Didaktische Innovation. durch Blended Learning
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Didaktische Innovation. durch Blended Learning
Huber Psychologie Praxis Lernen mit Neuen Medien Herausgegeben von Peter Reimann, Maria Bannert, Heinz Mandl und Eckart Severing Der Einsatz neuer Medien nimmt in allen Bereichen rapide zu. Die Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien in Unternehmen führt zu starken Veränderungen im Anforderungsprofil der Beschäftigten. Immer mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen für zunehmend anspruchsvollere Tätigkeiten in immer kürzer werdenden Abständen qualifiziert werden. Ziel dieser Reihe ist es, neue Entwicklungen zeitgerecht und praxisnah aus psychologisch-pädagogischer Sicht darzustellen. Allen, die Weiterbildungs- und Unterrichtsmaßnahmen gestalten, sollen frühzeitig solche Informationen und EmpfeWungen an die Hand gegeben werden, die besonders dringend benötigt werden: Von den Vorbedingungen, die auf Seiten der Lernenden, der Lehrenden und der Technik gegeben sein müssen, über konkrete Hinweise zu Einsatz und Durchführung bis zu Anleitungen für die Evaluation. Dies geschieht in kompakter und anschaulicher Form, illustriert durch zaWreiche Beispiele aus der Praxis. In der Reihe bereits erschienen: ]oachim Hasebrook und Mathias Otte E-Learning im Zeitalter des E-Commerce Die dritte Welle Michael Henninger und Heinz Mandl Zuhören - verstehen - miteinander reden Ein multimediales Kommunikations- und Ausbildungskonzept Helmut M. Niegemann Neue Lernmedien Konzipieren, entwickeln, einsetzen Gabi Reinmann-Rothmeier und Heinz Mandl Individuelles Wissensmanagement Strategien für den persönlichen Umgang mit Information und Wissen am Arbeitsplatz Gabi Reinmann-Rothmeier und Heinz Mandl Virtuelle Seminare in Hochschule und Weiterbildung Drei Beispiele aus der Praxis Eckart Severing, Christel Keller, Thomas Reglin und ]osef Spies Betriebliche Bildung durch Telelernen Konzeption, Umsetzung, Evaluation - Eine Einführung für Praktiker Gabi Reinmann -Rothmeier Didaktische Innovation. durch Blended Learning Leitlinien anhand eines Beispiels aus der Hochschule Unter Mitarbeit von Frank Vohle, Frederic Adler und Heidi Faust Verlag Hans Huber Bern . Göttingen . Toronto· Seattle Adresse der Autorin: Prof. Dr. Gabi Reinmann-Rothmeier Medienpädagogik Philosophisch -Sozialwissenschaftliche der Universität Augsburg Universitätsstraße 10 D-86135 Augsburg Fakultät Die im Buch erwähnten Materialien können abgerufen werden: www.semivirtuell.de. über folgende URL In elektronischer Lektorat: Dr. Peter SteWin Herstellung: Daniel Berger Umschlag: Atelier MüWberg, Basel Titelillustration: ÄSOP, Köln Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik Printed in Germany Form GmbH, Kempten Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.ddb.de abrufbar. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhaJb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Anregungen und Zuschriften bitte an: Verlag Hans Huber Länggass-Strasse 76 eH-3000 Bern 9 Tel: 0041 (0)31 3004500 Fax: 0041 (0)31 3004593 E-Mail: [email protected] Internet: http://verlag.hanshuber.com 1. Auflage 2003 © 2003 by Verlag Hans Huber, Bern ISBN 3-456-83952-9 Univ.-Bibl. Bamb,:}rg IC 20084 Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 Einführung 4 Kapitel I. 1. 2. 3. 4. 5. Innovationen in der Hochschullehre Der Innovationsbegriff 1.1 Merkmale von Innovationen 1.2 Verschiedene Definitionsansätze 1.3 Entwicklung des Innovationsverständnisses Didaktische Innovationen 2.1 Kennzeichen didaktischer Innovationen 2.2 Das Innovationspotential der neuen Medien 2.3 Der Begriff der Nachhaltigkeit Innovationen durch neue Medien in der Hochschullehre 3.1 Förderpolitik und Erwartungen 3.2 Die Effizienzfalle 3.3 Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften Innovationsbarrieren und wie man sie überwinden kann 4.1 Die sog. Innovationskiller 4.2 Innovationsbarrieren in der Hochschule 4.3 Überwindung von Innovationsbarrieren Fazit Kapitel 11. 6. 7. 8. 9. 10. Blended Learning Der Begriff des Blended Learning 6.1 Die (wirtschaftliche) Herkunft des Blended Learning 6.2 Was hinter dem Blended Learning steckt Der Begriff des e-Learning 7.1 Verschiedene e-Learning-Varianten 7.2 Unterschiedliche Anforderungen beim e-Learning Die Integrationskraft des Blended Learning 8.1 Existenz und Notwendigkeit verschiedener Lerntheorien 8.2 Instruktion und Konstruktion 8.3 Integration durch Blended Learning auf verschiedenen Ebenen Das Innovationspotential von Blended Learning in der Hochschullehre 9.1 Didaktische Innovationen durch Blended Learning 9.2 Überwindung von Innovationsbarrieren durch Blended Learning Fazit 7 8 8 9 10 11 11 13 15 16 16 17 19 20 20 21 24 26 27 28 28 29 31 31 33 35 35 37 38 41 42 43 45 2 Kapitel 111. Die semivirtuel/e Vorlesung - ein Prototyp des Blended Learning in der Hochschul/ehre 46 11. 12. 13. 14. 15. Entstehungsgeschichte und Grundidee der semivirtuellen Vorlesung 11.1 Wie die semivirtuel/e Vorlesung entstanden ist 11.2 Die Grundidee und ihre Rahmenbedingungen Das didaktische Konzept 12.1 Inhalte und Ziele 12.2 Der erwartete Nutzen 12.3 Medien, Methoden und pädagogisches Grundkonzept 12.4 Technische Umsetzung und Ablauf Die Evaluation: Erfahrungen und Ergebnisse 13.1 Das Evaluationskonzept 13.2 Die Evaluationsergebnisse 13.3 Die Frage nach der didaktischen Innovation 13.4 Verbesserungsideen Weiterentwicklung: Blended Learning zur Nutzung verteilter Expertise 14.1 Die Kernidee 14.2 Das mediendidaktische Szenario 14.3 Der Mehrwert Fazit Kapitel IV. 16. 17. 18. 19. 20. Leitlinien für Blended Learning in der Hochschul/ehre Projektmanagement 16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement 16.2 Aufgaben des Projektmanagements Planung 17.1 Zielfindung 17.2 Kontextanalyse und Ressourcenplanung 17.3 Teamarbeit und Kooperationen 17.4 Der Projektplan Konzeption und Gestaltung 18.1 Normative und strategische Entscheidungen 18.2 Gestaltung auf der operativen Ebene Durchführung und Qualitätsmanagement 19.1 Pilotierung 19.2 "Echtbetrieb" Fazit Literatur 47 47 49 51 51 53 54 59 61 62 64 70 72 73 74 75 79 80 82 83 83 84 86 87 89 93 96 100 100 103 108 108 112 115 116 3 Vorwort Aus der Not eine Tugend machen. Das vorliegende Buch ist im Rahmen eines Projektes entstanden, für das am besten das alt bekannte Sprichwort passt: "Aus der Not eine Tugend machen": Nach mehrjährigen Erfahrungen mit virtuellen Seminaren, in denen mit maximal 30 Lernenden Themen in einer hoch-interaktiven Form und unter konsequenter Nutzung der virtuellen Kommunikation und Kooperation (ebenfalls dokumentiert im Huber-Verlag 1) effektiv bearbeitet wurden, stand ich im Herbst 2001 infolge eines Hochschulwechsels plötzlich vor der Situation, dass Seminare mit Teilnehmergrenzen kaum mehr vertretbar waren - egal ob virtuell oder face-to-face. Aus dieser "Not" heraus erwuchs die Idee zu einem hybriden Lernarrangement oder - wie man derzeit auch sagt - zu einem Blended Learning-Modell mit Potential zu nachhaltigen didaktischen Innovationen. Entstanden ist die "semivirtuelle Vorlesung": Wie wir diese konzipiert und durchgeführt haben, welche Erfahrungen wir dabei machen konnten und welche Empfehlungen man daraus ableiten kann, haben wir in diesem Buch zusammengefasst. Ziele und Zielgruppe des Buches. Das Buch will an hand des konkreten Beispiels "semivirtuelle Vorlesung" aufzeigen, wie man mit Blended Learning didaktische Innovationen anstoßen kann. Dabei handelt es sich um Innovationen, die sich nachhaltig in der Hochschullehre umsetzen lassen (auch in "Massenfächern" sowie in Disziplinen, die den neuen Medien bisher eher fern standen) und nicht in den Anfängen von Pionierleistungen stecken bleiben, wie dies in den vergangenen Jahren oft geschehen ist. Das Buch wendet sich an Hochschullehrer/innen (vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften2), an Wissenschaftler/innen im Bereich des Lernens mit neuen Medien sowie an Personalentwickler/innen und Weiterbildner/innen, die trotz der Ernüchterungen den Glauben an die Vorteile des e-Learning (noch) nicht aufgegeben haben. Der besseren Lesbarkeit zuliebe bitten wir alle Leserinnen männliche Formen nur als Abkürzung für Frauen und Männer zu verstehen. Alle bisherigen Lösungen (Schrägstriche, das große "I", wechselnde Formen) sind unbefriedigend auch die hier gewählte. Wir hoffen auf das Verständnis unserer Leserinnen! Die Mitwirkenden. Frederic Adler, Heidi Faust und Frank Vohle haben entscheidend an der Konzeption und Evaluation der semivirtuellen Vorlesung wie auch am Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt: Frederic Adler hat sich vor allem für die Online-Elemente des Projekts eingesetzt; Heidi Faust war in hohem Maße an der Evaluation beteiligt; und Frank Vohle war vom Anfang bis zum Ende mein Denk- und Diskussionspartner in allen Fragen des Projektes und Buches. Danken möchte ich Eva Häuptle und Christine Erlach für formale und inhaltliche Korrekturarbeiten. Und schließlich gilt mein Dank auch allen Studierenden, die sich im Sommersemester 2002 in Augsburg an der Pilotdurchführung der semivirtuellen Vorlesung beteiligt und damit einverstanden erklärt haben, Ausschnitte aus der Veranstaltung sowie besonders gut gelungene Lösungen zu den gestellten Aufgaben über eine URL zu diesem Buch öffentlich zu machen. Oktober 2002, Gabi Reinmann-Rothmeier 1 Reinmann-Rothmeier, G. & Mandl, H. (Hrsg.) (2001 b). Virtuelle Seminare in Hochschule und Weiterbildung. Drei Beispiele aus der Praxis. Bem: Huber. 2 einschließlich der Wirtschaftswissenschaften. 4 Einführung E-Learning wird das Lernen und Lehren revolutionieren - noch vor wenigen Jahren war man sich, zumindest in der Wirtschaft, einig, dass durch den Einsatz der neuen Medien ein gigantischer neuer Markt entsteht und Bildung und Weiterbildung einen innovativen Schub erfahren. Heute ist allerorten Ernüchterung eingekehrt. Zu enttäuschten Erwartungen in Bezug auf Effizienz und Effektivität beim e-Learning gesellen sich allgemeine Sparmaßnahmen seitens Staat und Industrie, dem so manches e-Learning-Projekt zum Opfer gefallen ist. Da ist es fast schon sympathisch, dass die Hochschulen wie ein Fels in der Brandung stehen und immer nur die Ausläufer der Wellen verspüren, die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien verursachen: Mit Verzögerung haben vor wenigen Jahren im Rahmen der Hochschullehre Investitionen in die neue Medien begonnen, ohne dass der "Hype" so groß war und ist wie in der Wirtschaft; entsprechend weniger dramatisch wirkt sich die jetzige Krisenstimmung beim e-Learning aus. Da auch die Hochschulen nicht mit Geld gesegnet sind, stellt sich aber auch hier die große Frage, wie es nach Jahren der Projekte und Programme mit Pilotcharakter zum Medieneinsatz in der Hochschule nun weitergeht: Sind didaktische Innovationen durch neue Medien in der Lehre hervorgegangen oder zu erwarten? Wie kann man neue Medien und "neu es Lernen" nachhaltig implementieren, um langfristig Entwicklungen in Gang zu setzen? Innovationen in der Hochschul/ehre. Unisono werden in der Hochschullehre Innovationen angemahnt, doch es erscheint fraglich, ob allen klar ist, was man unter einer Innovation überhaupt versteht. Kapitel I dieses Buches will vor diesem Hintergrund Begrifflichkeiten rund um das Thema "Innovation" klären - nicht motiviert aus wissenschaftlicher Kleinkrämerei, sondern angespornt durch die Einsicht, dass eine klare Sprache gerade bei schlagwortbesetzten Themen wie e-Learning besonders wichtig ist. Der Schwerpunkt wird dabei auf didaktischen Innovationen durch neue Medien liegen, die bottom up und evolutionär entstehen, ohne die auch Initiativen "von oben" im Sinne eines strategischen Innovationsmanagements wenig Aussicht auf Erfolg haben. Neben begrifflichen Klärungen zu Fragen der Innovation durch Medien in der Lehre sollen auch typische Innovationsbarrieren beschrieben und Überlegungen angestellt werden, wie man diese am besten überwinden oder umgehen kann. Und hier kommt auch das Blended Learning ins Spiel. Blended Learning. Unsere These ist, dass Blended Learning - eine neue Wortkreation, die auf die Mischung traditioneller und neuer Medien und Methoden beim Lernen setzt - didaktische Innovationen in der Hochschullehre ankurbeln und nachhaltige Entwicklungen anstoßen kann. Kapitel 11will darlegen, was hinter dieser Sonderform des e-Learning steckt und inwiefern die oben genannte These auf solidem Boden steht. Vor diesem Hintergrund bietet das zweite Kapitel eine knappe theoretische Einführung in wesentliche Konzepte des Lernens, in medien basierte LehrLernmethoden und in die Besonderheiten der neuen Medien für Fragen des Lernens und Lehrens. Die Kenntnis solcher Grundlagen erachten wir für alle als wichtig, die sich dem e-Learning im Allgemeinen und dem Blended Learning im Besonderen ernsthaft nähern und bunten Hochglanzbroschüren nicht auf den Leim gehen wollen. Da dies zwangsläufig auch theoretisch wird, bietet das Buch zusätzlich auch ein konkretes Beispiel an - die semivirtuelle Vorlesung. 5 Die semivirtuel/e Vorlesung - ein Prototyp des Blended Learning in der Hochschullehre. Kapitel 111dieses Buches gibt eine ausführliche Antwort auf die Frage "Wie mache ich es jetzt?". Beschrieben wird ein Blended Learning-Modell mit Vorlesungscharakter: Angefangen von der Entstehungsgeschichte über die Konzeption bis zur Evaluation der Pilotdurchführung wird dargestellt, was man bei einem Blended Learning-Vorhaben berücksichtigen muss, welche Entscheidungen im Einzelnen anstehen und wie man den Balanceakt zwischen konzeptionellen Ideen und den bestehenden Gegebenheiten schaffen kann. Das Anschauungsmaterial unter der URL www.semivirtuell.de bietet unter anderem einen Einblick in Leistung und Kreativität, die Lernende in einem Blended Learning-Projekt an den Tag legen. Die semivirtuelle Vorlesung, wie wir diesen Veranstaltungstyp genannt haben, ist ein Prototyp des Blended Learning - ein Beispiel also, das alle wichtigen Merkmale des Blended Learning erfüllt, dabei aber nicht alle Möglichkeiten dieser Form des e-Learning ausschöpfen kann und will. Mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Erfahrungen und Ergebnisse aus der Pilotierung der semivirtuellen Vorlesung wollen wir zum einen zeigen, dass Blended Learning auch unter weniger günstigen Bedingungen innovative Entwicklungen in der Hochschullehre anstoßen kann; zum anderen wollen wir damit auch Mut machen für eigene Projekte, die neben "verordneten Innovationen von oben" keineswegs eine geringere Chance auf nachhaltige Innovationen haben - Gegenteil! Mit Hinweisen auf die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung werden auch Möglichkeiten deutlich, die das Blended Learning der Weiterbildung bietet. Leitlinien für Blended Learning in der Hochschul/ehre. Auch wenn z.B. die Managementliteratur in den letzten Jahren die sogenannten Best Practices etwa beim e-Learning preist, die zum Nachmachen motivieren sollen, können Beispiele immer nur Anregungscharakter haben - zum bloßen Kopieren taugen sie nicht. Auch wir empfehlen nicht, in beliebigen Kontexten eine semivirtuelle Vorlesung in genau der gleichen Form durchzuführen, wie wir dies getan haben. Von daher soll Kapitel IV zu den wichtigsten Phasen eines Blended Learning-Vorhabens Leitlinien liefern, die mit Hilfe des Beispiels aus Kapitel 111einerseits konkret genug sind, um eine Vorstellung von dem zu haben, was man in etwa tun sollte, die in Form von Checklisten und Empfehlungen andererseits auch ausreichend abstrakt sind, um sie unter verschiedenen Bedingungen anwenden zu können - mit Einschränkungen auch im Kontext der Weiterbildung. Diese Leitlinien haben heuristischen Charakter, geben Orientierung und einen Rahmen, laden aber auch zum Experimentieren ein. In diesem Sinne hoffen wir, dass die Leser dieses Buches den einen oder anderen Impuls für die eigene Arbeit erhalten! Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die vier Kapitel des Buches. 6 Überblicksgrafik Kapitel II: Blended Learning Kapitel I: Innovationen In der Hochschullehre 1. 2. 3. 4. 5. Der Innovationsbegriff Didaktische Innovationen Innovationen durch neue Medien in der Hochschullehre Innovationsbarrieren und wie man sie überwinden kann Fazit KapitelllI: Die semlvirtuelle Vorlesung - ein Prototyp des Blended Learnlng In der Hochschullehre 11. Entstehungsgeschichte u. GrundIdee der semlvirtuellen Vorlesung 12. Das didaktische Konzept .13. Die Evaluation: Erfahrungen und Ergebnisse 14. Weiterentwicklung: Blended Learning zur Nutzung verteilter Expertise 15. Fazit zum Buch 6. Der Begriff des Blended Learning 7. Der Begriff des e-Learning 8. Die Integrationskraft des Blended Learning 9. Das Innovationspotential von Blended Learning in der Hochschullehre 10. Fazit Kapitel IV: Leitlinien für Blended Learning in der Hochschullehre 16. 17. 18. 19. Projektmanagement Planung Konzeption und Gestaltung Durchführung und Qualitätsmanagement 20. Fazit Warten auf die Hochschule. Im einem kürzlich 1 erschienenen Buch, das erstmals im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung "Blended Learning" im Titel trägt, schreiben Sauter und Sauter (2002) im Vorwort: "Leider können wir nicht auf ... Lösungen aus dem Hochschulbereich warten. Der aktuelle Handlungsdruck wird dazu führen, dass die Innovationen im Lernbereich überwiegend aus der Praxis heraus entstehen" (S. VII). Richtig ist, dass weniger die Entwicklung, dafür aber die Implementation innovativer Lösungen insbesondere im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften mit einigen Hindernissen zu kämpfen hat, die zu einem guten Teil im "Wesen" der derzeitigen Hochschule liegen - wir werden uns in diesem Buch im ersten Teil ausführlicher mit dieser Problematik beschäftigen. Fraglich ist allerdings, ob Innovationen aus der Praxis, die in der Regel auf die kurzfristige Lösung akuter Probleme ausgerichtet sind, den nachhaltigen Effekt haben, den man sich gerade auf dem Bildungssektor zunehmend (und zu Recht) wünscht. Wir hoffen, mit dem vorliegenden Buch, eine Lücke schließen zu können - und zwar in einer Art, die das Wissen und die Erfahrungen aus der Hochschule auch für die Praxis mit ihrem Handlungsdruck wieder interessant machen. 1 Oktober 2002 7 Kapitel I. Innovationen in der Hochschullehre .Obwohl eine technisch-methodische Innovation die Gesellschaft rasant erfasst hat, wird sich Hochschule evolutionär wandeln. Die Integration der Neuen Medien in die Hochschulen stellt für diese ... einen Prüfstein ihrer Innovationsfähigkeit dar" (Beck, 2002, S. 129). Inhalt und Ziel von Kapitel I In diesem Buch geht es um neue Medien, um Hochschullehre und damit vor allem um die Hoffnung auf didaktische Innovationen durch e-Learning bzw. durch eine besondere Form von e-Learning, nämlich Blended Learning. Von daher soll im ersten Kapitel geklärt werden, was man unter einer Innovation überhaupt versteht, was Innovation in der Hochschullehre bedeuten kann und welche Rolle die neuen Medien für didaktische Innovationen in der Hochschule spielen. Wir werden uns dem Thema sozusagen trichterförmig nähern: Ausgehend von der Klärung des Innovationsbegriffs soll in diesem Kapitel das Augenmerk auf didaktische Innovationen gelenkt werden. Da es in diesem Buch um Blendend Learning in der Hochschullehre geht, stehen der Hochschulkontext und das Innovationspotential der neuen Medien im Vordergrund des Interesses. Bei der Behandlung dieser Punkte gelangt man zwangsläufig auch zu typischen Innovationsbarrieren, die sich hochschuldidaktischen Innovationen systematisch entgegen stellen. Dass diese nicht einfach auszuschalten sind, aber u.a. durch ein neu es Innovationsverständnis und einen evolutionären Ansatz des e-Learning zumindest abgeschwächt werden können, soll dieses Kapitel deutlich machen. Übersichtsgrafik zu Kapitel I 1. Der Innovationsbegriff --.. 1.1 Merkmale von Innovationen 1.2 Verschiedene Definitionsansätze 1.3 Entwicklung des Innovationsverständnisses 2. Didaktische ----... 2.1 Kennzeichen didaktischer Innovationen 2.2 Das Innovationspotential der neuen Medien 2.3 Der Begriff der Nachhaltigkeit ~ 3.1 Förderpolitik und Erwartungen 3.2 Die Effizienzfalle 3.3 Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften ---.. 4.1 Die sog. Innovationskiller 4.2 Innovationsbarrieren in der Hochschule 4.3 Überwindung von Innovationsbarrieren Innovationen 4. Innovationsbarrieren und wie man sie überwinden kann 9 Überleitung zu Kapitel Il 8 1. Der Innovationsbegriff Der Begriff der Innovation löst bei den meisten (sofern sie sich nicht professionell damit beschäftigen) Assoziationen von Neuerungen aus, die in irgendeiner Form etwas Bahnbrechendes, also deutlich erkennbar Neues, beinhalten. Falsch ist dieses Laienverständnis nicht, steckt doch das lateinische "novus" im Innovationsbegriff, was nichts anderes heißt als "neu". Und doch ist diese einfache Umschreibung von Innovation als etwas "Neuartiges" in mehrfacher Hinsicht verkürzt. Von daher ist es für Fragen der Innovation in der Hochschullehre wichtig, den Innovationsbegriff genauer unter die Lupe zu nehmen, um nicht denselben verkürzten Interpretationen anheim zu fallen, wie man sie (auch in der Hochschule) nach wie vor antrifft. 1.1 Merkmale von Innovationen Der gemeinsame Kern. Die Innovationsforschung - angesiedelt in den Wirtschaftswissenschaften - kann bislang keine allgemein anerkannte und verbindlich angewandte Definition von Innovation vorweisen; folglich gibt es unterschiedliche Begriffsbestimmungen. "Aus der Synthese 17 verschiedener Definitionen leitet Hauschildt (1997, S. 6) ab, dass "Innovationen [...] im Ergebnis qualitativ neuartige Produkte oder Verfahren [sind], die sich gegenüber dem vorangehenden Zustand merklich wie immer das zu bestimmen ist - unterscheiden. Die Neuartigkeit muß wahrgenommen werden, muß bewußt werden. [...] Das reine Hervorbringen der Idee genügt nicht, Verkauf oder Nutzung unterscheidet Innovation von Invention"" (von Rosenstiel & Wastian, 2001, S. 208). Der gemeinsame Kern verschiedener Definitionen von Innovation besteht also darin, dass eine neuartige Idee nicht ausreichend ist, um von einer Innovation sprechen zu können; sie muss auch umgesetzt bzw. zielgerichtet durchgesetzt werden und damit (sichtbar) etwas verändern. Zu den wichtigsten Wesensmerkmalen von Innovationen zählen neben der Umsetzung auch der subjektive Neuigkeitsgrad (aus der Sicht derer, die die neue Idee hervorgebracht und umgesetzt haben) und die prinzipielle Unsicherheit in Bezug auf Kosten, Ergebnis und Nützlichkeit. Innovationen sind in ihrem Weg und Ausgang nicht im Detail planbar, oder mit anderen Worten: "Im Gegensatz zu Routineprozessen zeichnen sich Innovationsprozesse durch Komplexität, Unsicherheit, Neuigkeitsgrad und Konfliktgehalt aus" (Schmid, 1999, S. 103). Normative und subjektive Aspekte der Innovation. Wann aber gilt eine neue Idee und deren Umsetzung als Innovation? Was sind die Kriterien, an hand derer der Erfolg einer Innovation bewertet werden kann? Wer beurteilt die Innovativität einer Lösung und wer entscheidet, was für wen eine Neuerung darstellt? Hier handelt es sich um Fragen, die normativen und subjektiven Charakter haben und von daher nicht allgemeingültig beantwortet werden können (vgl. Hauschildt, 1997). Was als innovativ gilt, wer dies bestimmt und woran dies bemessen wird, ist abhängig von der Domäne3 und den darin herrschenden Regeln, Routinen und Heuristiken, vom Umfeld4 einschließlich der Personen, die den Zugang zu einer Domäne überwachen sowie von den Menschen, die hinter den Innovationen stehen. Letzteres bedarf der besonderen Aufmerksamkeit, denn: "Psychologisch verstanden ist Innovation das kreative und 3 4 "Domäne" bedeutet so viel wie "Gegenstandsbereich", mitunter auch Disziplin oder Fachbereich. Gemeint ist vor allem der soziale Kontext. 9 potentiell erfolgreiche Ergebnis kompetenten Handeins von Menschen" (Baitsch, 1997, S. 59). Ähnlich wie das Phänomen der Kreativität, das als psychologische Voraussetzung hinter jeder Form von Innovation steht, lassen sich auch Innovationen sowie die Beurteilung und Anerkennung von Neuerungen als Innovationen nur in den Wechselbeziehungen eines Systems wahrnehmen, das sich aus der Domäne, dem sozialen Umfeld und dem Individuum zusammensetzt (Csikszentmihalyi, 1997). Nicht selten wird eine Neuerung erst Jahre nach ihrer "Erfindung" und ersten Umsetzung als Innovation verstanden; und was in unserem Kulturkreis als innovativ angenommen wird, kann anderswo der selektiven Wahrnehmung zum Opfer fallen und umgekehrt. Last but not least sind oft auch günstige Machtgefüge, zufällige Konstellationen und das rechte Marketing dafür verantwortlich, was wann und in welcher Intensität eine Innovation wird. 1.2 Verschiedene Definitionsansätze In der Vielzahl verschiedener Definitionsversuche des Begriffs "Innovation" (die zum Teil auch aus verschiedenen Fachrichtungen kommen) kann man zwei grundsätzliche definitorische Ansätze erkennen (Wingens, 1998), nämlich zum einen ergebnisorientierte und zum anderen prozessorientierte Definitionen: Während sich ergebnisorientierte Definitionen auf das Resultat eines Erneuerungsprozesses beziehen, konzentrieren sich prozessorientierte Definitionen auf den gesamten Vorgang der Entstehung einer Innovation. Ergebnisorientierte Definitionen. In Nicht-Fachkreisen ist sicher die ergebnisorientierte Betrachtung von Innovation besonders gebräuchlich: Geht man vom Ergebnis einer Innovation aus, kann man folgende Innovationsarten unterscheiden: (a) Produktinnovationen im Sinne von neuen technischen Problemlösungen, (b) Prozessinnovationen im Sinne von neuen Lösungen für Verfahrens- oder Arbeitsprozesse, (c) Strukturinnovationen im Sinne von neuen organisatorischen Problemlösungen und (d) Sozialinnovationen im Sinne von neuen sozialen Problemlösungen (z.B. Vahs & Trautwein, 2000). Wie später anhand der Frage von Innovationen in der Hochschullehre gezeigt werden kann (siehe Abschnitt 2.1), sind Zuordnungen nicht immer eindeutig möglich - oft reicht eine Innovation in mehrere der genannten Innovationsarten gleichzeitig hinein. Auch liegen die genannten Innovationsarten nicht auf der gleichen logischen Ebene - dennoch handelt es sich dabei um die gebräuchlichste Einteilung, weshalb sie auch in diesem Buch herangezogen wird. Prozessorientierte Definitionen. Nimmt man eine prozessorientierte Perspektive ein, interessiert weniger das Resultat als vielmehr der Ablauf einer Innovation: Nach Hauschildt (1997) beginnt die Innovation bereits beim Finden oder Konstruieren des Problems, für das eine Lösung gesucht wird; daran schließt sich die Ideengenerierung, die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung an; schließlich muss die Neuerung auch realisiert und in den Markt oder in die Organisation eingeführt werden. Das Ende des Innovationsprozesses wird in aktuellen Definitionen darin gesehen, dass die Neuerung in eine Routine überführt wird. Ebenfalls prozessorientiert ist die Unterscheidung zwischen Innovationen, bei der man für bestehende Technologien neue Nutzungsmöglichkeiten sucht, und Innovationen, bei denen man für bestimmte Zielsetzungen und Zwecke neue Technologien sucht - eine Unterscheidung, 10 die weiter unten bei der Auffassung von Innovationen von Bedeutung sein wird (siehe Abschnitt 3.3). Abbildung sammen. 1 fasst die wichtigsten Bestimmungsstücke in der Hochschullehre einer Innovationsdefinition noch zu- Innovation • Produktinnovationen • Prozessinnovationen Ergebnisorientierte Definition • Strukturinnovationen • Sozialinnovationen • Problemkonstruktion • Ideengenerierung • Meinungsbildung / Entscheidungsfindung • Realisierung / Einführung der Neuerung • Überführung in Routine Prozessorientierte Definition / Suche nach neuen Suche nach neuen Technologien für bestimmte Zielsetzungen/Zwecke Nutzungsmöglichkeiten für bestehende Technologien Abb. 1: Definitionen und Merkmale von Innovation 1.3 Entwicklung im Innovationsverständnis Traditionelles Innovationsverständnis. Das traditionelle Innovationsverständnis ähnelt dem eingangs skizzierten Laienverständnis von Innovation. Markantes Zeichen der Innovation nach einem eher "alten" Verständnis ist der kurzfristige und dramatische Effekt, dem individuelle Ideen und große Schritte von wenig auserwählten Spezialisten vorausgehen. Innovation hat in dieser Interpretation stets mit radikal-revolutionären Veränderungen zu tun (vgl. Bullinger, 1994). Die Erfindung der Eisenbahn und deren Etablierung als neu es Transportmittel kann in diesem Sinne ebenso als Innovation (nämlich als Produkt- oder technologische Innovation) gelten wie die Einführung des Fließbandes in der Automobilindustrie (Prozessinnovation) oder der gesetzlichen Krankenversicherung im Deutschen Reich (Sozialinnovation). Bei allen Beispielen handelt es sich sozusagen um "große Würfe", die niemandem entgehen konnten und geradezu umwälzende Veränderungen (im Verkehr, in der Industrie, in der Gesellschaft) zur Folge hatten. Zugleich handelt es sich um Innovationen, die den Geist des Abbruchs und Neuaufbaus tragen und von daher zu Recht als "revolutionär" bezeichnet werden können. Modernes Innovationsverständnis. Im derzeitigen Innovationsverständnis haben sog. inkremental5-evolutionäre Neuerungen neben den "großen Würfen" einen ebenbürtigen Platz. Im neueren Verständnis können die Effekte von Innovationen auch undramatisch und damit wenig auffällig sein. Neben großen Schritten können kleine Schritte das Tempo des Innovationsprozesses bestimmen. Vorherrschend ist heute die 5 .Inkremental" bedeutet so viel wie: in kleinen Schritten vorwärts gehend. 11 Auffassung, dass prinzipiell jeder zum Ideengeber für Innovationen werden kann (auch ohne Spezialist zu sein) und dass Gruppenarbeit und Teamgeist eher zum Erfolg führen als individuell-einsames Nachdenken und Ellenbogenmentalität. Zusätzlich zur Devise vom "Neuaufbau" umfasst ein modernes Innovationsverständnis auch den Erhalt und die Verbesserung des Bestehenden, sofern damit neue und nachhaltige Veränderungen6 in Gang gesetzt werden (vgl. Bullinger, 1994). Beispiele für Innovationen, die inkremental-evolutionären Charakter haben, gibt es viele - nur ist man sich derer (per definitionem) als Nutzer derselben oft nicht bewusst: Die Beispiele reichen von der kontinuierlichen Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Computerchips in den vergangenen Jahren (Produktinnovation) über den langjährigen Ausbau des Bildungssystems durch Ausdifferenzierung der Schularten (Sozialinnovation) bis zur Einführung neuer Führungsstile, die sich über längere Zeit auf Hierarchien und andere Strukturmerkmale von Organisationen auswirken können (Strukturinnovation). 2. Didaktische Innovationen Nachdem nun in groben Zügen geklärt ist, was man sich unter einer Innovation vorstellen kann, soll im Folgenden überlegt werden, wodurch sich didaktische Innovationen auszeichnen und welches Innovationspotential die neuen Medien haben, die in diesem Buch im Mittelpunkt stehen. 2.1 Kennzeichen didaktischer Innovationen Was sind didaktische Innovationen? Wenn man die aus den Wirtschaftswissenschaften stammenden definitorischen Merkmale des Innovationsbegriffs heranzieht, lassen sich didaktische Innovationen wie folgt beschreiben: Didaktische Innovationen sind Neuerungen der Organisation, der Inhalte undloder Methoden des Lehrens, die den vorangegangenen Zustand der Wissensvermittlung merklich verändern und als Konsequenz auch einen Wandel der intendierten Bildungs- und Lernprozesse7 bewirken. Um Lehr-Lernprozesse in diesem Sinne neu zu gestalten, braucht man neue Lehr-Lerninhalte, neue Lehr-Lernmethoden undloder neue Rahmenbedingungen für die Organisation von Lehre und Unterricht, wobei diese drei Punkte keineswegs unabhängig voneinander sind. Somit können z.B. curriculare Reformen zu didaktischen Innovationen werden, wenn sie die oben genannten Bedingungen erfüllen; man könnte hier genauer von curricularen Innovationen sprechen. Auch Änderungen in der Schul- oder Hochschulorganisation - z.B. die Einführung von Ganztagsschulen oder virtuellen Studiengängen für Teilzeitstudierende - können didaktische Innovationen anstoßen, weil sie die Rahmenbedingungen für Lehr-Lernprozesse verändern; präziser könnte man das auch als organisatorische Innovationen im Lehrbereich bezeichnen. Am unmittelbarsten aber wirken die Entwicklung und Einführung neuer Lehr-Lernmethoden auf Innovationen im Bereich der Bildung: Beispiele hierfür sind etwa handlungsorientierte, problemorientierte oder fallbasierte Ansätze der Wissensvermittlung oder spezielle Verfahren wie die Leittextmethode oder kooperative Instruktionsmaßnahmen (um hier nur zwei Möglichkeiten zu nennen). Im Rahmen Zum Begriff der Nachhaltigkeit siehe Abschnitt 2.3. Auf den Begriff der Bildung wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, weil die Aufmerksamkeit vorrangig auf die Optimierung des Lehrens und Lernens gerichtet ist. 6 7 12 derartiger instruktionaler Innovationen kann der Einsatz von Medien eine Rolle spielen - er muss es aber nicht; wir werden darauf noch ausführlicher zurück kommen. Zuordnung didaktischer Innovationen zu verschiedenen Innovationsarten. Vom Ergebnis her handelt es sich bei einer didaktischen Innovation auf den ersten Blick um eine Sozialinnovation, sofern man mit der didaktischen Neuerung ein bestimmtes Bildungs- oder Lehr-Lernproblem löst, das man im weitesten Sinne unter die Rubrik des Sozialen subsumieren kann. Bei genauerem Hinsehen aber lassen sich didaktische Innovationen potentiell auch anderen Innovationsarten zuordnen: Eine Art Prozessinnovation liegt z.B. in dem Sinne vor, dass didaktische Neuerungen (im Idealfall) nicht nur Lehrprozesse, sondern auch Strategien des Lernens (und damit Prozesse der Konstruktion neuen Wissens) erheblich beeinflussen. Zudem kann die Implementation didaktischer Neuerungen Lehr-Lernsituationen in ihrer Struktur verändern (z.B. die Aufgabe eines bestimmten Zeittakts durch projektorientierte Methoden) und sogar strukturelle Veränderungen ganzer Bildungsinstitutionen im Sinne der Organisationsentwicklung hervorbringen; in diesem Fall kann man auch von einer Strukturinnovation sprechen. Basiert eine didaktische Innovation vorrangig auf neuen Entwicklungen etwa im Bereich der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, ist selbst eine Zuordnung zur Produktinnovation nicht ausgeschlossen. Die Rolle der neue Medien. Angesichts des Themas dieses Buches interessiert an dieser Stelle vor allem das didaktische Innovationspotential der neuen Medien. Didaktische Innovationen infolge von Medieneinsatz sind - wie im Folgenden noch deutlich werden wird - meist instruktionale oder organisatorische und weniger curriculare Innovationen, auch wenn diese durchaus Einfluss auf die Auswahl und Zusammenstellung von Lehr-Lerninhalten haben können. Die Frage nach dem didaktischen Potential von Medien ist keineswegs neu, wie man vielleicht im Zuge der aktuellen Diskussion über das e-Learning und seine Auswirkungen auf das Lehren und Lernen meinen könnte8: Die in einem bestimmten historischen Kontext jeweils "neuen" Medien wurden (in regelmäßigen Abständen) zum Anlass für didaktische Innovationen herangezogen oder als solche gleich zu Innovationen erklärt. Angefangen von einfachen Bildern und Illustrationen zu Zeiten von Comenius über Sprachlabore und die audiovisuelle Welle mit Schulfernsehen und Telekolleg bis zu Computern und Computernetzen gehören die Medien seit ihrer Entstehungsgeschichte zum Repertoire didaktischer Neuerungen. Spätestens seit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats im Jahre 1998 zum Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre sind Multimedia und Internet zum zentralen Ausgangspunkt für didaktische Innovationen geworden - ob dies gerechtfertigt ist oder nicht, ist eine andere Frage. Um diese beantworten zu können, muss man das Innovationspotential der neuen Medien in der Hochschullehre etwas genauer analysieren. Der Begriff .e-Learning" wird synonym zu .Lernen mit neuen Medien" verstanden und in Kapitel 11 ausführlich behandelt. 8 13 2.2 Das Innovations potential der neuen Medien Garantieren neue Medien didaktische Innovationen? Stellvertretend für eine Vielzahl von Autoren stellen Schlageter und Feldmann (2002) ein hohes Innovationspotential der neuen Medien für die Hochschullehre fest: "Es bedarf keiner Erläuterung, dass Konzepte des E-Learning auch an Präsenzuniversitäten zu einer ganz erheblichen Steigerung der Qualität der Lehre führen können" (S. 355). Wichtig in solchen Aussagen ist das Wort können, denn allein die Verfügbarkeit oder der Einsatz von Multimedia und Internet bringt noch keine didaktische Innovation hervor. Die neuen Medien können die Darstellung und die Vermittlung von Wissen verbessern, sie können neue Formen des Lernens anregen, anleiten und begleiten, und sie können auch die Organisation des Lernens erheblich verändern, sofern sie zusammen mit entsprechenden didaktischen Konzepten und instruktionalen Methoden eingesetzt werden (vgl. z.B. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a). Neue Medien haben von daher vor allem das Potential für didaktische Innovationen im Bereich der Instruktion und Organisation von Lernprozessen. Hier besteht sogar die Chance für einen Paradigmenwechsel in der Auffassung von Lernen und Lehren9, wie er in der Lehr-Lernforschung längst vollzogen wurde, in der Praxis aber auf sich warten lässt (Stiehl, 2001). Hypermediale Darstellung von Lehr-Lerninhalten mit neuen Medien. Die neuen Medien haben das Potential, Lehr-Lerninhalte multimedial, verlinkt und interaktiv darzustellen und damit verschiedene Formen der Wissensaneignung nahe zu legen, die sich vom Lernen mit linearen Texten erheblich unterscheiden. Die Integration von Text, Bild, Audio und Video über den Computer kann den Grad der Anschaulichkeit erhöhen, motivierend wirken und Behaltenseffekte erhöhen; hypertextuelle Präsentationen können den Aufbau mentaler Modelle und kreatives Weiterdenken unterstützen; und interaktive Elemente, die eine Exploration und Simulation medial präsentierter Phänomene möglich machen, können Verstehen und einen flexiblen Wissenserwerb fördern. Obschon sich allgemein gültige Vorteile hypermedialer Wissensrepräsentation empirisch nicht nachweisen lassen, finden sich doch eine ganze Reihe von Vorzügen, die sich unter bestimmten Bedingungen zeigen und damit didaktisches Innovationspotential mit sich bringen (vgl. Issing & Klimsa, 2002). Selbstgesteuertes Lernen mit neuen Medien. Ein zentraler Vorzug etwa von Lernsoftware in CD-ROM-Format wie auch von netzbasierten Bildungsangeboten - angefangen von iernrelevanten Informationen im Internet über sog. WBTs (Web Based Trainings) bis zu Online-Kursen - besteht darin, das Lernende darauf eigenständig zurückgreifen, sich damit ohne Lehrende neues Wissen aneignen und entsprechend selbstgesteuert lernen können (z.B. Friedrich & Mandl, 1997). Selbstgesteuertes Lernen mit neuen Medien eröffnet neue Möglichkeiten der Verteilung von Lehr-Lernprozessen zwischen der direkten Interaktion im Lehr-Lerngeschehen und Phasen des eigenständigen Lernens an anderen (beliebigen) Orten. Darüber hinaus ist selbstgesteuertes Lernen die Voraussetzung dafür, sich auch außerhalb von Bildungsinstitutionen weiterzubilden und über informelles Lernen das eigene Wissen zu erweitern. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die neuen Medien auch in der Debatte um das lebensbegleitende und informelle Lernen eine gewichtige Rolle spieGemeint ist vor allem ein Wandel der Auffassung vom Lernen als Informationsverarbeitung mit mechanistischen Zügen hin zu einer Auffassung vom Lernen als sozialer und individueller Prozess der Wissenskonstruktion; siehe hierzu Abschnitt 8.2 in Kapitel 11. 9 14 len (Dohmen, 2001) und als Impulsgeber Gestaltung von Lernprozessen gelten. für Innovationen in der Organisation und Kooperatives Lernen mit neuen Medien. Standen vor einigen Jahren noch die Effekte von Multimedia auf Prozesse und Ergebnisse des Lernens im Vordergrund des Interesses von Forschung und Praxis, blickt man heute allem voran auf die neuen Kommunikationsund Kooperationswege, die die Vernetzung von Computern und Computernetzen eröffnet haben: E-Mail, Chat, Diskussionsforen und Video-Conferencing sind Komponenten des technischen Repertoires, das sich zunehmend auch in Lehr-Lernkontexten durchsetzt, wenn es darum geht, die neuen Medien für Bildungszwecke zu nutzen. Kooperatives Lernen mit neuen Medien kann angeleitet oder selbstorganisiert erfolgen - in jedem Fall aber zeigt sich inzwischen, wie wichtig eine (fremd- oder selbstbestimmte) Koordination und Moderation kooperativer Lernprozesse in virtuellen Gruppen ist. Auch beim kooperativen Lernen sind die neuen Medien eine große Chance für positive Veränderungen, aber kein Garant für Lernerfolg: Neben einigen gravierenden (sozialen) Problemen etwa im gegenseitigen Wissensaustausch sind auch die Ergebnisse der virtuellen Kooperation umstritten (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002). Da viele dieser Schwierigkeiten aber zu bewältigen sind, lassen sich die neuen Formen der orts- und zeitunabhängigen medienbasierten Kommunikation und Kooperation als Innovationschancen betrachten; zumindest verschaffen sie der didaktischen Kreativität ein hohes und neues Maß an Freiräumen. Abbildung men. 2 fasst das didaktische Neue Medien Hypermediale Darstellung von Lehr-Lerninhalten •••. Potential der neuen Medien noch einmal zusam- • Höhere Anschaulichkeit, Motivation, Behaltenseffekte durch Integration verschiedener Symbolsysteme • Verseh. Formen der Wissensaneignung • Aufbau mentaler Modelle • Mehr Verstehen u. flexibler Wissenserwerb • Ort- und zeitunabhängiger Selbstgesteuertes Lernen Kooperatives Lernen Abb. 2: Das didaktische Zugriff auf Inhalte, Kurse, CBTs etc. • Neue Möglichkeit der Verteilung von Lehrprozessen (face-to-face(online(offline) • Voraussetzung für informelles und lebensbegleitendes Lernen • Neue Kommunikationsund Kooperationsformen; neue Formen sozialen Lernens • Hohe Effektivität bei guter Selbstorganisation oder unter Anleitung/Moderation • Großer Spielraum für didaktische Kreativität Potential der neuen Medien 15 2.3 Der Begriff der Nachhaltigkeit Der Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs. Immer häufiger wird im Zusammenhang mit dem Einsatz neuer Medien in der Hochschule der Begriff der Nachhaltigkeit herangezogen. Angesichts der Tatsache, dass das heute geforderte Innovationsverständnis nicht mit der einmaligen Nutzung einer Neuerung endet, sondern die Überführung neuartiger Produkte, Strukturen oder Prozesse in eine Art Routine einfordert, kommt der sog. Nachhaltigkeit in der Tat eine hohe Bedeutung zu. Doch was steckt hinter diesem Begriff und woher stammt er eigentlich? Kruppa, Mandl und Hense (2002) haben die Forstwirtschaft als den Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs ausgemacht: Bereits im 18. Jahrhundert war von Nachhaltigkeit die Rede, die eine Waldwirtschaft bezeichnete, bei der nur so viel Holz geschlagen wird als nachwächst. In der Energiekrise Anfang der 1970er Jahre wurde dieser Begriff wieder aufgegriffen und auf die natürlichen Ressourcen der Umwelt insgesamt ausgeweitet. Nachhaltige Entwicklung. Bekannt wurde der Nachhaltigkeitsbegriff vor allem durch das Schlagwort der "nachhaltigen Entwicklung", das Ende der 1980er Jahre mit dem sog. Brundtland-Report in die politische Diskussion eingeführt wurde. "Grundaussage des Begriffs 'nachhaltige Entwicklung' ist es, eine soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung zu schaffen, die weltweit die Bedürfnisse der gegenwärtigen Gesellschaft befriedigt, ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu gefährden" (Kruppa et al., 2002, S. 5). Naheliegend ist es, dass der Nachhaltigkeitsbegriff nach der geschilderten Entwicklung zunächst im Rahmen der Umweltbildung Eingang in pädagogische Diskussionen fand. Im Kontext Schule wurde der Begriff in den 1990er Jahren aufgegriffen und dazu verwendet, den Grad einer gelungenen Umsetzung oder Einführung z.B. neuer Lehr-Lernmodelle in den Unterricht zu beschreiben. Angesichts der oben genannten Merkmale von Innovation (siehe Abschnitt 1.1) ist Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung geradezu ein (abschließendes) Charakteristikum einer didaktischen Innovation: Erst wenn eine Neuerung konkret umgesetzt wirdlO, wenn sie die Praxis der (Hochschul-)Lehre dadurch verändert und eine nachhaltige Entwicklung anstößt, kann man diese als Innovation bezeichnen. Nachhaltige Veränderungen durch neue Medien in der Hochschule. Nachhaltige Veränderungen durch neue Medien können in zwei Formen in Erscheinung treten: Am wichtigsten - und derzeit im Rahmen der Hochschule auch am meisten gefordert ist die Implementation didaktischer Innovationen durch neue Medien in den regulären Hochschulbetrieb. Das bedeutet: Aus Pilotprojekten müssen reguläre Prozesse oder Strukturen werden, und an die Stelle von Pionieren in Form von Einzelkämpfern muss eine kritische Masse an Lehrenden (und Lernenden) treten, die die neuen Medien in den "Echtbetrieb" überführen und in den Hochschulalltag integrieren (MüllerBöling, 2001). Eine zweite Form von nachhaltiger Veränderung durch neue Medien besteht darin, dass sich die Organisation Hochschule als Ganzes weiterentwickelt, indem didaktische Innovationen auch in strategische Entwicklungspläne Eingang finden. In diesem Zusammenhang fordert Kerres (2001 a, b) ein gezieltes Management von Innovationen an den Hochschulen: Ein solches Innovationsmanagement 10 In diesem Zusammenhang gebraucht man auch den Begriff der Implementation (vgl. ReinmannRothmeier & Mandl, 1998), der in den vergangenen Jahren häufig mit dem Merkmal "nachhaltig" in Verbindung gebracht wird. 16 müsste dafür sorgen, dass mediengestützte Information und Kommunikation in Forschung und Lehre richtig gehend verankert werden und die Kernaufgaben der Hochschule unterstützen. Beide Strategien zur nachhaltigen Veränderung durch neue Medien - die "Bottom-up"-Initiative durch Medieneinsatz in der Lehre und das "Topdown"-Innovationsmanagement durch die Hochschule - erfüllen komplementäre Funktionen und sollten im Idealfall parallel eingesetzt werden. Anders als Kerres plädieren wir als sofortigen Schritt den ersten (den bottom-up-)Weg, um Hochschullehrer nicht zum Abwarten zu verdammen - ohne dabei allerdings die Bedeutung des zweiten Wegs zu verkennen. 3. Innovationen durch neue Medien in der Hochschullehre Wenn die neuen Medien das Potential haben, didaktische Innovationen anzuregen oder hervorzubringen und wenn es sogar die Forderung und damit auch Erwartung gibt, dass neue Medien nachhaltige Entwicklungen in der Hochschule in Gang setzen, stellt sich die Frage, wie dies im Einzelnen aussehen und vor sich gehen soll. Was kostet ein solcher Innovationsschub und wie stellt man sicher, dass dieser auch eintritt? Lassen sich die zum Teil hohen Erwartungen an das Innovationspotential der neuen Medien überhaupt erfüllen? Und wie sieht es speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus, die in diesem Buch besonders akzentuiert werden? 3.1 Förderpolitik und Erwartungen Maßnahmen zur Förderung neuer Medien in der Hochschul/ehre. Bereits seit 1996 gibt eine ganze Reihe von hochschul politischen Empfehlungen zur Reform der Hochschullehre unter Nutzung der neuen Medien. Besonders einflussreich waren die Empfehlungen des Wissenschaftsrats im Jahr 1998, in denen neben technischen Neuerungen auch pädagogische Zielsetzungen angemahnt wurden (vgl. Schulmeister, 2001). Seit 2001 unterstützt das Bundesbildungsministerium (BMBF) über das Förderprogramm "Neue Medien in der Bildung" gut 100 Verbundprojekte (und damit mehrere hundert Einzelprojekte) mit jährlich 60 Millionen Euro. Bereits in den Jahren davor haben die Bundesländer Sonderprogramme aufgelegt, und die Europäische Union investiert ebenfalls in neue Möglichkeiten des e-Learning in der Hochschule. "Das Geld geht überwiegend an Projekte, die Lernsoftware und multimediale Lernumgebungen als Ergänzung oder Ersatz für Vorlesungen, Übungen und Praktika entwickeln. Wenn Online-Studiengänge entstehen, dann vornehmlich als Weiterbildungs- oder Aufbaustudium" (Schneller, 2002, S. 180). Die ungewisse Zukunft von innovativen Medienprojekten. Das Problem der aktuellen Förderung besteht darin, dass viele Programme 2003 auslaufen. Der Bund hat für die Anschubfinanzierung in Sachen e-Learning gesorgt und Hochschulen und Länder haben zugesagt, geförderte Projekte dann im Dauerbetrieb fortzuführen - doch wie dies gelingen soll, darüber ist man von Seiten der Politik, der Länder und der Hochschulen sehr unterschiedlicher Meinung. Insbesondere die Hochschulen haben aufgrund ihrer angespannten Finanzlagen die begründete Sorge, dass mit dem Auslaufen von Förderprogrammen die investierten Mittel nicht die angestrebte nachhaltige Wirkung haben (Schneller, 2002). Die Förderung von Medienprojekten erfolgt in den meisten Fällen auf Antrag und ist damit auch von vornherein zeitlich befristet. Dies ist nicht nur die Ursache für fehlende finanzielle Mittel zur Überführung von 17 Projekten in den Hochschulalltag. Mitunter ist das Förder- und Forschungsinteresse mit dem Auslaufen von Projekten schlichtweg befriedigt - auch ohne nachhaltige Implementation in den Lehrbetrieb (Müller-Böling, 2001). Entwicklung von Erwartungen. Immer häufiger trifft man auf die skeptische Frage, ob man das e-Learning im Allgemeinen und das Innovationspotential der neuen Medien für die Hochschullehre im Besonderen mit zu vielen und zu hohen Erwartungen überfrachtet hat. Die Frage ist berechtigt: Nach einer Analyse zentraler bildungspolitischer Stellungnahmen zu e-Learning in der Hochschullehre in den letzten 5 Jahren stellt Christine Schwarz (2002) folgende Entwicklungen fest: Waren 1998 die Erwartungen groß, mittels Multimedia und Internet die Qualität der Hochschullehre zu verbessern, so zeigt sich heute (im Jahre 2002) eine gemäßigtere, vor allem differenziertere Erwartungshaltung: Zwar erhofft man sich nach wie vor eine Qualitätssteigerung, allerdings nicht allein durch Technikeinsatz, sondern durch neue Lehr-Lernmethoden. Deutlich ist inzwischen: Qualitätssteigerung mit neuen Medien hat seinen Preis nicht nur rein finanziell (siehe Abschnitt 3.2), sondern auch in Bezug auf die Anforderungen an Lehrende und Lernende. Der Einsatz und die Nutzung der neuen Medien in der Hochschullehre erfordert Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden, die nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können (siehe Abschnitt 4.2). Zurück auf dem Boden der didaktischen Realität. Abschied genommen hat man von der Vorstellung einer Virtualisierung der Präsenzhochschulen in größerem Umfang: Statt dessen werden zunehmend Hybridformen gefordert, bei denen das Lernen mit neuen Medien in traditionelle Lehr-Lernarrangements integriert werden - man kann auch sagen: Man setzt auf "Blended Learning", wie wir es noch ausführlicher beschreiben werden (siehe Kapitel 11). Langsam, aber sicher macht sich die Erkenntnis breit, dass sich nicht jeder Inhalt für eine Virtualisierung der Hochschullehre eignet, dass es Unterschiede im e-Learning je nach Fach und Zielgruppe geben muss, und dass man nicht alle Lehr-Lernziele mit neuen Medien besser erreicht als ohne sie; kurz: Das Heil der Hochschullehre liegt nicht darin, dass alle Lehr-Lerninhalte weltweit und zu jeder Zeit elektronisch zum selbstorganisierten Lernen abrufbar sind. Auch die Erwartung, Hochschulen könnten die e-Learning-Produktion völlig allein bewerkstelligen, wird in dieser Form kaum mehr aufrechterhalten. Autoren wie Michael Kerres (2001 a) weisen eindrücklich darauf hin, wie wichtig eine intelligente Arbeitsteilung bei der digitalen Medienproduktion an der Hochschule ist: Sachexpertise, fachdidaktische Expertise und mediendidaktische Expertise finden sich selten in einer Person, bisweilen nicht einmal an einem Ort - eine koordinierte arbeitsteilige Zusammenarbeit wird zur Voraussetzung für gute "Bildungsprodukte". 3.2 Die Effizienzfalle Hohe Anschub- und Dauerkosten. Von den vielen Erwartungen wurden die an Effizienzsteigerungen 11 durch den Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre am schnellsten und am einschneidendsten zurückgenommen: Bereits im Jahre 2000 stellte die BLK fest, dass e-Learning an der Hochschule ohne zusätzliche Finanzmittel nicht zu machen sei. Anschubfinanzierungen wurden (und werden) unterschätzt; 11 Effizienz liegt dann vor, wenn man optimale Ergebnisse mit möglichst niedrigem Aufwand (z.S. an Kosten, Zeit und Personal) erreicht; im Gegensatz zur Effektivität, bei der .nur" das Ergebnis bzw. die Wirkung zählt, werden bei der Effizienz die investierten Ressourcen mitbedachl. 18 vor allem aber wird die Notwendigkeit der Dauerfinanzierung und der Entwicklung entsprechender Konzepte nach wie vor zu wenig beachtet: "Woran es mangelt, damit die Gelder auch langfristig wirken, sind Konzepte für eine effektive Nutzung der elektronischen Medien" (Schneller, 2002, S. 180). Wo Kosteneinsparungen in der Hochschullehre die investierten Mittel aus ökonomischer Sicht rechfertigen können, ist niemandem so recht klar: "In welchem Maße durch die Nutzung von Multimedia und Internet im traditionellen Hochschulbereich tatsächlich erhebliche Kosteneinsparungen möglich sind, ist derzeit noch nicht nachgewiesen, da die Betreuung der Studierenden auch im Netz kein zu unterschätzender Kostenfaktor ist" (Schlageter & Feldmann, 2002, S. 356). Doch nicht nur die Betreuungskosten sind unklar; auch die Zahlen, mit denen die Entwicklungskosten von Multimedia-Produkten, Plattformen und die Gestaltung virtueller Umgebungen beziffert werden, sind unsichere Schätzungen. Ähnlich geht es im Übrigen auch der Wirtschaft: Neue Befragungsergebnisse zeigen deutlich, dass in Unternehmen die Hoffnung auf Kostenreduktion und Effizienzsteigerung durch e-Learning bis dato kaum erfüllt werden kann und die "virtuelle Zukunft" zwar nicht schwarz aber verhaltener gesehen wird als noch vor ein paar Jahren (Rieckhof, 2002). Enttäuschende Kosten-Nutzen-Verhältnisse. Neue Kosten-Nutzen-Vergleiche in Bezug auf neue Medien in der Hochschullehre lassen die (Hochschul- )Politik, Hochschulleitungen und diejenigen hochschrecken, die (materiell und immateriell) in Medienprojekte an der Hochschule investieren. Dazu ein illustrierendes Beispiel: "Der Aufwand für die Entwicklung jedes 4 SWS-Moduls im Studiengang Medieninformatik des BMBF-Leitprojekts Virtuelle Fachhochschule wurde mit 160.000 € beziffert - für diesen Betrag kann ein Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen eine Veranstaltung dieses Umfangs 100 Semester lang durchführen" (Risse & Wilkens, 2002, S. 3). Dazu kommt, dass aufwändige Entwicklungsarbeiten im Bereich der neuen Medien an den Hochschulen häufig durch unterdurchschnittlich bezahlte Angestellte, zum Teil sogar unentgeltlich durch Studierende erfolgen; versteckte Kosten dieser Art potenzieren den Aufwand noch einmal erheblich (Schwarz, 2002). Und der Nutzen? Eine Hoffnung geht dahin, einmal entwickelte Multimedia-Produkte vielfach (z.B. auf Lizenzbasis) (wieder-)verwenden oder auch international vermarkten zu können, was sich bislang allerdings nicht im erwarteten Ausmaß realisieren ließ 12. Eine weitere Erwartung ist, dass insbesondere netzbasierte Veranstaltungen für eine Entlastung der Lehrenden sorgen und Spielraum für anspruchsvolle, hoch-interaktive Seminare in der Präsenzlehre schaffen (Beck, 2001). Die bisherigen Erfahrungen aber zeigen, dass virtuelle Lehre - sofern sie gut gemacht ist - keineswegs eine Arbeitsentlastung bedeutet: Zwar kann die Effektivität des Lernens steigen; dies aber setzt auch einen entsprechend hohen Aufwand seitens der Lehrenden (und der Lernenden) voraus (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 b). Wie bereits im Vorwort angekündigt wurde, sprechen wir mit diesem Buch nicht ausschließlich, aber vorrangig Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften an, sodass es Sinn macht, die Situation in diesen Disziplinen (in aller Kürze) etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. 12 Hierfür gibt es natürlich Gründe, die aber an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden können. 19 3.3 Die Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften Mangelnde technische Ausstattung und ihre Folgen. Eine relativ aktuelle Skizze zur Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften in puncto neue Medien in der Hochschullehre von Stiehl (2001) zeigt, dass diese im Vergleich zu technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen insgesamt betrachtet schlechter ausgestattet sind13. Dies trifft vor allem auf die technische Ausstattung zu, was verschiedene (meist miteinander verwobene) Ursachen hat: z.B. weniger Fördergelder, weniger Drittmittel, weniger Wirtschaftskontakte etc. In der Folge hat die Mehrheit der Lehrenden in den Geistes- und Sozialwissenschaften wenig oder keine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den neuen Medien in der Hochschullehre; entsprechend mangelt es an Fähigkeiten (aber auch an Mut) zur Beteiligung an didaktischen Innovationen durch neue Medien. Besonderheiten in fachbezogenen Strukturen. Ein Großteil der Veranstaltungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften (die zu 80 % in Form von Vorlesungen und Seminaren erfolgen) ist textorientiert und textgestützt; der unmittelbare Bedarf an Veranschaulichungen etwa durch den Einsatz von Multimedia ist von daher eher gering - jedenfalls für die meisten nicht hoch genug, um multimediale Entwicklungen anzustreben. Hier liegt eine Art strukturelles (bzw. disziplin- und fachimmanentes) Problem vor, das an dieser Stelle weniger in der Organisation Hochschule liegt als vielmehr mit den Inhalten der Disziplinen und deren Vermittlungstradition zu tun hat. Wegen der strukturellen Technik-Ferne sind die mentalen und emotionalen Vorbehalte gegenüber den neuen Medien in der Hochschullehre tendenziell größer als in anderen Disziplinen (Stiehl, 2001). Der Hang zur eigenen Nachrangigkeif. Ein besonderes Merkmal in den Geistes- und Sozialwissenschaften besteht in einer einseitigen Interpretation von didaktischer Innovation: Im Vordergrund steht eine Auffassung von Innovation mit neuen Medien, bei der von bereits vorhandene Technologien ausgegangen wird, um darauf aufbauend nach neuen Anwendungen zu suchen. Mit andere Worten: Immer dann, wenn "neue" Medien auf den Markt kommen, setzt die Suche nach didaktischen Potentialen ein, die das neue Medium auch für den Kontext der Lehre interessant machen. In der Tat ist dies auch eine Form von Innovationsprozessen (vgl. Abschnitt 1.2). Die andere Form, nämlich für bestimmte Zielsetzungen und Zwecke neue Mittel bzw. Technologien zu suchen, mit denen man die angestrebten Ziele besser, einfacher oder schneller erreicht als mit dem bisherige Repertoire, ist in den Geistes- und Sozialwissenschaften (und paradoxerweise vor allem in pädagogischen Disziplinen und Fächern) weniger bekannt: Dies würde nämlich bedeuten, dass Pädagogen, Didaktiker und andere Lehr-Lernexperten (aber auch "normale" Lehrende als Experten für die Lehrpraxis) ihre Ziele für die Verbesserung von Lehr-Lernprozessen formulieren und damit gestaltend in die Produktion neuer Medien eingreifen - was bis dato kaum geschieht. Die pädagogisch-didaktische Expertise bleibt bislang vor allem nachrangig. 13 Eine Ausnahme sind hier in vielen Fällen die Wirtschaftswissenschaften. 20 4. Innovationsbarrieren und wie man sie überwinden kann Welche Hindernisse sich einer idealtypischen Vorstellung von "echter" didaktischer Innovation an den Hochschulen (einschließlich einer nachhaltigen Entwicklung) in den Weg stellen, ist an einigen Stellen dieses Kapitels bereits angeklungen. Innovationsbarrieren gibt es keineswegs nur in der Hochschule; auch in Unternehmen kennt man sog. Innovationskiller. Die Kenntnis genereller und hochschulspezifischer Hindernisse ist wichtig, denn nur so lassen sich Wege finden, diese zu bewältigen oder zumindest derart zu reduzieren, dass didaktische Innovationen durch neue Medien nicht chronisch stecken bleiben. 4.1 Die sog. Innovationskiller In der Innovationsforschung hat man einige typische Hindernisse für Innovationsprozesse ausfindig gemacht, die in wirtschaftlichen Kontexten eine oft unterschätzte Rolle spielen und von v. Rosenstiel und Wastian (2001) als "Innovationskiller" bezeichnet werden. Diese lassen sich zwar nicht eins-zu-eins auf die Hochschule übertragen; ihre Kenntnis aber kann für hochschultypische Innovationsbarrieren sensibilisieren, die auch beim Einsatz der neuen Medien zu beachten sind. Hindernisse in Prozessen und Strukturen. Hauschildt (1997) führt mehrere Innovationshindernisse an, die im Innovationsprozess selbst liegen: z.B. die Beteiligung zu vieler Personen am Innovationsprozess, was zur Folge haben kann, dass Konformitätsdruck aufgebaut wird, Informationen unzureichend verarbeitet oder Probleme und Lösungen zu vage definiert und kommuniziert werden. Zu Beginn von Innovationsprozessen erweist sich eine zu ausgeprägte Zielklarheit (insbesondere eine Starrheit in der Zielsetzung) als hinderlich, weil sie die kreative Ideengenerierung blockieren kann. In hohem Maße dysfunktional sind fehlende (finanzielle und/oder personelle) Ressourcen im Innovationsprozess sowie zu hoher Zeitdruck. Auch ein Mangel an Information oder ein unzureichender Informationsfluss kann Innovationsprozesse aufhalten. Weitere Phänomene, die sowohl die kreative Ideengenerierung als auch die Implementation von Neuerungen behindern können, sind struktureller Art: bürokratisch geregelte Abläufe, formale Kommunikation und eine starr festgelegte Entscheidungsmacht sowie eingeschränkte Autonomie der Beteiligten, restriktive Kontrolle und ein kontrollierender Führungsstil (von Rosenstiel & Wastian, 2001). Psychologische und kulturelle Hindernisse. Was Menschen, die am Innovationsprozess beteiligt sind, wollen und wünschen, was sie fühlen und wie sie denken, hat großen Einfluss auf alle Phasen des Innovationsprozesses, denn: Ohne den Menschen und ohne individuelle Kompetenz gibt es keine Innovation (z.B. Staudt & Kley, 2001). Umgekehrt aber gilt auch, dass etwa mangelnde Motivation, negative Gefühle und unflexibles Denken erhebliche Störgrößen darstellen. Dazu kommt, dass Bereitschaften, Gefühle und Denkstile von organisationalen Bedingungen verstärkt oder erst hervorgerufen werden können (von Rosenstiel & Wastian, 2001): So vergrößern sich z.B. Versagensängste von Individuen durch eine leistungsorientierte Organisationspolitik; individuelle Wahrnehmungsbarrieren werden gestärkt durch starre Routinen, und eindimensionales Denken erfährt geradezu Bestätigung, wenn eine Art tay- 14 te 21 loristische14 Arbeitsteilung praktiziert wird. Neben Schwierigkeiten dieser Art, die im einzelnen Individuum liegen, sind es Kommunikationsdefizite und ausgeprägte (vor allem nicht ausgetragene) Konflikte, die zu Innovationshindernissen werden können. Eng verbunden mit psychologischen Aspekten ist die Kultur einer Organisation, die ebenfalls eine Rolle für den Innovationsprozess spielt: Hierzu gehört etwa der Grad der Offenheit im sozialen Umfeld, das Menschenbild und die Auffassung von der Umwelt (als gestaltbar oder nicht) sowie der Stellenwert des Lernens und sozialer Netzwerke in der Organisation (vgl. Hauschildt, 1997). Insgesamt gilt, dass starre Normen und Wertvorstellungen, mangelnde Flexibilität, fest verwurzelte Überzeugungen und Geringschätzung von Lern- und Kommunikationsprozessen kulturelle Hindernisse darstellen. 4.2 Innovationsbarrieren in der Hochschule Finanz- und Persona/notstand. Mangelnde Ressourcen sind nach Überzeugung vieler Autoren eines der größten Innovationsbarrieren in der Hochschullehre - vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften (vgl. Abschnitt 3.3). Allem voran fehlen die Finanzmittel, um die Nachhaltigkeit didaktischer Innovationen durch neue Medien zu sichern. Anschubfinanzierungen allein lösen - das hat man inzwischen erkannt keine positiven Kettenreaktionen aus. Nachhaltigkeit muss vielmehr im Sinne eines Innovationsmanagements geplant und eigens gefördert werden; d.h.: "Auch im Dauerbetrieb gibt es die Verbesserung der Lehre nicht zum Nulltarif' (Schneller, 2002, S. 180). Besonderer Notstand herrscht bei den personellen Ressourcen. Für Sachmittel (wie Hard- und Software) ist allemal leichter Geld aufzutreiben als für längerfristig zu planende Stellen, die gerade für eine nachhaltige Implementation der neuen Medien in der Hochschullehre dringend erforderlich sind: Der Personalbedarf reicht von Technikern über Netzwerkspezialisten bis zu Dozenten und Tutoren, die Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien aufweisen. Woher das dafür erforderliche Geld insbesondere nach Auslaufen vieler Förderprojekte kommen soll, ist eine offene und entsprechend brisante Frage. Die aus dieser Situation heraus entstehende Planungsunsicherheit, die durch neue Hochschulreformen wie Einschränkung der Autonomie von Lehrstühlen in Zukunft noch größer werden könnte (Scholz, 2002), stellt eine weitere gravierende Innovationsbarriere dar. Mänge/ im System. An der Stelle fragt man sich, ob man mit Geld die genannten Probleme ein für allemal lösen könnte. Nun ist es nicht von der Hand zu weisen, dass eine nachhaltige Implementation von e-Learning an der Hochschule ressourcenintensiv ist; allerdings sind finanzielle Mittel "nur" eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für didaktische Innovationen. Defizite in der nachhaltigen Implementation guter Ideen zur Verbesserung der Hochschullehre haben oft auch strukturelle Ursachen: "In der Hochschulrealität zeigen sich fundamentale organisationale Hürden zur Implementation entsprechender Ansätze" (Kerres, 2001 b, S. 17). Bürokratische Stolpersteine, unzumutbar lange Entscheidungswege, eingleisige Informationsflüsse und eingefahrene Machtverhältnisse - Innovationsbarrieren, die in der Wirtschaft allseits bekannt sind - entfalten auch an den Hochschulen ihre (destruktiven) Wirkungen. Besonders beklagt wird in einer aktuellen Befragung an 42 deut14 Die Bezeichnung "tayloristisch" bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie "orientiert an technischer Rationalisierung". 22 schen Universitäten die zunehmend starre Bürokratie (Scholz, 2002). Systemoffenheit, große Handlungsspielräume, informeller Informationsstil, Konfliktbereitschaft sowie die Bereitschaft und Möglichkeit, Grenzen (von Kompetenzen und Verantwortung) auch einmal zu überschreiten, sind nach Hauschildt (1997) wichtige Voraussetzungen für Innovationen. Wie es um diese (kulturbezogenen) Merkmale an deutschen Hochschulen bestellt ist, mag der Leser selbst entscheiden. Aktuelle Befragungsergebnisse, die den Hochschulen ein zunehmend raueres Arbeitsklima bescheinigen, sprechen jedenfalls nicht dafür (Scholz, 2002). Fehlende Anreizsysfeme. Welchen Nutzen haben Hochschullehrer, wenn sie Kompetenz, Zeit und Energie in didaktische Innovationen stecken? Wie steht es um Anreize 15 für die Nutzung der neuen Medien in der Hochschullehre und für die Erarbeitung und Umsetzung neuer didaktischer Konzepte, die eine nachhaltige Entwicklung anstoßen? Nun gibt es inzwischen verhaltene und umstrittene Versuche, die Verbesserung der Lehrqualität zu erhöhen, indem z.B. Evaluationen durchgeführt werden, bei denen Studierende Lehrveranstaltung mittels Multiple-Choice-Fragen bewerten was in der Regel ohne Konsequenz bleibt. Nach wie vor ist es so, dass allenfalls das Einwerben von Drittmitteln mit variablen Leistungszulagen belohnt wird bzw. (nach den neuen Reformen) belohnt werden soll. Nur eine kleine Zahl von Hochschulen (ca. 7%) honoriert auch die Entwicklung neuer Veranstaltungsformen (Scholz, 2002). Ebenfalls nachteilig für die Motivation, didaktische Innovationen zu initiieren, kann sich die Tatsache auswirken, dass die Autonomie von Universitätspräsidenten und Rektoren derzeit erhöht, die von Lehrstuhlinhabern eingeschränkt wird (Scholz, 2002). Die Vermutung, dass gekappte Eigenverantwortung auch die Eigeninitiative (vor allem im Bereich der ohnehin eher unbeliebten Lehre) reduzieren kann, ist naheliegend. Schließlich sind nicht nur die Hochschulgehälter objektiv (nach Gehaltsvergleichen) und subjektiv unattraktiv; auch der Beruf des Hochschullehrers verliert laut aktuellen Ergebnissen seit einigen Jahren enorm an Attraktivität (Scholz, 2002). Kompefenzdefizife. Bei aller Beachtung von Barrieren auf Seiten der verfügbaren Ressourcen sowie den bestehenden Strukturen und (defizitären) Anreizsystemen darf man eines nicht vergessen: Ohne individuelle Kreativität und Wissensgenerierung, ohne Durchsetzungsfähigkeit und Wille zur Umsetzung von Wissen gibt es auch in der Hochschullehre keine Innovationen. Notwendig ist also auch auf der psychologischen Ebene so etwas wie "Innovationskompetenz", die kognitive ebenso wie emotional-motivationale Komponenten enthält16. Die Verfügbarkeit neuer Ideen bzw. neuen Wissens allein führt nicht zu Innovationen, sondern erst "die kompetente Umsetzung und kreative Anwendung von Wissen .... Kompetenz ist der Schlüssel zur Bewältigung des strukturellen Wandels sowohl auf organisationaler als auch auf individueller Ebene" (Staudt & Kley, 2001, S. 1). In Bezug auf didaktische Innovationen umfasst diese Kompetenz neben den genannten allgemeinen Komponenten unter anderem: Wissen über menschliche Lernprozesse, Kenntnis verschiedener Lehrmethoden, Medienkompetenz (im umfassenden Sinne) sowie didaktische Kreativität und 15 Mit "Anreizen" sind an dieser Stelle nicht mechanistisch anmutende Motivierungsinstrumente gemeint, wie man sie in der Industrie bisweilen vorfindet (Sprenger, 2002); vielmehr soll der Anreizbegriff hier für Rahmenbedingungen stehen, die ein (eigen-)motiviertes Handeln möglich machen. 16 Wie die sog. Entrepreneurship-Forschung gezeigt hat, gehören hierzu z.B. neben Kreativität, Risikobereitschaft und Durchsetzungsvermögen auch die Fähigkeit, in Unsicherheit zu handeln und Widersprüchlichkeiten zu tolerieren. 23 praktisches Können. In Unternehmen hat man die Kompetenz von Fach- und Führungskräften als erfolgskritische Ressource für Wertschöpfung und Innovation längst erkannt - an den Hochschulen traut sich an dieses Thema kaum jemand heran: Wer will Hochschullehrern schon einen Mangel an Kompetenz nachsagen? Ein dysfunkfionales Innovationsverständnis. Wer als Lehrender an der Hochschule von neuen Medien in der Lehre oder gar von "e-Learning" hört, denkt erst einmal überspitzt formuliert - an bunte Animationen, an das multimediale Explorieren von dreidimensional dargestellten Phänomenen, an die Simulation komplexer Prozesse und an andere beeindruckende Ereignisse und Effekte. Daran schließt sich in der Regel der Gedanke an, welche (zeitlichen und finanziellen) Ressourcen und welche (für den normalen Lehrenden unerreichbaren) Kompetenzen die Entwicklung und Produktion derartiger "High- Tech"-Veranstaltungen erforderlich machen. Viele beruhigen sich dann damit, dass der Hypermedia-Aufwand ohnehin nur für spezielle Fächer wie Medizin oder einige Naturwissenschaften lohnt und dass das Umgehen didaktischer Innovationen mit neuen Medien von daher nicht weiter ins Gewicht fällt. Mit anderen Worten: Insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften hält sich hartnäckig eine Auffassung von "Innovation in der Hochschullehre", die vorrangig den großen Wurf im Blick hat, der allgemeine Bewunderung, Aha-Effekte und eine Art Umwälzung hervorruft und damit dem traditionellen Innovationsverständnis entspricht (vgl. Abschnitt 1.3). Trotz anders lautender Ankündigungen verstärkt auch die Förderpolitik die skizzierte Einstellung, indem sie immer noch stark auf Produkte (also Software und Plattformen) fixiert ist und die Frage offen lässt, "woran ... sich diejenigen orientieren [sollen), die weder Bildungssoftware produzieren noch im großen Rahmen nutzen, aber durchaus sinnvolle luK-Technologien routiniert in die Hochschullehre einbringen möchten" (Schwarz, 2002, S. 4). Abbildung 3 gibt einen zusammenfassenden Überblick über generelle und hochschulspezifische Innovationsbarrieren, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben wurden. Barrieren Finanz- IPersonalnotstand • Fehlende Mittel für Nachhaltigkeit • Breites Defizit an kompetentem Personal • Mangelnde Planungssicherheit • Ausgeprägte Bürokratie • Lange Entscheidungswege Mängel im System • Eingleisige Informationsflüsse • Eingefahrene Machtverhältnisse Fehlende Anreizsysteme • Belohnung von Drittmittelforschung, nicht jedoch von Engagement in der Lehre • Beschneidung der Lehrstuhlautonomie • Schlechte Hochschulgehälter • Mängel/Defizite Dysfunktionales Innovationsverständ in Bereichen der Innova- tionskompetenz: Kreativität, Ideengenerierung, Durchsetzungs-/Transferfähigkeit • Mängel/Defizite im Bereich Mediendidaktik Kompetenzdefizite nis Abb. 3: Typische • Eingeengtes (trad.) Innovationsverständnis • Geringe Betroffenheit (in den Geistes-/Sozialwissenschaften) • Verstärkung durch die Förderpolitik Innovationsbarrieren 24 4.3 Überw\ndung 'Ion \nno'la\\onsban\eren Kein Mangel an guten Ratschlägen. Empfehlungen dafür, wie man Innovationsprozesse generell unterstützen und typische Innovationskiller überwinden kann, gibt es - bezogen auf wirtschaftliche Kontexte - genug (z.B. Hauschildt, 1997; von Rosenstiel & Wastian, 2001): Nahe gelegt wird etwa, kleine Teams oder Qualitätszirkel einzusetzen, Lern- und Arbeitsprozesse miteinander zu verbinden, nicht nur Informationen, sondern auch Erfahrungswissen weiterzugeben und auszutauschen (auch über Organisationsgrenzen hinaus), auf Erfolge und Misserfolge unmittelbare Rückmeldungen zu geben, Ideen und Ergebnissen rasch umzusetzen, die Organisationsmitglieder zum Fragen zu ermutigen und die Fehlertoleranz zu erhöhen. Fast schon gebetsmühlenartig wird gefordert: Weniger Formalisierung, weniger Spezialisierung, weniger Standardisierung. Wie man das im Einzelnen genau bewerkstelligen kann, darüber finden sich weniger brauchbare Hinweise. Konkreter fallen Empfehlungen aus, die beispielsweise Promotoren und verschiedene Rollen fordern, die den Innovationsprozess in verschiedenen Phasen unterstützen (Hauschildt & Gemünden, 1999). Last but not least gibt es die Forderung, in Menschen zu investieren, etwa mittels Weiterbildung, die innovative Prozesse unterstützen kann - vorausgesetzt, es werden Prinzipien berücksichtigt, die aus der Weiterbildung Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung machen (Erpenbeck & Sauter, 2000): Zu diesen Prinzipien gehört das Lernen im Prozess der Arbeit mit Nähe zu konkreten Problemen, das Lernen im sozialen Umfeld (also in Netzwerken mit Erfahrungsaustausch) und der beständige Zugang zu relevantem Wissen, zu hilfreichen Beispielen und wichtigen Kontakten (im Sinne von Wissensmanagement; vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a). Der Ruf nach Innovationskultur. Neben Ressourcenmangel und Strukturdefiziten sind vor allem Wertvorstellungen und Überzeugungen und deren Manifestation in bestimmten Strukturen und Routinen 17 sowie andere kulturbezogene Bedingungen als Innovationsbarrieren erkannt worden. Von daher liegt es nahe, zur Förderung von Innovationen eine entsprechende Innovationskultur zu fordern. "Unter der Innovationskultur sind ... alle Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen zu verstehen, die das Verhalten der am Neuerungsprozess beteiligten Personen prägen" (Vahs & Trautwein, 2001, S. 21). Merkmale einer erfolgreichen Innovationskultur sind oben bereits angeklungen und lassen sich mit Vahs und Trautwein (2000) wie folgt zusammenfassen: In einer erfolgreichen Innovationskultur wird den Organisationsmitgliedern und deren Fähigkeit zu Kreativität und eigenverantwortlichem Handeln grundsätzlich Vertrauen entgegen gebracht; Kreativität hat einen hohen Stellenwert im Symbol- und Wertesystem der Organisation; innovative Organisationsmitglieder werden unterstützt und gezielt gefördert; Fehler und Misserfolge werden toleriert und nicht sanktioniert; das Informations- und Kommunikationsverhalten ist offen, wichtige Informationen werden nicht zurückgehalten. Innovafionsförderliche Bedingungen für die Hochschul/ehre. Ohne Zweifel wäre es auch für die Organisation Hochschule erstrebenswert, die oben genannten innovationsförderlichen Bedingungen herzustellen. Dabei sind allerdings zwei Einschränkungen zu beachten: Zum einen tun sich auch Unternehmen schwer, empirisch und theoretisch untermauerte Faktoren erfolgreicher Innovation quasi synthetisch herzu17 An der Stelle zeigt sich deutlich die Wechselbeziehung von Kultur und Struktur in Organisationen, sodass die Frage nach der Ursächlichkeit eher müßig ist. 25 stellen - neue strukturelle, psychologische und kulturelle Bedingungen lassen sich nicht wie ein technisches Tool von heute auf morgen implementieren. Zum anderen kann man nicht alle für die Wirtschaft gemachten Forderungen auf Bildungskontexte übertragen: Hochschulen sind kein Unternehmen und eine didaktische Innovation unterscheidet sich grundsätzlich von einer Innovation etwa in der Biotechnologie. Von daher sollte man Maßnahmen zur Förderung von Kreativität und Teamgeist (zur Ideengenerierung in den ersten Phasen des Innovationsprozesses) ebenso wie Maßnahmen zur Um- und Durchsetzung neuer Ideen (zur nachhaltigen Implementation von Neuerungen in den letzten Phasen des Innovationsprozesses) in hohem Maße kontext- und gegenstandsbezogen angehen. Was aber könnte man vor diesem Hintergrund konkret empfehlen? Möglichkeiten zur Überwindung von Innovationsbarrieren in der Hochschule. Nach dem bisher Gesagten ist es nahe liegend, zunächst Veränderungen in der Förderpolitik anzustoßen: Förderkriterien, die nicht auf aufwändige Multimedia-Produkte fixiert sind und speziell den Geistes- und Sozialwissenschaften gezieltere Chancen zur Beteiligung am Innovationsprozess einräumen; mehr Geld für nachhaltige Entwicklungen in der Hochschullehre; und eine höhere Planungssicherheit für konkrete Vorhaben. Des Weiteren ist der Abbau bürokratischer Hürden für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Ideen in der Hochschule zu fordern. Noch wichtiger aber erscheinen grundsätzliche Änderungen in der Anreizpolitik innerhalb der Hochschule: Wenn didaktische Innovationen wirklich gewollt sind, muss sich dieser Wille auch darin zeigen, dass Engagement in der Hochschullehre ähnlich wie das Einwerben von Drittmitteln materiell "belohnt" und anerkannt, also als hochschulrelevante Neuerung immateriell honoriert wird. Kompetenzdefizite lassen sich (mit Einschränkung) durch Weiterbildungsangebote, vor allem aber durch gute Beispiele sowie durch Möglichkeiten zum Erfahrungslernen und kollegialen Erfahrungsaustausch angehen. Angesichts des vorherrschenden traditionellen Innovationsverständnisses in den Geistes- und Sozialwissenschaften (vgl. Abschnitt 4.2) gehört es unserer Ansicht nach zu den wichtigsten Schritten, das didaktische Innovationspotential der neuen Medien direkt und konkret erfahrbar zu machen. Nur so ist mit einer höheren Bereitschaft zu rechnen, sich überhaupt (auch gedanklich) in das Feld des e-Learning zu begeben (Stiehl, 2001). Technische Highlights und didaktische "Leuchttürme" sollten zu Beginn eines Innovationsprozesses in der Hochschullehre nicht im Vordergrund stehen; vielmehr muss man die aktuelle hochschuldidaktische Situation vor Ort im Blick haben und nach Neuerungen suchen, die den Status quo merklich verbessern - was je nach Kontext zu sehr unterschiedlichen Neuerungen führen kann. 26 5. Fazit In diesem Kapitel haben wir uns zunächst dem Innovationsbegriff gewidmet und geklärt, was im Wesentlichen dahinter steckt. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine neue Idee noch lange keine Innovation ist: Erst deren Umsetzung - nach neuem Verständnis deren Überführung in eine Routine - macht sie zur Innovation, sofern damit eine merkliche Veränderung des vorangegangenen Zustands verbunden ist. Das gilt auch für didaktische Innovationen! Es wurde dargelegt, dass die neuen Medien in mehrfacher Hinsicht Innovationspotential für die Hochschullehre besitzen, dass sich Neuerungen aber keineswegs automatisch mit dem Einsatz von Multimedia und Internet einstellen, sondern erst noch mit instruktionalen Konzepten verbunden werden müssen. Um nicht im luftleeren Raum zu argumentieren, haben wir die derzeitige Förderpolitik in Sachen e-Learning in der Hochschule aufgegriffen und untersucht, welche Erwartungen an die neuen Medien geknüpft wurden und werden: Besonders deutlich zeigte sich dabei die Effizienzfalle, in die viele (vor allem auch die Politik) getappt sind, was zu großer Ernüchterung in Bezug auf ökonomische Vorteile durch neue Medien in der Hochschullehre geführt hat. Aber auch didaktisch scheint man inzwischen wieder auf dem Boden der Realität zu sein; jedenfalls hat der Ruf nach grunds.ätzlicher Virtualisierung der Hochschule nachgelassen und die Suche nach differenzierten e-Learning-Modellen begonnen (was auch für die Weiterbildung in der Wirtschaft gilt). Schwierig ist die Situation nach wie vor in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Finanz- und Personalnotstand, Mängel im System, fehlende Anreizsysteme und Kompetenzdefizite sind typische Barrieren für didaktische Innovationen in der Hochschule, zeigen sich dort aber besonders deutlich und in Kombination mit disziplinimmanenten Schwierigkeiten, wenn es um den Einsatz neuer Medien in der Lehre geht. Doch es war keineswegs Ziel dieses ersten Kapitels, in ein allgemeines Klagen zu verfallen; vielmehr sollten auch einige grundlegende Lösungsansätze zur Überwindung von Innovationsbarrieren deutlich geworden sein. Neben einigen ganz konkreten Maßnahmen, die Besserung versprechen, ist es vor allem an der Zeit, die herrschende Auffassung, was eine Innovation in der Hochschullehre ist, an ein modernes Innovationsverständnis anzupassen - ein innovationsverständnis, das nicht revolutionäre Sprünge, sondern evolutionäre Entwicklungen und damit auch nachhaltige Veränderungen in den Vordergrund stellt. Oder, um mit den Worten Stiehls (2001) zu sprechen: "Angesichts dieser Situation (Anm.: der Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften) empfiehlt sich eine inkrementale Vorgehensweise, die dem didaktischen Grundsatz folgt, die Adressaten dort abzuholen, wo sie stehen und mit ihnen die nächsten Schritte zu gehen. Statt technologischer Sprünge und Highlights und einer Top-Down-Strategie dürfte eine Strategie kleiner Schritte Bottom-up Breitenwirkung und Nachhaltigkeit sichern" (Stiehl, 2001, S. 11). Inwiefern die Forderung nach differenzierten e-Learning-Modellen, nach evolutionären Innovationsprozessen, nach Anschlussfähigkeit und Nachhaltigkeit mit dem sog. Blended Learning, das dem Buch seinen Titel gibt, besonders gut zu erfüllen ist, soll im nun folgenden Kapitel 11 beschrieben und in Kapitel 111 an einem konkreten Beispiel demonstriert werden. 27 Kapitel 11.Blended Learning "Wir gehen von einer Welt des 'Entweder/Oder' in eine Welt des 'Sowohl/als auch'. Dies gilt insbesondere für die Lernwelt" (Sauter 2001, S. 1). Inhalt und Ziel von Kapitel 11 Ob Blended Learning wieder mal ein neues Modewort ist, das uns nur blenden will, oder ob es sich dabei um eine didaktische Innovation handelt - das ist die zentrale Frage des zweiten Kapitels dieses Buches. Auch hier kommen wir ohne Begriffsschärfungen nicht aus, und so sind zunächst einmal die Begriffe des Blended Learning und des e-Learning genauer zu betrachten und aufzudecken, was sich dahinter verbirgt. In einem zweiten Schritt interessiert vor allem der didaktische Mehrwert des e-Learning im Allgemeinen sowie das didaktische Potential des Blended Learning im Besonderen: Dabei wollen wir nicht auf der operativen Ebene des Lehr-Lerngeschehens stehen bleiben, sondern auch einen Blick auf die jeweils zugrunde liegenden 'Lehr-Lernauffassungen werfen. Erst wenn die Begrifflichkeiten im Umkreis des Blended Learning geklärt und die didaktischen Möglichkeiten und Hintergründe bei dieser Form des e-Learning erörtert sind, wollen wir der Frage nachgehen, ob und inwieweit wir mit Blended Learning didaktische Innovationen erreichen können, wie wir sie im ersten Kapitel beschrieben haben. Übersichtsgrafik 6. Der Begriff des Blended Learning zu Kapitel 11 6.1 Die (wirtschaftliche) Herkunft des Blended Learning 6.2 Was hinter dem Blended Learning steckt 7.1 Verschiedene e-Learning-Vartanten 7.2 Unterschiedliche Anforderungen beim e-Learning 18. Die Integrationskraft Learning des Blended 8.1 Existenz und Notwendigkeit 9. Das Innovationspotential von Blended Learning in der Hochschullehre 9.1 Didaktische Innovationen durch Blended Learning 9.2 Überwindung von Innavationsbarrieren durch Blended Learning LiO. F~ verschie- dener Lerntheorien 8.2 Instruktion und Konstruktion 8.3 Integration durch Blended Leaming auf verschiedenen Ebenen c:> Überleitungzu KapitelIII 28 6. Der Begriff des Blended Learning Ohne Zweifel kann man "Blended Learning" (ähnlich wie e-Learning, e-business und e-commerce) zu den neuen Wortkreationen - man kann auch sagen: zu den "buzz words" - der "e-Branche" zählen, die erst Unverständnis hervorrufen, dann aber rasch in den Wortschatz von Multiplikatoren eingehen und durch wiederholten Gebrauch zu Modewörtern werden (Baumgartner, Häfele & Häfele, 2002). Dennoch, oder gerade deshalb, ist zunächst einmal eine genauere Betrachtung des "Blended Learning"-Begriffs notwendig, um eine Grundlage für Lob und Kritik zu haben. 6"1 Die (wirtschaftliche) Herkunft des Blended Learning Aufruhr im Kreise der Wirtschaft. Wir befinden uns in einer schnelllebigen Zeit jedenfalls was Begrifflichkeiten insbesondere in der Wirtschaft betrifft, in der die Uhren bekanntlich anders ticken als im deutschen Hochschulsystem: Kaum hat sich - nach mehreren Jahren Verzug - das Schlagwort und damit (zum Teil) auch die Idee des e-Learning in den Hochschulen eine gewisse Position erobert, ist der "eLearning-Hype" in den Unternehmen auch schon wieder verschwunden. "Versuchen wir es mal mit "Blended Learning"", heißt es in der Financial Times Deutschland (Reppert, 2002) - als Reaktion auf die enttäuschten Erwartungen in Bezug auf die Virtualisierung der Weiterbildung: "Zurückrudern heißt jetzt das Motto. "Blended Learning" ist die neue Philosophie der Branche. Hinter dem englischen Begriff, der in keinem Anbieterprospekt mehr fehlt, verbirgt sich die Erkenntnis, dass E-Learning die herkömmliche Weiterbildung in den Unternehmen nicht ersetzen kann. Statt dessen ist gemischtes, in der deutschen Fachübersetzung, "hybrides Lernen" gefragt, also ein Methodenmix aus Präsenzschulungen und elektronischem Lernen" (Reppert, 2002; S. 1). Es ist die Rede vom "kollektiven Bußgebet" der Branche auf der diesjährigen (2002) Learntec in Karlsruhe; und nachdem die IT-Abteilungen den Personalern im e-Learning-Rausch kurzzeitig das Ruder in Sachen Weiterbildung aus der Hand genommen haben, hört man gar wieder Devisen wie "Technologie ist out und Bildung in" (Reppert, 2002). Erste Reaktionen. Im Juni 2002 fand in Mannheim ein (in Deutschland) erstes Symposium zum Blended Learning statt: Zentraler Diskussionspunkt war auch hier die allgemeine Ernüchterung rund um das Thema e-Learning, das noch wenige Monate zuvor als eine Innovation des Lernens in der Arbeitswelt gefeiert wurde. Statt "electronic learning" lobte das fachkundige Publikum nun die ideale Mischung aus klassischen und neuen Organisationsformen, Methoden und Medien: Face-to-Face-Arrangements (wie Seminare und Konferenzen) werden mit asynchronen und synchronen Medienarrangements verknüpft; Intra-, Internet, CBT18 und WBT19, Audio und Video, Handouts und Bücher haben ihren gleichberechtigten Platz; Selbstlernphasen wechseln mit Situationen, in denen der Lehrende den Ton angibt, und daneben gibt es Trainer-Lerner-, Lerner-Mentor-, Peer-to-Peer oder Team-Lernsituationen; kurz: Alles ist möglich. Und schon gibt es erste Kooperationsverträge zwischen klassischen Weiterbildungsanbietern und e-Learning-Anbietern2o, mit denen Unternehmen CBT: Computer Based Training WBT: Web Based Training 20 Z.B. zwischen der CDI GmbH - dem größten deutschen IT-Trainingsanbieter - und der imc AGdem e-Learning-Marktführer in Deutschland. 18 19 29 in der "Bildungsbranche" ihre jeweiligen Kompetenzen bündeln wollen, um als Komplettanbieter für Blended Learning aufzutreten - ein deutliches Zeichen jedenfalls, dass die Branche offenbar einen Bedarf an Blended Learning entdeckt und sogleich reagiert hat. Der Mixer hinter dem Blended Learning. Direkt übersetzt heißt Blended Learning zunächst einmal nichts anderes als "vermischtes Lernen". Joachim Vögele und Joschka Remus (2002) stellen in der Stuttgarter Zeitung online folgenden Vergleich an: "Ähnlich dem Blended Whiskey, bei dem verschiedene Sorten zusammengemixt werden, kommen beim Blended Learning verschiedene Lernformen und -medien zum Zuge" (S. 1). Nach den Recherchen der beiden Journalisten geht der Begriff auf einen Streit zwischen klassischen Trainern und technikorientierten Tele-Trainern zurück, die beim Treffen des weitgrößten Trainerverbandes ASTD (American Society for Training and Development) in Florida aneinander geraten waren. "Blended Learning" sollte beide Lager miteinander versöhnen und dem neuen e-Learning sowie dem herkömmlichen Face-to-Face-Lernen Gleichwertigkeit zuerkennen. Immer mehr Autoren sehen die Zukunft darin, bei der Gestaltung von Lernumgebungen wie ein "Blender" (Mixer) vorzugehen, der eine intelligente Komposition von e-Learning-Angeboten und klassischen Lernformen kreiert. Vor diesem Hintergrund mag es auf den ersten Blick etwas verwunderlich erscheinen, dass der Begriff des Blended Learning in einigen neueren deutschsprachigen Werken, z.B. in der ersten Ausgabe des umfangreichen e-Learning-Handbuchs des Deutschen Wirtschaftsdienstes21 überhaupt nicht vorkommt. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass es auch eine ganze Reihe anderer Bezeichnungen für Blended Learning gibt, die in etwa dasselbe meinen. 6.2 Was hinter dem Blended learning steckt Blended Learning und wie man es sonst noch nennen kann. Im angloamerikanschen Raum wird Blended Learning auch unter Stichworten wie Distributed Learning, Integrated Learning (z.B. Grabe & Grabe, 2001), Flexible Learning (z.B. Caladine, 2002) und Hybrid Teaching (z.B. Young, 2002) gehandelt (vgl. Hanft & Müskens, 2002). Jeder dieser Begriffe betont eine andere Eigenschaft, die das Blendend Learning kennzeichnet: Die Bezeichnungen Distributed Learning und Integrated Learning verweisen darauf, dass bei dieser Form des Lernens die Lehr-Lerninhalte auLrnehrere Medien verteilt sind (distributed learning), dass diese aber (technisch und methodisch betrachtet}nicnteinfach additiv aneinander gereiht, sondern auf verschiedenen Ebenen aufemaoJißLabg~t sind (siehe auch Abschnitt 8.3) und damit in einem gemeinsamen Konzept mitei..nander verbunden werden (integrated learning). Der Begriff "flexible learning" dagegen macht darauf aufmerksam, dass es infolge von Medienund Methodenmix als Grundidee mit dieser Art des Lernen (und Lehrens) besonders gut möglich ist, sich an verschiedene Kontextbedingungen (Lehr-Lernziele und -inhalte, Zielgruppen, technische und andere Ressourcen etc.) anzupassen, auf aktuelle situative Bedingungen reagieren und entsprechend flexibel sein zu können. "Hybrid Teaching" schließlich kann man als die englische Fassung der "hybriden Lernarrangements" verstehen, die vor allem Michael Kerres (z.B. 2002) fordert22. 2' 22 Herausgegeben von Hohenslein und Wilbers (2002) und die in dieser Form auch im o.g. e-Learning-Handbuch zu finden sind. 30 Hybride Lernarrangements bzw. hybrides Lernen23 sind die am häufigsten fenden Synonyme für Blended Learning im deutschen Sprachraum. anzutref- Alter Wein in neuen Schläuchen? "Blended Learnin ie 0 timierung von Lernprozessen zur Erreichung individueller Lernziele unter Nutzung aller dafür geeigneten e r- ernme oden an" (Hanft & riIIüskens, 2002, S. 1j. Jeder Studierende der Pädagogik, jeder tehrer-um:l Trainer wird (zu Recht) die Nase rümpfen, wenn er einen solchen Satz zu lesen bekommt: War es denn nicht schon immer der Auftrag eines Lehrenden, Lernprozesse zu fördern und zu optimieren, dabei die Bedürfnisse des Lernenden im Auge zu behalten und sich eines auf die Lehr-Lernsituation abgestimmten Repertoires an Methoden und Medien zu bedienen? Zugegeben: Dieser Auftrag wird nicht immer und überall erfüllt - es könnte also durchaus eine Neuerung im Sinne einer Innovation (vgl. Kapitel I) sein, wenn es gelingt, diesem Auftrag gerecht zu werden; wir kommen an anderer Stelle noch einmal darauf zurück (siehe Abschnitt 9). Eine gewisse "Neuheit" steckt im Blended Learning, wenn man die letzten drei bis vier Jahre vor Augen hat, in denen die (mehr oder weniger) komplette Umwandlung von Weiterbildungsabteilungen in raum- und kostensparende e-LearningZentren zentraler Bestandteil vieler Unternehmensstrategien war: Wer sich einige Zeit auf die Virtualisierung des Lernens und Lehrens versteift hat, für dessen Ohren kann die Forderung nach hybriden Lernarrangements durchaus innovativ klingen, stellt sie doch eine Differenz zum vorherigen Zustand dar. Blended Learning als neue Form des e-Learning. Wenn Blended Learning allem voran den bewusst arrangierten Mix aus Medien und Methoden meint, liegt es nicht unmittelbar auf der Hand, dass diese Form des Lernens Uedenfalls angesichts ihrer Entstehungsgeschichte) als eine eigenständige Form des e-Learning gilt. Doch genau dies ist der Fall: "Blended Learning ... möchte betonen, dass e-Learning grundsätzlich eine Kombination von sowohl IKT-basiertem als auch nicht-IKT-basiertem Lernen umfasst" (Back, Bendei & Stoller-Schai 2001, S. 288). So jedenfalls lautet die Interpretation seitens der Wirtschaft, die sich auf das e-Learning bereits eingeschworen hatte. Schulen und Hochschulen dagegen sehen die Entwicklung der neuen Medien im Bildungsbereich aus einer anderen Warte, denn bei ihnen ist der e-LearningHype ja gerade erst angekommen und konnte gedanklich noch gar nicht richtig verarbeitet werden. Es kommt also auf die Perspektive an: Vom Standpunkt des Präsenzlehrens und -Iernens (und damit auch vom Standpunkt der Hochschule) aus betrachtet ist Blended Learning eine Bezeichnung dafür, dass man traditionelle Methoden und Medien mit Möglichkeiten des e-Learning kombiniert. Im Vordergrund steht nach wie vor die Präsenzlehre. Vom Standpunkt des virtuellen Lernens und Lehrens (und damit vom Standpunkt großer Unternehmen) aus betrachtet, beschreibt Blended Learning einen Ansatz, der e-Learning mit dem klassischen Lehr-Lernrepertoire ohne Technikeinsatz "mischt". Im Fokus steht weiter das-Lernen mit neuen Medie . Ob so oder so: Um den e:.learning-Begriff.Jsommtman nicbtumhin, wenn von Blended 'Learning die Rede ist. Und weil es wenig zielführend ist, Schlagwörter mit Schlagwörtern zu diskutieren, ohne die tiefere Bedeutung und didaktische Implikationen näher zu analysieren, wenden wir uns im Folgenden dem e-Learning zu. Die Formulierung "hybrides Lehren oder Unterrichten" in Anlehnung an "hybrid teaching" findet man derzeit kaum, denn: Zumindest verbal hat sich inzwischen eine Auffassung von Lernen (und Lehren) durchgesetzt, die den Lernenden, sein Wissen, seine Motivation und seine Denkprozesse in den Vordergrund stellt (vgl. Abschnitt 8.1). 23 o 31 7. Der Begriff des e-Learning Wenn von e-Learning die Rede ist, sollte man nachfragen, was genau damit gemeint ist, denn der Begriff ist - wie die meisten "buzz words" - weder allgemein gültig definiert noch wird er einheitlich verwendet: Vielmehr gibt es mehrere e-Learning-Varianten, die unterschiedliche Anforderungen an die Beteiligten im Lehr-Lerngeschehen stellen. 7.1 Verschiedene e-Learning-Varianten 'J Die Anwendung des e-Learning-Begriffs. Ganz so neu, wie man (u.a. in den Hochschulen) meint, ist der Begriff des e-Learning nicht, wenn man darunter erst einmal die Abkürzung für "electronic learning" versteht, bei dem Lernprozesse in irgendeiner Form "elektronisch" angeleitet, gelenkt oder unterstützt werden .•Was sich in diesem Zusammenhang unter dem Merkmal "elektronisch" verbirgt, ist einem gewissen Wandel unterworfen: "Die Bedeutung des Begriffs "e-Learning' war zu Beginn seines Auftretens stärker auf das elektronisch unterstützte Lernen (satellitengestütztes Lernen, Lernen per interaktivem TV, CD-ROM, Videobänder etc.) konzentriert. Im Zuge des Internet-Hype der ausgehenden 90er Jahre wurde e-Learning hauptsächlich für das "netzangebundene" Lernen (sogenanntes "webunterstütztes" Lernen) verwendet, etabliert sich jedoch zusehends wieder als Überbegriff für alle Arten medienunterstützten Lernens. E-Learning schließt also heute sowohl Lernen mit lokal installierter Software (Lernprogramme, CD-ROM) als auch Lernen über das Internet ein" (Baumgartner et al., 2002, S. 4). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der Begriffsanwendung ist e-Learning also so etwas wie ein übergeordneter Begriff für softwareunterstütztes Lernen - softwareunterstützt deshalb, weil das Endgerät keine besondere Rolle (r:nehr) spielt (heute ist es der Computer, morgen vielleicht das Handy). Die Unübersichtlichkeit beim e-Learning. Bereits im ersten Kapitel haben wir in aller Kürze die didaktischen Potentiale der neuen Medien skizziert, die folglich auch beim e-Learning genutzt werden (vgl. Abschnitt 2.2): Dabei wurde auf die Möglichkeit verwiesen, mittels neuer Medien Lehr-Lerninhalte hypermedial darzustellen sowie selbstgesteuerte und kooperative Lernformen zu unterstützen. Möglich ist dies durch drei wesentliche Eigenschaften der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. Issing & Klimsa, 2002): (a) Infolge der Multimedialität neuer Medien können verschiedene (auch "alte") Medien integriert und damit verschiedene Symbolsysteme miteinander kombiniert werden. (b) Infolge der Interaktivität neuer Medien können Mediennutzer mit dem medialen System interagieren und unmittelbare Rückmeldung von diesem erhalten. (c) Infolge der organisationsinternen, regionalen und weltweiten Vernetzung im Bereich der neuen Medien lassen sich neue Kommunikationsformen praktizieren sowie Ort und Zeit überwinden24. Wenn man sich diese Haupteigenschaften der neuen Medien vor Augen hält und sich dann überlegt, was e-Learning alles bedeuten kann, wird nachvollziehbar, dass das Feld "e-Learning" unüberschaubar und die Diskussion darüber zwangsläufig vage ist. Nun könnte man exemplarisch aufzählen, was e-Learning alles umfassen kann. Angesichts der raAuch in Bezug auf die Vernetzung kann man von einer Form von Interaktivität sprechen: Baumgartner et al. (2002) bezeichnen diese als didaktische Interaktivität und grenzen sie von der steuernden Interaktivität, der interaktion zwischen Nutzer und System, ab. 24 32 schen Entwicklung auf diesem Sektor ist es aber sinnvoller, ein Orientierungsmodell zu haben, das einem hilft, die Übersicht im e-Learning-Dschungel zu behalten. Hierzu schlagen wir vor, in Anlehnung an Back, Seufert und Kramhöller (1998) drei Leitfunktionen der neuen Medien im Hinblick auf Lernen (und Lehren) zu unterscheiden: die Verteilung oder Distribution von Information auf elektronischem Wege, die Interaktion eines Mediums bzw. eines elektronischen Systems mit dem Lernenden sowie die Unterstützung der Interaktion und Zusammenarbeit - also die Kollaboration - von Lehrenden und Lernenden, aber auch von Lernenden untereinander. Alle drei Funktionen haben unterschiedliche Auswirkungen auf den Lernenden und seinen Lernprozess. E-Iearning by distributing. Wenn jemand im Internet gezielt nach bestimmten Informationsquellen sucht, um ein Problem zu lösen oder im Rahmen eines Weiterbildungsangebots selbständig elektronisch zugesandtes Material durcharbeitet, liegt eine Form des e-Learning vor. Die Funktion der neuen Medien bei dieser Form des e-Learning besteht darin, lernrelevante Information zu verteilen bzw. zu distribuieren. Man könnte also auch von einem e-Iearning by distributing sprechen: Die neuen Medien übernehmen hier die Funktion der Distribution von Information. Aus der Sicht des Lerners besteht diese Form des e-Learning darin, elektronische Information aufzunehmen, selbstgesteuert zu verarbeiten und umzusetzen. Oder knapper formuliert: Es geht um "Iearning from information" (Staub, 2001). Ein Lehrender im klassischen Sinne ist für das e-Iearning by distributing (oder learning from information) nicht erforderlich. E-Iearning by interacting. Wenn jemand ein GBT für die Bedienung einer neuen Software absolviert oder im Rahmen eines tutorieIl begleiteten WBTs Sprachkenntnisse für einen Auslandsaufenthalt auffrischt, liegt eine weitere Form des e-Learning vor. Die Funktion der neuen Medien bei dieser Form des e-Learning besteht darin, didaktisch aufbereitete Informationen anzubieten, sodass der Lerner sich (weitgehend) ohne personelle Hilfe durch die Interaktion mit dem technischen System neue Inhalte erarbeiten kann. Man könnte also auch von einem e-Iearning by interacting sprechen; die neuen Medien übernehmen hier die Funktion, eine Interaktion zwischen Nutzer und System zu ermöglichen. Aus der Sicht des Lerners besteht diese Form des e-Learning darin, lern relevante Informationen technisch angeleitet zu verarbeiten und angebotene Übungen oder Spiele selbstorganisiert durchzuführen. Auch hier kann man mit Staub (2001) verkürzt sagen: Es geht um "Iearning from feedback". Auch für das e-Iearning by interacting (oder learning from feedback) ist ein Lehrender im klassischen Sinne nicht erforderlich; möglich, aber nicht zwingend, ist ein Lernberater oder Tele-Tutor. '\]_ ~ E-Iearning by collaborating. Wenn jemand in einem Online-Seminar Aufgaben in virtuellen Kleingruppen bearbeitet oder Mitglied einer virtuellen Interessengemeinschaft ist, in der Gleichgesinnte ihre Erfahrungen zu bestimmten Problemen austauschen, kann man ebenfalls von e-Learning sprechen. Die Funktion der neuen Medien bei dieser Form des e-Learning besteht darin, Lernende an verschiedenen Orten miteinander in Kontakt zu bringen und sie zu einer gemeinsamen Problemlösung im virtuellen Raum anzuregen. Man könnte daher von einem e-Iearning by collaborating sprechen; die neuen Medien übernehmen hier die Funktion, eine Kolla- 33 boration25 zwischen Lernenden anzustoßen. Aus der Sicht des Lerners besteht diese Form des e-Learning darin, relativ eigenständig neues Wissen in der Lernumgebung zu konstruieren und dies vor allem im Prozess des sozialen Problemlösens zu tun. Von daher passt auch die Kurzformel "Iearning from different perspectives" (Staub, 2001). Beim e-Iearning by collaborating (oder learning from different perspectives) ist ein Lehrender als Initiator und Moderator von Lernprozessen oder als Coach beim virtuellen Problemlösen unabdingbar. Abbildung 4 (in Anlehnung an Back et al., 1998) gibt noch einmal einen Überblick über die verschiedenen Formen (und Bezeichnungen) des e-Learning. E-Iearning Learn from multiple perspectives by collaborating E-Iearning by interacting Learn from feedback Learn from information E-Iearning by distributing Distribution Information von zw. Nutzer u. System Interaktion Abb. 4: Verschiedene 7.2 Unterschiedliche Kollaboration Lernenden ZW. e-Learning-Varianten Anforderungen beim e-Learning E-Iearning by distributing, e-Iearning by interacting und e-Iearning by collaborating sind drei Varianten von Lernen mit neuen Medien, die unterschiedliche Anforderungen stellen und zwar zum einen an die Gestaltung der e-Iearning-Umgebung und damit an die Fähigkeiten der Mediengestalter und der Lehrenden und zum anderen an die Lernprozesse und damit an die Voraussetzungen, die die Lernenden mitbringen müssen. Bei allem Eifer für das e-Learning werden beide Aspekte in der Praxis oft vernachlässigt. Im Deutschen ist der Begriff der Kollaboration wenig üblich, meist wird er mit "Kooperation" gleichgesetzt. Was Kollaboration von Kooperation in der englischsprachigen Literatur unterscheidet, ist die Akzentuierung der Wissensteilung und der gemeinsamen Wissenskonstruktion gegenüber der bei der Kooperation fokussierten Arbeitsteilung (vgl. z.B. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002). 25 34 Anforderungen beim e-Iearning by distributing. Wenn die neuen Medien zur Distribution von Informationen eingesetzt werden, stellen sich Lernprozesse nur ein, wenn die Gestaltung der Information auch lernfreundlich ist, wenn multimediale Potentiale ausgeschöpft, aber auch zielsicher eingesetzt werden. Kurz: Wenn das Design von Text und Bild ebenso stimmt wie die Struktur und Aufbereitung der Information (z.B. Weiden mann, 2002) - was bekanntlich im weltweiten Netz bei Leibe nicht immer der Fall ist. Die Anforderungen an den Lernenden bei dieser Form des e-Learning sind hoch: Die Information zum Lernen ist da, aber der Antrieb diese auch zu lesen, zu verstehen und zu nutzen muss aus einem selbst heraus kommen, was Motivation und meist auch Vorwissen voraussetzt. Ebenso sind Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und Selbststeuerung sowie zum Umgang mit den neuen Medien, also Medienkompetenz, eine Bedingung für erfolgreiches e-Iearning by distributing. Anforderungen beim e-Iearning by in te ra cting. Wenn die neuen Medien zur Interaktion zwischen Nutzer und System dienen, muss zur lernfreundlichen Informationsgestaltung auch eine professionelle Gestaltung von Instruktionen, Übungen, Aufgaben und Rückmeldungen hinzukommen (z.B. Leutner, 2002); auch hier hinkt die Wirklichkeit dem Anspruch oft hinterher. Die Anforderungen an den Lernenden bei dieser Form des e-Learning sind eher niedrig: Nicht nur die aufbereitete Information zum Lernen ist da, auch der notwendige "Trainingsapparat" (in Form von CBTs und WBTs) ist bereit, um zu loben und zu piesacken, bis Wissen und Fertigkeiten endlich sitzen. Freilich setzt auch das beim Lernenden ein ausreichendes Maß an Motivation und Fähigkeiten zur Selbstorganisation am "Trainingsgerät" voraus. Anforderungen beim e-Iearning by collaborating. Wenn die neuen Medien zur Unterstützung der Kollaboration zwischen Lernenden eingesetzt werden, müssen Lernumgebungen neben didaktisch überlegter Gestaltung von Information, Instruktion und Aufgaben auch geeignete inhaltliche und soziale Kontexte bereitstellen. Das heißt: Kooperative Lernprozesse im virtuellen Raum stellen sich nur ein, wenn Problemstellungen so gewählt sind, dass sich eine Zusammenarbeit für die Lernenden auch lohnt; zudem muss die soziale Situation die Kooperation beim Lernen wirksam unterstützten (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002). Das hierzu erforderliche didaktische Know-how wird chronisch unterschätzt. Die Anforderungen an den Lernenden bei dieser Form des e-Learning sind ebenfalls sehr hoch: E-Iearning by collaborating gilt zwar immer häufiger als Königsweg des Lernens mit neuen Medien - man denke nur an die Community-Bewegung (z.B. Bielaczyc & Collins, 1999): Doch Kooperation ist generell schwierig und verlangt unter virtuellen Bedingungen ein hohes Maß an Medienerfahrung, Selbststeuerungsfähigkeit und sozialer Kompetenz. Tabelle 1 stellt die verschiedenen Überblick zusammen. Aussagen zu den drei e-Learning-Varianten im 35 Tab. 1: Drei e-Learning-Varianten Leitfunktion Medien zur e-Learning durch: Anforderungen an den Lernenden Distribution von Information Informationsrezeption + selbstgesteuerte Informationsverarbeitung Interaktion zw. Nutzer + System angeleitete Informationsverarbeitung + selbstorganisiertes Üben Sei bststeueru ngsfähigkeit; Medienkompetenz; ausreichendes Vorwissen; insg. hohe Anforderunqen Motivation; Fähigkeit zur Selbstorganisation; insg. eher niedrige Anforderungen Kollaboration zw. Lernenden eigenständige Wissenskonstruktion + soziales Problemlösen Sei bststeueru ngsfäh igkeit; Medienerfahrung' soziale Fähigkeiten; insg. sehr hohe Anforderungen 8. Die Integrations kraft des Blended Learning Aufgaben des Entwicklers! Mediengestalters Lernfreundliche Informationsgestaltung Lernfreundliche Info.gestaltung + Gestaltung von Instruktionen, Übungen, Aufgaben, Feedback + Antworten Lernfreundliche Info.gestaltung + Gestaltung von Instruktionen, Aufgaben sowie inhaltlichen + sozialen Kontexten Rolle des Lehrenden Keine Personen in der Rolle des Lehrenden erforderlich Lehrender als Lernberater oder Tele-Tutor möglich Lehrender als Initiator und Moderator!Coach notwendig J Als eine Form des~-Learning greift ~ded Learning die oben beschriebenen Varianten des Lernens und damit auch verschiedene Methoden des Lehrens auf und realisiert sie mit alten und neuen Medien. Es werden sowohl Informationen vermittelt u~t ein eller rezeptives Lernen gefördert als auch Anregung zur aktiven Wissenskonstruktion (allein oder in der Gruppe) gegeben; die Medienwahl erfolgt situativ. Der Blended Learning-Ansatz nimmt für sich in Anspruch, an den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Lernenden anzusetzen und von daher "anschlussfähige" Informationen zur persönlichen Wissenskonstruktion zu bieten; gleichzeitig aber wird eine systematische Wissensvermittlung nicht verweigert (Hanft & Müskens, 2002). Es findet beim Blended Learning also nicht nur ein Medien- und Methodenmix statt; auch die dem Lernen und Lehren zugrunde liegende Auffassung lässt sich nicht einem einzigen (erkenntnis-)theoretischen "Lager" zuordnen - jede Theorie des Lernens kann prinzipiell zur Anwendung kommen V-a diesern--Hintergrund kommt unter anderem der Kenntnis einschlägiger Lerntheorien für die Konzeption von eLearning- bzw. Blended Learning-Szenarios eine oft unterschätzte Bedeutung zu. 8.1 Existenz und Notwendigkeit verschiedener Lerntheorien Drei große Theoriegebäude. Es gibt bis dato keine Theorie des Lernens, die alle Veränderungen von Wissen und Können auf den verschiedensten Komplexitätsstufen zufriedenstellend beschreiben und erklären könnte - und es wird eine solche wohl auch nie geben. Auf einen einfachen Nenner gebracht, kann man sagen, dass sich im Bereich der Lehr-Lernforschung drei große Theoriegebäude finden lassen, die auch für das e-Learning von Bedeutung sind: der Behaviorismus, der Kognitivismus und der Konstruktivismus. Die genannte Reihenfolge spiegelt die Chronologie der. Entwicklung dieser Theorien wieder, ohne dass jedoch einer der Ansätze im Laufe der Zeit von der Bildfläche verschwunden ist - was auch nicht funktional wäre, denn: \ 36 "Im Alltag der täglichen Lernprozesse werden wahrscheinlich unterschiedliche Lernprozesse zu beobachten sein, für die je nach konkretem Einzelfall einmal behavioristische Lerntheorien, ein andermal kognitivistische oder konstruktivistische Ansätze für die theoretische Erklärung nützlich sind. Es dürfte einleuchten, dass für die Konstruktion von Lernwelten, auch für das Design von elektronischen Lernangeboten die Kenntnis gewisser Lerntheorien und der Bezug zu bestimmten Lernkonzepten unverzichtbar sind" (Dichanz & Ernst, 2001, S. 30 f.). Behaviorismus und Kognitivismus. Behavioristische Lerntheorien sehen im Lernen eine Reiz-Reaktions-Abfolge, die entweder konditionierbar ist oder verstärkt werden kann. Worauf es aus behavioristischer Sicht in Lehr-Lernsituationen folglich ankommt, ist geeignete Stimuli zu setzen und den Reaktionen ein angemessenes Feedback folgen zu lassen. Was dazwischen passiert, ist nicht weiter von Interesse und gehört in die Black Box. Für das Training von körperlichen, zum Teil auch kognitiven Fertigkeiten hat sich eine solche Auffassung von Lernen (mit Einschränkung) bewährt. Für höhere Lernprozesse aber mangelt es dem Behaviorismus eindeutig an Aussagekraft. Kognitivistische Ansätze sprechen dem Lernenden ein höheres Maß an Aktivität beim Lernen zu: Lernprozesse wel·den analog zum Computer als Prozesse der Informationsverarbeitung interpretiert, für die man nach Algorithmen sucht, die sich in Lehr-Lernsituationen anwenden lassen. Der Kognitivismus sieht den Lernenden nicht mehr nur als passiven Rezipienten; vielmehr wird ihm die Fähigkeit zur aktiven und eigenständigen Aufnahme und Verarbeitung von Information sowie zum Lösen von Problemen zugestanden, die in didaktischen Situationen entsprechend aufbereitet werden. Dies kommt der Komplexität des menschlichen Lernens immerhin schon näher als der behavioristische Ansatz; den realen Alltag des Lernens, in dem man selten auf präparierte Probleme trifft, die sich regelgeleitet lösen lassen, können auch kognitivistische Prinzipien nicht einfangen (vgl. Baumgartner, Laske & Weite, 1999). Konstruktivismus. Lernen wird im Konstruktivismus als Prozess der eigenaktiven Wissenskonstruktion gesehen, der individuell und selbstgesteuert abläuft und von außen allenfalls angeregt und unterstützt, aber weder gesteuert noch kontrolliert werden kann. Der Begriff des Konstruktivismus ist vieldeutig und vielschichtig (vgl. Terhardt, 1999). Der sog. radikale Konstruktivismus ist eine Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, der zufolge alles, was der Mensch wahrnimmt, auf subjektive Konstruktion und Interpretation zurückzuführen ist (von Glasersfeld, 1987). Daneben gibt es in Disziplinen wie Biologie, Soziologie und Psychologie konstruktivistische Strömungen. Für die Pädagogik hat sich der sog. neue Konstruktivismus als einflussreich erwiesen: Hier ist die Annahme zentral, dass Wissen keine Kopie der Wirklichkeit, sondern eine Konstruktion von Menschen ist: Wissen ist weder ein "transportierbarer" Gegenstand noch dieAbbildung eines äußeren Gegenstandes - mit entsprechenden Grenzen für die Vermittlung von Wissen. In Lehr-Lernsituationen bedeutet das, dass konstruktivistische Ansätze nicht das Lösen didaktisch aufbereiteter Probleme, sondern das eigenständige Auffinden und Konstruieren von Problemen sowie den Umgang mit authentischen Situationen in den Vordergrund rücken. Festzuhalten gilt: "Der Konstruktivismus ist keine Supertheorie und erst recht keine Heilslehre. Er 'widerlegt' andere Theorien nicht - auch nicht den Behaviorismus. Er nimmt eine ande- 37 re Beobachterperspektive zur Welt ein ... und erweitert so das Spektrum der Erkenntnismöglichkeiten" (Siebert, 2001, S. 328). 8.2 Instruktion und Konstruktion Behavioristische, kognitivistische und konstruktivistische Lerntheorien haben unterschiedlichen Einfluss darauf, was in Lehr-Lernsituationen fokussiert wird: Zum einen können nämlich die Auswahl und Zusammenstellung von Lehrmethoden (mit dem Ziel, "Lernen zu machen") und damit Aktivitäten des Lehrenden - oder pointiert formuliert: die Instruktion - im Vordergrund stehen; zum anderen können Motivation, Vorwissen, Verstehensprozesse sowie der Aufbau und die Anwendung von Wissen seitens des Lernenden - also die Konstruktion - Mittelpunkt des Interesses sein. Lehrerzentrierte Informationsvermittfung. Systematische Unterrichts- und Lehrplanung, angeleitetes und fremdgesteuertes Lernen, Frontalunterricht, strenge Fächergrenzen und strikte Lernkontrolle - das sind Merkmale, die in vereinfachter Form das Lernen und Lehren nach behavioristischen und kognitivistischen Prinzipien26 kennzeichnen. Man kann auch von einer lehrerzentrierten Informationsvermittlung (Rheinberg et al., 2001) oder vom Primat der Instruktion sprechen. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie Lernende am besten anzuleiten, in ihren Lernprozessen zu steuern und Lernerfolge zu kontrollieren sind. Ziel ist der "Transport" didaktisch aufbereiteten Wissens vom Lehrenden zum Lernenden. Der Lehrende gilt als der Präsentierende und Erklärende, der die zu lern,enden Inhalte in geplanter und organisierter Form vorgibt; die Lernenden sind passive oder rezeptive Informationsempfänger. Diese Form der Informationsvermittlung blickt auf eine lange Tradition zurück und hat sich in vielen Fällen durchaus als wirkungsvoll erwiesen. Dennoch sind die Probleme unübersehbar (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a): Neben theoretischen Unklarheiten und empirisch heterogenen Befunden sind vor allem praktische Schwierigkeiten von Bedeutung. Zu nennen sind etwa demotivierte und gelangweilte Lernende, Mängel im Aufbau von Kulturtechniken und Basiswissen sowie Defizite in der Entwicklung überfachlicher Fähigkeiten wie Medienkompetenz, soziale Kompetenz, Lernkompetenz etc. Lernerorientierte Unterstützung des Wissensaufbaus. Selbstbestimmtes und entdeckendes Lernen, handlungsorientierter Unterricht, Lernen in fächerübergreifenden Projekten und Selbstevaluation über "Produkte" aus selbständiger Arbeit - das sind Schlagwörter, mit denen man eine alternative Form des Lernens und Lehrens verbindet, die man unter die konstruktivistische Lehr-Lernauffassung subsumieren kann. Diese hat ebenfalls Tradition, nämlich in der deutschen Reformpädagogik und im amerikanischen Pragmatismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts; allerdings konnte sich der Konstruktivismus (vgl. Abschnitt 8.1) als Grundphilosophie im Bildungsalltag nicht so durchsetzen wie die kognitivistische Lehr-Lernauffassung. Man kann auch von einer lernerorientierten Unterstützung des Wissensaufbaus (Rheinberg et al., 2001) oder vom Primat der Konstruktion sprechen. Hier interessiert weniger die Frage, wie Wissen vermittelt wird (also die Instruktionsfrage) als vielmehr die Frage, wie Wissen zu Handeln wird und wie man Lernende darin unterstützen kann, eigen- Außer zum Ferligkeitserwerb trifft man heute nur noch selten auf rein behavioristisch gestaltete Lernumgebungen. 26 38 aktivanwendungsbezogenes Wissen zu entwickeln (also die Konstruktionsfrage). Der Lernende übernimmt hier eine aktive, selbstgesteuerte Rolle, während dem Lehrenden die Aufgabe zukommt, (a) Lernsituationen zu arrangieren, die motivieren und möglichst authentische Problemstellungen (die manchmal auch erst "entdeckt" werden müssen) beinhalten, (b) "Werkzeuge" zur Problembearbeitung zur Verfügung zu stellen, die auf andere Situationen übertragen werden können, und (c) den Lernprozess zu begleiten und die Begleitung zugunsten einer zunehmenden Selbststeuerung auszublenden. Doch auch die konstruktivistische Auffassung hat mit theoretischen, empirischen und praktischen Problemen zu kämpfen: Zentrale Schwierigkeiten sind kognitive Überforderung durch offene und zu wenig angeleitete Lernprozesse sowie Lernprozesse, die wegen mangelnder Selbststeuerungsfähigkeit nicht zu den erhofften Lernergebnissen führen (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a). 8.3 Integration durch Blended Learning auf mehreren Ebenen "Es gibt Lehr-Lernsituationen, in denen es didaktisch angemessen ist, ein Grundlagenwissen ohne irritierende Relativierungen zu vermitteln. Es gibt aber auch LehrLernsituationen, in denen es "viabel,,27 ist, die Konstruktivit~t der Wahrheitsansprüche wissenschaftlicher, weltanschaulicher, politischer Autoritäten offenzulegen" (Siebert, 2001, S. 330). Eine solche Aussage eines bekennenden Konstruktivisten macht deutlich, dass man beim Lehren und Lernen immer mehr ein "Sowohl-als-auch" anstelle eines strikten "Entweder-oder" bevorzugt - und zwar nicht nur auf der strategischen Ebene der Lehr-Lernmethoden sowie auf der operativen Ebene der Lernmedien, sondern auch auf der normativen Ebene28 erkenntnistheoretischer Positionen. Wie kann man sich dieses "Sowohl-als-auch" auf den drei Ebenen vorstellen? Lernen und Lehren auf der Basis von Überzeugungen. Muss man sich als Lehrender entscheiden, ob man Konstruktivist oder Kognitivist ist? Ist ein "Bekenntnis" zu einer Seite notwendig? In der Theorie ist man mitunter geneigt, eine solche Frage mit "ja" zu beantworten, weil eine eindeutige theoretische Positionierung die wissenschaftliche Argumentation erheblich erleichtert. Praktiker dagegen wehren sich meist gegen eine eindeutige Zuordnung, weil ihnen die tägliche Erfahrung zeigt, dass vor allem situative Faktoren das didaktische Handeln bedingen - Theorien haben allenfalls nachrangige Bedeutung. Studien zeigen zwar, dass es so etwas wie epistemologische Überzeugungen gibt, nach denen Lehrende handeln, ohne dass diese vollkommen bewusst sein müssen (z.B. Rheinberg et al., 2001). Das heißt aber nicht, dass implizit bestehende Überzeugungen eindeutig zu einer theoretischen Position gehören. Neben derartigen Befunden mehren sich auch auf der Metaebene die Stimmen, die eine integrative Lehr-Lernauffassung postulieren - eine Auffassung also, die eine konzeptionelle Brücke zwischen kognitivistischen29 und konstruktivistischen Annahmen schlagen kann (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a). Integration auf der~normativen Ebene. Greift man an der Stelle noch einmal auf die oben verwendeten Begrifflichkeiten zurück (vgl. Abschnitt 8.2), dann besteht eine integrative Auffassung von Lernen und Lehren darin, die lehrerzentrierte InformationsMit .Viabilität" ist im Rahmen des Konstruktivismus "Nützlichkeit" gemeint. Die folgenden Merkmalsbezeichnungen .normativ", .strategisch" und .operativ" sind der Managementlehre entlehnt, bieten sich aber an der Stelle auch für unser Thema an. 29 mit Einschränkung auch behavioristischen. 27 28 39 vermittlung (also das Primat der Instruktion) und die lernerorientierte Unterstützung des Wissensaufbaus (also das Primat der Konstruktion) miteinander zu verbinden und zwar derart, dass es dem Gegenstandsbereich, dem Lehr-Lernziel, vor allem aber den Lernenden dienlich ist. Von daher ist eine gemäßigt konstruktivistische Auffassung die Grundhaltung einer integrativen Position - trotz aller "Mischungen". Vor dem Hintergrund einer integrativen Position findet kein radikaler Funktionswandel des Lehrenden vom "didactic leader" zum "coach" statt. Vielmehr übernimmt der Lehrende situationsorientiert multiple Funktionen, die vom Präsentieren, Strukturieren, Anleiten und Erklären bis zum Anregen, Beraten und Kooperieren reichen. Doch auch hier gibt der Lernende (mit seinen Voraussetzungen und Zielen) den Maßstab der didaktischen Integration vor. In einer Studie bei Hochschuldozenten zeigte sich, dass diese am häufigsten eine kognitivistische, in selteneren Fällen eine konstruktivistische Auffassung haben, dass es aber auch integrative Positionen im hier beschriebenen Sinne gibt Ein Hochschullehrer mit integrativer Lehr-Lernauffassung "versteht sich nicht länger als bloßer Vermittler' oder 'Präsentierer' des Fachwissens, sondern zusätzlich als Tutor, der die Studierenden anleitet, das Wissen selbstständig zu erweitern und zu vertiefen .... Zwar ist der Dozent weiterhin alleine für die Inhalte der Lehre verantwortlich, doch vom Studenten wird erwartet, dass er sich innerhalb dieses Rahmens eigenständig um die Aufbereitung und den Erwerb des neuen Wissens kümmert" (Rheinberg et al., 2001, S. 337). Integration auf der strategischen Ebene. Gleichsam dem Spruch, dass viele Wege nach Rom führen, gibt es im Rahmen einer normativen Entscheidung (etwa zur Rolle des Lernenden, zur Art der Förderung von Lernprozessen etc.) in der Regel mehrere methodische Möglichkeiten zur Zielerreichung. Umgekehrt können methodischen Entscheidungen unterschiedliche Lehr-Lernauffassungen zugrunde liegen - auch beim e-Learning: Wie wir gesehen haben (vgl. Abschnitt 7.2), stellen verschiedene eLearning-Varianten unterschiedliche Anforderungen an Lernende (und Lehrende) und zwar deshalb, weil sie sehr verschiedene Formen des Lernens nahe legen. Elearning by interacting z.B. funktioniert in aller Regel nach behavioristischen und/ oder kognitivistischen Prinzipien: CBTs und WBTs "trainieren" den Nutzer nach Prinzipien des operanten Konditionierens und/oder bieten vorgefertigte Problemstellungen an, die man interaktiv bearbeiten kann. Es gibt allerdings auch Simu/ationen, Planspiele und Modellbildungssysteme, die man dem e-Iearning by interacting zuordnen kann und die auch konstruktivistische Elemente umfassen, indem man sich Wissen durch Exploration im System erarbeitet. E-Iearning by distributing dagegen führt den Lernenden in eine didaktisch "unverfälschte", weil unbearbeitete Situation, in der er völlig eigenverantwortlich dafür sorgen muss, dieses e-Learning-Angebot zur Konstruktion neuen Wissens heranzuziehen. E-Iearning by collaborating schließlich verlangt Prozesse im Umgang mit Wissen, Problemstellungen und sozialen Situationen (im virtuellen Raum), die meist konstruktivistischen Charakter haben; dies gilt umso mehr, je offener die Interaktionsräume sind (vgl. Kerres, de Witt & Stratmann, 2002). Bei zunehmender Anleitung und Vorstrukturierung der virtuellen Kommunikation und Kooperation (etwa durch Vorgabe bestimmter Rollen und/oder sequentieller Lernwege) können aber auch beim e-Iearning by collaborating kognitivistische Elemente hinzukommen. 40 Integration auf der operativen Ebene. Medien wie das Buch, die Audio-Kassette, der Videofilm, der Hypertext auf CD-ROM, die interaktive Grafik im Netz, die Lernplattform mit Diskussionsforum etc.30 sind zunächst einmal Transportmittel, sodass (mit Einschränkungen) ein und derselbe Lehr-Lerninhalt je nach gewähltem Medium unterschiedlich distribuiert werden kann, ohne dass sich für den Lernenden damit größere Unterschiede ergeben: So kann man sich einen bestimmten Gesetzestext aus einem Buch holen oder ihn als elektronisches Dokument auf den heimischen Computer laden - in beiden Fällen wird der annähernd gleiche Lernprozess ablaufen. Medien sind allerdings auch Mittler von Wirklichkeit und als solche nicht ohne Wirkung auf die Darstellung, Aufnahme und Verarbeitung der vermittelten Lehr-Lerninhalte durch die Lernenden: Der Gesetzestext als Audio-File im Internet (oder auf Kassette) kann dem Lernenden zwar denselben Dienst erweisen als das schriftlich vorliegende Dokument; genauso gut aber kann die mündliche Darstellung derart sein, dass der Lernende etwa durch paraverbale Signale auf bestimmte Passagen mehr achtet als auf andere; möglicherweise wird er auch andere Lernstrategien auf den gesprochenen Text anwenden als auf den niedergeschriebenen. Jedes Medium schließlich hat eigene Charakteristika, die dieses Medium für verschiedene LehrLernmethoden besonders "empfänglich" und für andere wiederum ungeeignet machen: Wird den Lernenden der Gesetzestext auf CD-ROM verteilt, legt dies ein vorrangig selbstgesteuertes Lernen nahe; zudem bietet sich gerade das Offline-Medium CD-ROM dazu an, den Text z.B. durch ein Video anzureichern, denn es gibt mit diesem Medium kaum Platzprobleme und vor allem keine zusätzlichen Kosten für den Lernenden (vgl. Schulmeister, 2001). Wird den Lernenden der Gesetzestext dagegen online zur Verfügung gestellt, bietet sich (neben dem individuellen Lernen in Eigenregie) eine kooperative Bearbeitung z.B. über asynchrones Diskutieren mit anderen an; zudem liegt die Recherche nach weiteren Informationen nahe, die sich dann mit dem Ausgangsmaterial verlinken lassen. Induktive und deduktive Wege zum Blended Learning. Wenn man sich an dieser Stelle noch einmal die gängigen Definitionen des Blended Learning als "gemischtes Lernen" in Erinnerung ruft (vgl. Abschnitt 6.2), wird deutlich, dass die Integrationsleistung auf der strategischen und operativen Ebene gewissermaßen inhärentes Merkmal dieser Form des e-Learning ist. Die Entstehungsgeschichte des Blended Learning-Begriffs hat gezeigt, dass vor allem Unzufriedenheit und Enttäuschung, aber auch Kostenprobleme dazu geführt haben, auf hybride Lernarrangements zu setzen, in denen e-Learning "das Alte" (also traditionelle Lehr-Lernformen und -medien) nicht ersetzt, sondern darauf aufbaut. Von daher ist das Blended Learning zunächst einmal induktiv aus Erfahrungen und Erfordernissen der Praxis heraus entstanden. Eine kurze Analyse verschiedener Lerntheorien und Auffassungen vom Lernen und Lehren hat gezeigt, dass sich ein "Mix" von Methoden und Medien auch auf einer theoretischen Ebene nicht nur rechtfertigen, sondern postulieren lässt - und das nicht erst seit gestern: Mehrere Jahre schon mahnen verschiedene Stimmen integrative Konzepte an - und so mancher Hardliner hat sich bereits zu einer Kombination verschiedener theoretischer Elemente hinreißen lassen (z.B. Anderson, Greeno, Reder & Simon, 2000). Blended Learning findet also auch auf einem de30 An der Stelle wird auf eine Differenzierung des Medienbegriffs, wie sie z.B. Weidenmann (2002) vornimmt, verzichtet, und es werden statt dessen Geräte, verwendete Symbolsysteme und angesprochene Sinnesmodalitäten gleichermaßen miteingeschlossen. 41 duktiven Wege die nötige Bestätigung, die neben einer Mischung von Methoden und Medien sogar eine Kombination theoretischer Grundannahmen "absegnet". Wenn praktische Erfordernisse und theoretische Überlegungen in dieser Weise konform gehen, dann kann dies nur von Vorteil sein - gerade auch für Innovationen in der Hochschullehre. Abbildung 5 bündelt noch einmal die gemachten Aussagen zum Integrationsvermögen von Blended Learning. Auf die dort dargestellten verschiedenen Ebenen kommen wir in Kapitel IV (Abschnitt 18) noch einmal zurück. Blended Learning Normative Ebene (Theorie) Integrative Auffassung von Lernen und Lehren: Balance zwischen Instruktion (Lehrerzentrierung) und Konstruktion (Lernerzentrierung) mit gemäßigt-konstruktivistischer Grundhaltung Strategische Ebene (Methoden) Kombination von selbstgesteuertem und angeleitetem, von rezeptiv-übendem und aktiv-explorierendem, von individuellem und kooperativem Lernen Operative Ebene (Medien) Hybride Lernarrangements mit Face-to-Face-, Online- und OfflineElementen, Beachtung und Nutzung der methodischen Impiikationen verschiedener Medien Abb. 5: Integration durch Blended Learning 9. Das Innovationspotential von Blended Learning in der Hochschullehre In Kapitel I wurde dargelegt, warum und in welcher Weise man derzeit differenzierte e-Learning-Modelle, evolutionäre Innovationsprozesse, Anschlussfähigkeit und Nachhaltigkeit fordert, wenn es um das Thema neue Medien in der Hochschullehre geht. Das erste Kapitel endete mit dem "Versprechen", im vorliegenden Kapitel aufzuzeigen, dass Blended Learning als eine neue Form des e-Learning diese Forderungen besonders gut erfüllen kann. Die vorangegangenen Abschnitte haben bereits an mehreren Stellen gezeigt, dass dies kein leeres Versprechen war. Dennoch soll im Folgenden der Zusammenhang zwischen dem Blended Learning-Ansatz und dem Thema Innovation in der Hochschullehre noch einmal explizit herausgearbeitet wer- den. 42 9.1 Didaktische Innovationen durch Blended Learning Warum Blended Learning einem modernen Innovationsverständnis entspricht. Ein modernes Innovationsverständnis hat mehrere Merkmale, die das traditionelle Verständnis von Innovation als einen "großen Wurf' von Spezialisten mit bahnbrechender Wirkung und sichtbaren Effekten erheblich erweitern (vgl. Abschnitt 1.3). Dass sich der Blended Learning-Ansatz im Rahmen eines modernen (und damit erweiterten) Innovationsverständnisses dazu eignet, Innovationen in der Hochschullehre anzustoßen, lässt sich an mehreren Punkten festmachen: (a) Blended Learning fällt in der Hochschullehre nicht weiter auf, wenn es sich dabei um eine Medien-, Methodenund Konzept-Mischung handelt, die auf die neusten technischen Entwicklungen und multimedialen Highlights mit Aufsehen erregenden Wirkungen verzichtet. Trotzdem kann es das Lernen und Lehren nachhaltig verändern, weil es keinem revolutionären Akt gleichkommt, für den man organisatorische Hürden niederreißen und Studierende mühsam überzeugen muss, sondern in kleinen Schritten wirksame Veränderungen hervorruft. (b) Die Entwicklung und Umsetzung von Blended Learning-Modellen ist nicht nur für die Medien-Pioniere der Hochschulen machbar. Auch der "normale" Hochschullehrer ist dazu in der Lage, wenn er da beginnt, wo er eigene Lehrpraxis und Expertise hat. Natürlich braucht man auch zum Blended Learning Wissen über Lerntheorien, Lehrmethoden und das didaktische Potential der neuen Medien, das aber jedem Lehrenden zumindest in den Grundzügen geläufig sein müsste31. Spezialkenntnisse und ausgeprägtes Können in den Bereichen Multimedia und Netzwerktechnologie (wie man sie etwa für die Entwicklung eines CBTs oder für die Implementation von komplexeren Lernplattformen benötigt) oder eingehende Erfahrung in der virtuellen Lehre (wie man sie z.B. für Online-Seminare braucht) sind kein K.-o.Kriterium, das einen von vornherein ausschließt, wenn man es nicht erfüllen kann. (c) Da Blended Learning bewusst am Bestehenden ansetzt und Anschlussfähigkeit sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden sucht, eignen sich Konzepte dieser Form des e-Learning besonders gut dazu, nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Blended Learning ist im Rahmen der Hochschule geradezu prädestiniert für eine inkremental-evolutionäre didaktische Innovation. Blended Learning als Prozess- und Strukturinnovation. Blended Learning im Sinne einer Medien-, Methoden- und Konzept-Mischung ist nach den definitorischen Merkmalen didaktischer Innovationen (vgl. Abschnitt 2.1) vor allem eine Prozessinnovation: Mit dem Einsatz multipler Methoden und Medien werden neue instruktionale Gestaltungen vorgenommen32 und damit Prozesse und Strategien des Lernens und Lehrens verändert. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, werden wir in Kapitel 111 mit einem Prototyp des Blended Learning - der semivirtuellen Vorlesung - genauer darlegen. Anhand der Weiterentwicklung dieses Beispiels (siehe Abschnitt 14) lässt sich zeigen, dass Blended Learning neben Prozessveränderungen auch Neuerungen in der Organisation des Lernens im Sinne einer Strukturinnovation möglich macht. Für beide Innovationsarten spielen vor allem diejenigen Merkmale des Blended Learning eine Rolle, die in den zahlreichen Synonymen wie "flexible", "hybrid", "distributed" und "integrated learning" (vgl. Abschnitt 6.2) zum Ausdruck kommen. Dass dies häufig nicht so ist, ist ein anderes und ernst zu nehmendes Problem, das durch Blended Learning aber keinesfalls verschärft, sondern bestenfalls durch eigenständiges .Iearning by doing" sogar reduziert werden kann. 32 die auch auf den Inhalt ausstrahlen können, aber keine genuin curricularen Innovationen sind. 31 43 Flexibel- hybrid/verteilt - integriert. Blended Learning ist flexibel, weil es sich per definitionem an die gegebenen Bedingungen eines Lehr-Lernkontextes (an die Inhalte, die Voraussetzungen der Studierenden, die verfügbaren Ressourcen etc.) anpasst; damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich didaktische Neuerungen aus dem Blended Learning-Ansatz in der Hochschullehre durchsetzen und zu "echten" Innovationen werden. Blended Learning arbeitet mit virtuellen und mit Face-to-Face-Anteilen und bringt damit hybride Lernarrangements hervor, in denen die Lehr-Lerninhalte auf verschiedene Medien und Methoden verteilt sind. Dabei kann und soll es stellenweise zu einer gewissen "Überdeterminiertheit" in dem Sinne kommen, dass verschiedene Elemente der Umgebung dem gleichen Ziel dienen (Kerres, 2002). Dieses Charakteristikum macht didaktische Konzepte aus dem Blended Learning-Ansatz anschlussfähig an verschiedene Lernerfahrungen und Lernstile der Studierenden; und da die Akzeptanz der Lernenden erforderlich ist, um aus einer guten Idee eine Innovation werden zu lassen, kommt diesem Aspekt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Indem Blended Learning nicht nur Medien und Methoden "mixt", sondern auch verschiedene Lehr-Lernauffassungen integriert, knüpfen diese didaktischen Konzepte an Bestehendes an, werfen gewachsene Strukturen, Einstellungen und Routinen zum Lernen nicht schlagartig über Bord, sondern binden sie in neue Vorgehensweisen ein, um sie allmählich zu verändern. Es ist vor allem diese Integrationskraft, die es möglich macht, dass didaktische Konzepte aus dem Blended Learning-Ansatz Chancen auf eine nachhaltige Implementation in der Hochschule haben. 9.2 Überwindung von Innovationsbarrieren durch Blended Learning Dass Blended Learning-Konzepte "Innovationskandidaten" mit hohen Erfolgsaussichten sind, ist auch der Tatsache zu verdanken, dass Blended Learning eine ganze Reihe typischer Innovationsbarrieren in der Hochschule (vgl. Abschnitt 4.2) überwinden oder umgehen kann. Geld und Bürokratie. Zunächst einmal liegt es auf der Hand, dass die Chancen auf weniger Kosten höher stehen, wenn man hybride Lernarrangements anstatt aufwändiger virtueller Umgebungen mit hohem Multimedia-Anteil realisieren will. Zwar gibt es auch das Blended Learning nicht zum Nulltarif, da der Einsatz neuer Medien immer Kosten verursacht (wobei die Höhe der Kosten sowohl vom technischen Aufwand als auch vom Betreuungsaufwand in den entstandenen Veranstaltungsformen abhängt) - das Kosten-Nutzen-Verhältnis aber ist nach ersten Erfahrungen tendenziell besser als beim reinen e-Learning. Ein wesentlicher Vorteil des Blended Learning auf der Finanzierungsebene besteht darin, dass man mit relativ geringen Ressourcen beginnen und (erfolgreich) experimentieren kann, um darauf aufbauend sehr viel konkreter die notwendigen Kosten für eine Optimierung und Weiterentwicklung (auf höherer Stufe) abschätzen zu können33. Im Vergleich zum Gießkannenprinzip vieler Fördermaßnahmen34 oder zu Finanzierungsmodellen, die gewissermaßen blank (ohne Abschätzung der künftigen Kosten) entstehen, ist dies auch für die Geldgeber eine intelligente Form der Investition. Aufgrund der Tatsache, dass das Blended Learning auf Bestehendem aufbaut, steht die Implementation derartiger Konzep- Dies war auch das Modell der semivirluellen Vorlesung (siehe Kapitel 111). Gemeint ist damit die oft beobachtbare Praxis, dass alle möglichen Projekte gefördert werden, ohne dass sinnvolle Auswahlkriterien und/oder Auswahlverfahren vorgenommen werden. 33 34 44 te vor weniger organisatorischen Hürden als z.B. Online-Seminare oder virtuelle Studiengänge. Je "kleiner" die Projektgröße im Hinblick auf Finanz-, Personal- und Ressourcenvolumen ist, umso weniger fatal wirken sich bürokratische Schwierigkeiten aus, weil Entscheidungen relativ autonom getroffen werden können. Das ist natürlich keine wirkliche Bewältigung von Innovationsbarrieren wie Finanz- und Personal notstand oder Mängel im System; Blended Learning-Konzepte können diese aufgrund ihrer Eigenheiten aber besser umgehen und neue Lösungswege aufzeigen. Kompetenzen und Anreize. Wie weiter oben bereits ausgeführt wurde (vgl. Abschnitt 9.1), erfordert die Entwicklung und Umsetzung von Blended Learning-Konzepten keine außergewöhnlichen (medientechnischen) Kompetenzen und langjährigen Erfahrungen im Bereich der neuen Medien; letztlich steht es jedem Lehrenden frei, sich beim Blended Learning nicht nur den Studierenden und den Rahmenbedingungen, sondern auch den eigenen Kompetenzen anzupassen. Daneben kann das Blended Learning, so wie es in diesem Kapitel vorgestellt wurde, auch einen Beitrag dazu leisten, das Innovationsverständnis zu ändern bzw. zu erweitern: Wer (als Hochschullehrer) selbst auf eine evolutionäre Weise innovativ tätig ist und am eigenen Leibe erlebt, was es heißt (bzw. heißen kann), innovative didaktische Ideen zu entwickeln, durchzusetzen und in Routinen zu überführen, der wird auch ein breites und praxisorientiertes (und damit realistisches) Verständnis davon entwickeln und weitergeben, wie didaktische Innovationen in der Hochschullehre aussehen. Anreizsysteme gibt es allerdings auch für das Blended Learning nicht - jedenfalls sind äußere Anreize in Form von finanzieller oder immaterieller "Belohnung" besser nicht zu erwarten35. Motivierend außerhalb klassischer Anreizsysteme aber wirken Lernerfolge, kreative Lernergebnisse und zufriedene Studierende - erstrebenswerte Ziele also, die man mit Blended Learning leichter und vor allem rascher und mit höherer Wahrscheinlichkeit erreichen kann als mit anderen Formen des e-Learning. Tabelle 2 fasst die wichtigsten Punkte zum Überwinden durch Blended Learning kurz zusammen. von Innovationsbarrieren Tab. 2: Blended Learning contra Innovationsbarrieren Innovationsbarrieren (siehe Abschnitt 4.2) Finanz- und Personal· notstand Mängel im System Fehlende Anreizsysteme Kompetenzdefizite Dysfunktionales Innovationsverständnis Bewältigung/Umgehung durch Blended Learning (irn Vergleich zu e-Learning) • • ·• ·• • ·· Besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis Chance für intelligentere Investition Irnplernentation ohne zu große organisatorische Hürden Teilweise Anpassung an Bestehendes Auch hier leider keine äußeren Anreize Motivierung durch effizient zu erreichende Lehr-Lernerfolge Keine außergewöhnlichen (technischen) Kompetenzen nötig Anpassung an vorhandene Kompetenzen möglich Erweiterung des Innovationsverständnisses Erfahrungen durch eigene 35 Eigene Bemühungen, für die empirisch untermauerte Optimierung einzelner Elemente der semivirtuelIen Vorlesung (siehe Kapitel 111) an überschaubare Geldsummen zu kommen, sind fehlgeschlagen. Von sichtbarerer Anerkennung "von oben" also keine Spur! Während drittmittelfinanzierte Projekte etwa der Informatik der Universität Innovationen im traditionellen Verständnis versprechen, hat die inkremental-evolutionäre Innovation in der Hochschullehre eben kaum eine Außenwirkung - hier stellt sich das moderne Innovationsverständnis leider selbst ein Bein. 45 10. Fazit Im zweiten Kapitel dieses Buches haben wir uns zunächst mit dem neuen Schlagwort "Blended Learning" - zu Deutsch "vermischtes Lernen" - beschäftigt, mit seiner wirtschaftlichen Herkunft und mit seiner Verwandtschaft zum e-Learning, das noch vor kurzer Zeit die Innovation der Weiterbildung werden sollte. Als Form des e-Learning sind für das Blended Learning die verschiedenen Varianten des Lernens mit neuen Medien von Bedeutung, die vOllL.§elbgorganisierten Lernen mit Online- und OfflineInformationen, über angeleitet s ernen äüi'C1fTr1tera Ion mit technischen Systemen bis zu sozialem und ~ekOgenem..J..emeD io yJr:tueHen...Gr:upp_enreichen. Elearning by distributing, interacting und collaborating, wie man diese Lernformen auch nennen kann, stellen unterschiedliche Anforderungen an Lernende und Lehrende - Anforderungen, die man beim Blended Learning miteinander verbinden kann. Wir haben gezeigt, worin die derzeit viel gepriesene Integrationskraft des Blended Learning liegt und konnten drei Ebenen ausfindig machen, auf denen diese zum Tragen kommt: Auf der Ebene der Medien (operative Ebene) und der Methoden (strategische Ebene) gehört das Potential zum Kombinieren gewissermaßen zum Selbstverständnis des Blended Learning: Es gilt, verschiedene instruktionale Verfahren sowie virtuelle und Face-to-Face-Elemente und damit auch neue und "alte" Medien miteinander zu kombinieren. Das klingt zunächst einmal trivial, und es drängt sich der Verdacht auf, dass man der didaktischen Willkür ein marktfähiges Label verpasst hat. Umso wichtiger sind theoretische Möglichkeiten der Integration der kognitivistischen und der konstruktivistischen Auffassung und dazugehöriger Modelle zum Lernen und Lehren: Hier zeigt sich die Möglichkeit, auch auf der normativen Ebene eine integrative Position zu vertreten, die weder einem theoretischen Dogma noch praktischer Beliebigkeit das Wort redet: Die Mischung von Medien, Methoden und Konzepten beim Blended Learning ist vor diesem Hintergrund flexibel, aber nicht beliebig, sondern in erster Linie orientiert am Lernenden, seinen Voraussetzungen und Zielen, in zweiter Linie an Gegenstand und vorhandenen Rahmenbedingungen. Ein so verstandenes Blended Learning ist aus mindestens zwei Gründen ein erfolgversprechender "Innovationskandidat" in der Hochschullehre: Zum einen entsprechen Neuerungen durch Blended Learning infolge von Flexibilität, hybriden Lernarrangements und integrativem Charakter einem modernen Innovationsverständnis, das neben den "großen Würfen" auch die schrittweise Evolution des Neuen umfasst - und wer mit Blended Learning in der Hochschule arbeitet, wird sich diesem modernen Innovationsverständnis anschließen. Zum anderen gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass Blended Learning typische Innovationsbarrieren in der Hochschule teils bewältigen, teils (wenigstens) umgehen kann. Im Vergleich zum "reinen" e-Learning hat Blended Learning Vorteile in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis und bürokratische Gegebenheiten; die Hürden im Kompetenzbereich sind niedriger und es ergeben sich neue Möglichkeiten zum Kompetenzaufbau; an der schlechten Anreizpolitik deutscher Hochschulen in puncto Lehre kann allerdings auch Blended Learning nichts ändern - hier sind andere Akteure als die Hochschullehrer gefragt. Wie man sich Blended Learning in der Hochschullehre konkret vorstellen kann, wie sich die genannten Eigenschaften und Vorteile im realen Kontext entfalten, was die Studierenden dazu sagen und welche Ergebnisse resultieren, soll im nachfolgenden Kapitel 111 am Beispiel der semivirtuellen Vorlesung ausführlich gezeigt werden. 1 46 Kapitel 11I.Die semivirtuelle Vorlesung - ein Prototyp Learning in der Hochschullehre des Blended "Ich hoffe, dass in Zukunft mehr solcher Angebote zur Verfügung gesteilt werden können. - Für mich war die semivirtuelle Vorlesung eine richtig positive Lernerfahrung. - Selten habe ich so viel von einer Veranstaltung profitiert! - Endlich etwas Innovatives. - Ich würde mir auch in anderen Fächern mehr solche Veranstaltungen wünschen." (Online-Anmerkungen von Studierenden, Juli, 2002). Inhalt und Ziel von Kapitel 11I Während Kapitel 11sozusagen den Boden für den Kernteil dieses Buches bereitet und die Idee des Blended Learning als eine neue Form des e-Learning beschrieben hat, liefert Kapitel 111ein konkretes Beispiel für Blended Learning in der Hochschullehre: die semivirtuelle Vorlesung. Indem nicht nur das didaktische Konzept mit Zielen und Inhalten, Medien, Methoden und der pädagogischen Grundauffassung, sondern auch die Entstehungsgeschichte und die konkreten Umstände der Entwicklung der semivirtuellen Vorlesung skizziert werden, soll ein möglichst plastisches Bild von dieser Blended Learning-Veranstaltung entstehen. Was die Durchführung der semivirtuellen Vorlesung im Echtbetrieb der Hochschule bewirkt hat, welche Erfahrungen wir gemacht haben und wie die Evaluationsergebnisse aussehen, soll ebenfalls dargestellt und vor dem Hintergrund diskutiert werden, inwieweit dadurch innovative Impulse für die Hochschullehre ausgehen. Den letzten Teil des dritten Kapitels bilden Ideen zur Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung zu einem Veranstaltungskonzept, in dem die Nutzung verteilter Expertise als Mehrwert hinzukommt. Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise wird unter anderem für die Weiterbildung sowie für Kooperationen mit der Wirtschaft interessant. Übersichtsgrafik 115. 11.1 Wie die sem/virtuelle Vorlesung entstanden ist 11.2 Die Grundidee und ihre Rahmenbedingungen 12. Das didaktische Konzept • 12.1 Inhalte und Ziele 12.2 Der erwartete Fazit zu Kapitel 111 I q Überleitung zu Kapitel IV 14. Weiterentwicklung: Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise 14.1 Die Kernidee 14.2 Das mediendidaktische 14.3 Der Mehrwert Szenario Nutzen 12.3 Medien,Methodenund piidagogisches Grundkonzept 12.4 Technische Umsetzung und Ablauf 13. Die Evaluation: Erfahrungen und Ergebnisse 13.1 Das Evaluationskonzept 13.2 Die Evaluationsergebnisse 13.3 Die Frage nach der didaktischen Innovation 13.4 Verbesserungs ideen 47 11. Entstehungsgeschichte und Grundidee der semivirtuellen Vorlesung Im dritten Kapitel geht es vorrangig darum, die Möglichkeit der didaktischen Innovation an der Hochschule durch Blended Learning an einem konkreten Beispiel festzumachen. Dieses Beispiel soll auch entsprechend authentisch eingeführt werden: Es wird im Folgenden beschrieben, wie und unter welchen Umständen es zur Entwicklung der semivirtuellen Vorlesung als einem Prototyp des Blended Learning gekommen ist und welche gundlegenden Überlegungen dahinter stecken. Um den Grad der Authentizität dieser Einführung zu erhöhen, wird der Abschnitt 11.1 in der Ich-Form geschrieben; ein "wir" würde an dieser Stelle auch nicht stimmen und ein "man" zu falschen Generalisierungen verleiten36. 11.1 Wie die semivirtuelle Vorlesung entstanden ist Oktober 2001. Ich bin neu an der Universität Augsburg und habe eine Professur für Medienpädagogik (ohne festen Mitarbeiter) übernommen. Ich weiß in etwa, was auf mich zukommt: Von ca. 400 Studierenden war bei der Berufung die Rede (ein paar Wochen später erfahre ich, dass wir 140 Studierende im ersten Semester haben, die zu den 400 Studierenden noch dazu kommen), von inhaltichem Chaos wegen häufigem Wechsel der Professorenlinnen (was man an mehreren Schichten Ordnern und Papieren der Vorgänger im Büro anschaulich ablesen kann), von verunsicherten und entsprechend skeptischen jungen Menschen, die sich fragen, was und wer nun wieder auf sie zukommt (die Fachschaft ist folglich aufgeschreckt und sitzt alle zwei Wochen in meinem Büro). Wie es in Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften so ist, waren auch die Inhalte und Ziele mit den wechselnden Professoren/innen permanenten Veränderungen unterworfen: Was sollen wir lernen, was müssen wir wissen, was kommt in der Prüfung dran? Fragen wie diese sind verständlich, wenn es an Struktur und Orientierung fehlt - noch dazu in einem eher jungen und interdisziplinär bearbeiteten Fach wie der Medienpädagogik, in dem konsensfähige Curricula ohnehin nicht zur Verfügung stehen. Mich befällt ein wenig Panik, weil mehrere Dinge im Prinzip sofort gemacht werden müssten: dem Fach eine Struktur vor Ort geben, Lehrveranstaltungen abhalten und im Hinblick auf die neue Struktur vorausplanen, eine Homepage mit allen notwendigen Informationen machen, Vertrauen unter den Studierenden gewinnen ... und das ohne eigene große Vorerfahrungen. November 2001. Das Semester ist im Gange. Es gibt eine überschaubare, mit Lehrbeauftragten gerade ausreichende Anzahl an Lehrveranstaltungen, die wichtigsten Infos zu Studium und Lehre der Medienpädagogik stehen im Internet, die Beseitigung des Büromülls wird kurzerhand auf die kommende vorlesungsfreie Zeit verschoben. Bei der Festlegung von Themen für die anstehenden Prüfungen wird mir die inhaltliche Fragmentierung des Faches (vor Ort) so richtig bewusst. Die Seminare sind im Prinzip37 viel zu groß, um Lehrmethoden anzuwenden, die die Teilnehmer zu Die folgenden Ausführungen sollen den Kontext der Entstehung der semivirluellen Vorlesung deutlich machen, weshalb auf Beschönigungen verzichtet wird; wenn manche Äußerungen etwas provokativ klingen (weil einen die Situation dazu verleitet), geschieht dies in keiner Weise als Angriff gegen i'jlendwelche Personen, die letztlich auch immer nur "im System" handeln und entscheiden können. 3 "Im Prinzip" deshalb, weil wir in den großen Seminargruppen trotzdem versucht haben, das klassische Referatseminar zu vermeiden und motivierendere Verfahren einzusetzen - was in Grenzen und mit Einschränkung auch möglich war. 36 48 aktiver und intensiver Mitarbeit sowie zu problemorientiertem und kooperativem Lernen bewegen könnten. Ein virtuelles Seminar (angeboten über die Virtuelle Hochschule Bayern; vhb), das ich noch einnmal leite38, wird von keinem Augsburger Studierenden besucht - die Skepsis gegenüber virtuellen Lehr-Lernangeboten ist einfach zu groß. Muss ich mich verabschieden von hoch-interaktiven (weil kleinen) Seminaren, vom Einsatz der neuen Medien und Pionierarbeiten wie dem "virtuellen Wissensmanagement-Seminar"? Muss ich mich der Kraft des Faktischen beugen und - wie ein Kollege - einfach nur noch Vorlesungen mit Abschlussklausuren abhalten, um das Mengenproblem bewältigen zu können? Ende November komme ich zu dem Entschluss: Nein! Ich will (mir) zeigen, dass man die neuen Medien auch sinnvoll in die Präsenzlehre einbauen kann, und zwar in einer die Studierenden nicht überfordernden Weise; und ich will (mir) beweisen, dass auch jenseits der paradiesischen Teilnehmerzahl von 28 Lernen ein aktiver und sozialer Prozess sein kann, der nicht Langeweile auslöst, sondern Interessen weckt. Auf einem ersten internen Papier notiere ich die wichtigsten Ziele des Vorhabens mit einfachen Worten: Eine neue bzw. andere Form des e-Learning für den regulären Hochschulbetrieb entwickeln, mit der es möglich wird, (a) dass die Studierenden Orientierungswissen erwerben, (b) dass sie - trotz des "Massenproblems" - aktiv und konstruktiv arbeiten, (c) dass sie Medienkompetenz in und ducrh die Veranstaltung aufbauen. Dezember 2001. Ich sitze am Entwurf einer Vorlesung für das Sommersemester, die teils klassisch als Face-to-Face-Sitzungen, teils virtuell in einer netzbasierten Umgebung ablaufen und von Hypertexten begleitet werden soll, die das traditionelle Skript ersetzen. Die didaktische Grundidee ist simpel: Alle zwei Wochen mache ich eine Vorlesung wie gehabt; dazwischen lernen und vertiefen die Studierenden den jeweiligen Themenblock eigenständig anhand einer CD-ROM. Es soll Aufgaben geben, die man in der Gruppe löst - und zwar obligatorisch und mehrfach im Semester, sodass man sich eine Klausur am Ende des Semesters sparen kann. Die Lösungen sollen im Netz für alle sichtbar sein - nicht nur für mich. Vielleicht motiviert das die Studierenden? Ich diskutiere das Grundgerüst mit einem Kollegen aus einem anderen Projekt und mit meinen studentischen Mitarbeiter; es entsteht ein zweites internes Papier, auf dem die wichtigsten Prinzipien der neuen Veranstaltung festgehalten sind. Wesentlich zeitaufwändiger ist die Gestaltung der Inhalte: Da aber auch eine gute "klassische" Vorlesung seine Vorbereitungszeit braucht, intensive Literaturrecherchen und eine sorgfältige Strukturierung erfordert, lohnt in meinen Augen der Mehraufwand: Ich mache Übersichtsgrafiken, schreibe überschaubare Informationsblöcke und suche nach sinnvollen Möglichkeiten der Verlinkung - immer mit dem Ziel im Kopf, dass die Studierenden Orientierung und damit einfache, aber wirksame "Gerüste" für die wichtigsten Themenbereiche der Medienpädagogik brauchen. Januar 2002. Das Schreiben der Hypertexte ist mühsam - es kommt einem kleinen Buch gleich; gleichzeitig muss ich meine lineare Denkweise immer wieder revidieren, umschreiben und dazulernen. Ende Januar steht die erste Version des Manuskripts. Ich habe noch nie eine CD-ROM gemacht - was mache ich jetzt eigentlich mit dieser Rohfassung, damit daraus ein elektronisches Dokument mit bildschirmfähigen Grafiken, Links und handhabbarer Navigation wird? Die Planungen für das kommende Durchführung des virtuellen Seminars .Einführung in das Wissensmanagement" von 1998 - 2001 (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 b). 38 49 Sommersemester laufen bereits an: Ich gebe die semivirtuelle Vorlesung "Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" in die Vorankündigungen der Fakultät. Aber ist das bis dahin zu schaffen? Für die CD-ROM-Erstellung hole ich mir dann doch lieber Hilfe von außen39; auch die studentischen Mitarbeiter packen mit an. Es entsteht eine einfache, aber funktionale CD-ROM mit ca. 100 Seiten Text - verpackt in kleine Informationseinheiten und insgesamt fünf Themenblöcke mit Übersichtsgrafiken und problemorientierten Aufgaben. Februar 2002. Die Frage des Online-Forums steht an. An der Fakultät hat man keine Erfahrungen und (nach ersten Auskünften) auch keine Möglichkeiten für interaktive Vorhaben, die eine Lernplattform erforderlich machen. In München hatten wir (für das virtuelle Seminar) das Glück, einen begabten Studierenden zu haben, der dem Institut eine gut funktionierende Plattform "gebaut" hat - was natürlich einige Jahre Zeit in Anspruch nahm. Ich rufe diverse Firmen aus der "e-Branche" an und falle fast vom Stuhl, als man mich über Preise und Einarbeitungszeiten informiert - alles unrealistisch, noch dazu im gegebenen Zeitrahmen. Ein bekannter Informatiker rät mir zum BSCW40, einer für Universitäten kostenlosen Plattform, die stabil und einfach zu handhaben ist - heißt es - und diese Information ist richtig. Nur: Das hiesige Rechenzentrum kennt kein BSCW. Aber ich kenne einen Informatik-Professor an der TU-München, der einen BSCW-Server hat; und dieser nimmt unser Vorhaben aur1. März, April 2002. Wir testen das BSCW, und wir testen und verbessern die CD-ROM; wir brennen 160 CD-ROMs und überlegen, was im April wohl passieren wird, wenn wir jedem Studierenden eine CD-ROM in die Hand drücken, eine Einladung ins BSCW (per e-Mail) schicken und nur noch alle zwei Wochen eine Face-to-FaceSitzung haben. Alle in unserem kleinen Team sind gespannt, aber auch ein wenig beunruhigt, weil die Vorankündigung für die neue Veranstaltung nicht nur begeisterte Gesichter hervorruft. Mitte April fällt der Startschuss .... 135 Studierende beginnen mit der semivirtuellen Vorlesung "Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis". Die Bezeichnung "Blended Learning" (oder gar "e-Learning") unterlassen wir - wir wollen niemanden beunruhigen. 11.2 Die Grundidee und ihre Rahmenbedingungen Keine untypische Situation. Vergleicht man Daten zur Situation in den Geistes- und Sozialwissenschaften (vgl. Abschnitt 3.3) mit der geschilderten Ausgangssituation für die semivirtuelle Vorlesung, so wird deutlich, dass diese keineswegs untypisch ist: Es mangelt an guter technischer Ausstattung, die neuen Medien sind alles andere als selbstverständlicher Bestandteil in der Lehre und die Einstellung der Studierenden (und Lehrenden) gegenüber virtuellen Lernangeboten ist reserviert bis ablehnend. Dazu kommt in unserem Fall die Tatsache, dass das Fach (bei der gegebenen Besetzung mit nur einer Person) überlaufen ist42, und dass die Studierenden vor dem Hintergrund schlechter Erfahrungen unzufrieden und fordernd sind. Einer von mehreren Gründen für diese Unzufriedenheit und fordernde Haltung ist das Fehlen von von Gertrud Kemper (ÄSOP) BSCW: Basic Support for Cooperative Work; siehe Abschnitt 12.3. 41 An der Stelle gilt noch einmal Herrn Prof. Dr. Schlichter und seinem Mitarbeiter Herrn Dr. Koch herzlicher Dank für die unbürokratische und hilfreiche Unterstützung. 42 Diese Situation trifft man im Übrigen sehr häufig in den Wirtschaftswissenschaften an. 39 40 50 Orientierung und (inhaltlichem) Überblick bei den Studierenden - ein Grund, der im Fall Augsburg durch den häufigen Professorenwechsel erklärbar war, der aber auch auf anderen Wegen entstehen kann und keineswegs ein Einzel- oder Sonderfall ist. In Bezug auf die Lehr-Lerninhalte gilt auch für die Medienpädagogik, dass die Wissensvermittlung bis dato eher textlastig erfolgt ist, was dem Gegenstand nicht unbedingt angemessen ist. Kurz: Die geschilderte Ausgangssituation bietet keine geeigneten Bedingungen etwa für e-Learning, wie wir es in Kapitel 11beschrieben haben (vgl. Abschnitt 7) - ein Blended Learning-Ansatz ist nach dem bisher Gesagten schon eher nahe liegend. Die zugrunde liegende Idee. Die semivirtuelle Vorlesung war von Anfang an als ein (medien-)didaktisches Konzept gedacht, das (entsprechend eines modernen Innovationsverständnisses) die neuen Medien nachhaltig in der Hochschullehre einsetzt und mit der klassischen Lehrform der Vorlesung verknüpft. Wichtig dabei ist, dass es nicht darum geht, die klassische Vorlesung virtuell anzureichern und damit den Vorlesungscharakter weitgehend beizubehalten; vielmehr sollen die verschiedenen Medien und Methoden im Sinne des Blended Learning so miteinander verbunden werden, dass - trotz Anschlussfähigkeit an die traditionelle Vorlesung - etwas Neues entsteht. Ebenfalls von Beginn an "mitgedacht" war die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung hin zu einem Blended Learning-Konzept, das die an verschiedenen Hochschulen verteilte Expertise zu einem Fach heranzieht; wir kommen in Abschnitt 14 noch genauer darauf zu sprechen. Das Konzept der semivirtuellen Vorlesung und seine Weiterentwicklung basiert auf einer gemäßigt-konstruktivistischen Auffassung von Lernen und Lehren (vgl. Abschnitt 8) sowie auf mehrjährigen Erfahrungen mit virtuellen Seminaren. Vor diesem Hintergrund war und ist es erklärtes Ziel, eine Balance zwischen theoretischen und praktischen Erfordernissen herzustellen, verschiedene Aspekte von Medienkompetenz bei den Veranstaltungsteilnehmern schrittweise aufzubauen und einen anschlussfähigen Veranstaltungstypus zu erarbeiten, der langfristig auf die gesamte Lehre Einfluss haben kann. Die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des Blended Learning. Wir verstehen die semivirtuelle Vorlesung als einen Prototypen des Blended Learning, dessen Merkmale die Chance einer inkremental-evolutionären Innovation (vgl. Abschnitt 1.3) in der Hochschullehre mit sich bringt: (a) Die semivirtuelle Vorlesung beinhaltet neue Ideen für die Lehrform "Vorlesung", für die bislang vorrangig technikintensive Tele-Teaching-Modelle (ohne besonderen didaktischen Mehrwert) vorhanden waren. (b) Die semivirtuelle Vorlesung berücksichtigt die oft vorfind baren ungünstigen Bedingungen an Hochschulen vor allem in stark nachgefragten Fächern sowie Defizite in der Medienkompetenz von Studierenden (insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften), die reine e-Learning-Konzepte als Standardmodell nicht sinnvoll erscheinen lassen. (c) Die semivirtuelle Vorlesung ist ausbaufähig für die Nutzung verteilter und komplementärer Expertise, was diesen Prototyp des Blended Learning auch für die wissenschaftliche und berufliche Weiterbildung interessant macht, die nach wie vor zwar vehement gefordert, aber nur in bescheidenem Ausmaß (in Deutschland) umgesetzt wird. (d) Die didaktische Konzeption der semivirtuellen Vorlesung läuft auf ein mediales Hybridarrangement hinaus, in dem zielgruppen- und inhaltsadäquat verschiedene Medien entsprechend ihrer Lehr-Lernpotentiale miteinander verknüpft werden (Kerres, 2002). 51 12. Das didaktische Konzept Wie ist die semivirtuelle Vorlesung inhaltlich, methodisch und (medien-)technisch aufgebaut und wie wird sie durchgeführt? Worum geht es im Einzelnen und welche Medien und Methoden kommen bei diesem Prototyp des Blended Learning zur Anwendung? Welche Erwartungen liegen dem Konzept zugrunde? Der folgende Abschnitt gibt Antworten auf diese Fragen und vermittelt einen konkreten Einblick in die Möglichkeit des Blended Learning in der Hochschullehre. 12.1 Inhalte und Ziele Der Gegenstandsbereich. Die semivirtuelle Vorlesung trägt den Titel "Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis" und behandelt mehrere medienpädagogische Inhaltsbereiche, die sowohl theoretische und forschungsbezogene als auch praktische und handlungsbezogene Aspekte umfassen. Die Inhalte sind in fünf Themenblöcke gegliedert: (1) Im Themenblock "Medienforschung" (bzw. Medienwirkungsforschung) geht es um die Medienwirkung und deren empirische Untersuchung, wie sie auch in der Kommunikationswissenschaft und in der Medienpsychologie betrieben wird. (2) Im Themenblock "Medien kompetenz" stehen der Mediennutzer, sein Handeln mit und durch Medien sowie pädagogische Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen zum Umgang mit Medien im Mittelpunkt des Interesses. (3) Der Themenblock "Medien und Lernen" widmet sich dem Medieneinsatz und damit pädagogisch-psychologischen und didaktischen Fragen der Nutzung von Medien in verschiedenen Lehr-Lernsituationen. (4) Ein für die Medienpädagogik neues und kaum etabliertes Inhaltsgebiet wird im Themenblock "Medien und Organisation" behandelt; hier geht es um den Medienkontext und Fragen der Organisationsentwicklung durch neue Medien. (5) Mit dem letzten Themenblock "Medien und Qualität" schließt sich der Kreis zur Forschung wieder: Behandelt werden Möglichkeiten der Medienevaluation und der Evaluationsforschung in der Medienpädagogik. Die Inhalte der semivirtuellen Vorlesung sind so gewählt, dass sowohl klassische Themen der Medienpädagogik als auch zukünftige Herausforderungen an die Medienpädagogik thematisiert werden. Des Weiteren sind die Themen in einer Form zusammengestellt, die eine inhaltliche Vernetzung möglich macht. Abbildung 6 veranschaulicht Medienpädagogik. noch einmal die Inhalte der semivirtuellen Vorlesung zur 52 Themenblock 5 Medien und Qualität Abb. 6: Inhalte der semivirtuellen Vorlesung Die Veranstaltungsziele. Die semivirtuelle Vorlesung wendet sich an Studierende mit medienpädagogischen Grundkenntnissen (also nicht an Studierende im ersten Semester). Jeder der genannten Themenblöcke beleuchtet ein anderes Phänomen im Zusammenhang mit pädagogisch motivierten Fragen zu alten, vor allem aber zu neuen Medien. In allen Themenblöcken wird anhand ausgewählter Beispiele versucht, wissenschaftliche Fragestellungen und Probleme aus der (Medien-)Praxis gleichermaßen im Blick zu haben. Ziel der semivirtuellen Vorlesung ist es, die Studierenden dabei zu unterstützen, mentale Modelle43 zu den wichtigsten medienpädagogischen Themen aufzubauen, die bei der weiterführenden Beschäftigung mit speziellen medienpädagogischen Problemen, Konzepten, Forschungsarbeiten und praktischen Herausforderungen als Orientierung und Gerüst für eine aktive (auf den Grundlagen aufbauende) Wissenskonstruktion dienen können. Die verschiedenen Medien und didaktischen Elemente sind so gewählt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den dargebotenen Inhalten angeregt wird, um auf diese Weise die Voraussetzung für die Entwicklung mentaler Modelle zu schaffen (siehe Abschnitt 12.2). Neben der Modellbildung sollen auch Transferprozesse bereits während des Lernens in der semivirtuellen Vorlesung angeregt werden; zur Herstellung des dazu notwendigen Anwendungsbezugs dienen problemorientierte AufgabensteIlungen nach jedem Themenblock. Ein weiteres Ziel besteht darin, Medienkompetenz bei den teilnehmenden Studierenden aufzubauen; dies ist deshalb von Bedeutung, weil Erfahrungen und Fertigkeiten im Umgang mit virtuellen Lehr-Lernangeboten gerade in den Geistesund Sozialwissenschaften derzeit noch nicht überall vorausgesetzt werden können. Typische, in der klassischen Vorlesung alt bekannte Phänomene wie Passivität, Fremdsteuerung der Lernenden, Isolierung beim Lernen und "träges Wissen" sollen in jedem Fall vermieden werden. Der Begriff des mentalen Modells stammt aus der Kognitionspsychologie und bezeichnet ein schematisches Konstrukt in der Vorstellung, das einem hilft, auch spezielle Sachverhalte einzuordnen und zu bewerten (ähnliche Bedeutung haben Begriffe wie Schema und Skript). 43 53 Die Aufbereitung der Inhalte44. Wie weiter oben bereits angedeutet wurde, ist den Inhalten, deren Strukturierung und Aufbereitung für die Vorlesungsphasen (face-toface) und den virtuellen Phasen (mit der CD-ROM) viel Zeit und Energie gewidmet worden - und das mit gutem Grund. Im Laufe der vergangenen e-Learning-Jahre ist nämlich deutlich geworden, dass die Aufbereitung der Inhalte den Mehrwert eines Bildungsangebots ausmacht und weniger die technische Umsetzung und das multimediale oder netzbasierte Design (Kerres et al., 2002). Eine professionelle Technik und ein professionelles Design sind für den "Komfort" des (virtuellen) Lernens von großer Bedeutung, Mängel in diesem Bereich können sich sehr ungünstig auf den Lernprozess auswirken. Unbedacht ausgewählte, schlecht strukturierte und lernunfreundlich formulierte Inhalte lassen sich aber mit High-Tech auf der Hard- und Softwarebene trotzdem nicht wieder gutmachen. Bei der Aufbereitung der Inhalte erfolgte eine Orientierung an den oben genannten Zielen, sodass viel Wert auf ÜJ2.ersichts.9.!afiken, überschaubare Infomationseinheiten, verständliche Sprache und eine K are Struktur gelegt wurde. Auf der CD-ROM findet der Lernende vor allem logische Grafiken, mit dEmen sich die Bildung mentaler Modelle anregen lässt; die einzelnen Themenbereiche werden auf der CD-ROM zusammenfassend dargestellt, aber auch mit Details und Verweise auf weiterführende Themen, Autoren und Literatur angereichert. In den Präsenzphasen dagegen wurden zur Veranschaulichung und zur Förderung des Gedächtnisses bildhafte Anker (statt logischer Grafiken) gewählt und der Fokus lag auf dem "Gesamtbogen" und einer nachvollziehbaren Argumentationskette im jeweiligen Themenblock (statt auf Details). Auf der inhaltlichen Ebene stehen die Präsenzveranstaltungen und die CD-ROM in einem doppelten Verhältnis zueinander: Teilweise gibt es eine inhaltliche Überlappung, teilweise eine inhaltliche Ergänzung in dem Sinne, dass die CD-ROM vertiefende Informationen zur Präsenzveranstaltung bietet. Mit Kerres (2001 a) kann man dieses doppelte Verhältnis auch als "Überdeterminiertheit" bezeichnen, bei der verschiedene Elemente der Lernumgebung das glei che Lehrziel anstreben. 12.2 Der erwartete Nutzen In Zeiten inflationärer e-Learning-Produkte erscheint es besonders wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, welchen Nutzen ein Blended Learning-Szenario wie die semivirtuelle Vorlesung genau haben kann, welchen Bedarf es im Bildungsbereich deckt, welche Probleme damit besser lösbar sind als ohne den Einsatz neuer Medien und welches Innovationspotential für die Hochschullehre zu erwarten ist. Die Frage nach dem Nutzen sollte man sich bereits vorab, also v r der K ierun und Durchführun einer solchen Ver Lt.\J~ denn sie zwingen zum acdenken über den didaktischen Mehrwert und bewahren einen vor blindem Aktionismus. Zudem hat die Formulierung von Erwartungen den Vorteil, dass man auf diese Weise zu Zielen des gesamten Vorhabens und damit zu Kriterien für die Evaluation des Erfolgs der Veranstaltung kommt (siehe auch Kapitel IV). Inwieweit die Evaluation der semivirtuellen Vorlesung unsere Erwartungen zu Beginn dieses Blended Learning-Projekts bestätigt hat, wird an anderer Stelle ausführlich dargestellt (siehe Abschnitt 13). Letztlich gehört die inhaltliche Aufbereitung natürlich auch zum didaktischen Konzept, wird hier aber der besseren Übersicht wegen bereits beim Abschnitt "Inhalte" behandelt. 44 54 Erwartung 1: Aktives, motiviertes und wirkungsvolles Lernen. Da in jedem Themenblock mindestens eine AufgabensteJlungen integriert ist, werden die Lernenden zu einer aktiven Auseinandersetzung mit den dargebotenen Inhalten angeregt. Durch die Bearbeitung in der Gruppe sowie durch einen gewissen Wettbewerb zwischen den Gruppen ist die Motivation höher als bei einer klassischen Vorlesung. Regelmäßige (versus einmalige) Aufgabenbearbeitungen ermöglichen den Studierenden einen kontinuierlichen und verteilten Lernprozess und damit auch eine semesterbegleitende (Selbst- )Evaluation. Insbesondere durch das verteilte Lernen steigt auch die Wirksamkeit des Lernprozesses. Regelmäßige Rückmeldungen auf die Qualität der Aufgabenlösungen haben ebenfalls positive Effekte auf Motivation und Aktivität. Erwartung 2: Größere Verarbeitungstiefe, besseres Verstehen uod mehr Aowendung. Das Ineinandergreifen einer persönengebundenen und authentischen Face-toFace-Darstellung komplexer Inhalte durch einen Dozenten, einer hypertextuellen Aufbereitung derselben Inhalte und einer kooperativen Bearbeitung dazugehöriger Aufgaben führt dazu, dass verschiedene Repräsentationsmodi sowie zeitgebundene und zeitunabhängige Darstellungsformen von Wissen miteinander kombiniert werden. Die bereits genannten teilweisen Überlappungen und komplementären Ergänzungen der verschiedenen Elemente der semivirtuellen Vorlesung im Sinne einer Überdeterminiertheit erweitern die Möglichkeiten individueller Informationsverarbeitung und vergrößern die Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung. Und je tiefer neue Inhalte verarbeitet werden, desto besser werden diese verstanden45; damit steigt wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass das Gelernte auch praktisch zur Anwendung kommt. Erwartung 3: Aufbau von Fähigkeiten zum e-Learning. Als ein Prototyp des Blended Learning fängt die semivirtuelle Vorlesung infolge der Kombination von Präsenzlehre und virtuellem Lernen typische Probleme des e-Learning wie Überforderung oder Motivationsdefizite auf, insbesondere wenn es sich bei den zu vermitteltenden Lerninhalten um komplexe Sachverhalte handelt. Die Kombination von Face-to-Face-Veranstaltungen und virtuellen Lerneinheiten erleichtert den Aufbau von Fertigkeiten im Umgang mit elektronisch verfügbaren Lehr-Lernangeboten und berücksichtigt damit das oft übersehene Problem, dass virtuelles Lernen Lern- und Medienkompetenz erfordert, die im Allgemeinen erst durch eigenverantwortliches Lernen mit neuen Medien entwickelt und nicht überall als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. 12.3 Medien, Methoden und pädagogisches Grundkonzept In Kapitel 11 haben wir bei der Beschreibung der Integrationskraft des Blended Learning (vgl. Abschnitt 8.3) auf die drei Ebenen "Grundauffassung zum Lernen und Lehren" (normative Ebene), "methodische Vorgehensweisen" zur Realisierung bestimmter Ziele innerhalb der Grundauffassung (strategische Ebene) und "Medienwahl und gestaltung" (operative Ebene) verwiesen. Für die Darstellung der semivirtuellen Vorlesung als einem Prototyp des Blended Learning in der Hochschule wollen wir auf diese drei Ebenen zurückgreifen. Das Medienarrangement. Die semivirtuelle Vorlesung umfasst im Sinne eines Hybridarrangements erstens Präsenzelemente in Form von klassischen Vorlesungsterminen, zweitens ein Offline-Element in Form einer CD-ROM und drittens ein Online45 im Sinne einer kohärenten, vernetzten Wissensstruktur. 55 Element in Form einer Lernplattform (BSCW). Bei den Präsenzterminen (die alle zwei Wochen stattfinden) wird jeweils ein Überblick über den aktuellen Themenblock gegeben, der mit Bildmaterial46 begleitet wird; es besteht die Möglichkeit zum Fragen und Diskutieren der aktuellen Vorlesungsinhalte sowie der vorangegangenen Inhalte; zudem können bei Bedarf zeitnahe Geschehnisse47 eingebaut werden. Auf der CDROM finden die Studierenden zu jedem Themenblock einen Hypertext - eingeleitet durch eine Übersichtsgrafik, in der die Zusammenhänge der einzelnen Inhalte dargestellt sind und von der aus einzelne Inhalte (sog. Informationsblöcke) angeklickt werden können. Die CD-ROM enthält darüber hinaus eine Einführung in die Gesamtthematik und in den neuen Veranstaltungstyp der semivirtuellen Vorlesung sowie Literaturverweise und weiterführende Links zu passenden Inhalten anderer Fakultäten und Fachbereiche48. Das BSCW dient zum einen als Ablage aktueller Informationen wie Zeitplan und Aufgaben49; zum anderen ist das BSCW der virtuelle "Raum", in den die Studierenden ihre Lösungen zu den Aufgaben stellen und die Dozentin die Bewertung der Lösungen zugänglich macht; schließlich gibt es im BSCW in eigens definierten Bereichen die Möglichkeit, Fragen an die Dozentin zu stellen und untereinander (asynchron) zu diskutieren. Abbildung 7 zeigt noch einmal die drei medialen Elemente, die das Gerüst der semivirtuellen Vorlesung bilden, und wie sie zueinander stehen bzw. welche Funktionen sie erfüllen. Beide Eiementedienen der Wissensvermittlung/dem Aufbau mentaler Modelle Beide Elemente dienen der Kommunikation/ Interaktion (diskutieren, fragen etc.) Abb. 7: Das mediale Grundgerüst der semivirtuellen Vorlesung Bevorzugt wurden neben einigen grafisch aufbereiteten Übersichten vor allem visuelle Metaphern und/oder Analogien (im Gegensatz zu logischen Grafiken auf der CD-ROM). 471n unserem Fall konnte durch die Präsenzelemente z.B. der Amoklauf in Erfurt (Frühsommer 2001) thematisiert und mit den Vorlesungsinhalten verknüpft werden. 48 Ausschnitte aus der CD-ROM finden Sie unter der URL: www.semivirtuell.de 49 In unserem Fall waren die Aufgaben zusätzlich auf der CD-ROM integriert, sodass diese online und offline abgerufen werden konnten. 46 56 Das methodische Vorgehen. Die Wahl der Medien und der damit zusammenhängenden Organisationsformen des Lernens ist - wie an anderer Stelle bereits gezeigt wurde (vgl. Abschnitt 8.3) - nicht unabhängig von Entscheidungen, die das methodische Vorgehen (im engeren Sinne) betreffen. J.>ie Präsenzphasen beinhalten die klassische Form der Informationsvermittlung, indem über die jeweiligen Inhalte referiert wird; die Studierenden sind dabei in einer eher reze tiven Position. Allerdings werden die Studierenden von Anfang an zu Fragen und Diskussionen (auch spontan innerhalb einer Argumentationslinie, nicht erst am Ende der Veranstaltung) aufgefordert. Möglich ist dieses "Zugeständnis", weil etwaige Auslassungen aufgrund eines hohen Diskussionsanteils nicht weiter ins Gewicht fallen, wenn die wichtigsten Inhalte auch auf einem anderen Medium (hier der CD-ROM) sicher zur Verfügung stehen. In der nach jedem Präsenztermin sich anschließenden Selbstlernphase arbeiten die Studierenden zum einen individuell mi der CD-ROM anhand derßie den jeweiligen Themenblock wiederholen, vor allem aber vertiefen können. Ebenfalls in die Selbstlernphase fällt die Bearbeitung einer problemorientierten Aufgabe in jedem Themenblock (s.u.), die in Face-to-Face-Gruppen5o erfolgt; die Lösungen werden zum jeweiligen Abgabetermin ins BSCW gestellt. Informationsaufnahme und Diskussion im Plenum, selbstgesteuerte Phasen des individuellen Lernens und selbstorganisierte Gruppenarbeit erfolgen nach einer fest vorgegebenen T~ktung, die zu Semesterbeginn über einen (Online-)Zeitplan bekannt gemacht wird. Eine Schlüsselfunktion nehmen im Rahmen dieser Taktung die problemorientierten Aufgaben ein. Die Schlüsselfunktion der problemorientierten Aufgaben. Zu jedem der fünf Themenblöcke der semivirtuellen Vorlesung (vgl. Abschnitt 12.1) gibt es eine Aufgabe, in der die Studierenden die neu erworbenen Inhalte anwenden sollen. Zudem müssen die Studierenden eine Abschlussaufgabe bearbeiten, in der es darum geht, die behandelten fünf Themenblöcke miteinander zu vernetzten. Den Anwendungscharakter erhalten die Aufgaben dadurch, dass sie zum einen in möglichst authentische Kontexte eingebettet sind, die für die Studierenden auch nachempfunden werden können, und dass sie zum anderen eine praktische Umsetzung im Rahmen der authentischen Kontexte erfordern. Das nachfolgende Beispiel der Aufgabe zum Themenblock "Medien und Organisation" (Kasten 1) kann dies veranschaulichen. Kasten1: Beispiel für eine problemorientierte Aufgabe Einleitung: Organisationsentwicklung mit neuen Medien ist für die Medienpädagogik ein bislang kaum betretenes Feld. Als Teildisziplin der Pädagogik muss es aber im Interesse der Medienpädagogik sein, dass die durch die neuen Medien forcierten Veränderungsund Entwicklungsprozesse in Bildungsinstitutionen wie Schule und Hochschule in eine Richtung gehen, die mit pädagogischen (und psychologischen) Annahmen und Vorstellungen zu Lernen, Lehren, Bildung und Erziehung konform gehen. Von daher ist ein "Mitdenken" seitens der Medienpädagogen etwa bei Themen wie "Virtuelle Hochschule" wichtig und wünschenswert. Problemstellung51: Stellen Sie sich vor, dass das Video labor der Universität Augsburg zu einem Medienzentrum ausgebaut werden soll; ein Schwerpunkt dabei soll die interne und externe Aus- und Weiterbildung sein. Im Vorfeld dieses Entwicklungsprojekts wird Da es sich um Studierende einer Universität handelt, wäre eine virtuelle Gruppenarbeit eher künstlich gewesen. Allerdings haben sich etliche Gruppen auch der neuen Medien in der Gruppenarbeit bedient, indem sie vor allem e-Mail bei der Aufgabenbearbeitung genutzt haben. 51 Hierbei handelt es sich um eine authentische Problemstellung, weil zum Zeitpunkt der Aufgabenbearbeitung Diskussionen zum Ausbau des Videolabors zu einem Medienzentrum in Gang waren. 50 57 von Seiten der Hochschulleitung ein schlüssiges Konzept erwartet. Für den Schwerpunkt Aus- und Weiterbildung sollen darin zwei Beispiele (Typen) der Virtualisierung erkennbar sein: eine on campus- und eine off campus-Variante. Den Entscheidern kommt es zudem darauf an, dass Konzepte der Organisationsentwicklung ebenso wie pädagogische Grundgedanken integriert sind und die Vor- und Nachteile beider Virtualisierungstypen gegenübergestellt werden, um so eine vergleichende Diskussion führen zu können. Instruktion: Überlegen Sie sich in Ihrer Gruppe, wie der in der Problemstellung genannte Teil des Konzepts aussehen könnte, in dem es um die interne und externe Ausund Weiterbildung als einer Aufgabe des neuen Medienzentrums geht. Versuchen Sie, die geforderten Virtualisierungstypen so zu formulieren, dass die Entscheider eine gute Diskussionsgrundlage haben. Beschränken Sie sich wenn möglich auch hier wieder auf ca. 2 Seiten. Verwenden Sie Word und Power Point und stellen Sie (wie gehabt) Ihre Lösungen (L) mit Ihren Nachnamen als Dateiname(n) in das Forum von Themenblock 4 (Bsp.: L_Mueller_Meier_Schulze). Wenn Sie die Aufgabe nur zur Selbstevaluation bearbeiten, kennzeichnen Sie Ihre Datei(n) bitte noch mit "SE" für "Selbstevaluation (Beispiel: SE_Mueller). Nutzen Sie für die Aufgabenbearbeitung die Vorlesungsinhalte und den vorliegenden Hypertext, bei Bedarf auch den Hypertext von Themenblock 4 als Grundlage. Ziehen Sie zudem weiterführende Literatur hinzu, denn eine bloße Wiedergabe der hier vorgestellten Inhalte ist nicht Ziel der Aufgabensteilung. Beachten Sie den Kontext und die zugrundeliegende Problemstellung der Aufgabe und gestalten Sie Ihre Lösung so, dass Sie auf die vorgegebene Situation auch passt. Abgabetermin für die Aufgabenlösung ist der 18.06.2002. Ziel: Ziel der Aufgabenbearbeitung ist es, dass Sie aktuelle Medienentwicklungen und deren Folgen für Organisationen mit pädagogisch-psychologischen Konzepten zum organisationalen Lernen in Verbindung bringen können und den möglichen Beitrag der Medienpädagogik zu diesem Thema erkennen bzw. erarbeiten. Viel Erfolg! Die problemorientierten Aufgaben spielen in der semivirtuellen Vorlesung eine zentrale Rolle (vg. elnmann-Rothmeier & Mandl, 2001a) und können als "Lernaufgaben" mit mehrfacher Funktion verstanden werden. Nach Kerres et al. (2002) haben Lernaufgaben in e-Learning-Angeboten die Funktion der Aktivierung der Lernenden und der Sicherung des Lernerfolgs: Die Aktivierung kann kognitiv, emotional-motiVä=" tionafüi1d/oder in Bezug auf söZTale Interaktionen erfolgen. Bei der Sicherung des Lernerfolgs geht es um Anwendung des Gelernten, um Übung neuer Inhalte und Überprüfung des Gelernten. Die problemorientierten Aufgaben in der semivirtuellen Vorlesung erfüllen alle genannten Funktionen gleichzeitig: (a) Sie aktivieren kognitiv, weil sich die Aufgaben nur sinnvoll bearbeiten lassen, wenn man die (face-to-face und offline) dargebotenen Inhalte auch verstanden hat. (b) Sie aktivieren emotionalmotivationaI, weil die Aufgaben so gestellt sind, dass die Studierenden einen persönlichen Bezug zu den geforderten Inhalten haben oder herstellen können; zudem bewirkt die Online-Veröffentlichung der Lösungen einen (positiven) Wettbewerb, der motivierend ist und den man nicht gefühlsneutral absolvieren kann. (c) Sie aktivieren durch soziale Interaktion, weil die Aufgaben in der Gruppe bearbeitet und mit anderen Gruppenlösungen verglichen werden. (d) Sie haben Sicherungscharakter in Bezug auf Anwendung, weil die Bearbeitung der Aufgaben einen ersten (Paper-Pencil-) Transfer der neu erworbenen Inhalte auf eine realitätsnahe Problemstellung erfordern. (e) Sie haben Sicherungscharakter in Bezug auf Übung, weil die Aufgaben ein zusätzliches (und nicht einzigartiges) Element für den Wissenserwerb sind und damit eine wiederholte Auseinandersetzung mit den Inhalten bewirken52. (f) Sie haben Sicherungscharakter in Bezug auf Prüfung, weil die Lösung der Aufgaben (mit einem Hier greift noch einmal die bereits beschriebene.Überdeterminiertheit"der didaktischen Elemente (vgl. Abschnitt 12.1). 52 58 Punktesystem) bewertet wird und die Bearbeitung aller sechs Aufgaben eine abschließende Klausur ersetzt. Abbildung 8 (in Anlehnung an Kerres et al., 2002) fasst die Funktionen der Aufgaben in der semivirtuellen Vorlesung zusammen. Emot.-motivat. (persönlicher Bezug und Wettbewerb) Übung Problemorientierte Aufgaben SOZ.Interaktion Prüfung (Gruppenarbeit, Gruppaber enverglelch) Abb. 8: Problemorientierte (Aufgaben als zusätzliches Element) (Aufgabenbewertung; Klausurersatz ) Aufgaben als zentrales didaktisches Element Die zugrunde liegende pädagogische Auffassung. Das pädagogische Grundkonzept der semivirtuellen Vorlesung, auf dem die geschilderten methodischen Vorgehensweisen und das gewählte Medienarrangement fußt, entspricht einer gemäßigt-konstruktivistischen Auffassung, der zufolge Lernen ein aktiv-konstruktiver, selbstgesteuerter, sozialer und situativer Prozess ist (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 a). Im Hinblick auf die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des Blended Learning lassen sich diese Prozessmerkmale wie folgt beschreiben: (a) Die Studierenden rezipieren die angebotenen medienpädagogischen Inhalte nicht nur, sondern bauen aktiv und konstruktiv mentale Modelle zu den einzelnen Themenblöcken auf und/oder erweitern und verändern bereits bestehende Modelle. (b) Die Studierenden erarbeiten sich die Inhalte weitgehend eigenständig und selbstgesteuert und werden darin unterstützt, ihren Wissenserwerb auch selbständig zu evaluieren. (c) Die Studierenden praktizieren neben individuellem (selbstgesteuerten) Lernen auch soziales bzw. kooperatives Lernen, indem sie vorgegebene AufgabensteIlungen in Gruppen bearbeiten. (d) Die Studierenden erkennen beim Wissenserwerb erste anwendungsbezogene Anker, indem sie Aufgaben bearbeiten, die Anwendungsmöglichkeiten des Gelernten aufzeigen; damit werden auch situative Aspekte in den Lernprozess aufgenommen. Die zugrunde liegende gemäßigt-konstruktivistische Auffassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie anders als radikal-konstruktivistische Ansätze nicht vollständig offene Lernumgebungen favorisiert, die den Lernenden allenfalls Aufgaben Urid "Werkzeuge" zu derenLösung anbieten. Vielmehr integriert die hier gewählte Position auch instruktionale Anleitung und Unterstützung, wodurch die in offenen Lernumgebungen erforderlichen Selbstlernkompetenzen schrittweise entwickelt werden können. 59 12.4 Technische Umsetzung und Ablauf Die technische Umsetzung. Der technische Aufwand für die semivirtuelle Vorlesung ist gering: Zur Erstellung der CD-ROM mit Hypertexten, Übersichtsgrafiken und einer an diesen Grafiken orientierten "guided tour,,53 wurde das Programm "Macromedia Director" herangezogen. Durch die Programmierung mit "Director" sind die Inhalte der CD-ROM netzwerktauglich und damit anschlussfähig für Weiterentwicklungen. Als Lernplattform für die Online-Begleitung von Präsenzveranstaltungen und CDROM wurde auf das bereits mehrfach genan~ BSCW (Version 4.0) von der OrbiTeam Software GmbH54 zurückgegriffen: Das BSCW ist eine stabile, anwenderfreundliche und an der Hochschule bereits seit längerem bewährte Software, die für die Nutzung in der Hochschullehre kostenfrei ist. Der Online-Betrieb lief in der Pilotdurchführung (2002) über den Server der TU München (Lehrstuhl für Angewandte Informatik). Die technischen Investitionen für die Online-Komponente der semivirtuellen Vorlesung halten sich damit in einem bescheidenen Rahmen; die Anschaffung eines zusätzlichen BSCW-Servers ist zwar empfehlenswert, aber nicht zwingend notwendig55. Die Nutzung des BSCW setzt (sowohl bei den Lernenden als auch beim Lehrenden) nur geringe technische Fertigkeiten voraus: Allenfalls der Umgang mit Internet-Browsern und e-Mail-Programmen muss vorausgesetzt werden. Für die Gestaltung der Arbeitsbereiche im BSCW sind keine speziellen Kenntnisse erforderlich. Gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten braucht man für die Gestaltung und Programmierung der CD-ROM. Hat man jedoch ein fertiges Manuskript, konkrete Grafikvorstellungen (was man mit Word und PowerPoint machen kann) sowie genaue Anleitungen zur Umsetzung, kann man diese Tätigkeiten auch "outsourcen"; unter den genannten Bedingungen (funktionales Niveau, ausgearbeitete Ausgangsmaterialien, konkrete Anleitungen) halten sich die Kosten auch hier in vertretbaren Grenzen. Das Vorlesungsportal. Für die semivirtuelle Vorlesung gibt es ein Vorlesungsportal, auf das man von der Homepage für Medienpädagogik an der Universität Augsburg56 gelangt und das zu "Wiedererkennungszwecken" ähnlich gestaltet ist wie die Homepage. Auf diesem Vorlesungs portal finden die Studierenden zum einen eine Zugangsmöglichkeit zum BSCW, wofür ein Passwort gebraucht wird, sodass nur die von der Dozentin eingeladenen Studierenden auf das On line-Element der Veranstaltung zugreifen können. Zum anderen befinden sich auf dem Vorlesungsportal Hilfen in Form von Erläuterungen zur Handhabung des BSCW sowie eine PowerPoint-Präsentation, in der das Einloggen, Anmelden etc. Schritt für Schritt dargestellt ist. Zudem kann man das Vorlesungsportal auch für andere aktuelle Zwecke nutzen; so haben wir an dieser Stelle z.B. Fragebögen für die Evaluation der semivirtuellen Vorlesung platziert. Abbildung 9 zeigt das Vorlesungsportal im Sommersemester 2002. Mit "guided tour" ist gemeint, dass dem Nutzer auch innerhalb der CD-ROM ein bestimmter Weg durch die Inhalte nahegelegt wird (im Gegensatz zu einem völlig freien "Browsen"). 54 Siehe auch: www.orbiteam.de/ 55 Das BSCW kann auch auf bereits bestehende Server installiert werden, wenn die Kapazitäten damit nicht überschritlen werden. 56 htlp:/Iwww.philso.uni-augsburg.de/web2/medienpaed/index.htm 53 60 . /' " -" .' : :o.·Hilfen Abb. 9: Portal zur semivirtuellen Vorlesung Der Ablauf. Im Folgenden soll zur Veranschaulichung gezeigt werden, wie man sich den konkreten Ablauf einer semivirtuellen Vorlesung vorstellen kann: Bei der ersten Präsenzveranstaltung erfolgt eine Einführung in die Inhalte und in die Methodik des Seminars (anhand der CD-ROM) sowie eine Einführung in den Umgang mit dem BSCW. In der darauf folgenden Woche wird die CD-ROM (zu "Skriptpreis") verkauft und die Studierenden werden zum BSCW eingeladen. In diesem Zeitraum werden zudem eine e-Mail-Adressen-Verwaltung eingerichtet und ein Punktesystem für die Bewertungen der Aufgabenbearbeitungen ausgearbeitet. Für "Nachzügler" gibt es in der darauf folgenden Woche für die genannten Aspekte noch einmal einen zweiten Termin5? Im Anschluss daran erfolgen die Face-to-Face-Veranstaltungen (in Form klassischer Vorlesungen) im Zwei-Wachen-Rhythmus; zwischen jeweils zwei Vorlesungsterminen sind virtuelle Selbstlernphasen einschließlich kooperativer Aufgabenbearbeitung integriert. Nach jeder selbstgesteuerten und kooperativen Phase können in der Face-to-Face-Sitzung zum letzten Themenblock Fragen gestellt und Statements abgegeben werden. Die Aufgaben werden in (Face-to-Face-)Gruppen zwischen zwei Präsenzveranstaltungen bearbeitet; jede Gruppe stellt ihre Lösung im vorgegebenen Zeitrahmen in das dafür eingerichtete Forum des BSCW. Die Gruppenlösungen sind zu jeder Zeit für alle transparent; unauffälliges "Abschreiben" ist dennoch kaum möglich, weil für alle sichtbar das Datum erscheint, zu dem die Lösung ins BSCW gestellt wurde. Nach Ablauf des Abgabetermins wird jede Lösung (ebenfalls für alle sichtbar) in Form einer Tabelle mit einer bestimmten Punktzahl Eine solche Planung hat sich als realistisch herausgestellt, weil erfahrungsgemäß viele Studierende (der Geistes- und Sozialwissenschaften!) in der ersten Semesterwoche noch .auf der Suche" sind. 57 61 (innerhalb von drei bis vier Tagen) bewertet. Im nachfolgenden Kasten (Kasten2) wird beispielhaft gezeigt, wie ein Punktesystem für eine Veranstaltung wie die semivirtuelle Vorlesung aussehen kann. Die Gruppen sammeln auf diese Weise bis zum Semesterende Punkte, für die es nach einem vorher festgelegten und allen bekannten Notenschlüssel am Ende einen benoteten Schein gibt. Die letzte Face-toFace-Veranstaltung ist einer abschließenden Diskussion gewidmet. Kasten 2: Bewertungsverfahren Jede Lösung (insgesamt wertet o 1 2 3 4 P= P= P= P= P= in der semivirtuellen 6 Lösungen) wird mit Punkten Vorlesung nach folgendem Schlüssel be- nicht akzeptierte Lösung gerade noch akzeptierte Lösung mittelmäßige Lösung gute Lösung hervorragende Lösung Bei der Bewertung der Lösungen wird darauf geachtet, ob und inwieweit die wiedergegebenen Inhalte korrekt sind, wie übersichtlich und verständlich die Inhalte aufgearbeitet wurden, wie gut die Lösung zur Aufgabe "passte" und ein Transfer vom abstrakten praktisch orientierten Problemstellung gelungen ist. Inhalt zur Nach jedem Themenblock und jeder "Bewertungsrunde" werden ein allgemeiner Kommentar zur Qualität der Lösungen verfasst und die Gründe für die Punktevergabe dargelegt. Für die Noten der Teilnehmer werden die Punkte aller Aufgabenbearbeitungen zusammengezählt. Insgesamt können 24 Punkte erreicht werden; ein Notenschlüssel regelt die Noten je nach erreichter Punktzahl. 13. Die Evaluation: Ergebnisse und Erfahrungen Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wurde, haben wir die semivirtuelle Vorlesung im Sommersemester 2002 erstmals durchgeführt. Zielgruppe waren bei der Pilotdurchführung 135 Studierende der Medienpädagogik. Während der Pilotierung wurde eine umfangreiche Evaluation durchgeführt, die zum einen einem praktischen Interesse, nämlich dem Qualitätsmanagement der semivirtuellen Vorlesung, zum anderen aber auch einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse diente - was sich stellenweise natürlich auch überlappt hat. Im Folgenden sollen das Evaluationskonzept, die Evaluationsmethoden und die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt werden. Zudem kann und soll an hand der Erfahrungen und Ergebnisse aus der Evaluation noch einmal die Frage aufgegriffen werden, in welcher Weise mit der semivirtuelIen Vorlesung eine didaktische Innovation in der Hochschullehre entstanden ist oder entstehen kann. 62 13.1 Das Evaluationskonzept Evaluation als Qualitätssicherung und -entwicklung. Insgesamt betrachtet war die Evaluation der semivirtuellen Vorlesung weniger eine summative Analyse im Sinne eines einmaligen Forschungsvorhabens als vielmehr eine formative Bewertung im Sinne des Qualitätsmanagements (siehe auch Abschnitt 19.1), bestehend aus Qualitätssicherung58 und Qualitätsentwicklung59 (vgl. Reinmann-Rothmeier, 2000). Im Vordergrund stand also nicht so sehr eine abschließende wissenschaftliche Beurteilung, sondern eine prozessbegleitende Optimierung der semivirtuellen Vorlesung: Mittels der Evaluation soll der Prototyp des Blended Learning auch in weiteren Anwendungen zunehmend an studentische Bedürfnisse angepasst und soweit verbessert werden, dass der oben skizzierte Nutzen (vgl. Abschnitt 12.4) schrittweise erreicht wird. Ziel ist also die Sicherstellung und Optimierung der didaktischen Qualität im gegee:.-t>enen Kontext. Eingebettet in diesen formativen Charakter der Evaluation war allerdings auch ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse zu mehreren Fragen, die die Gestaltung des Evaluationsdesigns sowie die Auswahl und Ausgestaltung der Evaluationsmethoden beeinflusst haben. Die Forschungsfragen6o. Zunächst ging es uns bei der Evaluation um die Akzeptanz und andere emotionale Aspekte sowie um die Frage der Einstellung zu virtuellen Lernangeboten. Dies ist deshalb von Interesse, weil wir die begründete Vermutung hatten, dass die Teilnehmer der semivirtuellen Vorlesung wenig Medienkompetenz im Zusammenhang mit e-Learning und von daher eine eher skeptische Haltung mitbringen würden. In dem Zusammenhang sollte eruiert werden, ob die semivirtuelle Vorlesung dazu beitragen kann, mögliche Blockaden gegenüber e-Learning-Angeboten abzubauen und negative Einstellungen in eine positive Richtung-zu verän-dern. ~ Des Weiteren wollten wir wissen, welche kognitiven Wirkungen diesemivi uel e Vorc:lesung hat: Eine Frage ging dahin, ob und inwieweit die Stuaierenden mit der Teilnahme an der semivirtuellen Vorlesung Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Lernangeboten aufgebaut haben; eine weitere Frage beschäftigte sich mit dem Wissenszuwachs in einzelnen Themenblöcken und mit dem Aufbau von Handlungskompetenz im Sinne der Fähigkeit, das erworbene Wissen auch anzuwenden. Zudem sollte'Untersucht werden, welche didaktischen Elemente diese kognitiven Veränderungen (wenn es denn welche gibt) unterstützen können. Schließlich ging es darum, nach der ersten Durchführung der semivirtuellen Vorlesung seitens des Projektteams einzuschätzen, wie gut sich dieser Prototyp des Blended Learning im regulären Lehrbetrieb inhaltlich und methodisch integrieren lässt und ob sich der Aufwand in zumutbaren Grenzen hält. Last but not least stellt sich (uns) die Frage, ob sich das Blended Learning in dieser Form - trotz oder wegen seiner hohen Flexibilität - auch eine didaktische Innovation in der Hochschule ist oder werden kann61. also die Gewährleistung, dass eine einmal erreichte Qualität erhalten bleibt. also Maßnahmen zur Steigerung der Qualität. 60 Anstelle von .Forschungsfragen" kann man bei einem vorrangig praktischen (Optimierungs-) Interesse auch von Evaluationszielen und -kriterien sprechen. 61 Dieser Aspekt wird separat in Abschnitt 13.3 behandelt. 58 59 63 Das Evaluationsdesign. Da wir sowohl an emotional-motivationalen als auch an kognitiven Veränderungen interessiert waren, musste/} zwei Untersuchungszeitpunkte_ gewählt werden, nämlich der Beginn und das Ende der semivirtuellen Vorlesung. Eingesetzt wurden schriftliche Befragun en (vor und nach der Veranstaltung) mit Selbsteinsc ätzungej(Zudem bestand (nach Semesterende) die Möglichkeit erner freien ·Rüclmlelaung in einem dafür eingerichteten BSCW-Forum. Ergänzend dazu wurden Methoden eingesetzt, die neben Selbsteinschätzungen auch intersubjektiv nachvollziehbare Daten erbringen, nämlic~n Vorwissenstest, eine Analyse der Aufgabenlösungen sowie (Online- )Beobachtungen während des Semesters Die Bewertung aN\ffiTschiedenen didaktischen Elemente durch die Studierenden erfolgte ebenfalls schriftlich am Ende der Veranstaltung; hierbei haben wir zu allen eingesetzten Medien und Methoden mit Hilfe geschlossener und offener Fragen Rückmeldungen der Lernenden eingefordert, die in die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung einfließen62. Eine Analyse verschiedener Aspekte wie Anschlussfähigkeit und Innovationspotential derserii"i.;lrtuellen Vorlesung erforderte eine Gegenüberstellung er -Erfahrungen bei der Durchführung mit den theoretischen Kriterien, wie sie im ersten und zweiten Kapitel dieses Buches zusammengestellt sind. Die Evaluationsmethoden. Zu Semesterbeginn wurde eine schriftliche Befragung viCl Fragebogen durchgeführt, in der die Studierenden ihr medienpädagogisches Vorwissen, emotionale Aspekte sowie ihre Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Lernangeboten einschätzten sowie eine Reihe von Fragen zu den einzelnen Themenblöcken im Sinne eines (kleinen) Vorwissenstests beantworteten63. Während des Semesters wurden via Online-Beobachtung die Anzahl und Qualität der eingegangenen Aufgabenlösungen sowie die Drop-out-Rate dokumentiert; auch Geschehnisse wie Fragen, Statements u.ä. in der Face-to-Face-Vorlesung wurden beobachtet. Am Semesterende schätzten die Studierenden erneut via Fragebogen64 Veränderungen in ihrer Einstellung, im Wissenserwerb und in verschiedenen Fähigkeiten sowie die verschiedenen didaktischen Elemente der semivirtuellen Vorlesung hinsichtlich ihrer "Brauchbarkeit" für den Lernprozess ein. Die Lösungen zur letzten themenübergreifenden AufgabensteIlung sowie die freien Rückmeldungen im BSCW-Forum wurden einer Inhaltsanalyse unterzogen. Diese Rückmeldungen werden im Folgenden nicht näher vorgestellt, weil sie nur verstanden werden können, wenn man alle Details der Gestaltung der semivirtuellen Vorlesung auf der Mikroebene kennt, die in dieser Form nicht Inhalt des vorliegenden Buches waren. 63 Bei der Vorbefragung wurden 144 Fragebögen ausgewertet; teilgenommen haben aber nur 135 Studierende; 6 Studierende sind folglich nach der Vorbefragung abgesprungen. 64 Bei der Abschlussbefragung konnten 112 Fragebogen ausgewertet werden; bis zum Ende teilgenommen haben 130 Studierende; 18 Studierende haben den Fragebogen also nicht oder zu spät abgegeben. 62 64 13.2 Die Evaluationsergebnisse Im Folgenden werden Ausschnitte aus den Ergebnissen der Evaluation - bezogen auf die oben genannten Forschungsfragen - zusammenfassend dargestellt65. Wir werden an dieser Stelle nur auf solche Ergebnisse eingehen, auf deren Grundlage man Aussagen über die in Kapitel 11und Kapitel 111beschriebenen angenommenen Vorteile des Blended Learning in der Hochschullehre treffen kann. Über diese Ergebnisse hinaus haben wir in der Evaluation zahlreiche Hinweise für die Verbesserung des Präsenz-Elements, der CD-ROM wie auch der Gestaltung des Online-Elements erhalten, die in die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung einfließen, an dieser Stelle aber nicht weiter dargestellt werden. Vorerfahrungen mit e-Learning. In der Vorbefragung zu Beginn der semivirtuellen Vorlesung wollten wir von den Studierenden wissen, welche Vorerfahrung sie mit eLearning im Sinne des Lernens mit neuen Medien haben. Diese Frage erschien uns deshalb sinnvoll, weil man davon ausgehen kann, dass mangelnde Erfahrung tendenziell eher negative Gefühle gegenüber virtuellen Lernangeboten bewirkt. Die Antworten haben ergeben, dass - wie erwartet - nur 11,8 % der Veranstaltungsteilnehmer bereits ein paar Mal mit virtuellen Lehr-Lernangeboten gearbeitet haben, während über 88 % keine oder kaum Erfahrung mit e-Learning aufweisen. Tabelle 3 gibt die Verteilung der Antworten wieder. Tabelle 3: Vorerfahrungen mit e-Learning Haben Sie bereits mit virtuellen Lehr·Lernangeboten gearbeitet? 59,7% 28,5% 11,8 % 0% Antwortmöglichkeiten noch nie ein Mal ein paar Mal schon oft Sorge und Überforderung. Ebenfalls zu Beginn der semivirtuellen Vorlesung haben wir die Studierenden danach gefragt, ob sie in Bezug auf die Veranstaltungsteilnahme besorgt sind, z.B. wegen möglicher Überforderung oder zu hoher Arbeitsbelastung infolge des neuen mediendidaktischen und methodischen Ansatzes der Veranstaltung. 31,5 % haben angegeben, dass sie die semivirtuelle Vorlesung mit Sorge beginnen; die restlichen 68,5 % waren in dieser Hinsicht nicht besorgt. Angesichts der fehlenden Vorerfahrung ist der Prozentsatz der "besorgten Studierenden" nicht übermäßig groß; für die Durchführung der Veranstaltung ist es dennoch von großer Bedeutung, dass sich fast ein Drittel der Teilnehmer vor Überforderung oder zu hoher Arbeitsbelastung fürchten. Die folgende Abbildung zeigt die Verteilung der Antworten. 65 Eine detaillierte Darstellung der Evaluationsergebnisse findet sich bei Faust (in Vorbereitung). 65 trifft völlig zu trifft eher nicht zu trifft weitgehend zu - Ich beginne die Teilnahme an der semivirtuellen Vorlesung mit Sorge. trifft gar nicht zu Abb. 10: Besorgte Studierenden zu Beginn der semivirtuellen Vorlesung Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass lediglich 17% der Studierenden nach Abschluss der semivirtuellen Vorlesung angegeben haben, manchmal (in seltenen Fällen auch oft) von der Methodik des Blended Learning tatsächlich überfordert gewesen zu sein, während die große Mehrheit der Studierenden selten oder nie eine derartige Überforderung während des Semesters erlebt haben. Im Vergleich zur Vorbefragung kann man eine tendenzielle Reduktion negativer Gefühle in Bezug auf die semivirtuelle Vorlesung feststellen. Abbildung 11 zeigt die Ergebnisse im Einzelnen. ---- - 50,0%1 40,0%- JO,O'l"- 2O,O'l"- 10'0%1 I .....,.... nie seilen manchmal Wann fühlten Sie sich im Rahmen der sem ivirtuellen Vorlesung von der Methodik überfordert? oft Abb. 11: Überforderung durch die Methodik der semivirtuellen Vorlesung Einstellungsänderung. Sowohl in der Vorbefragung als auch in der Befragung am Ende der Veranstaltung haben wir die Studierenden explizit nach ihrer Einstellung zu virtuellen Lehr-Lernangeboten im Vergleich zu traditionellen Veranstaltungen an der 66 Hochschule befragt. Vor der semivirtuellen Vorlesung gaben immerhin 20,2 % der Befragten an, dass ihnen eine "normale Vorlesung" tendenziell lieber wäre. Nach der semivirtuellen Vorlesung waren nur noch 1,8 % dieser Meinung. Konform geht dieses Ergebnis auf der Basis subjektiver Einschätzungen mit der beobachteten Dropt-outRate von unter 4 % - eine Zahl, von der man in traditionellen Vorlesungen Uedenfalls in den Geistes- und Sozialwissenschaften) in der Regel nur träumen kann. Die genaue Verteilung der Antworten auf diese beiden Einstellungsfragen zeigt Tabelle 4. Tabelle 4: Einstellung zu virtuellen Anteilen vor und nach der semivirtuellen Vorlesung Eine "normale" Vorlesung wäre mir lieber (vorher) 2,8 % Eine "normale" Vorlesung wäre mir lieber gewesen (nachher) 0% Antwortmöglichkeiten trifft völlig zu 17,4 % 66,7 % 1,8 % 39,3 % trifft weitgehend zu trifft eher nicht zu 13,2 % 58,9 % trifft gar nicht zu Diese Ergebnisse bescheinigen der Pilotdurchführung der semivirtuellen Vorlesung zum einen eine hohe Akzeptanz; zum anderen kann sogar gefolgert werden, dass die Einstellung gegenüber virtuellen Lehr-Lernangeboten in der Hochschule durch die Teilnahme an der semivirtuellen Vorlesung positiv beeinflusst wurde. Unterstrichen wird Letzteres dadurch, dass fast alle Studierenden (98,2 %) in der Abschlussbefragung angaben, in Zukunft gerne ähnliche Veranstaltungen wie die semivirtuelle Vorlesung besuchen zu wollen. Dazu kommt, dass mehr als 50 % der Studierenden ihre Ansicht zu virtuellen Lernangeboten in der Hochschule in eine Richtung geändert haben, die für mehr Online-Zugriff auf Lehr-Lerninhalte sowie für eine stärkere Nutzung der neuen Medien für Interaktion und Kommunikation in der Hochschullehre spricht. Abbildung 12 zeigt die Veränderungen in den Einstellungen zwischen der Vorbefragung und der Abschlussbefragung. 100 GA Meinungszuwachs / nachher I Meinung vorher I Abb. 12: Veränderung der Einstellung gegenüber e-Learning an der Hochschule 67 Von Akzeptanzproblemen, wie man sie z.B. beim e-Learning in Unternehmen kennt, kann beim Blended Learning in der Hochschullehre im hier geschilderten Fall also keine Rede sein. Im Gegenteil: Vielmehr erhöhen die Studierenden ihre Erwartungen und Anforderungen an den Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre nach ihren Erfahrungen mit einem Prototyp des Blended Learning wie ihn die semivirtuelle Vorlesung darstellt. Aufbau von Fähigkeiten im Umgang mit e-Learning-Angeboten. Zu Beginn der Veranstaltung schätzten die Studierenden ihre Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Lehr-Lernangeboten hauptsächlich als "mittelmäßig" ein (63,4 %); nur 12 % hielten ihre Fähigkeiten diesbezüglich für hoch bis sehr hoch, während 24,6 % sogar meinten, diese seien gering bis sehr gering. Angesichts der defizitären Vorerfahrungen mit e-Learning-Angeboten (siehe oben) deutet dies auf eine realistische Selbsteinschätzung der Studierenden hin. Unsere Beobachtungen im Verlauf der Pilotdurchführung haben ergeben, dass es im Umgang mit den virtuellen Elementen der Vorlesung (CD-ROM und BSCW) kaum Schwierigkeiten gab. Bei der Abschlussbefragung hatten 71,5 % der Studierenden das Gefühl, dass sich ihre technischen Fertigkeiten im Umgang mit dem Online-Element (BSCW) etwas oder sehr verbessert haben; beim Offline-Element (CD-ROM) waren nur knapp über 30 % dieser Ansicht. Hier liegt der Schluss nahe, dass die CD-ROM - wie erhofft - selbsterklärend war, und die für das BSCW erforderlichen technischen Fertigkeiten im Prozess des Lernens problemlos erworben werden konnten. Neben der Verbesserung technischer Fertigkeiten haben wir in der Abschlussbefragung auch nach einer möglichen Erhöhung der Nutzungsstrategien mit dem Online- und dem Offline-Element beim Lernen gefragt: Hier gaben 71,5 % an, dass sich ihre Strategien bei der Nutzung des BSCW verbessert haben; bei der Nutzung der CD-ROM sahen 47,3 % verbesserte Nutzungsstrategien . Wissenszuwachs und Aufbau von Handlungskompetenz. In Bezug auf den Erwerb inhaltlichen Wissens haben wir die Studierenden vor der Vorlesung um eine Selbsteinschätzung des Wissensstands in den fünf Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung gebeten: Dabei zeigte sich, dass der Wissensstand insgesamt betrachtet nicht sonderlich hoch, in den Bereichen Medienwirkungsforschung und Medienkompetenz noch am höchsten eingeschätzt wurde66. Die Ergebnisse des Vorwissenstests stützen diese Selbsteinschätzung allerdings nur bedingt und verweisen auf einen eher niedrigen Vorwissensstand zu den Inhalten der Veranstaltung. Interessant ist an dieser Stelle vor allem die Einschätzung der Studierenden im Hinblick auf den Wissenszuwachs durch die semivirtuelle Vorlesung: Mit einigen Schwankungen bei den einzelnen Themenblöcken waren die Studierenden mehrheitlich der Ansicht, dass sie bei den Inhalten der Vorlesung einen hohen bis sehr hohen Wissenszuwachs erreichen konnten. Abbildung 1367 veranschaulicht den Wissenszuwachs in den verschiedenen Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung, wie ihn die Studierenden selbst einschätzten. Dies stimmt auch damit überein, dass in den Semestern vor 2001 die meisten Seminare zu diesen Schwerpunkten angeboten wurden. 67 Bei "Lernen/Lehren mit Medien" machen 0,9 % keine Angaben. 66 68 Wissenszuwachs zum Thema l Farbe Evaluation % ••••••••••• _ • mitteil sehr groß 11I ge'n9 I C I.·..•·..•.•1•••••••• I ,eh, ge,n91 Organisationsent•• wicklung mit Medien % LernenILehren mit Medien % Medienkompetenz % _)1•••••••••••• I -I•••••••••••• I Medienwirkungsforschung % ~riQilM==~ •••• I _ , 25 --,50 75 100 Abb. 13: Einschätzung des Wissenszuwachses nach der semivirtuellen Vorlesung Unterstützt wird die Selbsteinschätzung des Wissenszuwachses durch eine Analyse der Lösungen zu den problemorientierten Aufgaben, die in jedem Themenblock gesteilt wurden: Fast alle Lösungen zeichneten sich durch keine oder geringe Fehlerhaftigkeit in der Verwendung theoretischer Konzepte aus. Zudem zeigte sich, dass die Studierenden in der Lage waren, die erworbenen Konzepte in konkreten Kontexten sinnvoll anzuwenden und kreativ umzusetzen, was neben dem Wissenszuwachs auch auf einen Aufbau von Handlungskompetenz68 hindeutet. Schließlich verweisen die Lösungen in der Abschlussaufgabe, die eine Vernetzung der "mentalen Modelle" aus den vorangegangenen Themenblöcken erforderte, darauf, dass es der Mehrheit der Studierenden gelungen ist, die neu erworbenen Inhalte auch zu vernetzen und bei der Bearbeitung einer authentischen Problemstellung sinnvoll zueinander in Bezug zu setzen69. Unterstützung des Lernens durch verschiedene didaktische Elemente. Nach Ansicht der Studierenden waren für den Wissenserwerb in der semivirtuellen Vorlesung sowohl die verschiedenen Repräsentationsarten der Lehr-Lerninhalte als auch die (damit zusammenhängende) Medien- und Methoden-Mischung von Bedeutung. Fast alle Studierenden (99,1 %) waren der Ansicht, dass die verschiedenen Formen der Repräsentation von Wissen (insbesondere in der Vorlesung und auf der CD-ROM) beim Lernen geholfen haben. Alle drei wesentlichen Elemente der semivirtuellen Vorlesung - das Face-to-Face-Element, das Offline-Element (CD-ROM) und das OnlineElement (BSCW) - wurden als wichtig für das Lernen erachtet: Die meisten Befragten (92 %) hielten die CD-ROM für wichtig bis sehr wichtig für das Lernen. Beim 66 Handlungskompetenz meint an dieser Stelle die Fähigkeit, das Gelernte in einer problemorientierten Aufgabe anzuwenden (im Gegensatz zu einer bloßen Reproduktion neu erworbener Inhalte). 69 Zwar gibt es bei den Lösungen zu problemorientierten Aufgaben kein eindeutiges "richtig" oder .,falsch"; bei der Bewertung der Aufgabenlösungen lässt sich jedoch durchaus die Qualität einer Lösung bewerten; dies erfolgte bei der Pilotierung mit einem Punkteschlüssel von 0 (nicht akzeptierte Lösung) bis 4 (hervorragende Lösung), wobei 80% der Abschlusslösungen mit 3 oder 4 Punkten bewertet wurden. Eine wissenschaftliche Analyse der Lösungen steht allerdings noch aus. 69 Online-Element (dem BSCW) waren knapp 13 % dieser Ansicht; 56,8 % meinten, das BSCW habe zumindest "ein wenig" geholfen. Allerdings hielten knapp 39 % die Veröffentlichung der Aufgabenlösungen im BSCW für wichtig bis sehr wichtig, was ebenfalls für das Online-Element spricht. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass das Prinzip der "Mischung" von Medien und Methoden, wie es für das Blended Learning charakteristisch ist, insgesamt betrachtet eine positive Einschätzung erfährt. Abbildung 14 zeigt noch einmal im Detail die Einschätzung der verschiedenen Elemente der semivirtuellen Vorlesung in ihrer Bedeutung für das Lernen. Unterstützung durch das BSCW (Online- )Forum % - Farbe die Dnline-Veröffentlichung der Aufgabenlösung % EI gar nicht • ein wenig • sehr viel I viel die kooperative Gruppenarbeit % die CD-ROM % •• die Face-to-FaceVorlesung % . 0,0 , , 25,0 50,0 . 75,0 . 100,0 Abb. 14: Einschätzung der verschiedenen Element der semivirtuellen Vorlesung in ihrer Bedeutung für das Lernen Auch die didaktischen Elemente "kooperative Aufgabenbearbeitung" und "Problemorientierung bei den Aufgaben" wurden von den Studierenden als vorteilhaft für das eigene Lernen beurteilt: 63,4 % der Studierenden waren der Meinung, dass die kooperative Bearbeitung der Aufgaben ein kontinuierliches Lernen gefördert haben; und das kontinuierliche Lernen wiederum ist für die große Mehrheit der Studierenden (86,6 %) günstig für den Wissenserwerb. Dass die problemorientierten Aufgaben erste Anwendungsmöglichkeiten der neu erworbenen Inhalte aufzeigen, meinten fast alle Befragten (91 %) und äußerten sich damit sehr zufrieden mit dem Anwendungsbezug der Lehr-Lerninhalte in der semivirtuellen Vorlesung. Implementation. Die Frage, wie gut sich die semivirtuelle Vorlesung als Prototyp des Blended Learning im regulären Lehrbetrieb inhaltlich und methodisch integrieren lässt, ist nach der Pilotierung natürlich nur in Grenzen zu beurteilen - hier sind Beobachtungen im Echtbetrieb erforderlich, worüber wir noch keine Daten haben. Im Rahmen der Pilotdurchführung konnte die semivirtuelle Vorlesung im vorliegenden Kontext nahtlos in das bestehende Curriculum eingebunden werden, weil die Inhalte hierauf zugeschnitten waren. Aber auch methodisch fügte sich diese Form des Blended Learning selbst auf der Grundlage anfänglicher Skepsis und fehlender Vorerfahrungen der Studierenden (siehe oben) ohne Schwierigkeiten in den regulären Lehrbetrieb ein: Nach wenigen Wochen war die in der se mi virtuellen Vorlesung geforderte Art des Lernens und Arbeitens bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden, was 70 auch die vorgestellten hohen Akzeptanzwerte belegen. Der Aufwand seitens des Dozenten lag während der Durchführung der Veranstaltung (also ohne Konzeption und Vorbereitung) mit ca. drei bis vier Stunden pro Woche über dem üblichen Aufwand für einer Vorlesung. Diese "Kosten", die vor allem durch die Bewertung der Aufgabenlösungen während der Semesters verursacht wurden, konnten aber aufgrund des Wegfalls z.B. von Klausurkorrekturen am Ende der Veranstaltung wieder weitgehend "wettgemacht" werden. Hoch ist allerdings der Aufwand für die Konzeption der semivirtuellen Vorlesung. Inwieweit sich dies im Laufe mehrerer Semester sozusagen amortisiert, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Im Falle einer regelmäßigen Evaluation im Sinne eines Qualitätsmanagements (siehe Abschnitt 19) sollte man nach bisherigen Erfahrungen jedenfalls nicht von Kosteneinsparungen (also Einsparungen von Zeit, Anstrengung und Geld) im Vergleich zu herkömmlichen Veranstaltungen ausgehen. Einfache Kosten-Nutzen-Kalkulationen auf der Dozentenseite sind jedoch an dieser Stelle nicht angebracht; denn ohne Einbezug des "Nutzens" auf der Seite der Studierenden muss eine solche Rechnung im Rahmen einer Bildungsinstitution wie der Hochschule zwangsläufig hinken. 13.3 Die Frage nach der didaktischen Innovation Ist die semivirtuelle Vorlesung nun so etwas wie eine didaktische Innovation? Sind die Kriterien einer Innovation erfüllt und kommt es zu nachhaltigen Veränderungen in der Hochschullehre, wenn man einen Prototypen des Blended Learning wie die semivirtuelle Vorlesung konzipiert und umsetzt? In ähnlicher Weise wie im ersten Kapitel wollen wir uns dieser Frage im Rahmen der Evaluation ein letztes Mal und in aller Kürze "trichterförmig" nähern und untersuchen, ob die semivirtuelle Vorlesung die generellen Kriterien einer Innovation erfüllt, inwieweit man sie als eine didaktische Innovation bezeichnen kann und wie dies im Kontext der Hochschule zu bewerten ist. Erfüllte Innovationskriterien. Die Kriterien einer Innovation, wie sie im Rahmen der Innovationsforschung gefordert und in Kapitel I beschrieben wurden, nämlich merkliche Veränderung durch die Neuerung, bewusste Wahrnehmung der Neuerung, nachhaltige Implementation, können in der semivirtuellen Vorlesung als erfüllt gelten: (a) Die semivirtuelle Vorlesung brachte (wie die Evaluation belegt) qualitativ neue Ergebnisse hervor, die eine merkliche Veränderung zum vorangegangenen Zustand (nämlich zum Lehren sowie zu Lernprozessen und -ergebnissen) in der klassischen Vorlesung bewirkten. (b) Die Neuartigkeit der Veranstaltung im Medienarrangement, in der Methodenkombination und in der Organisation des Lernens wurde (von den Studierenden) bewusst wahrgenommen und (nach eigenen Aussagen) als innovativ empfunden. (c) Das der Veranstaltung zugrunde liegende Blended Learning-Konzept wurde konkret umgesetzt und in den regulären Veranstaltungsbetrieb implementiert; nach einigen Verbesserungen wird die semivirtuelle Vorlesung als fester Bestandteil der Medienpädagogik (in Augsburg) alle zwei Semester angeboten und damit eine nachhaltige Nutzung realisiert. Die semivirtuelle Vorlesung als didaktische Innovation. In einem ersten Schritt kann man festhalten, dass die semivirtuelle Vorlesung dem Blended Learning-Ansatz zuzuordnen ist, wie er in Kapitel 11 beschrieben wurde. Für das Blended Learning wiederum haben wir herausgearbeitet, dass diese Form des e-Learning insbeson- 71 dere durch seine Integrationsmöglichkeiten auf den didaktisch relevanten Ebenen der Theorie, der Methodik und der Medien ein nicht zu unterschätzendes Innovationspotential für die Hochschullehre beinhaltet. In einem zweiten Schritt ist anzumerken, dass es sich beim Blended Learning im Allgemeinen und bei der semivirtuellen Vorlesung im Besonderen um eine Prozess- und Strukturinnovation (in seltenen Fällen auch um eine Produktinnovation) handelt, die in erster Linie Neuerungen bei der instruktionalen Gestaltung (mit Auswirkungen auf die curriculare Gestaltung) und mit Einschränkung auch auf die Gestaltung der Lernorganisation in der Hochschule hat. Das Innovationspotential der semivirtuellen Vorlesung erfährt darüber hinaus eine Stärkung durch die Tatsache, dass dieser Prototyp des Blended Learning einige zentrale Innovationsbarrieren in der Hochschule teils umgehen, teils bewältigen kann. Inkremental-evolutionärer Innovationsprozess durch die semivirtuelle Vorlesung. Eine regelmäßige Durchführung der semivirtuellen Vorlesung wird schrittweise - so unsere Erwartung - Lerngewohnheiten, Ziele und Ansprüche sowie Einstellungen verändern: Lerngewohnheiten von Studierenden können sich dahingehend ändern, dass z.B. eher verteilt gelernt wird, dass mehr kooperativ gearbeitet wird, dass auch in selbstgesteuerten Lernphasen mit neuen Medien experimentiert wird. Auch die Ziele und Erwartungen der Studierenden beim Besuch von Lehrveranstaltungen können durch vermehrte Blended Learning-Angebote wie die semivirtuelle Vorlesung Veränderungen erfahren: So steigen womöglich die Ansprüche der Studierenden etwa an Anwendungsbezug, multiple Darstellungsformen und Freiheitsgraden beim Wissenserwerb. Frontalunterricht in Reinform, sofern er dysfunktional ist, fehlende Anschauung und andere Mängel in der Lehre werden möglicherweise nicht mehr klaglos hingenommen, wenn man es auch anders kennen gelernt hat. Zwar kann man davon ausgehen, dass es ohnehin bald eine generelle Erwartungshaltung der Studierenden im Hinblick auf den Einsatz der neuen Medien an den Hochschulen geben wird, weil man zunehmend mehr von Generationen ausgehen muss, für die der Umgang mit Multimedia und Internet eine Selbstverständlichkeit ist (Müller-Böling, 2001). Doch auch hier können Blended Learning-Angebote wie die semivirtuelle Vorlesung modellierend wirken und positiven Einfluss auf eine eigenständige sinnvolle Medienauswahl und -nutzung nehmen. Und schließlich sollte es im Laufe der Zeit dazu kommen, dass die Einstellungen der Studierenden (und der Lehrenden) einen Wandel durchmachen: weg von einem Lernverständnis wie dem "Nürnberger Trichter" hin zu einer Auffassung vom Lernen als eigenaktiven und konstruktiven Prozess in Selbstverantwortung, aber auch weg von einer (in den Geistes- und Sozialwissenschaften häufig anzutreffenden) strikten Ablehnung des e-Learning (oder auch einem selteneren unkritischen e-Learning-Fieber) hin zu einer intelligenten, ziel- und gegenstandsbezogenen Nutzung der neuen Medien. Veränderungen dieser Art, die sich "bottom up" entwickeln, können zu einem inkremental-evolutionären Innovationsprozess durch Blended Learning führen, der im Vergleich zu sprunghaften Neuerungen und Veränderungen eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit für nachhaltige Entwicklungen hat. 72 13.4 Verbesserungsideen Viele Hinweise für die Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung haben wir aus Beobachtungen während der Durchführung sowie aus Verbesserungsvorschlägen im Online-Form des BSCW seitens der Teilnehmer und aus der Beantwortung offener Fragen bei der Abschlussbefragung (auf die hier im Detail nicht eingegangen wurde) gewonnen. Die Evaluation kann vor diesem Hintergrund als entscheidender Motor für die Optimierung virtueller Lehr-Lernangebote betrachtet werden (siehe hierzu Abschnitt 19). Was wir bei der Fortführung der semivirtuellen Vorlesung im regulären Lehrbetrieb ändern werden, soll im Folgenden in aller Kürze skizziert werden. Mehr Online- Texte. Neben den Hypertexten auf der CD-ROM werden wir bei der Uberarbeitung des Offline-Elements zu jedem Themenblock noch zwei bis drei zusätzliche Online-Texte, die im Netz frei verfügbar sind, anbieten. Dies erscheint notwendig, um denjenigen Studierenden mehr Material zur Verfügung zu stellen, die bereits - trotz der Stofffülle - vertiefende Studien zu einzelnen Themen betreiben wollen. Da ein- und dasselbe Thema von verschiedenen Autoren oft recht unterschiedlich interpretiert und gehandhabt wird, kann damit auch der Multiperspektivität der Themen stärker Rechnung getragen werden. Praktikablere DruckfunktiQfr. Bei der Überarbeitung der in der semivirtuellen Vorlesung eingesetzter1CD-ROM werden wir eine bessere Druckfunktion der Informationsblöcke einbauen, da sich diese für viele Studierende als wichtig herausgestellt hat. Zwar wurde bei der Erstellung der Hypertexte darauf geachtet, kurze und auf dem Bildschirm gut lesbare Informationsblöcke zu erstellen - dennoch ist das Bedürfnis, die Informationen auf Papier zu haben, ungebrochen, was man nicht einfach übergehen kann. Genauere Instruktione Obschon die Instruktionen etwa zur Bearbeitung der problemorientierten Aufgaben bereits viele Details beinhalten (vgl. Kasten 1 in Abschnitt 12.3), zeigte sich, dass man zusätzlich auf die große Variationsbreite der möglichen Antworten hinwiesen sollte. Aufgrund der Tatsache, dass sich einige Gruppen geradezu professionell an die Bearbeitung der Aufgaben gemacht hatten, entstand bei denjenigen, die sich den Aufgaben mit weniger Professionalität gewidmet hatten, eine gewisse Verunsicherung. Diese mögliche Verunsicherung werden wir künftig durch geeignete Hinweise in der Instruktion auffangen. Keinesfalls aber wollen wir auch in Zukunft die Kreativität einzelner Gruppen blockieren. Differenzierteres Pun tesy.stem. ng verbunden mit dem gerade Gesagten ist die Erfahrung, dass wir ein differenzierteres Punktesystem benötigen. Die gewählte Beurteilung der einzelnen Aufgabenlösungen von 0 bis 4 Punkten stellte sich vor allem im oberen Bereich als eher unflexibel heraus (vgl. Kasten 2 in Abschnitt 12.3): Es gab zu wenig Differenzierungsmöglichkeiten zwischen sehr guten Lösungen, die den Erwartungen voll und ganz entsprachen, und herausragenden Lösungen, die die Erwartungen übertrafen. Bei der nächsten Durchführung werden wir das Punktesystem von 0 auf 6 Punkte erweitern und genauer darauf hinweisen, was unter welcher Punktezahl im Einzelnen zu verstehen ist. Konze tionelle Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung. er dargestellte Prototyp des Blended Learning in Form einer semivirtuellen or esung lässt sich weiterentwickeln zu einem Veranstaltungskonzept, in dem mehrere Lehrende/Experten beteiligt sind und somit der Aspekt "verteilte Expertise" hinzukommt (siehe Abschnitt 73 14). Diese Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung war von Anfang an mitgedacht, da man davon ausgehen kann, dass sowohl Face-to-Face-Vorlesungen als auch Hypertexte dann an Qualität zunehmen, wenn der Vortragende bzw. der Autor für den jeweiligen Themenbereich ein ausgewiesener Experte ist, also zu diesem Bereich auch Erfahrungen in der Forschung oder in praktischen Umsetzungen aufweisen kann. Bei der Einschätzung des Wissenszuwachses in den fünf Themenblöcken der semivirtuellen Vorlesung zeigte sich - wenn auch nur mit leichter Tendenz - ein besonders hoher Wissenszuwachs beim Thema "Medieneinsatz" bzw. "Medien und Lernen" (vgl. Abbildung 13 in Abschnitt 13.2). Dieser Themenbereich umfasst Inhalte, mit denen die Entwicklerin der Veranstaltung und Autorin der Hypertexte am meisten vertraut ist. Mit aller Vorsicht kann man dies als empirischen Hinweis darauf deuten, dass der Expertisegrad des Vortragenden/Autoren eine große Rolle spielt - selbst in einer Veranstaltung, die eher orientierende Funktion hat und entsprechend nicht in die Tiefen einzelner Themen geht. Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit einer speziellen Möglichkeit der Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung, bei der verschiedene Experten (aus einer oder verschiedenen Hochschulen) für die Konzeption und Durchführung des Blended Learning herangezogen werden, sodass jedes Thema in Expertenhand ist. Besonderes Kennzeichen dieser Weiterentwicklung ist damit die "verteilte Expertise". 14. Weiterentwicklung: Expertise Blended Learning mit Nutzung verteilter Beim Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise setzt man auf Synergie und Koordination von Expertenwissen und Expertenhandeln von Hochschullehrern, die auf verschiedene Fachbereiche einer Hochschule oder auf verschiedene Hochschulen verstreut sind, um auf diesem Wege einen Mehrwert zu erzielen. Diese Weiterentwicklung erhöht die inhaltliche Qualität des Lernangebots bei gleichzeitiger Reduktion des Aufwands für einzelne Experten. Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise ist in dieser Form vor allem für kleinere Hochschulen und für Studiengänge mit geringen (personellen) Ressourcen (z.B. eine Professur für ein Fach im Vergleich zu mehreren Lehrstühlen für ein Fach7o) vorteilhaft; dazu kommt die wachsende Zahl von Bachelor- und Master-Studiengängen, die häufig interdisziplinär aufgebaut sind und die Kooperation von mehreren Fachexperten in der Lehre erfordern. Aber auch für die (wissenschaftliche) Weiterbildung sowie für Kooperationen mit der Wirtschaft (Stichwort: Corporate Universities; siehe Abschnitt 14.3) wird dieses Blended Learning-Konzept interessant, denn: Wenn Expertise zum knappen Gut wird, ist die synergetische Nutzung verteilten Wissens durch neue Medien nicht nur eine didaktische Innovation, sondern auch eine Innovation von ökonomischer Bedeutung. Dies war auch die Ausgangssituation für die semivirluelle Vorlesung, denn: Für die Medienpädagogik in Augsburg gibt es eine Professur (ohne Mitarbeiter) im Vergleich etwa zu drei Lehrstühlen (mit Mitarbeitern) für die Allgemeine Pädagogik. 70 74 14.1 Die Kernidee Spezialisierte Generalisten gesucht. Komplexes Problemlösen ist eine Aufgabe, die im Berufsleben immer häufiger gefordert wird. Meist setzt die Lösung komplexer Probleme die Zusammenarbeit von Personen mit verschiedenem Fachwissen und Erfahrungshintergründen voraus, denn reale Probleme halten sich nicht an enge Fächerstrukturen. Neben Fachwissen muss allerdings auch Verständnis für Zusammenhänge da sein; es steigt der Bedarf an vernetztem Denken und an Fähigkeiten, etwa multiple Perspektiven eines Phänomens zu begreifen. Diese Anforderung steht auf den ersten Blick im Gegensatz zu dem in der Wirtschaft immer häufiger geforderten "Iearning-on-demand" oder "Iearning-just-in-time", bei dem im Prozess des Problemlösens bedarfsorientiert neue Informationen eingeholt, in die eigene Wissensstruktur integriert und unmittelbar umgesetzt werden sollen. Bei genauerer Analyse zeigt sich jedoch, dass in komplexen Domänen ein tiefes Verstehen Voraussetzung für ein solches situatives "Iearning-just-in-time" ist. Diese Voraussetzung soll u.a. in den Hochschulen geschaffen werden: Dort erwartet man sich, dass die grundlegenden Prinzipien eines Gegenstandsbereichs vermittelt werden, dass jemand in seinem Gegenstandsbereich in die Tiefe geht und erfährt, was Spezialisierung bedeutet. Gleichzeitig aber muss - wie oben angedeutet - auch ein Verständnis für Zusammenhänge und so etwas wie inhaltliche Breite gefördert werden. Für Hochschullehrer bedeutet das, dass paradoxe Anforderungen auf sie zukommen: Sie sollen auf der einen Seite so viel Expertise haben, dass sie die Tiefen eines Themas vermitteln können, und auf der anderen Seite sollen sie Generalisten sein, um die Vernetzung von Inhalten eines Faches und die Multiperspektivität verschiedener Phänomene deutlich zu machen. Damit liegt nicht nur ein Lern- sondern auch ein Lehrproblem vor, denn "spezialisierte Generalisten" dürften auch an der Hochschule im Zuge des Wissenswachstums allmählich "aussterben". Blended Learning und die Synergie von Spezialisten. Mit dem Aufschwung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien und der e-Learning-Euphorie der letzten Jahre waren die Hoffnungen groß, beide Probleme (das oben genannte Lehr- und Lernproblem) mit Hilfe der neuen Medien und virtuellem Lernen in den Griff zu bekommen. Dass sich diese Erwartungen (gerade auch im Hochschulkontext) kaum erfüllt haben, wurde in Kapitel I bereits dargestellt (vgl. Abschnitt 3). Inwiefern Blended Learning dazu geeignet ist, die bisherigen e-Learning-Schwierigkeiten zu überwinden und Innovationen in der Hochschullehre neue Impulse zu geben, war Gegenstand von Kapitel 11.In den vorangegangenen Abschnitten schließlich wurde mit der semivirtuellen Vorlesung ein Prototyp des Blended Learning vorgestellt, der sich von einem Hochschullehrer als Experten für die zu vermittelnden Inhalte durchführen lässt. Nun haben wir auf die Schwierigkeit verwiesen, dass komplexe Themen - vor allem solche, die auch in andere Disziplinen und Fächer hineinreichen - von nur einem Experten kaum abzudecken sind. Von daher liegt es nahe, die im Blended Learning herangezogenen neuen Medien auch dafür einzusetzen, mehrere Experten (für verschiedene Inhaltsbereiche) in eine Veranstaltung wie die semivirtuelle Vorlesung einzubinden und unterschiedliche Expertisen entsprechend zu bündeln. Blended Learning wird damit zu einem Konzept, das verteilte Expertise nutzt, um die Qualität der Veranstaltungsinhalte zu erhöhen, und gleichzeitig den Aufwand einzelner Hochschullehrer reduziert (siehe Abschnitt 14.2). Nutznießer dieser Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung sind vor allem die Studierenden bzw. die Ler- 75 nenden, die auf das Wissen und Können mehrerer Experten zurückgreifen können was umso wichtiger wird, je komplexer und anspruchsvoller die zu erlernenden Inhalte sind und je kleiner die Hochschule und/oder je spezieller der Studiengang oder das Weiterbildungsangebot ist. Von der Vorlesung zur Weiterbildungsveranstaltung. Da das Blended Learning in diesem Buch im Kontext der Hochschule eingeführt und realisiert wurde, haben wir (aus mehreren Gründen) die Veranstaltungsform der Vorlesung zum Ausgangspunkt gemacht. Mit der Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung zu einem Blended Learning-Konzept, das durch Nutzung verteilter Expertise auch für die Weiterbildung interessant wird, bleiben zwar die zentralen Merkmale der Face-to-Face-Elemente erhalten, aber man wird nicht mehr von "Vorlesung", sondern eher von einer Weiterbildungsveranstaltung sprechen. Diese begriffliche Anpassung ändert nichts an der didaktischen Konzeption - und vielleicht würde es auch in der Hochschule sinnvoll sein, mit einer anderen Bezeichnung die typischen Assoziationen zur Vorlesung ("vorlesen", zuhören, abschalten, träumen, kommen und gehen, wann man will etc.) zu unterbinden und damit Einstellungen zum Veranstaltungstyp "Vorlesung" (in eine positive, nämlich aktive Richtung) langfristig zu verändern. Die folgenden Ausführungen beziehen sich vor diesem Hintergrund sowohl auf den Kontext der Hochschule als auch auf die (wissenschaftliche) Weiterbildung?1. 14.2 Das mediendidaktische Szenario Unterschiede zur semivirluellen Vorlesung. Die beschriebene Weiterentwicklung des Blended Learning zu einem Modell mit Nutzung verteilter Expertise unterscheidet sich von der "einfachen" semivirtuellen Vorlesung in drei wesentlichen Punkten: (a) Die Erarbeitung und (medien-)didaktische Aufbereitung der Inhalte kommt nicht "aus einer Hand"; vielmehr arbeiten mehrere Experten zusammen, indem jeder nur ein, nämlich das Thema übernimmt, für das er besondere Expertise hat. Jeder Experte entwickelt für sein Thema eine Face-to-Face-Veranstaltung72, einen Hypertext mit Übersichtsgrafiken sowie eine problemorientierte AufgabensteIlung. (b) Parallel zur Erarbeitung und Aufbereitung der Inhalte erfolgt auch die Durchführung der Veranstaltung in verteilter Form: Jeder Experte macht vor Ort seine Face-to-Face-Veranstaltung, betreut die nachfolgende Selbstlernphase73 mit der CD-ROM und begleitet und bewertet die kooperative Bearbeitung seiner AufgabensteIlung. (c) Jede Face-toFace-Veranstaltung wird aufgezeichnet und allen Lernenden, die nicht vor Ort studieren/lernen, Igltalisiert als Video zur Verfügung gestellt. Möglich, aber nicht notwendig, ist auc ein nchrone Übertragung an andere Veranstaltungsorte (siehe unten). Wichtig ist an dieser Stelle, dass die aufgezeichneten Face-to-Face-Veranstaltungen nich' 'e Selbstlernphase integriert werden, sondern weiterhin Bestandteil des Präsenzelements der hybriden Lernumgebung bleiben, das heißt: Der Dozent vor Ort sieht sich mit den Lernenden (vor Ort) gemeinsam die aufgezeichnete Veranstaltung an, initiiert und moderiert an geeigneten Stellen Diskussionen und stellt damit die soziale Interaktion in den Präsenzphasen sicher. Zusätzlich kann man die Videoaufzeichnung online zugänglich machen. Im Vergleich zur semivirtuellen 71 Statt .Vorlesung" wird im Folgenden von .Veranstaltung" gesprochen, um die Eignung auch für den Weiterbildungsbereich nicht durch Begriffiichkeiten einzuschränken. 72 Gemeint ist eine Sitzung im Rahmen einer Vorlesung oder Veranstaltungsreihe. 73 Die Betreuung bezieht sich auf alle Lernenden, nicht nur auf die vor Ort. 76 Vorlesung wird in diesem Blended Learning-Modell das Medienarrangement um die Videokomponente erweitert und das Konzept durch die Idee der Nutzung verteilter Expertise ergänzt. Die grundlegende Blended Learning-Konzeption bleibt jedoch erhalten. Arbeitsteilung und Koordination. Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise in der dargestellten Form setzt auf Arbeitsteilung entsprechend des vorhandenen Expertenwissens: Jeder Experte ist für sein Thema verantwortlich; d.h. er übernimmt für einen bestimmten Zeitraum (z.B. 2 Wochen) die Verantwortung für das Präsenz-, das Offline- und das On line-Element der Veranstaltung. In dieser Zeit ist der Experte für alle Lernenden der Ansprechpartner für inhaltliche Fragen sowie der Betreuer der kooperativen Aufgabenbearbeitung. Arbeitsteilung aber macht auch Koordination erforderlich: Die Qualität der einzelnen Themenblöcke muss ebenso sichergestellt werden wie die Kohärenz der gesamten Veranstaltung; es muss gewährleistet werden, dass die methodischen und medienbezogenen Standards des Blended Learning-Konzepts eingehalten werden und die zeitliche Organisation funktioniert. Zudem muss natürlich das Medienarrangement einheitlich sein: Es gibt ein Online-Forum und eine CD-ROM - nur, dass diese inhaltlich verteilt gestaltet wird. Wichtig ist darüber hinaus eine Koordination der technischen Seite, die mit der Integration von Video-Elementen im Vergleich zur semivirtuellen Vorlesung ("aus einer Hand") etwas aufwändiger ist. Arbeitsteilung und Koordination bedürfen einer sorgfältigen Planung; sowohl bei der Konzeption als auch bei der Durchführung des Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise kommt es insbesondere darauf an, die Experten, ihr Handeln und die resultierenden Inhalte sorgfältig zu koordinieren. Maßgeschneiderte Anpassung an spezifische Lehr-Lernkontexte. Das hier skizzierte mediendidaktische Szenario für eine semivirtuelle Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise in Hochschule und Weiterbildung ist ein grundlegendes Modell mit mehreren Variablen, die sich je nach Lehr-Lernkontext unterschiedlich gestalten lassen. Grundsätzlich gilt, dass sich alle Themengebiete (vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, einschließlich den Wirtschaftswissenschaften) für eine semivirtuelle Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise eignen, deren Komplexitätsgrad eine ausgedehntere Lernphase sinnvoll erscheinen lässe4. Dazu kommt als Voraussetzung für diese Form des Blended Learning, dass das erforderliche Fachwissen und -können eine knappe Ressource und nicht an einem Ort zu haben ist. Variieren kann man eine semivirtuelle Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise im technischen Aufwand, im Zeitrahmen und in der Anzahl der Experten (Umfang), in der Aufbereitung des elektronischen Materials, in der Anzahl der Aufgaben und der Art der Aufgabenbearbeitung (inhaltliche Gestaltung), in der Moderation der virtuellen Phase, in der Feedbackgestaltung und der Bewertung (Betreuung). Die variable Gestaltung macht eine maßgeschneiderte Anpassung dieser Form des Blended Learning an verschiedene Inhalte, Ziele, Zielgruppen, Zeitressourcen und technischen Rahmenbedingungen in Hochschule und Weiterbildung möglich. Die verschiedenen Varianten bei der Ausgestaltung der einzelnen Variablen unterscheiden sich vor allem darin, wie viele Ressourcen (Zeit, Geld, Personal etc.) sie jeweils binden. Dieser Hinweis ist vor allem für das Blended Learning in der Weiterbildung wichtig, in der man oft ein konzentriertes Lernen in kurzer Zeit (z.B. eintägige Seminare) favorisiert - was nicht immer funktional ist, - vor allem dann nicht, wenn Weiterbildungsziele über einen einfachen Fertigkeitserwerb hinausgehen. 74 77 Umfang. (a) Abhängig von vorhandenen Möglichkeiten sind mehr oder weniger aufwändige technische Varianten für die Umsetzung des Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise denkbar. So können die Präsenzveranstaltungen z.B. synchron übertragen oder so aufgezeichnet werden, dass man darauf asynchron zugreifen kann. Letzteres ist aus unserer Sicht ausreichend und praktikabler. Eine Variation des technischen Aufwands ist natürlich auch im Offline-Element möglich, indem man statt hypertextueller Darstellungen hypermediale Präsentationsformen wählt. Auch in Bezug auf die Online-Komponenten kann man vom Aufwand her variieren und z.B. zusätzliche Werkzeuge wie Visualisierungs-Tools u.a. anbieten75. (b) Je nachdem, wie viele Themenblöcke in der Veranstaltung vermittelt und bearbeitet werden sollen, kann die zeitliche Erstreckung einer semivirtuellen Veranstaltung unterschiedlich sein: Empfehlenswert erscheinen mindestens drei bis maximal sechs Themenblöcke; bei jeweils zweiwöchigen virtuellen Phasen führt dies in etwa zu einer zeitlichen Veranstaltungsdauer von sechs bis zwölf Wochen. Allerdings lassen sich die virtuellen Phasen prinzipiell auch zu je einer Woche kürzen oder zu je drei Wochen verlängern, was die Veranstaltungsdauer entsprechend kürzer oder länger macht; eine Dauer von sechs Wochen sollte jedoch nicht unterschritten und von achtzehn Wochen nicht überschritten werden. (c) In Abhängigkeit von der (für die Themenvermittlung erforderlichen) Expertise kann man alle oder auch nur einige Themenblöcke von verschiedenen Experten besetzen. Dabei ist zu beachten, dass die Übernahme von zwei oder mehr Themenblöcken von einem Experten den erforderlichen Aufwand für den einzelnen Lehrenden wieder erhöht und die Vorteile einer möglichst breit verteilten Expertise (sowie den Anreizcharakter für einzelne Experten) entsprechend mindert. Inhaltliche Gestaltung. (d) Wie man das elektronische Material (insbesondere auf der CD-ROM) im Einzelnen gestaltet, ist eine Frage, die man ausgehend von den angestrebten Zielen und den Inhalten eines Themenblocks beantworten muss. Als Grundstruktur ist ein Hypertext vorgesehen, der die Inhalte des Präsenzelements zusammenfasst, aber auch erweitert bzw. erläutert. Je nach Thema und/oder Ressourcen ist aber auch eine hypermediale Gestaltung (s.o.) möglich, was wiederum Einfluss auf die Inhaltsauswahl und Strukturierung hat. (e) Zur aktiven Verarbeitung der dargebotenen Inhalte sollte jeder Themenblock mindestens eine Aufgabe enthalten, die so beschaffen ist, dass deren Beantwortung eine Anwendung der vermittelten Inhalte darstellt (vgl. Abschnitt 12.2): Empfehlenswert sind kurze Fälle oder authentische/realitätsnahe Problemstellungen. Je nachdem, wie viel Aufwand in die Feedbackgestaltung investiert werden kann und wie lange eine virtuelle Selbstlernphase dauern soll, lassen sich natürlich auch zwei oder mehr Aufgaben in einen Themenblock einbauen. (f) Die Bearbeitung der Aufgaben sollte in Kleingruppen von maximal vier Veranstaltungsteilnehmern erfolgen; diese kann face-to-face oder virtuell durchgeführt werden. Die Entscheidung für eine direkte oder virtuelle Kooperation in den Kleingruppen hängt vom Thema und der Zielsetzung im jeweiligen Themenblock, vor allem aber von den Vorerfahrungen und der Medienkompetenz der Lernenden ab. Zu beachten sind die relativ hohen Anforderungen der virtuellen Kooperation an die Lernenden, was die Komplexität der Aufgabenbearbeitung erheblich erhöht (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2002). 75 Zum Thema Visualisierung siehe z.B. Mandl & Fischer (2000). 78 Betreuung. (g) Basierend auf Erfahrungen in virtuellen Seminaren (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001 b) ist eine Moderation der virtuellen Phasen innerhalb der semivirtuellen Veranstaltung unabdingbar. In Abhängigkeit vom Zeitbudget des Experten kann die Moderation von diesem selbst oder von einem eigenen Moderator/ Tutor übernommen werden. In letzterem Fall ist dafür zu sorgen, dass die ModeratorenITutoren eine ausreichende Einführung erhalten und die entsprechenden Kompetenzen aufbauen. (h) Während die Moderation der einzelnen virtuellen Phasen sowohl vom jeweils zuständigen Experten selbst als auch von einem Moderator übernommen werden kann, obliegt die inhaltliche Feedbackgestaltung in jedem Fall dem Experten. Allerdings kann die Gestaltung der Rückmeldung variieren, je nachdem, wie viele Lernende zu betreuen sind: Hält sich die Anzahl der Teilnehmer in Grenzen (Beispiel: maximal acht Gruppen) sind kommentierte Rückmeldungen an jede Gruppe empfehlenswert, da die Lernenden in der Regel umso zufriedener sind, je individueller die Rückmeldungen gestaltet werden. Bei hohen Teilnehmerzahlen wird ein ausführliches Feedback jedoch unrealistisch; ausweichen kann man dann z.B. auf ein Punktesystem. Im letzteren Fall sollte man zusätzlich entweder Vergleichslösungen seitens des Experten anbieten oder auf besonders gut gelungene "Vorzeigelösungen" unter den teilnehmenden Gruppen verweisen. (i) Die kontinuierliche Bearbeitung von Aufgaben während der Veranstaltung kann dazu genutzt werden, die Lösungen z.B. nach einem vorher definierten Bewertungssystem zu beurteilen und den Lernenden am Ende eine Bescheinigung zur erfolgreichen Teilnahme oder ein Zertifikat auszuhändigen. Möglich ist aber auch, die kontinuierliche und ausreichend gute Aufgabenbearbeitung als Voraussetzung für die Teilnahme an einer Abschlussprüfung heranzuziehen. Kombinierbar sind zudem individuelle und gruppenbezogene Bewertungsverfahren. Tabelle 3 stellt die variablen Elemente des Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise noch einmal zusammen. Tab. 3: Flexible Gestaltung verschiedener Variablen Variable Technischer Aufwand Gestaltung bei niedrigem Ressourceneinsatz asynchrone Übertragung der Face-to-F ace- Vera nstaltu ngen Gestaltung bei hohem Ressourceneinsatz synchrone Übertragung der Face-toFace-Veranstaltungen kürzer (Minimum: 6 Wochen) länger (Maximum: 12 - 18 Wochen) Elektronisches Material mindestens 3 hypertextuelle Aufbereitung maximal 5 bis 6 hypermediale Aufbereitung Anzahl der Aufgaben Aufgabenbearbeitung in jedem Themenblock eine in Face-to-Face-Kooperation in jedem Themenblock 2 oder mehr in virtueller Kooperation Zeitrahmen Anzahl der Experten Moderation (virtuelle Phase) durch den Experten selbst durch geschulte Moderatoren Feedbackgestaltung ausführliche Kommentierung Aufgabenbearbeitung als Voraussetzung für eine Prüfung Bewertung Punktesystem Aufgabenbearbeitung als "Prüfungsäquivalent" 79 14.3 Der Mehrwert Der Mehrwert des Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise im Vergleich zur semivirtuellen Vorlesung ergibt sich aus den oben skizzierten Änderungen des Konzepts und besteht vor allem darin, dass erstens die Qualität der Inhalte steigt (insbesondere dann, wenn die Komplexität der Themen insgesamt betrachtet sehr hoch ist) und sich zweitens neue Anwendungskontexte in der Weiterbildung erschließen. Höhere inhaltliche Qualität durch Nutzung verteilter Expertise. Wer z.B. an einer großen Universität studiert hat, weiß um den Vorteil, mehrere Experten aus einer Disziplin vor Ort zu haben und für verschiedene Facetten des eigenen Faches auch verschiedene Ansprechpartner mit hoher Expertise zu haben und von diesen lernen zu können. Je kleiner die Hochschule oder je spezifischer der Studiengang ist, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, inmitten eines "Expertenkreises" sein Wissen aufbauen zu können. Meist ist es so, dass man sich mit einem Experten begnügen muss, der sein Wissen zwar auf andere Themen für die Lehre erweitern kann, was aber mit lange gewachsenem Expertenturn keinesfalls gleichgesetzt werden kann. Die Situation in der Weiterbildung ist diesbezüglich sehr ähnlich, oft sogar noch ausgeprägter76• Von daher kann die Bündelung verteilter Expertise zu einem "Gesamtprogramm" die Qualität der Inhalte einer Veranstaltung erheblich erhöhen: Trotz Mangel an mehreren Experten vor Ort erhalten die Lernenden verschiedene Inhalte aus "Expertenhand" einschließlich der Möglichkeit, auch von diesem Experten angeleitet und betreut zu werden. Die Zusammenführung mehrerer Experten vor Ort (also ohne mediale Unterstützung) ist in der Regel kaum möglich, weil dies zum einen sehr kostspielig für die jeweilige Bildungsinstitution ist und zum anderen an den zeitlichen Ressourcen von (gefragten) Experten scheitert. Von daher ist die medial gestützte Bündelung verteilter Expertise durch Blended Learning eine geeignete Lösung - aber nicht nur das: Da mit zunehmender Arbeitsbelastung auch die Bereitschaft von Experten für Lehraufgaben sinkt und das weiterentwickelte Konzept der semivirtuellen Veranstaltung den Aufwand für den einzelnen Experten insgesamt betrachtet mindert, kann diese Form des Blended Learning für lehrende Experten auch ein Anreiz sein. Neue Anwendungsfelder. Blended Learning in Form einer semivirtuellen Veranstaltung mit Nutzung verteilter Expertise ist ein Modell, das auch für die (wissenschaftliche) Weiterbildung von Interesse ist. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass verschiedene e-Learning-Varianten besonders geeignet sind für den Weiterbildungssektor der Hochschulen: Mit dem Einsatz der neuen Medien können die Hochschulen sowohl selbst Weiterbildungsangebote machen als auch Inhalte etwa für sog. Corporate Universities77 entwickeln und anbieten. Letzteres ist in anderen Ländern bereits ausgeprägter als in Deutschland; mit virtuellen Lehr-Lernangeboten er- Trainer, die gestern noch Experten für Wissensmanagement waren, sind heute Experten für e-Learning und werden morgen Experten für Blended Learning sein - je nach Marktlage wird die "Expertise" flexibel angepasst - was dem kognitionspsychologischen Expertiseverständnis (vgl. Gruber & Mandl, 1996) in hohem Maße zuwider läuft. 77 Unter einer "Corporate University" versteht man ein umfassendes Konzept zur Mitarbeiterentwicklung, das eine strategische Anbindung an das Unternehmen hat und in den meisten Fällen auch mit eLearning-Komponenten arbeitet. Allerdings ist der Begriff nicht geschützt, sodass er in Unternehmen für die verschiedensten Lernkonzeptionen (auch für einfache Schulungszentren) verwendet wird (z.B. Kraemer & Klein, 2001). 76 80 hofft man sich hier neue Entwicklungen (Kraemer & Müller, 2001). Im Zuge der Innovationsdebatte im Hochschulbereich wird dafür plädiert, die neuen "Geschäftsfelder", die sich unter dem gesetzlichen Weiterbildungsauftrag der Hochschulen öffnen, nicht ungenutzt zu lassen - schon allein aufgrund der angespannten finanziellen Lage vieler Hochschulen (Müller-Böling, 2001). Blended Learning mit Nutzung verteilter Expertise bietet sich für diese neuen Anwendungsfelder deshalb besonders an, weil es erstens dem aktuellen Bedarf an hybriden Lernarrangements in der Wirtschaft entgegen kommt und weil es zweitens auch die knappen zeitlichen Ressourcen von Experten aus der Hochschule berücksichtigt. Zudem ermöglicht dieses Konzept die Bündelung ausgewählter Expertisen, ohne diese vor Ort haben zu müssen. Die Hochschulen können von Partnerschaften in der Wirtschaft auch auf anderen Ebenen als der finanziellen profitieren, indem etwa praktische Aufgaben und Fragestellungen deutlich werden, die Forschung und Lehre befruchten können. Auch gibt es Stimmen, die in solchen Kooperationen einen entscheidenden Vorteil für den Wettbewerb der Hochschulen (national und international) prognostizieren, der in Zukunft eine weitaus größere Rolle spielen wird als es derzeit noch der Fall ist (Küchler, 2001 ). 15. Fazit Im dritten Kapitel dieses Buches haben wir einen Prototypen des Blended Learning die semivirtuelle Vorlesung - im Detail beschrieben, um anschaulich zu machen, wie diese Form des e-Learning didaktische Innovationen in die Hochschullehre in Gang setzen kann. Dazu wurde zunächst die Grundidee sowie die Entstehungsgeschichte der semivirtuellen Vorlesung skizziert, woran die Einbettung in einen realen Kontext mit seinen spezifischen Rahmenbedingungen deutlich werden sollte. Die "Geschichte der semivirtuellen Vorlesung" ist ein nicht generalisierbares Fallbeispiel: Jedes Blended Leßrning-Projekt wird je nach Situation seinen eigenen Charakter baben; wir hof~ber, auf diesem Wege ein beim Thema e-Learning oft vergessenes Anschauungsmaterial geliefert zu haben. Ausführlich dargestellt wurde auch das didaktische Konzept der semivirtuellen Vorlesung mit dem Ziel, den in Kapitel 11 beschriebenen theoretischen Ausführungen zum Blended Learning damit "Leben einzuhauchen": Infolge einer detaillierten Beschreibung der Inhalte und Ziele, der eingesetzten Medien, Methoden und Konzepte sowie der technischen Umsetzung und des Ablaufs der semivirtuellen Vorlesung wollten wir ein plastisches Bild dieser Form des Blended Learning zeichnen. Das Begleitmaterialüriter der URL wwW.semivirtuell.de kann dieses Bild noch abrunden, indem sie sowohl Ausschnitte aus dem BSCW als auch Beispiele für Lösungen der bearbeiteten Aufgaben seitens der Studierenden enthält. Wenn - wie in diesem Kapitel - ein Fallbeispiel als Impuls zum Nach- oder besser zum Mitmachen geliefert wird, ist natürlich von Interesse, welche Resultate damit erzielt wurden. Aus diesem Grund haben wir in diesem Kapitel auch die wichtigsten Evaluationsergebnisse und Erfahrungen zusammengestellt, die wir im Sommer 2002 mit der Pilotierung der semivirtuellen Vorlesung gesammelt haben: Dabei hat sich gezeigt, dass das Blended Learning-Projekt insgesamt betrachtet ein großer Erfolg war, dass sich dieser Erfolg sowohl in den subjektiven Einschätzun en als auch in den 0 jektiven Leistungen d r Veranstaltungsteilnehmer n1eaerschlägt. 81 Die Evaluation der Pilotdurchführung der semivirtuellen Vorlesung hat uns Mut gemacht, diese Form der didaktischen Innovation in der Hochschullehre weiterzuführen und auszubauen - nicht zuletzt wegen der positiven Resonanz der Studierenden, die in dieser Form in anderen Veranstaltungen kaum erzielt wird. Den Schluss dieses Kapitels bildet das Konzept für eine Weiterentwicklung der semivirtuellen Vorlesung zu einem Blended Learning-Modell zur Nutzung verteilter Expertise. Mit dieser Weiterentwicklung, die auch für die Weiterbildung sowie für Kooperationen zwischen Hochschule und Wirtschaft interessant sein dürfte, ergibt sich ein Mehrwert beim Einsatz der neuen Medien, weil Expertenwissen, das an verschiedenen Standorten verteilt ist, gebündelt und zur Erhöhung der Lehrqualität eingesetzt wird. Die noch ausstehende Umsetzung und Evaluation des Blended Learning zur Nutzung verteilter Expertise wird zeigen, ob sich der erwartete Nutzen wie leichtere Akquise von Experten, höhere Qualität der Inhalte und bessere Betreuung der Lernenden sowie Interesse der Wirtschaft an diesem Konzept einstellt. Was man aus der semivirtuellen Vorlesung für die Planung, Konzeption und Durchführung von Blended Learning in der Hochschule (aber auch Weiterbildung) lernen, was man also (mit Einschränkung) als Empfehlungen ableiten kann, ist Gegenstand des folgenden und letzten Kapitels, in dem als Hilfestellung für die Praxis eine Reihe von Leitlinien für das Blended Learning ausgearbeiteten wurden. 82 Kapitel IV. Leitlinien für Blended Learning in der Hochschullehre "Alle Mittel bleiben nur stumpfe bendiger Geist sie zu verstehen nach Roehl, 2000, S. 333). Instrumente, wenn nicht ein legebraucht" (Albert Einstein, zit. Inhalt und Ziel von Kapitel IV Ideen für die Hochschullehre (und Weiterbildung) sind relativ schnell geboren - oft aber bleibt es dabei, weil Ideen keine Rezepte mitliefern, die die entscheidende Frage beantworten: Wie mache ich es denn jetzt? Auch das letzte Kapitel dieses Buches kann keine Rezepte zum Blended Learning bieten, weil jede Hochschule, jede Disziplin und jeder Hochschullehrer mit seinen Studierenden andere Voraussetzungen mitbringt, die allenfalls Leitlinien in Form von Heuristiken sinnvoll erscheinen lassen. Aufbauend auf unseren eigenen Erfahrungen bei der Konzeption, Durchführung und Evaluation der semivirtuellen Vorlesung und Überlegungen zum Innovationspotential des Blended Learning für die Hochschule haben wir eine Reihe von Leitlinien mit heuristischem Charakter zusammengestellt und diese möglichst praxisnah auch zu Checklisten für die Praxis verarbeitet. Um den Leitlinien eine Struktur zu geben, haben wir diese entlang der Logik des Projektmanagements und damit um Fragen der Planung, der Konzeption und Gestaltung sowie der Durchführung und des Qualitätsmanagements organisiert. Diese Leitlinien können auf der einen Seite keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit haben; auf der anderen Seite aber geben sie denjenigen eine induktiv entstandene Starthilfe, die ernsthaft daran interessiert sind, durch einen evolutionären Einsatz der neuen Medien die Hochschullehre (oder Weiterbildung) nachhaltig und positiv zu verändern. Übersichtsgrafik 116. Projektmanagement I --+ 16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement 16.2 Aufgaben des Projektmanagements 17.1 17.2 17.3 17.4 ~Konzeptlon und Gestaltung ••• 19. Durchführung und Qualitätsmanagement --+ zu Kapitel IV ZIelfindung Kontextanalyse und Ressourcenplanung Teamarbeit und Kooperationen Der Projektplan 18.1 Normative und strategische Entscheidungen 18.2 Gestaltung auf der operativen Ebene 19.1 Pilotierung 19.2 "Echtbetrieb" 83 16. Projektmanagement "Die konsequente Nutzung der Möglichkeiten von e-Learning erfordert eine mehr oder weniger umfassende Projektorganisation. Dies gilt sowohl für die Einführung als auch für die laufende Nutzung .. ." (Tiemeyer, 2002, S. 1). Dieser Auffassung schließen wir uns an - auch wenn man das in Unternehmen übliche betriebswirtschaftliche Projektmanagement unserer Ansicht nach nicht, wie dies oft gefordert oder versucht wird, eins-zu-eins auf den Hochschulkontext übertragen kann. Von zentraler Bedeutung aber sind die Grundgedanken des Projektmanagements, wenn es darum geht, e-Learning im Allgemeinen und Blended Learning im Besonderen als didaktische Innovation in der Hochschullehre einzuführen, durchzusetzen und langfristig weiter zu entwickeln. Wann aber spricht man von einem Projekt und was genau versteht man unter Projektmanagement? Was sind die Aufgaben des Projektsmanagements und wie kann man diese auf die Einführung und Weiterentwicklung von Blended Learning in der Hochschullehre anwenden? Der erste Abschnitt soll knappe Antworten auf diese grundlegenden Fragen liefern, auf denen man bei der Formulierung von Leitlinien in diesem Kapitel aufbauen kann. 16.1 Die Begriffe Projekt und Projektmanagement Was ist ein Projekt? Die Konzeption, Durchführung und Evaluation der semivirtuellen Vorlesung in der Medienpädagogik, wie sie in Kapitel 111 beschrieben wurde, war eine (für uns) besondere und umfangreiche, aber auch zeitlich begrenzte78 Aufgabe. Sie war, bezogen auf die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, umfangreich und mit Aufgaben verknüpft, die den Routinebetrieb der Lehre gesprengt haben. Zudem war sie risikoreich, denn wir konnten schwer einschätzen, wie die Veranstaltung technisch und organisatorisch funktionieren und von den Studierenden aufgenommen werden würde. Mit diesen Merkmalen erfüllt die semivirtuelle Vorlesung wesentliche Charakteristika eines Projekts: In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur spricht man dann von einem Projekt, wenn zeitlich prinzipiell begrenzte Aufgaben bearbeitet werden, die relativ neuartig, schwierig und mit Risiken behaftet sind, die Fragen und Probleme aufwerfen, die über das "normale" Management hinausgehen und meist auch interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern (z.B. Zielasek, 1999). Es erscheint also nahe liegend, jedes e-Learning-Vorhaben (auch Blended Learning) in der Hochschule zunächst einmal als Projekt durchzuführen. Der Projektstatus als Innovationsbarriere? Aufmerksamen Lesern wird an dieser SteIle auffallen, dass in Kapitel I gerade der Projektstatus vieler e-Learning-Vorhaben als problematisch diskutiert wurde: Das Stecken bleiben im Projektstatus - so haben wir festgestellt - kann "echte" Innovationen (im Sinne eines modernen Innovationsverständnisses) verhindern, weil Projekte per definitionem neuartige und außergewöhnliche Vorhaben und gerade nicht mit der Implementation in den regulären Lehrbetrieb verbunden sind. Dieser Widerspruch aber löst sich auf, wenn man das Projekt als ersten Schritt im Innovationsprozess und damit als zeitlich befristete Aufgabe versteht, an die sich die Entscheidung anschließt, den Echtbetrieb aufgrund erfolgreicher Projektdurchführung aufzunehmen oder nicht. Die letzt genannte Option muss ebenfalls möglich sein, denn: Es ist ja gerade die Stärke eines Projekts, dass Von der Idee im November 2001 blieb nur Zeit bis zu Beginn des darauf folgenden Sommersemesters 2002. 78 84 es eine solche Entscheidung auf der Grundlage empirisch gewonnener Informationen überhaupt ermöglicht. Nicht Projekte per se sind also das Problem, wenn es um den nachhaltigen Einsatz der neuen Medien in der Hochschullehre geht, sondern die verzögerte oder fehlende Entscheidung zur Implementation didaktischer Innovationen, obwohl das Projekt erfolgreich war. Was versteht man unter Projektmanagement? Projektmanagement gilt als ein Führungsinstrument bzw. als eine Führungskonzeption, in der es vorrangig darum geht, Aktivitäten im Rahmen eines Projekts nicht dem Zufall zu überlassen, sondern zielgerichtet zu planen und durchzuführen. Unter Projektmanagement versteht man daher die Planung, Koordination, Kontrolle und Steuerung von Maßnahmen, die für die Lösung eines Problems (aus dem das Projekt erwachsen ist) erforderlich sind. Dabei sollen erprobte Verfahren etwa aus der Führungs- und Organisationslehre wie auch aus der Entscheidungstheorie und Informationstechnik zur Anwendung kommen (Zielasek, 1999). Diese breite Definition ist notwendig, weil es natürlich sehr unterschiedliche Projekte gibt: So unterscheidet sich etwa ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt ganz erheblich von einem Bauprojekt oder Fertigungsprojekt. Blended Learning-Projekte sind in der Regel Entwicklungsprojekte, bisweilen auch Forschungsprojekte, sodass auch wissenschaftliche Standards von Bedeutung sein können. Kompetenzen im Projektmanagement werden zunehmend zu den Schlüsselqualifikationen gezählt, die heute in der beruflichen Praxis dringend gebraucht werden - nicht nur in Unternehmen, sondern z.B. auch in Verwaltung, Hochschule und anderen Organisationen. 16.2 Aufgaben des Projektmanagements Warum Projektmanagement? Es gibt viele Argumente, die ein Management - also eine zielorientierte Planung, Gestaltung und Steuerung - von Projekten sinnvoll erscheinen lassen. Deutlich wird das vor allem dann, wenn man sich einmal die Aufgaben des Projektmanagements vor Augen hält: So gehört es zum Projektmanagement, eine sorgfältige Planung sicherzustellen, bei der die Ziele eindeutig formuliert werden, Kontext und Bedarf einer genauen Analyse zu unterziehen und daraufhin eine realistische Ressourcenplanung einzuleiten. Zur Planung gehört auch die Teambildung und das "Einfädeln" von Kooperationen. Krönender Abschluss der Planung ist ein ausführlicher, aber nicht rigider Projektplan. Eine weitere Aufgabe des Projektmanagements besteht darin, dass man das Projekt - vom Beginn bis zu seinem Abschluss - immer wieder einer kritischen Überprüfung unterzieht und sich die Frage stellt, ob die ablaufenden Prozesse und die resultierenden Ergebnisse noch den vorab festgelegten Zielen entsprechen. Ist dies nicht der Fall, obliegt es dem Projektmanagement, entweder die Ziele, die "Marschroute" oder auch Instrumente des Projekts (und damit auch den Projektplan) zu korrigieren. Projektmanagement aber meint nicht nur die technisch anmutende Steuerung und Kontrolle von Prozessen; Projektmanagement umfasst auch Funktionen, die man z.B. von einer guten Führungskraft erwartet: Konflikte rechtzeitig erkennen und gegensteuern, Kreativität und Innovationsfähigkeit der Beteiligten fordern und fördern, Teamarbeit und zielorientierte Kooperation unterstützen sowie die Kommunikation nach innen und außen verbessern. 85 Projektmanagement beim Blended Learning. Die in diesem Kapitel folgenden Leitlinien zum Blended Learning in der Hochschullehre sollen entsprechend einer "Projektmanagement-Logik" aufgebaut werden, die sich an den oben angedeuteten Aufgaben orientieren; das heißt: Ein Blended Learning-Projekt muss zunächst einmal sorgfältig geplant werden. Es müssen Ziele gefunden und formuliert werden, der Kontext muss analysiert werden, Ressourcen sind zu planen, es muss ein Team gebildet und es können Kooperationen angedacht werden; last but not least steht am Ende der Planung ein Projektplan. Auf die Planung folgt die Konzeption und Gestaltung einer konkreten Blended Learning-Veranstaltung auf den Ebenen der Theorie, der Methodik und der Medien - immer bezogen auf die vorab formulierten Zielsetzungen, aber auch mit der Option, Ziele oder Wege flexibel aufeinander abzustimmen. Ist die Blended Learning-Veranstaltung konzipiert und gestaltet, geht es an die erste Umsetzung (Pilotierung), die auch von Evaluationsmaßnahmen begleitet sein sollte, um notwendige Entscheidungen in Bezug auf die angestrebte Implementation des Projekts in den Echtbetrieb der Hochschullehre treffen zu können. Abbildung 15 gibt noch einmal einen Überblick über die wichtigsten Teilbereiche bzw. Prozesse des Projektmanagements, wie man sie auch für das Blended Learning nutzen kann. Phasen des Projektmanagements 'g6;":;'I.' .••• ~ ,/ Zielfindung ,/ Kontextanalyse und Ressourcenplanung ,/ Teamarbeit und Kooperationen ,/ Projektplan ,/ Normative Entscheidungen (z.B. Theorien) ,/ Strategische Entscheidungen (v.a. Methoden bzw. Lehr-Lernformen) ,/ Operative Entscheidungen (Medien und konkrete Gestaltungsmaßnahmen) ,/ Pilotierung (Evaluation) ,/ Echtbetrieb (Implementation) Abb. 15: Phasen des Projektmanagements beim Blended Learning 86 Es geht uns in diesem letzten Kapitel nicht darum, ein ausgefeiltes Projektmanagement mit Excel-Tabellen oder anderen komplizierten technischen Tools79 zu propagieren: Mit Blick auf das in den Kapiteln I und 11formulierte Ziel, mittels Blended Learning inkremental-evolutionäre Innovationsprozesse anzustoßen, die unter anderem bottom up entstehen und prinzipiell von jedem Hochschullehrer ausgehen können, wäre dies auch nicht funktional. Zudem sagen uns die eigenen Erfahrungen, dass eine klare, aber einfache Systematik entscheidend ist für eine stringente Projektdurchführung - Klarheit und Konsens erscheinen uns im Kontext der Hochschullehre wichtiger als verästelte Verfahrensschritte. Leitlinien zum Projektmanagemenf. Die folgenden Leitlinien zur Planung, zu Konzeption und Gestaltung sowie zu Durchführung und Qualitätsmanagement sind teils ordnende Dimensionen, die Strukturierungs- und Reflexionshilfen geben, teils offene Fragen, die jeder selbst für sich beantworten muss, teils handelt es sich um konkrete Empfehlungen, die zwar keine detaillierten Anleitungen, aber doch Richtungen und verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen. Einzelne Punkte mögen für sich genommen stellenweise als etwas Selbstverständliches wirken; in der Gänze aber machen gerade diese oft den Erfolg eines Projektes aus - gemäß dem Spruch: "Eine Kette ist nur so gut wie ihr schwächstes Glied". Die Orientierung an Leitlinien ist umso wichtiger, je weniger Erfahrung man mit der Planung, Konzeption, Durchführung und Implementation virtueller Lehr-Lernangebote hat. Wer dagegen über Vorerfahrungen und entsprechendes Wissen und Können hierzu verfügt, wird einige Entscheidungen auch implizit fällen, ohne dass diese dadurch weniger professionell und zielführend sind. Aus der Expertiseforschung (z.B. Gruber & Mandl, 1996) wissen wir, dass implizites Wissen und intuitives Handeln ein markantes Kennzeichen von Experten ist. Aber auch der Experte hat Theorien und Regeln einmal explizit (meist sprachgebunden) erworben. Von daher liegt die Empfehlung nahe, die folgenden Leitlinien und Checklisten als Unterstützung für die Entwicklung und Durchführung eines Blended Learning-Vorhabens vor allem dann heranzuziehen, wenn man Novize auf diesem Gebiet ist8o. 17. Planung Der Planungsphase kommt im Management eines Blended Learning-Projekts eine zentrale Stellung zu. Auch wenn es trivial klingt: Man sollte bei einem e-LearningProjekt genau wissen, was man eigentlich will! Mit anderen Worten: Es sollte ein "Bildungsproblem" (im weitesten Sinne; Kerres, 2002) vorliegen, von dem man annehmen kann, dass es mit e-Learning bzw. Blended Learning besser lösbar ist als ohne den Einsatz der neuen Medien. Die Zielfindung und die Formulierung konkreter Ziele ist der erste Schritt, für den man sich ausreichend Zeit nehmen sollte. Des Weiteren Z.B. MS Projecl. Die Entstehungsgeschichte der semivirtuellen Vorlesung, wie sie in Kapitel 111 (Abschnitt 11.1) beschrieben wurde, mag an einigen Stellen weniger systematisch geplant erscheinen, als dies im Folgenden postuliert wird. Das ist einerseits richtig, weil die folgenden Leitlinien erst nach der Pilotierung der semivirtuellen Vorlesung entstanden sind - einige dieser Leitlinien hätte auch unsere Arbeit effizienter machen können. Andererseits lagen bereits umfangreiche Erfahrungen in der Konzeption und Durchführung virtueller Lehr-Lernangebote vor, sodass so mancher expliziter Planungsschritt umgangen oder reduziert werden konnte. 79 80 87 ist es wichtig, den Kontext, in dem Blended Learning zum Einsatz kommen soll, genau zu kennen und Bescheid zu wissen, welche Rahmenbedingungen das Vorhaben fördern und welche es (vielleicht oder wahrscheinlich) behindern werden. Eng damit verknüpft ist die Frage der Ressourcen, die man für das Vorhaben braucht und die man entsprechend beschaffen muss. Da man ein Blended Learning-Projekt nicht allein bewältigen kann (auch der einzelne Hochschullehrer braucht "Helfer"), gehört die Teambildung auf jeden Fall in den Planungsprozess; zudem kann man sich bereits in dieser Phase nach geeigneten Partnern umsehen. Ähnlich wie bei einem geförderten Forschungsprojekt sollte bei jedem Blended Learning-Vorhaben am Ende der Planungsphase ein aussagekräftiger Projektplan stehen, der die Meilensteine, wichtige Zeitpunkte und Arbeitsphasen definiert. 17.1 Zielfindung Ob ein Vorhaben erfolgreich ist oder nicht, dafür gibt es keine absoluten Maßstäbe: Jedes Projekt - und somit auch ein Blended Learning-Projekt - lässt sich nur im Hinblick auf die Ziele bewerten, die dem Vorhaben zugrunde liegen. Gleiches gilt auf der Ebene des Lernens und Lehrens im Rahmen eines Projekts: Auch hier gibt es verschiedene Ziele und man kann in der Regel je nach Gestaltung des Lernens und Lehrens nicht jedes beliebige Ziel erreichen. Ziele sind nicht nur wichtige Wegmarken, die dem Projektvorhaben eine Richtung und Marschroute vorgeben; sie sind auch die Kriterien, an hand derer am Ende des Projekts dessen Erfolg beurteilt werden kann (siehe Abschnitt 19). Letzteres ist umso einfacher, je konkreter die Ziele beschrieben bzw. je besser sie operationalisiert81 wurden. Ziele des gesamten Projekts. In einem ersten Schritt sollte man sich über die primären Beweggründe des Blended Learning-Vorhabens Gedanken machen und überlegen, welche grundlegenden Ziele die Basis des Projekts bilden: Geht es primär darum, die neuen Medien in Kombination mit neuen Lehr-Lernformen einzusetzen, um eine didaktische Innovation anzustoßen, um etwas Neues in der Lehre auszuprobieren und die Qualität der Lehre aus "innovativem Antrieb" heraus zu erhöhen? Man könnte dies eine proaktive Zielsetzung des Projekts nennen. Oder ist das Blended Learning-Vorhaben eher eine Reaktion auf ein bestehendes Defizit bzw. auf eine Art "Notlage", wie z.B. Effizienzprobleme, Personalmangel, Druck seitens der Studierenden etc.? Man könnte dies als eine reaktive Zielsetzung des Projekts bezeichnen. Beide Beweggründe können auch in kombinierter Form vorliegen: So kann man ein zu lösendes Problem auch zum Anlass für Innovationen nehmen (wie dies z.B. bei der semivirtuellen Vorlesung der Fall war). Neben diesen Gruppen von Zielen gibt es natürlich auch andere (situativ entstehende) Beweggründe: So war es in unserem Fall z.B. ein weiteres Ziel, mittels der semivirtuellen Vorlesung die Einstellung zu eLearning-Angeboten zu verändern und Anstöße für die Entwicklung von Medienkompetenz zu geben, weil wir dies für Studierende der Medienpädagogik aus mehreren Gründen für geboten hielten. Zielgruppe. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, wer mit dem Blended LearningAngebot angesprochen wird. Dabei sollte man versuchen, die Zielgruppe - soweit Mit Operationalisierung wird die Verknüpfung von Begriffen/theoretischen Konstrukten mit Verfahren (Operationen) bezeichnet, durch die sich die Bedeutung der Begriffe/Konstrukte empirisch bestimmen (also z.B. beobachten) lässt. 81 88 dies möglich ist - demografisch relativ genau zu beschreiben, also z.B. Umfang sowie Alters- und Geschlechtsverteilung ebenso zu berücksichtigen wie deren regionale Verteilung, Mobilität und die Verfügbarkeit neuer Medien wie Computer und Internetanschluss (technische Ausstattung). Von besonderer Bedeutung sind die bestehenden Fähigkeiten, Erfahrungen, Gewohnheiten und motivationalen Voraussetzungen: Zunächst einmal muss man an die Vorkenntnisse denken, die die Zielgruppe in Bezug auf den zu vermittelnden Gegenstand mitbringt: Handelt es sich dabei eher um Novizen ohne Vorwissen, um Fortgeschrittene mit Grundlagenwissen oder bereits um Experten? Zum anderen sollte man Bescheid wissen über die bestehenden fachübergreifenden Kompetenzen wie Lern- und Medienkompetenz sowie Vorerfahrungen etwa im selbstgesteuerten, kooperativen und/oder mediengestützten Lernen: Wie lernt die Zielgruppe gewöhnlich? Welche Lernformen stehen im Vordergrund und auf welche Vorerfahrungen und Lernstile kann man entsprechend zurückgreifen? Wichtig ist auch die Motivation der Lernenden und damit die Frage, ob externe Gründe oder eigene Interessen vorherrschen, ob gezwungenermaßen oder freiwillig gelernt wird. Schließlich ist es von großer Bedeutung, wie homogen die Zielgruppe in den genannten Merkmalen ist bzw. ob und inwieweit man diesbezüglich von einer heterogenen Zusammensetzung ausgehen muss. Natürlich hat man als Hochschullehrer (aber auch in der Weiterbildung) bedingt die Möglichkeit, seine Zielgruppe vorher zu definieren und die verschiedenen Merkmale einfach vorzugeben. Lehr-Lernziele und -inhalte. Da es sich beim Blended Learning um ein Projekt des Lernens und Lehrens handelt, stellt sich bei der Planung auch die zentrale Frage nach den konkreten Lehr-Lernzielen und -inhalten: Zu klären ist, was (also welcher Gegenstandsbereich) vermittelt werden soll, und wie das zu vermittelnde Wissen beschaffen ist: Handelt es sich z.B. eher um Faktenwissen oder um Handlungswissen? Stehen bestimmte fachlich strukturierte Inhalte oder Inhalte im Vordergrund, die sich um Phänomene gruppieren? Eng damit verbunden ist der Komplexitätsgrad des Wissens: So sollte man z.B. gut überlegen, welche Vorkenntnisse und welches Vorverständnis notwendig sind, um die inhaltliche Komplexität bewältigen zu können. Schließlich muss man sich Gedanken darüber machen, wozu sich die Zielgruppe mit den Inhalten beschäftigen soll; hier gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen: Ziel kann es sein, dass sich Lernende einen Überblick über einen größeren Themenbereich erarbeiten oder aber ein spezielles Thema vertiefen. Eine weitere Dimension bei der Frage nach dem Wozu ist die Art der Anwendung des erworbenen Wissens: Manches Wissen braucht man, um sich mit einem neuen Gebiet beschäftigen zu können (Grundlagenwissen); anderes Wissen wiederum macht nur Sinn, wenn man es auch bei konkreten Problemstellungen in der Praxis nutzen kann. Es lohnt sich, bei den Lehr-Lerninhalten und -zielen ins Detail zu gehen und sehr genau zu differenzieren, was man will und was nicht, was das Blended Learning-Angebot für wen leisten soll und was nicht - bereits bei der Konzeption und Gestaltung der hybriden Lernumgebung zeigt sich der Lohn für eine präzise Zielsetzung in der skizzierten Art. Tabelle 4 fasst die wichtigsten sammen. Punkte bei der Zielfindung als eine Art Checkliste zu- 89 Tab. 4: Checkliste 1: Zielfindung Projektziele Proaktive Ziele Reaktive Ziele Kombinierte Ziele Andere Ziele Zielgruppe Demografische Daten Fachliche Vorkenntnisse Uberfachliche Kompetenzen Motivation Homogenität! Heterogenität Lehr-Lernziele/-in halte Gegenstands-bereich Wissen/ Wissensmerkmale Lernziele ·· •· · · •· • ·· ·· · • • · ·· ··· • · · · · 17.2 Kontextanalyse Geht es mir/uns vorrangig um eine Innovation in der Hochschullehre? Wenn ia: Wie lässt sich dies aenauer beschreiben? Geht es mir/uns vorrangig um die Lösung eines akuten Problems? Wenn ia: Wie lässt sich dies genauer beschreiben? Geht es mir/uns vorrangig darum, die Lösung eines Problems mit einer Innovation zu verbinden? Wenn ia: Wie lässt sich dies aenauer beschreiben? Welche anderen Beweggründe liegen meinem/unserem Projekt zugrunde? Wie lassen sich die damit verbundenen Ziele aenauer beschreiben? Welchen Umfang hat meine/unsere Zielgruppe? Wie ist die Geschlechts-/Altersverteilung? Wie steht es um die regionale Verteilung und die Mobilität? Welche technische Ausstattuna steht der Zielaruppe zur Verfügung? Was weiß meine Zielgruppe über den zu vermittelnden Gegenstand? Handelt es sich um Novizen, Fortaeschrittene oder Experten? Welche Lern- und Medienkompetenz bringt die Zielgruppe mit? Welche anderen Kompetenzen/Lernstile können vorausgesetzt werden? Von welcher Motivation kann man bei der Zielgruppe ausgehen (mehr extrinsisch oder intrinsisch)? Wie homogen/heterogen ist die Zielgruppe in welchen Merkmalen? Im Falle einer heterogenen Gruppe: Wie setzt sich diese zusammen? Was soll vermittelt werden? Wie lässt sich der Geaenstandsbereich beschreiben und einarenzen? Wie kann man das zu vermittelnde Wissen genauer charakterisieren? Handelt es sich eher um Fakten- oder um Handlungswissen? Stehen fachliche Strukturen oder (fachübergreifende) Phänomene im Vordergrund? Wie komplex ist das zu vermittelnde Wissen und welche Vorkenntnisse werden entsprechend vorausaesetzt? Wozu sollen die Inhalte vermittelt werden bzw. was sollen die Lernenden mit den Inhalten tun können (z.B. Grundlage für weiteren Wissenserwerb; unmittelbare Anwendung des Wissens etc.)? Wie sollte sich der Lernerfolg (bezogen auf die Ziele) zeigen (Operationalisierung der Lernziele)? und Ressourcenplanung Wenn es um den Kontext und die Ressourcen eines e-Learning- oder Blended Learning-Projekts geht, stehen Geld, Zeit, Personal und Technik zunächst einmal im Vordergrund des Interesses: Abzuklären ist, welcher finanzielle Spielraum da ist (Wie viel Geld darf das Ganze kosten?), welcher Zeitraum zur Verfügung steht (Wie viel Zeit darf das Ganze in Anspruch nehmen?), wie viele Personen zur Mitarbeit in Frage kommen (Wer kann mitmachen?) und auf welcher technischen Basis man aufbauen kann (Was ist an Technik da?). Zur Lösung eines Bildungsproblems stehen zwar die globale Zielsetzung, die Zielgruppe und die Lehr-Lernziele an ersten Stelle (vgl. Abschnitt 17.1), doch die Mittel und Wege zur Zielerreichung sind niemals unabhängig vom Kontext, in dem das Projekt stattfindet. Eine genaue Analyse des Kontextes und der vorhandenen Ressourcen zeigt, was man aus dem Stand heraus leisten kann, 90 wo man noch nach Ressourcen lassen sollte. suchen muss und was man von vornherein lieber Der finanzielle Spie/raum. Wie in Kapitel I ausführlich beschrieben wurde, ist die angespannte finanzielle Lage der Hochschulen insgesamt betrachtet (leider) keine günstige Ausgangsbedingung für Projekte zum Einsatz der neuen Medien. Besser sieht es aus, wenn bereits Fördergelder zur Verfügung stehen oder die Möglichkeit besteht, an Fördergelder zu kommen. Zur Planung der Finanzen gehört also z.B. auch, Förderanträge zu schreiben oder durch Kooperationen etwa mit der Wirtschaft an eine finanzielle Unterstützung des Vorhabens zu gelangen. Ob so oder so: Eine genaue Aufstellung der vorhandenen und/oder zu erwartenden Finanzen, die für ein Blended Learning-Projekt verwendet werden können, gehört in die erste Phase des Projektsmanagements. Dem sind die finanziellen Mittel gegenüber zu stellen, die man bezogen auf die ersten Ideen und Zielsetzungen für das Blended LearningProjekt in etwa veranschlagen muss. Auf dieser Basis ist ein realistischer Finanzplan zu erstellen, auf dem die notwendigen Finanzen für Personalmittel, Sachmittel und sonstige Mittel verzeichnet sind. Allerdings muss einem klar sein, dass zu Beginn des Projekts nur ungefähre Angaben möglich sind; konkrete Zahlen ergeben sich erfahrungsgemäß erst nach der Konzeption und Gestaltung des Vorhabens (siehe Abschnitt 17.3). Da es weder Personal noch Technik zum Nulltarif gibt, sind die verfügbaren Geldmittel ein zentrales K.-o.-Kriterium für etliche nachfolgende Entscheidungen. Folglich sollte man sich davor hüten, blauäugig - weil doch die Idee so gut ist - ein Projekt zu starten, das finanziell nicht gesichert ist. Die an mehreren Stellen postulierte Nachhaltigkeit der Nutzung neuer Medien in der Hochschullehre ist ohne adäquate finanzielle Planung von vorn herein gefährdet. Damit ist nicht gesagt, dass mit geringem finanziellen Spielraum kein Blended Learning-Projekt möglich ist. Da es gerade die Stärke des Blended Learning ist, auch ohne aufwändige technische Voraussetzungen gute Erfolge zu erzielen, kann selbst auf einer schmalen Finanzbasis begonnen werden. In unserem Fall war für die semivirtuelle Vorlesung erst mal weit und breit kein Geld in Sicht. Entsprechend haben wir uns für eine Konzeption entschieden, die im finanziellen Rahmen einer Professur (gerade noch) tragbar ist. Der verfügbare Zeitraum. Bei der Planung eines Blended Learning-Projekts sollte man stets auch den Faktor Zeit im Auge behalten. Zeit ist in vielen Fällen Geld, z.B. wenn es um das zu finanzierende Personal geht, oder wenn Lizenzen (für Software) u.ä. im Spiel sind. Eine genaue Zeitplanung ist aber auch aus organisatorischen und motivationalen Gründen von Bedeutung: Die Konzeption, Gestaltung und Durchführung einer Blended Learning-Veranstaltung muss koordiniert werden, was einen realistischen Zeitplan voraussetzt; es muss in geeigneten Abstände überprüft werden, ob und wie die gesetzten Ziele erreicht werden, was ebenfalls eine zeitliche Vorausplanung erfordert. Zudem brauchen die am Projekt beteiligten Personen (s.u.) Anker und damit auch zeitliche Marker, an denen sie sich orientieren können. Dabei sollte man unbedingt eine Balance finden zwischen dem Motto "Gut Ding will Weile haben" und dem Wunsch nach schnellen Erfolgen: Zu ausgedehnte Zeitpläne können die Motivation erheblich strapazieren, weil sichtbare Ergebnisse zu lange auf sich warten lassen und umso mehr Unwägbarkeiten dazukommen, je länger das Projekt dauert. Zu gedrängte Zeitpläne wiederum laufen Gefahr, großen Druck aufzubauen, dem man vor allem dann nicht standhalten kann, wenn mehrere Aufgaben parallel zu erledigen sind (was im Hochschulkontext die Regel ist). Neben dem Finanzplan sollte 91 von daher auch ein realistischer, dem Kontext angepasster (auch flexibel auszugestaltender) Zeitplan erstellt werden - beides zusammen kann später in den Gesamt-Projektplan (siehe Abschnitt 17.4) einfließen. Neben den genannten "inneren" Zeitfaktoren, sind auch "äußere" Zeitfaktoren zu berücksichtigen, wie z.B. die vorgegebene Länge einer Projektförderung o.ä. Soll die Pilotierung bereits im Echtbetrieb der Hochschullehre erfolgen (wie dies z.B. bei der semivirtuellen Vorlesung der Fall war) sind etwa Semesteranfang und Semesterende vorgegebene Zeitpunkte, die man bei der Planung entsprechend einkalkulieren muss. Die personellen Kapazitäten. Geld und Zeit sind die eine Sache, Personal die andere: Die Kapazität jedes Einzelnen - auch des einzelnen Hochschullehrers - ist begrenzt, doch in der Euphorie für eine Sache wird diese einfache Erkenntnis schneller missachtet als man glaubt. Auch für kleinere Projekte im Rahmen der Hochschullehre sollte man sich von daher ein Team zusammenstellen, das wissenschaftliche, aber auch studentische Mitarbeiter (Hilfskräfte) oder Studierende einschließt, die z.B. im Rahmen des Projekts eine Abschlussarbeit schreiben wollen. Hier sollte man rechtzeitig nach geeigneten Personen Ausschau halten und verpflichtende Abmachungen treffen, um nicht mitten im Projekt plötzlich allein dazustehen. Beim Blended Learning zur Nutzung verteilter Expertise (vgl. Abschnitt 14) sind Co-Autoren bzw. Experten für ausgewählte Inhaltsbereiche zu den wichtigsten Kooperationspartnern zu zählen. Aber auch dann, wenn es nicht um verteilte Expertise geht, sollten Kooperationspartner aus anderen Fächern, Fakultäten oder Hochschulen als externe Teampartner in Erwägung gezogen werden; zu denken ist dabei zudem an Partner aus der Wirtschaft. In allen Fällen ist allerdings genau nachzuhaken, in welchem Ausmaß sich externe Partner für das Projekt engagieren würden - also ob und inwieweit mit einer "echten" Kooperation und nicht nur mit einem Lippenbekenntnis zu rechnen ist. Was neben der reinen Anzahl an verfügbaren Personen (um die es in diesem Abschnitt geht) noch alles beim Thema "Personal" zu beachten ist, wird beim Aspekt "Teambildung" (Abschnitt 17.3) genauer beschrieben. Die technische Grundlage. Blended Learning als eine Form des e-Learning braucht immer auch technische Mittel, die jedoch eine weite Spannbreite umfassen können, je nachdem, ob günstige oder aufwändige und entsprechend kostspielige Lösungen angedacht sind. Wichtig sind von daher die vorhandenen Infrastrukturen sowie existierende Hard- und Software am Lehrstuhl, an der Fakultät bzw. an der Hochschule (Netz-Infrastruktur, Server, e-Learning-Plattformen, vorhandene Software etc.); ausschlaggebend ist, worauf man zuverlässigen Zugriff hat. Zu berücksichtigen sind neben der technischen auch die dazugehörige personelle Ausstattung, also das technische Personal sowie medientechnisch versierte wissenschaftliche und studentische Mitarbeiter, die einem zur Verfügung stehen. Dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, denn technische Geräte bedürfen immer auch der Wartung und Pflege und oft genug der Reparatur. In dem Zusammenhang sollte auch die Kooperationsbereitschaft des zuständigen Rechenzentrums in die Planung miteinbezogen werden. Wenn man von vornherein die Anbindung des Blended Learning-Projekts an den Echtbetrieb der Hochschullehre (oder Weiterbildung) vor Augen hat und die zeitliche Planung nicht allzu viel Spielraum bietet (mit anderen Worten: Wenn man sehr schnell etwas auf die Beine stellen will), sollte man in jedem Fall die vorhandene technische Grundlage zum Ausgangspunkt der Grobkonzeption der hybriden Lernumgebung (siehe Abschnitt 17.3) machen. Dies ist insbesondere auch für den Fall 92 anzuraten, wenn die eigenen finanziellen Mittel eher bescheiden sind und keine Fördermittel oder sonstige nennenswerte finanzielle Unterstützung in Aussicht stehen. Tabelle 5 gibt noch einmal einen Überblick planung in Form einer Checkliste. über Kontextanalyse und Ressourcen- Tab. 5: Checkliste 2: Kontextanalyse und Ressourcenplanung Finanzieller Spielraum Vorhandene Mittel 0 0 In Aussicht stehende Mittel 0 0 Voraussichtliche Kosten 0 0 Finanzplan 0 0 Verfügbarer Zeitraum Geplanter Beginn 0 und geplantes 0 Ende 0 "Innere" Zeitfaktoren "Äußere" Zeitfaktoren Zeitplan 0 0 0 0 0 0 Gibt es eine ausreichend gute finanzielle Ausstattung des Lehrstuhls, auf der man aufbauen kann? Gibt es bereits bewilligte Fördergelder, mit denen man kalkulieren kann? Gibt es Möglichkeiten, Fördergelder (aus Bund, Ländern, Stiftungen etc.) zu beantragen? Wie wahrscheinlich ist die Bewilligung von Fördergeldern? Gibt es Möglichkeiten, an finanzielle Unterstützung seitens der Wirtschaft zu kommen (Sponsorinq, Kooperationen etc.)? Mit welchen Kosten ist voraussichtlich zu rechnen, wenn man von den ersten Zielsetzungen des Projekts ausgeht? Welche Differenz ergibt sich aus den voraussichtlichen Kosten und vorhandenen Mitteln? Erstellung eines ersten Finanzplans (Sachmittel, Personalmittel, sonstige Mittel) für das Projekt. Berücksichtigung flexibler Kosten bzw. Kosten, die man erst nach der Konzeption und Gestaltunq qenauer beziffern kann. Wann kann das Projekt realistischerweise beginnen? Wann müsste das Projekt nach bisherigem Stand der Dinge beendet sein? Zu welchen Zeitpunkten sollten einzelne Ziele daraufhin überpnüft werden, ob sie erreicht sind? Welchen Zeitrahmen kann ich den Projektbeteiligten "zumuten"? Gibt es ein Minimum und ein Maximum an Zeit, innerhalb dessen zeitliche Phasen auch flexibel qeplant werden können? Gibt es durch Förderungen u.ä. vorgegebene Zeitpunkte oder Zeiträume? Muss sich die zeitliche Planung an Semestern oder anderen (hochschulspezifischen) Zeitpunkten orientieren? Erstellung eines ersten Zeitplans für das Projekt. Einkalkulierung von "Pufferzeiten" . Personelle Kapazitäten Personen am 0 Wie viele und welche wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter eigenen Lehrstuhl können (und wollen) am Projekt mitarbeiten? 0 Gibt es geeignete Studierende, die man etwa durch Abschlussarbeiten in das Projekt involvieren kann? Personen außer0 Wie viele und welche anderen Hochschulangehörigen aus der gleichen halb des eigenen Fakultät oder aus anderen Fakultäten oder anderen Hochschulen kommen Lehrstuhls als Projektpartner in Frage? 0 Gibt es Kooperationsmöglichkeiten mit Personen aus der Wirtschaft und in welchem Umfanq könnten diese dem Proiekt zur Verfüqunq stehen? Technische Grundlagen Vorhandene tech0 Welche Infrastrukturen, Hard- und Software sind am Lehrstuhl, an der nische Ausstattung Fakultät bzw. an der Hochschule vorhanden? 0 Vorhandene technische Unterstützung Rechenzentrum 0 0 0 Worauf habe ich/haben wir zuverlässig Zugriff? Gibt es technisches Personal und/oder medientechnisch versierte wissenschaftliehe und studentische Mitarbeiter? Wer von diesen würde im Bedarfsfall mit Sicherheit zur Verfüqunq stehen? Wie steht es um die Kooperationsbereitschaft des zuständigen Rechenzentrums? 93 17.3 Teamarbeit und Kooperationen82 Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits erwähnt wurde, sollte man sich im Vorfeld eines Blended Learning-Projekts ein geeignetes Team83 zusammenstellen und bei Bedarf auch Kooperationen mit Partnern außerhalb des eigenen Lehrstuhls, der eigenen Fakultät oder auch der Hochschule suchen, denn: Ohne soziale Unterstützung - also ohne ein Team - ist ein Vorhaben wie Blended Learning, das multiple Kompetenzen fordert, kaum zu schultern. Zudem fehlt im Alleingang die gegenseitige Korrektur, wertvolles Feedback, wechselseitige Motivierung und Kreativität zur Konstruktion von Problemlösungen auch unter widrigen Umständen. All das ist im Team (und mit Kooperationen) leichter und effizienter zu bewerkstelligen - sofern man die "richtigen" Menschen um sich hat. Dass es hier keine algorithmisch anzuwendenden Regeln gibt, liegt auf der Hand, spielt doch gerade in der Zusammenarbeit von Menschen neben vielen Faktoren auch die Sympathie eine zentrale Rolle - und die lässt sich nicht zum Gegenstand eines wie auch immer gearteten (Projekt-) Managements machen. Dennoch wollen wir auch beim Aspekt "Teambildung und Kooperationen" eine Reihe von Leitlinien formulieren, die einem die Arbeit erleichtern können. Diese Leitlinien, auch wenn sie im Einzelnen einfach klingen mögen, halten wir deshalb für wichtig, weil Teamarbeit und Kooperation in der Ausbildung an deutschen Hochschulen längst nicht den Stellenwert haben, den man ihnen in der Wirtschaft beimisst; entsprechend fehlt es oft an Erfahrung, Wissen und Können zu diesem Thema. Klassische Erfolgsfaktoren. Es gibt zahlreiche populärwissenschaftliche Publikationen zu der Frage, was die Geheimnisse erfolgreicher Teams sind bzw. was Teamarbeit erfolgreich macht. Die Tipps, die man findet, sind meist nicht falsch - wir werden einige davon im Folgenden kurz schildern. Allerdings ist auch Vorsicht angesagt: Denn erstens lassen sich viele Empfehlungen lange nicht so leicht in die Tat umsetzen wie dies beim Lesen den Anschein hat. Und zweitens ist es allenfalls eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, wenn man sogenannte Erfolgsfaktoren berücksichtigt. Zu viele Geschehnisse und Zustände im Projektkontext und im Projektverlauf beeinflussen die Teamarbeit, als dass man sich auf Erfolgsfaktoren verlassen könnte. Dennoch sollte man bei der Teamarbeit folgende Dinge im Auge haben (vgl. Antoni, 2000): a) Teammitglieder sind so auszuwählen, dass sie diejenigen Kompetenzen entweder mitbringen oder leicht aufbauen können, die die Inhalte, Ziele und daraus resultierenden Aufgaben des Projekts erforderlich machen. Neben ausreichender Motivation und Interesse am Gegenstand des Projekts, ist es natürlich auch von Vorteil, wenn die in Betracht gezogenen Personen Erfahrungen mit Projektarbeit haben und über soziale Fähigkeiten verfügen. Je weniger "Auswahlmöglichkeiten" man hat, umso mehr wird man seine Ansprüche herunterschrauben müssen (was im Kontext der Hochschule nicht selten ist); gerade hier aber sollte man die eigene Kompromissbereitschaft nicht unter ein vorher definiertes Level geraten lassen. b) Sowohl beim Abstecken als auch beim Verteilen von Aufgaben ist darauf zu achten, dass die erforderlichen Tätigkeiten zu den Kompetenzen der TeammitglieNatürlich spielen Teamarbeit und Kooperationen auch bei der Konzeption und Durchführung im Projekt eine wichtige Rolle. Die Positionierung unter dem Abschnitt ••Planung" rührt daher, dass das Projektteam und mögliche Kooperationen in jedem Fall auch der Planung bedürfen. 83 Unter dem Projektteam wird hier das Team vor Ort bezeichnet. Wenn externe Partner im Spiel sind, wird dies im Folgenden als Kooperation bezeichnet. 82 94 der "passen" und von daher motivierend wirken können; allerdings sollten die verteilten Aufgaben auch, zumindest stellenweise, herausfordernd sein, ohne zu überfordern. In der Regel wirkt es positiv, wenn Teammitglieder Teile des Projekts eigenverantwortlich bearbeiten, also ein - bezogen auf Fähigkeiten und Erfahrungen adäquates Maß an Autonomie erhalten. c) Teammitglieder, die neben dem gemeinsamen Nutzen des ganzes Teams84 auch einen persönlichen Nutzen von ihrer Mitarbeit haben, sind eher motiviert und leistungsfähig. Von daher ist im Projekt auch auf den "Gewinn" des Einzelnen zu achten. Ein wesentlicher Nutzen, den man aus der Teilnahme an Projektarbeit in der Hochschule ziehen kann, besteht darin, dass man Lernchancen zum Aufbau auch berufsbezogener Kompetenzen erhält: Teammitglieder sollten von daher explizit die Möglichkeit haben, ihr Wissen und Können sowohl fachlich als auch überfachlich auszubauen; im Bereich der Wirtschaft spricht man hier von der Entwicklung der eigenen "employability"s5. Führen von Projektteams. In Anlehnung an die Definition eines Projektes als ein Vorhaben mit festen Zeitgrenzen, ist auch ein Projektteam (zunächst) eine zeitlich befristete Gruppe, die zum Zwecke der Bearbeitung neuartiger Aufgaben gebildet wird (Antoni, 2000). Die Führung derartiger Projektteams ist nicht einfach, weil die langfristige Komponente fehlt, die ein Gruppe sozusagen "zusammenschweißen" kann. Umso wichtiger sind einige grundlegenden Leitlinien, die jeder beachten sollte, der in einem Projektteam Führungsaufgaben übernimmt: a) Führungsprozesse im Projektteam sollten zielorientiert (und nicht etwa machtorientiert oder anderweitig motiviert) sein. Dazu gehört, dass die Ziele des Projekts transparent und präzise formuliert sind und vom Team weitgehend getragen werden (vgl. Abschnitt 17.1). Zudem bietet es sich an, mit einzelnen Teammitgliedern Zielvereinbarungen zu treffen, auf diese Weise Verbindlichkeiten herzustellen, aber auch angemessene Rückmeldungen zu geben. b) Ziele geben an, was man konkret (in einem vordefinierten Zeitraum) erreichen möchte. Daneben braucht ein Team aber auch eine gemeinsame "fesselnde" Idee - eine Vision: "Eine Vision ist ein Bild der Zukunft, die man gestalten möchte, beschrieben im Präsens, so als ob die Dinge sich in diesem Moment ereignen würden. Die Formulierung der 'gemeinsamen Vision' macht deutlich, wohin man gehen will und wie man sein wird, wenn man dort angekommen ist ... ; je detaillierter und plastischer das Bild ist, desto überzeugender wird es sein" (Senge et al., 1997, S. 349). Eine gemeinsame Vision in diesem Sinne kann dem Projekt zusätzlichen Schub geben und helfen, auch über "Durststrecken" hinwegzukommen. c) Wichtig ist in jedem Projekt der konstruktive Umgang mit Konflikten: Allem voran muss die Führung im Projekt deutlich machen und vorleben, dass Konflikte auch positive Aspekte haben, sofern man diese nicht im Hintergrund schwelen lässt. Es kommt darauf an, Konfliktsignale frühzeitig wahrzunehmen, Konflikte direkt anzusprechen und relativ rasch Lösungsstrategien zu entwickeln. d) Eine mögliche Prävention für Konflikte sind Gruppenregeln im Sinne von "Spielregeln" für die erfolgreiche Zusammenarbeit; diese sollte jedes Team weitgehend selbst festlegen. Zu den Spielregeln für Führungskräfte sollte es in jedem Fall gehören, keine Namen aus dem Team untergehen zu lassen, sich nicht allein mit der Leistung des ganzen Teams zu schmücken und auf diesem Wege vor allem eines zu wahren: Redlichkeit. e) Schließlich gehört es zu Der gemeinsame Nutzen liegt darin, die definierten Ziele zu erreichen und ein erfolgreiches und innovatives Blended Learning-Angebot zu entwickeln und durchzuführen. 85 .Employability· meint so viel wie: Beschäftigungsfähigkeil. 64 95 den Aufgaben bei der Führung eines Projektteams, Synergieeffekte zu fördern und dabei gleichzeitig Reibungs- bzw. Prozessverluste zu vermeiden. Typische Prozessverluste finden z.B. in der Zielfindungsphase statt; aber auch Konflikte, zu große Projektteams (z.B. Teams mit mehr als fünf oder sechs Personen), unpräzise oder langweilige Aufgaben sowie Trittbrettfahrer und das Untergehen von Einzelleistungen bzw. mangelnde Anerkennung des Engagements Einzelner sind typische Ursachen für Reibungsverluste im Team, für die man sensibel sein sollte, um rechtzeitig Abhilfe schaffen zu können. Kooperationen mit externen Partnern. Neben dem Team vor Ort kann und sollte man bei einem Blended Learning-Projekt auch externe Kooperationspartner in Betracht ziehen. Unabdingbar ist dies bei Blended Learning-Modellen mit Nutzung verteilter Expertise (vgl. Abschnitt 14); aber auch für Modelle wie die "einfache" semivirtuelle Vorlesung sind Kooperationen ratsam. Während diese Erkenntnis bei e-LearningProjekten in der Wirtschaft längst State of the Art ist (Picot & Jaros-Sturhahn, 2002), setzt sie sich in der Hochschule nur sehr langsam durch, obschon es eigentlich auf der Hand liegt (Kerres, 2001 a): Denn die "Produktion" medialer Lernumgebungen (im Sinne der digitalen Medienproduktion) erfordert Expertise bezogen auf den fachlichen Inhalt des medialen Angebots, fachdidaktische Expertise sowie mediendidaktische und technische Expertise. Für Kooperationen mit der Wirtschaft sind vor allem mediendidaktische und technische Aufgaben ein geeignetes Feld. Im Einzelnen lassen sich an mehreren Stellen arbeitsteilige Vorgehensweisen und entsprechende Kooperationsmöglichkeiten entweder mit anderen Hochschulen oder mit der Wirtschaft ausfindig machen: a) Bei der Erstellung von Inhalten kann man mit Kollegen der eigenen oder einer anderen Hochschule zusammenarbeiten. Gerade bei komplexen und umfangreichen Themengebieten gilt es, Co-Autoren zu suchen und verteilte Fachexpertise zu nutzen. b) Bei der mediendidaktischen Aufbereitung der Inhalte kann es hilfreich sein, etwa mit Grafikern und Programmierern, im Einzelfall auch mit Verlagen zusammenzuarbeiten. c) Geht es darum, Lernangebote außerhalb des grundständigen Studiums z.B. zum Zwecke der Weiterbildung anzubieten, liegen Kooperationen mit Unternehmen und/oder Bildungsanbietern nahe. d) In Bezug auf Hard- und Software einschließlich Plattformen und Tools zum virtuellen Lernen sollte man neben dem zuständigen Rechenzentrum auch an die Zusammenarbeit mit externen Providern sowie mit Software- und Plattformherstellern denken. Wichtig bei der Zusammenarbeit mit externen Partnern sind eine gerechte "Risikoaufteilung" und ein solider Kooperationsvertrag: Bei Kooperationen mit der Wirtschaft ist zu bedenken, dass Unternehmen meist über Rechtsabteilungen oder Rechtsberatung verfügen; für den einzelnen Hochschullehrer, wenn er denn Laie auf diesem Gebiet ist, sind derartige Verträge in der Regel wenig durchschaubar - hier sollte man in jedem Fall eine eigene Rechtsberatung vor Vertragsabschließungen in Anspruch nehmen86. Tabelle 6 fasst die wichtigsten Aussagen zur Teamarbeit Empfehlungen in einer Checkliste kurz zusammen. und zu Kooperationen Die TransfersteIlen an den Hochschulen sind hier ein möglicher Ansprechpartner, da diese oftmals Dienstleistungen in Sachen Recht anbieten. 86 als 96 Tab. 6: Checkliste 3: Teamarbeit und Kooperationen Klassische Erfolgsfaktoren Empfehlungen Zusammenstellung Auswahl von Personen mit Kompetenzen, die zu den Aufgaben "passen". des Teams Motivation und Interesse sowie Erfahrung mit Projektarbeit und soziale Fähiqkeiten sind von Vorteil. AufgabendeleKompetenzorientierte Zuweisung von AufgabenlTätigkeiten, die herausgation fordern, ohne zu überfordern. Einräumen ausreichender Autonomie bei der Aufqabenbearbeitunq. Persönlicher Kombination des gemeinschaftlichen Nutzens ("Projektgewinn") mit persönNutzen lichen Nutzen ("individueller Gewinn"). Gewährung von Lernchancen als .Anreiz": Aufbau fachlicher und überfachlicher Kompetenzen im Projekt. Führen von Projektteams Empfehlunqen Zielorientierte Führungsprozesse richten sich an den Projektzielen aus. Führung Ziele transparent machen und präzise formulieren. Persönliche Zielvereinbarungen treffen. Informatives Feedback geben. Gemeinsame Eine motivierende Vision formulieren. Vision Ein detailliertes und plastisches Bild von der "Zukunft des Projekts" formen. Konstruktiver UmPositive Aspekte in Konflikten sehen und nutzen. gang mit Konflikten Konfliktsignale frühzeitig wahrnehmen und Konflikte offen legen. ·· · ·· · ··· ·· ··· ··· ··· ··· Lösungsstrategien für Konflikte rasch entwickeln. Teamspezifische Gruppenregeln aufstellen. Beachtung grundlegender Regeln durch die "Führung" (z.B. Teamleistungen und Einzelleistunqen benennen, Redlichkeit). Förderung von Typische Reibungsverluste zu Projektbeginn mindern. Synergieeffekten Konflikte durch Teamgröße und Aufgabengestaltung reduzieren. Gegen Trittbrettfahrer vorgehen und Einzelengagement anerkennen. Kooperationen mit externen Partnern Empfehlunqen KooperationsKooperation bei der Erstellung der Inhalte: z.B. mit anderen Hochschulen. möglichkeiten Kooperation bei der mediendidaktischen Aufbereitung z.B. mit Grafikern u.a. Kooperation bei Lernorganisation in der Weiterbildung z.B. mit Unternehmen oder Bildungsanbietern. Kooperation im Bereich der Medientechnik z.B. mit Plattform- und Softwareherstellern . KooperationsAuf gerechte Risikoverteilung achten. vertrag Vertraglich gesicherte Kooperationsvereinbarungen treffen. Eigene Rechtsberatung vor Vertragsabschluss einholen. "Spielregeln" · ··· 17.4 Der Projektplan Im Folgenden soll in al!er Kürze gezeigt werden, wie man die skizzierten Planungsprozesse in einen umfassenden Projektplan münden lässt. Wir wählen die Bezeichnung "Projektplan" für eine prägnante und übersichtliche Zusammenstellung von Zielen, Team, Aufgaben sowie von der zeitlichen und finanziellen Planung des Projekts. In wirtschaftlichen Kontexten werden Projektplan und Finanzplan häufig separat entwickelt; für ein Blended Learning-Projekt empfehlen wir einen Gesamt-Projektplan, der die Finanzplanung mit einschließt. Ein Projektplan sollte folgende Punkte umfassen: Projektbezeichnung mit Untertitel; Projektziele einschließlich einer kurzen Darstellung der Lehr-Lernziele; Projektteam; Aufgabenpakete und Verteilung von Aufgaben; Meilensteine und Zeitplan; Finanzplan. Nicht zum Projektplan gehört 97 das inhaltliche und didaktische Konzept (siehe Abschnitt 18). Wie dies im Einzelnen aussehen kann, werden wir (in groben Zügen) an hand unseres eigenen Beispiels der semivirtuellen Vorlesung - zeigen. Projektplan - Teil I. Der Projektplan beginnt mit einer Projektbezeichnung (also dem Namen des Projekts) und mit einem Untertitel, der das Projekt näher spezifiziert. Man sollte sich für die Namensgebung durchaus Zeit lassen - eine interessant klingende und gleichzeitig gehaltvolle Bezeichnung kann zu einem wichtigen "Aushängeschild" werden. Nach der Projektbezeichnung folgt im Projektplan eine Kurzdarstellung der Projektziele einschließlich eines knappen Überblicks über die Lehr-Lernziele des Blended Learning-Vorhabens; eine ausführliche Darstellung der Lehr-Lernziele sollte man in der inhaltlichen und didaktischen Konzeption vornehmen. Schließlich sollte der erste Teil des Projektplans auch die Personen mit Namen und Funktionsbezeichnungen nennen, die am Projekt beteiligt sind und das Kernteam bilden. Eigens aufgeführt werden sollten die Kooperationspartner, die nicht zum Kernteam gehören, aber am Projekt mitwirken (siehe Beispiel in Kasten 3). Kasten 3: Beispiel: Projektplan - Teil I (Basisdaten)87 Projektbezeichnung: Blended Learning in der Hochschullehre Untertitel: Innovative didaktische Impulse durch eine semivirtuelle Vorlesung in der Medienpädagogik - Konzeption, Durchführung und Evaluation. Projektziele: Entwicklung und Pilotierung einer didaktischen Innovation im regulären Hochschulbetrieb mit Blended Learning Durchführung und Evaluation eines Prototypen für Blended Learning in Form einer semivirtuellen Vorlesung Lehr-Lernziele: Aufbau von Wissen und mentalen Modellen zu zentralen Themenbereichen der Medienpädagogik; Aktiv-konstruktives und kooperatives Lernen anhand problemorientierter Aufgaben; Aufbau von Medienkompetenz durch Arbeiten mit verschiedenen virtuellen Elementen im Rahmen der Vorlesung Kernteam: Gabi Reinmann-Rothmeier - Professorin für Medienpädagogik; Frank Vohle - wissenschaftlicher Projektmitarbeiter; Frederic Adler und Heidi Faust - studentische Mitarbeiter Kooperationspartner: ÄSOP; Technische Universität München (Angewandte Informatik) Projektplan - Teil 11.Im zweiten Teil des Projektsplans sollten die wichtigsten Arbeitspakete genannt werden, also abgrenzbare Arbeitsschritte, die in einer bestimmten Reihenfolge und/oder parallel bearbeitet werden müssen. Welchen Umfang und Komplexitätsgrad die einzelnen Arbeitspakete haben, muss in jedem Projekt eigens bestimmt werden. Grundsätzlich sollte man die Aufgabenpakete umso "kleiner schnüren", je neuartiger die Projektaufgaben sind und je weniger Erfahrungen mit den damit zusammenhängenden Tätigkeiten vorhanden sind. Parallel dazu kann man auch gleich die Verantwortlichkeiten festlegen, also im Projektplan festschreiben, wer aus dem Kernteam und/oder welcher externer Kooperationspartner für welche Aufgabe zuständig ist. Die Aufnahme der Verantwortlichkeiten in den Projekt- 87Die Beispiele in den folgenden Kästen beziehen sich auf die semivirluelle Vorlesung, wie sie in Kapitel 111 beschrieben wurde. .-------, Univ.-Bibl. Bamberg 98 plan erhöht bereits in der Anfangsphase (siehe Kasten 4: Beispiel). des Projekts den Verbindlichkeitscharakter Kasten 4: Beispiel: Projektplan - Teil II (Aufgaben und Verantwortlichkeiten) Aufgabenpaket verantwortliche Inhaltserstellung Reinmann-Rothmeier Person Grafische Aufbereitung Reinmann-Rothmeier, Medientechnische Umsetzung der Inhalte in einer CD-ROM ÄSOP Organisation und Gestaltung eines Online-Forums Adler Erarbeitung der Face-to-Face-Elemente einschließlich Visualisierungen Reinmann-Rothmeier, Korrekturlesen Vohle Durchführung Summative und Probelauf und formative Evaluation Evaluation Reinmann-Rothmeier Vohle Vohle und Adler Faust etc. Projektplan - Teil 11I.Zur Aufgabenformulierung und -verteilung muss die zeitliche Planung kommen; das heißt: Ausgehend von den einzelnen Aufgabenpaketen sind sogenannte Meilensteine zu formulieren, für die auch Zeitpunkte anzugeben sind; die Meilensteine bilden die zeitlichen Marker im Projekt. In Projektanträgen für Fördergelder sind derartige Meilensteine in der Regel vorgeschrieben, denn sie geben einen guten Überblick über den geplanten Verlauf des Projekts. Meilensteine sollten dann aber auch eingehalten und nur aus triftigen Gründen im Prozess der Projektdurchführung verändert werden. Die Meilensteine ergeben letztlich den Zeitplan, den man unterschiedlich darstellen kann: Möglich ist eine tabellarische oder eine grafische Darstellung; viele setzen hier Excel-Tabellen ein, was möglich, aber durchaus nicht zwingend ist. Die Art der Darstellung sollte dem Team überlassen bleiben. Entscheidendes Kriterium ist, dass der Zeitplan mit Meilensteinen klar und übersichtlich ist (siehe Kasten 5: Beispiel). Kasten 5: Beispiel: Projektplan - Teil III Meilensteine und Zeiten) Zeitpunkte Projektbeginn Inhaltliches (Meilensteine Anfang November 2001 Manuskript für die CD-ROM Vorlesungsinhalte mit Folien Anfang Januar 2002 Anfang Februar 2002 Evaluationskonzept Anfang März 2002 Erste CD-ROM-Probeversion Anfang März 2002 EvaIuations instru mente Ende März 2002 Einrichtung des BSCW Anfang April 2002 CD-ROM für die Pilotphase Mitte April 2002 etc. 99 Projektplan - Teil IV. In einem Finanzplan werden in der Regel Personalkosten und Sachkosten getrennt aufgelistet; oft kommen noch Reisekosten und sonstige Kosten dazu. Diese Aufteilung kann man auch für ein Blended Learning-Projekt übernehmen; angesichts der Empfehlung von Kooperationen sollte noch der Posten "Unteraufträge" vorgesehen sein. Die Erstellung eines Finanzplans und die damit verbundenen Schwierigkeiten sind allen bekannt, die im Rahmen der Hochschule Förderanträge schreiben oder geschrieben haben. Ein Hauptproblern dürfte darin liegen, dass die Finanzplanung zu Beginn des Projekts viele noch kommende Dinge einfach nicht vorhersehen kann. Von besonderer Bedeutung ist daher die Möglichkeit, innerhalb des gegebenen Finanzrahmens "umschichten", also bei Bedarf z.B. die Sachmittel kürzen und Personalmittel aufstocken zu können u.ä. (siehe Kasten 6: Beispiel). I Kasten 6: Beispiel: Personalmittel Sachmittel Unteraufträge Reisekosten etc. Projektplan - Teil IV (Finanzplan)88 1 wiss. Mitarbeiter (BAT IIaj2) für 6 Monate (Summe u.a. abhängig von Alter, Familienstand etc.) 2 student. Hilfskräfte (12 Std.jWo.) für 12 Monate (Summe abhängig von der Hochschule) Kopier- und Telefonkosten; CD-Rohlinge (unter der Voraussetzung, dass technische Geräte wie Computer und Beamer vorhanden sind) Euro 5.000,(in Abhängigkeit vom Aufwand und von der Art des vorliegenden Manuskripts) keine Gedanklicher Probelauf. Anhand des Projektplans sollte man den gesamten Projektverlauf auch einmal gedanklich durchlaufen. Mit anderen Worten: Zusammen im Team sind noch einmal alle Phasen, Aufgaben und Meilensteine durchzugehen und dabei zu fragen, welche potentiellen Hindernisse auftreten könnten (hier sollte man z.B. an die in Kapitel I beschriebenen typischen Innovationsbarrieren denken). Diese gedankliche Simulation möglicher Schwierigkeiten darf natürlich nicht dazu führen, dass man das Projekt gleich lieber wieder einstampft. Vielmehr kann man sich bereits anhand der gedanklichen Vorwegnahme von Hindernissen Präventivmaßnahmen überlegen und/oder Lösungsmöglichkeiten andenken und festhalten. 88 Der folgende Finanzplan ist fiktiv: De facto haben wir die Entwicklung und Durchführung der sem ivirtuellen Vorlesung als Piloten weitgehend ohne zusätzliche Kosten realisiert - dies war aber nur durch persönliches und "unentgeltliches" Engagement aller Beteiligten möglich - u.a. in der Hoffnung, mit dieser "Vorleistung" die Weiterentwicklung des Blended Learning anstoßen und unter geeigneten finanziellen Bedingungen durchführen und "irgendwann" davon profitieren zu können. 100 18. Konzeption und Gestaltung Der aus pädagogisch-didaktischer Sicht interessanteste Part im Management eines Blended Learning-Projekts ist die Konzeption und Gestaltung der Lernumgebungen, unter der wir sowohl die theoretische Grundauffassung als auch die Kombination und Ausgestaltung von Methoden und Medien subsumieren wollen. An der Stelle bietet es sich an, an die in Kapitel 111dargestellten drei Ebenen - die normative, strategische und operative Ebene - anzuknüpfen und darzulegen, welche Entscheidungen auf diesen Ebenen jeweils anstehen und welche Grundsätze man dabei beachten sollte. Auch hier gilt wieder, dass es keine Algorithmen, sondern allenfalls Heuristiken geben kann, da es sich bei der Konzeption und Gestaltung von Blended Learning nicht um gut strukturierte Probleme mit eindeutigen Lösungsmöglichkeiten, sondern um "Design-Aufgaben" handelt. Der Designbegriff umfasst alle Tätigkeiten eines Blended Learning-Projekts, "die innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zulassen" (Baumgartner & Payr, 1999, S. 75)89. Baumgartner und Payr (1999) wollen mit dem Designbegriff deutlich machen, wie wichtig es ist, theoretisches Wissen und Praxiswissen mit einem "aktiven schöpferischen Eingriff' in eine nicht vorab festgelegte Situation miteinander zu verbinden aus unserer Sicht ist genau dies auch bei der Konzeption und Gestaltung einer hybriden Lernumgebung erforderlich. 18.1 Normative und strategische Entscheidungen Entscheidungen auf der "obersten", nämlich der normativen Ebene der Konzeption und Gestaltung eines Blended Learning-Vorhabens betreffen das Menschenbild und die dazugehörige Auffassung von Wissen, Lernen und Lehren. Entscheidungen auf der "mittleren", nämlich strategischen Ebene beziehen sich darauf, was pädagogisch aus den genannten Annahmen und Überzeugungen folgt: Zu entscheiden ist also, wie die Lernumgebung strukturiert und welche Lehr-Lernformen gewählt werden sollten. Diese Entscheidungen kann man für die gesamte Umgebung des Blended Learning-Vorhabens treffen, wenn es sich z.B. um ein von Zeit und Umfang her sehr begrenztes Lernangebot handelt. Bei umfangreicheren Lernangeboten mit mehreren Phasen und Komponenten können sich vor allem strategische Entscheidungen auch auf einzelne Teile oder Phasen separat beziehen. Lehr-Lernauffassung. In Kapitel 11haben wir in aller Kürze die wichtigsten Lerntheorien beschrieben (vgl. Abschnitt 8.1) und darauf verwiesen, dass sowohl behavioristische und kognitivistische Ansätze des Lernens und Lehrens als auch konstruktivistische Ansätze für das e-Learning im Allgemeinen und das Blended Learning im Besonderen von Bedeutung sind. Einzelne Komponenten dieser Ansätze sind auf der didaktischen Ebene durchaus kombinierbar - wichtig aber ist in einem konkreten Projekt eine grundlegende Entscheidung, welche Auffassung man in Bezug auf den Lernenden, den Lernprozess und damit auch auf Möglichkeiten des Lehrens und der Lernförderung vertritt. Auf eine sehr einfache Formel gebracht, lässt sich jede Einstellung auf einem Kontinuum zwischen den folgenden zwei Polen verorten: Am 89 Der Designbegriff schließt drei Komponenten ein: ein planerisches, entwickelndes und entwerfendes Element, eine gewisse visionäre Zukunft und der Zusammenhang von Form und Inhalt, was Design auch von der .reinen" Kunst unterscheidet (Baumgartner & Payr, 1999). 101 kognitivistischen Pol90 geht man davon aus, dass Lernen im Sinne von Prozessen der Informationsverarbeitung in Grenzen "machbar" ist, indem man nach bestimmten Regeln mentale Prozesse von außen anleitet und unterstützt. Am konstruktivistischen Pol dagegen steht die Annahme, dass Menschen zwar "lernfähig", aber nicht "belehrbar" sind (Siebert, 2001), dass also eine "Machbarkeit des Lernens" unmöglich ist, weil Lernen als ein aktiv-konstruktiver und vor allem selbstgesteuerter Prozess zu verstehen ist - "Lehren" im klassischen Sinne ist also nahezu unmöglich. Die meisten werden eine Auffassung vertreten, die sich zwischen diesen Polen befindet (wie dies auch bei unserem Projekt der Fall ist; vgl. Abschnitt 12.3). Es wird empfohlen, sich über diese grundlegenden Annahmen zum menschlichen Lernen Gedanken zu machen und sich darüber klar zu werden, welcher Position man sich am nächsten fühlt. Entscheidend nämlich ist, dass der Lehrende und sein Team hinter dem Vorhaben in seiner Grobkonzeption stehen, dass alle aktiv Beteiligten von dieser überzeugt sind - und all das ist nur möglich, wenn die erste Entscheidung auf der normativen Ebene nicht gegen tiefe innere Überzeugungen getroffen wird. Das Wissensverständnis. Eng mit der Lehr-Lernauffassung verknüpft sind Annahmen zum Konstrukt Wissen und damit auch zu den zu vermittelnden Inhalten (ReinmannRothmeier & Mandl, 2001 a). Unter einer kognitivistischen Auffassung stehen in der Regel geschlossene und klar strukturierte Wissenssysteme, die es zu vermitteln gilt, im Fokus der Aufmerksamkeit. Im Gegensatz dazu dominiert unter einer konstruktivistischen Auffassung eher eine Vorstellung von Wissen als etwas Unabgeschlossenem und "Beweglichem". Während das kognitivistische Verständnis von Wissen eher statisch und Wissen entsprechend als Ergebnis (des Lernens) von Interesse ist, verweisen konstruktivistische Ansätze mehr auf die dynamische Eigenschaft des Wissens als (Lern- )Prozess (Reinmann-Rothmeier, 2001). Derart unterschiedliche Auffassungen, die wiederum mehr als Pole eines Kontinuums denn als "Schubladen" zu betrachten sind, haben Einfluss auf die Inhaltsauswahl und Inhaltsaufbereitung wie auch auf die Struktur und methodische Gestaltung einer Lernumgebung; von daher erscheint eine klare Positionierung notwendig. Je nach Auffassung wird man sich auf der normativen Ebene entscheiden müssen, welche Inhalte man aus dem zu vermittelnden Gegenstandsbereich auswählt, ob man mehr in die Breite oder in die Tiefe geht, ob man nach exemplarischen Themen sucht oder lieber eine Vielzahl von Themen einsetzt, ob man den Gegenstand bzw. die ausgewählten Inhalte hierarchisch, chronologisch, vernetzt oder phänomenorientiert strukturiert etc. Hier geben natürlich auch die vorab formulierten Lehr-Lernziele (vgl. Abschnitt 17.2) eine wesentliche Richtung vor. In eher wirtschaftlich orientierten Ratgebern zum Projektmanagement beim e-Learning wird die "Content-Erstellung", wie man die Auswahl, Strukturierung und Aufbreitung der Inhalte nennt, erst nach der Konzeption und Gestaltung empfohlen (z.B. Tiemeyer, 2002). Hiervon raten wir dringend ab, denn genau dies dürfte mit ein Grund für die Vernachlässigung und entsprechend schlechte Qualität vieler Inhalte (von kommerziellen Bildungsprodukten) sein. Eine reine Reiz-Reaktions-Vorstellung behavioristischer Art wird heute als grundlegende Auffassung kaum noch vertreten, weshalb diese hier unter die kognitivistische Auffassung subsumiert wird. 90 102 Die Struktur der Lernumgebung. Es gibt Lernumgebungen, in denen Lernenden in mehr oder weniger hohem Maße Lernschritte vorgegeben werden - die äußere Anleitung in Bezug auf den Lernweg also hoch ist; es gibt aber auch Lernumgebungen, in denen Lernende eine Vielzahl freier Entscheidungen im Hinblick auf ihren Lernweg treffen können - die Selbststeuerung folglich Vorrang hat. Mit Kerres et al. (2002) kann man ersteres als "sequentielle Lernwege" und letzteres als "offene Interaktionsräume" bezeichnen. Sequentielle Lernwege sind sinnvoll bei a) hierarchisch gegliederten Lehr-Lerninhalten, b) einer homogenen Zielgruppe, c) unselbständigem Lernstil91, d) extrinsischer Motivation und e) niedrigem Vorwissen; offene Interaktionsräume dagegen bieten sich an bei a) flach gegliedertem Lehr-Lernstoff, b) inhomogener Zielgruppe, c) selbständigem Lernstil92, d) intrinsischer Motivation und e) hohem Vorwissen (Kerres et al., 2002). Die Entscheidung über sequentielle Lernwege und offene Interaktionsräume muss nicht für die gesamte Lernumgebung in der Gänze getroffen werden, sondern kann sich auf verschiedene Teile der Lernumgebung beziehen - Kombinationen sind möglich. Die Art des Lernens. In Kapitel 11wurden drei e-Learning-Varianten vorgestellt, die jeweils sehr unterschiedliche Formen des Lernens implizieren und entsprechend verschiedene Anforderungen an die Lernenden stellen (vgl. Abschnitt 7.1). Diese Systematik lässt sich vom e-Learning im Besonderen auch auf das Lernen im Allgemeinen übertragen: Wir schlagen daher vor, in der Konzeptionsphase auf der strategischen Ebene eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein eher lehrerzentriertes "Iearning from information", ein eher lernerzentriertes "Iearning from feedback" oder ein eher teamzentriertes "Iearning from multiple perspectives" im Vordergrund stehen soll bzw. in welchen Teilen der Lernumgebung bzw. in welchen Phasen des Gesamtlernprozesses welche dieser drei Lernformen jeweils Vorrang haben soll: a) Beim "Iearning from information" oder "Iearning by telling" (Back et al., 1998) werden Informationen (bzw. Lehr-Lerninhalte) von einem Lehrenden/Experten mündlich oder anderweitig (schriftlich, aufgezeichnet, digitalisiert etc.) angeboten; es handelt sich also in irgendeiner Form um Referieren, Vortragen oder Präsentieren von Information, wobei der Lehrende im Mittelpunkt steht. b) Beim "Iearning from feedback" oder "Iearning by doing" (Back et al., 1998) erfolgt eine Interaktion entweder zwischen Lehrendem und Lernenden (in der Präsenz-Variante und/oder bei der (tele-)tutoriellen Unterstützung von "Iearning from information,,93) oder zwischen Nutzer und System (beim e-Learning); es handelt sich hier in vielen Fällen um Selbstlernaktivitäten, die von Lehrenden oder von technischen Systemen unterstützt werden; im Mittelpunkt aber steht der Lernende und sein Lernprozess. c) Beim "Iearning from multiple perspectives" oder "Iearning through discussion and reflection" (Back et al., 1998) dreht sich alles um die Interaktion zwischen Lernenden im Prozess des (sozialen) Problemlösens; Lehrende haben hier weniger Feedback- und Unterstützungsfunktionen als moderierende Aufgaben; auch hier können die Grenzen zum "Iearning from feedback" fließend sein. 91 92 93 ein Lernstil, bei dem Selbststeuerung schwierig ist. ein Lernstil, bei dem Selbststeuerung nahe liegt. Die Grenzen zwischen den hier akzentuierten Lernformen sind entsprechend fließend. 103 Tabelle 7 fasst die wesentlichen Aussagen zu den normativen und strategischen Entscheidungen bei der Konzeption und Gestaltung des Blended Learning als Checkliste noch einmal zusammen. Tab. 7: Checkliste 4: Normative und strategische Entscheidungen Lehr-Lernauffassung Prozess des Lernens Position auf dem Kontinuum Wissensverständnis Wissen generell ausgewählte LehrLerninhalte 0 0 0 0 · ·· Welche Vorstellung habe ich/haben wir vom Prozess des Lernens? Verstehe ich/verstehen wir Lernen eher als Informationsverarbeitung oder eher als Wissenskonstruktion? Wenn die kognitivistische und die konstruktivistische Auffassung die beiden Pole eines Kontinuums sind: Wo verorle ich rneine/verorlen wir die eigene Position? Welche Vorstellung habe ich/haben wir vom Wissen (als Konstrukt)? Dominierl eine eher statische (ergebnisorientierle) oder eine eher dynamische (prozessorientierle) Auffassunq? Welche Inhalte wähle ich nach welchen Prinzipien (z.B. Tiefe/Breite) aus? Wie strukturiere ich die ausgewählten Inhalte (hierarchisch, chronologisch, netzarlig, phänomenorientierl etc.)? Struktur der Lernumgebung Sequentielle • Sprechen die gewählten Lehr-Lerninhalte und/oder Lernwege gruppe für sequentielle Lernwege? 0 Wenn ja, an welchen Stellen der Lernurngebung/in Lernprozesses? Offene Inter0 Sprechen die gewählten Lehr-Lerninhalte und/oder aktionsräume Zielgruppe für offene Interaktionsräume? Wenn ja, an welchen Stellen der Lernumgebung/in Lernprozesses? Art des Lernens Learning from information Learning from feedback Learning from mul· tiple perspectives · ··· ·· 0 die Merkmale der Zielwelchen Phasen des die Merkmale der welchen Phasen des Wo und wann macht ein .Iearning by telling" Sinn? An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man lehrerzentrierl vorgehen? Wo und wann macht ein .Iearning by doing" Sinn? An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man lernerzentrierl vorgehen? Wo und wann macht ein .Iearning through discussion and ref1ection" Sinn? An welchen Stellen/in welchen Phasen sollte man teamzentrierl vorqehen? 18.2 Gestaltung auf der operativen Ebene Wenn man im Rahmen des Blended Learning-Konzepts die wichtigsten strategischen Entscheidung getroffen hat, wie sie oben beschrieben wurden, stellt sich im Anschluss daran die Frage: Wie setzt man die gewählten Strukturen der Umgebung und Formen des Lernens im Einzelnen methodisch und mediendidaktisch um? Zu klären ist, wann und wo man auf Präsenzelemente, auf traditionelle Medien und auf die neuen Medien - also auf e-Learning - setzt. Dies sind Entscheidungen und Gestaltungsaufgaben auf der operativen Ebene, auf der Tätigkeiten vollzogen werden, die sich dann sichtbar in der resultierenden Lernumgebung niederschlagen. Wir wollen diese operativen Gestaltungsmöglichkeiten wiederum an der obigen Systematik festmachen und zeigen, in welcher Weise man learning by telling, learning by doing und learning through discussion and reflection konkret umsetzen kann. 104 Learning by telling. Learning by telling oder learning from information kann man zunächst einmal face-to-face als Frontalunterrioht im Hörsaal oder im Seminarraum realisieren; dabei ist zu bedenken, dass der Frontalunterricht mehr monologischen oder mehr dialogischen Charakter haben kann. Lernort und Lernzeit sind hier fremdgesteuert; auch die Lerngeschwindigkeit wird von außen stark gelenkt. Learning by telling oder learning from information kann man aber auch medial umsetzen: Über traditionelle Medien erfolgt eine physische Distribution von Informationsmaterial, indem man z.B. einen Vortrag schriftlich als Paper, Studien brief u.ä. anbietet. Daneben können VorträgeNorlesungen auch aufgezeichnet und analog als Audio- oder Videokassette zur Verfügung gestellt werden. Die neuen Medien (und damit auch das elearning by distributing, vgl. Abschnitt 7.1) kommen ins Spiel, wenn Lernende auf elektronische Dokumente oder digitalisierte Audio- oder Videofiles online zugreifen können und auf diesem Wege orts- und zeitunabhängig an die aufgezeichneten VorträgeNorlesungen kommen. Im Rahmen eines Online-Video-Angebots kann man ebenfalls zwischen monologischen Formen (video-on-demand) und dialogischen Formen (bei synchroner Übertragung mit Videoconferencing) variieren. Mit Ausnahme der synchronen Übertragung, bei der die Zeitkomponente wieder fremdgesteuert wird, bieten die medialen Formen des "Iearning from information" (also das e-Iearning by distributing) mehr Freiheitsgrade als die Face-to-Face-Variante. Eingeschränkt ist dagegen die Interaktions-Komponente; (tele-)tutorielle Begleitung kann diese Einschränkung (in Grenzen) auffangen. Im letzteren Fall werden die Grenzen zum learning by doing fließend. Learning by doing. Auch learning by doing oder learning from feedback kann man face-to-face und/oder medial umsetzen: In der Face-to-Face-Variante erhalten die Lernenden etwa in Workshops oder anderen aktiven Veranstaltungsformen, in denen vor allem das individuelle Lernen gefördert wird, Anleitung und Unterstützung von Lehrpersonen. Hier stehen nicht mehr Präsentationen zu Lehrzwecken im Vordergrund, sondern Anstöße und Rückmeldungen des Lehrenden, der die Funktion eines Coaches oder Tutors übernimmt. Lehrende bzw. Tutoren können (s.o.) auch beim learning from information unterstützend tätig werden, wenn sie auf Anfrage oder in regelmäßigen Abständen Rückmeldungen auf Lernfortschritte, Aufgabenlösungen oder andere Lernprozesse geben - hier findet (wie bereits erwähnt) ein Übergang zum learning from feedback statt. Ein weiterer Übergang, nämlich zum e-Learning liegt vor, wenn Rückmeldungen über die neue Medien in Diskussionsforen, per eMail (asynchron) oder via Chat und Videoconferencing (synchron) erfolgen. Als "reine" e-Learning-Variante zählt das e-Iearning by interacting zum learning by doing (vgl. Abschnitt 7.2); hierunter fallen vor allem interaktive Programme wie CBTs oder WBTs mit intelligenter Nutzerführung und automatisierten Rückmeldungen. Learning from feedback ist allerdings auch mit traditionellen Medien wie Printmaterialien oder (analogen) audiovisuellen Materialien zum Selbstlernen machbar, wenn dabei Möglichkeiten zur Selbstkontrolle (z.B. Übungsaufgaben mit Lösungen o.ä.) eingebaut sind und die Rückmeldung vom verwendeten Medium kommt. 105 Learning through discussion and reflection. Learning through discussion and reflection oder learning from multiple perspectives sieht in der Face-to-Face-Variante so aus, dass etwa in projektorientierten Veranstaltungen soziale Problemlöseprozesse (in der Regel durch geeignete Aufgaben) initiiert und begleitet werden. Insbesondere bei der Bearbeitung von komplexen Problemen mit "Projektformat" können und sollen bereits verschiedene meist traditionelle, zunehmend aber auch neue Medien als Ressource zur Problembearbeitung zur Verfügung stehen. Unter dem Einsatz der neuen Medien kann man auch von e-Iearning by collaborating sprechen. Die technischen Voraussetzungen für e-Iearning by collaborating bestehen darin, dass man über geeignete Plattformen mit Foren für synchrone und asynchrone elektronische Kommunikation und Kooperation sowie über dazugehörige Werkzeuge94 verfügt. Wenn es um kooperative Lernformen geht - und zwar unabhängig davon, ob diese face-toface oder elektronisch erfolgen sollen - muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, was einem in der jeweiligen Lernumgebung wichtiger ist (Kerres, 2002): Die Kommunikation und der persönliche Dialog ohne Ergebnisse im Sinne eines "Wissensprodukts" oder die Kooperation und die gemeinsame Problembearbeitung mit einem konkreten Wissensprodukt als Ergebnis der Zusammenarbeit. Diese Entscheidung hat Einfluss auf die Mikrogestaltung sowohl von Face-to-Face- als auch von elektronischen Settings zum kooperativen Lernen; ebenso wird dadurch die Gestaltung von Aufgaben beeinflusst. Tabelle 8 gibt noch einmal einen Überblick über die Gestaltung formen auf der operativen Ebene: verschiedener Lern- Tab. 8: Checkliste 5: Gestaltung auf der operativen Ebene (1) Learning by telling Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an? Face-to-face Frontalunterricht (VorlesungenNorträge etc.) Monologische oder dialogische Formen Traditionelle Physische Distribution von Informationen. Medien Schriftliche oder lanaloae) audiovisuelle Formate Neue Medien E-Iearning by distributing Elektronische Distribution digitalisierter Materialien zum Offline-Gebrauch Svnchrone und asvnchrone Online-Anaebote Learning by doing Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an? Face-to-face Workshops und andere aktive Veranstaltungsformen Lehrender als Coach Traditionelle Schriftliche oder audiovisuelle Selbsllemmaterialien mit Möglichkeiten der Medien Selbstkontrolle loder Kombination mit Face-to-Face-Elementen) Neue Medien E-Iearning by interacting Interaktive Proaramme (CBTs, WBTs) mit automatisierten Rückmeldunaen Learning through discussion and reflection Wann und wo bieten sich welche Umsetzunaen an? Face-to-face Projektorientierte Veranstaltungen • Fokus auf Kommunikation/Dialoa oder auf Koooeration/Eraebniserstelluna Traditionelle Schrift, Bild, Film und Ton als Ressourcen zur Problembearbeitung Medien Zunehmende Kombination mit diaitalisiertem Material Neue Medien E-Iearning by collaborating Problemlösen in virtuellen Gruppen (prozess- oder ergebnisorientiert) Nutzuno von Plattformen, Foren und Tools aus dem Bereich CSCW ·· ·· ·· · ··· ·· · ·· ·· · 94 Man spricht gemeinhin von CSCW: Computer Supported Cooperative Work. 106 Aufgaben und Feedback. Bei allen Varianten des Lernens, die man mit Blended Learning-Konzepten realisieren kann; spielen (Lern-)Aufgaben eine zentrale Rolle, wie sie in Kapitel 111beschrieben wurden (vgl. Abschnitt 12.3): Aufgaben, die dazugehörigen Instruktionen und die zur Aufgabenbearbeitung geforderten Aktivitäten der Lernenden können in hohem Maße in das gesamte Lehr-Lerngeschehen (positiv und negativ) eingreifen. Entsprechend sorgfältig sollte man die Funktionen von Lernaufgaben beachten, also Funktionen der kognitiven, emotionalen und interaktiven Aktivierung sowie Funktionen der Sicherung von Lernprozessen und -ergebnissen; diese Funktionen sind zu den Lehr-Lernzielen in einen sinnvollen Bezug zu setzen: Aufgaben, die z.B. keine interaktive Aktivierung bewirken (also Aufgaben, die man besser allein als in der Gruppe bearbeiten kann) haben z.B. bei teamzentrierten Lernformen nichts zu suchen - um an dieser Stelle nur ein prägnantes Beispiel zu nennen. Neben der Aufgabengestaltung sollte auch bei der Gestaltung des Feedbacks auf Aufgabenlösungen große Sorgfalt verwendet werden. Zu entscheiden ist in der Konzeptionsphase, welche Form(en) von Rückmeldungen im Vordergrund stehen sollen: Es gibt die Möglichkeit, individuelles oder gruppen bezogenes Feedback zu geben dies hängt von der Art der Aufgabe (Einzel- oder Gruppenaufgabe) ab. Man kann ein Feedback in Form eines mehr oder weniger ausführlichen Kommentars formulieren oder man kann auf ein Punktesystem zurückgreifen, das man vorab allerdings ebenfalls kommentieren und begründen muss. Schließlich besteht die Möglichkeit, Vergleichslösungen anzubieten: Entweder man schreibt als Experte selbst "Musterlösungen" oder man verweist auf besonders gut gelungene "Vorzeigelösungen" seitens der Lernenden. Verschiedene Feedbackformen lassen sich selbstverständlich auch kombinieren. Lernberatung und Meta-Informationen. Ebenfalls wichtig bei der Konzeption und Gestaltung auf der operativen Ebene ist die Lernberatung in Form von EinzeIgesprächen, e-Mail-Beratung oder Informationsveranstaltungen (Kerres, 2002). Dies ist umso bedeutsamer, je mehr Selbstlernaktivitäten die Blended Learning-Umgebung vorsieht, also je mehr Entscheidungen vom Lernenden selbst getroffen werden müssen, wofür Unterstützung notwendig werden kann. Ausschlaggebend sind an dieser Stelle die Merkmale der Zielgruppe: Geringe Vorerfahrungen mit Selbstlernen und virtuellen Lernangeboten sollten als Impuls dafür dienen, Lernberatung in verschiedenen Formen anzubieten. In enger Verbindung dazu stehen Meta-Informationen, deren Bedarf gerne unterschätzt wird: Dabei ist zu beachten, dass die Relevanz von Informationen über das Lernkonzept, die Lernumgebung, die Lernziele und -inhalte, die Lernaktivitäten und die dabei gestellten Anforderungen95 mit wachsender Virtualität steigt: Je mehr virtuelle Elemente eine Lernumgebung hat, umso kleiner werden die Chancen, fehlende Informationen face-to-face zu kompensieren; entsprechend größer wird die Notwendigkeit, all diejenigen Informationen explizit zu artikulieren, die ansonsten im direkten Gespräch ohne vorherige Planung "einfließen". An dieser Stelle ist also mehr vorausgehende Planung bzw. vorausschauendes Denken (Was könnten typische Fragen sein? Wo könnte es überall Probleme geben?) erforderlich. Meta-Informationen sollten stets in einer klaren und verständlichen Sprache formuliert sein, da wiederum Möglichkeiten der unmittelbaren Kompensation von Verständnisschwierigkeiten im virtuellen Raum nicht oder kaum gegeben sind. Die Übergänge zwischen 95 Dies alles kann man unter "Meta-Informationen" subsumieren. 107 Meta-Informationen und Lernberatung sind fließend. Als differenzierendes Kriterium kann man den individuellen "Zuschnitt" auf einzelne Lernende betrachten, der bei der Lernberatung höher ist als bei Meta-Informationen, die zunächst einmal die gesamte Zielgruppe des Lernangebots ansprechen und nicht individualisiert sind. Tabelle 9 stellt die erörterten ratung und Meta-Informationen Aspekte zu Aufgaben und Feedback als Checkliste zusammen. sowie Lernbe- Tab. 9: Checkliste 6: Gestaltung auf der operativen Ebene (2) Aufgaben und Feedback Was zu beachten/was möglich ist: Aufgaben Passung zu den Lehr-Lernzielen und den gewählten Lernformen Gezielte Nutzung verschiedener Aktivierungs- und Sicherungs-Funktionen von Aufaaben Feedback Individuelles oder Gruppen-Feedback (in Abhängigkeit von der Aufgabe) Feedback in Form von Kommentaren oder (vorab definierten) Punkten Angebot von Vergleichslösungen (.Muster- oder Vorzeigelösungen") Kombinierte Feedbackformen Lernberatung und Meta-Informationen Was zu beachten/was möalich ist: Lernberatung Einzelgespräch, e-Mail oder Informationsveranstaltungen Lernberatung umso wichtiger, je mehr Selbstlernaktivitäten und je weniger Erfahrunaen zum selbstaesteuerten (und virtuellen) Lernen Meta-Informationen Meta-Informationen umso wichtiger, je mehr virtuelle Anteile in der Lernumgebung Notwendigkeit einer klaren und verständlichen Sprache fließender Übergang zur Lernberatung (im Falle zunehmender Individualisierung der Information) ·· ·· ·· ·· · ·· Zyklische Vorgehensweise. Weder auf der normativen und strategischen noch auf der operativen Ebene kann man davon ausgehen, dass sich Entscheidungen in Bezug auf Konzeption und Gestaltung als linearer Prozess "abwickeln" lassen. Was wir an dieser Stelle an Empfehlungen und handlungsleitenden Fragen aufgelistet haben, hat analytischen Charakter, um die verschiedenen Facetten der vorliegenden Design-Aufgaben in der Konzeptionsphase eines Blended Learning-Projekts deutlich zu machen und zu erleichtern. In der Praxis werden in der Regel mehrere Zyklen bei der Konzeption und Gestaltung durchlaufen - meist bleibt man nicht bei den ersten Entscheidungen. Es muss also möglich sein, getroffene Entscheidungen auch zu revidieren, wenn dies schlüssig begründet werden kann. Auf jeder Ebene empfehlen wir einen systematischen Abgleich mit den Zielen und dem Kontext, wie sie in der Planungsphase (vgl. Abschnitt 17) erfasst wurden. Mit Fragen wie: "Lässt sich meine Entscheidung im gegebenen Kontext realisieren? Wenn nicht, was muss ich ändern? Passt meine Entscheidung zu meinen Zielen?" etc. sollte man nicht sparen - es ist lohnend, sich im Prozess der Konzeption und Gestaltung auf allen Ebenen selbst zu evaluieren, denn die "Kosten" sind meist geringer als diejenigen, die am Ende eines Projekts entstehen, wenn grundsätzliche Änderungen nachträglich notwendig werden. 108 19. Durchführung und Qualitätsmanagement Wie gut Planung, Konzeption und Gestaltung gelaufen sind, zeigt sich spätestens in der konkreten Durchführung des Blended Learning-Vorhabens. Mit "Durchführung" ist sowohl die erste Umsetzung gemeint, die man als Pilotierung bezeichnet, als auch die Implementierung im Echtbetrieb der Hochschullehre. In der Pilotdurchführung kommt es in hohem Maße darauf an zu überprüfen, ob und inwieweit man die in der Planung gesetzten Ziele des Projekts erreicht hat und an welchen Stellen der Konzeption und Gestaltung Veränderungen erforderlich sind. Aber auch im Echtbetrieb sind kontinuierliche Verbesserungen sinnvoll und notwendig. Vor diesem Hintergrund kommt dem Qualitätsmanagement des Blended Learning bei der Pilotierung wie auch im Echtbetrieb ein wichtige Rolle zu. Mit "Qualitätsmanagement" ist an dieser Stelle gemeint, dass die Durchführung des Blended Learning insbesondere in der Pilotphase, aber auch danach evaluiert wird, um die angestrebte Qualität sicherzustellen und weiterzuentwickeln (Wilbers, 2002). Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung gelten als die beiden bestimmenden Ziele des Qualitätsmanagements (vgl. Reinmann-Rothmeier, 2000). Die "Mittel" zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung sind Evaluationsinstrumente, deren Handhabung in der Hochschule kein Problem sein dürfte: Immerhin findet man gerade in den Hochschulen ein hohes Maß an Forschungskompetenz und damit auch Fähigkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Methoden des Erhebens, Auswertens und Bewertens, die man für die Evaluation eines Blended Learning-Projekts braucht. 19.1 Pilotierung In der Pilotierung eines Blended Learning-Vorhabens hat die Evaluation (meist im Sinne einer formativen Evaluation) eine entscheidende Bedeutung, dient doch die erste Durchführung vor allem dazu, Unwägbarkeiten des Modells zu erkennen, Probleme zu identifizieren und unmittelbar anschließende Verbesserungen zu erarbeiten, um die Qualität des Vorhabens entweder sicherzustellen oder gar weiter zu entwickeln. Zudem empfiehlt es sich bei der Pilotdurchführung, die Rahmenbedingungen besonders im Auge zu haben, und dafür zu sorgen, dass die Studierenden alle notwendigen Informationen zur Pilotierung haben. Schließlich ist die Pilotdurchführung genau das Feld, in dem man offensiv mit Fehlern umgehen und bedarfsorientierte Anpassungen vornehmen kann. Evaluation in der Pilotdurchführung. Unter Evaluation eines Blended Learning-Vorhabens wollen wir im Folgenden (in Anlehnung an Tergan, 2000) die systematische und zielgerichtete Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung der eingesetzten Medien, Medienkombinationen und Methoden einschließlich der zugrunde liegenden konzeptionellen Annahmen verstehen. Hierzu bietet sich die erste Umsetzung des mediendidaktischen Konzepts natürlich besonders an: Das primäre Ziel der Evaluation in der Pilotdurchführung besteht weniger darin, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Lernen und Lehren mit neuen Medien zu gewinnen, als vielmehr praktische Maßnahmen in der Hochschullehre zu verbessern. Nun gibt es seit langem einen erbitterten Streit, ob Evaluationsmaßnahmen aufgrund ihrer Fokussierung auf der Optimierung praktischer Maßnahmen der Forschung zuzuordnen sind oder nicht (Wottawa, 2001 )96; einig ist man sich aber weit96 Wir sind der Meinung, dass Evaluation in jedem Fall ein sogar bedeutender Forschungszweig ist. 109 gehend darin, dass man eine Evaluation mit wissenschaftlichen Methoden angehen sollte. Wenn es nun darum geht, eine didaktische Innovation in der Hochschullehre zu entwickeln, zu implementieren und hinsichtlich ihrer Wirkungen (bezogen auf die eingangs gesetzten Ziele) zu überprüfen und zu bewerten, darf es aus unserer Sicht nicht zwingend notwendig sein, ein großes Forschungsprojekt daraus zu machen dies würde innovative Entwicklungen im Bereich der Hochschullehre eher bremsen als fördern. Es spricht allerdings nichts dagegen, ein Blended Learning-Projekt und dessen Evaluation bei der Pilotdurchführung auch dazu zu nutzen, Prozesse und Ergebnisse des Lernens und Lehrens mit neuen Medien wissenschaftlich zu beleuchten - sofern die Projektdurchführenden daran (z.B. aufgrund des eigenen fachlichen Hintergrunds) Interesse haben. Festzuhalten ist: Die Pilotdurchführung eines Blended Learning-Konzepts sollte evaluiert werden, um Verbesserungen und Anpassungen an den realen Kontext vornehmen zu können, den man in der Planung und Konzeption niemals komplett vorwegnehmen kann. Bei der Evaluation sollten wissenschaftliche Methoden zum Einsatz kommen; die genaue Ausgestaltung des Evaluationskonzepts ist abhängig von den gesetzten Zielen, von den vorhandenen Rahmenbedingungen und vom Erkenntnisinteresse des Projektteams. Entwicklung eines Evaluationskonzepts. Es sollte keine Diskussion darüber geben, dass die Pilotierung des Blended Learning evaluiert wird; allerdings bleibt die Frage, wie dies im Einzelnen geschehen sollte. Fertige Rezepte gibt es auch hierzu nicht, doch einige Leitlinien lassen sich durchaus formulieren. Dreh- und Angelpunkt einer jeden Evaluation sind zunächst einmal die Ziele: Nicht umsonst wurde der Zielfindung in der Planungsphase des Projektmanagements (vgl. Abschnitt 17.1) relativ viel Raum gegeben. Denn bewerten lässt sich ein Blended Learning-Projekt immer nur in Bezug auf seine Projektziele und Lehr-Lernziele: Wenn z.B. reaktive Projektziele aufgrund einer schwierigen Lehrsituation im Vordergrund standen, kann das Projekt nicht wegen mangelnder Innovationskraft (im Sinne eines proaktiven Ziels) kritisiert werden. Wenn mit dem Blended Learning-Konzept eine Vermittlung von Faktenwissen zum weiteren Wissenserwerb angestrebt wurde, darf man in der Evaluation nicht den flexiblen Umgang mit dem erworbenen Wissen in Anwendungssituationen und umgekehrt überprüfen. Die vorab formulierten Ziele sind also gleichzeitig die Evaluationskriterien und diese bilden den ersten Schritt bei der Entwicklung eines Evaluationskonzepts. In einem zweiten Schritt ist zu klären, welches Evaluationsdesign97 man bevorzugt: Hier trifft man die Entscheidung, a) ob man z.B. die Evaluation begleitend (also prozessorientiert bzw. formativ) und/oder abschließend (also ergebnisorientiert bzw. summativ) durchführt, b) ob man qualitative und/oder quantitative Daten sammelt, c) worüber man Daten erhebt, was also genau der Evaluationsgegenstand innerhalb des Projekts ist (z.B. der Kontext, die Ressourcen, die ablaufenden Prozesse, die erzielten Wirkungen), d) zu welchen Zeitpunkten man Daten erheben wird, und e) wieviel Aufwand man sich in der Evaluation "leisten" kann. Der dritte Schritt bei der Erarbeitung eines Evaluationskonzepts besteht darin, Evaluationsmethoden auszuwählen, die dazu geeignet sind, die gesetzten Ziele zu überprüfen, und die in das angestrebte Design und den vorhandenen z.B. zeitlichen, finanziellen und personellen Rahmen passen. Evaluationsmethoden zur Erhebung von Daten lassen sich in folgende Kategorien einteilen: a) Dokumentenanalyse (also z.B. 97 Man sprich! hier auch von Evalua!ionsmodell (Wottawa, 2001, Tergan, 2000). 110 Analyse von Fachliteratur, Lehrplänen, Prüfungsordnungen), b) Befragung (schriftliche und mündliche Befragungsformen mit unterschiedlichem Standardisierungsniveau), c) Beobachtung (teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung - auch Online-Beobachtung - mit unterschiedlichem Systematisierungsgrad), d) Tests (standardisierte Testverfahren und situative Tests in Form von Arbeitsproben, Fallstudien, Planspielen etc.) und empirische Untersuchung (Tergan, 2000). Koordination der Rahmenbedingungen. Insbesondere bei der ersten Durchführung des Blended Learning-Konzepts sollte man ausreichend Zeit darauf verwenden, alle Rahmenbedingungen (vor allem zeitliche, personelle, technische Bedingungen) der Durchführung genau zu durchdenken und zu koordinieren. An der Stelle sollte man noch einmal auf die Analyseergebnisse der Planungsphase (vgl. Abschnitt· 17) zurückgreifen und diese bei Bedarf aktualisieren. Hilfreich sind z.B. Fragen folgender Art: a) Reichen die aktuellen Semester-Termine für die Umsetzung des Konzepts? An welchen Stellen sollte eventuell etwas gekürzt, verschoben, umgestellt etc. werden, um eine genaue zeitliche Passung zwischen Konzept und realem Kontext zu erreichen? b) Stehen mir bei allen in der Durchführung anfallenden Aufgaben geeignete Personen zur Verfügung? Was kann ich ohne Hilfe machen, wo brauche ich bei der Durchführung Unterstützung, was kann ich delegieren? c) Ist die für die Durchführung notwendige Hardware (z.B. Beamer in der Vorlesung) und Software an den relevanten (Lehr-)Orten vorhanden? Sind alle technischen Dinge auch funktionsbereit? Wer kann bei technischen Problemen helfen? Diese beispielhaften Fragen sollte jeder bezogen auf sein Projekt selbst erweitern und spezifizieren und diese als eine Art Checkliste verwenden. Es empfiehlt sich zudem, für die erste Durchführung ein kleines "Drehbuch" zu erstellen, was in welchen Phasen des Semesters bei der Umsetzung des Blended Learning-Vorhabens zu tun ist, woran man denken sollte und welche Alternativen es gibt, wenn einzelne Punkte nicht umsetzbar sind. Auch hier sollte man noch einmal die Ergebnisse der Planungsphase heranziehen. Ein solches Drehbuch sollte man auch allen anderen Projektbeteiligten geben, denn ein Pilot ist eben keine Routine-Tätigkeit, sodass externe Gedächtnisstützen eine wenig aufwändige und doch sehr hilfreiche Funktion übernehmen können. Schaffung von Transparenz bei den Studierenden. Die Pilotierung eines neuen Konzepts im Hochschulalltag (also im Feld und nicht etwa unter Laborbedingungen) erfordert ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl: Zu vermeiden ist, dass sich Studierende sozusagen als "Versuchskaninchen" fühlen; ebenso ist darauf zu achten, dass Studierende nicht die (falsche) Annahme aufbauen, sie selbst (und nicht das neue Konzept) seien Gegenstand der Kontrolle und Überprüfung. Beide Gefahren kann man in den Griff bekommen, wenn man das Anliegen, die Ziele und Hintergründe des Projekts von Anfang an transparent macht und die Studierenden als Experten in Sachen Lernen in die Evaluation aktiv mit einbezieht. Für die Schaffung von Transparenz hat man in einem Blended Learning-Projekt zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Eine Möglichkeit besteht darin, den ersten Veranstaltungstermin zu nutzen, um a) das Konzept des Blended Learning vorzustellen, b) einen kurzen Abriss über die Entstehung, den Verlauf und die Ziele des Projekts zu geben, c) das Evaluationskonzept und die Rolle der Studierenden in der Evaluation zu erläutern und d) die Projektbeteiligten persönlich vorzustellen, insbesondere dann, wenn diese auch während der Pilotdurchführung einzelne Aufgaben übernehmen und damit potentielle Ansprechpartner für die Studierenden sind. Die zweite Möglichkeit, die man 111 weniger als Alternative denn als Ergänzung verstehen sollte, ist die, alle wichtigen Informationen, die der Transparenz dienen, auch online zugänglich zu machen. Offensiver Umgang mit Fehlern. Wer eine didaktische Innovation unter realen Hochschulbedingungen erprobt, sollte damit rechnen, dass sich Pläne und Konzepte nicht eins-zu-eins umsetzen lassen, dass unvorhergesehene Probleme auftauchen, dass scheinbar triviale Dinge nicht funktionieren; kurz: Es kommt - aus der Außenperspektive betrachtet - bei der Pilotierung mit Sicherheit zu Fehlern, die natürlich auch den Studierenden auffallen. In unserem Blended Learning-Projekt hat es sich bewährt, mehrfach auf den Pilotcharakter der semivirtuellen Vorlesung hinzuweisen und deutlich zu machen, dass gerade die Pilotierung die Chance bietet aus (unvermeidlichen) Fehlern zu lernen. Derartige Hinweise müssen allerdings auch authentisch in dem Sinne sein, dass Probleme und darauf bezogene Kritik ernst genommen und nicht nur verbal, sondern tatkräftig aufgegriffen werden. Ein Beispiel kann dies am besten verdeutlichen: So gab es bei der Pilotdurchführung der semivirtuellen Vorlesung nach einer kurzen Eingewöhnungsphase unerwartet hohe Leistungen bei den Aufgabenbearbeitungen in einzelnen Gruppen, sodass das Bewertungssystem zu undifferenziert wurde: Die Maximalpunktzahl von 4 konnte man gerechterweise nicht den "Spitzengruppen" ebenso geben wie anderen, vergleichsweise "schlechteren" Gruppen. Wir haben daraufhin im laufenden Semester den Notenschlüssel geändert, um einerseits die Ansprüche durch die hohen (vorab nicht vorherzusehenden) Leistungen einzelner Gruppen nicht zum allgemeinen Maßstab zu machen (was einen großen Teil der Studierenden verärgert hätte), andererseits aber zwischen herausragenden und guten Leistungen durch Punktvergabe noch differenzieren zu können (was für die Motivation der besonders engagierten Studierenden wichtig war). Dieses Vorgehen wurde mündlich und elektronisch ausführlich begründet, was auf diesem Wege von den Studierenden akzeptiert wurde. Bedarfsorientierte Anpassungen. Das gerade genannte Beispiel zeigt im Übrigen auch die Bedeutung bedarfsorientierter Änderungen während der Pilotdurchführung - sozusagen als Konsequenz eines "Lernens aus Fehlern". Neben Problemen und Kritik seitens der Studierenden gibt es weitere Gründe, die einen dazu veranlassen können, Änderungen bei der Pilotierung vorzunehmen: So können z.B. Anregungen aus dem Projektteam oder seitens der Studierenden, denen keine akuten Schwierigkeiten zugrunde liegen, aufgegriffen werden, wenn dies zum gegebenen Zeitpunkt sinnvoll erscheint. Typische "Veränderungskandidaten" sind etwa Instruktionen für Aufgabenbearbeitungen, bei denen man manchmal erst im Einsatz feststellt, dass sie missverständlich oder irreführend formuliert sind. Auch wird in der Pilotierung bisweilen deutlich, wo man zusätzliche Hilfefunktionen braucht, die man im Notfall ad hoc entwickeln und den Studierenden zur Verfügung stellen sollte. Je größer der Innovations- und damit der Neuheitscharakter des Projekts ist, desto überlegter und sparsamer sollte man allerdings mit dieser grundsätzlichen Bereitschaft (und Notwendigkeit) zur flexiblen Anpassung umgehen, denn es besteht durchaus die Gefahr, vor lauter Anpassung die Linie des Projekts aus dem Auge zu verlieren. Anpassungen sind nämlich nur dann "bedarfsorientiert", wenn ein tatsächlicher Bedarf vorliegt: Hinweise und Kritik von einzelnen Studierenden, ohne dass man davon ausgehen kann, dass diese die große Mehrheit vertreten, sollten zwar registriert und dokumentiert, aber nicht sofort aktionistisch beantwortet werden. Organisatorische und technische Schwierigkeiten sollten ihre Ursachen im Konzept haben, wenn man diese als Impuls 112 für Änderungen und Anpassungen heranzieht. Mit anderen Worten: Es ist darauf zu achten, dass man keine Fehlkorrekturen vornimmt, was wiederum voraussetzt, statt unmittelbarer Reaktionen lieber zweimal hinzusehen, wo die Schwierigkeiten genau begründet liegen. Tabelle 10 fasst zusammen, was man bei der Pilotierung und der Evaluation in der Pilotdurchführung beachten sollte. Tab. 10: Checkliste 7: Pilotierung Entwicklung eines Evaluationskonzepts 1.Schrilt: Ziele Rückgriff auf die Ziele (Projeklziele/Lehr-Lernziele) in der Planungsphase Ziele zu Evaluationskriterien rnachen 2.Schrilt: EvaluaFormatives und/oder summatives Modell wählen tionsdesign Quantitative und/oder qualitative Daten fokussieren Evaluationsgegenstand festlegen Erhebungszeitpunkte bestimmen Möglichen Aufwand einschälzen 3.Schrilt: EvaluaBestimmung der Evaluationsmethoden tionsmethoden Auswahl aus: Dokumentenanalyse, Befragung, Beobachtung, Tests und empirische Untersuchungen ··· ·· ·· ·· Koordination der Rahmenbedingungen Fragen als Check• Zeitliche Faktoren liste gestalten Personelle Faktoren Technische Faktoren etc. "Drehbuch" Wichtige Aktivitäten in einzelnen Phasen festlegen erstellen "Drehbuch" als externe Gedächtnisstülze verwenden ·· ·· ··· • · ··· Schaffuna von TransDarenz Was transparent Ziele und Hintergründe des Projekts zu machen ist Evaluationskonzept und Rolle der Studierenden Wie man etwas transparent macht Proiekltearn und Ansprechpartner Mündlich in Präsenzveranstaltungen Elektronisch in Online- und Offline-Elementen Offensiver Umgang mit Fehlern und bedarfsorientierte Anpassungen Lernen aus Den Pilotcharakter in der ersten Durchführung verdeutlichen Fehlern Kritik und Probleme ernst nehmen und tatkräftig aufgreifen Anpassungen im Kritik und Probleme, aber auch Anregungen als Änderungsimpulse Prozess aufnehmen • Änderungen im Prozess reflektiert und sparsam vornehmen "Echten" Bedarf vor größeren Änderungen abklären Fehlerkorrekturen vermeiden ·· 19.2 Echtbetrieb Der Weg von der Pilotierung zur Implemenfation in den regulären Lehrbetrieb. Wie in Kapitel I mehrfach betont wurde, zeichnen sich didaktische Innovationen vor allem dadurch aus, dass es nicht bei Pilotprojekten bleibt, sondern eine Implementation in den regulären Lehrbetrieb erfolgt, um auf diese Weise nachhaltige Entwicklungen in Gang zu setzen (vgl. Abschnitt 2). Das bedeutet gleichzeitig, dass man im Verlauf des gesamten Projektmanagements den erforderlichen zeitlichen, finanziellen, personellen und technischen Aufwand des Blended Learning-Vorhabens im Auge haben und diesen so bemessen sollte, dass eine Überführung in den Echtbetrieb ohne größere Schwierigkeiten möglich ist. Wie in den ersten beiden Kapiteln dieses Buches gezeigt wurde, bringen gerade Blended Learning-Konzepte eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit mit sich, in diesem Sinne langfristig in der Hochschullehre Fuß zu fas- 113 sen. Da bereits die Pilotierung des Blended Learning-Konzepts im Feld - also unter realen Hochschulbedingungen - empfohlen wird, ist der Sprung in den regulären Alltag der Hochschullehre weniger groß als dies z.B. der Fall ist, wenn nach quasiexperimentellen Studien eine Anwendung im realen Kontext erfolgt. Dennoch sollten die Unterschiede zwischen Pilotierung und Echtbetrieb beachtet werden. Besonderheiten des Echtbetriebs im Unterschied zur Pilotierung. Die Überführung eines Blended Learning-Modells vom Piloten in den regulären Lehrbetrieb erfordert die Beachtung einiger psychologischer Momente, die durch die Fixierung etwa auf Rahmenbedingungen und andere "hard facts" gerne unterschätzt werden. Eine langfristige Implementierung bedeutet z.B., dass man bei den Studierenden nicht mehr (oder zumindest weniger) mit dem "Neuigkeitseffekt,,98 rechnen kann, der sich mitunter positiv auf Akzeptanz und Motivation beim Lernen auswirkt. Auch kann das Engagement der am Projekt beteiligten Personen (Projektteam) nachlassen, wenn die erste Euphorie nach der Pilotierung allmählich zurückgeht. Zudem muss beim Blended Learning im regulären Lehrbetrieb in noch ausgeprägterem Maße als in der Pilotdurchführung gewährleistet sein, dass sich die gesamte Veranstaltung nicht nur inhaltlich und methodisch, sondern auch in Bezug auf die vorherrschende Lernkultur in das Curriculum und in den Alltag des Lehrens und Lernens möglichst nahtlos einfügt. Im Echtbetrieb weht der Wind also gewissermaßen schärfer - auf die bei der Pilotierung von verschiedenen Seiten entgegengebrachte Nachsicht darf man keinesfalls mehr setzen. Qualitätssicherung und -entwicklung auch im Echtbetrieb. Eine Evaluation der Lehre ist zur Zeit keine Seltenheit mehr an deutschen Hochschulen: Allerorten wird eine stärkere "Kontrolle" der Lehrqualität gefordert, die man allerdings eher unprofessionell mit kurzen und standardisierten Fragebögen für Studierende erfassen will (vgl. auch Abschnitt 4.2). Tiefer gehende didaktische Merkmale und Wirkungen werden mit den derzeitigen Evaluationsverfahren in der Hochschullehre kaum erfasst. Zudem mangelt es in aller Regel an Konsequenzen, die man aus den Evaluationsergebnissen (als Lehrender) ziehen sollte. Diese kritischen Punkte sprechen allerdings nicht gegen eine Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität von Lehrveranstaltungen. Vielmehr soll an dieser Stelle dafür plädiert werden, dass sich Lehrende selbst darin engagieren, mit einfachen, aber wirksamen Mitteln a) die Akzeptanz, Lernprozesse und Lernergebnisse einschließlich den Transfers des Gelernten99 zu eruieren, b) sich Anregungen bei den Studierenden zur Verbesserung von Veranstaltungen zu holen und c) auf dieser Basis selbstverantwortlich didaktische Konzeptionen und deren Umsetzung zu optimieren (vgl. Reinmann-Rothmeier, Mandl & Prenzel, 1997). Vom Prinzip her macht man diese Form der Selbstevaluation am besten so wie bei der Pilotdurchführung (vgl. Abschnitt 19.1); allerdings sollte man natürlich den Umfang und die Intensität der Evaluation auf ein Niveau einpendeln, das sich in den Hochschulalltag integrieren lässt. Tut man letzteres nicht, ist die Gefahr groß, dass auf- 98 Etliche Studien belegen z.B., dass bessere Lernergebnisse beim Einsatz neuer Medien in verschiedenen Bildungssituationen darauf zurückzuführen sind, dass das medienbasierte Lernen etwas Neues darstellt, das neugierig macht, die Motivation steigert und damit Lernprozesse ankurbelt (z.B. Weidenmann, 2001). 99 Eine Überprüfung des "near transfer" ist z.B. über problemorientierte Aufgaben möglich, die eine Anwendung des Gelernten erfordern; den Jar transfer" - also den Transfer in den praktischen Alltag kann man allenfalls in Nachbefragungen erfassen. 114 grund zu hoher Belastung ganz auf eine eigenständige Evaluation verzichtet wird. So ist es z.B. keinesfalls notwendig, immer schriftliche Befragungen zu machen: Auch Feedbackrunden während und am Ende des Semesters, bei denen man Kernbotschaften der Beiträge mitprotokolliert oder mitprotokollieren lässt, tun gute Dienste, wenn es darum geht, Verbesserungsvorschläge zu sammeln. Auch Online-Foren, in denen Studierende das ganze Semester über Lob und Kritik loswerden können, haben sich in diesem Zusammenhang bewährt. Vorsicht aber sollten alle "Perfektionisten" unter den Lehrenden walten lassen: Eigenen Erfahrungen zufolge kann man es auch bei noch so großem Engagement und selbst bei größter Offenheit für Kritik kaum schaffen, es allen Lernenden recht zu machen: Auch in unserer semivirtuellen Vorlesung gab es zwei, drei kritische Stimmen, die das Projektteam verunsichert und sehr nachdenklich gemacht haben. Nachdenklichkeit in solchen Situationen kann nicht schaden, doch sollte man auch sich selbst nicht schaden und immer die Relationen im Auge behalten - so standen im genannten Fall drei verärgerte Kritiker 130 zufriedenen bis sehr zufriedenen Studierenden gegenüber! Tabelle 11 gibt einen zusammenfassenden Überblick bei der Umsetzung und Evaluation im Echtbetrieb. über beachtenswerte Punkte Tab. 11: Checkliste 8: Echtbetrieb Der Weg von der Pilotierung Aufwand im Blick behalten Sprung von der Pilotierung in den Alltag beachten Besonderheiten Neuigkeitseffekt Euphorie am Anfang Passung in den Hochschulalltag Qualitätssicherung Wer evaluieren sollte Was evaluiert werden sollte Wie man eva luieren kann ··· · · · · ·· ·· •· ·· zum Echtbetrieb Zeitlichen, finanziellen, personellen und technischen Aufwand beachten. Aufwand nach realen Bedinounoen bemessen. Sprung klein halten durch Pilotierung im Feld. Auch bei Pilotierung im Feld: Unterschiede zwischen Piloten und Echtbetrieb berücksichtiQen (.schärferer Wind"). im Echtbetrieb im Unterschied zur Pilotierung Hohe Akzeptanz und Motivation der Studierenden im Piloten ist im Echtbetrieb nicht automatisch oesichert. Hohes Engagement und Begeisterung des Projektteams im Piloten setzt sich nicht zwanQsläufiQ im Echtbetrieb fort. Inhaltliche, methodische und kulturelle Passung des Blended Learning in den Hochschulalltag erforderlich. und -entwickluna Neben Fremdevaluation auch Selbstevaluation in Eigenverantwortung. Wunsch nach Verbesseruno nicht bis ins Letzte perfektionieren. Akzeptanz seitens der Studierenden Lernprozesse und -ergebnisse Transfer (bei Bedarf) Schriftliche Befragungen Mündliche Feedbackrunden Online-Foren für Lob und Kritik 115 20. Fazit In diesem letzten Kapitel haben wir das Ziel verfolgt, für die Planung, Konzeption und Gestaltung sowie für die Durchführung (einschließlich Qualitätsmanagement) eines Blended Learning-Projekts in der Hochschullehre Leitlinien mit heuristischem Charakter zu formulieren, die dem Lehrenden in der (Hochschul- und Weiterbildungs-) Praxis eine erste Unterstützung bieten. Ein Blended Learning-Vorhaben im Sinne einer didaktischen Innovation als Projekt zu interpretieren und dabei auf einfache, aber bewährte Maßnahmen des Projektmanagements zurückzugreifen, ist vor allem deshalb sinnvoll, weil man damit an eine Systematik gebunden wird, die im konkreten Tun eine erhebliche Hilfe darstellt. Wir haben dafür plädiert, einen Projektplan zu erarbeiten, in dem die wichtigsten Ergebnisse der Analyse von Zielen, Kontext, Ressourcen, Teamarbeit und Kooperation ihren Niederschlag finden. Denn eine gute Planung trägt dazu bei, innerhalb des Projekts auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und auf diesem Wege die angestrebte Implementation des Blended Learning in den Alltag der Hochschullehre (oder Weiterbildung) zu bewerkstelligen. Ausführlich dargelegt wurden Leitlinien für die Konzeption und Gestaltung von Blended Learning - hier wurden die in Kapitel 11und 111beschriebenen Formen des Lernens mit neuen Medien, zugrundeliegende Lehr-Lernauffassungen und konkrete Ausprägungen des e-Learning noch einmal praktisch aufbereitet und zu richtungsweisenden Empfehlungen zusammengestellt. Nicht nur in Bezug auf die Länge der Ausführungen in diesem Kapitel, sondern auch in Bezug auf den zeitlichen und personellen Aufwand, muss man der Konzeption und Gestaltung insgesamt betrachtet tatsächlich mehr Gewicht geben als der abschließenden Durchführung und der dabei notwendigen Qualitätssicherung und -entwicklung. Entsprechend kürzer, aber nicht minder wichtig sind unsere Leitlinien für Durchführung und Qualitätsmanagement bei der Pilotierung des Blended Learning und bei der Umsetzung im Echtbetrieb. Mit letzterem verlassen wir die Projektebene und streben das an, was wir bereits zu Beginn dieses Buches mehrfach hervorgehoben haben: die langfristige Implementation didaktischer Innovationen in den regulären Lehrbetrieb von Hochschule oder Weiterbildung. An der Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es auch für das Blended Learning nicht seriös wäre, Wenn-Dann-Regeln aufzustellen und dem Praktiker in der Lehre zu suggerieren, es gäbe so etwas wie eine sichere Technologie, die einem automatisch Erfolg durch den Einsatz der neuen Medien beschert. Mit der sehr ausführlichen Beschreibung unseres eigenen Projekts zur semivirtuellen Vorlesung (in Kapitel 111)hoffen wir deutlich gemacht zu haben, dass es neben der Beachtung einiger "Grundregeln" vor allem darauf ankommt, didaktische Innovationen mit hohem Engagement und Kreativität, aber auch mit Systematik und der notwendigen Portion Reflexion "boUom up" nach vorne zu treiben. Die Checklisten in diesem Kapitel wollen vor diesem Hintergrund - zusammen mit den dazugehörigen Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln - dazu beitragen, dass Lehrende die Möglichkeiten und Vorzüge verschiedener Formen von e-Learning in und mit der traditionellen Präsenzlehre selbst erproben und weiterentwickeln. 116 Literatur Anderson, J.R., Greeno, J.G., Reder, L.M. & Simon, HA (2000). Perspectives learning, thinking, and activity. Educational Researcher, 29,11-13. Antoni, C. H. (2000). Teamarbeit heim: Beltz. gestalten. Grundlagen, Analysen, on Lösungen. Wein- Back, A., Bendei, O. & Stoller-Schai, D. (2001). E-Learning im Unternehmen. lagen - Strategien - Methoden - Technologien. Zürich: Orell Füssli. Grund- Back, A., Seufert, S. & Kramhöller, S. (1998). Technology enabled Management Education: Die Lernumgebung MBE Genius im Bereich Executive Study an der Universität St. Gallen. io management, 3, 36-42. Baitsch, C. (1997). 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Die Autorin illustriert anhand eines Beispiels aus der Hochschule, dass und wie das funktioniert. Es wird deutlich: Blended Learning kann - mit Online-, Offline- und PräsenzElementen - didaktische Innovationen auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen anstoßen. Eine Reihe von Leitlinien mit Checklisten sollen dabei helfen, eigene Blended-Learning-Vorhaben in Hochschule und Weiterbildung von Anfang an so zu planen und durchzuführen, dass Veränderungen «bottom uP» möglich und wahrscheinlich werden. Das Buch will also zum konkreten Handeln motivieren und befähigen. Interessenten: Hochschullehrer linnen, Wissenschaftler I innen im Bereich des Lernens mit neuen Medien, Personalentwicklerlinnen und Weiterbildnerlinnen. ISBN 3-456-83952-9 ~ Verlag Hans Huber Bern Göttingen Toronto Seattle I 1111839523 9 783456