BIM Zvornik Studie Ethnische Säuberungen
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BIM Zvornik Studie Ethnische Säuberungen
TRETTER/ MÜLLER/ SCHWANKE/ ANGELI/ RICHTER „Ethnische Säuberungen“ in der nordostbosnischen Stadt Zvornik von April bis Juni 1992 Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte BIM Der vorliegende Bericht wurde von folgenden Mitgliedern des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte erstellt: Hannes Tretter, Direktor, Rechtswissenschafter Stephan Müller, Projektleiter, Politikwissenschaftler Roswitha Schwanke, Organisation und Administration Paul Angeli, wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Richter, wissenschaftlicher Mitarbeiter Homepage – Version 2 „Ethnische Säuberungen“ in der nordostbosnischen Stadt Zvornik von April bis Juni 1992 Medieninhaber: Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte © BIM 1994, 1998 Heßgasse 1 A-1010 Wien Tel. +43-1-4277-27420 Fax +43-1-4277-27429 e-mail: [email protected] Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Medieninhabers reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 1. Einleitung 2. Soziodemographische Angaben 3. Strategische Lage Zvorniks 4. MilitärischeSituation 4.1. Jugoslawische Volksarmee 4.2. Paramilitärische Einheiten 5. Chronologie 5.1. Die Zeit vor dem Angriff 5.2. Der Angriff auf Zvornik 5.3. Der Angriff auf Kulagrad und Divic 6. Die zivile Entwicklung in Zvornik nach dem Angriff 6.1. Nach dem Angriff auf Zvornik 6.2. Nach dem Fall Kulagrads 7. Vertreibung und Deportation 8. Analyse der Ereignisse 8.1. Planung und Durchführung der militärischen Operationen 8.2. Vorbereitung des Angriffs auf Zvornik und nachfolgende Kontrolle der Stadt auf ziviler Ebene 8.3. Systematik der Vertreibung und Deportation 9. Die Strafbarkeit "ethnischer Säuberungen" nach internationalem humanitärem Recht 9.1. Einleitende Bemerkungen 9.2. Zum Begriff "ethnische Säuberung" 9.3. Erfüllen "ethnische Säuberungen" den Tatbestand des Völkermordes ? 9.4. Sind "ethnische Säuberungen" "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ? 10. Zusammenfassung Ortsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Annexe: Annex I, Lager Annex II, Massengräber Annex III, Dokumente VORWORT Dieser Bericht wurde im Rahmen des Projekts "Menschenrechtsverletzungen in Bosnien-Herzegowina sowie Perspektiven einer Repatriierung bzw. einer Integration bosnischer Flüchtlinge" des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien auf Anregung der UN-Expertenkommission erstellt, die aufgrund der Resolution des UN-Sicherheitsrats 780 (1992) "zur Erhebung von Beweisen über schwere Verletzungen der Genfer Rotkreuz-Konventionen und anderer Verletzungen des internationalen humanitären Rechts im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens" eingesetzt wurde. Der in englischer Sprache abgefaßte Bericht ("Report on ethnic cleansing operations in the northeast-Bosnian city of Zvornik from April trough June 1992") wurde am 6. April 1994 der UN-Expertenkommission übermittelt, die diesen in ihrem am 27. Mai 1994 vorgelegten Abschlußbericht (UN Doc. S/1994/674) als modellhafte Studie über "ethnische Säuberungen" zitiert und als Annex veröffentlicht hat. Der vorliegende deutschsprachige Bericht ist eine überarbeitete und um eine völker- und menschenrechtliche Analyse ergänzte Form der englischsprachigen Vorlage. Wir möchten allen InterviewerInnen, ÜbersetzerInnen und GesprächspartnerInnen für ihr Engagement und ihre wertvollen Beiträge danken, ohne die wir diesen Bericht nicht in der vorliegenden Form hätten erarbeiten können. Zu großem Dank sind wir Herrn Professor Cherif M. Bassiouni, dem Vorsitzenden der erwähnten UN-Expertenkommission, verpflichtet, der uns zur Ausarbeitung dieses Berichts ermutigt und uns wichtige Hinweise für die Arbeit gegeben hat. Unseren tiefsten Dank möchten wir aber all jenen vertriebenen bosnischen Menschen gegenüber ausdrücken, die uns in Interviews erzählt haben, was sie erlitten und beobachtet haben. Ihnen möchten wir versichern, daß wir ihre Informationen dazu verwenden werden, dem Recht zu dienen. Schließlich möchten wir dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich, Herrn Dr. Alois Mock, und dem Leiter des Völkerrechtsbüros dieses Bundesministeriums, Herrn Botschafter Dr. Franz Cede, für ihre Unterstützung dieses Projekts und für dessen Finanzierung durch das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten danken. Wien, am 30. Oktober 1994 Die Autoren Anmerkung: Aus drucktechnischen Gründen mußte auf die Sonderzeichen bei Eigennamen und Ortsangaben leider verzichtet werden. Wir bitten um Verständnis. 1. EINLEITUNG Ziel des vorliegenden Berichtes ist es, Genese und Entwicklung des Prozesses der endgültigen Vertreibung ("ethnische Säuberung") der nicht-serbischen Bewohner der Stadt Zvornik nachzuvollziehen. Neben einer exakten chronologischen Aufarbeitung der Geschehnisse stand im Vordergrund der Untersuchung die Identifizierung der Verantwortlichen für die militärischen Operationen, Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen. Darüberhinaus versucht die Studie, eine eventuell vorhandene Struktur oder gar Systematik der Operationen vom Zeitpunkt des Angriffs bis zur Vertreibung der moslemischen Bürger herauszuarbeiten. Die vorliegende Untersuchung konnte auf Informationen zurückgreifen, die das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) durch eine im Rahmen des Forschungsprojektes "Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien-Herzegowina sowie Perspektiven einer Repatriierung bzw. Integration bosnischer Flüchtlinge" (im folgenden: "BIM-Studie") durchgeführten Befragung von 887 Vertriebenen1 aus der Region Zvornik gewinnen konnte. Eigens für die vorliegende Untersuchung fanden intensive, vorbereitende Gespräche und 31 Tiefeninterviews mit Vertriebenen aus Zvornik statt. Die interviewten Personen verfügen über eine sehr gute Kenntnis der betreffenden Ereignisse und bekleideten teilweise Schlüsselpositionen im gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt. Ihre Namen und Adressen sind dem BIM bekannt. Für die Tiefeninterviews wurde vom Institut ein komplexer Fragebogen, sowohl mit offenen als auch geschlossenen Fragen sowie eine "Checkliste", die nur dem Interviewer vorlag, entwickelt. Die Checkliste sollte dazu dienen, relevante, bereits bekannte Ereignisse zu hinterfragen bzw. noch offene Fragestellungen zu beantworten. In einem Teil des Fragebogens sollten die Befragten die am militärischen Angriff und an der Vertreibung beteiligten Gruppen und Personen - insbesondere Einheiten und Kommandanten der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee (JNA) und paramilitärischer Verbände - identifizieren. Zusätzlich sollten sie die Positionierung der einzelnen Einheiten während der militärischen Operationen lokalisieren und Aufklärung über mögliche Kooperationen zwischen den einzelnen Gruppen geben. Mit einem weiteren Teil des Fragebogens sollte die chronologische Entwicklung der Geschehnisse erfaßt werden. Dafür wurde eine Einteilung in folgende Phasen vorgenommen: 1 506 der Befragten stammen aus der Stadt Zvornik, 97,4% waren Moslems. Phase I: Die Zeit vor dem Angriff. Phase II: Der Angriff vom 8. April bis 10. April 1992. Phase III: Die Zeit bis zum Fall Kulagrads am 26. April 1992. Phase IV: Vom Fall Kulagrads bis zum 15. Mai 1992. Phase V: Die Zeit nach dem 15. Mai 1992. Die interviewten Vertriebenen sollten frei berichten, wie sie die einzelnen Phasen erlebt haben, dabei aber besonders das Verhalten der in der Stadt sich aufhaltenden Einheiten der JNA, der paramilitärischen Einheiten (sogenannte "Territorialverteidigung" und Freischärler-Verbände), der Angehörigen der Miliz und der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) berücksichtigen. Die Interviewer leiteten jede Phase mit der Fragestellung "Bitte beschreiben Sie so ausführlich wie möglich, wie Sie die jeweilige Phase erlebt haben" ein. Zusätzlich lag zu jeder einzelnen Phase die oben erwähnte Checkliste vor, um gegebenenfalls bestimmte Ereignisse oder Fragestellungen klären zu können, die aufgrund der offenen Fragetechnik von Vertriebenen nicht oder nur teilweise angesprochen worden sind. Zudem waren für wichtige Ereignisse während des Angriffs und der Okkupation (Ultimaten, Aufruf zur Rückkehr nach der ersten Fluchtwelle, Zwangsregistrierung, Zwangsüberschreibung des Eigentums, Deportation, Lagerhaft, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen) strukturierte Fragen vorbereitet. Den Vertriebenen wurden während des Interviews zwei Stadtpläne vorgelegt. Einer der Stadt Zvornik selbst und einer vom etwas außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes gelegenen Industrieviertel Karakaj. Diese dienten dazu, die Stationierung der am Angriff beteiligten Gruppen, die Ausgangspunkte und Ziele, den Verlauf der militärischen Operationen sowie die "Konzentrationslager" - vor allem in Karakaj - exakt lokalisieren zu können. Durchgeführt wurden die Interviews von erfahrenen, eigens auf die spezifischen Erfordernisse eingeschulten, zweisprachigen InterviewerInnen in den österreichischen Bundesländern Wien, Niederösterreich und Steiermark, sowie in einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Gabcikovo/Slowakei und in einer Flüchtlingsunterkunft in Dortmund/Deutschland in der Zeit vom 10. bis 28. März 1994. Die Interviewer selbst übersetzten die in bosnischer oder kroatischer Sprache gemachten Aufzeichnungen ins Deutsche. 2. SOZIODEMOGRAPHISCHE ANGABEN Nach Angaben der Volkszählung von 1991 hatte der Bezirk Zvornik 81.111 Einwohner, davon 48.208 Bosniaken (Moslems 59,4%) und 30.839 Einwohner serbischer Nationalität (38%). Im Gebiet der Stadt Zvornik lebten 14.660 Personen, davon waren 8.942 Bosniaken (61,0%), 4.281 serbischer (29,2%) und 74 kroatischer Nationalität (0,5%). 923 Personen bezeichneten sich als „Jugoslawen“ (6,3%) und 440 als "Andere" (größtenteils Roma, 3,0%).2 Folgende weitere Gemeinden im Bezirk Zvornik erscheinen relevant: Die nördlich der Stadt Zvornik gelegene Gemeinde Jardan mit den Ortschaften Jardan und Lipovac hatte 2.503 Einwohner mit 53,1% serbischem Bevölkerungsanteil und 46% Bosniaken. Diese Ortschaften lagen an der Grenze zum Industriegebiet Karakaj, in dem schon vor dem Angriff JNA-Einheiten stationiert waren und in das später die "Hauptquartiere" sowohl der "serbischen Miliz" als auch der JNA-Einheiten verlegt wurden, und in dem mehrere Lager errichtet wurden. Nördlich von Jardan liegt die Gemeinde Celopek mit 1.894 Einwohnern, davon waren 93,1% serbischer und 6,3% bosniakischer Nationalität. In Celopek waren schon geraume Zeit vor dem Angriff Einheiten der ehemaligen JNA stationiert. Im Jahre 1981 waren 27.695 Personen (38,5%) erwerbstätig, davon 9.487 Personen in der Land- und Forstwirtschaft, 18.208 im Nicht-Agrarbereich. 2.202 Personen bezogen ihr Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.3 Der größte und wichtigste Arbeitgeber vor Ort war die Firma "Birac" im Industriegebiet Karakaj. Sie stellte Vorprodukte für die Aluminiumerzeugung her. 2 Zu allen soziodemographischen Angaben siehe das Statisticki Godisnjak SR Bosne I Hercegovine 1991, 25 Godina (Statistisches Jahrbuch 1991). 3 Die Ergebnisse der Volkszählung 1991 wurden im Gegensatz zu denen aus dem Jahr 1981 nicht mehr aufgeschlüsselt. 3. STRATEGISCHE LAGE ZVORNIKS Als Grenzort, der im Nordosten Bosniens direkt am bosnisch-serbischen Grenzfluß Drina gelegen ist, hat Zvornik eine strategisch wichtige Position. Bedeutung erlangt Zvornik vor allem dadurch, daß in der Stadt selbst und im nördlich von Zvornik gelegenen Industriegebiet Karakaj jeweils eine Straßenbrücke und zwischen Karakaj und der Ortschaft Celopek eine Eisenbahnbrücke Bosnien-Herzegowina mit Serbien verbinden. Zvornik ist somit ein wichtiges Verbindungsglied in der Linie Belgrad - Sarajewo, aber auch in der Verbindung Belgrad - Tuzla. Die Kontrolle über Zvornik bedeutet für die serbische Seite, daß eventuelle Truppen- oder Nachschubbewegungen von serbischem Gebiet in Richtung Tuzla oder Sarajewo ungehindert erfolgen können. Die frühzeitige Stationierung von Einheiten der ehemaligen JNA in der Region deutet daraufhin, daß eine Kontrolle der beiden Korridore Belgrad - Tuzla und Belgrad - Sarajewo über Zvornik gewährleistet werden sollte. Für die bosniakische Seite hatte Zvornik strategische Bedeutung nur in einem defensiven Sinn, um die obengenannten Verbindungslinien zu unterbrechen. Für militärische Auseinandersetzungen innerhalb Bosnien-Herzegowinas besaß Zvornik aufgrund seiner geographischen Lage allerdings keine Relevanz. Von lokaler strategischer Bedeutung war der Hügel "Kula" mit der gleichnamigen Festung und der vornehmlich moslemischen Ortschaft "Kulagrad". Von diesem Hügel aus konnten große Teile der Stadt Zvornik (sowie das südlich von Zvornik gelegene Wasserkraftwerk Divic) kontrolliert werden. 4. MILITÄRISCHE SITUATION 4.1. Jugoslawische Volksarmee (JNA) Im Bezirk Zvornik gab es offiziell keine Garnison der ehemaligen JNA. Die Region Zvornik unterstand dem 17. Korps Tuzla. Bis zum Herbst 1991 setzte sich das 17. Korps aus drei Brigaden und einer Partisanenbrigade zusammen und gehörte zum 1. Militärbezirk Belgrad. Nach der Neuorganisation der JNA im Frühjahr 1992 wurde es formell in den 2. Militärbezirk Sarajewo eingegliedert, wurde aber allem Anschein nach weiterhin vom 1. Militärbezirk Belgrad weitergeführt. Zum Jahreswechsel 1991/92 wurden in der Nähe von Zvornik (also auf der bosnischen Seite der Drina) die ersten Panzer-Einheiten (anscheinend aus der aufgelassenen Garnison Jastrebarsko in Kroatien) stationiert, im Februar/März 1992 (zum Referendum über die Unabhängigkeit) kam es zu einer weiteren Stationierung von Truppen der ehemaligen JNA, und zwar von Panzer-, Artillerie- und Flugabwehreinheiten. Die Panzer führten anfangs noch die JNA-Abzeichen und erst später die serbische Fahne und Wappenabzeichen. Die Angehörigen der Einheiten hingegen - Offiziere wie Soldaten trugen von Beginn an auf ihrer Uniform serbische Abzeichen. Auch auf dem serbischen Drina-Ufer waren seit Jahresbeginn Panzer-Stellungen der JNA zu beobachten. Später kamen Artillerie-Stellungen und Luftabwehrwaffen hinzu. 4.1.1. Am Angriff beteiligte Einheiten Nach Angaben von Zeugen waren während des Angriffs Truppen der ehemaligen JNA aus folgenden Garnisonen beteiligt: • Tuzla (Bosnien-Herzegowina); ein Teil der in Zvornik eingesetzten Panzer gehörte zu den aus Jastrebarsko/Kroatien nach Tuzla verlegten Einheiten. • Bijeljina (Bosnien-Herzegowina); die Infanterie-Einheiten der ehemaligen JNA waren Reserve-Einheiten des Mobilisierungsstützpunktes Bijeljina, die Garnison Bijeljina gehörte zum 17. Korps Tuzla. Die Einheiten aus Tuzla befanden sich bereits vor dem Angriff in der Nähe Zvorniks, vor allem auf der bosnischen Seite der Drina. In der Ortschaft Celopek, im "Dom Kulture" (dem Kulturhaus), war eine kleine Kaserne mit ca. 100 Infanteristen stationiert. In der Schuhfabrik "Novi Standard" in Karakaj gab es ebenfalls eine Kaserne, die von mehr Soldaten belegt gewesen sein soll als diejenige in Celopek. Die in beiden Orten untergebrachten Soldaten stammten nach Angaben einiger Befragter aus Tuzla.4 Doch gibt es auch Anzeichen dafür, daß die Infanterie-Einheiten in "Novi Standard" einer neu gegründeten sogenannten "Territorialverteidigung" angehörten,5 die im "Dom Kulture" in Celopek untergebrachte Infanterie-Einheit war eine Reserve-Einheit aus Bijeljina. Eine weitere Unterkunft der Soldaten befand sich in einem Wohnblock in Meterize, einem Stadtteil von Zvornik. Sie wurden in Werkswohnungen der Fa. "Birac" untergebracht, die moslemischen Bewohner wurden vertrieben. Die Flugzeuge und Hubschrauber, die sich am Angriff beteiligten, dürften ebenfalls aus Tuzla gewesen sein. • Novi Sad (Serbien): Bis zur Neuorganisation der ehemaligen JNA unterstanden dem Hauptquartier des 12. Korps Novi Sad als "Sector Command North" sogenannte "operative Gruppen", die direkt vom Generalstab kontrolliert waren, mit mindestens drei Brigaden und zusätzlichen Kräften.6 • Sabac (Serbien) • Sremska Mitrovica (Serbien): Die Einheiten aus Sabac und Sremska Mitrovica unterstanden durchgehend dem 12. Korps Novi Sad. • Valjevo (Serbien): Die Einheit in Valjevo unterstand durchgehend dem 1. Korps Belgrad. Die Einheiten aus Sabac, Sremska Mitrovica und Valjevo wurden bis Herbst 1991 als einsatzbereite Einheiten geführt, die alle zum 1. Militärbezirk Belgrad gehörten. Diese Einheiten waren vor dem Angriff zum Teil auf der serbischen Seite der Drina, zum Teil auf der bosnischen Seite stationiert und beteiligten sich auch von serbischem Territorium aus am Angriff auf Zvornik. Eine Einheit aus Sabac soll im "Dom Kulture" in Mali Zvornik untergebracht gewesen sein. In Radalj nördlich von Mali Zvornik gab es angeblich eine "kleine Kaserne". • Nis (Serbien): Das in Nis stationierte 21. Korps unterstand bis zur Neuorganisation der ehemaligen JNA dem 3. Militärbezirk Skopje, bis ein eigenständiger 3. Militärbezirk Nis errichtet wurde. Es gibt Hinweise, daß eine Spezialeinheit aus Nis am Angriff auf Zvornik und später auf Kulagrad beteiligt gewesen ist. Hiebei könnte es sich um Teile der 4 Die Militärpolizei, die vor dem Angriff die beiden Brücken in Karakaj bewacht hat, soll ebenfalls aus Tuzla gewesen sein. 5 Siehe Punkt 4.2. 6 Weitere operative Gruppen unterstanden dem "Sector Command South", bestehend aus dem Hauptquartier der Belgrader "Mechanized Division" mit zumindest sechs Brigaden, einer Partisanenbrigade und einer Artilleriebrigade. 63. Fallschirmjäger-Brigade Nis des "Korps für Sonderaufgaben Belgrad" gehandelt haben. Sie war vor allem zur Bewältigung "sicherheitspolitischer Aufgaben" im Inneren ausgebildet. Infanterie-Einheiten, die vom Kriegsschauplatz in Kroatien (Vukovar) abgezogen worden waren und am Angriff gegen Zvornik beteiligt gewesen sein sollen, konnten nicht näher zugeordnet werden. 4.1.2. Befehlshaber General Jankovic war Garnisonskommandant von Tuzla und soll die in der Nähe von Zvornik stationierten Truppen, die aus Tuzla stammten, vor dem Angriff mehrmals besucht haben. Er wurde im Mai 1992 im Rahmen der Umstrukturierung der JNA zwangspensioniert, als "projugoslawische" Offiziere durch "proserbische" ersetzt wurden. General Milutin Kukanjac war Kommandant des 2. Militärbezirks Sarajewo und nach der Umgruppierung der JNA zuständig für die Region Zvornik während der Zeit des Angriffs. In einem Fernsehinterview nach dem Angriff auf Zvornik soll sich Kukanjac wie folgt geäußert haben: "If the people of Zvornik return their weapons, the army will protect them. This should be an example to other towns."7 Oberstleutnant Pejic8 war Kommandant der am Angriff auf Zvornik beteiligten Truppen bzw. bis 26. April 1992 deren Oberbefehlshaber. Pejic war während des Kroatienkriegs Leiter der Operationsabteilung im 32. Korps Varazdin, bevor er im Zuge der Umgruppierung der JNA nach Sarajewo verlegt wurde. Seine Aufgabe in Zvornik kann daher ebenfalls in der Vorbereitung und Durchführung des Angriffs gelegen haben. Eine Aufgabe, die ihm von den Befragten auch tatsächlich zugeschrieben wurde. Oberst Marko Pavlovic9 gehörte bis Dezember 1991 einem Verband in Kroatien an und war Kommandant der 622. motorisierten Brigade Petrinja, die zum 10. Korps Zagreb gehörte. Anschließend wurde er dem 2. Militärbezirk Sarajewo zugeteilt. Pavlovic soll, Pejic folgend, nach dem Fall Kulagrads am 26. April den Befehl über die Truppen übernommen haben. Er war nach Angaben von Befragten für die ethnischen Säuberungen zuständig. Nach dem endgültigen Fall Zvorniks übernahm er anscheinend Verwaltungsaufgaben. Formell trat er allerdings, zumindest seit Mitte/Ende Juni, nicht mehr als Angehöriger der JNA, sondern als "Kommandant der Territorial- 7 Zitiert nach "TIMES" vom 10.4.1992. In Zvornik agierte er auch als Offizier der Arkanovci. 9 Sein richtiger Name ist Branko Popovic; er war Mitglied des jugoslawischen Geheimdienstes. 8 verteidigung Zvornik" auf, wie er in einem Zeitungsinterview mit der serbischen Zeitung "Borba" bezeichnet wurde.10 Leutnant Radovan Ticic soll Kommandant der Panzer-Einheit aus Tuzla gewesen sein. 4.1.3. Bewaffnung Folgende Bewaffnungen konnten bei den Recherchen des Instituts zum Teil anhand von Abbildungen identifiziert werden: Infanterie Automatische Gewehre / Karabiner und Maschinengewehre der Typen M 52, M 59, M 65, M 66, M 70A, M 70B, M 72 und "Kalaschnikow"; Bajonette; Handgranaten; Panzerfäuste "Soja"; tragbare Granatwerfer. Panzer Kampfpanzer der Typen T 34, T 54, T 55, T 72 und T 84; Schützenpanzer "Marda(er)" mit Maschinenkanonen; Radpanzer "Samohodka". Artillerie Haubitzen und Kanonen 122 mm und 130 mm; Mörser 60 mm, 80 mm und 120 mm; Flugabwehrkanonen. Luftwaffe Jagdbomber der Typen MIG 21 und MIG 29; Schul- und Erdkampfflugzeug "Jastreb" mit Maschinengewehren und Raketen; Schul- und Erdkampfflugzeug "Galeb"; Aufklärungsflugzeug "Adler"; Hubschrauber der Typen MI 8, MI 9, "Gazella". 4.2. Paramilitärische Einheiten 4.2.1. Allgemeine Bemerkungen Für den gesamten untersuchten Zeitraum lag das militärische Oberkommando bei den Offizieren der JNA Pejic und Pavlovic. Die paramilitärischen Einheiten - mit Ausnahme der "Arkanovci" - unterwarfen sich bei den militärischen Operationen der JNA. In der Zeit nach dem Angriff bis zur endgültigen "ethnischen Vertreibung" hielt sich eine Vielzahl paramilitärischer Gruppen in der Stadt auf. Unter ihnen befanden sich sowohl "organisierte" Freischärlerverbände als auch soge10 "Borba" vom 30.6.1992. Er äußerte sich hierin auch deutlich zu den "ethnischen Säuberungen". nannte "Weekend-Tschetniks", vor allem aus Serbien. Beinahe alle Gruppen übten Terror gegenüber der Stadtbevölkerung aus und werden für Ermordungen, Vergewaltigungen, Plünderungen und Folterungen in den Lagern verantwortlich gemacht. Anscheinend unterstanden sie keinem Kommando und keiner Kontrolle. Die wichtigsten der "organisierten" paramilitärischen Einheiten waren die Arkanovci, die sogenannte "Territorialverteidigung" (TO), die "Seseljevci" und die "Beli Orlovi". Eine exakte Trennung der drei letztgenannten Einheiten voneinander sowie eine exakte Trennung von den Infanterie-Einheiten der ehemaligen JNA war nicht durchgehend möglich. Es gibt zahlreiche Indizien dafür, daß sich Infanterie-Einheiten nicht nur aus regulären Angehörigen der ehemaligen JNA und aus einberufenen Reservisten, sondern auch aus "Freiwilligen" zusammensetzten. Dies ergibt sich einerseits aus den Beobachtungen mehrerer Befragter, daß die Soldaten - nach Angaben einiger Befragter auch die Offiziere - bereits vor dem Angriff, also bereits im März 1992, und während des Angriffs nicht mehr die Abzeichen der ehemaligen JNA auf ihren Uniformen trugen, sondern bereits serbische Abzeichen und Kokarden. Die Fahrzeuge und Geräte hingegen trugen zu diesem Zeitpunkt noch die alten jugoslawischen Erkennungszeichen. Zudem kennzeichneten sich viele mit alten JNA-Uniformen bekleidete Soldaten zusätzlich mit einem weißen Band um den Oberarm oder trugen andere Erkennungsmerkmale. Kennzeichnungen, die nur dann Sinn machen, wenn man sich von ansonsten gleich gekleideten Soldaten unterscheiden will. Diese Unterscheidung war nur gegenüber JNA-Einheiten oder Einheiten in JNAUniform notwendig, da es einen organisierten militärischen Gegner auf moslemischer Seite nicht gab. Ein weiterer Hinweis ist, daß Soldaten lange Bärte trugen, was für einen regulären Angehörigen der ehemaligen JNA nicht möglich gewesen wäre. Zudem entsprechen einige der äußeren Beschreibungen dieser Einheiten sowie ihre Lokalisierung der Beschreibung und den Ortsangaben, die von anderen Befragten für die "Territorialverteidigung" oder für die Seseljevci oder Beli Orlovi gegeben wurden. Angehörige dieser Einheiten haben sich außerdem oft in zusammengesetzten Kampfgruppen am Angriff beteiligt. Ein Großteil der paramilitärischen Gruppen waren nicht eigens gekennzeichnet und wurden deshalb von Befragten der JNA-Infanterie zugerechnet. Sie dürften jedoch der "Territorialverteidigung" angehört haben, die für den Raum Zvornik vor dem Angriff auf die Stadt neu gegründet worden sein soll. Einige Reserve-Offiziere der Infanterie stammten aus der Region Zvornik und waren gleichzeitig bekannte Aktivisten der SDS. So soll der Kommandant in Zvornik Momir Vasiljevic gewesen sein. Er war "reserve first class captain", stammte aus Celopek und arbeitete vor dem Krieg im Krankenhaus von Zvornik. Einer der Offiziere war Zoran Jovanovic, der vorher bei der Firma "Birac" arbeitete, und später zu einer der wichtigsten Personen des sogenannten "Serbischen Bezirks Zvornik" wurde.11 Ein weiterer Grund für die Schwierigkeit, eine exakte Trennung zwischen den paramilitärischen Gruppen vorzunehmen, ist, daß Befragte angaben, dieselben Personen aus umliegenden Ortschaften in Serbien und Bosnien einmal bei den Seseljevci, dann bei den Beli Orlovi und dann wieder bei "Freiwilligen-Verbänden" erkannt zu haben. Es ist auch davon auszugehen, daß Freischärler sich als Angehörige bekannter Einheiten (Arkanovci, Seseljevci, Beli Orlovi, Draganovci) ausgaben, obwohl sie diesen tatsächlich nicht angehörten. Weiters soll die sogenannte "Territorialverteidigung" bereits einige Tage nach dem Angriff in die Reserve-Einheiten der JNA eingegliedert worden sein. Im folgenden wird trotz allem eine Unterscheidung dieser Gruppen getroffen, wie auch bei den Einheiten der ehemaligen JNA von der Existenz von Infanterie-Einheiten ausgegangen wird. 4.2.2. "Territorialverteidigung" (TO) Kurz nach der Auflösung der regulären Territorialverteidigung in BosnienHerzegowina im Herbst 1991 begannen SDS-Führer in Zvornik mit der Rekrutierung, der Ausrüstung und offensichtlich auch mit dem Training einer neuen "Serbischen Territorialverteidigung". Die meisten Mitglieder kamen aus mehrheitlich serbisch bewohnten Ortschaften (Celopek, Scemlije) in der Nähe von Zvornik oder Ortsteilen Zvorniks (Lisisnjak). Ihr Hauptquartier war im Industrieviertel Karakaj, das Gros der Truppe war in der Fabrik "Novi Standard" untergebracht. Von vielen Befragten wurde jedoch auch angegeben, daß ihr Hauptquartier im Stadtteil Lisisnjak gewesen sein soll. In diesem Teil der Stadt waren allerdings nur die Wohnungen von Branko Grujic, dem späteren "Präsidenten der Serbischen Gemeinde Zvornik" und von Bosko Ceranic, einem weiteren SDS-Aktivisten. Als Anführer dieser Einheit wurde Branko Grujic angegeben. Weitere führende Mitglieder waren Ljupko Ilic (er war später angeblich "Präsident des 11 Der Direktor von "Birac", Jefto Subotic, scheint nach mehreren Zeugenaussagen eine entscheidende Rolle zumindest bei den Vorbereitungen des Angriffs gespielt zu haben. Aber auch im Verlauf des Angriffs und der Besatzung wurde er für verschiedene Menschenrechtsverletzungen, und zwar von der Entlassung vom Arbeitsplatz bis zur Deportation in ein Lager, verantwortlich gemacht. Kriegsgerichts"), Drago Krstanovic (vor dem Krieg im Krankenhaus beschäftigt) und "Marko", ein Krankenwagenfahrer. Die Territorialverteidigung kooperierte wie alle anderen paramilitärischen Einheiten mit der JNA und unterstand derem Kommando. Als Einheimische sollen ihre Angehörigen die Sonderaufgabe gehabt haben, als Informanten für Militärs und später bei der Plünderung und der Auslieferung wohlhabender und bedeutender Moslems (vor allem an die Arkanovci) als Denunzianten zu dienen. Während des Angriffs kamen sie in einer zweiten Welle direkt im Gefolge der Arkanovci in die Stadt. 4.2.3. Arkanovci ("Srpska Dobrovoljacka Garda"/ "Serbische Freiwilligengarde") Die Arkanovci wie auch "Arkan"12 selbst werden übereinstimmend als die entscheidenden Personen des Angriffs bezeichnet. Während der reinen Angriffsoperationen überragte Arkan sowohl die Kommandierenden der ehemaligen JNA als auch die führenden Persönlichkeiten der lokalen SDS an Bedeutung. Den Oberbefehl über die Arkanovci während des Angriffs hatte Arkan selbst inne. Neben ihm waren als wichtige Personen noch bekannt: "Rambo" (angeblich der Schwager Arkans, der während der Kämpfe um Kulagrad erschossen wurde), "Zuco", der für zahlreiche schwere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wurde, sein Kompagnon "Topola", die Brüder Jovic aus Mali Zvornik (Dragan "Jole" Jovic und sein Bruder Pero Jovic führten eine Sondereinheit mit roten Baretten mit serbischer Nationale; auch sie hatten den "Tiger" und die Aufschrift "Arkanove delije" auf der Schulter; die beiden Brüder wurden aber auch anderen Gruppen zugeordnet), ein gewisser "Vuk" oder "Vuco" und eine Frau namens "Lela", die für Folterungen und Ermordungen in Lagern verantwortlich gemacht wurde. Das Hauptquartier war in Mali Zvornik im Hotel "Jezero", Arkan selbst wohnte in Radaljska Banja. Die Angehörigen der Arkanovci trugen kurz geschnittenes Haar und waren mit (dunkel) olivgrünen Overalls, schwarzen abgeschnittenen Handschuhen und schwarzen gestrickten Wollmützen, die auch als Masken verwendet werden konnten, bekleidet. Ihre Militärstiefel waren mit Klettverschlüssen an der Uniform fixiert. Auf dem linken Ärmel trugen sie ein Emblem mit vier 12 Zeljko Raznatovic "Arkan" wurde in den 80er Jahren wegen zahlreicher Gesetzesbrüche in Westeuropa - u.a. schwerer Diebstahl und Erpressung - auf die Fahndungslisten von Interpol gesetzt. Aber auch Morde an "Staatsfeinden Jugoslawiens" werden ihm angelastet. Seine "Serbische Freiwilligengarde" gründete Arkan bereits im Oktober 1990. Der Kern der Truppe umfaßte etwa 150 Mann, die zuerst in einem Ausbildungszentrum in der Vojvodina trainiert wurden. Später ist das Trainingsgelände nach Slawonien, in die Nähe von Erdut verlegt worden. Jeder "Soldat" trug einen Ausweis bei sich, der seine Zugehörigkeit zur "Serbischen Freiwilligengarde" bestätigte. kyrilischen "S"; rund um dieses stand eingestickt: "Serbische Freiwilligengarde." Einer anderen Beschreibung zufolge trugen sie Camouflage-Uniformen mit roten Pfeilen als Abzeichen, auf dem rechten Ärmel die serbischen Farben und auf der Schulter ein Emblem mit einem Tiger und der Aufschrift "Arkanove delije". Die Arkanovci zeichneten sich durch strenge Disziplin aus und wurden bei "Säuberungen" als sehr grausam und sehr "gründlich" bezeichnet. Sie galten unter den Befragten als "eiskalte Killer". Auch Bezeichnungen wie "Kampfmaschine" und "Rambo" wurden verwendet. Die Arkanovci hoben sich auch dadurch von den anderen Einheiten ab, daß sie nie alkoholisiert waren, jedoch oft andere Drogen genommen haben sollen. Sie sollen über Namenslisten von reichen Moslems verfügt haben, denen sie "Gold und Geld" abgenommen haben. Für die Erstellung dieser Listen wurden einheimische Serben verantwortlich gemacht. Vor allem die Arkanovci sollen in den ersten Tagen in Begleitung einheimischer Serben Häuser systematisch durchsucht sowie gemordet, vergewaltigt und geplündert haben. Das "Recht auf die ersten Plünderungen", das ihnen anscheinend zugestanden wurde, diente offensichtlich als Teil ihrer "Bezahlung". Arkan selbst soll in Zvornik am 8. April eingetroffen sein. Gesichert ist, daß er am 8. April und am folgenden Tag nicht nur an "Verhandlungen" über die Zukunft Zvorniks teilnahm, sondern diese auch dominierte. Ein Ultimatum zur Übergabe der Stadt und der Waffen am Morgen des 9. April wurde von Arkan selbst gestellt. Auch einige Tage später war Arkan in Zvornik, als er die Übergabe des Leichnams von "Rambo" forderte und dafür die Patienten des Spitals als Geiseln nahm. Angehörige der Arkanovci sollen in Zivil seit Ende März in der Stadt gewesen sein. Die Beteiligung der Arkanovci an den Kämpfen begann am 8. April mit dem Einsatz von Granatwerfern sowie mit dem Einsatz von Scharfschützen von Mali Zvornik aus. Sie nahmen die Stadt am 9. April ein, indem sie die wichtigsten Einrichtungen (Krankenhaus, Radiostation) und strategische Punkte besetzten. Dabei wurden sie von der JNA mit Artillerie und logistisch unterstützt. Die strategische Planung und die Befehlsstruktur schien einheitlich gewesen zu sein. Die (militärische) Sicherung der Stadt wurde in der Folge von anderen Gruppen übernommen (Seseljevci, Beli Orlovi, die "Territorialverteidigung" und "Freiwillige" aus benachbarten Städten Serbiens). Nach der erfolgten Besetzung der Stadt (10./11.April) schien der Kerntrupp Zvornik verlassen zu haben. Die Arkanovci waren sehr beweglich und verfügten über zahlreiche Fahrzeuge privater Herkunft. Neben ihren "militärischen Aufgaben" waren sie für viele der Greueltaten und Plünderungen verantwortlich. Arkan selbst soll Moslems und Patienten aus dem Krankenhaus zur Hinrichtung bringen haben lassen. Die Arkanovci ermordeten im Haus des Salim Donjic einige Männer und verübten Massaker in den Stadtteilen Zamlas und Hrid. Am Vormittag des 9. April sollen sie in Vidakove Nijeve, bei der Einfahrt nach Zvornik ein weiteres Massaker verübt haben. Im Cafe "Klempic" sollen sie ebenfalls am Vormittag des 9. April ein Massaker begangen haben. Da das Cafe aber in Richtung Vidakove Nijeve liegt, könnte das zuvor erwähnte Massaker in Vidakove Nijeve gemeint sein. Ihre Bewaffnung umfaßte: automatische Gewehre M 70A, M 70B und "amerikanische Gewehre", Gewehre "Skorpion", Handgranaten, Panzerfäuste und Granatwerfer; Seile zum Würgen, lange "Rambo"-Messer, Schlagstöcke; zu ihrer eigenen Sicherheit trugen sie schußsichere Westen. 4.2.4. Seseljevci Die Seseljevci werden als "bärtig" bezeichnet. Sie trugen serbische Militärkappen mit den serbischen Farben oder einem Totenkopf auf der Stirnseite bzw. schwarze Pelzmützen ("Sapka") mit serbischer Kokarde. Ein weiteres Erkennungsmerkmal waren die gekreuzten Munitionsgurte über der Brust und die Handgranaten am Gürtel. Als Anführer wurden Nikola Jovanovic, Taxifahrer aus Loznica, ein "Nislija", ein "Hladni", ein "Dragan Toro", der ein Majorsabzeichen trug, sowie "Vojvoda Seselj"13 genannt. Nach Zeugenaussagen sollen sie oft betrunken gewesen sein und immer wieder Kriminelle und "Wochenend-Kämpfer" rekrutiert haben. Sie werden als besonders aktiv bei Gewalttätigkeiten gegen Zivilisten - auch in den Internierungslagern - bezeichnet. Zumindest eine Moschee sollen sie entweiht haben, in dem sie über die Lautsprecher "Tschetniklieder" spielten und eine Totenkopffahne hißten. Ihr Hauptquartier war schwer zu lokalisieren. Angegeben wurden die Fabrik "Standard" in Karakaj, die Firmen "Inzinjering", "Alhos" und "Vezionica" in Karakaj, das Hotel "Drina" und der Kindergarten in der Radiostation. 13 Dr. Vojislav Seselj ist Abgeordneter im Belgrader Parlament und Führer der "Serbischen Radikalen Partei" sowie Führer der "Serbischen Tschetnikbewegung". Er war auch Mitbegründer der "Serbischen Erneuerungsbewegung", deren Führer Vuk Draskovic wurde, aus der Seselj aber schon bald wegen interner Streitigkeiten austrat. Angehörige der Seseljevci waren schon vor dem Angriff in Zivil anwesend.14 Ihre Beteiligung am Angriff setzte am 9. April ein und zog sich über die ganze Periode der Okkupation bis zur Einnahme Kulagrads fort. Sie übernahmen auch die Okkupation einzelner Stadtteile und waren überall für Plünderungen verantwortlich. Sie kooperierten immer mit der JNA, sowohl strategisch als auch in der Befehlsstruktur. Ihre Bewaffnung beinhaltete: automatische Gewehre M 59, M 66, M 70A, M 70B; Handgranaten; lange, krumme Messer. 4.2.5. Beli Orlovi (Weiße Adler) 15 Sie wurden als "unordentlich gekleidet" bezeichnet, da sie irgendwelche Uniformen aus JNA-Beständen oder Zivil trugen. Sie führten als Abzeichen weiße Doppeladler auf der Kappe und auf dem Oberarm. Ihre Angehörigen wurden vor allem aus umliegenden Ortschaften in Serbien (Loznica, Valjevo, etc.) rekrutiert. Als ihre Anführer werden abwechselnd Mirko Jovic, Dragoslav Bokan und Vojislav Seselj bezeichnet16. Auch ihr Hauptquartier war schwer zu lokalisieren. Angegeben wurde "Alhos" (zusammen mit Arkanovci) und das Hotel "Jezero" in Mali Zvornik. Die Beli Orlovi beteiligten sich (ähnlich wie die Seseljevci) erst an der zweiten Welle des Angriffs. Ihr "Aufgabengebiet" war vor allem "Aushilfe" bei den Kämpfen und die Sicherung strategischer Punkte. Sie beteiligten sich an Beschuß, Belagerung und Okkupation der Stadt sowie am Angriff auf Kulagrad. Anscheinend waren sie aber vor allem für die Sicherung der Deportationen verantwortlich, patroullierten an Kreuzungen und auf Straßen (häufig betrunken und provozierend), verhafteten oft "Verdächtige" und plünderten. Auf Häuser und Lager wurden weiße Adler gezeichnet, die nicht entfernt werden durften. Sie operierten unter dem Kommando der JNA. Ihre Bewaffnung beinhaltete nur leichte Waffen (nähere Angaben wurden nicht gemacht). 4.2.6. Draganovci17 Eine weitere wichtige Einheit, die aber nicht am Angriff, sondern erst an der Okkupation Zvorniks beteiligt war, waren die Draganovci des "Kapetan 14 Von einem Befragten wird berichtet, daß Seselj in Zvornik gewesen sein soll, um sich mit Bosko Ceranic von der SDS zu treffen. 15 1990 wurde diese faschistische, militärische Organisation aus dem 2.Weltkrieg reaktiviert. 16 Helsinki Watch, War Crimes in Bosnia-Hercegovina, 1992; Rajko Djuric / Bertolt Bengsch, "Der Zerfall Jugoslawiens", 1992. 17 Diese Einheit, die aus etwa 750 Elitesoldaten bestand, soll nur in Kroatien gekämpft haben. Dragan" (Vasiljkovic Dragan). Sie trugen rote Barette und CamouflageUniformen; Kapetan Dragan selbst soll nur in Zivil aufgetreten sein. Sie kamen erst Mitte Mai nach Zvornik und bezogen ihr Hauptquartier im Hotel Vidikovac in Divic. Ihnen wurden nur "Verwaltungsfunktionen" zugeschrieben. Sie sollen aber auch an der organisierten Vertreibung der moslemischen Bevölkerung beteiligt gewesen sein. Auffallend ist, daß die Draganovci von vielen Befragten als "diszipliniert" und "ordentlich", ja sogar als "korrekt" und "freundlich" bezeichnet wurden. Es wurde sogar berichtet, daß Angehörige der Draganovci moslemische Gefangene vor der Ermordung durch andere Freischärler bewahrten. Auch in der BIM-Studie wurden sie selten mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Andererseits wird Angehörigen der Draganovci vorgeworfen, einheimische Serben im Fußballstadion von Divic militärisch ausgebildet zu haben. Weiters sollen auch Zwangsarbeit und Plünderungen dazu gedient haben, finanzielle Beiträge für die "Kapetan Dragan Stiftung" zu erwirtschaften.18 Ihre Bewaffnung beinhaltete nur leichte Waffen (nähere Angaben wurden nicht gemacht). 4.2.7. Weitere Formationen Während der verschiedenen Phasen hielt sich eine Vielzahl weiterer Formationen in Zvornik auf. Viele Freischärler wurden von Befragten zu unterschiedlichen Zeitpunkten bei verschiedenen Gruppen gesehen. Zu diesen zählen: • Zute Ose (Gelbe Wespen) Ihr Kommandant war Vojin ("Zuca") Vuckovic, ihr bekanntestes Mitglied jedoch Vojins Bruder, Dusan ("Repic") Vuckovic 19. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, ein Massaker an Bewohnern von Divic in Celopek verübt zu haben, wofür er sich in Sabac (Serbien) vor einem Gericht verantworten muß.20 • Anticevci • Spezial-Einheiten der einheimischen Serben • Serbische Freiwillige aus Loznica, Sabac, Valjevo 18 Diese Stiftung unterstützt "Serbische Freiwillige", die während des Krieges in Kroatien zu Invaliden geworden sind. 19 Dusan Repic wurde von vielen Befragten allerdings auch den Seseljevci zugeordnet. Es besteht daher die Möglichkeit, daß zwischen den Zute Ose und den Seseljevci Verbindungen bestanden haben. 20 "Dusan (Repic) Vuckovic aus Umka in der Nähe von Belgrad wird angeklagt, 16 Zivilisten aus dem Dorf Divic ermordet, 20 verwundet und eine 35-jährige moslemische Frau in Mali Zvornik vergewaltigt zu haben...." ("Vreme" vom 23.5.1994). • • • • 21 Gruppe von Pusula Gruppe aus Padinska Skela Vukovarci Dusan Silni (Dusan der Mächtige)21 Wahrscheinlich eine Untergruppe der Beli Orlovi. 5. CHRONOLOGIE Für die Chronologie der Ereignisse wurde folgende Einteilung vorgenommen: Nach einer Skizzierung der Zeit vor dem Angriff wird die Zeit der eigentlichen Aggression nach zwei Entwicklungslinien unterschieden. Die erste Linie enthält die militärischen Geschehnisse, das heißt, den (militärischen) Angriff auf Zvornik und den knapp zwei Wochen später vorgenommenen entscheidenden Angriff auf Kulagrad. Die zweite Linie zeichnet die zivile Entwicklung in der Stadt nach. Dabei kristallisierte sich eine deutliche Unterscheidung in einzelne Phasen heraus, die mit der militärischen Entwicklung in Zusammenhang standen. 5.1. Die Zeit vor dem Angriff Wie im Rahmen der BIM-Studie festgestellt werden konnte, verschlechterte sich das Zusammenleben der Volksgruppen in den Monaten vor dem Angriff zusehends. Konnte man das Verhältnis zwischen den Volksgruppen vor dem Krieg in Kroatien als sehr gut bezeichnen (nur 4% der moslemischen Befragten gaben an, keine Freunde unter den Serben gehabt zu haben), so dürfte sich diese Situation bereits ab der Eskalation des Kroatienkrieges im Sommer 1991 verschlechtert haben.22 Es kam zu Spannungen am Arbeitsplatz, in der Schule und in der Nachbarschaft. Die einzelnen Volksgruppen begannen sich stärker voneinander abzusetzen. Es erfolgte auch eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, wobei der serbischen Seite von den Befragten nachträglich unterstellt wurde, über bevorstehende Aktionen informiert gewesen zu sein. Es gibt mehrere Indizien, die auf eine vorherige Planung des Angriffs und der Vertreibung der moslemischen Einwohner hinweisen: Zum Jahreswechsel 1991/92 wurden die ersten Truppen der JNA in der Region Zvornik stationiert.23 Ca. 2-3 Monate vor dem Angriff gab es bis zu 2 Wochen dauernde Militärübungen in Osmaci bei Kalesija (ca. 30 km nördlich von Zvornik) und in anderen Orten. Von der JNA organisiert, wurden dazu nur Serben eingeladen, unter dem Vorwand, die Territorialverteidigung zu trainieren. Schon in den Wochen vor dem Angriff beschafften sich Angehörige aller Volksgruppen Waffen. Nach Angaben von Befragten, die durch die Ergeb22 Ca. 46% meinten, daß sich das Zusammenleben leicht verschlechtert habe, ca. 15% behaupteten sogar, es habe sich sehr verschlechtert. 23 Siehe Punkt 4.1. nisse der BIM-Studie gestützt werden, erhielten die serbischen Bewohner Zvorniks ihre Waffen größtenteils über die SDS oder die JNA, die moslemischen Bewohner hingegen legten sich ihre Waffen "privat" zu.24 Für März vor dem Angriff wird von den 31 Befragten übereinstimmend berichtet - auch die Ergebnisse der BIM-Studie bestätigen das - , daß viele serbische Bewohner Zvornik für ein Wochenende verließen, am Montag aber wieder zur Arbeit erschienen. Ob dies eine von der SDS organisierte "ProbeEvakuierung für den Ernstfall eines Angriffs auf Zvornik" war, wie ein Befragter äußerte, läßt sich nicht belegen. Aber die Vermutung einer organisierten Aktion liegt sehr nahe, bedenkt man die Angaben, daß es der größte Teil der serbischen Familien war, der die Stadt für ein Wochenende verlassen hatte. Auch später, zum Zeitpunkt des Angriffs, hatten Frauen und Kinder serbischer Nationalität die Stadt bereits verlassen. In den Tagen vor dem Angriff wurden einzelne Befragte von serbischen Freunden oder Kollegen darauf hingewiesen, daß es für sie besser wäre, die Stadt bald zu verlassen. Das sind Indizien, die die Behauptung vieler Befragter unterstützen, daß serbische Einwohner Zvorniks zumindest kurzfristig vor dem Angriff über diesen informiert gewesen waren. Am Wochenende vor dem Angriff (4./5. April) wurde von Serben eine Barrikade beim Stadtteil Meterize mit LKW der Firma "Boksit" (eine BauxitGrube in Milici, 30 km südlich von Zvornik) errichtet; damit war die Stadt vom Industriegebiet Karakaj abgetrennt. Moslems wurden am darauffolgenden Montag, dem 6. April, gehindert, zur Arbeit zu gehen; auch Schüler des in Karakaj angesiedelten Technischen Schulzentrums mußten an den Barrikaden wieder umkehren. Die Ereignisse der letzten Tage und die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung veranlaßten nun auch viele moslemische Familien, die Stadt über die "Alte Brücke" im Stadtzentrum zu verlassen. Als Antwort auf die serbische Barrikade errichteten Moslems ihrerseits an der gleichen Stelle Barrikaden mit LKW, die von der "moslemischen" Polizei und von bewaffneten Freiwilligen bewacht wurden. Es kam vorerst nur zu verbalen Auseinandersetzungen an den Barrikaden. An diesen wurden allerdings auch am 6./7. April Demonstrationen für ein friedliches Zusammenleben abgehalten, an denen Angehörige aller Volksgruppen teilnahmen.25 24 Ca. 80% der Befragten der BIM-Studie gaben an, daß sich serbische Einwohner Waffen zugelegt hätten. 83% von diesen nannten die ehemalige JNA als eine der Bezugsquellen, 47% die SDS. Als Hauptbezugsquelle der Moslems wurde der "Schwarzmarkt in Bosnien" genannt. 25 Nach Angaben von Vertriebenen war dies nicht die einzige Demonstration für ein friedliches Zusammenleben der Volksgruppen. So soll es in der Stadt zu spontanen Kundgebungen gekommen sein, an denen sich alle Volksgruppen beteiligt haben sollen. In der BIM-Studie antworteten auf die Frage: "Fanden ihrem Wissen nach in den letzten Tagen vor Beginn des Angriffs Demonstrationen statt, die gegen den drohenden Angriff gerichtet waren?", 71% der Befragten mit "Ja". Von diesen gaben 81% an, daß Moslems Ebenfalls am 6. April26 kam es zu einer Trennung der einheimischen Polizeikräfte. Das Hauptquartier der Polizei in Zvornik wurde von den Polizisten serbischer Nationalität geräumt und Waffen, Geräte sowie Autos in das nördlich von Zvornik gelegene Industrieviertel Karakaj verlagert. In den Wochen vorher hatte es noch gemischte Patrouillen in der Stadt und an den Brücken gegeben, um die Zusammengehörigkeit beider Volksgruppen zu demonstrieren. Bereits am 7. April floh ein Großteil der moslemischen Bevölkerung aus Lipovac und Karakaj nach Zvornik. Am Abend des 7. April, einen Tag vor dem Angriff, wurde im Belgrader Fernsehen die starke Präsenz von Einheiten der JNA damit begründet, daß ein Angriff "moslemischer Extremisten", die sich auf Kulagrad verschanzt hätten, bevorstehe. Am 8. April fanden in Mali Zvornik Verhandlungen zwischen Vertretern der SDS aus Zvornik, der Partei der Demokratischen Aktion (SDA) aus Zvornik und Arkan statt. Ziel dieser Verhandlungen soll gewesen sein, eine "friedliche Übergabe der Stadt" bzw. eine "Kapitulation der moslemischen Bewohner" zu erreichen. Zwischen den beiden Vertretern aus Zvornik wurde anscheinend auch eine "Einigung" über eine Aufteilung der Stadt anvisiert. Der Kern des Stadtgebietes von Zvornik sollte "moslemisch" bleiben, während der nördliche Teil des Stadtgebietes mit dem Industrieviertel Karakaj den Serben zugeschlagen werden sollte. Nach Angabe eines Befragten, der mit dem SDA-Verhandlungsführer kurz nach den Gesprächen eine Unterredung hatte, einigten sich zwar SDS und SDA auf diese Position, doch befürchtete der SDA-Vertreter trotzdem einen Angriff, da Arkan mit diesem Gespräch unzufrieden gewesen sein soll und ankündigte, daß er "dies jetzt in die Hand nehmen werde". Nach übereinstimmenden Berichten kam es dabei auch zu Gewalttätigkeiten Arkans gegenüber den beiden anderen Personen. Am 9. April erfolgten am Morgen ebenfalls Verhandlungen in Mali Zvornik, die allerdings ergebnislos blieben. 5.2. Der Angriff auf Zvornik Der militärische Angriff auf Zvornik dauerte vom 8. bis 10./11. April 1992. Danach gab es nur noch sporadische militärische Operationen in Zusammenarbeit von Einheiten der ehemaligen JNA und paramilitärischen Einheiten, die sich vor allem gegen die oberhalb Zvorniks gelegene mittelalterliche Festung Kulagrad richteten, auf der sich ab dem 8. April bewaffnete Verteidiger verschanzt hatten. Am 26. April wurde diese Festung allerdings in einem konzertierten Angriff von Einheiten der ehemaligen JNA - unter Beteiligung von daran beteiligt und immerhin 60%, daß Serben daran beteiligt waren. Auf die Frage, wer diese organisiert haben soll, gaben die meisten "Privatpersonen" an. 26 Laut "Borba" vom 8.4.1992 am 7. April. Flugzeugen - und paramilitärischen Einheiten eingenommen. Direkt nach dem Fall Kulagrads wurde die südlich an Zvornik anschließende Ortschaft Divic angegriffen. Divic war nahezu ausschließlich von Moslems bewohnt und liegt direkt am Wasserkraftwerk der Stadt. Da von Kulagrad aus auch Divic kontrolliert werden konnte, hielten die Aggressoren den entscheidenden Angriff auf Divic erst dann für möglich, nachdem Kulagrad erobert worden war; nicht zuletzt deshalb, weil Divic für eine "Moslem-Hochburg" gehalten wurde, die Angreifer deshalb starken Widerstand erwarteten und zudem damit rechneten, daß die Staumauer des Kraftwerks von den Bewohnern Divics vermint worden war. Der Angriff auf die Stadt erfolgte sowohl von serbischer Seite als auch von bosnischem Territorium aus mit Panzern, Artillerie und Infanterie-Einheiten, die mit tragbaren Granatwerfern ausgerüstet waren. Er fand in Kooperation der JNA-Einheiten mit paramilitärischen Gruppen statt. An exponierter Stelle agierten dabei die Arkanovci, die die Stadt einnahmen und deren Kerntruppe nach erfolgtem Angriff die Stadt wieder verließ und zum Angriff auf die nächste Stadt überging (Bratunac). Nach vereinzelten Gewehrschüssen begann der eigentliche Angriff auf die Stadt am 8. April am Vormittag. Von den Artillerie-Stellungen in Karakaj bzw. von Meterize auf bosnischer Flußseite und von Mali Zvornik (Serbien) wurden die Stadtteile Bukovik und Meterize sowie der Hügel Debelo Brdo, auf dem sich einige moslemische Verteidiger mit Handfeuerwaffen verschanzt hatten, mit Granaten beschossen. Durchgeführt wurde dieser Angriff vor allem mit schwerem Gerät der Einheiten der JNA (Artillerie und Panzer), doch wird auch von Scharfschützen der Arkanovci berichtet, die von Mali Zvornik aus die gegenüberliegende, bosnische Flußseite unter Feuer nahmen, und von Scharfschützen, die von erhöhten Gebäuden in Zvornik auf Einwohner der Stadt schossen. Die moslemische Stellung auf Debelo Brdo fiel noch am selben Tag und wurde von den Aggressoren besetzt. Während der folgenden Nacht wurde die Stadt heftig bombardiert. Am Morgen fanden noch einmal Verhandlungen statt, die in einem Ultimatum zur Übergabe der Waffen und der Stadt bis 8 Uhr desselben Tages endeten. Daraufhin wandte sich die moslemische Seite an einen Krisenstab der bosnischen Regierung in Tuzla, Radio Tuzla, Radio Zenica sowie TV und Radio Sarajewo. Der Hilferuf wurde von allen Medien gesendet; er blieb jedoch wirkungslos. 27 27 "Borba" vom 9.4.1992 gab den Hilferuf folgendermaßen wieder: "....Wir wenden uns mit einem eindringlichen Appell an unsere Öffentlichkeit und an die Weltöffentlichkeit, an die Republik Serbien, an Bosnien-Herzegowina und an die JNA, die unschuldige Bevölkerung von Zvornik zu retten und sie vor der Katastrophe eines bewaffneten Konfliktes und den tragischen Konsequenzen von großem Ausmaß zu bewahren." Um 8 Uhr setzte wieder Artilleriebeschuß ein; danach begann die Einnahme der Stadt durch Infanterie. Die führende Rolle bei der Einnahme der Stadt hatten die Arkanovci inne, die, vom Norden über die Stadtteile Bukovik und Meterize kommend, das Zentrum der Stadt einnahmen, nachdem sie kaum auf Widerstand gestoßen waren. Zu Mittag hatten die Arkanovci das Krankenhaus, am Nachmittag die Radiostation besetzt. Doch waren auch Infanterie-Einheiten der JNA in Zusammenarbeit mit "serbischen Freiwilligen" (Seseljevci, Beli Orlovi, "Territorialverteidigung") an der Einnahme der Stadt beteiligt. Sie kamen jedoch vor allem aus westlicher Richtung, aus Richtung Scemlije und Lisisnjak in einer zweiten Welle. Bereits am ersten Tag soll es, wie in den späteren Wochen auch, zu Massakern, Ermordungen, Vergewaltigungen und Deportationen in Lager28 gekommen sein. Daran waren die Einheiten der Arkanovci, Seseljevci, der Beli Orlovi und der "Territorialverteidigung" beteiligt. Am 10./11. April war der Ort Zvornik vollständig eingenommen. Die oberhalb Zvorniks gelegene Festung Kulagrad und der südlich an Zvornik angrenzende Ort Divic waren jedoch noch nicht okkupiert. 5.3. Der Angriff auf Kulagrad und Divic Kulagrad ist eine Siedlung bei einer mittelalterlichen Festung auf dem Hügel Kula, der im Südwesten von Zvornik liegt. Bedingt durch die geographische Lage Zvorniks und die strategische Position der angreifenden Einheiten eröffneten sich bei Beginn des Artilleriebeschusses für die Bevölkerung nur zwei Möglichkeiten zur Flucht: in Richtung Osten über die "Alte Brücke" nach Serbien in Richtung Mali Zvornik oder Loznica29 und nach Südwesten über Kulagrad und Liplje30 nach Tuzla. Kulagrad und Liplje waren jeweils nur vorübergehende Aufenthaltsorte und hatten in der Zeit kurz nach dem Angriff eine stark fluktuierende Anzahl von Flüchtlingen zu beherbergen. Am 9. April setzte ein Artillerieangriff auf Kulagrad ein, da die angreifenden Einheiten erheblichen moslemischen Widerstand vermuteten. Bereits vor dem Angriff sprachen serbische Medien von "tausenden moslemischen Extremisten", die sich in Kulagrad verschanzt hätten. Tatsächlich dürften aber nur zwischen dreißig und hundert bewaffnete Muslime unter dem Kommando 28 Siehe Annex I. "The Red Cross here (Anm.: das Serbische Rote Kreuz in Loznica).....is struggling to find shelter for the estimated 12000 refugees who in the past four days have driven, walked or swum across from Bosnia to escape the violence." ("The Washington Post" vom 13.4.1992). 30 "Jose Mendiluce, representing the UNHCR said he saw about 3000 terrified refugees from Zvornik in a nearby village (Anm.: Liplje)" ("Reuter" vom 11.4.1992). "Judith Kumin of the UNHCR agency`s office....sought to arrange evacuation of the refugees from Litija (Anm.: Liplje) to the predominantly Muslim city of Tuzla, about 25 miles west." ("Los Angeles Times", 11.4.1992). 29 von Kapetan Almir, einem ehemaligen JNA-Offizier, vom 9. bis 26. April mit leichter Bewaffnung (Handfeuerwaffen) spontan organisierten Widerstand geleistet haben.31 Ab 11. April versuchten fast täglich kleine, aus verschiedenen paramilitärischen Einheiten bestehende Stoßtrupps die Festung einzunehmen. Sie scheiterten jedoch, obwohl Kulagrad immer wieder unter Beschuß von Granatwerfern, Fliegerabwehr und Panzern stand. Als Grund dafür können eine offensichtlich fehlende Koordination der Einsätze und eine mangelhafte Ausbildung der beteiligten Infanterie-Einheiten angenommen werden. Am 25. April wurde von Oberst Pavlovic ein Ultimatum zur Waffenübergabe an die Ortschaft Divic gestellt. Den Verteidigern auf Kulagrad wurden seit dem 11. April immer wieder Ultimaten gestellt, zuletzt am 26. April, dem Tag des entscheidenden Angriffs auf Kulagrad. Am 26. April in der Früh fielen nach einem konzertierten Angriff zuerst die Dörfer rund um Kulagrad. Gleichzeitig setzte massiver Artilleriebeschuß auf Kulagrad und Divic vom serbischen Drina-Ufer aus ein. In einer diesmal koordinierten Aktion konnten die Angreifer Kulagrad einnehmen. Zum einen, da sich die Einheiten aus allen Richtungen, so auch vom Kraftwerk im Süden, der Festung nähern konnten; zum anderen, da der Angriff effektiver ausgeführt wurde. Von einigen Befragten wurde angegeben, daß beim entscheidenden Angriff und der Einnahme Kulagrads Angehörige der 63. Fallschirmjägerbrigade aus Nis32 beteiligt gewesen waren. Die verbliebenen Moslems auf Kulagrad flüchteten um ca. 10 Uhr 30 mit den restlichen Einwohnern und den in Kulagrad untergekommenen Flüchtlingen (ca. 100 Personen) über Liplje in Richtung Tuzla. In Liplje konnten sie sich nur kurz aufhalten, da auch dieser Ort am Nachmittag ohne Widerstand von den Serben eingenommen wurde. In Divic marschierten noch am selben Nachmittag paramilitärische Einheiten ein, wobei es zu Plünderungen kam. In der Folge besetzte auch die JNA Divic. 31 Nach Schätzungen der Befragten aus der Stadt Zvornik, die selbst nicht in Kulagrad gewesen sind, sollen bis zu maximal 300 Mann die Festung Kulagrad 20 Tage lang gehalten haben. Der selbsternannte Kommandant der Verteidiger, Kapetan Almir, sprach in einem Interview (in der "Ratna Tribuna", Nr. 5/1992) von 100 Mann. Befragte, die selbst auf Kulagrad kämpften, meinten, es wären zwischen 30 und 50 Verteidiger gewesen. 32 Kapetan Almir meinte in dem Interview für die "Ratna Tribuna", Nr. 5/1992, daß es sich um eine Spezialeinheit des Korps Novi Sad gehandelt hätte. 6. DIE ZIVILE ENTWICKLUNG IN ZVORNIK NACH DEM ANGRIFF 6.1. Nach dem Angriff auf Zvornik bis zum Fall Kulagrads Die Kontrolle über die "zivile Verwaltung" lag zuerst in den Händen des sogenannten "Krisenstabes", dem vor allem Angehörige der lokalen SDS und der Miliz angehörten. Einige dieser Personen waren auch in die Führung der "Territorialverteidigung" integriert33. In Anbetracht eines Dokumentes34 ist es klar, daß der "Krisenstab" nicht erst seit 8. April existierte, sondern zu diesem Zeitpunkt bereits einen "Beschluß zur Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht" innerhalb der "Serbischen Gemeinde Zvornik" gefaßt hatte. Doch bereits in den ersten Tagen des Angriffs (ca. 10. April) wurde eine "Vorübergehende Regierung" der sogenannten "Serbischen Gemeinde Zvornik" gebildet35. Ihre wichtigsten Mitglieder waren: Branko Grujic (Bäcker, Präsident der "Serbischen Gemeinde"), Radosav Peric (ein Volksschullehrer), Stevo Radic (Jurist, Sekretär bei der Stadtverwaltung). Weitere wichtige Mitglieder der SDS und der "Serbischen Gemeinde" waren: Sveto Popovic (Postbeamter), Zoran Jovanovic, Bosko Ceranic, Dragan Spasojevic und Zoran Pazin. Bereits kurz nach der Okkupation (ca. 10./11. April) wurde über Radio Zvornik ein Aufruf gesendet, der die Geflohenen dazu aufrief, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Diesem wurde aber kaum Folge geleistet, da sich immer noch zahlreiche Truppen paramilitärischer Einheiten in der Stadt aufhielten, die plünderten und Terror verbreiteten. Einige Tage später (ca.15./16. April) wurde dieser Aufruf daher noch einmal wiederholt. Insgesamt blieb die Resonanz auf diesen Aufruf jedoch sehr gering. Die Erfahrungen derjenigen, die dem Aufruf zur Rückkehr an den Arbeitsplatz gefolgt waren, zeigten, daß dieser - wie spätere auch - die eigentliche Absicht verfolgte, die männlichen moslemischen Einwohner zu kontrollieren.36 Ebenfalls unmittelbar nach der Okkupation der Stadt wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, die bis zur vollendeten "ethnischen Säuberung" de facto aufrecht blieb. Tagsüber war für Männer die Bewegungsfreiheit nur mit einem Passierschein gestattet, der von der "Serbischen Polizei Zvornik" ausgestellt wurde.37 Viele Männer, die sich nach Karakaj (bzw. später in das Po- 33 Es dürften auch führende Offiziere der JNA dem Krisenstab angehört haben. Siehe Annex III, Dokument F. 35 Die "Serbische Gemeinde Zvornik" hatte ihren Sitz zu dieser Zeit in der Firma "Alhos" in Karakaj. 36 Siehe Punkt 6.2. 37 Siehe Annex Nr. III, Dokument A und B. 34 lizeigebäude in Zvornik)38 begaben, um sich dort einen "Passierschein" ausstellen zu lassen, wurden jedoch in eines der Lager im Industrieviertel Karakaj deportiert.39 Dort kam es zu schweren Folterungen und zu Ermordungen vor allem durch Angehörige der paramilitärischen Gruppen, die teilweise ihre Unterkünfte in denselben Gebäuden hatten, in denen Gefangene interniert waren.40 Die Internierten waren ihren Peinigern vollkommen ungeschützt ausgesetzt. Viele Männer wagten es darum nicht, die Passierscheine persönlich zu holen und hielten sich versteckt. Aber selbst Personen, die über einen Passierschein verfügten, waren vor den willkürlichen Übergriffen der zahlreichen paramilitärischen Einheiten nicht sicher. So berichteten Zeugen, daß ihnen bereits kurz nach dem Verlassen des Polizeiquartiers die Passierscheine von Angehörigen paramilitärischer Einheiten abgenommen bzw. zerrissen wurden. Dabei kam es auch zu tätlichen Übergriffen sowie zu Deportationen in Lager. Das tägliche Leben war dadurch dominiert, daß die in der Stadt marodierenden paramilitärischen Einheiten, durch keine Autorität kontrolliert, die moslemischen Bewohner Zvorniks terrorisierten. Während die männlichen Muslime tagsüber den Passierschein benötigten, war es Frauen tagsüber gestattet, das Haus für Einkäufe zu verlassen; sie mußten dafür aber die "Alte Brücke" nach Mali Zvornik (Serbien) überqueren, weil die Kaufhäuser in Zvornik bereits alle geplündert waren. An den Checkpoints auf der Brücke kam es wiederholt zu Belästigungen; mehrfach wurde von Vergewaltigungen berichtet. Das Arbeiten war Moslems vom Zeitpunkt der Okkupation an nicht mehr gestattet, ausgenommen waren Personen, auf deren Arbeitskraft die Aggressoren nicht verzichten konnten (z.B. Fachpersonal im Krankenhaus, das erst am 19. Mai entlassen wurde). Über das Verhalten der serbischen Bevölkerung vor Ort gibt es wenig gesicherte Angaben, da fast ausschließlich moslemische Flüchtlinge befragt werden konnten und außerdem zum Zeitpunkt des Angriffes sich nur mehr wenige einheimische Serben in Zvornik aufhielten. Nach den Gründen für die Abwesenheit der Serben in diesem Zeitraum befragt, äußerten viele Interviewpartner die Vermutung, die Serben "hätten alles gewußt" und daher vorzeitig die Stadt verlassen. Dieser Verdacht wird durch die Tatsache bestärkt, daß Moslems von befreundeten Serben vor einem bevorstehenden Angriff 38 Die "Serbische Polizei" von Zvornik verlegte wiederholt ihr Hauptquartier: Vom 6. April (also unmittelbar nach der Trennung in moslemische und serbische Miliz) bis Mitte April war es in der Fabrik "Alhos" in der Industriezone Karakaj. Danach übersiedelte die serbische Miliz in die Fabrik "Novi Standard", nach dem Fall Kulagrads in das Hotel "Drina" in der Stadt Zvornik und später wieder in das Gebäude der ehemaligen bosnischen Miliz (SUP). 39 Eine Liste der Lager siehe in Annex Nr. I. 40 Dem BIM liegen detaillierte Zeugenaussagen von Überlebenden aus Lagern in Karakaj vor. gewarnt worden waren.41 Außerdem haben sich einheimische Serben als Mitglieder paramilitärischer Verbände, der Polizei und der SDS an zahlreichen Gewalttaten in der Stadt beteiligt. Für die serbischen Bewohner war es offenbar nachteilig, mit den moslemischen Einwohnern zu sprechen. Es wird aber auch von einer heimlichen Unterstützung, z.B. mit Lebensmittel, berichtet. Serben, die gegen Grausamkeiten an Muslimen auftraten, wurden ebenso Opfer der serbischen Freischärler. So wurde - wie von mehreren Zeugen berichtet - einer jungen serbischen Frau, die dagegen protestierte, daß ihre moslemischen Freunde in ein Lager deportiert werden sollten, von serbischen Freischärlern die Kehle durchgeschnitten.42 6.2. Nach dem Fall Kulagrads Nach übereinstimmenden Angaben begann sich nach dem Fall Kulagrads am 26. April 1992 die Lage in Zvornik kurzfristig zu entspannen. Zahlreiche Angehörige der paramilitärischen Einheiten und auch Teile der Soldaten der ehemaligen JNA sollen die Stadt Ende April verlassen haben. Viele der ebenfalls geflohenen serbischen Einwohner Zvorniks kehrten zurück. Die SDS begann eine Verwaltung in der neuen "Serbischen Gemeinde Zvornik" mit ihrem "Präsidenten" Branko Grujic aufzubauen. Ende April erließ die "Serbische Gemeinde Zvornik" einen weiteren Aufruf zur Rückkehr an die geflohenen moslemischen Einwohner der Stadt. Der Inhalt ließ sich aufgrund vieler übereinstimmender Aussagen folgendermaßen rekonstruieren: Die Lage in der Stadt habe sich normalisiert und jeder könne unbehelligt zurückkehren. Das persönliche Eigentum müsse bis 15. Mai bei der Polizei Zvornik registriert werden, da sonst jeglicher Besitz an die "Serbische Gemeinde Zvornik" fallen würde. Diese Aufforderung zur Rückkehr wurde täglich in einem Zeitraum von ungefähr zwei Wochen in Radio Zvornik, Radio Loznica und im Belgrader Fernsehen mit unterschiedlichem Wortlaut wiederholt. Dieser Aufruf erzielte eine größere Wirkung auf die geflohene Bevölkerung als der vorangegangene zur Rückkehr an den Arbeitsplatz.43 Neben dem drohenden Verlust des Eigentums dürfte die auf den ersten Blick tatsächlich eingetretene "Normalisierung" der Lage für die auffallend hohe 41 Dies wird auch durch Ergebnisse der BIM-Studie bestätigt. Siehe auch "Chicago Tribune" vom 21.5.1992. 43 In der BIM-Studie erklärten mehr als die Hälfte der Befragten, daß sie vor ihrer endgültigen Flucht noch einmal in die Stadt zurückgekehrt sind. Bei der (offenen) Frage nach dem "Grund der Rückkehr" gaben von diesen rund zwei Drittel an, daß ein "Aufruf von serbischer Seite" ausschlaggebend bzw. mitentscheidend gewesen ist. 42 Zahl an zurückkehrenden Personen ausschlaggebend gewesen sein.44 Die Rückkehr hatte für die moslemischen Einwohner schwerwiegende Folgen. Denn erst jetzt konnte die "ethnische Säuberung" systematisch vorbereitet und durchgeführt werden. So kann von einer organisierten Form der Vertreibung der moslemischen Einwohner erst für die Zeit nach dem Fall Kulagrads gesprochen werden. Nach relativ kurzer Zeit, ungefähr um den 10. Mai, begann sich daher auch die Lage für die moslemischen Einwohner wieder zu verschlechtern. Es kamen neue paramilitärische Einheiten in die Stadt. Der Terror gegenüber der Zivilbevölkerung verstärkte sich wieder und die Deportationen von Männern in die Lager in Karakaj nahmen zu. Besonders SDA-Mitglieder wurden Opfer dieser Deportationen in eines der Lager in Karakaj oder nach Batkovic in der Nähe von Bijeljina. An den Übergriffen dürften regelmäßig auch die Miliz und andere einheimische Serben, die oft als SDS-Mitglieder bezeichnet wurden, beteiligt gewesen sein. Ein Verlassen der Stadt war in diesem Zeitraum kaum mehr möglich, weil an allen Ausfahrten der Stadt Checkpoints errichtet waren. Ende Mai/Anfang Juni dürfte eine weitere Verschärfung der Situation eingetreten sein. Dies wird von einigen Befragten mit dem Erscheinen der Draganovci in der Stadt in Zusammenhang gebracht. 44 Bei der (offenen) Frage nach dem "Grund der Rückkehr" gaben bei der BIM-Studie etwa 30% explizit an, daß sie (u.a.) wegen "Besitz", "Wertgegenstände", "Vermögen", "Haus" oder "Dokumente" zurückkamen. Zu beachten ist, daß die Behauptung, aufgrund des "Aufrufs von serbischer Seite" zurückgekehrt zu sein, oft die "Angst vor dem drohenden Verlust des Eigentums" schon beinhaltete. Vgl. dazu den genauen Wortlaut des Aufrufs zur Rückkehr. 7. VERTREIBUNG UND DEPORTATION Nach der "unorganisierten" Vertreibung der moslemischen Einwohner durch Terror begann jetzt ihre kontrollierte Vertreibung mit Hilfe administrativer Maßnahmen. Der erste Schritt dazu war der bereits erwähnte Aufruf zur Rückkehr. Die für eine Rückkehr erforderliche Registrierung des Eigentums, die von allen Einwohnern, auch den serbischen, vorgenommen werden mußte, diente vor allem als Grundlage für die Erfassung der männlichen moslemischen Bevölkerung. Daher durfte die Registrierung, die bei der "Serbischen Gemeinde" bzw. bei der "Serbischen Miliz" erfolgen mußte, nur durch die Männer vorgenommen werden, selbst wenn das Eigentum auf den Namen der Ehefrau eingetragen war. Auch bei dieser Registrierung kam es zu Verhaftungen und Deportationen in Lager, wobei die Auswahl der Personen anscheinend nach einer vorbereiteten Liste erfolgte. Weiters wurde eine "Agentur zum Häusertausch" geschaffen, der die moslemische Bevölkerung ihre Häuser übertragen sollte. Im Gegenzug wurden den Moslems Häuser bosnischer Serben (z.B. in der Region Tuzla) versprochen, die ihre Häuser angeblich ebenfalls der Agentur vermacht haben sollen. Um diesem "Angebot zum Häusertausch" mehr Gewicht zu verleihen, wurden über serbische Radiostationen Meldungen von bereits erfolgten Wohnungstauschaktionen prominenter moslemischer Einwohner gesendet, die sich oft als falsch herausstellten bzw. unter Zwang zustandegekommen waren. Verlassen werden durfte die Stadt von der moslemischen Bevölkerung nur unter der Bedingung, auf ihr Eigentum zu verzichten und es der "Serbischen Gemeinde Zvornik" zu überschreiben. Diese Zwangsüberschreibung wurde von der "Serbischen Gemeinde Zvornik" in Zusammenarbeit mit der Polizei und Freischärlern durchgeführt.45 Das typische Vorgehen der Behörden während der "ethnischen Säuberung" in den folgenden Wochen zu rekonstruieren, ist schwierig. Bei den, der Vertreibung vorangehenden, Maßnahmen der Zwangsregistrierung und der Zwangsüberschreibung des Eigentums gab es unterschiedliche Vorgangsweisen. Obgleich sich keine durchgehende Methodik erkennen läßt, wurde doch in vielen Fällen übereinstimmend vorgegangen: Nach der Rückkehr mußte zuerst die Registrierung vorgenommen werden. Diese hatte für die organisierten Deportationen vorerst keine Konsequenzen. Sie bildete aber die Voraussetzung für die spätere Zwangsüberschreibung des 45 In der BIM-Studie gaben 158 Personen aus Zvornik (506 Befragte) an, Zwangsüberschreibungen "selbst erlebt" zu haben. Zu beachten ist jedoch, daß 167 Personen bereits bis zum 31.Mai 1992 die Stadt "endgültig verlassen" hatten. Die Zwangsüberschreibungen dürften aber erst Ende Mai/Anfang Juni eingesetzt haben. Eigentums. Diese mußte ebenfalls beim SUP (Sekretariat für Innere Angelegenheiten) vorgenommen werden und erfolgte sehr häufig unmittelbar vor der tatsächlichen Deportation. Die Zwangsüberschreibung des Eigentums an die "Serbische Gemeinde Zvornik" ermöglichte es, eine Eintragung in den Personalausweis über einen Wohnortwechsel zu erhalten. Diese Eintragung war dann die Voraussetzung dafür, die Stadt überhaupt verlassen zu dürfen. Einige Vertriebene, vor allem Männer, mußten auch eine Bescheinigung vorlegen, daß sie "Blut gespendet" haben.46 An Dokumenten, um die Stadt verlassen zu können, waren somit erforderlich: • ein Ausweis, der die Bewegungsfreiheit auf dem Gebiet der "Serbischen Gemeinde Zvornik" zusicherte,47 • ein Abschnitt über die "Änderung des Wohnortes",48 • ein Personalausweis, in dem das Datum der Abmeldung von der Wohnadresse eingetragen wurde.49 Von Ende Mai bis Ende Juni wurde an manchen Tagen die moslemische Bevölkerung ganzer Stadtteile oder Dörfer der Umgebung deportiert.50 Diese Deportationen erfolgten angeblich mit Fahrzeugen der Firma "Drinatrans" nach Mali Zvornik und von dort weiter über Loznica nach Subotica51 oder aber auf das bosnische Territorium nach Tuzla. Es durften nur wenige persönliche Dinge mitgenommen werden. An den Checkpoints wurden nicht selten auch diese noch abgenommen. 46 Vielen der Internierten wurden zwangsweise große Mengen an Blut abgenommen. Es gibt Zeugenaussagen, die von Blutabnahmen bis zum Eintritt des Todes berichten. 47 Siehe Annex Nr. III, Dokument B. 48 Siehe Annex Nr. III, Dokumente C und D. 49 Siehe Annex Nr. III, Dokument E. 50 Im Rahmen der BIM-Studie gaben mehr als 50% derer, die im Juni 1992 die Stadt verließen, an, sie seien deportiert worden. 51 In einem Auffanglager in Subotica, in dem auch Serbisches Rotes Kreuz tätig war, wurden von einigen Vertriebenen auch Personen angetroffen, die schon an der Aggression in Zvornik beteiligt gewesen waren. In Subotica waren diese Personen z.B. mit der Ausgabe jugoslawischer Pässe an die Vertriebenen aus Zvornik beauftragt. 8. ANALYSE DER EREIGNISSE 8.1. Planung und Durchführung der militärischen Operationen Eine genaue Beurteilung, in welchem Ausmaß die ehemalige JNA in den Angriff auf Zvornik involviert war, ist nur bedingt möglich. Fest steht, daß Einheiten der ehemaligen JNA beteiligt waren. Nachrichtenamtliche Hinweise und der beobachtete Einsatz der Truppen zeigen zudem, daß selten ganze Brigaden, sondern in der Regel "Kampfgruppen" zum Einsatz kamen, die aus Teilen von Infanterie-, Artillerie- und Panzer-Einheiten gebildet wurden. Sicher ist der Einsatz einer Panzer-Einheit (bzw. von Teilen davon), die bis zum Winter 1991 in Jastrebarsko/Kroatien stationiert gewesen war und nach Auflassung der Stützpunkte der ehemaligen JNA in Kroatien dem 17. Korps Tuzla angegliedert wurde. Sie war in der nördlich von Zvornik gelegenen Ortschaft Celopek stationiert; einzelne Panzer dieser Einheit standen auch im Industrieviertel Karakaj und rückten bei Angriffsbeginn an den Stadtrand Zvorniks (Ortsteil Meterize) vor. Aus dem Umstand, daß Panzer-Einheiten grundsätzlich weniger personalintensiv sind als Infanterie-Einheiten, aber dafür eine bessere Ausbildung erfordern, läßt sich schließen, daß diese Einheit vor allem mit "regulären" JNA-Angehörigen besetzt war. Die auf der bosnischen Seite postierten Artillerie- und Fliegerabwehrstellungen können ebenfalls der ehemaligen JNA zugeordnet werden. Hinsichtlich der Infanterie-Einheiten, die von einem Teil der Vertriebenen der JNA zugeordnet wurden, gibt es Indizien dafür, daß diese sich nicht nur aus "regulären Angehörigen" der ehemaligen JNA und aus einberufenen Reservisten zusammensetzten, sondern vor allem auch aus "Freiwilligen". Mehrere Gründe sprechen für diese Einschätzung: Die ehemalige JNA hatte bereits während des Kroatien-Krieges, insbesondere nach dem Ende der militärischen Kampfhandlungen, unter einem großen Personalverlust zu leiden (vor allem deshalb, weil viele nicht-serbische Rekruten die Einberufung verweigerten und viele nicht-serbische Soldaten und Offiziere desertierten). Insbesondere für die personalintensiven Infanterie-Einheiten waren personelle Aufstockungen notwendig, wie etwa das Beispiel der in Zvornik zum Einsatz gekommenen, unvollständig besetzten Einheiten zeigt. Die von Befragten als "Infanterie-Offiziere" bezeichneten einheimischen SDS-Aktivisten dürften daher in Wahrheit "Offiziere der Reserve der JNA" oder "Offiziere der Territorialverteidigung" gewesen sein. Mehrere Befragte beobachteten, daß die Soldaten - nach Angaben einiger Befragter auch die Offiziere - bereits vor dem Angriff, also im März 1992, und während des Angriffs nicht mehr die Abzeichen der ehemaligen JNA auf ihren Uniformen trugen, sondern serbische Abzeichen und Kokarden. Die Fahrzeuge und Geräte hingegen trugen zu diesem Zeitpunkt noch die alten jugoslawischen Erkennungszeichen, was darauf schließen läßt, daß diese von der JNA zumindest zur Verfügung gestellt wurden. Weiters erfolgte die eigentliche Einnahme der Stadt nicht durch InfanterieEinheiten der JNA, sondern durch einen Stoßtrupp der Arkanovci, während die der JNA zugeordneten Infanterie-Einheiten erst später in deren Gefolge in die Stadt kamen. Die maßgeblichen Offiziere der ehemaligen JNA während des Angriffs waren Oberstleutnant Pejic und für den Zeitraum der Okkupation Oberst Marko Pavlovic, die für das militärische Oberkommando des Angriffs auf Zvornik verantwortlich zeichnen. Nach dem Fall Kulagrads, der endgültigen Festigung der "serbischen Herrschaft" über Zvornik, ist nach Angaben der Befragten das Oberkommando von Pejic auf Pavlovic übergegangen. Diese Funktionen entsprechen den letzten bekannten Aufgaben der beiden Offiziere in der ehemaligen JNA.52 Diese Tatsachen unterstützen aber auch eine weitere These, nämlich, daß die neu organisierten Einheiten den Grundstock der späteren "Serbischen Armee in Bosnien-Herzegowina" bildeten. Die "Serbische Armee in Bosnien-Herzegowina", wie die in Bosnien-Herzegowina verbliebenenen Angehörigen der ehemaligen JNA bezeichnet wurden, wurde offiziell erst am 5. Mai 1992 ins Leben gerufen. Der Angriff auf Zvornik fand aber bereits einen Monat vorher statt. Die Aufstellung und Ausrüstung dieser neuen Armee muß also nicht nur schon längere Zeit geplant gewesen - und zwar schon lange vor dem Angriff auf Bosnien-Herzegowina -, sondern spätestens schon im März 1992 erfolgt sein. Die lokalen zivilen Vorbereitungen für die Durchführung eines bevorstehenden Angriffs53 sowie die örtlichen Maßnahmen zum Aufbau einer serbischen "Territorialverteidigung" in Zvornik koinzidieren also nicht nur mit dem Aufbau der neuen "Serbischen Armee in Bosnien-Herzegowina". Diese "Territorialverteidigung" könnte die Basis für die inzwischen in Zvornik stationierte 36. Infanteriebrigade des Drina-Korps der "Serbischen Armee in Bosnien-Herzegowina" gebildet haben. Die Analyse dieser Faktoren läßt die Schlußfolgerung zu, daß der Angriff auf Zvornik von der ehemaligen JNA geplant, koordiniert und geleitet wurde. Als entscheidende Indizien für eine Involvierung überörtlicher und überregionaler militärischer bzw. politischer Institutionen dienen mehrere Tatsachen: 52 53 Siehe Punkt 4.1.2. Siehe Punkt 8.2. • Die Abstellung kriegserfahrener Kommandeure nach Zvornik schon vor dem Angriff. Die beiden maßgeblichen Offiziere Pejic und Pavlovic waren bereits an den Kämpfen in Kroatien beteiligt gewesen. • Die Rekrutierung und Stationierung von Infanterie-Reservisten in einer improvisierten Kaserne in Celopek in der Nähe von Zvornik schon geraume Zeit vor dem Angriff. • Die Kooperation mit den geschulten Kämpfern der Arkanovci, die eine schnelle und radikale Einnahme der Stadt durchführten. • Die Teilnahme von Freischärler-Einheiten aus nahegelegenen Städten in Serbien, die in ihrem Umfang auch vorheriger Vorbereitung bedurfte. • Die Kennzeichnung der am Angriff beteiligten Soldaten. Sie trugen nach übereinstimmenden Aussagen bereits serbische Abzeichen und Fahnen auf ihren Uniformen und nicht die alten jugoslawischen Embleme. • Die Stationierung von JNA-Einheiten aus unterschiedlichen Korps, die alle dem 1. Militärbezirk Belgrad unterstanden, sowohl auf der bosnischen als auch auf der serbischen Seite der Drina. • Die Demission des Obersten Befehlshabers des Korps Tuzla, General Jankovic, im Mai 1992 sowie die Tatsache, daß sowohl Offiziere als auch militärisches Gerät der JNA beim Angriff eingesetzt waren, könnte auch als ein Indiz dafür gelten, daß unter Ausschaltung des eigentlichen Vorgesetzten in Tuzla der Angriff auf Zvornik mit der Belgrader Militärführung koordiniert gewesen sein könnte. Der Angriff auf Zvornik wurde durch Artillerie- und Panzersperrfeuer der ehemaligen JNA sowohl von serbischem als auch von bosnischem Territorium aus eingeleitet, das die Einnahme der Stadt durch Einheiten der Arkanovci unterstützte. Nach Angaben mehrerer Befragter waren die Zerstörungen durch Artillerie- und Panzerbeschuß aber eher gering. Es wurde nicht darauf abgezielt, die Stadt zu zerstören, sondern der Beschuß diente dazu, allenfalls aufflackernden Widerstand von vornherein zu unterbinden sowie die Bevölkerung einzuschüchtern und zu terrorisieren. Die Einnahme der Stadt erfolgte offenbar durch die Kerntruppe der Arkanovci. Für diese These spricht, daß Angehörige der Arkanovci, die die Stadt eingenommen haben, einige Tage später die Stadt wieder verließen, andere dagegen in der Stadt verblieben bzw. weitere hinzustießen. Die Einnahme der Stadt könnte dementsprechend durch eine bestimmte Kampfgruppe erfolgt sein, die bereits Bijeljina eingenommen hatte und kurze Zeit nach Zvornik auch Bratunac besetzte. Die weiteren paramilitärischen Einheiten kamen erst in einer "zweiten Welle" in die Stadt. Unter ihnen befanden sich an vorderster Front die Seseljevci mit den Beli Orlovi und die "Serbische Territorialverteidigung" der SDS mit "Freiwilligen" aus umliegenden, mehrheitlich serbisch bewohnten Ortschaften der Region Zvornik und der angrenzenden Regionen. Welche Gruppen ab der Okkupation Zvorniks in den einzelnen Phasen die militärische Kontrolle über die Stadt ausübten, ist schwer einzuschätzen. Generell wird die oberste Kontrolle häufig der JNA zugeordnet und dabei - wie schon erwähnt - mit den Namen Pejic und Pavlovic verbunden. Daß diese ehemalige JNA-Offiziere waren, könnte viele Vertriebene dazu bewogen haben, die oberste Kontrolle der JNA zuzuschreiben. Die beiden Offiziere hatten zwar sehr wohl die oberste militärische Kontrolle der Stadt inne, aber womöglich nicht mehr als JNA-Offiziere, sondern als Offiziere einer neuen, von lokalen Führern aufgebauten "Territorialverteidigung", die später in Zvornik - wie bereits erwähnt - den Grundstock der ab Mai 1992 offiziell deklarierten "Serbischen Armee in Bosnien-Herzegowina" gebildet haben könnte. Es liegt aber die Vermutung nahe, daß die Verantwortlichkeiten und damit die Macht in der Stadt geteilt wurden. Zumindest bis zum Fall Kulagrads schienen sich die Offiziere der ehemaligen JNA (Pejic und Pavlovic) und die SDS (Grujic) die Macht mit der Miliz geteilt zu haben. Diese These wird aber dadurch relativiert, daß von nahezu allen Befragten angegeben wurde, daß die einzelnen paramilitärischen Einheiten in den Straßen Zvorniks vollkommene Handlungsfreiheit (Terror der Zivilbevölkerung, willkürliche Erschießungen und Verhaftungen, Plünderungen, etc.) hatten. Die Einheiten der JNA beteiligten sich während der gesamten Zeit nach Angaben der Befragten mit Ausnahme von Plünderungen in nur geringem Ausmaß an Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen. Das Bewachungspersonal in den Lagern, in denen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, rekrutierte sich zum Teil aus Angehörigen von JNA-Einheiten. Hierbei war nicht zu klären, ob dies reguläre Einheiten, einberufene Reservisten oder Angehörige der "Territorialverteidigung" waren. Vieles spricht dafür, daß die offenbar vollkommene Handlungsfreiheit der paramilitärischen Einheiten ein "toleriertes Chaos" darstellte, da die potentiellen Autoritäten der JNA und der einheimischen Miliz von den gewalttätigen paramilitärischen Einheiten nicht als solche respektiert wurden. Vor allem die Arkanovci agierten weitgehend autonom und haben sich kaum der Autorität der JNA-Offiziere oder der lokalen Autoritäten gebeugt. Insgesamt erwecken die Schilderungen der Befragten den Eindruck, daß von den einzelnen paramilitärischen Einheiten nur der jeweilige "Führer" als Autorität anerkannt wurde und daß viele der Freischärler ihre Handlungsfreiheit als eine "Art Entlohnung" ihrer Arbeit verstanden. Allerdings könnte aber gerade dieser Umstand darauf hindeuten, daß die undurchschaubaren Machtverhältnisse die Verantwortlichkeiten für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verschleiern helfen sollten. Zu diesem Zeitpunkt schien dieses gewalttätige Chaos aber noch nicht mit der Zielsetzung verbunden gewesen zu sein, durch den Terror, den die paramilitärischen Gruppen verbreiteten, die moslemischen Einwohner zu vertreiben. 8.2. Vorbereitung des Angriffs auf Zvornik und nachfolgende Kontrolle der Stadt auf ziviler Ebene Der Angriff auf Zvornik scheint auch auf ziviler Ebene logistisch vorbereitet worden zu sein. Im Februar soll etwa ein LKW Uniformen und Waffen zu dem SDS-Aktivisten Bosko Ceranic gebracht haben. Von einem weiteren Befragten wurde berichtet, daß Vojislav Seselj am 25. März 1992 Ceranic besucht und Waffen in die Kirche von Scemlije gebracht haben soll. Zu den zivilen Vorbereitungen gehörte auch eine "Evakuierungsübung" am letzten oder vorletzten Wochenende im März 1992. Am Freitag vor diesem Wochenende verließ, für die moslemischen Einwohner Zvorniks überraschend, der größte Teil der serbischen Familien die Stadt und kehrte erst am Montag wieder zurück. Die örtlichen Vertreter der SDS, die auch über Kontakte zu Seselj´s "Radikaler Partei" in Serbien verfügt haben sollen, haben bereits in den Monaten vor dem Angriff die Vorbereitungen für eine Machtübernahme getroffen. Im Herbst 1991 erklärten sie Zvornik der "Autonomen Serbischen Region Semberija und Majevica" zugehörig. Kurze Zeit vor dem Angriff wurden von Vertretern der lokalen SDS Forderungen nach einer Teilung der Stadt nach ethnischen Gesichtspunkten laut. Die Vorbereitungen für den Angriff schienen in Zusammenarbeit mit regionalen Wirtschaftsführern vor sich gegangen zu sein. Der Direktor des größten Arbeitgebers vor Ort, der Firma "Birac", Jefto Subotic, wurde im Herbst 1991 in der Presse beschuldigt, der SDS große Mengen Treibstoff zur Verfügung gestellt zu haben. Die Fahrzeuge, mit denen die Barrikaden kurz vor dem Angriff von serbischer Seite bei Meterize errichtet wurden, gehörten der Firma "Boksit" aus Milici ca. 30 km südlich von Zvornik. "Boksit" war ein wichtiger Zulieferbetrieb für "Birac" und wie "Birac" ein Teil von "EnergoInvest". Der Direktor dieser Firma, Rajko Dukic, soll im geschäftsführenden Vorstand von "Birac" gewesen sein. Bosko Milic, der Direktor der Trans- port-Firma "Drina-Trans" könnte ebenfalls zu diesem Kreis gehört haben. Er wird ebenso wie Subotic beschuldigt, vor dem Angriff Waffen ausgeteilt zu haben. Außerdem soll er an den "Kapitulationsverhandlungen" in Mali Zvornik teilgenommen haben. Mit Fahrzeugen seiner Firma wurden die Vertriebenen entweder zum Deportationssammelort gebracht oder von Zvornik nach Serbien deportiert. Die Kontrolle der Stadt lag nach deren Einnahme zuerst beim "Krisenstab", dessen Vorsitzender Dragan Spasojevic (Angehöriger der Miliz und SDS aus Boskovici in der Nähe von Zvornik) gewesen sein soll. Kurz danach wurde Branko Grujic zum "Präsidenten des Serbischen Bezirks Zvornik" ernannt. Zu den Vorbereitungen auf ziviler Ebene gehörte auch der Aufbau einer neuen "Territorialverteidigung" durch Verantwortliche der SDS. Dieser Aufbau erfolgte aber in Kooperation mit der JNA, die diese "Territorialverteidigung" ausgebildet haben soll. Die Verknüpfung von militärischen und zivilen Strukturen kann als ein weiteres Indiz für die Planung des Angriffs interpretiert werden.54 Jedenfalls trugen der Aufbau der "Territorialverteidigung" und die Kooperation mit der JNA wesentlich zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Auch könnte die Existenz der "Territorialverteidigung" als semioffizielle militärische Organisation der bosnischen Serben deren Teilnahme an späteren militärischen und gewalttätigen Aktionen gegenüber der Zivilbevölkerung legitimiert haben. Die militärischen Einsätze gegen die von moslemischen Verteidigern gehaltene Stellung auf Kulagrad, die nach dem 11. April erfolgten, wurden vor allem von der "Territorialverteidigung" und "Freiwilligen" aus Serbien und umliegenden Ortschaften durchgeführt. Beim entscheidenden Angriff auf Kulagrad sind "Territorialverteidigung" und Beli Orlovi nach dem Panzervorstoß zum Einsatz gekommen. 8.3. Systematik der Vertreibung und Deportation Wie bereits erwähnt, kann der endgültigen Vertreibung der nicht-serbischen Einwohner Zvorniks in Vorbereitung und Durchführung eine gewisse Planung unterstellt werden, die erst mit dem Aufbau einer Verwaltung durch die SDS möglich wurde. Der erste Schritt dazu war - paradoxerweise - der Aufruf zur Rückkehr an die geflohenen moslemischen Einwohner. In diesem Aufruf wurden sie aufgefordert, wieder zurückkehren, da sich die Lage beruhigt bzw. normalisiert hätte und die Einwohner bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (wahrscheinlich 54 Näheres zur "Territorialverteidigung" siehe Punkt 4.2.2. 15. Mai) in die Stadt zurückzukehren hätten und ihr Eigentum registrieren lassen müßten, da sie sonst jeglichen Anspruch auf ihr Eigentum verlieren würden. Als nächster Schritt folgte die Registrierung des Eigentums mit der primären Zielsetzung, eine Evidenz der Männer zu erstellen. Der in der Folge zunehmende Terror paramilitärischer Einheiten war die Vorbereitung für die endgültige, gewaltsame Vertreibung der moslemischen Einwohner Zvorniks. Einige Zeit später, gegen Ende Mai/Anfang Juni 1992 setzten zwangsweise Deportationen ein, in deren Vorfeld die Zwangsüberschreibung des Eigentums vorgenommen werden mußte, ohne die ein Verlassen der Stadt nicht mehr möglich war. Die Miliz hatte die Aufgabe, die Zwangsüberschreibungen zu organisieren, während die anschließenden gewaltsamen Vertreibungen in Zusammenarbeit mit paramilitärischen Einheiten durchgeführt wurden. Es erweist sich, daß die beschriebenen Maßnahmen eine weitgehende Zielsetzung verfolgten: Die systematische Vertreibung der moslemischen Einwohner. Denn erst die Rückkehr, die Registrierung des Eigentums und die dadurch möglich gewordene "Sammlung" der moslemischen Einwohner nicht nur der Stadt, sondern der ganzen Region Zvornik, erlaubten ihre totale und endgültige Vertreibung. Jetzt war es den Aggressoren nicht nur möglich, die Betroffenen in organisierter und umfassender Art und Weise aus dem Stadtgebiet Zvorniks zu entfernen, sondern sie sogar über die Landesgrenzen des ehemaligen Jugoslawiens hinaus zu deportieren. Die geographische Lage Zvorniks als Grenzstadt zu Serbien erlaubte es den bosnisch-serbischen Verantwortlichen, die Menschen unproblematisch aus Bosnien-Herzegowina und dann weiter in ein anderes Land zu verbringen. Die Massendeportationen, die mit Bussen durchgeführt wurden, brachten die Vertriebenen bis nach Subotica an die serbisch-ungarische Grenze. Dort wurde vielen von ihnen beim Serbischen Roten Kreuz ein "jugoslawischer Paß" ausgestellt, mit dem sie - zum größten Teil in Korridorzügen - via Ungarn nach Österreich geschickt wurden. Ein solches Vorgehen impliziert nicht nur eine lokale Planung und Vorbereitung, sondern eine systematische Vorgangsweise, die zumindest in Absprache mit überregionalen Institutionen erfolgt sein muß.55 55 Ein Vergleich mit anderen Regionen, in denen "ethnische Säuberungen" stattgefunden haben, könnte zeigen, ob diese "Politik" der systematischen Vertreibung generell eingesetzt wurde. 9. DIE STRAFBARKEIT "ETHNISCHER SÄUBERUNGEN" NACH INTERNATIONALEM HUMANITÄREM RECHT 9.1. Einleitende Bemerkungen Derzeit sind zwei Gerichte der Vereinten Nationen mit der Feststellung bzw der Verfolgung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien - und damit auch mit der Frage der Völkerrechtswidrigkeit "ethnischer Säuberungen" - befaßt: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) und das ebenfalls in Den Haag eingerichtete Internationale Tribunal zur Verfolgung von Verletzungen des internationalen humanitären Rechts im ehemaligen Jugoslawien (Tribunal). Während der IGH über eine Klage Bosniens zu entscheiden hat, ob Restjugoslawien seinen Verpflichtungen aus der UN-Völkermordkonvention nachgekommen ist,56 legt das vom UN-Sicherheitsrat genehmigte Statut des Tribunals fest,57 daß dieses Personen individuell zu verfolgen hat, die gegen bestimmte Normen der Genfer Rotkreuzabkommen, des internationalen Kriegsrechts, der Völkermordkonvention verstoßen bzw genauer bezeichnete Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.58 56 In diesem Verfahren erging am 8. April 1993 eine Entscheidung über die Anordnung vorläufiger, auf die Völkermordkonvention gestützter, Maßnahmen, ohne daß damit vom IGH endgültig über die Anwendbarkeit der Konvention in diesem Verfahren abgesprochen worden wäre; siehe AJIL 1993 (Vol. 87), 505 ff. Der IGH entschied einstimmig, daß die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen hat, die in ihrer Macht stehen, um die Begehung von Völkermord zu verhindern; mit 13:1 Stimmen, daß die Regierung sicherzustellen hat, daß alle militärischen, paramilitärischen oder irregulären bewaffneten Verbände, die von ihr geführt oder unterstützt werden, genauso wie alle Organisationen und Personen, die ihrer Kontrolle, Leitung oder ihrem Einfluß unterliegen, keinen Völkermord begehen, gleichgültig, ob sich dieser gegen die muslimische Bevölkerung oder eine andere nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe richtet. 57 Siehe die Wiedergabe des Statuts in ILM 1993 (Vol 32), 1192 ff; vgl dazu O´Brien, The International Tribunal for Violations of International Humanitarian Law in the Former Yugoslavia, AJIL 1993 (Vol. 87), 639 ff; Hollweg, Das neue Internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt - Testfall für die humanitäre Weltordnung, JZ 1993, 980 ff; Meron, War Crimes in Yugoslavia and the Development of International Law, AJIL 1994 (Vol. 88), 78 ff. 58 Nach Auffassung des UN-Generalsekretärs soll das Tribunal dabei allerdings nur diejenigen Regeln des internationalen humanitären Rechts anwenden, an die nach völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht alle Staaten gebunden sind, gleichgültig, ob sie die betreffenden internationalen Abkommen ratifiziert haben oder nicht, damit sich das Problem der Anwendbarkeit der genannten Abkommen erst gar nicht stellt: siehe den Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), UN Doc. S/25704 and Annex , Z. 34; wiedergegeben in ILM1993 (Vol. 32), 1159 ff (1170), und 1192 ff (1993). Das ehemalige Jugoslawien hat allerdings sowohl die Genfer Rotkreuz-Abkommen als auch die Völkermordkonvention ratifiziert und sogar in "vorbildlicher Weise internationales Strafrecht umgesetzt", so Hollweg (Fn 57), 985; die Nachfolgestaaten Im folgenden geht es nicht um die Frage, welche Bestimmungen des internationalen humanitären Rechts insgesamt durch die im Rahmen dieser Studie untersuchte "ethnische Säuberung" verletzt worden sein könnten. Dieser Aufgabe hat sich bereits die UN-Expertenkommission, die aufgrund einer Resolution des Sicherheitsrats zur Erhebung von Beweisen über schwere Verletzungen der Genfer Rotkreuz-Konventionen59 und anderer Verletzungen des internationalen humanitären Rechts im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens eingesetzt wurde,60 unterzogen.61 Da der Begriff der "ethnischen Säuberung" in den einschlägigen internationalen Übereinkommen nicht vorkommt, erhebt sich aber die Frage, ob und wenn ja unter welche Tatbestände des internationalen humanitären Rechts der Sachverhalt der "ethnischen Säuberung" selbst in seiner Gesamtheit subsumiert werden könnte. 9.2. Zum Begriff "ethnische Säuberung" In ihrem Abschlußbericht hat die UN-Expertenkommission zum relativ neuen Begriff der "ethnischen Säuberung" ("ethnic cleansing") festgestellt, daß darunter eine vorsätzliche Politik einer ethnischen oder religiösen Gruppe zu verstehen ist, um mit gewalttätigen und terroristischen Mitteln die Zivilbevölkerung einer andern ethnischen oder religiösen Gruppe aus einem bestimmten Gebiet zu entfernen. Ziel einer solchen Politik ist die Okkupation des betreffenden Gebietes unter Ausschluß der vertriebenen Gruppe.62 Der Abschlußbericht der Kommission macht deutlich, daß "ethnische Säuberung" kein Synonym für "Vertreibung" etwa im Sinne des Art. 49 des IV. Genfer Rotkreuz-Abkommens ist, sondern weit darüber hinausgeht. Eine "ethnische Säuberung" umfaßt "Massenmorde; Folter; Vergewaltigung und andere Formen sexueller Nötigung; schwere Körperverletzungen von Zivilisten; Mißhandlung ziviler Gefangener und Kriegsgefangener; Verwendung von Zivilisten als menschliche Schutzschilde; Zerstörung von privatem und öfdürften in diese völkerrechtlichen Verpflichtungen eingetreten sein, so jedenfalls Hollweg (Fn 57), ibid. 59 Siehe den Text dieser Abkommen und der beiden dazu ergangenen Zusatzprotokolle in Schriften des Deutschen Roten Kreuzes (Hrsg), Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949, 8. Auflage, 1988. 60 UN-Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992) of 6 October 1992. 61 Final Report of the Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), S/1994/674 of 27 May 1994 (im folgenden: Abschlußbericht), Z. 41 -109. 62 Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z.129-150 (130). In ihrem Ersten Zwischenbericht hat die Kommission noch ausgeführt, daß dieser Begriff dann Verwendung findet, wenn aus einem ethnisch homogenen Gebiet Angehörige der betreffenden ethnischen Gruppe durch Gewaltanwendung oder Einschüchterung entfernt werden (First Interim Report of the Commisson, UN Doc. S/25274, Z. 55). Im Schrifttum finden sich erst vereinzelt Definitionsversuche; vgl etwa Hollweg (Fn 57), 985 Fn 48: "´Ethnische Säuberung´ verstanden als eine kollektive, ethnisch begründete Vertreibung von Menschen aus ihren angestammten Wohn- und Siedlungsgebieten." fentlichem Eigentum und Kulturgütern; Plünderung, Diebstahl und Raub von privatem Eigentum; Zwangsenteignungen von Grundstücken und Häusern; gewaltsame Vertreibung der Zivilbevölkerung; sowie Angriffe auf Spitäler, medizinisches Personal und Anlagen, die mit dem Rotem Kreuz bzw dem Roten Halbmond gekennzeichnet sind".63 Viele dieser Akte wurden nach Ansicht der Kommission mit extremer Brutalität und Grausamkeit in der Absicht gesetzt, unter der Zivilbevölkerung Terror auszuüben.64 In ihrem Ersten Zwischenbericht hat die Kommission noch folgende weitere Maßnahmen als Ausdrucksformen "ethnischer Säuberungen" bewertet: (Einzel)Mord, willkürliche Anhaltung und Inhaftierung, außergerichtliche Hinrichtungen, Konfinierung der Zivilbevölkerung in "Ghettos", Zwangsumsiedlung und Deportation der Zivilbevölkerung sowie vorsätzliche militärische Angriffe und Angriffsdrohungen gegen Zivilisten und zivile Areale.65 Die Untersuchungen des BIM haben ergeben, daß in der Region Zvornik von April bis Juni 1992 folgende Maßnahmen und Handlungen gegen die dort ansässige muslimische Zivilbevölkerung gesetzt wurden: Massen- und Einzelmorde, willkürliche Massen- und Einzelexekutionen, Folterungen, physische und psychische Mißhandlungen, Vergewaltigungen, Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen und Anhaltungen, Terrorakte in Form von Bedrohungen, militärische Angriffe auf die Zivilbevölkerung und auf zivile Objekte, Plünderungen, mutwillige Zerstörung von Eigentum, Zwangsenteignungen, Zwangsüberschreibung von Grundeigentum und schließlich Massendeportationen und Massenvertreibungen66. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen und Handlungen sowie die Systematik und die Konsequenz, mit der die Deportationen und Vertreibungen durchgeführt wurden,67 lassen darauf schließen, daß der Zweck verfolgt wurde, eine Rückkehr der muslimischen Bevölkerung zu verhindern.68 Die (allerdings erst später einsetzende) Zerstörung muslimischen Kulturgutes beweist, daß es den Aggressoren offenbar auch darum ging, jegliche Erinnerung an die kulturelle Existenz der vertriebenen Volksgruppe auszulöschen.69 63 Siehe den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 134. Ibid, Z. 135. 65 Siehe den Ersten Zwischenbericht der Kommission (Fn 62), Z. 56. 66 Der Unterschied besteht nach Ansicht der Autoren darin, daß unter "Deportation" die organisierte Verschickung von Menschen zu verstehen ist, unter "Vertreibung" dagegen die Ausübung physischer und/oder psychischer Gewalt, die zum Verlassen eines Gebietes zwingt. 67 Siehe dazu auch den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 140 und 142. 68 Siehe in diesem Sinn auch den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 135. 69 Nach Auffassung der Kommission in ihrem Abschlußbericht (Fn 61), Z. 136, "lag der Zweck der Zerstörungen in der Ausrottung der kulturellen, sozialen und religiösen Spuren, die ethnische und religiöse Gruppen identifizieren". 64 Mit diesen Zielsetzungen gewinnen "ethnische Säuberungen" über die Gesamtheit der einzelnen Maßnahmen und Handlungen hinausgehend nach Auffassung der Autoren eine eigene, rechtlich relevante Qualität. Fraglich ist, ob - und wenn ja - welche rechtlichen Konsequenzen sich an diese Qualität knüpfen.70 Wie bereits ausgeführt, bilden "ethnische Säuberungen" keinen eigenen, expliziten Tatbestand des internationalen humanitären Rechts. Dennoch eröffnen sich zwei Möglichkeiten, den Sachverhalt "ethnische Säuberung" ohne Aufsplittung in Einzeltaten unter internationale Strafrechtstatbestände zu subsumieren.71 9.3. Erfüllen "ethnische Säuberungen" den Tatbestand des Völkermordes? Nach Artikel II der Völkermordkonvention wird unter "Völkermord" unter anderem die "vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen" verstanden; vorausgesetzt, diese Handlung wird in der Absicht begangen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Unbeachtlich ist dabei, ob die inkriminierten Taten während eines internationalen oder eines innerstaatlichen Konflikts begangen wurden.72 Nach der vorliegenden Untersuchung dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß mit der Politik der "ethnischen Säuberungen" die muslimische Volksgruppe "Lebensbedingungen" ausgesetzt wurde, die "geeignet" waren, ihre "körperliche Zerstörung" "ganz oder teilweise herbeizuführen". Insoweit wäre nach Auffassung der Autoren eine Voraussetzung des Straftatbestands "Völkermord" erfüllt. Offen bleibt allerdings die schwierig zu beantwortende Frage, ob die "ethnischen Säuberungen" "in der Absicht" begangen wurden, die muslimische Volksgruppe, die eine nach der Völkermordkonvention geschützte Gruppe ist,73 "ganz oder teilweise zu zerstören". Damit werden nämlich die schwer nachzuweisenden, persönlichen Motive der mutmaßlichen Täter zum entscheidenden Kriterium der Urteilsfindung. Allerdings könnte eine nachgewiesene bewußte Teilnahme an den systematisch geplanten und durchgeführten "ethnischen Säuberungen" gegebenenfalls die Annahme 70 Einen ausgezeichneten Überblick über das im vorliegenden Zusammenhang anzuwendende internationale humanitäre Recht enthält der Abschlußbericht der Komission (Fn 61) in Z. 41-109. Siehe dazu aber auch Hollweg (Fn 57) und Meron (Fn 57). 71 Diese Möglichkeit deutet die Kommission auch in ihrem Abschlußbericht (Fn 61), Z. 150, an. 72 So auch die Kommission in ihrem Abschlußbericht (Fn 61), Z. 42. Grundsätzlich bejahte die Kommission die Frage, ob die auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens ausgetragenen Konflikte über einen internationalen Charakter verfügen (Z. 44); siehe dazu Meron (Fn 57), 81 f. 73 Siehe den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 95. rechtfertigen, daß die betreffenden Personen vorsätzlich gehandelt haben.74 Mit der Anordnung vorläufiger Maßnahmen aufgrund der Völkermordkonvention im Verfahren über die Klage Bosnien-Herzegowinas gegen Jugoslawien (Serbien und Montenegro)75 geht auch der IGH von der Möglichkeit aus, daß in Bosnien-Herzegowina Völkermord verwirklicht wurde.76 Die UN-Expertenkommission vertritt die Auffassung, daß die militärischen und politischen Führer, die für die "ethnischen Säuberungen" verantwortlich zeichnen, im Verdacht stehen, Völkermord begangen zu haben.77 Selbst wenn man der Ansicht nicht folgen sollte, daß die "ethnischen Säuberungen" per se den Tatbestand des Art II lit c der Völkermordkonvention erfüllen, so könnten - folgt man den Angaben der befragten Zeugen - mit der Tötung von Angehörigen der muslimischen Volksgruppe und der Verursachung schweren körperlichen oder seelischen Schadens an ihnen die Tatbestände des Völkermords im Sinne der lit a und b des Art II der Konvention erfüllt worden sein. 9.4. Sind "ethnische Säuberungen" "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ? Die zweite Überlegung besteht darin, ob nicht "ethnische Säuberungen" per se als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" im Sinne des Art 5 des Statuts des Internationalen Tribunals betrachtet werden können. Dazu zählen in demonstrativer Aufzählung Mord, Vernichtung, Versklavung, Deportation, willkürliche Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung, Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen sowie - als eine Art "Generalklausel"78 - "andere unmenschliche Akte", wenn sie in einem bewaffneten internationalen oder innerstaatlichen Konflikt79 gegen eine Zivilbevölkerung begangen werden. Die Verfolgung dieser Verbrechen geht auf das Nürnberger Militärtribunal zurück und betrifft anerkannte, gewohnheitsrechtliche Prinzipien internationalen Rechts, die erga omnes anzuwenden 74 Siehe dazu O´Brien (Fn 57), 648. Siehe Fn 54. 76 Siehe dazu auch O´Brien (Fn 57), 648 Fn 36. 77 Siehe den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 150. 78 Diese "Generalklausel ist freilich keine unbegrenzte: nur im Rahmen gesicherten völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts wäre eine Weiterentwicklung möglich; siehe dazu den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 81. 79 Siehe dazu den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 75 und 76, wo die Kommission festhält, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber nicht länger nur in Verbindung mit Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden gesehen werden dürfen. Dazu sowie zur Frage, ob diese Verbrechen einen direkten Zusammenhang mit Kampfhandlungen haben müssen, oder ob es genügt, wenn sie "während" eines bewaffneten Konflikts begangen werden, oder ob diese Verbindung überhaupt entfallen kann, siehe ausführlich O´Brien (Fn 57), 649 ff, sowie Meron (Fn 57), 84 ff, beide mit weiteren Nachweisen. 75 sind.80 Im Gegensatz zum Völkermord ist bei der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit Vorsatz nicht erforderlich.81 Wohl aber müssen die erwähnten Taten systematisch oder organisiert begangen worden sein, damit sie als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" qualifiziert werden können,82 ein Kriterium, daß im Fall Zvorniks nach den vorliegenden Untersuchungen wohl als erfüllt anzusehen sein wird. So wie im Zusammenhang mit Völkermord stehen nach Auffassung der Kommission die militärischen und politischen Führer im Verdacht, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.83 Ob Regierungen in diese Verbrechen involviert sein müssen, damit diese als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gelten, ist umstritten.84 Es wäre nun möglich, die "ethnischen Säuberungen" als "Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen" im Sinne der lit h des Art 5 des Statuts des Tribunals zu begreifen. Zwar setzen sich "ethnische Säuberungen" im Kern ohnehin aus denjenigen Verbrechen zusammen, die den Tatbeständen der lit a - g des Art 5 des Statuts entsprechen. Insoweit wäre eine Verselbständigung des Sachverhalts "ethnische Säuberung" im Rahmen des Tatbestands der lit h nicht erforderlich. Kritisch könnte sogar eingewendet werden, daß der allein mit dieser Subsumtion verknüpfte Vorwurf weniger gewichtig ist als die Heranziehung sämtlicher zutreffender Tatbestände der lit a - g. Der Vorteil dieser Vorgangsweise wäre aber hingegen, diejenigen anderen Sachverhaltselemente, die von den lit a - h nicht erfaßt sind, aber Bestandteile einer Politik der "ethnischen Säuberungen" bilden, wie militärische Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Objekte, die Ausübung von Terror gegenüber der Zivilbevölkerung, die Zufügung von nicht unter den Begriff der "Folter" fallendem körperlichem und seelischem Leid, Verwüstungen und Plünderungen usw., als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahnden zu können. Folgt man dieser Auffassung nicht, so verbleibt aber jedenfalls die Möglichkeit, neben der Verfolgung der Verbrechen gemäß den lit a - g des Art. 5 des Statuts des Tribunals, die weiteren Erscheinungsformen der "ethnischen Säuberungen" als Verfolgungshandlungen der lit h zu betrachten, womit im Ergebnis das gesamte "Szenario" ethnischer Säuberungen nach internationalem Strafrecht erfaßt wäre. 80 Hinsichtlich des Umfangs der Geltung dieser Prinzipien als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht sind Bedenken angemeldet worden: siehe dazu insbesondere Hollweg (Fn 57), 986 f. 81 Vgl den Abschlußbericht der Komission (Fn 61), Z. 83. Zur Erfüllung des Tatbestands genügt es zum Beispiel bereits, wenn die inkriminierten Taten im Gefolge von militärischen Kampfhandlungen in Kauf genommen werden. 82 Siehe den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 84-86, sowie O´Brien (Fn 57), 648 f. 83 Vgl den Abschlußbericht der Kommission (Fn 61), Z. 150. 84 Siehe dazu O´Brien (Fn 57), 648 f mit Nachweisen. 10. ZUSAMMENFASSUNG DER ANALYSEN Aufgrund der vorliegenden Fakten kann zusammenfassend festgestellt werden, daß der Angriff auf die nordostbosnische Stadt Zvornik militärisch von längerer Hand geplant und unter massiver Beteiligung von JNA-Einheiten und paramilitärischer Kampf- und Terrorverbände exekutiert wurde. Umfang und Systematik der Operation lassen darauf schließen, daß sie von einer übergeordneten militärischen und politischen Führung angeordnet wurde. Viele Umstände sprechen auch dafür, daß die Vertreibung der moslemischen Einwohner nicht nur von lokalen serbischen Autoritäten erwünscht, vorbereitet und durchgeführt wurde, sondern daß diese "ethnische Säuberung" zumindest mit Wissen und Duldung dieser übergeordneten Instanzen erfolgte. Geht man von den Angaben der befragten Zeugen aus, so dürfte an der moslemischen Volksgruppe in der Stadt Zvornik Völkermord durch die Tötung von Angehörigen dieser Volksgruppe und durch die Verursachung schweren körperlichen und seelischen Schadens an ihnen begangen worden sein. Auch mit der willkürlichen Inhaftierung zahlreicher Menschen dieser Gruppe in Lager, in denen gefoltert wurde, sowie mit der Deportation des Großteils der moslemischen Bevölkerung Zvorniks dürften dieser Volksgruppe Lebensbedingungen auferlegt worden sein, die im Sinne der Völkermordkonvention "geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen". Die aufgrund der Befragung festgestellten Ereignisse, wie insbesondere Mord, Deportation, willkürliche Gefangennahme, Folter und Vergewaltigung, können auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts gewertet werden. Vorgeschlagen wird, auf interpretativem Weg "ethnische Säuberungen" in ihrer Gesamtheit als Völkermord und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des internationalen humanitären Rechts zu qualifizieren. ORTSVERZEICHNIS Bijeljina Stadt in Bosnien-Herzegowina. Ca. 40 km nördlich von Zvornik gelegen. Sie wurde gut eine Woche vor Zvornik angegriffen und von den Arkanovci eingenommen. Bratunac Stadt in Bosnien-Herzegowina. Ca. 30 km südlich von Zvornik gelegen. Sie wurde kurze Zeit nach Zvornik von den Arkanovci eingenommen. Bukovik Stadtteil von Zvornik. Celopek Nördlich vom Industriegebiet Karakaj gelegene Gemeinde mit serbischer Bevölkerungsmehrheit. Debelo Brdo Hügel nordwestlich von Zvornik. Divic Südlich von Zvornik gelegene Ortschaft mit moslemischer Bevölkerungsmehrheit. Beim Ort befindet sich auch ein Wasserkraftwerk und ein Staudamm. Hrid Stadtteil von Zvornik. Jardan Gemeinde zwischen Zvornik und Karakaj, bestehend aus den Ortschaften Jardan und Lipovac mit knapper serbischer Bevölkerungsmehrheit. Karakaj Nördlich von Zvornik gelegenes Industriegebiet. Kulagrad Südwestlich von Zvornik gelegene Siedlung mit einer gleichnamigen mittelalterliche Festung auf dem Hügel Kula. Liplje Südwestlich von Zvornik gelegene Ortschaft. Lisisnjak Stadtteil von Zvornik (überwiegend von Serben bewohnt). Loznica Stadt in Serbien. Scemlije Nordwestlich von Zvornik gelegene Ortschaft mit serbischer Bevölkerungsmehrheit. Srpska Varos Stadtteil von Zvornik (überwiegend von Serben bewohnt). Subotica Stadt in Serbien, Grenzort zu Ungarn. Tuzla Stadt in Bosnien-Herzegowina, ca. 50km westlich von Zvornik. Valjevo Stadt in Serbien. Vidakova Njiva Stadtteil von Zvornik. Zamlaz Stadtteil von Zvornik. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AJIL American Journal of International Law BIM Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte IGH Internationaler Gerichtshof ILM International Law Materials JNA Jugoslavenska Narodna Armija (Jugoslawische Volksarmee) JZ Juristenzeitung SDA Stranka Demokratske Akcije (Partei der Demokratischen Aktion); repräsentiert in Bosnien-Herzegowina vorwiegend die bosnischen Moslems. SDS Srpska Demokratska Stranka (Serbische Demokratische Partei); repräsentiert in Bosnien-Herzegowina vorwiegend die bosnischen Serben. SUP Sekreteriat za Unutrasnje Poslove (Sekretariat für Innere Angelegenheiten) TO Territoralna Obrana (Territorialverteidigung). Gehörte im ehemaligen Jugoslawien zusammen mit der JNA zu den "Jugoslawischen Streitkräften". Sie war auf Republiksebene organisiert und unterstand der Führung der jeweiligen Teilrepublik. Mit Ausnahme der Führungskräfte rekrutierte sie sich aus Reservisten. In Bosnien-Herzegowina wurde die TO im Herbst 1991 aufgelöst. In der Region Zvornik wurde eine sogenannte "TO" kurz vor dem Angriff auf die Stadt von SDS-Angehörigen "neu gegründet". ANNEX I: Lager Die Angaben zu den Lagern sowie zu den Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wurden, beruhen auf übereinstimmenden Zeugenaussagen. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß diese Lager tatsächlich existierten und die benannten Personen tatsächlich schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Die angeführte Liste kann jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Celopek Der dortige "Dom Kulture" (Kulturhaus) diente sowohl als Hauptquartier für bestimmte Einheiten wie auch als Internierungslager. Es kam hier auch zu einer Massenerschießung von Bewohnern aus Divic, die hierher gebracht worden waren. Für die Massenerschießung wird Dusan "Repic" Vuckovic verantwortlich gemacht, der für dieses Verbrechen momentan auch in Sabac (Serbien) vor Gericht steht. Karakaj Ekonomija Ekonomija war eine landwirtschaftliche Kooperative. In den abgelegenen Gebäuden wurden zahlreiche Folterungen und Ermordungen begangen. Übereinstimmenden Zeugenaussagen zufolge muß es das "schlimmste" aller Lager gewesen sein. In einer Schlachtkammer wurden die Opfer regelrecht abgeschlachtet. In diesem Lager wurden nicht nur Leute aus Zvornik und Umgebung festgehalten, sondern auch Angehörige der Kroatischen Nationalgarde. Technisches Schulzentrum Der Direktor der Technischen Schule, Fehim Kujundzic, wurde von Arkanovci am 9. oder 10. April in der Schule ermordet. Besonders die Werkräume der Schule wurden für Gewalttaten an moslemischen Zivilisten benutzt. Alhos Anfangs diente die Bekleidungsfabrik der "Serbischen Polizei" als Unterkunft, aber auch der "Krisenstab" war zeitweise hier untergebracht. Später sollen vor allem Arkanovci in Alhos moslemische Gefangene gefoltert und ermordet haben. Novi Standard Novi Standard war das neue Gebäude auf dem Areal der Schuhfabrik. Zum Zeitpunkt des Angriffs wurde die gesamte Produktion eingestellt. Nachdem die "Serbische Polizei" Alhos verlassen hatte, diente Novi Standard für kurze Zeit als ihr Hauptquartier. Weiters waren dort mehrere paramilitärische Einheiten untergebracht, vor allem Arkanovci, Seseljevci und "Freiwillige aus Loznica". Personen, die ihren Passierschein bei der "Serbischen Polizei" abholen wollten, wurden ebenso wie Personen, die willkürlich in Zvornik festgenommen worden waren, hier interniert und gefoltert. Novi Izvor Zum Zeitpunkt des Angriffs bestand Novi Izvor aus zwei Firmen, dem Steinbruch "Kamenolom" und der Ziegelei "Ciglana". Beide waren die ganze Zeit über auch in Betrieb. Gefangene Moslems wurden gezwungen, in der "Ciglana" neben regulären (serbischen) Angestellten in drei Schichten zu arbeiten. Die Internierten waren regelmäßig gewalttätigen Angriffen von verschiedensten Gruppen ausgesetzt. Anfang Juni sollen hier ca. 70 Personen - einige bereits seit Mitte April - gefangen gewesen sein. Personen, die nicht mehr arbeiten konnten, wurden "weggebracht". Sie gelten seither als vermißt. Folgende Personen wurden als Aufseher und Folterer in den Lagern in Karakaj genannt (meistens sind allerdings nur die Spitznamen bekannt): "Crni" (Der "Schwarze"); angeblich Offizier der ehemaligen JNA. "Dragan Toro"; Anführer einer Untereinheit, wahrscheinlich der Seseljevci; wurde aber auch als JNA-Angehöriger bezeichnet. "Niski" und "Zuco"; sie wurden beide als Arkanovci mit Majorsabzeichen beschrieben. "Lela"; eine Frau unter den Arkanovci. Freiwillige aus Loznica: "Stuka" (der "Hecht"); "Dejan"; "Lale"; "Macak" (der "Kater"); "Dragan Prlije"; "Kardelj"; "Samin" (Besitzer des Cafes "Schmetterling" in Loznica). "Vojo" aus Kozluk; "Macak" aus Trsic; Petko Hajdukovic aus Scemlije; Dusan "Repic" Vuckovic aus Umka; "Herzog Celo" aus Kraljevo. Zvornik SUP/ Opstina In diesem Gefängnis wurden Inhaftierte während der Verhöre gefoltert; einige wurden dabei auch getötet. Gerichtsgebäude Das Gebäude war zeitweise in ein Gefängnis umfunktioniert. Frauen und Kinder aus Divic waren hier interniert und wurden auch mißhandelt. Hotel "Drina" Das Hotel diente später der Polizei als Hauptquartier. Auch aus dem Hotel wurde von Verhaftungen und Folterungen berichtet. Krankenhaus "5. Juli" Mitte April nahm Arkan Patienten als Geiseln, um die Herausgabe des Leichnams von "Rambo" (der bei den Kampfhandlungen um Kulagrad ums Leben kam und möglicherweise sein Schwager war) durchzusetzen. Männern wurde hier zwangsweise Blut abgenommen, teilweise bis zum Eintritt des Todes. Patienten und Mitarbeiter des Krankenhauses wurden regelmäßig von Angehörigen der Freischärler-Verbände mißhandelt. Batkovic Am 15. Juli wurde eine große Anzahl von Gefangenen aus den Lagern in Karakaj nach Batkovic in die Nähe von Bijejina deportiert. Die unmenschlichen Zustände änderten sich aber nicht. Auch hier kam es zu Ermordungen, Folterungen und Zwangsarbeit. ANNEX II: Massengräber Aufgrund zahlreicher übereinstimmender Zeugenaussagen konnten folgende Massengräber lokalisiert werden: Kazanbasca ist ein moslemischer Friedhof in Meterize, einem Stadtteil von Zvornik. Die Stadtmüllhalde liegt bei der Drina in der Nähe von Karakaj. Krecana ist eine Kalkgrube in Mali Zvornik. Ramin Grob ist ein Friedhof zwischen den Ortschaften Radakovac und Scemlije. Slunkara ist eine Kiesgrube nördlich von Celopek an der Drina. Viele Befragte gaben weiters an, daß zahlreiche Leichen in die Drina geworfen wurden. ANNEX III: Dokumente ad Dokument A Dieser, von der Polizei ausgestellte, rosa Passierschein erlaubte der männlichen Bevölkerung, sich innerhalb der Stadt frei zu bewegen. ad Dokument B Auch dieser Passierschein wurde vornehmlich der männlichen moslemischen Bevölkerung ausgestellt. Der Besitzer dieses Dokuments durfte sich innerhalb des Bezirks Zvorniks frei bewegen, darüberhinaus gestattete es den Übertritt auf das Territorium Restjugoslawiens. Eigentlich war der Erhalt dieses Dokuments an eine "Verpflichtung" zur Arbeit gebunden. De facto durften aber nur jene Moslems arbeiten, die zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens benötigt wurden. Später, als die Deportationen und die "Massenvertreibung" einsetzten, wurde der Passierschein auch Frauen ausgestellt. Die Moslems erhielten diesen Schein dann nach der erfolgten Zwangsüberschreibung des Eigentums und dem Erhalt einer "Bestätigung über die Änderung des Wohnorts" (vgl. Dokument D). Die Gültigkeit dieses "Passierscheins" zum Übertritt nach Serbien war auf den Tag der Deportation beschränkt. ad Dokumente C und D Diese zwei Abschnitte sind "Bestätigungen über die Änderung des Wohnorts". Hier wurde die Abmeldung vom bisherigen Wohnort und der fiktive "neue" Wohnort eingetragen, etwa Subotica (C) oder Mali Zvornik (D). ad Dokument E Der Wohnortwechsel wurde normalerweise auch im Personalausweis eingetragen. ad Dokument F Dieses Dokument ist ein Kündigungsschreiben für einen Moslem. In der Begründung für die Entlassung heißt es, daß der Betroffene die Drei-TagesFrist an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, nicht eingehalten habe. Diese Frist wurde auf der Grundlage des "Beschlusses zur Einführung der generellen Arbeitspflicht" gesetzt, der am 8. April vom "Krisenstab" gefaßt worden war.