AN 14-4 - Landesvereinigung Baden-Württemberg - VVN-BdA

Transcription

AN 14-4 - Landesvereinigung Baden-Württemberg - VVN-BdA
aktuell
1
Nummer 4
Dezember 2014
Inhalt
2
Nie wieder
Faschismus!
Nie wieder
Krieg!
Inhalt
aktuell
Dieter Lachenmayer
40. Landesdelegiertenkonferenz
der VVN-BdA Baden-Württemberg
Demokratie leben, Neonazis
stoppen, Frieden wahren!
S. 3
Einen guten Rutsch in ein
aktives 70. Jahr der Befreiung wünschen
die Redaktion der
Antifa Nachrichten und der Landesvorstand der
VVN-Bund der
Antifaschisten
.
Alfred-Hausser-Preis vergeben:
Barrierefreier Stadtrundgang zu
Widerstand und Verfolgung S. 6
Janka Kluge
Laudatio zum Alfred-Hausser-Preis:
Geschichte geht uns alle an S. 7
Dieter Keller
Berufsverbotsopfer fordern
Rehabilitierung:
Sei keine Duckmaus – Wir lassen
uns den Mund nicht verbieten! S. 9
Geschichte
Marius Schuppert / Kurt Pätzold
Faschismus oder Nationalsozialismus
– Welcher Begriff ist richtig?
„Das heutige Deutschland will
sich nicht mit Geschichte
kommen lassen“
S. 11
Silke Makowski
Der antifaschistische Widerstandskampf der Roten Hilfe Deutschlands:
„Helft den Gefangenen
in Hitlers Kerkern!“
S. 12
Aus den Kreisen
Karlsruhe:
„Verschwunden aber
nicht vergessen
S. 15
Reutlingen:
Herausforderung für Handeln!
S. 16
Pforzheim:
Langer Atem bleibt notwendig
S. 16
Offenburg:
Gedenktafel für die Opfer des Faschismus am Bahnhof
S. 17
Leserbrief
S. 18
Literatur und Medien
S. 18
Wir gratulieren
S. 19
Titelbild: Blick in die Landesdelegiertenkonferenz. Foto: Thomas Trüten
Redaktionsschluss der
Ausgabe: 16. März 2015
nächsten
Impressum
Die AntiFa-Nachrichten werden herausgegeben von der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Bund der Antifaschisten, Landesvereinigung Baden-Württemberg e.V.
Anschrift:
Böblinger Str. 195
70199 Stuttgart
Telefon: 0711 - 60 32 37
Telefax: 0711 - 60 07 18
Email:
[email protected]
Internet:
http://bawue.vvn-bda.de/
Redaktion: Janka Kluge, Dieter Lachenmayer (V.i.S.d.P)
Die AntiFa-Nachrichten erscheinen 4 mal jährlich. Für Mitglieder der VVN Bund der Antifaschisten ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für
Nichtmitglieder kostet das Abonnement EUR 10, der Einzelpreis beträgt EUR
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Druck: Grafische Werkstatt, E. Knödler, Benningen auf 100 % RecyclingPapier.
aktuell
3
40. Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA Baden-Württemberg
Demokratie leben, Neonazis stoppen,
Frieden wahren!
Am 1. und 2. November fand die mittlerweile 40. Landesdelegiertenkonferenz der VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. in der Göppinger Stadthalle statt.
Der Tagungsort war bewußt bereits
Ende letzten Jahres gewählt geworden. Seit Jahren ist der Kreis Göppingen vermehrt von neofaschistischen
Aktivitäten geplagt. Allein im Jahre
2012 kam es zu acht Aufmärschen
oder ähnlichen Aktionen der „Autonomen Nationalisten Göppingen“ einer besonders aggressiven Nazigruppe.
In der Zwischenzeit wurden zwar die
Behörden aktiv. Seit Januar ermittelt
die Staatsanwaltschaft gegen Mitglieder dieser Gruppe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mehrere
Mitglieder der autonomen Nationalis-
Grußworte vom DGB und von ver.di,
oben Bernhard Löffler, unten Leni
Breymaier
Fotos: Thomas Trueten
ten wurden nach Hausdurchsuchungen verhaftet und müssen sich nun
mit der Justiz auseinandersetzen. Das
führte zwar bisher zu einem Rückgang ihrer Aktivitäten – die jährlich für
Oktober angekündigten Aufmärsche
wurden abgesagt. Dennoch sind die
Nazistrukturen im Kreis Göppingen
weiter vorhanden, bleibt Wachsamkeit
und Gegenwehr der Antifaschistinnen
und Antifaschisten weiter notwendig.
Mit unserer Konferenz wollten wir alle
Initiativen in Göppingen, die sich gegen neofaschistische Aktivitäten wehren, unterstützen und auch ermuntern
die in den letzten Jahren hervorgetretenen Differenzen zwischen ihnen zurückstellen.
Möglicherweise waren es gerade diese Differenzen, die den Göppinger OB
bewogen uns zwar eine „diskussionsfreudige und ergebnisreiche Konferenz“ zu wünschen, sich ansonsten
aber lapidar zu entschuldigen.
Das fehlende Grußwort der Stadt
machten andere Grußworte wett.
Die Grüße des Deutschen Gewerkschaftsbundes überbrachte Bernhard
Löffler, Regionsgeschäftsführer der
DGB-Region Nordwürttemberg.
Für ver.di begrüßte deren Bezirksleiterin Leni Breymaier unsere Delegierten. Anstelle des OB ging Leni Breymaier unter anderem auch auf die für
Antifaschisten schwierige Situation in
ihrem Heimatkreis Göppingen ein. Um
gegen die in Göppingen virulenten
neofaschistischen Kräfte vorzugehen,
fehle es eben auch am guten Willen
von Stadtverwaltung und OB, die Naziaktivitäten lieber klein redeten als
ihnen entgegen zu treten.
Ganz ähnlich äußerte sich der Göppinger Linke Stadtrat Christian Staehle, der vor einiger Zeit Morddrohungen erhielt und auch von Nazis körperlich angegriffen worden war.
Die Auseinandersetzung mit den vielen neofaschistischen Aktivitäten nicht
nur in Göppingen stand auch im Mittelpunkt des Grußwortes das Jens
und Alex für das Antifaschistische Aktionsbündnis der Region Stuttgart
überbrachten. Ihr Beitrag war vorgezogen worden, weil sie gemeinsam
mit vielen anderen nach Weinheim
wollten um dort gegen den kurzfristig
dorthin verlegten NPD-Parteitag zu
demonstrieren. Die Konferenz gab
ihnen selbstverständlich solidarische
aktuell
4
flechtungen der naziterroristischen
NSU bewertete Jochen Dürr als erfolgreich. Obwohl mit der Einsetzung
einer Enquetekommission der Weg zu
einer unabhängigen Untersuchung
zunächst verbaut schien, trug unsere
unsere Kampagne dazu bei, die Zweifel an den bisherigen Untersuchungsergebnissen der Behörden wachzuhalten und damit jenen politischen
Druck zu entfalten, der schließlich die
Option auf einen Untersuchungsausschuss offen hielt. dessen Arbeit und
Ergebnisse werden wir nun kritisch
begleiten müssen.
Auch unsere Bemühungen, die Erinnerung an die Verbrechen des historischen Faschismus und die Leistungen des Widerstands zu bewahren
konnten sich im Berichtszeitraum sehen lassen.
Erfolgreiche Arbeit …
Der scheidende Landessprecher Jochen Dürr, hier bei seiner Verabschiedung
Grüße an alle AntifaschistInnen mit
auf den Weg, die sich dort der NPD in
Weg stellten.
Manfred Jansen sprach das Grußwort für den Bezirksvorstand der DKP
Baden-Württemberg.
Kein Naziaufmarsch
ohne Proteste
Die Frage, wie Neofaschistische Aktivitäten am erfolgreichsten zurückgewiesen werden können, war auch einer der Schwerpunkte des Rechschaftsberichtes
des
Landesvorstands, den der scheidende Landessprecher Jochen Dürr hielt. Er berichtete von den vielen Aktionen, die
in den vergangenen zwei Jahren notwendig wurden, um den Aufmärschen
und der Hetze offen faschistischer
Kräfte entgegenzutreten. Schwerpunkte dabei waren Göppingen und
Pforzheim. So unterschiedlich die politischen Bedingungen in beiden Städten auch sind, so ähnlich stellen sich
doch die Schwierigkeiten und Probleme dar, die gemeinsame und erfolgversprechenden Aktivitäten der
NazigegnerInnen immer wieder erschweren. In der Regel sind es unterschiedliche Auffassungen über Aktionsformen, die immer wieder Berührungsängste und Abgrenzungsversu-
che auslösen. Nicht überall ist angekommen, dass sich demonstrativer
Protest und inhaltliche Auseinandersetung mit der menschenverachtenden Naziideologie auf der einen Seite
und die unmittelbare Präsenz an den
Aufmarschorten der Nazis um diese
menschenverachtende Hetze zu verhindern, nicht ausschließen, sondern
gegenseitig ergänzen. Gelungene
Beispiele für einen solch vernetzten
Protest gegen Naziaktivitäten waren
im Berichtszeitraum z.B. Mannheim
und Karlsruhe. In beiden Städten gelang es zum wiederholten Male durch
gemeinsames und koordiniertes Vorgehen aller antifaschistischen Kräfte,
geplante
Naziaufmärsche
einzuschränken.
Beide Städte zeigen, dass auch Behörden und Polizei einen Entscheidungsspielraum haben, und es keineswegs zwingend ist, dass neofaschistischen Aufzügen der Weg gegen jede Verhältnismässigkeit freigeprügelt werden muß.
Aufklärung über
Naziterror
Auch die von der VVN-BdA initiierte
Unterschriftensammlung für die Einrichtung eines Untersuchungsausschuss über die Verbrechen und Ver-
Neben vielen größeren und kleineren
Veranstaltungen, Gedenkfeiern und
Kranzniederlegungen in den Kreisvereinigungen der VVN-BdA starteten
wir Initiativen zu größeren Aktionen
zum 80. Jahrestag der Einrichtung
des KZ Heuberg und zum 80. Jahestag des Mössinger Generalstreiks
gegen die Machtübergabe und Erichtung der faschistischen Terrorherrschaft.
Alles in allem konnte Jochen Dürr eine durchaus erfolgreiche Arbeit der
VVN-BdA im Berichtszeitraum ins
Gedächtnis rufen.
… trotz mancher
Probleme
Er benannte aber auch die Probleme,
die uns dabei zu schaffen machen. So
ist die Entwicklung der VVN-BdA in
den Kreisvereinigungen sehr unterschiedlich. An vielen Orten ist der
Mitgliederstand und eben auch die
Zahl der Aktiven rückläufig; politische
Aktivitäten finden nur noch reduziert
oder gar nicht statt. Es wird verstärkt
darauf ankommen, zu verhindern,
dass sich dieser Teufelskreis schließt.
Wo die VVN-BdA keine Aktivitäten
entwickelt, wird es ihr auch nicht gelingen, neue Mitglieder zu gewinnen.
Wir brauchen Ideen und Initiativen,
mehr und neue Mitglieder in die notwendige Arbeit, der wir uns verpflichtet fühlen, einzubinden. Eine ganze
Reihe von Kreisvereinigungen dienen
dazu als positive Beispiele.
aktuell
Knappe Finanzen
Die notwendige Arbeit erfordert auch
die dafür notwendigen finanziellen
Mittel. So wurde auch der Kassenbericht von Kassierer Bernhard Mainz
von den Delegierten mit Spannung
erwartet. Die Zahlen, die Bernhard auf
der Konferenz vorlegte zeigten, dass
die VVN-BdA ähnlich wie in den letzten Jahren zwar auch finanziell eine
stabile Grundlage hat, die aber eher
einer ‚Grundsicherung‘ als einer guten
Ausstattung für antifaschistische Arbeit entspricht. Kurz: das Geld ist
knapp! Trotz großer Sparsamkeit
schlossen auch die Jahre 12 und 13
jeweils mit einem Minus unterm Strich
ab, das nur durch Entnahme aus den
Rücklagen
ausgeglichen
werden
konnte. Auch hier sind also Ideen und
Initiativen gefragt.
Ringen um antifaschistische Positionen
In der Diskussion der Berichte und
später der Anträge, zeigte sich die
VVN-BDA Baden-Württemberg als ak-
Geschäftführender
Landesvorstand
Landesprecherinnen:
Ilse Kestin
Stuttgart
Janka Kluge Stuttgart
Silvia Schulze Karlsruhe
34
34
33
Kassierer:
Bernhard Mainz Heilbronn
33
tiver und lebendiger Zusammenschluss von Antifaschistinnen und Antifaschisten. Neben Berichten von
vergangenen Aktivitäten spielten bereist Ideen und Planungen für Kommende eine große Rolle.
Bei der Beratung der Anträge, leistete
der Kongress ein großes Arbeitspensum. Der Landesvorstand hatte ein
ganzes Paket von Anträgen zu den
wichtigsten Bereichen antifaschistischer Arbeit zur Beratung vorgelegt.
Die delegierten befassten sie konzentriert und engagiert. An vielen
Stellen flossen Änderungen und Ergänzungen ein, die nicht selten zunächst kontrovers diskutiert, dann
aber in ihrer Endfassung eine grosse
Abstimmungsmehrheit fanden.
Spannende
Diskussionen
Zu einem Höhepunkt der Landesdelegiertenkonferenz
wurde
am
Samstagnachmittag der öffentliche
Teil der Veranstaltung mit der Verleihung des Alfred-Hausser-Preises und
des anschließenden Gastreferats zum
Thema „Krieg und Frieden 70 Jahre
nach der Befreiung“ von Tobias Pflüger. Tobias war gerade von einer Reise aus der türkisch-syrischen Grenzregion zurückgekehrt und berichtete
hautnah von der Situation um die umkämpfte Region Rojava und die Lage
im Kriegsgebiet Syrien und Irak. Heftig kritisierte er auch die Rolle, die die
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Bundesregierung in der Ukraine und
bei der Auslösung des dortigen Bürgerkrieges spielte und spielt, einschließlich der Aufwertung und Verharmlosung offen faschistischer Kräfte.
Neuer Vorstand
Am Sonntagvormittag stand die Konferenz ganz im Zeichen der Wahlen
zum Geschäftführenden Landesvorstand. Bei den Diskussionen um die
Zusammensetzung des Vorstandes
zeigten sich gleichzeitig Stärken wie
Schwächen unserer Organisation. Die
Schwäche liegt darin, dass es nicht
gelang, alle von der Satzung vorgesehenen Vorstandsplätze zu besetzen. Bereits aus dem bisherigen Vorstand waren zwei Mitglieder wegen
Krankheit bzw. beruflicher Veränderung ausgeschieden. Dazuhin sah
sich der bisherige Landessprecher
Jochen Dürr wegen Überlastung in
anderen Bereichen nicht mehr in Lage
erneut zu kandidieren.
Aus dieser misslichen Situation heraus konnte dennoch ein qualifizierter
Geschäftsführender Landesvorstand
gebildet werden, der nach außen und
innen neue Maßstäbe setzt. Künftig
wird die VVN-BdA Baden-Württemberg von drei Landessprecherinnen nach außen vertreten, die nahezu
einhellig gewählt wurden.
Wenn das kein gutes Zeichen für die
Zukunft ist!
Dieter Lachenmayer
Geschäftsführer:
Dieter Lachenmayer, Stuttgart 32
Weitere Mitglieder
Lothar Letsche, Tübingen
Karl-Martin Matt, Ortenau
33
33
Bundesausschuss:
Janka Kluge Stuttgart
Dieter Lachenmayer,Stuttgart 33
Ersatzmitglieder:
Silvia Schulze,Karlsruhe
Thomas Trüten, Esslingen
33
33
RevisorInnen
Werner Altmann, Freiburg
33
Simon Bross, Ortenau 33
Manfred W. Ramm, Mannheim 33
Beschwerdekommission
Joachim Hager, Freiburg
Anka Osterle, Tübingen
Hans Rettig, Karlsruhe
33
33
33
Strahlende Gesichter der neu- oder wiedergewählten Mitglieder im GLV. Von links
nach rechts: Silvia Schulze, Karl-Martin Matt, Bernhard Mainz, Dieter Lachenmayer,
Lothar Letsche, Janka Kluge. (Auf dem Bild fehlt leider Ilse Kestin)
aktuell
6
Alfred-Hausser-Preis zum 4. Mal vergeben:
Barrierefreier Stadtrundgang zu
Widerstand und Verfolgung
Stadtjugendring Stuttgart, die Nikolauspflege Stuttgart und der Alex-Club Körperbehindertenverein sind die
diesmaligen Preisträger des Alfred Hausser Preises. Im Rahmen der Landesdelegiertenkonferenz übergaben
Landessprecherin Janka Kluge und Beiratsmitglied Lothar-Letsche nunmehr zum vierten Male den nach dem
langjährigen Vorsitzenden der VVN-BdA benannten Preis zu Erforschung und Vermittlung der Geschichte von
Widerstand und Verfolgung.
Mit der Preisvergabe wurde das von
den Preisträgern gemeinsam erarbeitete Projekt eines „Barrierefreien
Stadtrundgangs“ zu sechs Orten der
NS-Verfolgung und des Widerstands
in Stuttgart gewürdigt.
Diesen Stadtrundgang gibt es in einer
Version für blinde und sehbehinderte
Menschen, es gibt eine Version für
Körperbehinderte im Rollstuhl und es
gibt eine Version in einfacher Sprache
für Menschen mit geistigen Einschränkungen.
Eine Delegation der Preisträger berichtete von der Entstehung, Vorbereitung und Umsetzung des Prokekts:
„Bei der Projektentwicklung sah man
zwar ab und zu Schwierigkeiten bei
der Umsetzung, doch wurde dies
schnell durch Spaß und Begeisterung
beseitigt. Die Freude war am Ende
aber Größer, als es hieß, dass das
der barrierefreie Stadtrundgang umgesetzt werden kann.“
Der Beirat, dem die Auswahl der
Preisträgerinnen obliegt, war wie
Lothar Letsche berichtete, aus mehreren Gründen von diesem Projekt besonders beeindruckt und hat dem
Landesvorstand empfohlen, den Preis
entsprechend zu vergeben, was auch
Landesprecherin Janka Kluge übergibt den Alfred-Hausser-Preis
geschah. Für dieses Projekt spricht
das Engagement von Menschen mit
Behinderungen, die als Gruppe zum
Teil selber Opfer der Nazipolitik waren, was sonst fast nur im Zusammenhang mit „Euthanasie“-Prozessen
thematisiert wird. Hier wird diese „Be-
Routenplan für Menschen mit Geheinschränkungen
Foto: Thomas Trüten
troffenheit“ in gelungener Weise verknüpft mit der Geschichte der eigenen
Stadt mit dem Ziel aufzuklären und
herausragende Orte zu besuchen.
Und es ist ein Projekt mit – wie wir
hoffen – nachhaltiger Ausstrahlung
und Vorbildcharakter für andere.
Bei der Erstellung der Tastmodelle für Sehbehinderte Bilder: SJR Stuttgart
aktuell
Weitere Vorschläge und Bewerbungen für den Alfred-HausserPreis
Bachelorarbeit an der Hochschule der Bundeswehr über jüdische Kinderschicksale in der Ortenau.
Forschungsprojekt „Lebensskizzen“ von NS-verfolgten Sinti,
Roma, Jenischen aus Hohenlohe
Die Songgruppe „Die Marbacher“, die mit demokratischem und
antifaschistischem Liedgut auftritt
für ihre „Lieder gegen das Vergessen“
„
Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus
e.V.“ für das Engagement zur Erhaltung des Tübinger Güterbahnhofs als Erinnerungsstätte.
Der Autor Helmuth Bauer, für
dein Buch „Innere Bilder wird man
nicht los, Die Frauen im KZAußenlager Daimler-Benz Genshagen.“ – ein Schatz an Biografien, Fotos und Erinnerungen der
Überlebenden
Der Stadtjugendring Stuttgart und die
VVN arbeiten seit Jahrzehnten zusammen. Vor mehr als dreißig Jahren
wurden gemeinsam die Stadtrundfahrten „Auf den Spuren des Faschismus“ in Stuttgart ins Leben gerufen. Von Seiten der VVN waren damals Gertrud Müller, Hans Gasparitsch und Alfred Hausser beteiligt.
Als sie die Stadtrundfahrten aus Gesundheitsgründen nicht mehr übernehmen konnten, gründete der Stadtjugendring in Absprache mit ihnen einen Arbeitskreis, der die Führungen
übernehmen sollte. Vor vielen Jahren
hat Alfred Hausser mich aufgefordert,
in diesem Arbeitskreis für die VVN-
7
Laudatio von Janka Kluge:
Geschichte geht alle an
BdA mitzuarbeiten. Dadurch habe ich
die Schwierigkeiten bei der Umsetzung, aber auch die Freude und Begeisterung als sich abzuzeichnen begann dass das Projekt umgesetzt
werden kann, mitbekommen.
In Deutschland leben nach Angaben
des Bundesamtes für Statistik im Jahr
2009 9,6 Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung
Das sind 11,7% der Bevölkerung. In
dieser Statistik wurden sowohl Menschen mit körperlichen Handikaps, als
auch mit geistigen Einschränkungen
erfasst.
Ich möchte aus der Mitteilung des
Bundesamts für Statistik zitieren:
„Die Lebenssituation von behinderten
Menschen im Alter von 25 bis 44 Jahren unterscheidet sich – nach den Daten des Mikrozensus – häufig deutlich
von der Situation der nichtbehinderten
Menschen gleichen Alters. Behinderte
Menschen zwischen 25 und 44 Jahren sind häufiger ledig und leben öfter
allein als Nichtbehinderte in dieser Altersklasse. Der Anteil der Ledigen unter den behinderten Menschen beträgt
in diesem Alter 54% – der entsprechende Anteil bei den Nichtbehinderten 41%. Der Anteil der Alleinlebenden im Alter zwischen 25 bis
44 Jahren liegt bei behinderten Menschen bei 31%, bei Menschen ohne
Behinderung hingegen bei 21%.
Insgesamt 17% der behinderten Menschen im Alter von 25 bis 44 Jahren
hatten keinen allgemeinen Schulabschluss (beziehungsweise einen
Abschluss nach höchstens sieben
Jahren Schulbesuch); bei Menschen
ohne Behinderung in diesem Alter
hatten deutlich weniger (3%) keinen
Abschluss. Abitur hatten hingegen
12% der behinderten und 29% der
Nichtbehinderten Menschen in dieser
Altersklasse.“
Beim Alex Club kümmert man sich
seit vielen Jahren um die Belange von
körperbehinderten Menschen.
Gemeinsam unternehmen sie viele Aktivitäten und Ausflüge.
Wichtig ist den Verantwortlichen vom
Alex Club, dass die Aktivitäten gemeinsam mit nicht behinderten Jugendlichen durchgeführt werden.
Die Nikolauspflege betreut seit inzwischen fast 200 Jahren Blinde und
Menschen mit starken Sehbehinderungen.
Während des Faschismus sind hunderttausende Menschen mit Behinderungen ermordet worden. Die erste
Vernichtungsanstalt war Grafeneck in
Baden-Württemberg.
Hier wurden
1940 mehr als 10 000 Menschen vergast. Neben Grafeneck gab es noch
fünf weitereVernichtungsanstalten.
Ab 1941 gingen die Nazis verstärkt
dazu über die Behinderten direkt in
den Anstalten verhungern und verdursten zu lassen, oder sie mit Giftspritzen zu ermorden.
Die Forschungen über den Mord an
Behinderten in den von der Wehrmacht besetzten Ländern ist erst in
den letzten Jahren verstärkt worden.
Es lässt sich aber schon jetzt sagen,
dass sowohl Angehörige der Wehrmacht, als auch der Sondereinsatztruppen Einrichtungen der Behindertenpflege mit ihren Bewohnern oft in
die Luft gesprengt haben.
Wie schwierig die Aufarbeitung der
8
Verbrechen an den Behinderten war
schildert der Leiter der Gedenkstätte
Grafeneck Thomas Stöckle. Als er
begann die Morde von Grafeneck zu
untersuchen und ein Totenbuch zu
erstellen weigerten sich viele Angehörige, dass die Namen ihrer ermordeten Familienangehörigen veröffentlicht
werden. Auch die Anstalten aus denen die Menschen mit den berühmten
grauen Bussen abgeholt worden sind
weigerten sich die Namen weiterzugeben. Grundlage der Euthanasie war
die Eugenik. Also die Vorstellung,
dass durch gezielte Paarung gesunde
Menschen geboren werden und es
keine kranken Neugeborenen mehr
gibt.
Auch heute noch: Wenn Schwangere
einer Pränatalen Diagnostik zustimmen, kommt es immer wieder vor,
dass den Eltern bei einem vermutlich
krank geborenen Kind eine Abtreibung empfohlen wird. Solche Abtreibungen werden in Deutschland bis
kurz vor der Geburt noch durchgeführt.
Der australische Professor für Ethik
Peter Singer kommt gerne nach
Deutschland. In seinen Werken
spricht er Menschen mit mehrfachen
Behinderungen das Lebensrecht ab.
Er behauptet, dass diese Menschen
keine Empfindungen haben und deswegen genauso wie Tiere umgebracht
werden können. Er betont allerdings,
dass er nur Neugeborene mit schweren angeborenen Krankheiten umbringen möchte. Den erwachsenen
Menschen soll nach seinen Vorstellungen nichts passieren. Es waren nur
die sogenannten Krüppelinitaitiven,
die gegen seine Auftritte in Deutschland demonstriert haben.
Der philosophische Meinungsmacher
Peter Sloterdijk von der Universität
aktuell
Die Delegation der PreisträgerInnen von vporne nach hinten: Marc Fischer, er leitet
seit vielen Jahren Stadtrundgänge beim Stadtjugendring, Anette Nägele, sie arbeitet
im SJR Stuttgart und ist im Alex Club aktiv, Jochen Gaiß vom Vorstand des Stadtjugendrings und von der DGB –Jugend, Carmen Kohr, Vorsitzende des Alex Club Stuttgarts. Mit Gitarre: Werner Grimm, der die Preisverleihung musikalisch umrahmte
Karlsruhe hat vor einigen Jahren in
einer Rede im Schloss Ilmenau den
Vorschlag gemacht, das scherstbehinderte Menschen als „menschlicher Fuhrpark“ genutzt werden sollen.
Seine Idee Menschen, die nicht zum
Bruttosozialprodukt beitragen können,
sollten Organe entnommen und weiterverkauft werden.
Anna Katherina Hahn, die 1970 in
Ostfildern bei Stuttgart geborene
Schriftstellerin sagte in einer Rede in
Dresden, dass Menschen, die künstlich gezeugt werden „Menschenmischmasch“ seien und wirkliche,
echte Menschen nur im Sexualakt
zwischen Mann und Frau gezeugt
werden können.
Wir leben heute in einer Welt, in der
Menschen mit Behinderungen nicht
diskriminiert werden, sondern in der
es wieder Stimmen gibt, die das Lebensrecht und Menschenrecht von
ihnen von ökonomischen Bedingungen abhängig machen.
Es freut mich, dass der Alfred Hausser Preis 2014 an den Stadtjugendring Stuttgart geht, der in Zusammenarbeit mit dem Alex Club und der
Nikolauspflege Stadtrundgänge „Auf
den Spuren des Faschismus in Stuttgart“ für Menschen mit Handikaps
entwickelt hat.
Herzlichen Glückwunsch
aktuell
9
Berufsverbotsopfer fordern Rehabilitierung:
“Sei keine Duckmaus – Wir lassen
uns den Mund nicht verbieten!”.
Unter diesem Motto setzte die Initiative „40 Jahre Radikalenerlass“, der mehrere Betroffene aus Baden-Württemberg angehören, am 10. Dezember, dem Tag der
Menschenrechte, mit einer Kundgebung nahe dem Landtag in Stuttgart
ein Zeichen für Demokratie und Menschrechte und gegen die Berufsverbote. Zahlreiche Berufsverbotsopfer waren erschienen.
Am 28. Januar 1972 beschloss die
Ministerpräsidentenkonferenz
der
Bundesländer unter dem Vorsitz von
Bundeskanzler Willy Brandt den so
genannten „Radikalenerlass“. Daraufhin wurden etwa 3,5 Millionen BewerberInnen und Mitglieder des öffentlichen Diensts auf ihre „politische Zuverlässigkeit“ durchleuchtet.
Es kam zu 11 000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.
Betroffen waren hauptsächlich KommunistInnen, Linke, Kriegsgegner,
Antifaschisten, Antikapitalisten, Jusos
und weitere Demokraten. Jede Systemkritik, jede fortschrittliche Alternative sollte mit dem Knüppel der Berufsverbote erstickt werden.
Der „Verfassungsschutz“ schnüffelte
auf allen Ebenen. Auch unter die Beteiligten an der Kundgebung am Mittwoch mischten sich zwei verkleidete
Schnüffler, Langnasen, die eifrig Bilder schossen und Notizen anfertigten.
Mit der Berufsverbotspraxis
sollte die gesamte demokratische Öffentlichkeit eingeschüchtert und zu „Duckmäusern“ erzogen werden.
Deshalb auch das Symbol
„Sei keine Duckmaus!”
Grün-rote
Landesregierung
muss Berufsverbote aufarbeiten
Das galt damals und gilt heute.
Darüber waren sich die Anwesenden einig. Sie werden sich auch zukünftig weder ducken noch den Mund
verbieten lassen. Klaus Lipps, Sprecher der Initiative, und Michael
Csaskóczy als direkt Betroffene schilderten nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen, sondern zeigten die politischen Zusammenhänge der Berufsverbote und ihrer Praxis auf.
Sie zeigten sich empört über die olivgrün-rosa Landesregierung mit dem
Grünen Winfried Kretschmann als Ministerpräsident an der Spitze, die
nichts unternehme, die Berufsverbotspraxis der CDU-Regierungszeit
aufzuarbeiten, die Betroffenen zu rehabilitieren und in Einzelfällen eine materielle Entschädigung zu zahlen.
Besonders verwerflich sei dabei, dass
dem Ministerpräsidenten Kretschmann selbst im Jahr 1977 als angeblich „Linksradikalem“ zunächst die
Einstellung in den Schuldienst verweigert wurde. Für Klaus Lipps ein
Beleg dafür, dass sich zwar „die Regierung verändert hat, aber nicht die
Politik“.
GEW löste sich von ihrer
Unvereinbarkeits-Praxis
Um die Politik zu verändern, sei der
gemeinsame Druck von unten notwendig. Darüber waren sich die beiden Betroffenen ebenso einig wie
Doro Moritz (Landesvorsitzende der
GEW Baden-Württemberg) und Cuno
Hägele (Geschäftsführer von Verdi)
als weitere Rednerin und Redner.
Doro Moritz drückte ihre Solidarität
mit den Betroffenen aus und forderte,
sie zu rehabilitieren. Sie kritisierte die
langjährige Haltung der GEW, die bis
zu Ausschlüssen von BerufsverbotsBetroffenen führte. Es war ihr sichtbar
peinlich, dass es so etwas in ihrer
Gewerkschaft gab.
Doro Moritz zeigte sich erfreut, dass
der Göttinger Kongress der GEW im
10
aktuell
rechts: Cuno Hägele, dahinter Doro Moritz und davor zwei Herren vom
Horchamt.
Fotos: D. Lachenmayer
März 2012 die Politik der Berufsverbote als verfassungswidrig verurteilte
und einen Schlussstrich unter die
Praxis der Unvereinbarkeit innerhalb
der GEW gezogen hat. Sie forderte
ein besseres, qualifiziertes Bildungssystem. Dazu bedürfe es engagierter,
demokratischer Lehrerinnen und Lehrer wie jene, die Berufsverbot erhielten.
Berufsverbot für antifaschistisches Engagement
Der Lehrer Michael Csaskóczy erhielt
aufgrund seines antifaschistischen
Engagements Berufsverbot. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshof Mannheim 2007 musste er von
der damaligen CDU-Landesregierung
ins Beamtenverhältnis übernommen
werden, da kein Zweifel an seiner
Verfassungstreue bestehe. Er verwies
darauf, dass seine intensive geheimdienstliche Beobachtung genau in
dieselbe Zeit fällt, in der der „Verfassungsschutz“ von der mordenden Terrorgruppe des „Nationalsozialistischer
Untergrunds“ (NSU) angeblich nichts
gewusst haben will.
Dies, obwohl der Inlandsgeheimdienst
jede Menge V-Leute im direkten Umfeld der Mitglieder des NSU platziert
hatte. Seine eigene Bespitzelung, das
horten seiner Geheimakten, falle „in
die gleiche Zeit, in der kistenweise
Dokumente über die NSU und das
System der Nazi-V-Leute durch die
Schredder gejagt wurden“, sagte
Csaskóczy. Das sei nicht mehr mit
„Behördenversagen“ oder „Schlamperei“ abzuhaken. Nein: „Dieser Wahnsinn hat Methode, und er steht in einer unseligen Tradition“.
Einer Tradition in der Faschisten unterstützt und hofiert würden, Linke
und Antifaschisten hingegen „weiter
bespitzelt, verfolgt und diffamiert werden“. Unter dem Beifall der Anwesenden forderte er: “Schluss mit der
Überwachung und Einschüchterung
kritischer Oppositioneller und Auflösung des Verfassungsschutzes”.
„Heute am Tag der Menschenrechte“
halten wir fest, die Gesinnungsüberprüfung, die Berufsverbote, der „Radikalenerlass“ waren und sind ein Verstoß gegen die Menschenrechte”,
sagte Cuno Hägele von Verdi. Diese
bundesdeutsche Praxis wurde durch
den Europäischen Gerichtshof letztinstanzlich verurteilt.
Bücke Dich nie vor einem lebenden Menschen
Hägele forderte die Aufarbeitung der
Berufsverbotspraxis in der Bundesrepublik und in Baden-Württemberg mit
dem Ziel der Rehabilitierung der Wiedergutmachung, der materiellen Entschädigung und der Entschuldigung
der Landesregierung bei den Opfern.
Er schlug den Bogen zu notwendigen
gewerkschaftlichen Kämpfen heute
und rief zum Widerstand gegen den
Abbau demokratischer Rechte und
Freiheiten sowie dem Abbau gewerkschaftlicher Rechte auf. „Dazu gehören auch der Kampf und die Ablehnung des Gesetzentwurfes von Frau
Nahles zur Tarifeinheit. Wir wollen
nicht die Lieblingskuschelgewerkschaft irgendeiner Bundesregierung
und/oder der Arbeitgeber sein. Wir
sagen Nein zum vorliegenden Gesetzentwurf, da er in eklatanter Weise
in das Koalitionsrecht und damit in
das Streikrecht eingreift.“
Zum Schluss erinnerte Cuno Hägele
an das Lebensmotto des ehemaligen
Buchenwaldhäftlings und langjährigen
Bezirksleiters der IG Metall Stuttgart
Willi Bleicher: „Du sollst dich nie vor
einem lebenden Menschen bücken.“
Text und Foto links Dieter Keller
Geschichte
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Faschismus oder Nationalsozialismus – Welcher Begriff ist richtig?
„Das heutige Deutschland will sich
nicht mit Geschichte kommen lassen“
Ende November organisierten die Kreisvereinigung Ortenau der VVN-BdA mit dem Sozialen Zentrum Caracol
Bühl einen Abend mit dem Faschismusforscher und Wissenschaftler Kurt Pätzold in der badischen Kleinstadt
Achern zur Frage, welche Hintergründe es für die Verwendung der Begriffe Faschismus und Nationalsozialismus
gibt. Anlass dafür ist die weithin – übrigens auch in vielen linken und antifaschistischen Gruppen – verbreitete
kritiklose Verwendung der ursprünglichen Selbstbezeichnung der Nazis für ihre Ideologie, dem sog. „Nationalsozialismus“.
Kurt Pätzold stellte nach einer kleinen
allgemeinen Einführung in die Thematik sehr deutlich dar, dass die Nazis
weder irgendetwas für die deutsche
Nation tun wollten, noch irgendetwas
mit dem Sozialismus zu tun hatten.
Der Name „Nationalsozialismus“ war
von Anfang an und ist ein Etikettenschwindel. Offensichtlich einer, dem
bis heute viele Linke auf den Leim
gehen – der Großteil der bürgerlichen
Geschichtswissenschaft
sowieso,
aber das hat andere Gründe.
Etikettenschwindel
Der Kampf um Begriffe und ihre Deutungshoheit ist in vielen Teilen der
Gesellschaft sichtbar und hochaktuell.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Verdrängung des Begriffes „Imperialismus“ oder auch seine Begrenzung in
der bürgerlichen Geschichtsschreibung auf ein „Zeitalter“, das nur etwa
bis 1914 gehe. Es wurde in die Runde
gefragt: Wie soll man eine Gesellschaft verstehen und schließlich ändern, wenn man nicht einmal die richtigen Begriffe in der Analyse verwendet?
Anhand einiger Beispiele und Erläuterungen wurde verdeutlicht, weshalb
der oft abwertend und hämisch als
„Dimitroff-Formel“ bekannte Satz des
7. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale 1935 (!), in seinen Grundaussagen, seiner Stoßrichtung und Zusammenfassung eine
sehr gute auf den Punkt gebrachte
Beschreibung des Faschismus an der
Macht ist. Zusätzlich ist an dieser
Stelle zu betonen, dass man in der
Analyse unterscheiden muss zwischen dem Faschismus als Ideologie,
als Bewegung und an der Macht.
Kurt Pätzold stellte die wesentlichsten
Merkmale des Faschismus heraus
und unterlegte das auch mit eindrücklichen Beispielen: Der Faschismus ist
eine Möglichkeit der Herrschaftsform
und -sicherung des Bürgertums. Er ist
definitiv antiliberal und antidemokratisch und stellt einen ideengeschichtlichen (und praktischen) Rückschritt
hinter 1789 – der Französischen Revolution – dar. Er ist antisozialistisch
und antikommunistisch und in der
Ausübung eliminatorisch. Er ist immer
chauvinistisch und nationalistisch sowie schließlich extrem antihumanistisch.
Mit selbstkritischen Bemerkungen untermalt, betonte der Professor aber
auch, dass ein sehr wichtiges Merkmal des Faschismus eine soziale Basis, eine Verankerung in der Gesellschaft, eine Massenbasis ist. Dieser
Aspekt wurde bis heute nie gründlich
aufgearbeitet, erforscht und studiert.
Aber auch beispielsweise auf dem
Weltkongress 1935 wurde das zu wenig thematisiert.
Eines der größten Argumente gewisser Kreise, was landauf und landab
für die Verwendung des Begriffes
„Nationalsozialismus“ sprechen solle,
ist, dass die deutsche Situation und
der Holocaust es rechtfertigen würden, von einem neuen oder zumindest anderem geschichtlichen Phänomen, das nichts oder nur bedingt
etwas mit dem Faschismus in Italien,
Spanien, Chile usw. zu tun hat, zu
sprechen. Kurt Pätzold widerlegte
diese These anhand verschiedener
Beispiele und stellte unter anderem
die Frage, ob denn der Massenmord
an Millionen Jüdinnen und Juden das
Hauptmerkmal oder gar das Hauptziel
des Deutschen Faschismus gewesen
sei.
Zusätzlich wurde mit der Ansicht aufgeräumt, dass man Systeme und
Verbrechen auf einer Stufe gleichsetzt
und man diese somit relativiert bzw.
künstlich erhöht, nur weil man ihnen
die gleiche Bezeichnung gibt.
Kurt Pätzold bei einer Veranstaltung in
Karlsruhe 2011
Foto: Archiv VVN-BdA
Bloß Streit um Worte?
Während der Veranstaltung kam man
immer wieder zur Frage, weshalb die
bürgerlichen Wissenschaftler und Geschichtsschreiber, also auch die allermeisten Schulbücher, so krampfhaft an der Selbstbezeichnung der
Nazis festhalten. Darauf gibt es mehrere mögliche Antworten, aber der
Kern ist immer der gleiche: Durch die
Verwendung des falschen Begriffes,
muss man sich nicht mit dem Faschismus und seinen im Kapitalismus
verwurzelten Wesen tiefer auseinandersetzen. Man muss nicht das Verhältnis von Volk und Staat thematisieren und es ist leicher diese „zwölf
Jahre“ als einmalige „dunkle Zeit“
festzuhalten, als genau zu verstehen,
wie es dazu kam und wann es wieder
dazu kommen kann, wenn wir uns
nicht darauf vorbereiten und die Anzeichen von faschistischen Entwicklungen nicht schon im Keim ersticken.
Dass das Bürgertum kein Interesse
hat, dass wir verstehen, was der Faschismus ist, damit wir ihn bekämpfen
können, liegt deutlich auf der Hand.
Marius Schuppert
Geschichte
12
Der antifaschistische Widerstandskampf der Roten Hilfe Deutschlands:
„Helft den Gefangenen
in Hitlers Kerkern!“
In der Forschung und im Bewusstsein über antifaschistischen Widerstand ist die Arbeit der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) in der Regel kaum präsent. Einschlägige Arbeiten zum Thema subsumieren die linke Solidaritätsorganisation allzu oft schlichtweg der KPD und ignorieren damit ihre Eigenständigkeit und die andere Schwerpunktsetzung. Erst in den letzten Jahren widmeten sich verschiedene AutorInnen der RHD und setzten dem weißen Fleck im linken Geschichtsbewusstsein mehrere Publikationen entgegen. Trotzdem sind weite Teile der antifaschistischen Solidaritätsarbeit weiterhin unerforscht.
Die Rote Hilfe Deutschlands war 1924
als zentrale Organisation gegründet
worden, die die bisherigen Solidaritätsbemühungen bündeln sollte. Nach
der Zerschlagung der Rätebewegung
und des Mitteldeutschen Aufstands
hatte sich die ArbeiterInnenbewegung
einem neuen Maß an Verfolgungen
gegenübergesehen, das durch lokale
Hilfskomitees nicht mehr zu bewältigen war. Entsprechend der von der
Sowjetunion gegründeten Internationalen Roten Hilfe entstand auf Initiative der KPD eine schnell wachsende
Massenorganisation: Waren 1925 bereits 60.000 Menschen in der RHD
organisiert, erreichte die Zahl Ende
1932 375.000 Individual- und 651.000
Kollektivmitglieder. Im Mittelpunkt
standen die juristische Beratung und
anwaltliche Verteidigung von Angeklagten aus der ArbeiterInnenbewegung sowie die finanzielle Unterstützung für die Gefangenen und ihre
Familien, etwa in Form von groß angelegten Spendensammlungen im
Rahmen der Winterhilfe. Daneben trat
die RHD mit politischen Kampagnen
an die Öffentlichkeit. Von den Amnestieforderungen für Erich Mühsam und
Max Hoelz über Aktivitäten gegen den
§218 bis hin zu internationalen Themen wie der Freilassungskampagne
für Sacco und Vanzetti deckte die
RHD eine breite Palette von Antirepressionsthemen ab. Zeitungen wie
„Der Rote Helfer“ und „Tribunal“ wurden durch massenhaft verkaufte Broschüren ergänzt; am bekanntesten ist
wohl Felix Halles Ratgeber „Wie verteidigt sich der Proletarier vor Gericht“. Die in vielen Bereichen eng an
der KPD ausgerichtete Massenorganisation erfuhr schon in der Weimarer
Republik immer wieder Repression
und Veranstaltungsverbote.
Nach der Machtübertragung an Hitler
sahen sich die AktivistInnen der Roten Hilfe einer neuen Qualität von
Verfolgung ausgesetzt. Im März 1933
wurde die RHD zusammen mit anderen kommunistischen Nebenorganisationen von den Nazis verboten, Verhaftungen und Verurteilungen der aktiven Mitglieder folgten.
Der zunehmende Naziterror gegen
die ArbeiterInnenbewegung machte
die Solidarität mit den Betroffenen um
so notwendiger, und die Rote Hilfe
begann, unter den Bedingungen der
Illegalität weiterzuarbeiten. Mit Spendensammlungen organisierten die
verbliebenen Strukturen Unterstützung für die in „Schutzhaft“ Verschleppten und ihre Familien. Gleichzeitig wurden illegale Flugblätter verteilt, um über das Ausmaß und die
Brutalität der Verfolgungen zu informieren. Neben den weiterhin erscheinenden Zeitungen der Reichsebene
erstellten auch viele lokale Gruppen
eigene Periodika. Ein weiterer Arbeitsbereich war die Organisierung
von illegalen Quartieren für untergetauchte Mitglieder und von geheimen
Büros, die Schaffung von Deckadressen für den Briefkontakt zur Reichsleitung sowie von Anlaufstellen für KurierInnen. Die Fluchthilfe für gefährdete FunktionärInnen der ArbeiterInnenbewegung gehörte ebenfalls zu den
Aufgaben der Roten Hilfe. Im benachbarten Ausland richtete die RHD
Anlaufstellen für EmigrantInnen ein, in
denen den Verfolgten Schlaf- und Essensplätze sowie finanzielle Unterstützung vermittelt wurden. Im Grenzbereich leisteten RHD-Gruppen einen
wichtigen Beitrag für die Einfuhr illegaler Druckschriften und den Kontakt
zu den Auslandsstellen.
Die Arbeitsschwerpunkte und –formen
waren von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. In manchen Bezirken, deren Leitungen sich über viele Monate
dem Zugriff der Verfolgungsbehörden
entziehen konnten, wurde ein gut arbeitender illegaler Apparat aufgebaut.
Ein stabiles System von Stadtteilgruppen, Betriebszellen und Spendenkreisen ermöglichte die Produktion eigener Zeitungen und die Neuknüpfung von abgerissenen Kontakten in kleinere Ortschaften. Durch regelmäßigen Briefwechsel und durch
die ReichskurierInnen blieb der überregionale Austausch bestehen.
In anderen Gebieten wurden die Bezirksleitungen in so schneller Folge
verhaftet, dass eine kontinuierliche
Arbeit kaum möglich war. Die verbliebenen RHD-AktivistInnen leisteten daraufhin vor allem in Kleingruppen direkte Solidarität und sammelten Geldund Sachspenden für verhaftete AntifaschistInnen und ihre Angehörigen.
In einigen Orten wurden Spendensammlungen der RHD schlichtweg
den Aktivitäten anderer Organisationen angegliedert und beispielsweise
gemeinsam mit KPD-Beiträgen kassiert, um sie danach direkt an die Betroffenen zu verteilen. Auch aus den
besser organisierten Städten wurden
die Gelder nicht mehr an die Reichsebene abgeliefert, sondern großteils
lokal verwendet. Die Reichsleitung
äußerte sich verärgert über die De-
aktuell
zentralisierung, durch die ihr sowohl
der Überblick über die Aktivitäten als
auch die für den Gesamtapparat notwendigen Mittel abhanden kamen.
Gleichzeitig stellte die Organisierung
in losen Kleingruppen aber einen
besseren Schutz vor den Verfolgungsbehörden dar.
In den meisten Städten bemühten
sich die AktivistInnen aber zumindest
in den ersten Jahren der Illegalität um
den Aufbau zentraler Strukturen und
die Reorganisierung der Leitungsgremien, so zum Beispiel im RHDBezirk Baden-Pfalz mit Sitz in Mannheim. Ähnlich wie die von ständigen
Verhaftungen betroffene KPD-Spitze
in der den Nazis verhassten „roten
Hochburg“ waren auch die führenden
Mitglieder der Roten Hilfe früh verhaftet worden. Erst Ende 1933 gelang
es, unter der Leitung von Maria Mandel aus Viernheim wieder eine koordinierte Arbeit aufzubauen, die allerdings nie das gesamte Bezirksgebiet,
sondern nur einige Zellen im Großraum Mannheim umfasste. Neben der
Kassierung von Beiträgen und Spenden organisierten Maria Mandel und
ihre enge Mitarbeiterin Gertrud
Neudörfer Briefdeckadressen, Anlaufstellen und Übernachtungsplätze.
Über die Reichskurierin Eva Lippold
bestand Kontakt zur Reichsebene,
und auch mit dem sehr gut organisierten Bezirk Frankfurt-Hessen gab es
regen Austausch. Die von Maria
Mandel und ihrem Mann Willi erstellte
Zeitung „Das Rote Fanal“ wurde in
vielen Widerstandsgruppen im Raum
Mannheim gelesen. Nach einer Festnahmewelle gegen die Mitglieder im
September 1934 kam die Arbeit dieser Struktur weitgehend zum Erliegen.
War schon in der Weimarer Zeit der
Anteil von Frauen in der RHD recht
hoch gewesen, so verstärkte sich diese Tendenz in der Illegalität oft noch.
Auch im Fall der RHD waren zunächst
die bekannten männlichen Mitglieder,
insbesondere die Funktionäre, im Visier der Repressionsbehörden. Um
die entstandenen Lücken in der Organisation zu füllen, übernahmen oft
Deckblatt einer Broschüre der Roten Hilfe vor 1933
Frauen, die bisher weniger sichtbar
für die RHD aktiv gewesen waren, die
zentralen Posten und organisierten
die klandestine Arbeit in lokalen
Gruppen teilweise auf andere Art. Indem sie Verhaltensmuster benutzten,
die als „typisch weiblich“ und somit als
„politisch
unverdächtig“
galten,
schützten sie sich vor dem Zugriff der
Gestapo. Funktionärinnentreffen wurden als Klatsch auf dem Friedhof oder
als Kaffeekränzchen getarnt, Flugblätter wurden im Kinderwagen oder im
Wäschekorb transportiert, und illegale
Spendensammlungen fanden beim
Gang zum Einkauf statt. Grundsätzlich behielten die meisten RHDGruppen jedoch die bisherigen Organisationsstrukturen bei.
In vielen Städten war die Anbindung
an die KPD-Strukturen recht eng, was
häufig der geschrumpften Zahl der
WiderstandskämpferInnen geschuldet
war. Diese enge Verzahnung lässt
sich exemplarisch am kommunistischen Widerstandszirkel in Weil am
Rhein zeigen, der im Grenzbereich zu
Basel eine zentrale Rolle spielte. In
der Gruppe um Sofie Dehm, die
schon vor 1933 Kassiererin der RHD
gewesen war, waren KPD- und RHD-
13
Strukturen vereint. Sofie Dehm fungierte nach den Verboten der linken
Organisationen und den ersten Verhaftungswellen als Kassiererin für
Partei- und Solidaritätsgelder und
übernahm Ende 1933 die Ortsgruppenleitung. Ab 1934 reiste sie regelmäßig zu Treffen mit der Grenzstellenleitung nach Basel und besprach
mit den dortigen KPD-FunktionärInnen die organisatorische Neustrukturierung in Südbaden. Insbesondere
der Aufbau der Roten Hilfe war dabei
Thema, da die Organisierung der
praktischen Hilfe für die Verfolgten
weiterhin ein wichtiges Arbeitsfeld ihrer Gruppe war. Parallel war die Widerstandsgruppe aus Weil am Rhein
fest eingebunden in die Reichskurierlinie, die Informationen und kommunistische Druckschriften aus Basel
einschmuggelte und bis nach Berlin
verteilte. Anfang 1936 wurden die
meisten Mitglieder der Gruppe verhaftet und im folgenden Prozess verurteilt, was der Arbeit im Grenzgebiet
einen empfindlichen Schlag versetzte.
Neben den engen Kontakten zur KPD
schaffte es die Rote Hilfe weiterhin,
auch NichtkommunistInnen in großer
Zahl einzubinden. Viele SozialdemokratInnen, die enttäuscht waren über
die Zurückhaltung ihrer Partei, und
Parteilose aus Kreisen der ArbeiterInnenbewegung engagierten sich in der
Solidaritätsarbeit. Daneben sprach die
RHD mit gezielten Aufrufen und
Bündnissen andere verfolgte Kreise
an, etwa katholische und bürgerliche
NazigegnerInnen.
Ein Beispiel für diese gelungene Einheitsfrontpolitik im Südwesten ist der
Aufruf „Schluß mit dem Terror“ vom
Januar 1935, den die Bezirksleitungen Süd- und Mittelbaden der SPD
und der Roten Hilfe gemeinsam mit
der linkssozialdemokratischen Gruppe
„Roter Schutzbund, Brigade Karl
Liebknecht“ aus Freiburg verfasste
und in großer Auflage verteilte. Auf
die Schilderungen der brutalen Verfolgungen durch die Nazis folgt der
Appell zur gemeinsamen Solidaritätsarbeit: Die drei Organisationen „rufen
daher gemeinsam alle Gegner des
Systems (…), sich der großen, allumfassenden Hilfsgemeinschaft für die
Opfer des faschistischen Terrors anzuschließen, in allen Orten, in den
Organisationen und Betrieben gemeinsame Hilfskomitees zu bilden,
sich in Spenderkreisen zusammenzuschließen und Patenschaften für
Gefangene, für Familien Gefangener
14
und Ermordeter zu übernehmen.“
Wenig später erschien ein weiterer
gemeinsamer Aktionsaufruf „An alle
Arbeiter und Werktätigen von Mittelund Oberbaden“, den neben den Organisationen des ersten Textes auch
die KPD- und KJVD-Bezirksleitungen
unterzeichneten.
Diese erfolgreiche Bündnisarbeit war
ein wichtiger Grund, warum die Gestapo der Solidaritätsorganisation viel
Aufmerksamkeit widmete. Das größte
Problem stellte für den Verfolgungsapparat jedoch die moralische Unterstützung durch die Rote Hilfe dar.
Selbst minimale Zusendungen an die
KZ-Häftlinge stärkten deren Widerstandsgeist, und das Wissen, dass
die RHD ihren notleidenden Angehörigen beistand, half vielen Gefangenen während ihrer Haftzeit.
Entsprechend hart gingen die Repressionsorgane gegen die Roten
HelferInnen vor. In den ersten Monaten nach dem Verbot im März 1933
waren Tausende von RHD-FunktionärInnen in die KZs verschleppt worden, und viele überlebten den faschistischen Terror nicht. Das Vorstandsmitglied Erich Steinfurth wurde nach
über zehnmonatiger KZ-Haft Anfang
Februar 1934 von der Gestapo ermordet. Auch in Gerichtsprozessen
steigerte sich das Maß der Verfolgung: wurden in den ersten Monaten
der NS-Zeit geringe Beiträge noch
vereinzelt als fehlgeleitetes karitatives
Engagement betrachtet, wurde die
Unterstützung der RHD bald als
ebenso staatsgefährdend eingestuft
wie die Arbeit für die KPD. Selbst bei
einzelnen kleinen Geld- und Lebensmittelspenden waren lange Gefängnisstrafen zu erwarten. Im Juli 1935
erreichte der Justizterror eine neue
Qualität, als Rudolf Claus, der als
Mitglied der illegalen RHD-Reichsleitung gearbeitet hatte, zum Tode
verurteilt und im Dezember 1935 hingerichtet wurde.
Durch den systematischen Einsatz
von Spitzeln konnte die Gestapo große Erfolge in ihrem Kampf gegen die
RHD aufweisen. Die Rote Hilfe in
Mannheim wurde durch den Spitzel
„Rudi“ verraten, der langfristig in der
Organisation eingeschleust gewesen
war und der insbesondere für die Zerschlagung des sehr aktiven Bezirks
Frankfurt verantwortlich war. In
Mannheim traf im Sommer 1934 die
Warnung ein, dass es sich bei dem
vermeintlichen RHD-Funktionär um
einen Gestapo-Informanten handeln
Geschichte
Flugzettel der Roten Hilfe für die Befreiung Lolo Herrmanns
könne. Im Saarland kam es im August
deshalb zu mehreren Krisentreffen
zwischen dem Reichsleitungsmitglied
Willi Koska und gefährdeten BezirksfunktionärInnen aus Süddeutschland.
Im Frühherbst begannen die Verhaftungen, doch in Mannheim war die
Beweislage zunächst noch zu dünn.
Nur die Bezirksleiterin Maria Mandel
wurde verurteilt, allerdings ausschließlich aufgrund der Fahrten ins
Saarland. Erst 1936 wurde das Verfahren neu aufgerollt, und im Folgejahr wurden neun aktive RHDMitglieder aus dem Raum Mannheim
mit Hilfe der Aussagen von „Rudi“ zu
langen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Zwar wurde in der
Region weiterhin die Unterstützung
der Verfolgten organisiert, doch zentrale Leitungsstrukturen mit überregionalen Verbindungen existierten in
Mannheim von da an nicht mehr. Diese Entwicklung vollzog sich ab Mitte
der 1930er Jahre auch in vielen anderen Städten.
Trotz der Vereinzelung beteiligten
sich die örtlichen Gruppen weiterhin
an groß angelegten Kampagnen, die
nun hauptsächlich von den Exilstrukturen der RHD organisiert wurden. Ein
bedeutendes Beispiel ist die Solidaritätsarbeit für die Stuttgarter Widerstandskämpferin Lilo Herrmann, die
im Juni 1937 als erste Frau zum Tod
verurteilt worden war. Die Rote Hilfe
motivierte in den Exilländern viele linke und liberale Organisationen zu
Schreiben an wichtige FunktionsträgerInnen im Deutschen Reich. So
wurden die NS-Frauenorganisationen
von Frauenverbänden aus dem Ausland mit Appellen angeschrieben, in
denen der Schwerpunkt auf der Mutterrolle der von der Hinrichtung bedrohten Kommunistin lag, und ProfessorInnen und Prominente erhielten
von KollegInnen aus anderen Ländern
die Aufforderung, Gnadengesuche zu
verfassen. Daneben wurde reichsweit
Informationsarbeit mit Flugblättern betrieben, bei der die RHD-Aktiven von
GenossInnen aus anderen Organisationen und Parteien unterstützt wurden. Doch trotz der Massenwirksamkeit konnte die Hinrichtung Lilo Herrmanns im Juni 1938 nicht verhindert
werden.
Die Kampagne für die junge Stuttgarterin war eine der letzten großen
RHD-Aktionen. Ab September 1938
existierte die Rote Hilfe nicht mehr als
zentrale Organisation, doch auf Ortsebene gingen die Aktivitäten unter
diesem Namen noch viele Jahre weiter. Die praktische Solidarität für verfolgte GenossInnen blieb bis zur Befreiung ein elementarer Bestandteil
der Widerstandsarbeit und ein wichtiges Bindeglied auch über ideologische Grenzen hinweg. Es ist an der
Zeit, diesem oft vergessenen Kapitel
des antifaschistischen Kampfes größere Aufmerksamkeit zu widmen.
Silke Makowski
aus den Kreisen
15
Gedenken an die Opfer des Faschismus in Karlsruhe:
„Verschwunden aber nicht vergessen“
Der Gedenktag für die Opfer des Faschismus (OdF-Tag) hat in Karlsruhe
eine lange Tradition. Nach der Befreiung von Faschismus und Krieg wurde
er zunächst am zweiten Sonntag im
September begangen. In Karlsruhe
erstmals am 15. September 1946.
Damals riefen, im antifaschistischen
Konsens der Nachkriegszeit, neben
dem Landesausschuss WürttembergBaden der vom Naziregime politisch
Verfolgten auch CDU, SPD, KPD,
DVP (Vorgänger der FDP) und der
Gewerkschaftsbund
WürttembergBaden gemeinsam auf. Einige der
Bündnispartner haben ihre antifaschistischen Positionen dem Kalten
Krieg geopfert und sprangen schnell
wieder ab. Infolge wurde der Gedenktag in Karlsruhe auf den Totensonntag verlegt. Dort konnte er bis heute
als wichtige Institution der Erinnerung
und Aufklärung bewahrt werden. Auch
am diesjährigen Totensonntag folgten
über 60 Menschen der Einladung der
VVN-BdA.
Am Mahnmal für die Opfer der „Euthanasie“ sprach in diesem Jahr der
Ehrenpräsident der VVN-BdA, Heinrich Fink. Dieser begrüßte zunächst
ganz besonders die anwesenden Repräsentanten der DIDF. Ihnen und ihrem Kampf gelte seine ganze Solidarität. Dann sprach er alle TeilnehmerInnen der Veranstaltung an: „Ihr habt
Euch einladen lassen, Euch zu erinnern“. Die Erinnerung gelte besonders denjenigen, die Widerstand geleistet haben, denjenigen, die durch
ihre Taten bewiesen haben, dass Widerstand möglich war. Brecht zitierend heißt es: „Ihr seid verschwunden
aber nicht vergessen“. Es gelte, die
Taten der WiderstandskämpferInnen
in der Erinnerung der Nachwelt zu
bewahren: „Aufklären, Aufklären und
nochmals Aufklären“. Gleichzeitig gelte es, die Erinnerung als Vermächtnis
und Auftrag zu sehen. Heutzutage sei
der Frieden in der Welt wieder brüchig geworden. „Nie war er so gefährdet wie in den letzten Jahrzehnten. Im Irak, in Syrien, in Afrika und
auch in Europa toben Kriege. Deutsche Waffen und auch deutsches Militär sind fast überall beteiligt“. Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus,
Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und
alle möglichen Theorien zur Begründung sozialer Ungleichheit und gesellschaftliche Ausgrenzung haben
Konjunktur. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte sei in nahezu allen europäischen Ländern wieder deutlich
geworden. Die jahrzehntelange Begünstigung faschistischer Mörder
durch den Verfassungsschutz könne
selbst nur als „faschistoid“ bezeichnet
werden. Dagegen brauche es „Widerstand, Widerstand und nochmals Widerstand“. „Wir müssen etwas dagegen setzen. Nämlich das Vermächtnis
und den Auftrag derer, die im KZ und
im Kampf gegen den Faschismus gestorben sind. Die Forderung »Nie
wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« ist der Mittelpunkt der politischen Kämpfe. Das ist unser Auftrag
und das ist das Vermächtnis, weshalb
wir hier stehen“.
Im Anschluss setzte Dieter Bürk, Vorsitzender des DGB-Stadtverbands,
mit einem kurzen Grußwort ein Zeichen dafür, dass der Gewerkschaftsbund seiner 1946 begonnen Tradition
treu bleibt. Die Karlsruher Gewerkschaften waren vom ersten Gedenktag an wichtige Bündnispartner der
Veranstaltung und Träger des Gedenkens. Angelika Messmer verlas
ein eindrucksvolles Zeugnis der Erin-
nerung: Den Abschiedsbrief eines
jungen Bauernsohns aus dem Sudetenland vom 3.Februar 1944 an seine
Eltern kurz vor der Hinrichtung. Er
verweigerte gemeinsam mit einem
Kameraden die Gräueltaten der SS
und unterschrieb nicht seine Zwangsrekrutierung. „Wir wollen lieber beide
sterben, als unser Gewissen mit so
Gräueltaten zu beflecken“.
Nach den Redebeiträgen wurden im
Gedenken an die Opfer des Faschismus Kränze und Blumengebinde niedergelegt. Dabei offenbarte sich die
Bündnisbreite
der
Veranstaltung:
DFG-VK, DGB, DKP, Ettlinger Bündnis gegen Rassismus und Neonazis,
DIDF, Friedensinitiative Bruchsal und
Pax Christi, Interventionistische Linke,
Offenes Antifa-Treffen Karlsruhe, die
LINKE, Stadtjugendausschuss e.V.,
ver.di und die VVN-BdA.
Der zweite Teil der Gedenkveranstaltung fand auf dem Gräberfeld für sowjetische Zwangsarbeiter auf dem jüdischen Teil des Friedhofs statt. In ih-
aus den Kreisen
16
rem Vortrag machten Brigitte und
Gerhard Brändle auf ein siebzig Jahre
lang verschwiegenes Verbrechen
aufmerksam. Am 1. April 1944 erschoss ein Kommando der Division
465 aus Ludwigsburg auf dem
Schießplatz der Wehrmacht im
Hardtwald zwölf französische und
zwei belgische Widerstandskämpfer
im Alter zwischen 19 und 59 Jahren.
Sie waren in Scheinprozessen vom
3. Senat des Reichskriegsgerichts in
Freiburg zum Tode verurteilt worden.
Die Leichen der Ermordeten wurden
anschließend an der Mauer des Karlsruher Hauptfriedhofs verscharrt. Am
1. April 2014 kam die Stadt Karlsruhe
ihrer Verantwortung nach und übergab der Öffentlichkeit in Anwesenheit
von Angehörigen der Erschossenen
eine Erinnerungs-Stele. Nahe des
Orts des Geschehens, an der Ecke
Theodor-Heuss-Allee/Breslauer Str.,
haben die Erschossenen ihren Namen und – soweit möglich – auch ihr
Gesicht erhalten. Die Stadt Karlsruhe
hat gleichzeitig eine zweisprachige
Dokumentation herausgegeben, in
der die Verscharrten nicht als bloße
„Opfer“ dargestellt werden, sondern in
erster Linie als das, was sie waren:
Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer ihrer Heimat. Gleichzeitig gebe es noch viel zu tun: „So
bemerkenswert das Engagement der
Stadt Karlsruhe durch die Ehrung der
Nazi-Gegner aus Frankreich und Belgien ist, so bleibt doch noch zu tun:
Es fehlt in Karlsruhe ein Ort der Erinnerung an die Menschen in und aus
Karlsruhe , die Widerstand gegen die
Nazi-Barbarei leisteten. Auch heute
braucht es Vorbilder für den aufrechten Gang, für Zivilcourage und Widerstand“.
Am Gedenkstein für die sowjetischen
Zwangsarbeiter legte die VVN-BdA
stellvertretend für alle Anwesenden
einen Kranz nieder.
Die Gedenkveranstaltung endete in
gemütlicher Runde in einem Café in
der Nähe. Bei guter Stimmung und
bei anregenden Gesprächen konnte
ein neues Mitglied gewonnen werden.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung, wie in vielen Jahren zuvor,
von Marianne Hangstörfer und Helmut
Ciesla (Trompetensolo). Durch die
Veranstaltung führte unser Kreissprecher Jens Kany.
KV Karlsruhe
Reutlingen:
Gedenken – Herausforderung für Handeln!
Am Ehrenmal für die Opfer des faschismus auf dem Friedhof unter den
Linden erinnerten auch in diesem
Jahr die VVN-BdA und andere Reutlinger Organisation an die Opfer des
Faschismus.
„Wir wollen an alle Menschen erinnern, die unter Einsatz ihres Lebens
und der Freiheit Widerstand gegen
das Nazi-Regime geleistet haben“,
sagte der bisherige Landessprecher
der VVN-BdA Jochen Dürr in seiner
Gedenkansprache. „Wir rufen dazu
auf, die historischen Jahrestage nicht
allein als Gedenktage zu begehen.
Sie sind Herausforderungen für politisches Handeln in der Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen
von Nazismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus in Politik
und Gesellschaft“, setzte er fort. Er
wies auf die Entwicklungen und Auseinandersetzung hin, zu denen solch
antifaschistisches Handeln heute
notwendig ist. Dazu gehöre, dass
endlich alle Verbrechen des naziterroristischen NSU einschließlich der Verstrickungen von Geheimdiensten und
anderen Behörden lückenlos aufgeklärt werden müssen.
Dazu gehöre auch die Auseinandersetzungen mit den nationalistischen,
rassistischen und sexistischen Haltungen in der Mitte der Gesellschaft,
wie sie rechte Parteien wie die AfD
aufgriffen und verstärkten.
Gerade auch die von der AfD besonders aggressiv vertretene Ideologie
des Neoliberalismus ebenso wie seine praktischen gesellschaftlichen
Auswirkungen, die Umverteilung zu
Lasten einer großen Mehrheit der Bevölkerung und die in allen gesellschaftlichen Bereichen geschaffene
Konkurrenzsituation bilde den Nährboden für die Demagogie des Neofaschismus.
Ein besonders wichtiges Anliegen aller Antifaschistinnen und Antifaschisten war und sei die Erhaltung des
Friedens, das friedliche Zusammenleben der Menschen, Völker und Staaten. „Für uns AntifaschistInnen heißt
die Lehre aus der Geschichte: Auch
Krieg ist ein Verbrechen!
Jochen Dürr schloss mit den Worten
Max Mannheimers, Vorsitzender der
Lagergemeinschaft Dachau, die dieser einst einer Gruppe Schülerinnen
und Schüler ans Herz gelegt hatte:
„Ihr seid nicht verantwortlich für das
was geschah. Aber dass es nicht
wieder geschieht, dafür schon.“ DL
Pforzheim:
Langer Atem bleibt notwendig
Am Totensonntag fand auch in Pforzheim die jährliche Gedenkfeier für die
Opfer des Faschismus auf dem
Hauptfriedhof statt.
Rüdiger Jungkind machte auf die besorgniseregende Zunahme faschistischer Bewegungen und Aktivitäten in
vielen Ländern Europas aufmerksam.
Am Beispiel der griechischen „Morgenröte“ zeigte er auf das sie wie viele andere in Europa neu aufgekommene und erstarkte Parteien allen
Kennzeichen und Funktionen des Faschismus entsprechen, wie sie der
verstorbene
Faschismusforscher
Reinhard Opitz zusammengestellt hat.
Auch die aggresive Neonaziszene in
Pforzheim erfülle diese Kriterien.
Auch sie setze zunehmend auf die
terroristische Funktion, wie sie Opitz
geschildert habe. Das zeigten die
Überfälle und Angriffe auf Pforzheimer Antifaschisten in den letzten Monaten.
Rüdiger Jungkind kritisierte auch den
Pforzheimer OB Hager, der in diesem
Zusammenhang immer wieder von
vom „Extremismus“ spreche.
„Es geht nicht um einen abzulehnenden Extremismus, nein, es geht um
Faschismus, es geht um Rechtsterrorismus, es geht um Verbrechen.“
Rüdiger rief zu Solidarität mit den Antifaschistinnen und Antifaschisten auf,
die sowohl den Angriffen der Neonazis, als auch immer wieder wegen ihrer antifaschistischen Aktivitäten Kriminalisierungsversuchen von Behörden und Justiz ausgesetzt seien. es
gehe darum, sich auch in Zukunft allen faschistischen bestrebungen gemeinsam zu widersetzen. Es sei noch
ein langer Atem notwendig, um den
Schwur von Buchenwald zu erfüllen.
Milan Kopriva und Martin Flasch ergänzten die Worte durch Lieder wie
Dona Dona und das gemeinsam gesungene Moorsoldaten-Lied.
DL
aus den Kreisen
17
Trotz Widerstand der Deutschen Bahn AG:
Gedenktafel für die Opfer des Faschismus am Offenburger Bahnhof
Umgerechnet 445 Mio Euro verdiente
die Deutsche Reichsbahn an den
Massendeportationen von Juden, Sinti und Roma und anderen in die Vernichtungslager. Ihr Rechtsnachfolger,
die Deutsche Bahn AG weigert sich
dennoch konsequent, sich diesem
Teil ihrer Geschichte zu stellen. Alle
Initiativen,
Erinnerungstafeln
an
Bahnhöfen
anzubringen,
wurden
rückgewiesen. An keinem deutschen
Bahnhof findet sich ein Hinweis auf
die Beteiligung der Bahn am Verbrechen des Völkermords.
Seit dem 9. November 2014 hat sich
dies geändert: Am Offenburger Bahnhof brachte die Stadt Offenburg in einer gemeinsamen Gedenkstunde mit
der VVN-BdA, die erste Erinnerungstafel an die Verschleppung in den
Massenmord an einem deutschen
Bahnhof an. Möglich wurde dies
dadurch, dass ein Teil des Bahnhofzugangs eben nicht im Besitz der
Deutschen Bahn AG, sondern in dem
der Stadt Offenburg ist. Vier Jahre
dauerte es immerhin, bis die von
VVN-BdA und DGB in Offenburg gestartete Initiative Initiative für die Anbringung der Tafel im zweiten Anlauf
verwirklicht werden konnte.
Der erste Anlauf fand schon vor 20
Jahren statt, wie der Redner der VVNBund der Antifaschisten, Paul Bauer,
auf der jetztigen Gedenkfeier berichtete:
„Der 9. November, Gedenktag an die
Reichspogromnacht 1938 eignet sich
ganz besonders, um heute hier an
diesem Ort, die Gedenktafel für die
Opfer des Naziregimes, die vom Offenburger
Bahnhof
aus
nach
Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden, anzubringen.
Wir waren 1994 geschockt als uns der
Fahrplan von Herbolzheim über Offenburg nach Auschwitz samt Begleitmaßnahmen in die Hände fiel.
Geschockt von der Tatsache, dass
die Reichsbahn, deren Rechtsnachfolgerin die Deutsche Bahn ist, ein
Angebot an die SS offerierte, dass
wenn genügend Halb- Juden und Zigeuner auf diesen Transport geschickt werden, dann könne man ein
besonders günstiges Angebot für den
Fahrpreis nach Auschwitz unterbreiten. 9 Pfennig pro Kilometer und Erwachsenen und die Hälfte des Preises für die mitgeführten Kinder.
Wir hatten es Rolf Ruef, dem damaligen DGB -Vorsitzenden und VVN
Mitglied zu verdanken, dass wir an
diese Unterlagen gekommen sind.
Schnell war ein Bündnis in Offenburg
auf die Beine gestellt dass den 50.
Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg am 8.Mai 1995
zum Anlass nahm, um an die Deportation von Offenburg aus, mittels einer
Gedenktafel erinnern wollte. Mit der
Künstlerin Monika Andres aus Ren-
Die Tafel am Offenburger Bahnhof zeigt
einen Originalfahrplan aus dem Jahr
1943 mit den Abfahrtszeiten von Sonderzügen in die Konzentrationslager
über dem Bild des Konzentrationslagers
Auschwitz.
Fotos: Heribert Schramm
chen fanden wir einen Menschen der
unsere Vorstellungen und Inhalte bei
der Erstellung der Gedenktafel umsetzen konnte.
Leider war die Bundesbahn, damals
wie heute, nicht bereit die Gedenktafel am Bahnhofsgebäude an zu bringen. So wurde sie letztendlich gegenüber der Bahnhof, am Gewerkschaftshaus mit einer würdigen Feier
unter Teilnahme französischer und
deutscher Zeitzeugen am 8.Mai 1995
angebracht. Dort war die Gedenktafel
bis zum Verkauf und Renovierung des
Gebäudes lange Jahre zu sehen. Leider wurde sie im Zuge der Bauarbeiten in einem Bauschuttcontainer entsorgt – von unserem VVN-BdA Kameraden und Gewerkschafter HansPeter Goergens dort entdeckt und für
die Nachwelt gerettet. Und wieder taten sich Menschen zusammen um der
Gedenktafel einen würdigen und angemessenen Platz zu verschaffen
Das Ergebnis sehen sie heute.“
Leserbrief / Literatur
18
Leserbrief:
Abschied von Helmut Buck
Salut Helmut!
„Wir hatten keine Zeit mehr, um
Abschied zu nehmen von unserem
langjährigen Freund, Kameraden
und Genossen Helmut Buck
(5.5.1923 – 17.11.2014), der völlig
überraschend uns verlassen hat,
wo wir ihn doch in dieser schweren
Zeit so dringend gebraucht hätten.
Er lebt in unserer Erinnerung und
in unseren Herzen weiter“, schreibt
der Kreisvorstand Reutlingen der
VVN-BdA in seinem Nachruf, der
auf Wunsch des Verstorbenen in
„unsere zeit“ erschien.
Nach einem Einstieg als Betriebsratsvorsitzender bei Magura in Bad
Urach, dann als hauptamtlicher
Gewerkschaftsekretär, wirkte Helmut Buck von 1965 bis 1984 als 1.
Bevollmächtigter
der
IGMVerwaltungsstelle Reutlingen. Ein
großes Vorbild, ein aufrichtiger,
zeitlebens engagierter Gewerkschafter, unermüdlich im Einsatz
für die Interessen der arbeitenden
Menschen, für den Frieden und
gegen Faschismus, Krieg und Gewalt – so charakterisieren ihn seine Kolleginnen und Kollegen von
der IG Metall.
„Als Reutlinger Gewerkschaftsführer, anfänglich noch unter Willi
Bleicher, wurde Helmut legendär.
Als organisierter Antifaschist erwies er sich auch in schweren Zeiten als standfest. Seine, unsere
Anliegen an junge Menschen so
weiter zu tragen, dass sie sich
konsequent dafür einsetzen, das
ist für uns der Weg, sein Andenken
in Ehren zu halten“, schrieb unser
geschäftsführender
Landesvorstand den Hinterbliebenen. Auf eigenen Wunsch wurde Helmut
Buck im engsten Familienkreis
beigesetzt.
zu Es gibt keine Enthaltung bei Diskriminierung“ in AN 3-2014
In seinem Bestreben, den RomaAsylbewerbern etwas Gutes zu tun und
jegliche Abschiebung von Roma per se
als ungerecht anzuprangern, verfällt der
Autor leider in eine Stimmungsmache
gegen die Länder Osteuropas und insbesondere des Balkan: … Pauschal
stellt er diese Länder als primitiven Hort
von Diskriminierung, Ausgrenzung und
Verfolgung hin.
Dass das Verhältnis zwischen Roma
und Mehrheitsbevölkerung dort vielschichtiger ist, dass die wichtigste Ursache der Armut bei den Balkan-Roma
wie anderswo nicht Diskriminierung,
sondern der Neoliberalismus ist, in dessen Rahmen sich Armut fast schon von
selbst reproduziert, was durch das teilweise Festhalten an einer überkommentraditionellen Lebensweise noch begünstigt wird - das alles spielt in der dichotomischen Sichtweise des Autors
von den diskriminierten Roma und der
diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft
keine Rolle.
Ebenso wenig, dass, dies lässt sich zumindest für Serbien sagen, ein erheblicher Teil der 'ethnischen' Roma voll in
der Mehrheitsbevölkerung integriert ist.
Die Zeitungshändlerin am Belgrader
Zeleni Venac etwa, meine Frisörin dort,
und die Frau in der Schneiderei zwei
Häuser weiter - kaum jemand, vermutlich sie selbst auch nicht, würde sie als
Roma bezeichnen, und doch könnten
sie, nur etwas anders gekleidet und zurecht gemacht, in jedem "Gipsy"-Film
Kusturicas mitspielen.
Nicht dass es auf dem Balkan keinen
Antiziganismus und keine - in vereinzelten Fällen auch brutale - Aggressivität
gegen Roma geben würde.
Aber zu behaupten, dass die Roma dort
generell Opfer von Diskriminierung,
Ausgrenzung und Verfolgung seien, und
dass Roma-Asylbewerber von dort generell "kein sicheres Herkunftsland" hätten, verfälscht die Wirklichkeit.
Ein ganz anderer Ansatz ist, für die
Roma-Armutsflüchtlinge vom Balkan,
analog zu den jüdischen Armutsflüchtlingen aus der Ex-Sowjetunion in den
1990er Jahren, ein gruppenbezogenes
Niederlassungsrecht zu fordern. So absurd auch hierbei ist, dass Nachkommen von Verfolgten ein besseres Leben
ausgerechnet im Nachfolge-Staat der
Verfolger suchen - es wäre eine legitime
Forderung. Und sie würde nicht jene antibalkanischen Ressentiments bedienen, die für die dortige verheerende
Einmischungs- und Vorherrschaftspolitik
des Westens immer noch von großem
Nutzen sind. Hajo Kahlke, Heidelberg
Eindrucksvoll dokumentiert:
Oradour – Geschichte
eines Massakers
2013 besuchte Joachim Gauck, der
gerne für „mehr Verantwortung
Deutschlands“ in aller Welt plädiert
(wir wissen was er damit meint), als
erstes deutsches Staatsoberhaupt
das „Märtyrerdorf“ Oradour-sur-Glane
in Frankreich. In seiner Rede erklärte
er, mit den Überlebenden und den
Familien der Opfer die Bitterkeit darüber zu teilen, „dass die Mörder nicht
zur Verantwortung gezogen wurden,
dass schwerste Verbrechen ungesühnt bleiben“.
Jetzt haben Florence Hervé (Text)
und Martin Graf (Fotografie) ein zweisprachiges
(deutsch/französisches)
hoch informatives und reich bebildertes Buch über Oradour herausgegeben, in dem das Verbrechen umfassend und in allen Facetten aufgearbeitet wird. „Am Samstag, den 10. Juni 1944“ so Florence Hervé in ihrem
Vorwort, „blieb in Oradour die Zeit
stehen. Das ruhige Dorf im nordwestlichen Zentralmassiv wurde von der
SS-Panzerdivision „Das Reich“ in
Schutt und Asche gelegt. 642 Menschen wurden erschossen, verbrannt,
darunter 240 Frauen und 246 Kinder.
Der Kommandeur der Division hieß
General Heinz Lammerding. Einen
Tag zuvor hatte er die Erhängungen
von 99 Geiseln in Tulle befohlen“.
Lammerding lebte nach 1945 unbehelligt als Bauunternehmer in Düsseldorf. Er und andere Täter waren zwar
von einem Miltärgericht in Bordeaux
in Abwesenheit zum Tode verurteilt
worden, wurden jedoch von der BRD
nie ausgeliefert. Allerdings scheiterte
Lammerding mit dem Versuch, sich in
einem Prozess gegen die frühere
VVN-Zeitung „Die Tat“ von dem Vorwurf reinwaschen zu lassen, für viele
Geiselmorde in Frankreich verantwortlich zu sein. „In Tulle gab es Widerstand, in Oradour gab es keinen.“ So
Florence Hervé weiter in ihrem Vorwort, „Und doch verschonte der Tod
nicht diejenigen, die keinen Widerstand leisteten. Oradour und Tulle
mahnen uns: Das Schlimmste kann
alle treffen, auch diejenigen, die an
dem Geschehen gar nicht beteiligt
sind. Oradour ist nicht nur ein Gedenken der Vergangenheit. Es steht auch
für ein Nachdenken über die Gegenwart, ein Denken in die Zukunft.“
Nicht zuletzt wegen der Dokumentati-
Wir gratulieren
on der künstlerischen Aufarbeitung
des Verbrechens in Gedichten, Liedern und Zeichnungen sowie der eindrucksvollen und aktuellen Fotografien der Ruinen des alten Dorfes, das
als Mahnmal stehen gelassen wurde,
gehört dieses Buch zum Besten, Informativsten und Eindrucksvollsten,
was bis jetzt zum Thema Aufarbeitung
von Nazi-Kriegsverbrechen herausgegeben wurde.
Anlässlich des 70. Jahrestages der
Massaker von Oradour und Tulle fand
in Schorndorf im Remstal, der Partnerstadt von Tulle, vom 3. bis 19. November eine Fotoausstellung mit Vorträgen und Lesungen der Autoren
statt. Auch Florence Hervé las im
großen Sitzungssaal des Schorndorfer Rathauses aus ihrem Buch, das
sie am Tag zuvor im Clara-ZetkinWaldheim Stuttgart-Sillenbuch vorgestellt hatte.
Biografisches:
Florence Hervé, Dr. phil., *1944,
Journalistin, Autorin, Dozentin. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter
zum Thema Faschismus und Widerstand: Wir fühlten uns frei. Deutsche
und französische Frauen im Widerstand (1997); Adélaide Hautval: Medizin gegen die Menschlichkeit, Berlin
2008. www.florence-herve.com.
Martin
Graf,
*1957,
DiplomKommunikationsdesigner. Seit 1984
arbeitet er als freier Fotograf und
Journalist. Schwerpunkte: Reportage,
Reise, Fashion, Automotive. Zahlreiche Einzelausstellungen, verschiedene Foto-Essays und Bildbände.
Zusammen haben die Autorin und der
Fotograf des Weiteren veröffentlicht:
„Natzweiler-Struthof – Blicke gegen
das Vergessen / Regards contre
l`oubli“ mit Hans Adamo (2002).
Das Buch Oradour wurde in Kooperation mit der FIR (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer) herausgegeben und enthält u.a. einen
Beitrag von Ulrich Schneider, dem
Generalsekretär der FIR.
K.H.
Oradour, Geschichte eines Massakers, Hrsg. Florence Hervé, Martin
Graf, PapyRossa Verlag 2014, 144
S. Zahlreiche Abb. und Fotos, 18.00
Euro.
19
Wir gratulieren
zum Geburtstag
Im Februar
2. Dr. Egon Knapp, Schwetzingen 84.
2. Luise Mauch, Stuttgart
75.
4. Ingrid Rentschler, Karlsruhe
70.
4. Monika Marquardt, Grünsfeld 65.
4. Diethard Möller, Stuttgart
65.
5. Marie Holzmann, Tübingen
93.
5. Wilhelmine Pleithner, Nufringen 92.
6. Irmgard Wendler, Dettingen
86.
9. Günter Bauder, Heidenheim
75.
9. Marion Bentin, Waldkirch
65.
12. Beate Breuninger, Stuttgart 80.
12. Inge Knauss, Ebersbach
a.d. Fils
92.
15. Anita Hummel, Freiburg
65.
16. Hans Fischer, Metzingen
80.
18. Gottfried Pipping, Aichwald
89.
18. Mathilde Weber, Rastatt
81.
18. Heidi Hummler, Stuttgart
82.
20. Karl Beuttel, Karlsruhe 1
95.
20. Frieda Hafenrichter, Welzheim 80.
23. Herbert Mies, Mannheim
86.
28. Erika Burmeister, Konstanz 90.
Im März
1. Manfred Maurer, Metzingen
65.
3. Christa Bialas, Tübingen
85.
3. Ingeborg Möller, Stuttgart
70.
5. Gerhard Dürr, Stuttgart
87.
6. Charlotte Reintjes, Esslingen 83.
11. Erika Gottfried, Nußloch
82.
11. Helene Nuding, Esslingen
89.
14. Dagmar Hamdi, Karlsruhe
75.
14. Jörg Lang, Stuttgart
75.
15. Michael Exarchos, Heidelberg 65.
16. Dora Brendle, Sindelfingen
91.
18. Reinhold Willers, Waiblingen 65.
19. Maria Dewinski, Ravensburg 87.
21. Winfried Setzer, Lauffen
70.
24. Otmar Hennhöfer, Mannheim 65.
24. Sybille Stamm, Stuttgart
70.
24. Helga Michelberger,
Friedrichshafen
65.
30. Ingeburg Eppe, Stuttgart
82.
Im April
1. Wolfram Pfleiderer-Hatzner,
Sandhausen
65.
6. Martine Ambs-Lesure, Freiburg 70.
9. Herbert Beyerlein, Stuttgart
65.
13. Roland Schmidt, Mannheim 80.
14. Georg Klößmann, Neulußheim 82.
16. Hermann Brück, Ravensburg 80.
18. Günter Bosch, Singen
85.
18. Gerda Mies, Mannheim
86.
18. Manfred Kieser, Mannheim
80.
19. Heinz Hummler, Stuttgart
83.
20. Kurt Winteroll, Bautzen
81.
22. Dieter Krauss, Kernen i.R. 75.
23. Roswitha Durach, Stuttgart
91.
24. Inge Schmidt, Asperg
65.
Ja,
ich will...
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