Effektives Alarm-Management in Produktionsprozessen

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Effektives Alarm-Management in Produktionsprozessen
Journal Industrie und Unternehmen
Effektives Alarm-Management in Produktionsprozessen
Das wachsende Interesse und
die zunehmenden Aktivitäten
zum Thema Alarm-Management belegen, dass das darin
enthaltene Potenzial zur Verbesserung der betrieblichen
Leistungsfähigkeit erkannt und
vermehrt abgerufen wird. Allerdings steht dieser Prozess erst
am Anfang einer breiteren Realisierung und ist noch lange
nicht gängige Praxis.
Neben der Freisetzung der
erforderlichen Ressourcen ist
die Systematik in Konzeption
und Vorgehensweise eine wesentliche Voraussetzung für
den Erfolg eines Projektes zur
Optimierung des Alarm-Managements. Dieser Beitrag zeigt
die vorhandene Problematik
sowie Aspekte zur Strukturierung und zur konsistenten Bearbeitung auf.
Situation der
Alarmsysteme
Bei der Führung von Produktionsprozessen werden Alarme
zur Information der Bediener
über eingetretene Zustände
und zur Auslösung zeitgerechter Aktionen verwendet.
Jede heute betriebene Produktionsanlage verfügt in irgendeiner Form über ein
Alarmsystem. Es ist Teil eines
Prozessleitsystems oder eines
anderen prozessorbasierten
Systems zur Überwachung
und Steuerung der Produktion.
Sicherheitsgerichtete Alarme,
oft auch als „kritische Alarme“
bezeichnet, werden dabei in
den hochverfügbaren Komponenten spezifischer Sicherheitssteuerungen implementiert. Im Gegensatz zur Leittechnik, die sich in den letzten
30 Jahren vom pneumatischen
Einzelregler zu integrierten Architekturen mit u. U. multivariabler, modellbasierter Prozessführung signifikant weiter
entwickelt hat, ist dies für die
Fortschritte von Alarmsystemen nicht annähernd in vergleichbarem Ausmaß gegeben.
In größeren Anlagen trifft
man inzwischen nicht selten
auf mehrere Tausend konfigu-
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rierte Alarmparameter. Das bedingt zwangsläufig die Gefahr
einer Häufung aktiver Alarme.
Anlagen mit 20–60 Alarmen
pro Stunde auch während des
normalen Prozessbetriebs sind
nicht selten.
Die nachträgliche Auswertung typischer Störsituationen
belegt vor allem eine drastische
Zunahme der Alarme schon in
den Minuten vor dem Störereignis. In dieser Situation müssen Bediener ihre Konzentration nahezu ausschließlich zur
Behandlung von Alarmen aufwenden. Spielraum für eine
proaktive Überwachung und
Führung der Anlage ist damit
nicht mehr gegeben. Während
einer Störsituation überschreiten die Alarmraten nicht selten
den Wert von 30 Alarmen pro
Minute. Dieser als „Alarmschauer“ bezeichnete Zustand kann
sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Mittlerweile ist
anerkannt, dass ein Operator
auf derartige Alarmraten nicht
angemessen reagieren kann.
Wichtige Alarme drohen daher
in der Alarmflut unterzugehen.
Bekannte Störfälle belegen die
nicht erfolgte Reaktion auf
Alarme oder die fehlerhafte Zuordnung zu ihren Ursachen
und erforderlichen Aktionen
aufgrund zu vieler Ereignismeldungen.
Allein die dadurch bedingte
Zerstörung an Einrichtungen
kann, auch ohne Berücksichtigung des zusätzlichen Produktionsausfalls, Verluste in Millionenhöhe bedeuten.
Nicht in allen Anlagen ist ein
unzureichendes Alarmsystem
anzutreffen. Analysen in gut
eingestellten Systemen weisen
Werte von ein oder zwei Alarmen pro Stunde aus. Andererseits findet man Betriebe, die
dem Alarmsystem selbst in
mehr als zehn Jahren Produktionsablauf wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Für diese
Einordnung ist weder die Größe noch der Typ (z. B. Batch,
Konti) einer Anlage relevant,
sondern die gelebte Praxis
während Projektierung und Betrieb. Erst in letzter Zeit wird die
Erkenntnis, dass eine frühzeitig
abgesprochene systematische
Alarmphilosophie sowie eine
nutzergerechte Bedienkonzeption für ein optimales AlarmManagement entscheidend
sind, auch in Projekten umgesetzt.
Bezugsstandards
Im Jahre 1990 schlossen sich
in den USA Vertreter von 25
Prozessbetreibern zu einer
Alarm Management Task Force
(AMTF) zusammen. Daraus
ging 1994 das ASM (Abnormal
Situation Management) Consortium hervor, das zur Erstellung der viel zitierten EEMUARichtlinie [1] sowohl finanziell
als auch inhaltlich mit beigetragen hat. Das EEMUA-Papier
(Engineering Equipment and
Material Users Association) ist
gegenwärtig weltweit die erste Referenz zum Thema
Alarm-Management und wird
vor allem bezüglich der angegebenen Vergleichsdaten herangezogen.
Eine weitere allgemein verwendete Referenzunterlage
wurde von der HSE (Health and
Safety Executive) in Großbritannien herausgegeben [2]. In Nor-
wegen hat das Norwegian Petroleum Directorate ein ähnliches Dokument erstellt [3], das
aber auch auf EEMUA Bezug
nimmt.
Ein umfassendes Basisdokument zu den Aspekten des
Alarm-Managements mit Leitsystemen wurde von einem
Operator Interface Workshop
der Honeywell Users Group erarbeitet [4].
Weitere Aktivitäten im Bereich Prozesssicherheit, wie z. B.
die Seveso II-Direktive [5] der
Europäischen Union, nehmen
Einfluss auf Sicherheitsaspekte
zur alarmgestützten Reduktion
von Risiken. Andere Sicherheitsstandards beziehen sich
auf den Einsatz von Rechnern
als Schutzsysteme [6] [7], wobei
eine klare Abgrenzung der sicherheitsgerichteten Alarme erfolgt. Die Mehrzahl der im Prozess konfigurierten Alarme ist
demnach nicht sicherheitsrelevant.
Das „Alarm-Problem“
Alarme, ursprünglich gedacht
zur Unterstützung des Bedieners beim Betrieb der Anlage,
Tabelle 1: Stufen einer Alarm-Performance.
Überlast Ständig hohe Alarmrate mit starker Beeinträchtigung der
Effizienz während Prozessstörungen. Auch im Normalbetrieb ist das Alarmsystem schwierig zu handhaben und
wird daher während Störungen praktisch ignoriert.
Reaktiv Die Spitzen der Alarmrate während Störungen sind immer
noch nicht handhabbar. Das Alarmsystem ist während
längerer Zeiträume kein Hilfsmittel für die Bediener.
Stabil
Im Normalbetrieb ein gut definiertes System, aber weniger
nützlich während Störungen. Verglichen mit dem
Status „Reaktiv“ zeigen sich bessere mittlere und maximale
Alarmraten. Die Alarme in Störsituationen sind unter
systematischer Kontrolle. Probleme gibt es noch bezüglich
der Alarmrate in Grenzfällen.
Robust
Mittlere und maximale Alarmraten sind für die planbaren
Betriebssituationen akzeptabel. Techniken der dynamischen,
betriebsbedingten Anpassung werden angewendet. Die
Bediener vertrauen dem System. Sie erhalten die
notwendige Zeit, auftretende Alarme zu analysieren und zu
bearbeiten.
Prediktiv Das Alarmsystem entspricht EEMUA-Vorgaben. Es ist stabil
und liefert dem Bediener zum richtigen Zeitpunkt die
benötigten Informationen. Die Alarme erkennen Probleme
bevor sie auftreten und verhindern dadurch Prozessstörungen oder deren Einfluss auf die Produktion.
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Abgleich
Re-Design
Management der
Alarm-Datenbasis
Tools
→ Abweichungs Managemt.
→ Produktionsvarianten
→ MOC
→ Limitführung
Alarm-Analyse
Zustand
Häufigkeit
Abhängigkeiten
Dokumentation
Dyn. Alarmdaten-Anpassung
Projektkonzept,
==> Alarm-Datenbasis
PLS
Systemkonzept,
Bedienung,
Handhabung
AlarmPhilosophie
(per Anwender,
Anlage, Projekt)
Alarmreduktion
Bedienphilosophie
PLS - Systemfunktionen
Funktionsparameter
Bediengrafiken
Leittechnik
Planung
Bild 1: Alarm-Management-Funktionsmodell.
entwickeln sich teilweise zu einem zusätzlichen Hindernis für
eine zielgerichtete, effektive Bedienung. Die mit den Mitteln
moderner Leittechnik relativ
leicht einzurichtenden und erweiterbaren Alarmpunkte fördern u. U. eine unreflektierte
Zunahme derartiger Parameter
und in der Folge eine nicht vorgesehene Beanspruchung des
Bedieners.
Die Daten eines Alarmsystems werden bisher nicht so
sorgfältig geplant wie andere
Elemente eines Automationsprojektes. Das mag darin begründet sein, dass die betriebliche Notwendigkeit und die
ökonomischen Effekte erst bei
genauerer Betrachtung erkennbar sind. Allerdings bietet dies
nachträglich selbst in laufenden Anlagen die Chance, durch
Einbringen von Sachverstand
und bewährten Praktiken noch
erhebliche Verbesserungen zu
erzielen. Marktstudien zeigen
auf, dass eine Investition in Abnormal Situation Management
einen höheren finanziellen
Rücklauf abwirft als eine vergleichbare Investition in ein Advanced Control-Projekt. Häufig
sind die Effekte dabei allerdings
nur mit Hilfe von Annahmen
quantifizierbar. Sie ergeben sich
aus erhöhter Anlagen-Produktivität, der Vermeidung von Verlusten aus Grenz- und Störfällen sowie einer der auftretenden Alarmrate adäquaten Anzahl an Operatoren.
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Die Auswertung zahlreicher
Alarmdaten aus unterschiedlichen Systemen zeigt auf, dass
die Probleme mehrschichtig
und überlappend auftreten. Es
lassen sich jedoch typische
Problembereiche kategorisieren:
• Redundante Alarme
• ständig anstehende Alarme,
oft bedingt durch fehlende
Anpassung an veränderte
Betriebszustände
• Flatter-Alarme
• Alarmflut
Die Kategorien haben unterschiedliche Ursachen und erzeugen unterschiedliche Effekte, ermöglichen aber zumindest
zum Teil gemeinsame Lösungsansätze. Vor allem wenn Anlagen an ihre Kapazitätsgrenzen
gefahren werden, ist die optimale Adressierung der Problemkategorien mit zusätzlich
eindeutiger Bedienerführung
notwendig.
Ein guter Startpunkt zur
Verbesserung der Alarmsituation ist die Analyse aufgezeichneter Alarmdaten. Damit
lässt sich das in einer Anlage
vorhandene Problem oft eingrenzen oder präzisieren. Der
erste Fokus auf die Bearbeitung der am häufigsten auftretenden Alarmpunkte kann
schnell zu signifikanten Verbesserungen, vor allem zu einer Reduktion der Flatter-Alarme führen. Allerdings wird mit
diesen Mitteln das Problem
der Alarmflut nicht adressiert.
Eine Publikation aus dem
Jahre 2002 [8] schlägt eine 5stufige Klassifizierung für den
Zustand eines Alarmsystems
vor (Tabelle 1).
Die überwiegende Zahl aktuell betriebener Anlagen dürfte sich demnach in den Stufen
Überlast und Reaktiv wiederfinden.
Funktionsmodell
Alarm-Management
Effektives Alarm-Management
spiegelt das Zusammenspiel
von Alarmsystem, Leitsystem
und Bediener wieder. Basis ist
eine durchdachte und mit allen involvierten Betriebsbereichen abgestimmte Alarmphilosophie sowie eine gute
Kenntnis des Prozesses. Hinzu
kommt eine Konzeption der
Vorgehensweise, die den gesamten Lebenszyklus des
Alarm-Management-Projektes
einschließt.
Die Zuordnung der verschiedenen, aus Systemhardware,
Systemfirmware, Applikationssoftware sowie Planung und
Projektierung bestehenden Elemente des Alarmsystems ist in
dem nachfolgenden hierarchischen Funktionsmodell grafisch
dargestellt.
Auf der untersten Ebene erfolgt eine Trennung in die Bereiche Planung und Leittechnik,
da hier grundlegende Funktionen unabhängig voneinander
bereitgestellt oder erarbeitet
werden.
Die Planung definiert eine
nach festgelegten Regeln und
Mechanismen abgestimmte
Alarmphilosophie, die zumindest für das betreffende Projekt
Allgemeingültigkeit haben sollte, sinnvollerweise aber für das
gesamte Werk oder Unternehmen die Grundlage der Alarmkonzeption darstellt. Im nachfolgenden Kapitel sind beispielhaft Elemente und Inhalte einer
möglichen Alarmphilosophie
wiedergegeben.
Der zweite Bereich der Basisebene des Funktionsmodells,
die Firmware der eingesetzten
Leittechnik, liefert den Funktionsvorrat des Systems für eine
projektspezifische Alarmkonzeption.
Seitens des PLS-Lieferanten
sollten, unter bester Kenntnis
der Systemmöglichkeiten, zusätzlich Vorschläge zu einem
schlüssigen Systemkonzept mit
optimaler Projektierung von
Funktion, Bedienung und
Handhabung eingebracht werden.
Unter Nutzung der grundlegenden Alarmphilosophie so-
Sicherheit
Umwelt
Produktionsverluste
Event
Typen
Verlust von
Einrichtungen
Skalierung
der Folgen
Uneffektiver
Betrieb
Folgen
Reaktion
sofort (< 5 min)
bald (5–15 min)
später (> 15 min)
gering
moderat
gross
extrem
Reaktionszeit
Bild 2: Kriterien einer Philosophie-Matrix (Quelle: Honeywell).
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wie der vom eingesetzten Leitsystem angebotenen Möglichkeiten werden die Inhalte der
Alarmdatenbasis für ein spezifisches Projekt erarbeitet und
implementiert. Dabei gilt es, die
Notwendigkeit und die erforderlichen Aktionen für jeden
Alarmparameter zu überdenken und zu dokumentieren.
Ebenfalls sollten Aspekte der
Alarmreduktion für die konkreten Prozessgegebenheiten einfließen.
Je nach veränderlichen Betriebszuständen des Prozesses
kann eine dynamische Anpassung der Alarmdaten zusätzlich
konzipiert und in den verfügbaren Komponenten des
Alarmsystems abgelegt sein.
Sinnvolle Ergänzung finden
diese projektierten Daten durch
Werkzeuge zur nachträglichen
Analyse und Darstellung (Grafik, Tabelle, Report) der im Leitsystem festgehaltenen Alarmund Ereignishistorie. Es ist zu
erwarten, dass derartige Werkzeuge zunehmend zum direkten Funktionsvorrat eines Leitsystems gehören werden. Gegenwärtig kommt für diese
Aufgabe häufiger noch separate, über gängige Kommunikationsschnittstellen angebundene
Applikationssoftware zum Einsatz.
Eine weitere Applikation
kann die Verwaltung der Alarmdaten eines Projektes (Abgleich
Planungszustand – Istzustand)
sowie die Einspielung zustandsabhängiger Alarmvorgaben übernehmen. Dabei können Erkenntnisse aus der
Alarm- und Ereignisanalyse in
die Anpassung der Planungsdaten einfließen. Bei konsequenter Anwendung übernimmt
eine derartige Software das
Management der gesamten
Alarmkonzeption eines Betriebes als zentrales Element der
Vorgabe und Dokumentation.
Alarmphilosophie
Wie bereits angeführt, ist die
Erstellung einer projekt-, anlagen- oder firmenweiten Alarmphilosophie von grundlegender
Bedeutung für die Gestaltung
eines effektiven Alarmsystems.
Sie ist damit als „Master-Plan“
der Alarmprojektierung anzusehen. Die Ziele des Alarmsys-
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Sicherheit
–
–
Springleranlage
ausser Betrieb
Unfallpotenzial
vorhanden
Umwelt
–
geringe
Umweltabgabe
signifikante
Umweltabgabe
größere
Umweltabgabe
Produktionsverluste
geringerer
Wirkungsgrad
Geräte-Ausfall
möglich
Geräte-Ausfall
wahrscheinlich
längere
Ausfallzeit
Verlust von
Einrichtungen
Pumpenzerst.
(Ersatz vorhand.)
Pumpenzerst.
(kein Ersatz)
Zerstörung
wesentl. Einricht.
krit. Einrichtung
zerstört
Uneffektiver
Betrieb
< € 50k
€ 50k–100k
> € 100k
–
Folgen
gering
moderat
gross
extrem
sofort (< 5 min)
High
High
Emergency
kritisch
bald (5–15 min)
Low
High
Emergency
kritisch
später (> 15 min)
Low
Low
High
kritisch
Reaktion
Bild 3: Projektbeispiel einer Philosophie-Matrix (Quelle: Honeywell).
tems und die allgemeinen Festlegungen zur Detailrealisierung
werden projektneutral erarbeitet.
Die grafische Darstellung in
Bild 2 gibt mögliche grundlegende Aspekte und Abhängigkeiten in Form einer Matrix wieder. Hierzu gehören die Typen
möglicher Ereignisse, die Skalierung der Folgen bei Grenzfällen
und die erforderliche Reaktionszeit je nach Einstufung der
Folgen. Die Kriterien in der Grafik sind Beispiele für Einstufungen.
Diese Kriterien gilt es in jedem Unternehmen mit allen
Beteiligten zu erörtern und
nach Möglichkeit allgemeingültig festzulegen. Sie bilden die
Basis der weiteren Alarmdefinitionen in einem Betrieb. Die
beispielhafte Konkretisierung
der Kategoriefelder für ein spezifisches Projekt gibt Bild 3 wieder.
Die Matrix zeigt die Ereignistypen und das präzise Ausmaß der Folgen für jeden Typ.
Entsprechend den Folgen und
der notwendigen Reaktionszeit
ergibt sich die Alarmpriorität
im unteren Teil der Matrix.
Es sei nochmals festgehalten, dass die Erarbeitung in
Form einer solchen Matrix, deren inhaltliche Kategorien sowie die konkreten Einträge eine
mögliche Methode zur Erarbeitung der Alarmphilosophie darstellt. Andere Vorgehensweisen
oder Darstellungen sind ebenso möglich, so lange das Ziel
einheitlich verwendbarer Vorgaben für die Alarm-Datenbasis
in konkreten Projekten eingehalten wird.
Methodische Vorgehensweise, Alarmkonzeption
von Alarmen in Grenzsituationen
– nicht entsprechend beachtet
wird.
Schritt 2: Rationalisierung der
Alarm-Spezifikation
Diese Aktivität enthält die
Bearbeitung der detaillierten
In diesem Abschnitt sind einzelne Schritte einer methodischen Vorgehensweise zur Verbesserung der Alarmsituation
in einer vorhandenen Anlage
aufgeführt. Die Angaben sind
aber mit geringfügigen Anpassungen direkt übertragbar zur
Auslegung optimierter Alarmsysteme in neu zu planenden
Anlagen. Der angegebene
Schritt 2 (Rationalisierung) ist
von herausragender Bedeutung für die signifikante Verbesserung der Alarmsituation.
Teil dieses Schrittes ist die zuvor beschriebene Festlegung
einer konsistenten Alarmphilosophie.
Schritt 1: Analyse und Bearbeitung der häufigsten Alarme
(auch „Bad Actors“ genannt)
In vielen Betrieben wird diese
Aktivität zu Beginn einer Alarmverbesserung eingebracht, um
eine schnelle Reduktion der Anzahl aktivierter Alarme zu erreichen. Dies kann typischerweise
der erste Schritt einer umfangreicheren Rationalisierung sein. In
der Praxis kommen allerdings
viele Projekte nicht über dieses
Stadium hinaus. Das wesentliche
Manko dabei ist, dass das eigentlich relevante Problem – die Flut
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Journal Industrie und Unternehmen
Tabelle 2: Alarmsystem Referenzdaten.
liebigen Zeitraum nicht effektiv
bearbeiten kann.
Situation
Bezugswert
Mittlere Alarmrate im normalen
Betriebszustand
< 1 pro 10 Minuten
Schulung
Alarmrate 10 Minuten nach Anlagenstörung
< 10
Mittlere Anzahl anstehender Alarme
< 10
Mittlere Anzahl unterdrückter Alarme
< 30
Die alarmbezogene Schulung
des Anlagenpersonals ist vornehmlich aus zwei Gründen relevant:
• Alarm-Management ist im
Allgemeinen kein Bestandteil der Ingenieurausbildung
an Hochschulen. Damit ein
Team, das sich mit der Verbesserung des Alarmzustandes befasst, nicht Zeit und finanzielle Mittel für bereits
vorhandene Erkenntnisse
verbraucht, ist die Schulung
etablierter Techniken und
deren Anwendung empfehlenswert.
• Bediener haben sich oft an
den Zustand gewöhnt, dass
ein wesentlicher Teil ihrer
Zeit für die Bearbeitung
auftretender Alarme zu verwenden ist. Sinkt die Alarmrate auf Grund gezielter
Verbesserungen, müssen
die Details des neu eingestellten Systems geschult
werden. Die Unterweisung
sollte dabei das Verständnis
fördern, dass ein effizienter
Betrieb nur durch eine proaktive Überwachung und
Führung der Anlage gegeben ist.
Alarmkonfiguration auf Basis
einer abgestimmten Alarmphilosophie. Damit können Alarme
• zum Teil eliminiert werden
(z. B. wenn tatsächlich keine
Operatoraktion erforderlich
ist),
• in ihrer Detailspezifikation
angepasst werden (z. B.
Alarmtyp, Grenzwerte und
oder Totbänder),
• in ihren Prioritäten angepasst werden.
Vor einer Alarm-Rationalisierung ist eine interne Schulung
zu Praktiken des guten AlarmManagements angebracht.
Schritt 3: Management der
Alarm-Datenbasis, zustandsabhängige Alarmierung
Die zustandsabhängige Verwaltung der Alarm-Datenbasis
speichert die konfigurierten Parameter in einer relationalen
Datenbank und vergleicht diese mit dem jeweils aktuellen
Systemstatus. Bei Differenzen
können nach individueller Freigabe gezielte Abgleiche eingeleitet werden.„Schleichende“
Änderungen der Auslegungsbasis lassen sich somit verhindern. In Anlagen mit mehreren
Tausend Alarmen kann das ansonsten zu einem ungewollten
Dauerzustand führen. Das Zurücksetzen erfolgt beispielsweise als Teil des Schichtwechsels
in einer Anlage. Der nachfolgende Operator kann sicher
sein, dass die Parameter der ursprünglichen Auslegung entsprechen – mit Ausnahme einer
begrenzten Liste zugelassener
Abweichungen.
Applikationssoftware zur
Stützung dieser Funktion findet
vermehrt Eingang bei Anwendern mit größeren und komplexen Datenmengen. Diese Software kann zusätzlich zur Festlegung und Verwaltung mehrerer
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Master-Datenbasen für verschiedene Anlagenzustände
benutzt werden. Damit wird
eine gezielte und kontrollierte
Aktivierung von Alarmparametern z. B. bei verändertem
Durchsatz oder wechselnden
äußeren Bedingungen ermöglicht.
Schritt 4: Verbesserte Bedienerumgebung und Schulung der
Anwender
Umfangreiche Erfahrungen
belegen den Einfluss zusätzlicher Faktoren auf die Leistungsfähigkeit eines Alarmsystems. Eine wesentliche Größe
ist dabei die bedienergerechte
Gestaltung von Prozessgrafiken
einschließlich einer transparenten Konzeption u. a. für die Bedienung von Alarmen in Grafiken. Hier helfen Richtlinien von
Standardisierungsgruppen [9]
und Anwenderkonsortien [10],
die vor allem die Bedienbarkeit
über einen längeren Zeitraum
ohne ermüdende Bildüberlastungen im Fokus haben. Bedienerschulung, Systemunterstützung, Messwartengestaltung
und Organisation der Abläufe
im Team sind weitere Einflussfaktoren auf ein optimales
Alarmsystem in einem effektiven Betrieb.
Referenzwerte
Tabelle 2 enthält einige von
EEMUA und anderen Publikationen empfohlene Referenzdaten
für Alarmsysteme. Dabei wird die
Vorgabe von weniger als zehn
Alarmen in den ersten zehn Minuten nach einer größeren Anlagenstörung auch von erfahrenen
Praktikern als herausfordernd
eingeschätzt. Diese Rate basiert
jedoch auf der Erkenntnis, dass
ein Bediener mehr als einen
Alarm pro Minute über einen be-
Zusammenfassung
Folgende wesentlichen Aussagen lassen sich zusammenfassen:
Die Mehrzahl der Alarmsysteme in aktuell betriebenen Anlagen weisen noch Defizite auf.
Unzureichendes Alarm-Management verursacht signifikante Kosten. Diese werden wesentlich beeinflusst durch Aufwendungen für Sicherheit und
Umwelt sowie durch die negativen Effekte aus beschädigten
Einrichtungen und aus Produktionsverlusten.
Die Erkenntnisse aus ausgewerteten Grenzfällen haben die
Bereitschaft zu Investitionen in
ein verbessertes Alarm-Management beschleunigt.
Die Nutzung anerkannter
Methoden und Bezugswerte
(„Best Practices“) trägt zur
verbesserten Performance
eines Alarmsystems merklich
bei.
Werkzeuge zum Management der Alarm-Datenbasis
helfen, die in Alarmsystemen
auftretenden temporären Anpassungen effektiv in den Griff
zu bekommen.
Referenzen:
[1]
„Alarm Systems: A Guide to
Design, Management and
Procurement“, EEMUA Publication No 191.
[2]
The HSE guidance note „Better Alarm Handling“, HSE
Information sheet CHIS6, UK
Health and Safety Executive.
[3]
„Principles for alarm system
design“, Norwegian Pertroleum Directorate, Publication
YA-711, February 2001.
[4]
„Alarm Management Philosophy for Screen-based Control
Systems“, Honeywell European User's Group, Operator
Interface Workshop; July 1998.
[5]
European Union Seveso II
Directive (concerning „Safety
Cases“ for hazardous plants).
[6]
IEC 61508, „Functional Safety
of Electrical, Electronic & Programmable Electronic SafetyRelated Systems“.
[7]
ANSI/ISA-S84.01, „Application
of Safety Instrumented Systems for the Process Industries“.
[8]
„Horses for Courses – A Vision
for Alarm Management“,
Donald
Campbell-Brown,
Proc. IBC Conferences „Alarm
systems“, IBC, London, June
2002
[9]
VDI/VDE 3699, Prozessführung mit Bildschirmen.
[10] ASM Consortium Guidelines,
„Effective Operator Display
Design“, Juni 2002.
Peter Andow und
Herbert Fittler
Honeywell Process Solutions
Adressen: Peter Andow, Honeywell
Process Solutions, 2 Venture
Road, Chilworth Science Park,
Southampton, SO16 7NP, (UK),
E-Mail: peter.andow@honeywell.
com
Herbert Fittler, Honeywell Process
Solutions, Heinrich-Hertz-Str. 40,
D-40699 Erkrath,
E-Mail: [email protected]
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