). Unter einer kognitivistischen Auffassung stehen in der
Regel geschlossene und klar strukturierte Wissenssysteme, die es zu vermitteln gilt,
im Fokus der Aufmerksamkeit.
Im Gegensatz dazu dominiert unter einer konstruktivistischen Auffassung eher eine Vorstellung von Wissen als etwas Unabgeschlossenem und "Beweglichem". Während das kognitivistische Verständnis von Wissen
eher statisch und Wissen entsprechend als Ergebnis (des Lernens) von Interesse ist,
verweisen konstruktivistische
Ansätze mehr auf die dynamische Eigenschaft des
Wissens als (Lern- )Prozess (Reinmann-Rothmeier,
2001). Derart unterschiedliche
Auffassungen, die wiederum mehr als Pole eines Kontinuums denn als "Schubladen"
zu betrachten sind, haben Einfluss auf die Inhaltsauswahl und Inhaltsaufbereitung
wie auch auf die Struktur und methodische Gestaltung einer Lernumgebung;
von
daher erscheint eine klare Positionierung notwendig. Je nach Auffassung wird man
sich auf der normativen Ebene entscheiden müssen, welche Inhalte man aus dem zu
vermittelnden Gegenstandsbereich
auswählt, ob man mehr in die Breite oder in die
Tiefe geht, ob man nach exemplarischen Themen sucht oder lieber eine Vielzahl von
Themen einsetzt, ob man den Gegenstand bzw. die ausgewählten
Inhalte hierarchisch, chronologisch, vernetzt oder phänomenorientiert
strukturiert etc. Hier geben
natürlich auch die vorab formulierten Lehr-Lernziele (vgl. Abschnitt 17.2) eine wesentliche Richtung vor. In eher wirtschaftlich orientierten Ratgebern zum Projektmanagement beim e-Learning wird die "Content-Erstellung",
wie man die Auswahl,
Strukturierung und Aufbreitung der Inhalte nennt, erst nach der Konzeption und Gestaltung empfohlen (z.B. Tiemeyer, 2002). Hiervon raten wir dringend ab, denn genau dies dürfte mit ein Grund für die Vernachlässigung
und entsprechend schlechte
Qualität vieler Inhalte (von kommerziellen Bildungsprodukten) sein.
Eine reine Reiz-Reaktions-Vorstellung behavioristischer Art wird heute als grundlegende Auffassung
kaum noch vertreten, weshalb diese hier unter die kognitivistische Auffassung subsumiert wird.
90
102
Die Struktur der Lernumgebung.
Es gibt Lernumgebungen,
in denen Lernenden in
mehr oder weniger hohem Maße Lernschritte vorgegeben werden - die äußere Anleitung in Bezug auf den Lernweg also hoch ist; es gibt aber auch Lernumgebungen,
in denen Lernende eine Vielzahl freier Entscheidungen im Hinblick auf ihren Lernweg
treffen können - die Selbststeuerung
folglich Vorrang hat. Mit Kerres et al. (2002)
kann man ersteres als "sequentielle Lernwege" und letzteres als "offene Interaktionsräume" bezeichnen. Sequentielle Lernwege sind sinnvoll bei a) hierarchisch gegliederten Lehr-Lerninhalten, b) einer homogenen Zielgruppe, c) unselbständigem Lernstil91, d) extrinsischer Motivation und e) niedrigem Vorwissen; offene Interaktionsräume dagegen bieten sich an bei a) flach gegliedertem Lehr-Lernstoff, b) inhomogener Zielgruppe, c) selbständigem Lernstil92, d) intrinsischer Motivation und e) hohem Vorwissen (Kerres et al., 2002). Die Entscheidung über sequentielle Lernwege
und offene Interaktionsräume muss nicht für die gesamte Lernumgebung in der Gänze getroffen werden, sondern kann sich auf verschiedene Teile der Lernumgebung
beziehen - Kombinationen sind möglich.
Die Art des Lernens. In Kapitel 11wurden drei e-Learning-Varianten
vorgestellt, die jeweils sehr unterschiedliche Formen des Lernens implizieren und entsprechend verschiedene Anforderungen an die Lernenden stellen (vgl. Abschnitt 7.1). Diese Systematik lässt sich vom e-Learning im Besonderen auch auf das Lernen im Allgemeinen
übertragen: Wir schlagen daher vor, in der Konzeptionsphase
auf der strategischen
Ebene eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein eher lehrerzentriertes "Iearning
from information", ein eher lernerzentriertes "Iearning from feedback" oder ein eher
teamzentriertes
"Iearning from multiple perspectives"
im Vordergrund stehen soll
bzw. in welchen Teilen der Lernumgebung bzw. in welchen Phasen des Gesamtlernprozesses welche dieser drei Lernformen jeweils Vorrang haben soll: a) Beim "Iearning from information" oder "Iearning by telling" (Back et al., 1998) werden Informationen (bzw. Lehr-Lerninhalte) von einem Lehrenden/Experten
mündlich oder anderweitig (schriftlich, aufgezeichnet, digitalisiert etc.) angeboten; es handelt sich also in
irgendeiner Form um Referieren, Vortragen oder Präsentieren von Information, wobei
der Lehrende im Mittelpunkt steht. b) Beim "Iearning from feedback" oder "Iearning by
doing" (Back et al., 1998) erfolgt eine Interaktion entweder zwischen Lehrendem und
Lernenden (in der Präsenz-Variante und/oder bei der (tele-)tutoriellen Unterstützung
von "Iearning from information,,93) oder zwischen Nutzer und System (beim e-Learning); es handelt sich hier in vielen Fällen um Selbstlernaktivitäten,
die von Lehrenden oder von technischen Systemen unterstützt werden; im Mittelpunkt aber steht
der Lernende und sein Lernprozess. c) Beim "Iearning from multiple perspectives"
oder "Iearning through discussion and reflection" (Back et al., 1998) dreht sich alles
um die Interaktion zwischen Lernenden im Prozess des (sozialen) Problemlösens;
Lehrende haben hier weniger Feedback- und Unterstützungsfunktionen
als moderierende Aufgaben; auch hier können die Grenzen zum "Iearning from feedback" fließend sein.
91
92
93
ein Lernstil, bei dem Selbststeuerung schwierig ist.
ein Lernstil, bei dem Selbststeuerung nahe liegt.
Die Grenzen zwischen den hier akzentuierten Lernformen sind entsprechend fließend.
103
Tabelle 7 fasst die wesentlichen Aussagen zu den normativen und strategischen Entscheidungen bei der Konzeption und Gestaltung des Blended Learning als Checkliste noch einmal zusammen.
Tab. 7: Checkliste 4: Normative und strategische Entscheidungen
Lehr-Lernauffassung
Prozess des
Lernens
Position auf dem
Kontinuum
Wissensverständnis
Wissen generell
ausgewählte LehrLerninhalte
0
0
0
0
·
··
Welche Vorstellung habe ich/haben wir vom Prozess des Lernens?
Verstehe ich/verstehen wir Lernen eher als Informationsverarbeitung oder
eher als Wissenskonstruktion?
Wenn die kognitivistische und die konstruktivistische Auffassung die beiden
Pole eines Kontinuums sind: Wo verorle ich rneine/verorlen wir die eigene
Position?
Welche Vorstellung habe ich/haben wir vom Wissen (als Konstrukt)?
Dominierl eine eher statische (ergebnisorientierle) oder eine eher
dynamische (prozessorientierle) Auffassunq?
Welche Inhalte wähle ich nach welchen Prinzipien (z.B. Tiefe/Breite) aus?
Wie strukturiere ich die ausgewählten Inhalte (hierarchisch, chronologisch,
netzarlig, phänomenorientierl etc.)?
Struktur der Lernumgebung
Sequentielle
• Sprechen die gewählten Lehr-Lerninhalte und/oder
Lernwege
gruppe für sequentielle Lernwege?
0
Wenn ja, an welchen Stellen der Lernurngebung/in
Lernprozesses?
Offene Inter0
Sprechen die gewählten Lehr-Lerninhalte und/oder
aktionsräume
Zielgruppe für offene Interaktionsräume?
Wenn ja, an welchen Stellen der Lernumgebung/in
Lernprozesses?
Art des Lernens
Learning from
information
Learning from
feedback
Learning from mul·
tiple perspectives
·
···
··
0
die Merkmale der Zielwelchen Phasen des
die Merkmale der
welchen Phasen des
Wo und wann macht ein .Iearning by telling" Sinn?
An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man lehrerzentrierl vorgehen?
Wo und wann macht ein .Iearning by doing" Sinn?
An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man lernerzentrierl vorgehen?
Wo und wann macht ein .Iearning through discussion and ref1ection" Sinn?
An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man teamzentrierl vorqehen?
18.2 Gestaltung auf der operativen
Ebene
Wenn man im Rahmen des Blended Learning-Konzepts die wichtigsten strategischen
Entscheidung getroffen hat, wie sie oben beschrieben wurden, stellt sich im Anschluss daran die Frage: Wie setzt man die gewählten Strukturen der Umgebung und
Formen des Lernens im Einzelnen methodisch und mediendidaktisch um? Zu klären
ist, wann und wo man auf Präsenzelemente,
auf traditionelle Medien und auf die
neuen Medien - also auf e-Learning - setzt. Dies sind Entscheidungen und Gestaltungsaufgaben auf der operativen Ebene, auf der Tätigkeiten vollzogen werden, die
sich dann sichtbar in der resultierenden Lernumgebung niederschlagen. Wir wollen
diese operativen Gestaltungsmöglichkeiten
wiederum an der obigen Systematik festmachen und zeigen, in welcher Weise man learning by telling, learning by doing und
learning through discussion and reflection konkret umsetzen kann.
104
Learning by telling. Learning by telling oder learning from information kann man zunächst einmal face-to-face als Frontalunterrioht im Hörsaal oder im Seminarraum realisieren; dabei ist zu bedenken, dass der Frontalunterricht mehr monologischen oder
mehr dialogischen Charakter haben kann. Lernort und Lernzeit sind hier fremdgesteuert; auch die Lerngeschwindigkeit
wird von außen stark gelenkt. Learning by
telling oder learning from information kann man aber auch medial umsetzen: Über
traditionelle Medien erfolgt eine physische Distribution von Informationsmaterial,
indem man z.B. einen Vortrag schriftlich als Paper, Studien brief u.ä. anbietet. Daneben
können VorträgeNorlesungen
auch aufgezeichnet und analog als Audio- oder Videokassette zur Verfügung gestellt werden. Die neuen Medien (und damit auch das elearning by distributing, vgl. Abschnitt 7.1) kommen ins Spiel, wenn Lernende auf
elektronische Dokumente oder digitalisierte Audio- oder Videofiles online zugreifen
können und auf diesem Wege orts- und zeitunabhängig an die aufgezeichneten VorträgeNorlesungen
kommen. Im Rahmen eines Online-Video-Angebots
kann man
ebenfalls zwischen monologischen Formen (video-on-demand)
und dialogischen Formen (bei synchroner Übertragung mit Videoconferencing)
variieren. Mit Ausnahme
der synchronen Übertragung, bei der die Zeitkomponente
wieder fremdgesteuert
wird, bieten die medialen Formen des "Iearning from information" (also das e-Iearning
by distributing) mehr Freiheitsgrade als die Face-to-Face-Variante.
Eingeschränkt ist
dagegen die Interaktions-Komponente;
(tele-)tutorielle
Begleitung kann diese Einschränkung (in Grenzen) auffangen. Im letzteren Fall werden die Grenzen zum learning by doing fließend.
Learning by doing. Auch learning by doing oder learning from feedback kann man
face-to-face und/oder medial umsetzen: In der Face-to-Face-Variante
erhalten die
Lernenden etwa in Workshops oder anderen aktiven Veranstaltungsformen,
in denen
vor allem das individuelle Lernen gefördert wird, Anleitung und Unterstützung von
Lehrpersonen. Hier stehen nicht mehr Präsentationen zu Lehrzwecken im Vordergrund, sondern Anstöße und Rückmeldungen des Lehrenden, der die Funktion eines
Coaches oder Tutors übernimmt. Lehrende bzw. Tutoren können (s.o.) auch beim
learning from information unterstützend tätig werden, wenn sie auf Anfrage oder in
regelmäßigen Abständen Rückmeldungen
auf Lernfortschritte,
Aufgabenlösungen
oder andere Lernprozesse geben - hier findet (wie bereits erwähnt) ein Übergang
zum learning from feedback statt. Ein weiterer Übergang, nämlich zum e-Learning
liegt vor, wenn Rückmeldungen
über die neue Medien in Diskussionsforen,
per eMail (asynchron) oder via Chat und Videoconferencing
(synchron) erfolgen. Als
"reine" e-Learning-Variante
zählt das e-Iearning by interacting zum learning by doing
(vgl. Abschnitt 7.2); hierunter fallen vor allem interaktive Programme wie CBTs oder
WBTs mit intelligenter Nutzerführung und automatisierten Rückmeldungen. Learning
from feedback ist allerdings auch mit traditionellen Medien wie Printmaterialien oder
(analogen) audiovisuellen Materialien zum Selbstlernen machbar, wenn dabei Möglichkeiten zur Selbstkontrolle
(z.B. Übungsaufgaben
mit Lösungen o.ä.) eingebaut
sind und die Rückmeldung vom verwendeten Medium kommt.
105
Learning through discussion and reflection. Learning through discussion and reflection oder learning from multiple perspectives sieht in der Face-to-Face-Variante
so
aus, dass etwa in projektorientierten
Veranstaltungen soziale Problemlöseprozesse
(in der Regel durch geeignete Aufgaben) initiiert und begleitet werden. Insbesondere
bei der Bearbeitung von komplexen Problemen mit "Projektformat" können und sollen
bereits verschiedene meist traditionelle, zunehmend aber auch neue Medien als Ressource zur Problembearbeitung
zur Verfügung stehen. Unter dem Einsatz der neuen
Medien kann man auch von e-Iearning by collaborating sprechen. Die technischen
Voraussetzungen für e-Iearning by collaborating bestehen darin, dass man über geeignete Plattformen mit Foren für synchrone und asynchrone elektronische Kommunikation und Kooperation sowie über dazugehörige Werkzeuge94 verfügt. Wenn es
um kooperative Lernformen geht - und zwar unabhängig davon, ob diese face-toface oder elektronisch erfolgen sollen - muss eine Entscheidung darüber getroffen
werden, was einem in der jeweiligen Lernumgebung wichtiger ist (Kerres, 2002): Die
Kommunikation und der persönliche Dialog ohne Ergebnisse im Sinne eines "Wissensprodukts" oder die Kooperation und die gemeinsame Problembearbeitung
mit
einem konkreten Wissensprodukt als Ergebnis der Zusammenarbeit. Diese Entscheidung hat Einfluss auf die Mikrogestaltung sowohl von Face-to-Face- als auch von
elektronischen Settings zum kooperativen Lernen; ebenso wird dadurch die Gestaltung von Aufgaben beeinflusst.
Tabelle 8 gibt noch einmal einen Überblick über die Gestaltung
formen auf der operativen Ebene:
verschiedener
Lern-
Tab. 8: Checkliste 5: Gestaltung auf der operativen Ebene (1)
Learning by telling
Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an?
Face-to-face
Frontalunterricht (VorlesungenNorträge etc.)
Monologische oder dialogische Formen
Traditionelle
Physische Distribution von Informationen.
Medien
Schriftliche oder lanaloae) audiovisuelle Formate
Neue Medien
E-Iearning by distributing
Elektronische Distribution digitalisierter Materialien zum Offline-Gebrauch
Svnchrone und asvnchrone Online-Anaebote
Learning by doing
Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an?
Face-to-face
Workshops und andere aktive Veranstaltungsformen
Lehrender als Coach
Traditionelle
Schriftliche oder audiovisuelle Selbsllemmaterialien mit Möglichkeiten der
Medien
Selbstkontrolle loder Kombination mit Face-to-Face-Elementen)
Neue Medien
E-Iearning by interacting
Interaktive Proaramme (CBTs, WBTs) mit automatisierten Rückmeldunaen
Learning through discussion and reflection
Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an?
Face-to-face
Projektorientierte Veranstaltungen
• Fokus auf Kommunikation/Dialoa oder auf Koooeration/Eraebniserstelluna
Traditionelle
Schrift, Bild, Film und Ton als Ressourcen zur Problembearbeitung
Medien
Zunehmende Kombination mit diaitalisiertem Material
Neue Medien
E-Iearning by collaborating
Problemlösen in virtuellen Gruppen (prozess- oder ergebnisorientiert)
Nutzuno von Plattformen, Foren und Tools aus dem Bereich CSCW
··
··
··
·
···
··
·
··
··
·
94
Man spricht gemeinhin von CSCW: Computer Supported Cooperative Work.
106
Aufgaben und Feedback. Bei allen Varianten des Lernens, die man mit Blended
Learning-Konzepten
realisieren kann; spielen (Lern-)Aufgaben
eine zentrale Rolle,
wie sie in Kapitel 111beschrieben wurden (vgl. Abschnitt 12.3): Aufgaben, die dazugehörigen Instruktionen und die zur Aufgabenbearbeitung
geforderten Aktivitäten der
Lernenden können in hohem Maße in das gesamte Lehr-Lerngeschehen
(positiv und
negativ) eingreifen. Entsprechend sorgfältig sollte man die Funktionen von Lernaufgaben beachten, also Funktionen der kognitiven, emotionalen und interaktiven Aktivierung sowie Funktionen der Sicherung von Lernprozessen und -ergebnissen; diese
Funktionen sind zu den Lehr-Lernzielen in einen sinnvollen Bezug zu setzen: Aufgaben, die z.B. keine interaktive Aktivierung bewirken (also Aufgaben, die man besser
allein als in der Gruppe bearbeiten kann) haben z.B. bei teamzentrierten Lernformen
nichts zu suchen - um an dieser Stelle nur ein prägnantes Beispiel zu nennen. Neben der Aufgabengestaltung
sollte auch bei der Gestaltung des Feedbacks auf Aufgabenlösungen
große Sorgfalt verwendet werden. Zu entscheiden ist in der Konzeptionsphase, welche Form(en) von Rückmeldungen im Vordergrund stehen sollen:
Es gibt die Möglichkeit, individuelles oder gruppen bezogenes Feedback zu geben dies hängt von der Art der Aufgabe (Einzel- oder Gruppenaufgabe) ab. Man kann ein
Feedback in Form eines mehr oder weniger ausführlichen Kommentars formulieren
oder man kann auf ein Punktesystem zurückgreifen, das man vorab allerdings ebenfalls kommentieren und begründen muss. Schließlich besteht die Möglichkeit, Vergleichslösungen
anzubieten: Entweder man schreibt als Experte selbst "Musterlösungen" oder man verweist auf besonders gut gelungene "Vorzeigelösungen" seitens
der Lernenden. Verschiedene Feedbackformen lassen sich selbstverständlich
auch
kombinieren.
Lernberatung und Meta-Informationen.
Ebenfalls wichtig bei der Konzeption und Gestaltung auf der operativen Ebene ist die Lernberatung in Form von EinzeIgesprächen, e-Mail-Beratung oder Informationsveranstaltungen
(Kerres, 2002). Dies ist umso bedeutsamer, je mehr Selbstlernaktivitäten
die Blended Learning-Umgebung
vorsieht, also je mehr Entscheidungen vom Lernenden selbst getroffen werden müssen,
wofür Unterstützung notwendig werden kann. Ausschlaggebend sind an dieser Stelle
die Merkmale der Zielgruppe: Geringe Vorerfahrungen mit Selbstlernen und virtuellen
Lernangeboten sollten als Impuls dafür dienen, Lernberatung in verschiedenen Formen anzubieten. In enger Verbindung dazu stehen Meta-Informationen,
deren Bedarf
gerne unterschätzt wird: Dabei ist zu beachten, dass die Relevanz von Informationen
über das Lernkonzept, die Lernumgebung, die Lernziele und -inhalte, die Lernaktivitäten und die dabei gestellten Anforderungen95 mit wachsender Virtualität steigt: Je
mehr virtuelle Elemente eine Lernumgebung hat, umso kleiner werden die Chancen,
fehlende Informationen face-to-face zu kompensieren; entsprechend größer wird die
Notwendigkeit, all diejenigen Informationen explizit zu artikulieren, die ansonsten im
direkten Gespräch ohne vorherige Planung "einfließen". An dieser Stelle ist also
mehr vorausgehende Planung bzw. vorausschauendes
Denken (Was könnten typische Fragen sein? Wo könnte es überall Probleme geben?) erforderlich. Meta-Informationen sollten stets in einer klaren und verständlichen Sprache formuliert sein,
da wiederum Möglichkeiten der unmittelbaren Kompensation von Verständnisschwierigkeiten im virtuellen Raum nicht oder kaum gegeben sind. Die Übergänge zwischen
95
Dies alles kann man unter "Meta-Informationen" subsumieren.
107
Meta-Informationen
und Lernberatung sind fließend. Als differenzierendes
Kriterium
kann man den individuellen "Zuschnitt" auf einzelne Lernende betrachten, der bei der
Lernberatung höher ist als bei Meta-Informationen,
die zunächst einmal die gesamte
Zielgruppe des Lernangebots ansprechen und nicht individualisiert sind.
Tabelle 9 stellt die erörterten
ratung und Meta-Informationen
Aspekte zu Aufgaben und Feedback
als Checkliste zusammen.
sowie Lernbe-
Tab. 9: Checkliste 6: Gestaltung auf der operativen Ebene (2)
Aufgaben und Feedback
Was zu beachten/was möglich ist:
Aufgaben
Passung zu den Lehr-Lernzielen und den gewählten Lernformen
Gezielte Nutzung verschiedener Aktivierungs- und Sicherungs-Funktionen
von Aufaaben
Feedback
Individuelles oder Gruppen-Feedback (in Abhängigkeit von der Aufgabe)
Feedback in Form von Kommentaren oder (vorab definierten) Punkten
Angebot von Vergleichslösungen (.Muster- oder Vorzeigelösungen")
Kombinierte Feedbackformen
Lernberatung und Meta-Informationen
Was zu beachten/was möalich ist:
Lernberatung
Einzelgespräch, e-Mail oder Informationsveranstaltungen
Lernberatung umso wichtiger, je mehr Selbstlernaktivitäten und je weniger
Erfahrunaen zum selbstaesteuerten (und virtuellen) Lernen
Meta-Informationen
Meta-Informationen umso wichtiger, je mehr virtuelle Anteile in der Lernumgebung
Notwendigkeit einer klaren und verständlichen Sprache
fließender Übergang zur Lernberatung (im Falle zunehmender Individualisierung der Information)
··
··
··
··
·
··
Zyklische Vorgehensweise. Weder auf der normativen und strategischen noch auf
der operativen Ebene kann man davon ausgehen, dass sich Entscheidungen in Bezug auf Konzeption und Gestaltung als linearer Prozess "abwickeln" lassen. Was wir
an dieser Stelle an Empfehlungen und handlungsleitenden
Fragen aufgelistet haben,
hat analytischen Charakter, um die verschiedenen
Facetten der vorliegenden Design-Aufgaben in der Konzeptionsphase eines Blended Learning-Projekts deutlich zu
machen und zu erleichtern. In der Praxis werden in der Regel mehrere Zyklen bei der
Konzeption und Gestaltung durchlaufen - meist bleibt man nicht bei den ersten Entscheidungen. Es muss also möglich sein, getroffene Entscheidungen auch zu revidieren, wenn dies schlüssig begründet werden kann. Auf jeder Ebene empfehlen wir
einen systematischen Abgleich mit den Zielen und dem Kontext, wie sie in der Planungsphase (vgl. Abschnitt 17) erfasst wurden. Mit Fragen wie: "Lässt sich meine
Entscheidung im gegebenen Kontext realisieren? Wenn nicht, was muss ich ändern?
Passt meine Entscheidung zu meinen Zielen?" etc. sollte man nicht sparen - es ist
lohnend, sich im Prozess der Konzeption und Gestaltung auf allen Ebenen selbst zu
evaluieren, denn die "Kosten" sind meist geringer als diejenigen, die am Ende eines
Projekts entstehen, wenn grundsätzliche Änderungen nachträglich notwendig werden.
108
19. Durchführung
und Qualitätsmanagement
Wie gut Planung, Konzeption und Gestaltung gelaufen sind, zeigt sich spätestens in
der konkreten Durchführung des Blended Learning-Vorhabens.
Mit "Durchführung" ist
sowohl die erste Umsetzung gemeint, die man als Pilotierung bezeichnet, als auch
die Implementierung
im Echtbetrieb der Hochschullehre.
In der Pilotdurchführung
kommt es in hohem Maße darauf an zu überprüfen, ob und inwieweit man die in der
Planung gesetzten Ziele des Projekts erreicht hat und an welchen Stellen der Konzeption und Gestaltung Veränderungen erforderlich sind. Aber auch im Echtbetrieb
sind kontinuierliche Verbesserungen sinnvoll und notwendig. Vor diesem Hintergrund
kommt dem Qualitätsmanagement
des Blended Learning bei der Pilotierung wie
auch im Echtbetrieb ein wichtige Rolle zu. Mit "Qualitätsmanagement"
ist an dieser
Stelle gemeint, dass die Durchführung des Blended Learning insbesondere in der
Pilotphase, aber auch danach evaluiert wird, um die angestrebte Qualität sicherzustellen und weiterzuentwickeln
(Wilbers, 2002). Qualitätssicherung
und Qualitätsentwicklung gelten als die beiden bestimmenden Ziele des Qualitätsmanagements
(vgl. Reinmann-Rothmeier,
2000). Die "Mittel" zur Qualitätssicherung
und Qualitätsentwicklung sind Evaluationsinstrumente,
deren Handhabung in der Hochschule kein
Problem sein dürfte: Immerhin findet man gerade in den Hochschulen ein hohes Maß
an Forschungskompetenz
und damit auch Fähigkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Methoden des Erhebens, Auswertens und Bewertens, die man für die Evaluation eines Blended Learning-Projekts braucht.
19.1 Pilotierung
In der Pilotierung eines Blended Learning-Vorhabens
hat die Evaluation (meist im
Sinne einer formativen Evaluation) eine entscheidende
Bedeutung, dient doch die
erste Durchführung vor allem dazu, Unwägbarkeiten des Modells zu erkennen, Probleme zu identifizieren und unmittelbar anschließende Verbesserungen
zu erarbeiten, um die Qualität des Vorhabens entweder sicherzustellen oder gar weiter zu entwickeln. Zudem empfiehlt es sich bei der Pilotdurchführung,
die Rahmenbedingungen besonders im Auge zu haben, und dafür zu sorgen, dass die Studierenden alle
notwendigen Informationen zur Pilotierung haben. Schließlich ist die Pilotdurchführung genau das Feld, in dem man offensiv mit Fehlern umgehen und bedarfsorientierte Anpassungen vornehmen kann.
Evaluation in der Pilotdurchführung. Unter Evaluation eines Blended Learning-Vorhabens wollen wir im Folgenden (in Anlehnung an Tergan, 2000) die systematische und
zielgerichtete Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten zur Qualitätssicherung
und Qualitätsentwicklung
der eingesetzten Medien, Medienkombinationen
und Methoden einschließlich der zugrunde liegenden konzeptionellen Annahmen verstehen.
Hierzu bietet sich die erste Umsetzung des mediendidaktischen
Konzepts natürlich
besonders an: Das primäre Ziel der Evaluation in der Pilotdurchführung
besteht weniger darin, wissenschaftliche
Erkenntnisse zum Lernen und Lehren mit neuen Medien zu gewinnen, als vielmehr praktische Maßnahmen in der Hochschullehre zu verbessern. Nun gibt es seit langem einen erbitterten Streit, ob Evaluationsmaßnahmen
aufgrund ihrer Fokussierung auf der Optimierung praktischer Maßnahmen der Forschung zuzuordnen sind oder nicht (Wottawa, 2001 )96; einig ist man sich aber weit96
Wir sind der Meinung, dass Evaluation in jedem Fall ein sogar bedeutender Forschungszweig ist.
109
gehend darin, dass man eine Evaluation mit wissenschaftlichen
Methoden angehen
sollte. Wenn es nun darum geht, eine didaktische Innovation in der Hochschullehre
zu entwickeln, zu implementieren und hinsichtlich ihrer Wirkungen (bezogen auf die
eingangs gesetzten Ziele) zu überprüfen und zu bewerten, darf es aus unserer Sicht
nicht zwingend notwendig sein, ein großes Forschungsprojekt
daraus zu machen dies würde innovative Entwicklungen im Bereich der Hochschullehre eher bremsen
als fördern. Es spricht allerdings nichts dagegen, ein Blended Learning-Projekt und
dessen Evaluation bei der Pilotdurchführung auch dazu zu nutzen, Prozesse und Ergebnisse des Lernens und Lehrens mit neuen Medien wissenschaftlich zu beleuchten - sofern die Projektdurchführenden
daran (z.B. aufgrund des eigenen fachlichen
Hintergrunds) Interesse haben. Festzuhalten ist: Die Pilotdurchführung
eines Blended Learning-Konzepts sollte evaluiert werden, um Verbesserungen
und Anpassungen an den realen Kontext vornehmen zu können, den man in der Planung und Konzeption niemals komplett vorwegnehmen
kann. Bei der Evaluation sollten wissenschaftliche Methoden zum Einsatz kommen; die genaue Ausgestaltung des Evaluationskonzepts ist abhängig von den gesetzten Zielen, von den vorhandenen Rahmenbedingungen und vom Erkenntnisinteresse des Projektteams.
Entwicklung eines Evaluationskonzepts.
Es sollte keine Diskussion darüber geben,
dass die Pilotierung des Blended Learning evaluiert wird; allerdings bleibt die Frage,
wie dies im Einzelnen geschehen sollte. Fertige Rezepte gibt es auch hierzu nicht,
doch einige Leitlinien lassen sich durchaus formulieren. Dreh- und Angelpunkt einer
jeden Evaluation sind zunächst einmal die Ziele: Nicht umsonst wurde der Zielfindung in der Planungsphase des Projektmanagements
(vgl. Abschnitt 17.1) relativ viel
Raum gegeben. Denn bewerten lässt sich ein Blended Learning-Projekt immer nur in
Bezug auf seine Projektziele und Lehr-Lernziele:
Wenn z.B. reaktive Projektziele
aufgrund einer schwierigen Lehrsituation im Vordergrund standen, kann das Projekt
nicht wegen mangelnder Innovationskraft (im Sinne eines proaktiven Ziels) kritisiert
werden. Wenn mit dem Blended Learning-Konzept eine Vermittlung von Faktenwissen zum weiteren Wissenserwerb angestrebt wurde, darf man in der Evaluation nicht
den flexiblen Umgang mit dem erworbenen Wissen in Anwendungssituationen
und
umgekehrt überprüfen. Die vorab formulierten Ziele sind also gleichzeitig die Evaluationskriterien und diese bilden den ersten Schritt bei der Entwicklung eines Evaluationskonzepts. In einem zweiten Schritt ist zu klären, welches Evaluationsdesign97
man bevorzugt: Hier trifft man die Entscheidung, a) ob man z.B. die Evaluation begleitend (also prozessorientiert bzw. formativ) und/oder abschließend (also ergebnisorientiert bzw. summativ) durchführt, b) ob man qualitative und/oder quantitative Daten sammelt, c) worüber man Daten erhebt, was also genau der Evaluationsgegenstand innerhalb des Projekts ist (z.B. der Kontext, die Ressourcen, die ablaufenden Prozesse, die erzielten Wirkungen), d) zu welchen Zeitpunkten man Daten erheben wird, und e) wieviel Aufwand man sich in der Evaluation "leisten" kann. Der
dritte Schritt bei der Erarbeitung eines Evaluationskonzepts
besteht darin, Evaluationsmethoden auszuwählen, die dazu geeignet sind, die gesetzten Ziele zu überprüfen, und die in das angestrebte Design und den vorhandenen z.B. zeitlichen, finanziellen und personellen Rahmen passen. Evaluationsmethoden
zur Erhebung von
Daten lassen sich in folgende Kategorien einteilen: a) Dokumentenanalyse
(also z.B.
97
Man sprich! hier auch von Evalua!ionsmodell (Wottawa, 2001, Tergan, 2000).
110
Analyse von Fachliteratur, Lehrplänen, Prüfungsordnungen),
b) Befragung (schriftliche und mündliche Befragungsformen
mit unterschiedlichem
Standardisierungsniveau), c) Beobachtung (teilnehmende und nicht-teilnehmende
Beobachtung - auch
Online-Beobachtung - mit unterschiedlichem Systematisierungsgrad),
d) Tests (standardisierte Testverfahren und situative Tests in Form von Arbeitsproben, Fallstudien,
Planspielen etc.) und empirische Untersuchung (Tergan, 2000).
Koordination der Rahmenbedingungen.
Insbesondere bei der ersten Durchführung
des Blended Learning-Konzepts
sollte man ausreichend Zeit darauf verwenden, alle
Rahmenbedingungen
(vor allem zeitliche, personelle, technische Bedingungen) der
Durchführung genau zu durchdenken und zu koordinieren. An der Stelle sollte man
noch einmal auf die Analyseergebnisse
der Planungsphase (vgl. Abschnitt· 17) zurückgreifen und diese bei Bedarf aktualisieren. Hilfreich sind z.B. Fragen folgender
Art: a) Reichen die aktuellen Semester-Termine
für die Umsetzung des Konzepts?
An welchen Stellen sollte eventuell etwas gekürzt, verschoben, umgestellt etc. werden, um eine genaue zeitliche Passung zwischen Konzept und realem Kontext zu
erreichen? b) Stehen mir bei allen in der Durchführung anfallenden Aufgaben geeignete Personen zur Verfügung? Was kann ich ohne Hilfe machen, wo brauche ich bei
der Durchführung Unterstützung, was kann ich delegieren? c) Ist die für die Durchführung notwendige Hardware (z.B. Beamer in der Vorlesung) und Software an den
relevanten (Lehr-)Orten vorhanden? Sind alle technischen Dinge auch funktionsbereit? Wer kann bei technischen Problemen helfen? Diese beispielhaften Fragen sollte
jeder bezogen auf sein Projekt selbst erweitern und spezifizieren und diese als eine
Art Checkliste verwenden. Es empfiehlt sich zudem, für die erste Durchführung ein
kleines "Drehbuch" zu erstellen, was in welchen Phasen des Semesters bei der Umsetzung des Blended Learning-Vorhabens
zu tun ist, woran man denken sollte und
welche Alternativen es gibt, wenn einzelne Punkte nicht umsetzbar sind. Auch hier
sollte man noch einmal die Ergebnisse der Planungsphase heranziehen. Ein solches
Drehbuch sollte man auch allen anderen Projektbeteiligten geben, denn ein Pilot ist
eben keine Routine-Tätigkeit, sodass externe Gedächtnisstützen eine wenig aufwändige und doch sehr hilfreiche Funktion übernehmen können.
Schaffung von Transparenz bei den Studierenden. Die Pilotierung eines neuen Konzepts im Hochschulalltag (also im Feld und nicht etwa unter Laborbedingungen)
erfordert ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl:
Zu vermeiden ist, dass sich Studierende sozusagen als "Versuchskaninchen"
fühlen; ebenso ist darauf zu achten,
dass Studierende nicht die (falsche) Annahme aufbauen, sie selbst (und nicht das
neue Konzept) seien Gegenstand der Kontrolle und Überprüfung. Beide Gefahren
kann man in den Griff bekommen, wenn man das Anliegen, die Ziele und Hintergründe des Projekts von Anfang an transparent macht und die Studierenden als
Experten in Sachen Lernen in die Evaluation aktiv mit einbezieht. Für die Schaffung
von Transparenz hat man in einem Blended Learning-Projekt
zwei grundsätzliche
Möglichkeiten: Eine Möglichkeit besteht darin, den ersten Veranstaltungstermin
zu
nutzen, um a) das Konzept des Blended Learning vorzustellen, b) einen kurzen Abriss über die Entstehung, den Verlauf und die Ziele des Projekts zu geben, c) das
Evaluationskonzept
und die Rolle der Studierenden in der Evaluation zu erläutern
und d) die Projektbeteiligten persönlich vorzustellen, insbesondere dann, wenn diese
auch während der Pilotdurchführung einzelne Aufgaben übernehmen und damit potentielle Ansprechpartner für die Studierenden sind. Die zweite Möglichkeit, die man
111
weniger als Alternative denn als Ergänzung verstehen sollte, ist die, alle wichtigen
Informationen, die der Transparenz dienen, auch online zugänglich zu machen.
Offensiver Umgang mit Fehlern. Wer eine didaktische Innovation unter realen Hochschulbedingungen erprobt, sollte damit rechnen, dass sich Pläne und Konzepte nicht
eins-zu-eins umsetzen lassen, dass unvorhergesehene
Probleme auftauchen, dass
scheinbar triviale Dinge nicht funktionieren; kurz: Es kommt - aus der Außenperspektive betrachtet - bei der Pilotierung mit Sicherheit zu Fehlern, die natürlich auch den
Studierenden auffallen. In unserem Blended Learning-Projekt
hat es sich bewährt,
mehrfach auf den Pilotcharakter der semivirtuellen Vorlesung hinzuweisen und deutlich zu machen, dass gerade die Pilotierung die Chance bietet aus (unvermeidlichen)
Fehlern zu lernen. Derartige Hinweise müssen allerdings auch authentisch in dem
Sinne sein, dass Probleme und darauf bezogene Kritik ernst genommen und nicht
nur verbal, sondern tatkräftig aufgegriffen werden. Ein Beispiel kann dies am besten
verdeutlichen:
So gab es bei der Pilotdurchführung
der semivirtuellen
Vorlesung
nach einer kurzen Eingewöhnungsphase
unerwartet hohe Leistungen bei den Aufgabenbearbeitungen in einzelnen Gruppen, sodass das Bewertungssystem
zu undifferenziert wurde: Die Maximalpunktzahl
von 4 konnte man gerechterweise
nicht den
"Spitzengruppen" ebenso geben wie anderen, vergleichsweise "schlechteren" Gruppen. Wir haben daraufhin im laufenden Semester den Notenschlüssel geändert, um
einerseits die Ansprüche durch die hohen (vorab nicht vorherzusehenden)
Leistungen einzelner Gruppen nicht zum allgemeinen Maßstab zu machen (was einen
großen Teil der Studierenden verärgert hätte), andererseits aber zwischen herausragenden und guten Leistungen durch Punktvergabe noch differenzieren zu können
(was für die Motivation der besonders engagierten Studierenden wichtig war). Dieses
Vorgehen wurde mündlich und elektronisch ausführlich begründet, was auf diesem
Wege von den Studierenden akzeptiert wurde.
Bedarfsorientierte
Anpassungen.
Das gerade genannte Beispiel zeigt im Übrigen
auch die Bedeutung bedarfsorientierter
Änderungen während der Pilotdurchführung
- sozusagen als Konsequenz eines "Lernens aus Fehlern". Neben Problemen und
Kritik seitens der Studierenden gibt es weitere Gründe, die einen dazu veranlassen
können, Änderungen bei der Pilotierung vorzunehmen: So können z.B. Anregungen
aus dem Projektteam oder seitens der Studierenden, denen keine akuten Schwierigkeiten zugrunde liegen, aufgegriffen werden, wenn dies zum gegebenen Zeitpunkt
sinnvoll erscheint. Typische "Veränderungskandidaten"
sind etwa Instruktionen für
Aufgabenbearbeitungen,
bei denen man manchmal erst im Einsatz feststellt, dass sie
missverständlich oder irreführend formuliert sind. Auch wird in der Pilotierung bisweilen deutlich, wo man zusätzliche Hilfefunktionen braucht, die man im Notfall ad hoc
entwickeln und den Studierenden zur Verfügung stellen sollte. Je größer der Innovations- und damit der Neuheitscharakter
des Projekts ist, desto überlegter und sparsamer sollte man allerdings mit dieser grundsätzlichen Bereitschaft (und Notwendigkeit) zur flexiblen Anpassung umgehen, denn es besteht durchaus die Gefahr, vor
lauter Anpassung die Linie des Projekts aus dem Auge zu verlieren. Anpassungen
sind nämlich nur dann "bedarfsorientiert", wenn ein tatsächlicher Bedarf vorliegt: Hinweise und Kritik von einzelnen Studierenden, ohne dass man davon ausgehen kann,
dass diese die große Mehrheit vertreten, sollten zwar registriert und dokumentiert,
aber nicht sofort aktionistisch beantwortet werden. Organisatorische
und technische
Schwierigkeiten sollten ihre Ursachen im Konzept haben, wenn man diese als Impuls
112
für Änderungen und Anpassungen heranzieht. Mit anderen Worten: Es ist darauf zu
achten, dass man keine Fehlkorrekturen vornimmt, was wiederum voraussetzt, statt
unmittelbarer Reaktionen lieber zweimal hinzusehen, wo die Schwierigkeiten genau
begründet liegen. Tabelle 10 fasst zusammen, was man bei der Pilotierung und der
Evaluation in der Pilotdurchführung beachten sollte.
Tab. 10: Checkliste 7: Pilotierung
Entwicklung eines Evaluationskonzepts
1.Schrilt: Ziele
Rückgriff auf die Ziele (Projeklziele/Lehr-Lernziele) in der Planungsphase
Ziele zu Evaluationskriterien rnachen
2.Schrilt: EvaluaFormatives und/oder summatives Modell wählen
tionsdesign
Quantitative und/oder qualitative Daten fokussieren
Evaluationsgegenstand festlegen
Erhebungszeitpunkte bestimmen
Möglichen Aufwand einschälzen
3.Schrilt: EvaluaBestimmung der Evaluationsmethoden
tionsmethoden
Auswahl aus: Dokumentenanalyse, Befragung, Beobachtung, Tests und
empirische Untersuchungen
···
··
··
··
Koordination der Rahmenbedingungen
Fragen als Check• Zeitliche Faktoren
liste gestalten
Personelle Faktoren
Technische Faktoren etc.
"Drehbuch"
Wichtige Aktivitäten in einzelnen Phasen festlegen
erstellen
"Drehbuch" als externe Gedächtnisstülze verwenden
··
··
···
•
·
···
Schaffuna von TransDarenz
Was transparent
Ziele und Hintergründe des Projekts
zu machen ist
Evaluationskonzept und Rolle der Studierenden
Wie man etwas
transparent macht
Proiekltearn und Ansprechpartner
Mündlich in Präsenzveranstaltungen
Elektronisch in Online- und Offline-Elementen
Offensiver Umgang mit Fehlern und bedarfsorientierte
Anpassungen
Lernen aus
Den Pilotcharakter in der ersten Durchführung verdeutlichen
Fehlern
Kritik und Probleme ernst nehmen und tatkräftig aufgreifen
Anpassungen im
Kritik und Probleme, aber auch Anregungen als Änderungsimpulse
Prozess
aufnehmen
• Änderungen im Prozess reflektiert und sparsam vornehmen
"Echten" Bedarf vor größeren Änderungen abklären
Fehlerkorrekturen vermeiden
··
19.2 Echtbetrieb
Der Weg von der Pilotierung zur Implemenfation in den regulären Lehrbetrieb. Wie in
Kapitel I mehrfach betont wurde, zeichnen sich didaktische Innovationen vor allem
dadurch aus, dass es nicht bei Pilotprojekten bleibt, sondern eine Implementation in
den regulären Lehrbetrieb erfolgt, um auf diese Weise nachhaltige Entwicklungen in
Gang zu setzen (vgl. Abschnitt 2). Das bedeutet gleichzeitig, dass man im Verlauf
des gesamten Projektmanagements
den erforderlichen zeitlichen, finanziellen, personellen und technischen Aufwand des Blended Learning-Vorhabens
im Auge haben
und diesen so bemessen sollte, dass eine Überführung in den Echtbetrieb ohne größere Schwierigkeiten möglich ist. Wie in den ersten beiden Kapiteln dieses Buches
gezeigt wurde, bringen gerade Blended Learning-Konzepte
eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit mit sich, in diesem Sinne langfristig in der Hochschullehre Fuß zu fas-
113
sen. Da bereits die Pilotierung des Blended Learning-Konzepts
im Feld - also unter
realen Hochschulbedingungen
- empfohlen wird, ist der Sprung in den regulären Alltag der Hochschullehre weniger groß als dies z.B. der Fall ist, wenn nach quasiexperimentellen Studien eine Anwendung im realen Kontext erfolgt. Dennoch sollten
die Unterschiede zwischen Pilotierung und Echtbetrieb beachtet werden.
Besonderheiten des Echtbetriebs im Unterschied zur Pilotierung. Die Überführung
eines Blended Learning-Modells vom Piloten in den regulären Lehrbetrieb erfordert
die Beachtung einiger psychologischer
Momente, die durch die Fixierung etwa auf
Rahmenbedingungen
und andere "hard facts" gerne unterschätzt werden. Eine langfristige Implementierung bedeutet z.B., dass man bei den Studierenden nicht mehr
(oder zumindest weniger) mit dem "Neuigkeitseffekt,,98 rechnen kann, der sich mitunter positiv auf Akzeptanz und Motivation beim Lernen auswirkt. Auch kann das Engagement der am Projekt beteiligten Personen (Projektteam) nachlassen, wenn die
erste Euphorie nach der Pilotierung allmählich zurückgeht. Zudem muss beim Blended Learning im regulären Lehrbetrieb in noch ausgeprägterem
Maße als in der
Pilotdurchführung gewährleistet sein, dass sich die gesamte Veranstaltung nicht nur
inhaltlich und methodisch, sondern auch in Bezug auf die vorherrschende Lernkultur
in das Curriculum und in den Alltag des Lehrens und Lernens möglichst nahtlos
einfügt. Im Echtbetrieb weht der Wind also gewissermaßen schärfer - auf die bei der
Pilotierung von verschiedenen Seiten entgegengebrachte
Nachsicht darf man keinesfalls mehr setzen.
Qualitätssicherung und -entwicklung auch im Echtbetrieb. Eine Evaluation der Lehre
ist zur Zeit keine Seltenheit mehr an deutschen Hochschulen: Allerorten wird eine
stärkere "Kontrolle" der Lehrqualität gefordert, die man allerdings eher unprofessionell mit kurzen und standardisierten
Fragebögen für Studierende erfassen will (vgl.
auch Abschnitt 4.2). Tiefer gehende didaktische Merkmale und Wirkungen werden
mit den derzeitigen Evaluationsverfahren
in der Hochschullehre kaum erfasst. Zudem
mangelt es in aller Regel an Konsequenzen, die man aus den Evaluationsergebnissen (als Lehrender) ziehen sollte. Diese kritischen Punkte sprechen allerdings nicht
gegen eine Sicherung und Weiterentwicklung
der Qualität von Lehrveranstaltungen.
Vielmehr soll an dieser Stelle dafür plädiert werden, dass sich Lehrende selbst darin
engagieren, mit einfachen, aber wirksamen Mitteln a) die Akzeptanz, Lernprozesse
und Lernergebnisse einschließlich den Transfers des Gelernten99 zu eruieren, b) sich
Anregungen bei den Studierenden zur Verbesserung von Veranstaltungen zu holen
und c) auf dieser Basis selbstverantwortlich
didaktische Konzeptionen und deren
Umsetzung zu optimieren (vgl. Reinmann-Rothmeier,
Mandl & Prenzel, 1997). Vom
Prinzip her macht man diese Form der Selbstevaluation
am besten so wie bei der
Pilotdurchführung (vgl. Abschnitt 19.1); allerdings sollte man natürlich den Umfang
und die Intensität der Evaluation auf ein Niveau einpendeln, das sich in den Hochschulalltag integrieren lässt. Tut man letzteres nicht, ist die Gefahr groß, dass auf-
98 Etliche Studien belegen z.B., dass bessere Lernergebnisse beim Einsatz neuer Medien in verschiedenen Bildungssituationen darauf zurückzuführen sind, dass das medienbasierte Lernen etwas Neues
darstellt, das neugierig macht, die Motivation steigert und damit Lernprozesse ankurbelt (z.B. Weidenmann, 2001).
99 Eine Überprüfung des "near transfer" ist z.B. über problemorientierte Aufgaben möglich, die eine
Anwendung des Gelernten erfordern; den Jar transfer" - also den Transfer in den praktischen Alltag kann man allenfalls in Nachbefragungen erfassen.
114
grund zu hoher Belastung ganz auf eine eigenständige Evaluation verzichtet wird. So
ist es z.B. keinesfalls notwendig, immer schriftliche Befragungen zu machen: Auch
Feedbackrunden während und am Ende des Semesters, bei denen man Kernbotschaften der Beiträge mitprotokolliert oder mitprotokollieren
lässt, tun gute Dienste,
wenn es darum geht, Verbesserungsvorschläge
zu sammeln. Auch Online-Foren, in
denen Studierende das ganze Semester über Lob und Kritik loswerden können,
haben sich in diesem Zusammenhang
bewährt. Vorsicht aber sollten alle "Perfektionisten" unter den Lehrenden walten lassen: Eigenen Erfahrungen zufolge kann
man es auch bei noch so großem Engagement und selbst bei größter Offenheit für
Kritik kaum schaffen, es allen Lernenden recht zu machen: Auch in unserer semivirtuellen Vorlesung gab es zwei, drei kritische Stimmen, die das Projektteam verunsichert und sehr nachdenklich gemacht haben. Nachdenklichkeit in solchen Situationen kann nicht schaden, doch sollte man auch sich selbst nicht schaden und immer
die Relationen im Auge behalten - so standen im genannten Fall drei verärgerte
Kritiker 130 zufriedenen bis sehr zufriedenen Studierenden gegenüber!
Tabelle 11 gibt einen zusammenfassenden
Überblick
bei der Umsetzung und Evaluation im Echtbetrieb.
über beachtenswerte
Punkte
Tab. 11: Checkliste 8: Echtbetrieb
Der Weg von der Pilotierung
Aufwand im Blick
behalten
Sprung von der
Pilotierung in den
Alltag beachten
Besonderheiten
Neuigkeitseffekt
Euphorie am
Anfang
Passung in den
Hochschulalltag
Qualitätssicherung
Wer evaluieren
sollte
Was evaluiert
werden sollte
Wie man eva luieren kann
···
·
·
·
·
··
··
•·
··
zum Echtbetrieb
Zeitlichen, finanziellen, personellen und technischen Aufwand beachten.
Aufwand nach realen Bedinounoen bemessen.
Sprung klein halten durch Pilotierung im Feld.
Auch bei Pilotierung im Feld: Unterschiede zwischen Piloten und Echtbetrieb
berücksichtiQen (.schärferer Wind").
im Echtbetrieb im Unterschied zur Pilotierung
Hohe Akzeptanz und Motivation der Studierenden im Piloten ist im Echtbetrieb nicht automatisch oesichert.
Hohes Engagement und Begeisterung des Projektteams im Piloten setzt sich
nicht zwanQsläufiQ im Echtbetrieb fort.
Inhaltliche, methodische und kulturelle Passung des Blended Learning in den
Hochschulalltag erforderlich.
und -entwickluna
Neben Fremdevaluation auch Selbstevaluation in Eigenverantwortung.
Wunsch nach Verbesseruno nicht bis ins Letzte perfektionieren.
Akzeptanz seitens der Studierenden
Lernprozesse und -ergebnisse
Transfer (bei Bedarf)
Schriftliche Befragungen
Mündliche Feedbackrunden
Online-Foren für Lob und Kritik
115
20. Fazit
In diesem letzten Kapitel haben wir das Ziel verfolgt, für die Planung, Konzeption und
Gestaltung sowie für die Durchführung (einschließlich Qualitätsmanagement)
eines
Blended Learning-Projekts
in der Hochschullehre
Leitlinien mit heuristischem Charakter zu formulieren, die dem Lehrenden in der (Hochschul- und Weiterbildungs-)
Praxis eine erste Unterstützung bieten. Ein Blended Learning-Vorhaben
im Sinne
einer didaktischen Innovation als Projekt zu interpretieren und dabei auf einfache,
aber bewährte Maßnahmen des Projektmanagements
zurückzugreifen,
ist vor allem
deshalb sinnvoll, weil man damit an eine Systematik gebunden wird, die im konkreten
Tun eine erhebliche Hilfe darstellt. Wir haben dafür plädiert, einen Projektplan zu erarbeiten, in dem die wichtigsten Ergebnisse der Analyse von Zielen, Kontext, Ressourcen, Teamarbeit und Kooperation ihren Niederschlag finden. Denn eine gute
Planung trägt dazu bei, innerhalb des Projekts auf dem Boden der Tatsachen zu
bleiben und auf diesem Wege die angestrebte Implementation des Blended Learning
in den Alltag der Hochschullehre (oder Weiterbildung) zu bewerkstelligen. Ausführlich
dargelegt wurden Leitlinien für die Konzeption und Gestaltung von Blended Learning
- hier wurden die in Kapitel 11und 111beschriebenen Formen des Lernens mit neuen
Medien, zugrundeliegende
Lehr-Lernauffassungen
und konkrete Ausprägungen des
e-Learning noch einmal praktisch aufbereitet und zu richtungsweisenden
Empfehlungen zusammengestellt.
Nicht nur in Bezug auf die Länge der Ausführungen
in
diesem Kapitel, sondern auch in Bezug auf den zeitlichen und personellen Aufwand,
muss man der Konzeption und Gestaltung insgesamt betrachtet tatsächlich mehr
Gewicht geben als der abschließenden
Durchführung und der dabei notwendigen
Qualitätssicherung und -entwicklung. Entsprechend kürzer, aber nicht minder wichtig
sind unsere Leitlinien für Durchführung und Qualitätsmanagement
bei der Pilotierung
des Blended Learning und bei der Umsetzung im Echtbetrieb. Mit letzterem verlassen wir die Projektebene und streben das an, was wir bereits zu Beginn dieses
Buches mehrfach hervorgehoben haben: die langfristige Implementation didaktischer
Innovationen in den regulären Lehrbetrieb von Hochschule oder Weiterbildung.
An der Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es auch für das Blended
Learning nicht seriös wäre, Wenn-Dann-Regeln
aufzustellen und dem Praktiker in
der Lehre zu suggerieren, es gäbe so etwas wie eine sichere Technologie, die einem
automatisch Erfolg durch den Einsatz der neuen Medien beschert. Mit der sehr ausführlichen Beschreibung unseres eigenen Projekts zur semivirtuellen Vorlesung (in
Kapitel 111)hoffen wir deutlich gemacht zu haben, dass es neben der Beachtung
einiger "Grundregeln" vor allem darauf ankommt, didaktische Innovationen mit hohem Engagement und Kreativität, aber auch mit Systematik und der notwendigen
Portion Reflexion "boUom up" nach vorne zu treiben. Die Checklisten in diesem Kapitel wollen vor diesem Hintergrund - zusammen mit den dazugehörigen Ausführungen
in den vorangegangenen
Kapiteln - dazu beitragen, dass Lehrende die Möglichkeiten und Vorzüge verschiedener Formen von e-Learning in und mit der traditionellen
Präsenzlehre selbst erproben und weiterentwickeln.
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Erfolgreich durch
Was ist «Blended Learning»? Wie verhält es sich zum «klassischen» E-Learning? Es geht um Lernangebote, die medienbasiertes Lernen mit Präsenzlernen verbinden. Die Autorin illustriert anhand eines Beispiels aus der Hochschule, dass und wie das funktioniert.
Es wird deutlich: Blended Learning kann - mit Online-, Offline- und PräsenzElementen - didaktische Innovationen auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen anstoßen. Eine Reihe von Leitlinien mit Checklisten sollen dabei
helfen, eigene Blended-Learning-Vorhaben in Hochschule und Weiterbildung
von Anfang an so zu planen und durchzuführen, dass Veränderungen «bottom
uP» möglich und wahrscheinlich werden. Das Buch will also zum konkreten
Handeln motivieren und befähigen.
Interessenten: Hochschullehrer linnen, Wissenschaftler I innen im Bereich
des Lernens mit neuen Medien, Personalentwicklerlinnen und Weiterbildnerlinnen.
ISBN 3-456-83952-9
~
Verlag Hans Huber
Bern Göttingen Toronto Seattle
I
1111839523
9 783456