Eins und Alles - Goethe-Gesellschaft in Köln eV

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Eins und Alles - Goethe-Gesellschaft in Köln eV
Goethe-Gesellschaft in Köln e.V.
Eins und Alles – Gedichte von J.W.v.Goethe – präsentiert von Cora Chilcott
Bericht zur Veranstaltung am 11.9.2015
Eins und Alles
Im Grenzenlosen sich zu finden,
Wird gern der Einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruß;
Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen
Sich aufzugeben ist Genuß.
Weltseele, komm' uns zu durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
Teilnehmend führen gute Geister,
Gelinde leitend, höchste Meister,
Zu dem, der alles schafft und schuf.
Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich's nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges lebend'ges Tun.
Und was nicht war, nun will es werden
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,
In keinem Falle darf es ruhn.
Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht's Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will.
Cora Chilcott
lebt und arbeitet als Schauspielerin in Berlin. Nach dem Studium an der
Hochschule für Film und Fernsehen ‚Konrad Wolf‘ in Potsdam-Babelsberg mit
dem Schwer punkt Schauspiel und einer Gesangsausbildung, arbeitete sie bis
2014 am Berliner Ensemble. Es folgten Schauspiel-Soli u.a. an der Berliner
Volksbühne, den Schiller-Stätten in Marbach, Leipzig, Mannheim und
Rudolstadt, bei Goethe-Gesellschaften und Goethe-Instituten, wo sie sich der
Präsentation eines umfangreichen Repertoires insbesondere auch klassischer
Texte widmet. Ihr Hörbuch ‚Erlkönigs Töchter‘ ist vom Hessischen Rundfunk im
Rahmen der Hörfunk-Bestenliste ausgezeichnet worden.
Zur Veranstaltung
Auf Winston Churchills Zettel, den er stets mit sich führte, stand zu lesen: „Never give up !“ Eine hilfreiche
Methode, denkt man an Goethes etwa 3000 Gedichte, Teil eines Gesamtwerks, das der Weimarer recht
bescheiden als ‚Bruchstücke einer großen Konfession‘ bezeichnete. Der Gedanke drängt sich auf: welche
‚Bruchstücke‘ bleiben angesichts Goethe’scher Dimensionen von der eigenen geistigen Hinterlassenschaft ?
Wer mit Goethe lebt, dem verbieten sich diese Fragen. Hier hilft gegen Einschüchterung durch Größe nur
die Liebe zur einzelnen Erscheinung. „Eins und Alles“ hieß der gleichnamige Titel zum Abend mit GoetheGedichten, präsentiert von der Berliner Schauspielerin Cora Chilcott.
Mit dem Dahinschwinden eines ‚Kanons‘ stellt sich immer weniger die Frage nach der ‚richtigen‘
Auswahl von Gedichten für einen solchen Abend. Wir dürfen oder müssen heute Plausibilität an Wirkung
messen. Präsentiert wurden 33 Gedichte, recht chronologisch angeordnet im Rahmen einer Abfolge von
sechs eingeblendeten Bildnissen Goethes, wodurch dem geistigen Schaffen ein Gesicht zur Seite steht, eine
Lebensphase kann auch so anschaulich vermittelt werden, zumal, wenn es sich bei unserer Auswahl um
eher weniger ‚gängige‘ Goethe-Bilder handelte. Der gewählte Zyklus griff von 1776 ( Rastlose Liebe ) bis
1827 ( Wenn im Unendlichen dasselbe ), der Anfang ist also dem poetischen Einfangen einer Intensität des
Augenblicks gewidmet, die sich aber bei Goethe nie zum „Ausfließen der poetischen Wuth“ (Herder)
steigert, vielmehr ein subtiles Insistieren auf der Form zeigt, verstanden als „Glas, wodurch wir die heiligen
Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der Menschen zum Feuerblick sammeln.“ ( Goethe )
Unter der sich anschließenden Abfolge von Gedichten Goethes sind viele bekannte , die zu
Freunden, zu inneren Weggefährten einer Generation geworden sind, die als letzte den Vorzug genießen
darf, damit aufgewachsen zu sein. Es trägt zum Gelingen des Abends bei, dass er den verfremdenden
Abstand zum lieb und teuer Gewordenen halbwegs herzustellen vermag. Prometheus, von einer obendrein
am Brecht’schen Desillusionierungsgestus geschulten Berlinerin gesprochen, schafft andere Einsichten als
meine ‚Nun-wacht doch endlich auf-Deutschlehrer-Sprache‘. Die eingeblendete Gips-Büste mit dem jungen
schönen Goethe-Kopf wirkt kongenial göttergleich – aber geerdet dank zeitgenössischem Haarschnitt.
Spätestens jetzt nach dem ersten Drittel der Programmfolge wird klar, wir sind mit Goethe auf dem
Wege zu einem ganzen Lebensprogramm ! Was sich als lyrisch geläuterte Wiedergabe von Erlebnis,
Beobachtung, Natureindruck oder Selbstreflexion unserer Selbst- und Weltwahrnehmung durchaus
angenehm und entlastend anschließt, wird in der Entwicklung Goethes zunehmend transzendiert, löst sich
symbolisch auf und führt zu einer verinnerlichten Betrachtung der Welt, die nunmehr der Vielfalt der
Erscheinungen ein Ganzes entgegenstellt, dessen dichterisches (wie auch naturwissenschaftliches)
Konzentrat die Rede vom ‚Gesetz‘ ist. Schwere Kost, zumal für uns Heutige.
Eingeblendet erscheint die Kreidezeichnung von Ferdinand Jagemann, die Goethe als alten Mann im
grauen Rock zeigt – ohne Ritterkreuz der Ehrenlegion, ohne den St. Anna-Orden, ohne Grosskreuz des
Weimarischen Ordens der Wachsamkeit und so weiter und so weiter. Aber das Auge, das nach innen zu
schauen scheint und im Blick nach außen Abstand wahrt, blickt aufrecht, ‚gütig‘ und gelassen in die Welt.
Niemand wird es sich zumuten, an die 33 Gedichte hintereinander zu lesen. Aber wir hören gerne zu
an diesem Abend. Zum einen ist es die Sprechweise einer ausgebildeten Schauspieler-Stimme, bei der im
Falle der Rezitatorin ein eigenartig fordernder Gestus in der Sprechhaltung, variierend zwischen einem
Aufbegehren ohne Pathos und dem zurückgenommen, ausschließlich auf der rhythmischen Ebene
betonten Sprechen, das jede Wirkung der Verssprache selbst zu überlassen scheint, zur Geltung kommt.
Die Zeiten, wo ‚wirkendes Wort‘ den Poeten vom Himmel zu holen behauptete, sind nicht mehr die
unseren. Die Aufgabe, ‚Erhabenheit‘ durch sinnliche Inszenierung zu begleiten, bedeutet eine
Gratwanderung innerhalb des realen Raumes. Die Ergänzung der Wortpräsentation durch zehn gesungene
Schubert-Vertonungen von Goethe-Gedichten, die Vermeidung der Frontalpräsentation durch ein
raumgreifendes Ausschreiten, die Verbindung von Bild und Text, wodurch Einzelwerk, Lebensphase und
Lebensganzes auch anschaulich in Beziehung treten, schließlich das blau-gelbe Werther-Licht, das im Laufe
des Abends immer mehr eine Art ‚Warnlampe‘ darstellt, vermag den ‚Raum‘ an diesem Abend zu einem
sinnlich erfahrbaren ‚Subtext’ werden zu lassen.
Was bleibt nach diesem Abend mit Goethe-Gedichten ? Eine persönliche Antwort könnte lauten:
Diese Gedichte ragen wie ein Fremdkörper in eine Zeit hinein, die von Selbstzweifeln, veloziferischer
Beschleunigungsmanie und einem durch ökonomische Bestimmungsgrößen gerupften Menschenbild gegeprägt zu sein scheint. Sie beruhigen durch Schönheit der Sprache und Menschenfreundlichkeit. Sie
machen Mut zu fast jedem Gefühl und – so benannte es Adolf Muschg einmal – „Das Labyrinth der Brust
wird nicht aufgeklärt, aber wohnlicher in Goethes Gedicht.“
Besonders hilfreich: sie beunruhigen auch. So lange sind wir mit Goethe noch nicht fertig.
Text: Peter Krüger-Wensierski
Das Programm des Abends
Rastlose Liebe 1776 | Wandrers Nachtlied I 1776 - Vertonung: Franz Schubert
aus: Harzreise im Winter | An den Mond 1777 - Vertonung: Franz Schubert
Einschränkung 1776 | Prometheus (späte Fassung) 1774-79 | Beherzigung (aus
„Lila“) 1777 | Der Gott und die Bajadere 1797 | Gesang der Geister über den
Wassern 1779 | Meeres Stille 1795 - Vertonung: Franz Schubert | Glückliche Fahrt
1795 | Der Fischer 1779 | Wandrers Nachtlied II 1780 - Vertonung: Franz Schubert
Erlkönig (aus dem Singspiel "Die Fischerin") 1782 | Beherzigung um 1789
Der Schatzgräber 1797 | aus: Harfenspieler II (aus Wilhelm Meister) 1783
Vertonung: F. Schubert | Das Göttliche 1783 | Legende vom Hufeisen 1797
Natur und Kunst 1800 | Dauer im Wechsel 1803 | Gefunden- 1813 – Weise:
Volkslied | Eigentum 1813 | Proömion 1816 | Talismane (aus West-östlicher Divan)
1815 | Wanderlied 1821 ( letzte Strophe 1826) – Vertonung: CC | Epirrhema 18181820 | Wanderers Gemütsruhe (aus West-östlicher Divan) 1814-19 | Heut und Ewig
um 1817 | Eins und Alles 1821 | Worte sind der Seele Bild 1818 | Lied der Mignon II
(aus Wilhelm Meister) um 1785/95 - Vertonung: F. Schubert | Aussöhnung 1823 |
Wenn im Unendlichen dasselbe 1827 | Harfenspieler III (aus Wilhelm Meister) 1795 Vertonung: Franz Schubert
BILDER DES ABENDS
Unsere nächste Veranstaltung
Bitte beachten Sie den Termin für unsere
FILMMATINEE
Sonntag, 8. November 2015 |11.00 – 14.00 Uhr
„Die geliebten Schwestern“
Regie: DOMINIK GRAF | D 2013
Schillers geheimnisvolle Leidenschaft ?!