Die B-Einleitung

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Die B-Einleitung
Technische Universität Dortmund, Sommersemester 2008
Institut für Philosophie, C. Beisbart
Kant, Kritik der reinen Vernunft
Übersicht über die Sitzung vom 22.4.2008
Textgrundlage: B-Einleitung und Beginn der transzendtalen Ästhetik. Zeilenangaben nach der Meiner-Ausgabe J. Timmermann 1998 mit Z.
1
Was ist die Kritik der reinen Vernunft?
Antwort nach Kant:
[der] Gerichtshof [...], der sie [die Vernunft] bei ihren gerechten Ansprüchen
”
sichere, dagegen aber alle grundlosen Anmaßungen, nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen
könne [...]
Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse,
zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt
und die Bestimmung so wohl der Quellen, als des Umfanges und der Grenzen
derselben, alles aber aus Prinzipien.“ (AXI–XII)
In dem Gerichtshof, den Kant nennt, tritt die Vernunft als Klägerin, Angeklagte und
Richter auf. Gegenstand der Klage sind Anmaßungen der Vernunft, d.h. Wissensansprüche, die sich nicht auf Erfahrung stützen. Viele Metaphysiker haben sich angemaßt,
unabhängig von der Erfahrung zu diesen oder jenen Schlussfolgerungen zu kommen. Es
fragt sich, ob sie das berechtigterweise getan haben.
2
Zur B-Einleitung
Zweck der Einleitung
In der Einleitung zur KrV wird das Programm einer Vernunftkritik präzisiert, das bisher
nur durch die Metapher des Gerichtshofes eingeführt wurde. Außerdem nimmt Kant
einige terminologische Klärungen vor, die für die gesamte Krv leitend sind.
Inhalt der Einleitung
Wir gehen von hinten vor. In Abschnitt VII wird das Programm der Kritik der reinen
Vernunft präzisiert. Dort Definition von Vernunft:
Vernunft [ist] das Vermögen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori
”
an die Hand gibt“ (B24).
Zur Erklärung von a priori“ siehe unten.
”
Definition reiner Vernunft:
reine Vernunft [ist] diejenige, welche die Prinzipien, etwas schlechthin a
”
priori zu erkennen, enthält“ (B24).
Offenbar spielt Kant an dieser Stelle auf Erkenntnisse a priori an, die auch rein sind
(B3, siehe unten).
Definition Kritik reiner Vernunft
eine Wissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen
”
und Grenzen“ (B25)
Die Kritik der reinen Vernunft ist keine Doktrin, sondern die Propädeutik zum System
”
der reinen Vernunft“ (B25).
Ausschlaggebend für die Wissenschaft mit dem Namen Kritik der reinen Vernunft“
”
sind dabei die Sachfragen, die in VII genannt werden. Sie lassen sich nach Kant durch
Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (B19)
”
zusammenfassen.
Wir überlegen uns nach und nach den Sinn der Frage:
1. Was sind synthetische Urteile? Antwort: Kant untersucht nur bejahende Urteile
(B10) einer bestimmten Form: In ihnen wird einem Subjekt ein Prädikat zugeschrieben –
diese Urteile haben also die Form Subjekt-Prädikat“ (ib.). Subjekt und Prädikat können
”
wir als Begriffe auffassen (Kant: Begriff[...] des Subjekts“, B11, Z. 28; dass Kant auch
”
das Prädikat als Begriff auffasst, wird in B13, Z. 28 an einem Beispiel deutlich).
In bejahenden synthetischen Urteilen der Form Subjekt-Prädikat“ ist das, was im
”
Prädikat gedacht wird, noch nicht im Begriff des Subjekts gedacht/enthalten (B10–11).
Ihre Verneinung ergibt daher keinen Widerspruch. Gegensatz: Analytische Urteile. Ihre
Verneinung ergibt einen Widerspruch (B12).
Problem: Es gibt auch Urteile, die nicht dem einfachen Subjekt-Prädikat-Schema
folgen (vgl. A70/B95 Urteilstafel). Beispiel: das Urteil, dass es schneit, wenn es kälter
wird. Frage: Wann sind solche Urteile synthetisch? Erweiterung des Begriffs der Synthetizität: Wahre synthetische Urteile sind nicht bereits aufgrund der verwendeten Begriffe,
insbesondere auch der logischen Verknüpfungen wie wenn-dann“ wahr – ihre Wahrheit
”
ist nicht bloß eine Sache von Logik (logische Form) und Semantik (Bedeutungslehre;
hier Bedeutung der Begriffe). In anderen Worten: Die Verneinung eines synthetischen
Urteils ergibt keinen Widerspruch.
2. Was sind Urteile a priori? Kant definiert in Teil I der Einleitung Erkenntnis
(nicht Urteile) a priori: Eine Erkenntnis ist a priori, wenn sie vollkommen unabhängig
von aller Erfahrung ist (B2–3; Kant: stattfinde[t][...]“, B3). Reine Erkenntnisse a priori
”
bilden eine Teilmenge von Erkenntnissen a priori. Ihnen sei gar nichts Empirisches bei”
gemischt“ (B3). Eine Erkenntnis, die nicht a priori ist, firmiert als empirisch. Erfahrung
meint dabei Sinneserfahrung (nicht: ästhetische etc. Erfahrung).
Interpretationsprobleme:
1. Was heißt: Eine Erkenntnis ist unabhängig von Erfahrung? Antworten: a. Sie hat
keine Konsquenzen, die sich empirisch überprüfen lassen (keinen empirischen Gehalt, wie man heute sagen würde; sie ist nicht empirisch falsizifierbar). Problem
mit dieser Interpretation: Kant gibt Beispiele von Erkenntnissen a priori, die sich
wenigstens aus heutiger Sicht empirisch überprüfen lassen (wenigstens zusammen
mit anderen Hypothesen; Erhaltung von Quantität Materie, B17). b. Mohr (2004),
S. 83: Urteil a priori: Über seine Wahrheit kann man ohne Erfahrung entscheiden.
Problem mit der Interpretation: Sie ist zu ungenau. Was heißt es, über die Wahrheit zu entscheiden? Falsifizieren? Verifizieren? c. Erkenntnis a priori muss ohne
Rekurs auf Erfahrung begründet werden; die Erfahrung ist nicht ihre Quelle. Vorteile der Interpretation: α. Kontext der Unterscheidung a priori vs. empirisch/a
posteriori: Dort, d.h. in Teil I der Einleitung, geht es zunächst um das, woraus die
Erkenntnis entspringt, ihre Quellen; β. Die Interpretation erklärt, warum Kant a
priori für Erkenntisse und nicht für Urteile definiert. Erkenntnisse bilden Wissen
und müssen daher begründet sein (Wissen als begründete wahre Meinung), Urteile dagegen nicht. Problem mit der Interpretation: Kant nennt später hinreichende
Kriterien für Erkenntnisse a priori; bei den Kriterien geht es allerdings der Sache
bloß darum, dass eine bestimmte Erkenntnis durch Erfahrung allein nicht gerechtfertigt werden kann; nicht, dass die Erkenntnis unabhängig von aller Erfahrung
gerechtfertigt werden muss (B3–4). Fazit zu Interpretationsproblem 1: Dennoch
halte ich die Interpretation c. für am besten.
2. Was ist ein Urteil a priori? Antwort: Sein Inhalt ist dergestalt, dass es, wenn es
denn begründet werden soll, nur ohne Rekurs auf Erfahrung begründet werden
kann.
3. Wodurch zeichnen sich reine Erkenntnisse a priori von anderen Erkenntnissen a
priori aus? Problem: Kant zufolge ist reinen Erkenntnissen a priori gar nichts Em”
pirisches beigemischt“ (B3). Aber nach Kant finden schon apriorische Erkenntnisse
unabhängig von aller Erfahrung statt. Wie soll dann einer apriorischen Erkenntnis
Emprisches beigemischt sein? Antwort: Bei der Unterscheidung von a priori vs. a
posteriori geht es um die Verbindung von Subjekt und Prädikat (allgemeiner von
Begriffen, die in einer Erkenntnis, einem Urteil vorkommen). Die entscheidende
Frage lautet: Muss diese Verbindung unabhängig von aller Erfahrung gerechtfertigt werden? Bei der Frage, ob eine apriorische Erkenntnis rein ist, geht es demgegenüber darum, ob die Begriffe, die verwendet werden, noch empirisch sind (vgl.
dazu die Unterscheidung von Konzept- und Wissensempirismus; der Konzeptempirismus betrifft die Herkunft von Begriffen; der Wissensempirismus die Begründung
von Wissen auf der Grundlage bestimmter Begriffe; s. dazu Markie 2004). Diese
Interpretation wird auch von Mohr (2004), S. 83–85 vertreten.
3. Beispiele für synthetische Urteile a priori? Antwort: a. 5+7=12“ (B15; Ma”
thematik), [der] Satz: dass in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quantität
”
der Materie unverändert bleibe (B17; Naturwissenschaft); die Welt muß einen ersten
”
”
Anfang haben“ (B18). Kein Beispiel ist das Urteil, dass alle Körper schwer sind – dieses
Urteil ist nach Kant empirisch (etwa B4).
In II. gibt Kant Kriterien für reine Erkenntnisse a priori an: Strenge Allgemeinheit (keine Ausnahmen erlaubt) und Notwendigkeit (ein Sachverhalt wird als notwendig
bestehend gedacht). Interpretationsprobleme:
1. Kant schwankt in II. zwischen der Rede von Erkenntnis a priori und reiner Erkenntnis a priori. Worum geht es ihm in diesem Abschnitt wirklich? Antwort: Der
Sache nach geht es vor allem darum, dass sich bestimmte Erkenntnisse/Urteile
allein durch Erfahrung nicht begründen lassen; das hat mehr mit der Unterscheidung a priori vs. empirisch zu tun. Vermutlich interessiert sich Kant in der KrV vor
allem für reine Erkenntnisse a priori, das wird aber nicht immer explizit erwähnt.
2. Sind die Kriterien notwendig oder hinreichend? Antwort: Kant wendet die Kriterien als hinreichende Kriterien an; d.h. wenn die Kriterien erfüllt sind, dann nimmt
er an, eine Erkenntnis/ein Urteil sei a priori. Problem mit dieser Antwort: Nach
der Interpretation oben reicht es für apriorische Erkenntnis nicht, dass sie sich
nicht allein durch Erfahrung begründen lässt.
3. Was meinen die Kriterien? Notwendigkeit: In einer Erkenntnis wird ein Sachverhalt
als notwendig dargestellt ( es musste so kommen; konnte gar nicht anders sein“).
”
Wichtig: Die Notwendigkeit muss nicht an der Oberfläche des Satzes, durch den ein
Urteil formuliert wird, ersichtlich sein. Beispiel: 5+7=12“ ist nach Kant notwen”
dig, aber in dem Satz ist nicht explizit von einer Notwendigkeit die Rede. Dennoch
denken wir uns, mathematische Erkenntnisse seien notwendig. Strenge Allgemeinheit: ist eine Steigerung von Allgemeinheit (Allgemeinheit: Ein Urteil betrifft eine
Gesamtheit von Gegenständen): Nach Kant ist das Urteil, dass alle Körper schwer
sind, noch nicht streng allgemein, obwohl es durch einen Allsatz ausgedrückt wird
(B4). Kant verlangt für strenge Allgemeinheit, dass eine Ausnahme unmöglich
erscheint. Problem: Auf S. B5 sagt Kant, alle mathematische Erkenntnis sei allgemein; nach Kant repräsentiert das Urteil, 5+7 sei 12, mathematische Erkenntnis
(B15); aber diese Erkenntnis scheint nicht allgemein (vgl. auch das Urteil, dass
die Welt einen Anfang haben muss; B18). Lösungen: a. Diese Erkenntnis ist in
folgendem Sinne allgemein: Für alle Objektklassen gilt: Fünf Gegenstände dieser
Art plus sieben Gegenstände dieser Art sind zwölf Gegenstände dieser Art. b. Die
Erkenntnis ist allgemein, weil sie von abstrakten Objekten spricht. c. Das Kriterium stenger Allgemeinheit ist hinreichend; es muss aber nicht notwendig sein.
Dann kann es auch apriorische Urteile geben, die nicht streng allgemein sind.
4. Wie hängen die beiden Kriterien zusammen? Kant: Die beiden Kriterien gehören
eigentlich zusammen – das heißt wohl, wenn das eine Kriterium erfüllt ist, dann ist
auch das andere erfüllt (B4). Allerdings sagt Kant, dass es in der Praxis ratsam sein
kann, beide Kriterien anzuwenden (B4). Jedes Kriterium für sich sei unfehlbar“
”
(B4).
Der inhaltliche Zusammenhang der beiden Kriterien leuchtet intuitiv nicht ein.
Was haben Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit miteinander zu tun? Gibt
es nicht Allgemeinheit ohne Notwendigkeit ( Alle Raben sind schwarz“) und Not”
wendigkeit ohne Allgemeinheit ( Dieser Rabe hier ist notwendig schwarz“)? Ein
”
Lösungshinweis: Strenge Allgemeinheit heißt nach Kant, dass eine Ausnahme nicht
möglich erscheint, und das hat etwas mit Notwendigkeit zu tun. Jedes Urteil, das
etwas einzelnes als notwendig darstellt, impliziert vielleicht umgekehrt einen allgemeinen Zusammenhang (vgl. Regularitätstheorien der Kausalität, ihnen zufolge
impliziert ein Urteil über einzelne Ereignisse wie, dass dieses A dieses B – dieser Stoß diese Bewegung – verursacht, einen allgemeinen Zusammenhang, nämlich
dass bestimmte Stöße bestimmte Bewegungen verursachen).
4. Was heißt hier Wie sind synthetische Urteile a priori möglich“? Antwort:
”
Es geht darum, dass synthetische Urteile a priori Erkenntnis oder Wissen darstellen; dass
sich bestimmte Überzeugungen, Aussagen, Urteile hinreichend rechtfertigen lassen, so
dass sie Wissen repräsentieren. Schon in der A-Vorrede stellt Kant die Frage, ob Metaphysik (als Wissenschaft) möglich sei (s.o.). Im selben Sinne geht es hier allgemeiner
um die Möglichkeit von Wissen a priori. Da Kant davon überzeugt ist, dass es in einzelnen Wissenschaften (Mathematik; Physik) synthetisches Wissen a priori gibt, steht
für ihn die Metaphysik nicht ganz allein da. Da die Mathematik und Physik für Kant
erfolgreiche Wissenschaften sind, kann man dort die Frage stellen, wie (nicht: ob) synthetisches Wissen a priori dort möglich ist. Kants KrV liefert daher auch, was man heute
Wissenschaftstheorie der Mathematik und Physik nennen würde.
5. Was ist der Zusammenhang der Frage Wie sind ... möglich?“ zur Me”
taphysik (um die es in der Vorrede geht)? Antwort: Nach Kant zielt die Me-
taphysik auf synthetische Erkenntnis a priori (B18). Dabei zielt die Metaphysik nicht
nur auf irgendeine synthetische Erkenntnis a priori, sondern auf solche, die den Bereich
aller möglichen Erfahrung überschreitet (B6). Nach Kant geht es der Metaphysik um
die Themen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“ (B7). Es folgt: Wenn es keine synthe”
tische Erkenntnis a priori gibt, dann gibt es auch keine Metaphysik als Wissenschaft.
Die Umkehrung gilt jedoch nicht. Interpretationsfrage: 1. Warum überschreitet man mit
diesen Themen den Bereich aller möglichen Erfahrung?
6. Warum sind synthetische Urteile a priori so problematisch? Antwort: Sie
lassen sich weder durch begriffliches Denken noch durch Erfahrung rechtfertigen (B11–
14).
Zusammenfassung
Obwohl die B-Einleitung Interpreten vor einige Probleme stellt, wird Kants Idee einer
Vernunftkritik deutlicher.
Gehen wir zunächst wie die Vorreden von der Metaphysik aus. Kant charakterisiert
die Metaphysik in der Einleitung als eine Disziplin, die auf synthetische Erkenntnis a
priori zielt. Eine solche Erkenntnis ergibt sich nicht bereits aus der Semantik und Logik
und kann nur ohne jeden Rekurs auf die Erfahrung gerechtfertigt werden. Kant ist davon
überzeugt, dass es synthetisches Wissen a priori in anerkanntermaßen wissenschaftlichen
Disziplinen gibt. Er fragt sich daher allgemeiner, wie ein solches Wissen möglich ist (E.
Förster: Die zentrale Frage der KrV lautet, ob und wie man durch reines Denken etwas
über die Welt herausbekommen kann). Die Kritik der reinen Vernunft klärt, wie und
in welchem Rahmen die Vernunft unabhängig von der Erfahrung synthetisches Wissen
erlangen kann.
3
Transzendentalphilosohie
Kant erklärt den Status seiner Vernunftkritik, indem er sie auf die Transzendentalphilosophie bezieht. Kant nennt eine Erkenntnis transzendental, wenn sie
sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von
”
Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“
(B25)
Transzendentalphilosophie enthält grob gesagt die grundlegenden Prinzipien transzendentaler Erkenntnis (B25). Gegenstand der Transzendentalphilosophie ist demnach nicht
ein Gegenstand in der Welt, sondern die apriorische Erkenntnis. Aus bestimmten Gründen, die wir hier nicht im einzelnen nachvollziehen müssen, setzt Kant die Kritik der
reinen Vernunft nicht mit Transzendentalphilosophie gleich (B25–28); die Transzendentalphilosophie ist umfassender; man kann grob sagen, die KrV bilde einen Teil der Transzendentalphilosophie; allerdings ist sie nicht insofern nur ein Teil der Transzendentalphilosohie, als sie bestimmte Gegenstände letzterer nicht abdeckt; vielmehr behandelt
sie diese Gegenstände nicht in jeglicher Hinsicht.
4
Die Gliederung der KrV
Die KrV zerfällt in transzendentale Elementar- und Methodenlehre. Der sachliche Grund
für diese Einteilung wird in der Einleitung nicht genannt, jedoch auf S. A707/B735 –
am Beginn der Methodenlehre – angedeutet:
Wenn ich den Inbegriff aller Erkenntnis der reinen und spekulativen Ver”
nunft wie ein Gebäude ansehe, dazu wir wenigstens die Idee in uns haben, so
kann ich sagen, wir haben in der transzendentalen Elementarlehre den Bauzeug überschlagen und bestimmt, zu welchem Gebäude, von welcher Höhe
und Festigkeit er zulange. [...] Jetzt [in der Methodenlehre] ist es uns nicht
sowohl um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu tun“ (A707/B735).
Wir können also sagen, dass es in der Elementarlehre um die Elemente oder building
”
blocks“ synthetischer Erkenntnis a priori geht, während die Methodenlehre den Zusammenhang dieser Erkenntnisse thematisiert. In der Elementarlehre werden daher einzelne
Elemente isoliert betrachtet.
Die transzendentale Elementarlehre wiederum gliedert sich in die transzendentale
Ästhetik (Wahrnehmungslehre) und die transzendentale Logik. Diese Unterteilung ergibt sich nach Kant aus der Tatsache, dass unsere Erkenntnis zwei Stämme“ hat, die
”
Sinnlichkeit und Verstand heißen (B29). Die transzendentale Ästhetik thematisiert die
Sinnlichkeit; die transzendentale Logik den Verstand. Dabei ist zu beachten, dass die
Unterscheidung Sinnlichkeit vs. Verstand nichts mit der Unterscheidung empirisch vs.
a priori zu tun hat. Erfahrung entsteht nur durch das Zusammenspiel von Sinnlichkeit
und Verstand (A50/B74); die Analyse jedes der beiden Erkenntnisstämme führt auf
apriorische Erkenntnis.
Literatur
Markie, P., Rationalism vs. Empiricism, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Zalta,
E. N., ed.), Herbst 2004, URL =
http://plato.stanford.edu/entries/rationalism-empiricism.
Mohr, G., Immanuel Kant. Theoretische Philosophie. Texte und Kommentar. Band III,
Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2004.