Das Trauma Vietnam im amerikanischen Film

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Das Trauma Vietnam im amerikanischen Film
gulliver
Deutsch-Englische Jahrbücher
German-English Yearbook Band 21
AM ER I(K) K A
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Herausgeben von
Lawrence Guntner, Dieter Herms und Ingrid Kerkhoff
Mit Beiträgen von
Elisabeth Chamorand, Gregory Claeys, Claudia Dziobek/ John Garrett,
Lawrence Guntner, Wolfgang Karrer, Ingrid Kerkhoff, Günter H. Lenz,
Peter Rodenberg u.a.
ARGUMENT-Sonderband AS 156
Redaktion Gulliver:
Dieter Herms, Dirk Roerder Ingrid Kerkhoff,
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Ameri(k)ka: »The Sixties« / hrsg. von Lawrence
Guntner ... Mit Beitr. von Elisabeth Chamorand ...
- 1. - 3. Tsd. - Berlin; Hamburg; Argument-Verl.,
1987
(Gulliver; Bd. 21) (Das Argument: Argument
Sonderband; AS 156)
ISBN 3-88619-156-7
NE: Guntner, Lawrence (Hrsg.); Chamorand, Elisabeth
(Mitverf.); Das Argument / Argument-Sonderband; 1. GT
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Hans-Peter Rodenberg
Coming Home from the Apocalypse: Das Trauma
Vietnam im amerikanischen Film
“It is astonishing, given our history as a nation, how many Americans still struggle to
maintain the myth of our innocence. [...] And that is what we have been doing since
the end of the war in Vietnam: struggling not to see, struggling to pretend, trying to
regain or simply not lose an innocence to which we no longer have a right - if we ever
did - today claim”, beginnt Robert Weaver seine Kritik in Vietnam: A Television History,
der momentalen Fernsehdokumentation, die 1983 vom PBS ausgestrahlt wurde (Marin
1983, 11). Und in der Tat ist die Geschichte des Vietnamkrieges auf Zelluloid denn
auch vor allem die Geschichte einer gescheiterten Bewältigung, der oftmals mißglückte
Versuch, mit einer der schmerzhaftesten narzißstischen Kränkungen fertigzuwerden, die
der US-amerikanische Imperialismus in seiner Geschichte erfahren hat.
1. Verfremdung: Die Zeit während des Vietnam-Krieges
Von Beginn an hat sich Hollywood des Dramas, das für die USA im Dezember 1962
mit der Entsendung von 400 “military advisors” durch Präsident Kennedy begann
und das schließlich die Nation in zwei Lager spalten sollte, nur zögernd angenommen.
Zwar schrieb John Wayne im Dezember 1965 an Präsident Johnson über seine Absicht,
einen Film über die Green Berets zu drehen, es sei „extremely important that not only
the people of the United States but those all over the world should know why it is
necessary for us to be there. [...] The most effective way to accomplish this is through
the motion picture medium?“ (zit. n. Suid 1979, 20). Der Film wurde jedoch durch das
eigene Medium konterkariert - im Zeitalter der Fernsehberichterstattung konnte eine
Rechnung, die hoffte, umstandlos auf die aus dem “combat film” des Zweiten Weltkriegs
gewohnten ideologischen Formeln zurückgreifen zu können, nur unvollständig
aufgehen. Als Waynes reaktionäres Lichtspiel The Green Berets 1968 schließlich in die
US-amerikanischen Kinos kam, traf es auf eine polarisierte Öffentlichkeit, die gerade
unter dem Schock der Bilder der Tet Offensive stand, die den Siegesmeldungen General
Westmorelands Hohn sprachen und die den Argumenten der Anti-Vietnambewegung
Recht zu geben schienen, die sich seit etwa Mitte der 60er Jahre als Ableger der
Bürgerrechtsbewegung und der SDS (Students for a Democratic Society) zu formieren
begonnen hatte. Vor allem der mangelnde Realismus des Films wurde von der Kritik
moniert, seine Cowboys vs. Indians-Perspektive, die mit der Realität des Krieges in
Vietnam nichts zu tun hatte (vgl. Morgenstern 1968 und auch Claeys im vorliegenden
Band). Es spricht für die trotzdem noch vorhandene Verdrängung, daß daraus nun
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nicht unbedingt folgte, daß kritische Stellungnahmen mehr Erfolg gehabt hätten: Der
Dokumentarfilm In the Year of the Pig von Emile de Antonio beispielsweise, der sich mit
den Vorgängen in Vietnam von der französischen Niederlage bei Dien Bien Phu 1954 bis
zur Tet Offensive 1968 befaßte, blieb weitgehend unbeachtet, während The Green Berets
ungeachtet seiner negativen Kritiken ein Kassenerfolg wurde. (Ähnlich sollte es 1974
Peter Davis’ Dokumentation Hearts and Minds ergehen, die zwar die Academy Award
gewann, außerhalb der akademischen Offentlichkeit jedoch wenig Resonanz fand.)
1970 erschütterte dann die Enthüllung des Massakers von My Lai die amerikanische
Öffentlichkeit, bei dem am 16. März 1968 mehr als 347 alte Männer, Frauen, Kinder
und Babies durch US-Truppen unter Führung von Lieutenant William Calley
niedergemetzelt worden waren, nachdem man drei Feuerwaffen bei ihnen gefunden
hatte. Der Militärbericht hatte 1968 nur von 128 “enemy soldiers” und einem
Feuergefecht gesprochen, und General Westmoreland hatte der Einheit sogar zu der
“outstanding action” gratuliert.
Es spricht für die Verunsicherung, die diese Nachricht und die nun vermehrt aufgedeckten
Kriegsverbrechen US-amerikanischer Truppen in Vietnam in dem Selbstbewußtsein der
USA auslösten, daß es gerade das Genre des Western war, in dem diese Erschütterung
zuerst ihren Niederschlag fand. Irritiert suchte man in der eigenen Geschichte Parallelen
und fand sie: Bereits 1966 hatte Richard Brooks so als eine der ersten dieser Parabeln den
Western The Professionals gedreht, der auf den Zynismus professioneller Killer wie der
berüchtigten Special Forces, der Green Berets, abhob. 1970 entstanden dann gleichzeitig
Arthur Penns Little Big Man und Ralph Nelsons Soldier Blue. Der imperialistische Krieg
in Vietnam wird in diesen Filmen zur bruchlosen Fortsetzung des Genozids an den
Native Americans: Eine der erschütterndsten Szenen von Little Big Man ist das Massaker
am Washita River in Oklahoma, in dem am 27. November 1868 700 Soldaten der
Kavallerie unter Führung von General Custer, damals noch Colonel, 153 männlichen
Cheyenne getötet hatten und auch Frauen und Kinder nicht verschont wurden - nur 53
von ihnen wurden nach dem Gemetzel nach Fort Hays gebracht. Und auch in Soldier
Blue dient eine der furchtbarsten Episoden der Indianer-Kriege als Ausgangspunkt der
Reflexion des amerikanischen Militarismus und Rassismus der Gegenwart: Grausamer
Höhepunkt des Film ist das sogenannte Sand Creek-Massaker von 1864, in dem ein
ganzes Dorf der Cheyenne in einer sinnlosen Aktion von US-Truppen unter Colonel
Chivington überfallen und zusammengeschossen wurde.
Der sogenannte “Vietnam Western” blieb jedoch eine vorübergehende Erscheinung. Zu
unvereinbar schienen die darin gezeigten Grausamkeiten mit dem Selbstbild der USA als
einer aufgeklärten Nation, zu deutlich waren die Parallelen zu der rassistischen Rhetorik
des erneuten Genozids in Vietnam, in dem die Vernichtungsunternehmen Namen
trugen wie “Rolling Thunder”, “Prairie”, “Daniel Boone” oder sogar “Crazy Horse”, als
daß, was Gilbert Adair “a kind of self- imposed censorship” Hollywoods genannt hat
(Adair 1981, 10), diese Denunziation hätte dulden können.
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Als wesentlich unverfänglicher erwies sich dagegen der Rückgriff auf satirische
Auseinandersetzungen mit bereits vergangenen Kriegen der USA: In Robert Altmans
M*A*S*H beispielsweise, einer Adaption von Richard Hookers Roman über den
Koreakrieg, sind es die drei wehrpflichtigen Ärzte Hawkeye (Donald Sutherland), Duke
(Tom Skerritt) und Trapper John (Elliot Gould), die in ihrem hippiesken Hedonismus
gegen die “straights”, das Establishment, stehen. Entblößung ist hier die durchgängige
Metapher. Fast symbolisch zeigt die schöne, aber zugeknöpfte Oberschwester Major
Margret O’Houlihan (Sally Kellerman) zum schadenfreudigen Vergnügen der Helden
schon beim Ausstieg aus dem Hubschrauber Strapse, durch einen boshaften Streich
kann das ganze Lager über Lautsprecher ihr Liebesgestöhne mithören und ihr Liebhaber,
der ebenso militär- wie gottesfürchtige Major Burns, wird nach einer Diskussion
mit Hawkeye, ob “Hot Lips” denn beim Liebesakt nun stöhne oder schreie, in einer
Zwangsjacke abgeführt. Die drei wehrpflichtigen Helden drehen alles um; sie flicken und
heilen zwar, aber durch Jux. Formal sind sie zwar Soldaten, tatsächlich aber haben sie
nichts im Sinn mit den Regeln der US-Army; sie flirten, feixen, bekehren auch andere zu
ihrem unbekümmerten, anarchischen Hedonismus.
Gerade in diesem fröhlichen Zynismus allerdings zeigt sich die verdrängende Abwehr.
M*A*S*H ist zwar ebenso wie der ein Jahr später von Mike Nichols nach dem Roman
von Joseph Heller gedrehte Film Catch 22 ein Anti-Kriegsfilm, indem er die Regeln
verletzt und den Krieg und die Kräfte, die hinter ihm stehen, als absurd in sich entblößt,
die politische Analyse der Hintergründe des Geschehens als eigentlich moralische
Reflexion wird jedoch zugunsten des befreienden Gelächters verdrängt. Der tatsächliche
Horror des amerikanischen Militarismus bleibt zugunsten des anarchischen Klamauks
und der sexistischen Unterhaltung ausgespart. Bezeichnend wurde M*A*S*H nach dem
Erfolg des Films 1972 in eine Fernsehserie umgewandelt und überdauerte mit seiner
elfjährigen Laufzeit unbeschadet den gesamten Vietnamkrieg.
2. Besinnung: Coming Home in den 70ern
Von einigen Filmen wie beispielsweise Greetings (1968) von Brian DePalma oder
Stuart Hagmans The Strawberry Statement (1970) abgesehen, die Themen wie
Wehrdienstverweigerung und Campusrevolte aufgreifen, schienen US-amerikanische
Filmemacher erst nach dem Ende des Vietnamkrieges ernsthaft bereit, Filme zu
produzieren und eine Symbolsprache zu suchen, die sich direkt mit der Katastrophe
in Südostasien auseinandersetzten. Mit den Heimkehrern aus Vietnam konfrontiert,
konnte die bürgerliche Öffentlichkeit die Folgen der von ihr angeordneten Gewalt
zwar in Bezug auf das Schicksal der Vietnamesen verdrängen, nicht länger ignorieren
konnte sie das subversive Potential von Tausenden desillusionierter, psychisch und
physisch verkrüppelter junger Männer im eigenen Land das ideologisch zu binden war.
Nach ersten Versuchen wie The Visitors von Elia Kazan (1972), Welcome Home, Jonny
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Bristol von George McCowans (1972) oder Mark Robsons Limbo (1973) häuften sich
diese Versuche, “to confront Viet Nam through its veterans” (Hellman 1986, 101),
gegen Ende der 70er Jahre mit Filmen wie Paul Kagans Heroes (1977) oder Dog Soldiers
(1978) von Karel Reisz (nach dem Roman von Robert Stone) und fanden 1978 mit
der Starbesetzung von Hal Ashbys Coming Home ihren zwar nicht qualitativen, aber
spektakulären Höhepunkt.
Der Film beginnt mit einer Reihe von Einstellungen, die eine Gruppe von jungen,
körperbehinderten Veteranen zeigen, die ihre Rolle in dem Krieg diskutieren. Unter
ihnen ist Luke Martin (Jon Voight), der durch einen Granatensplitter hüftabwärts
gelähmt ist. In ironischem Kontrast dazu werden danach zwei Männer vorgestellt, die
kurz vor ihrer Versetzung nach Vietnam stehen: Captain Bob Ride (Bruce Dern) und sein
Freund Dink (Robert Ginty) ergehen sich in Macho-Bemerkungen über den Krieg und
ihre Frauen. Nach Bobs Abreise meldet sich Sally (Jane Fonda), seine Frau, freiwillig zum
Dienst in einem Veteranenhospital. Was nun folgt, ist die für Hollywood aufbereitete
Emanzipation einer statusbewußten, spießigen Offiziersgattin. Im Hospital lernt Sally
Luke kennen. In einem langwierigen Prozeß des Lernens und Umdenkens verlieben sich
die beiden - einer der symbolträchtigen Höhepunkte des Films wird der einfühlsam in
Szene gesetzte Augenblick sein, in dem Sally und Luke einander lieben und Sally trotz
der Behinderung ihres Partners dabei zum ersten Mal einen Orgasmus erlebt.
Seine politische Dimension erhält der Film, als Lukes bester Freund im Veterans
Hospital den Druck der Erinnerung nicht mehr aushält und Suizid begeht. Was Lukes
Verwundung nicht schaffte, löst dieser Vorfall aus - er wird zum aktiven Anti-Vietnam
Kämpfer. In einer verzweifelten Protestaktion kettet er sich an das Eingangstor der
Rekrutierungsstelle des Marine Corps. Am Ende des Films wird zu sehen sein, wie er
vor einer Gruppe von High School Schülern spricht und versucht ihnen klarzumachen,
daß die tatsächliche Erfahrung des Krieges nichts mit dem zu tun habe, was sie im
Kino oder in den Comics sähen, und daß die psychischen Wunden, die er verursache,
schlimmer seien als die sichtbaren körperlichen Verletzungen. Parallel dazu montiert
Ashby Einstellungen von Sallys inzwischen aus Vietnam zurückgekehrten Mann Bob,
wie er am Strand seine Kleidung ablegt und durch Hinausschwimmen aufs Meer Suizid
begeht. Vietnam hat seine bourgeoisen Werte bis ins kleinste zerstört: Seine Frau liebt
das komplette Gegenstück von ihm selbst, und nicht für eine Heldentat, wie er es sich
erträumt hatte, sondern für einen Unfall, bei dem er sich selbst ins Bein geschossen hatte,
hat er einen Orden verliehen bekommen.
An Coming Home zeigt sich das Dilemma vieler der Veteranenfilme. Was zunächst wie
die endlich überfällige Analyse des vietnamesischen Debakels aussieht, enthüllt sich
zumeist schnell als Flucht in das private Idyll. Luke bemerkt nach seiner Protestaktion
im Fernsehen:
I’m here because I’m trying to tell people, man, if we want to commit suicide, we have
plenty of reasons to do it right here at home. We don’t have to go to Vietnam to find a
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reason to kill ourselves. There’s nothing why we should be over there.
Deutlich fällt Ashby hier hinter die Erkenntnisse der studentischen AntiVietnambewegung und auch der VVAW (Vietnam Veterans Against the War)
zurück. Der Krieg erscheint allein als sinnloses Unternehmen, als administrative
Fehlentscheidung. So sehr dem Film zugutezuhalten ist, daß er gerade durch sein
Anknüpfen an die Tradition des Hollywood-Melodrams Identifikationsmöglichkeiten
schuf und so den psychologischen Aspekt des vietnamesischen Traumas auch für ein
breiteres Publikum wirkungsvoll in Szene setzte, so sehr erscheint Vietnam in Coming
Home immer noch als ein Krieg, der weit weg stattgefunden hat, dessen Verbrechen
nicht vor allem in der der imperialistischer Logik folgenden Unterdrückung der
Befreiungsbewegung eines geknechteten Landes zu suchen ist, sondern allein in dem
Leiden, das er in den beteiligten Amerikanern ausgelöst hat.
Neben Low Budget-Produktionen wie Winter Soldier (1972), einem Dokumentarfilm
über ein von den VVAW veranstaltetes Öffentliches Hearing zu Kriegsverbrechen in
Vietnam, ist Solidarität mit der unterdrückten Bevölkerung in Vietnam denn auch
meist nur Filmen zu entnehmen, die von Regisseuren gedreht wurden, die selbst einer
unterdrückten Minorität in den USA angehören. In Ashes and Embers, einem Film
des Äthiopiers Haile Gerima, kehrt ein schwarzer GI aus dem Vietnamkrieg zurück.
Desorientiert fühlt er sich zunächst weder von seinen politisierten Freunden noch
von seiner Freundin verstanden. Erst als seine erdverbundene Großmutter ihm die
psychologische Bedeutung des Stückchens Land vermitteln kann, das sie besitzt und
für das seine Vorfahren, freigelassene Sklaven, als eine Heimat nach dem Verlust der
afrikanischen gekämpft hatten, löst sich der Knoten: Ihm wird klar, daß auch in Vietnam
nur Menschen ihre Heimat verteidigt hatten. Seine Verwirrung resultierte daraus, daß
er, der selbst einer unterdrückten Minorität angehörte, indem er nun auf seiten der
Unterdrücker gegen die Vietnamesen kämpfte, dort die ganze Zeit auch gegen sich selbst
gekämpft hatte.
Nach der Kontroverse um The Green Berets hatte Hollywood es vermieden, noch einmal
mehr als marginal direkt auf die Kampfhandlungen in Vietnam einzugehen. Eine
Ausnahme bildete 1979 Francis Ford Coppolas monumentales Epos Apocalypse Now,
das, vage an Heart of Darkness angelehnt, Joseph Conrads Parabel über Imperialismus
und Grausamkeit, als filmisch elaboriertestes und innovativstes Werk monolithisch aus
den US-amerikanischen Prodliktionen über Vietnam herausragt.
Die Handlung des Films ist eher karg: 1969 erhält Captain Willard (Martin Sheen) von
den berüchtigten Special Forces im Hauptquartier des CIA in Da Nang den Auftrag,
jenseits der vietnamesischen Grenze in Kambodscha einen gewissen Colonel Kurtz zu
liquidieren, der dort mit einer Privatarmee aus US-Deserteuren und Montagnards, einem
vietnamesisch-kambodschanischen Bergstamm, gnadenlos und von seinen Kämpfern
wie eine mythische Figur verehrt in seinem Dschungelreich herrscht.
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Die Fahrt des Patrouillenbootes, mit dem Willard und seine kleine Truppe den Fluß
hinauffahren, wird zu einem Alptraum, der faszinierend und schrecklich zugleich ist.
In Coppolas Vietnam rattern Salven aus elektronisch gesteuerten Maschinengewehren,
die in Panik von bekifften Freaks bedient werden, während sie die Songs der Rolling
Stones und Doors hören. Ein vietnamesisches Dorf, dessen Kampfwille nicht zu brechen
war, wird von einem B-52-Geschwader in die “Steinzeit zurückgebombt”, einzig weil
der kommandierende Offizier einige seiner Leute wellenreiten sehen möchte und die
Brandung vor dem Dorf hervorragende Wellen für diesen Sport erzeugt. Aus einer der
Lautsprecherboxen der angreifenden Helikopter dröhnt Wagners “Walkürenritt”: Der
Krieg wird zum grausigen Happening, in dem derealisierte Menschen dem Ansturm
des Unfaßbaren ihre “kicks” entgegensetzen. In einem Interview mit H.C. Blumenberg
bemerkte Coppola:
Ich habe den Film mehr von einer Drogen-Sensibilität her gemacht. Es geht ganz eindeutig
nicht um das wirkliche Vietnam ... Es sollte ein Film der Gefühle, der Impressionen werden
(zit. n. Weine 1986, 150).
Wie schon in Conrads Vorlage überlagern sich dabei Innen und Außen: Auf dem Weg
zu Kurtz’ Lager wird Willard immer wieder dessen Geheimakte studieren. Das Dossier
schildert ihn als einen reflektierten Menschen voller Entschlossenheit und Güte, das
Musterbeispiel eines hochkarätigen Offiziers. Seine Aktionen deuten denn auch weniger
auf Wahnsinn hin als auf einen extremen Verschleiß an Seele und Moral. Je näher
Willard ihm kommt, um so mehr identifiziert er sich mit dem Mann, den er umbringen
soll und der irgendwann aus seinem Dschungelreich an seine Frau geschrieben hat: “I
am beyond that timid line of morality, so I am beyond caring”. Allmählich wird Willard
bewußt, daß sein Schicksal mit dem seines Opfers untrennbar verbunden ist: Er muß
Kurtz töten, um sich und ihn zu erlösen. Die zivilisierte Rationalität muß über den
archaischen Schrecken siegen, jedoch nicht ohne selbst vorher tief in ihn eingedrungen
zu sein.
Kurtz’ Liquidation durch Willard wird denn auch zum kathartischen Ritual - die Takes
von der Bewegung des auf Kurtz niederfallenden Hackmessers sind demonstrativ parallel
montiert mit denen der auf einen Büffel niedersausenden Opfermesser der Montagnards
vor der Tür zu Kurtz’ palastartiger Behausung. Während Kurtz mit den Worten “The
Horror ... the Horror” stirbt, zeigt die Kamera in mehrfachen Uberblendungen Willard
auf dem Bug seines Bootes, in Untersicht und im Gegenlicht nun selbst von einer Aura
umgeben, aber eben flußabwärts, zur Zivilisation zurückkehrend.
Coppolas Film ist vorzuwerfen, daß er mit Ausnahme der Sequenz des sinnlos
angegriffenen vietnamesischen Dorfes wenig Gedanken auf die andere Seite, die von
einer imperialistischen Macht überfallene wehrlose Bevölkerung und damit die kausale
Reflexion des Krieges in Vietnam verschwendete. Und auch die weniger wehrlosen
Montagnards bleiben meist gesichtslose, in ihren Handlungen exotisch fremde und
unverständliche “Wilde”, die nicht als humane Wesen erkennbar werden, sondern - in
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typischer kolonialimperialistischer Perspektive - lediglich “backdrop function” erfüllen.
Was Apocalypse Now jedoch überzeugender als alle anderen Filme davor und danach
schafft, ist, die unbewußte Dimension des Kriegsalltags in Vietnam in Szene zu setzen,
jenes psychotisierte Bewußtsein, das in einer Mischung aus verfremdender Ästhetisierung
des Geschehens und Triebentbindung die Folgen der amerikanischen Aggression in
Vietnam zu überleben hoffte und doch trotzdem immer wieder von dem aus dem
Paradies ausbrechenden Grauen eingeholt wurde, das letztlich nur die Spiegelung des
eigenen Handelns war. Allerdings, und dies zeigt sich auch an der vorwiegend literar- und
mythokritischen Rezeption des Films (vgl. Geng 1979, Steward 1980, Kinder 1979/80),
löste er diese Erfahrung nicht kritisch auf, sondern verfiel selbst immer wieder einer
enthistorisierenden Faszination wie es nicht zuletzt auch die von seiner Frau Eleanor
beschriebene persönliche Identifikation von Dreharbeiten und tatsächlichem Krieg in
Vietnam nahelegt (vgl. Coppola 1980).,
Als Coppolas Film 1979 erschien, standen die USA innenpolitisch vor der Wende.
Ökonomische Krisen und das verunsicherte Bewußtsein zeitigten ihre Folgen in
einem psychologischen Roll-back, der schließlich mit der Wahl Ronald Reagans zum
Präsidenten seinen Höhepunkt finden sollte. War Coppolas Apocalypse Now noch einmal
der umfassende Versuch, dem Vietnamkrieg in den Schreckensvision-en der entfesselten
Psyche ein mahnendes Zeichen zu setzen, zeigten sich in dem anderen monumentalen
Vietnamfilm dieser Zeit, in Micheal Ciminos The Deer Hunter, bereits deutliche Züge,
die Erfahrung von Vietnam reaktionär umzuinterpretieren.
Es ist das Jahr 1968. Nick (Christopher Walken), Michael (Robert de Niro) und Steven
(John Savage), die in einem Stahlwerk in Clairton, Pa., arbeiten, stehen kurz vor der
Einberufung nach Vietnam. Steven heiratet noch schnell, und Mike und Nick gehen
ein letztes Mal auf die Jagd, die Cimino in einer großartigen mise en scène verfolgt.
Zwei Jahre später: Alle drei sind in vietnamesischer Gefangenschaft, wo die zentrale
Metapher des Films eingeführt wird: Zu ihrem Zeitvertreib veranstalten die Aufseher
mit den Inhaftierten ein grausames “Russisch Roulette”. Erst durch einen verwegenen
Trick Michaels, der vorgibt, das Spiel auf die Spitze treiben zu wollen und sich drei
Patronen in den Revolver laden läßt, können die Freunde fliehen. Auf der Flucht werden
sie jedoch getrennt. Steven wird schwer verletzt - Michael wird ihn, nachdem er ihn auf
seinem Rücken in Sicherheit gebracht hat, erst in den USA als beinamputierten Krüppel
in einem Veterans Hospital wiedersehen. Nick taucht, neurotisch auf die Wiederholung
der traumatischen Situation des Russisch Roulette fixiert, im Vergnügungsviertel
von Saigon unter, wo das Spiel von Drogenabhängigen um Geld gespielt wird. Nur
Michael kommt unversehrt und hochdekoriert nach Clairton zurück, hat aber trotz der
Einfühlsamkeit seiner Jugendliebe Linda (Meryl Streep) ebenfalls Schwierigkeiten, sich
wieder an den normalen Alltag zu gewöhnen. Als er erfährt, daß jeden Monat bei Linda,
der wiederum Nick vor seiner Abfahrt nach Vietnam ein Heiratsversprechen gemacht
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hat, aus Saigon eine hohe Summe Geldes eintrifft, macht er sich auf, seinen Freund dort
zu suchen. Saigon steht kurz vor der Übergabe an die siegreiche Volksarmee Ho-Tschi
Minhs. Michael findet Nick, wie er es geahnt hat, in einer Spielhölle, wo das tödliche
Spiel des Russisch Roulette sich unverminderter Popularität erfreut. Er versucht Nick
zu beschwören, mit ihm zu kommen. Psychisch ausgebrannt wie Nick ist, erkennt ihn
dieser jedoch nicht mehr. Verzweifelt fordert Michael ihn heraus. Beide überleben die
erste Runde, beim zweiten Mal jedoch geschieht das längst Überfällige - Nick schießt
sich eine Kugel in den Kopf. Damit scheint der Spuk Vietnam endgültig vorbei: The
Deer Hunter schließt damit, daß nach dem Begräbnis des in die USA überführten
Leichnams von Nick Kriegsheimkehrer und Freunde in ein sentimentales “God bless
America” einstimmen.
The Deer Hunter ist ein Film urkonservativer Metaphern und Bilder. In seiner
Idealisierung des charismatischen Helden/Führers, seinem Einsatz des Gewehrs/Revolvers
ab Zeichen vorhandener/fehlender Virilität, seiner Hypostase der (ukrainischen)
Einwanderergemeinschaft und seiner “wilderness”-Metaphorik hat er weniger mit
Vietnam zu tun als vielmehr mit einer Reinterpretation uramerikanischer Mythen -Don
Francis hat in ihm so die mythische Landschaft des “American Garden” entdeckt (Francis
1983) und David Axeen hat ihn einen “Eastern Western” genannt (Axeen 1979).
Trotz beachtlicher Leistungen in der Regie auch filmisch eher konservativ, bestätigt
The Deer Hunter den amerikanischen Zuschauer weitab von einer kritischen Analyse
des Geschehens von der Rechtmäßigkeit der US-amerikanischen Präsenz in Vietnam.
“Serving God and Country proudly” lautet das Spruchband über dem Saal, in dem zu
Beginn des Films die Hochzeitsfeier von Stevie stattfindet und von dem aus die Männer
der Hochzeitsgesellschaft in der Morgendämmerung zu ihrer Jagd aufbrechen. Und in
Vietnam reiht sich ein xenophobisches Stereotyp an das andere. Es ist ein verkommener
Franzose, der den nach seiner Gesundung ziellos durch Saigon streifenden Nick zum
Zuschauen beim Russisch Roulette in der Spielhölle verführt. Und mit Ausnahme der
Flüchtlinge und Zurückgebliebenen in Saigon werden alle Vietnamesen in dem Film
als hemmungslose Spieler oder Sadisten dargestellt: Das einzige Interesse der Vietcong,
die die drei Helden gefangen genommen haben, scheint nicht etwa der Gewinn von
Informationen über den militärischen Gegner zu sein, sondern das sinnlose Wetten
darauf, wer denn beim Russisch Roulette sein Leben verlieren wird - ein Spiel, das zudem
in Vietnam während des Krieges völlig unbekannt war (Suid 1979, 25). Und das einzige
Mal, in dem der Zuschauer einen nordvietnamesischen Soldaten zu Gesicht bekommt,
ist der Augenblick, in dem dieser in ein Versteck, in das sich wehrlose, verängstigte
Frauen und Kinder geflüchtet haben, eine Handgranate wirft - wobei es denn nur als
gerecht erscheint, wenn Michael ihn mit einem Flammenwerfer zur lebenden Fackel
macht. In Ciminos rassistischer Vision scheinen selbst die Verbündeten der USA. die
südvietnamesischen Regierunzseinheiten, nicht zu mehr Menschlichkeit bereit, als
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den schwerverletzten Steven auf der Kühlerhaube liegend mitzunehmen und so der
Verkrüppelung anheimzugeben.
Das psychologische Prinzip einer solchen Argumentation ist nur zu bekannt - die eigene
Barbarei in Vietnam, die nicht mehr wegzudiskutieren war, nachdem die Medien My
Lai und andere Kriegsverbrechen aufgedeckt hatten, wird durch Entmenschlichung des
Gegners rationalisiert: “If American involvement was wrong-headed and even criminal, it
was only because it exposed ‘our Boys’ to contamination by a continent so irredeemably
mired in moral corruption ... that it hardly deserved to be saved” (Adair 1981, 140).
Was Robin Wood als zentrales Thema von The Deer Hunter auszumachen meint, “the
way in which the invasion of Vietnam ... by America is answered by the invasion of
America by Vietnam” (Wood 1986, 276), wird hier, zumindest psychologisch, geradezu
konterkariert: Die schuldmachende Erinnerung wird paranoid aus dem Innen in das
fremde Außen projiziert und kann dort unter Vernachlässigung des eigenen Anteils an
dem Verhalten des Gegners abgewehrt werden - Terry Curtis Fox hat diese Tendenz in
The Deer Hunter “horror of the Otherness of the outside world” genannt (Fox 1979,
24). Eine politische Analyse gar erscheint dann ob ihres angstauslösenden Inhalts als
defätistische Bedrohung und wird tendenziell mit dem Gegnerbild identifiziert. Wo
andere Filme einen Dissens zumindest noch in der Aufkündigung des Verständnisses für
die Vorgänge in Vietnam in Szene setzen, fehlt bei Cimino solche Opposition ganz. The
Deer Hunter ergeht sich in einer schulterklopfenden Minnlichkeit, die allenfalls in ihren
Eingewöhnungsschwierigkeiten noch von dem begangenen Verbrechen weiß.
3. Die Reaktion: Von Reagan zu Rambo und danach
In seinem Appell an konservativ besetzte Werte wie Männlichkeit, Ehre und
Kameradschaft und seinem ungenierten Hurrapatriotismus, der sämtlichen
vorausgegangenen Aufarbeitungen Hohn sprach, ist Michael Ciminos The Deer Hunter
als Vorläufer jener Filme zu sehen, die im Kielwasser des Reaganschen “America is not
gonna be pushed around anymore”-Bewußtseins Anfang der 80er Jahre die filmische
Verarbeitung des Vietnamtraumas in den USA bestimmten.
Filme wie Rambo II (1984) von George P. Cosmatos oder Missing in Action von Sydney
Furie (1984) geben sich ungeniert faschistoiden Botschaften hin. Wiederkehrendes
Schema dieser Filme ist die Unfähigkeit der demokratischen Institutionen, in
Konfrontation mit der „kommunistischen Diktatur“ in Vietnam die Interessen der von
ihnen Vertretenen wahrzunehmen. Es bedarf erst des heroischen Mutes eines ebenso
muskelbepackten wie geistig beschränkten Einzelkämpfers, seine noch in Vietnam
gefangenen Kameraden zu befreien. Bis zur Dolchstoßlegende ist es dann nicht mehr
weit: “It’s time that we recognized ours was a noble cause... Let us tell those who fought
in that war that we will never again ask young men to fight and possibly die in a war
our Government is afraid to let them win”, erklärt einer der glühendsten Verehrer von
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Rambo - Ronald Reagan. (zit. n. Ahlemeyer 1985, 348). Nicht mehr Erinnerungsarbeit
wird hier betrieben, sondern „Verleugnungsarbeit“ (Mitscherlich). Es geht nicht mehr
darum, in der künstlerischen Aufarbeitung der militärischen Eskalation in Südostasien
und ihrer Folgen für die Heimgekehrten ein moralisches und politisches Verständnis
zu entwickeln, das für die Zukunft eine Wiederholung ausschließt, sondern man hofft,
die Wunden des narzißtischen Selbstbildes durch Geschichtsverleugnung schließen zu
können.
Bezeichnenderweise sind die zwei einfühlsamsten neueren Verarbeitungen des Krieges
in Indochina denn auch von britischen Regisseuren verwirklicht worden - Birdy (1984),
eine englische Produktion von Alan Parker nach dem gleichnamigen Roman von
William Wharton, der in der Psychiatrie eines Armeehospitals einsetzt, in das der Held
nach dem Vietnamkrieg eingeliefert worden ist, und vor allem The Killing Fields von
Roland Joffé (1984), der auf einer wahren Geschichte beruht.
Im August 1973, just zu dem Zeitpunkt als die US Airforce Kambodscha bombardierte,
wie es hieß aufgrund eines Navigationsfehlers, trifft Sydney Schanherg (Sam Waterston),
der Reporter der New York Times in der Hauptstadt Phnom Penh ein. Mit seinem
Führer und Dolmetscher Dith Pran (Dr. Haing S. Ngor) fährt er auf der Stelle nach
Neak Loung an den Ort des Geschehens. Es ist der Beginn einer tiefen Freundschaft
zwischen dem Amerikaner und dem Asiaten, einer Freundschaft, die jedoch bald von
den politischen Realitäten eingeholt wird. In Kambodscha gewinnen Pol Pots Khmer
Rouge die Überhand und versuchen, das Land in einen „urkommunistischen“ Agrarstaat
ohne Famlien und Städte zu verwandeln. Nach der Einnahme Phnom Penhs können
ausländische Diplomaten und Journalisten das Land verlassen, die Einheimischen
indessen werden dabehalten - umgeschult oder getötet. So gelingt es auch Dith Pran
nicht, seiner Familie, die rechtzeitig evakuiert werden konnte, nachzureisen. Zwar
versuchen Schanberg und sein Fotograf Al Rockoff (John Malkovich), ihm einen
gefälschten Paß zu besorgen, der Versuch schlägt jedoch fehl; Dith Pran muß das
Gelände der französischen Botschaft, auf das die Journalisten sich geflüchtet haben,
wieder verlassen. Nach Jahren der Hölle in den Umerziehungslagern, in denen selbst die
Befehlshaber ihren Leuten nicht trauen, und einer dramatischen Flucht durch die von
Leichen übersäten Felder Kambodschas, die “Killing Fields”, kann sich Dith Pran jedoch
zu einem Flüchtlingscamp in Thailand durchschlagen, wo Schanberg ihn schließlich
abholt.
In seinen klaren, direkten, nur an wenigen Stellen spektakulären Bildern vereinigt The
Killing Fields dokumentarische Qualitäten mit den dramaturgischen Möglichkeiten des
engagierten Spielfilms. Obwohl in Kambodscha spielend faßt er das gesamte Debakel des
US-amerikanischen Engagements in Südostasien noch einmal zusammen - die imperiale
Selbstherrlichkeit der Amerikaner, die ihre Niederlage kaum zu fassen vermögen, die
ständigen Lügen des Militärs über die eigenen Einsätze, aber auch das widersprüchliche
Verhalten der Befreiungskämpfer, deren psychische Spannung sich nach der jahrelangen
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Verfolgung und Unterdrückung nun in einer erschreckenden Grausamkeit Luft
macht. In seiner wohltuenden Differenziertheit, die auch dort nicht aufhört, wo die
koloniale Privilegiertheit des Europäers, die ihn noch in den gefährlichsten Situationen
schützt, mit der Auslieferung der Kambodschaner an die in ihrer Heimat und ihnen
selbst entfesselten Kräfte kontrastiert wird, vermeidet der Film gerade jene rassistische
Verkürzung, die als hervorstechendes Merkmal US-amerikanischer Verarbeitungen des
Krieges in Vietnam zu konstatieren war, die Dämonisierung des Gegners, die für ein
Verständnis des anderen als empfindendem und der Freundschaft zwischen den Kulturen
fähigen Menschen keinen Platz mehr läßt. Indem The Killing Fields gerade eine solche
individuelle Freundschaft als möglich in Szene setzt, wird psychologisch Trauer möglich.
Die Bewohner Südostasiens werden als das verständlich, was sie sind - Menschen, die
unendlich unter der imperialistischen Einmischung der Europäer/Amerikaner gelitten
haben und deren Leiden an den Folgen der Unterdrückung auf unabsehbare Zeit noch
nicht vorbei sein wird.
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