Erfolg im Blick

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Erfolg im Blick
papergram
3 › 2007
G R A P H I C PA P E R
Erfolg im Blick:
Einmaleins für
Zeitungsmacher
Japaner lesen
mehr
Magazine im Reigen
Das Geheimnis weißen Papiers
sca papergram no 3 › 2007
4
4
Papergram. Das internationale Magazin für die Medienbranche und grafische Industrie. Herausgegeben von
SCA Forest Products AB, Box 846, 851 23 Sundsvall.
Telefon: +46-60-19 40 00. Telefax: +46-60-19 40 90.
Chefredakteurin und Herausgeberin
(nach schwedischem Recht für den Inhalt verantwortlich):
Anne-Sofie Cadeskog
Projekt- und Redaktionsleitung:
Luise Steinberger ([email protected])
14
Grafikdesign: Mellerstedt Design
Repro und Druck: Prinfo Accidenstryckeriet,
Sundsvall
Titelfoto: Olle Melkerhed
Papergram wird auf GraphoCote
80 g gedruckt, der Umschlag
auf Reprint 150 g. Das
Papier ist FSC-zertifiziert.
Inhalt › 3/2007
22
Einmaleins für Zeitungsmacher
4 Anzeigen,
Vertrieb,
Exponierung, Inhalt, Zielgruppe und Markt – das sind die
Grundpfeiler, die ein erfolgreiches Magazin tragen. Papergram checkt Erfolgsfaktoren
10 Papier als Herzenssache
Die Familie Kessler versorgt Kolumbiens große Druckereien und Verlage seit mehr
als 70 Jahren mit Papier
12 Trends
13 Kolumne
Ole Munk über die komplexe Aufgabe, eine Zeitung zu verändern
14 Lektüre im Rundlauf
Lesezirkel sind ein beliebtes Mittel, um beim Abonnement von Zeitschriften die
Kosten zu begrenzen. Weder Internet noch Multimedia haben dem Konzept bisher
etwas anhaben können
18 Leseboom in Japan
In keinem Land der Welt wird so viel Gedrucktes konsumiert wie in Japan
22 Modell für die Lichtverbreitung
Neue Forschung lässt eine bessere Interpretation der optischen Eigenschaften von
Papier zu
24Renaissance für Antiquitäten
Zahlreiche neue Magazine greifen den derzeitigen Antiquitätentrend in der
Einrichtungsbranche auf
27 SCA info
28Elch-Fakten zur Jagd
Immer neue Informationen rund um Europas größtes Tier
sca papergram no 3 › 2007
Das Material in dieser Zeitschrift ist von der Redaktion
bestellt, durchgesehen und abgenommen. Das bedeutet
jedoch nicht, dass die Redaktion oder SCA die Meinungen der Autoren in jedem Fall teilen. Zitieren Sie uns
gerne, aber geben Sie bitte die Quelle an.
Möchten Sie ein eigenes Gratisexemplar von Papergram,
oder möchten Sie die Zeitschrift für einen Kollegen
bestellen? Schicken oder faxen Sie Namen, Adresse
und eventuell den Namen Ihres Unternehmens an:
Birgitta Ulfsparre, SCA Graphic Sundsvall AB,
Box 846, 851 23 Sundsvall.
Telefon: +46-60-19 43 92.
Telefax: +46-60-15 24 50.
E-post: [email protected]
SCA Forest Products produziert Druckpapier für
Zeitungen, Zeitschriften und Kataloge sowie Zellstoff,
Schnittholzwaren und Biobrennstoffe aus der Forstwirtschaft. SCA Forest Products verwaltet auch den
großen Waldbesitz der SCA, versorgt die schwedischen
Industriebetriebe des Konzerns mit Holzrohstoffen und
bietet den Geschäftseinheiten der SCA wirtschaftliche
Transportlösungen an.
Der Umsatz des Unternehmens beläuft sich auf
1,95 Milliarden Euro, die Mitarbeiterzahl auf 4 000.
Die Forstwirtschaft der SCA ist gemäß FSC
(Forest Stewardship Council) zertifiziert.
SCA › info
Umweltspitze
– weltweit
In einem Ranking der umweltverträglichsten Unternehmen der Welt erlangte SCA
eine absolute Spitzenplatzierung: Rang
Numero Zwei
Die britische Tageszeitung The Independent führte das
werden. Der Schlüssel für die Topplatzierung war jedoch ein
hoher Recyclinggrad.
Auf Platz eins steht der Windkraftproduzent Vestas und Rang
drei nimmt die niederländische Bank ABN Amro ein.
Das unabhängige Institut Eiris untersucht das Verhalten von
Unternehmen in über 40 Ethik-bezogenen Bereichen, darunter
Management, Umwelt und Menschenrechte. Eiris untersucht
sämtliche auf dem FTSE All World Developed Index verzeichneten
Unternehmen, das heißt fast alle Börsenunternehmen der entwickelten Welt. Kunden sind Unternehmen, die Hilfe bei der
Umsetzung ihrer eigenen ethischen Regeln bei Investitionen
brauchen, sowie Organisationen, die in ethisch oder umweltmäßig
nachhaltige Unternehmen investieren wollen.
S
Umweltranking in Zusammenarbeit mit dem Institut Eiris
(Ethical Investment Research Services) durch. Zugrunde lagen
eine Reihe objektiver Kriterien wie etwa Managementsysteme,
Abfallmanagement, Wasserverbrauch und Maßnahmen, die zur
Bekämpfung des Klimawandels ergriffen wurden.
Eiris arbeitet als Umweltratgeber für Unternehmen und Finanzinstitute. Stephanie Maier, Strategiechef für die Forschungsentwicklung bei Eiris, sagte zum Independent: „Wir gingen von
unseren Erkenntnissen über fast 3 000 Unternehmen aus und
wählten eine Reihe Kriterien, die wir zu Grunde legen, wenn wir
die Umweltverträglichkeit von Unternehmen bewerten. Mit diesem Ranking wollten wir die weltweit führenden Unternehmen
aufzeigen. Die Kriterien, darunter der Klimawandel, spiegeln die
Themen, die für Investoren am wichtigsten sind.“
Für SCA sprachen die umfassende Umweltzertifizierung gemäß den strengen Regeln des FSC (Forest Stewardship Council) und die Verwendung eines großen Anteils rückgewonnener
Fasern in den Tissueprodukten des Unternehmens. Weitere von
der Jury benannte Faktoren sind die Tatsache, dass SCA eine
deutliche Policy gegen illegalen Einschlag von Holz verfolgt,
dass das Unternehmen Emissionen in Wasser vermeidet und
dass endliche Ressourcen wie Öl und Kohle soweit möglich durch
Kohlendioxid-neutrale Brennstoffe wie etwa Holzabfälle ersetzt
Jan Johansson neuer
Vorstandsvorsitzender
D e r Au fs ichts rat d e r SCA
Der Umwelt zuliebe – GraphoVerde
SCA Graphic Laakirchen lanciert ein neues SC-Papier: GraphoVerde wurde
ganz mit Rücksicht auf die Umwelt entwickelt. Das Papier, das 50 Prozent RecyclingAnteil enthält, bietet ausgezeichnetes Glanzniveau und sehr gute Laufeigenschaften
in der Druckpresse.
Die neue Rezeptur ermöglicht, die gewünschte
Papierqualität mit geringerem Energieeinsatz
herzustellen und trägt damit zur Balance zwischen Qualität und Umwelt bei. Aus Rücksicht
auf die Umwelt wird SCA Graphic Laakirchen
auch die Verbreitung des neuen Papiers
begrenzen. Um die bei Straßentransporten
entstehenden Kohlendioxidmengen nieder zu
halten plant das Unternehmen, GraphoVerde
vorrangig in Zentraleuropa zu vermarkten.
Weitere Informationen erhalten Sie bei ihrem
SCA Verkaufsbüro.
S
S
ernannte am 3. September Jan
Johansson zum neuen Vorstandsvorsitzenden und Konzernchef.
Johansson tritt die Nachfolge von Jan
Åström an, der SCA mit unmittelbarer
Wirkung verlässt.
Aufsichtsratsvorsitzender Sverker
Martin-Löf betont, der Führungwechsel sei notwendig, weil SCA
nach der Umstrukturierung in eine
mehr verbraucherorientiertes Unternehmen nun in eine neue
Phase eintrete: „Der Aufsichtsrat sieht große Möglichkeiten für
unser Unternehmen, in Märkten mit Priorität wie Osteuropa,
Asien und Lateinamerika die Profitabilität zu steigern und
das Wachstum zu beschleunigen. Und da sind die richtigen
Führungsqualitäten gefragt. Wir haben eine Person mit Zukunftsvision und nachweislich starken Führungsqualitäten
gesucht. Jan Johansson besitzt diese Eigenschaften.“
Johansson, derzeit Geschäftsführer des Grubenunternehmens Boliden, tritt sein Amt so rasch wie möglich an,
spätestens jedoch Anfang Dezember.
sca papergram no 3 › 2007
Erfolgsrezepte
Für den Start einer erfolgreichen Zeitung
oder Zeitschrift braucht es eine gute
Idee – doch das ist in der heutigen kom
plizierten Wettbewerbslage nicht genug.
Wer die Nase vorn haben will, muss
in Sachen Anzeigen, Vertrieb und
Exponierung ebenso firm sein wie
bei Themen, Zielgruppe und Markt
von Henrik Emilson foto Olle Melkerhed
sca papergram no 3 › 2007
Jede Woche veröffentlicht die ameri-
kanische Zeitschrift People die wichtigsten Nachrichten über die wichtigsten
Prominenten. Der Name der Zeitschrift
ist Programm: Es geht um Menschen.
Um bekannte Menschen, die Gewöhnliches und um Durchschnittsmenschen,
die Ungewöhnliches tun. Auch wenn nur
wenige offen zugeben, dass sie die Zeitschrift lesen, hat diese doch eine Auflage
von mehr als 3,7 Millionen Exemplaren;
etwa 1,5 Millionen davon werden im
Handel verkauft. Insgesamt erreicht
People an die 36 Millionen Menschen
oder jeden fünften Amerikaner.
People baut auf jenen Grundelementen
auf, aus denen jede erfolgreiche Zeitschrift besteht: Anzeigen, Vertrieb/Exponierung, Thema, Zielgruppe und
Markt. Hinzu kommt die so genannte
„Medienkonvergenz“, das heißt, die
lgsrezepte
Nummer eins: Anzeigen
Was ist nach Ansicht von Experten der
wichtigste Erfolgsfaktor für eine neue
Zeitung? „Anzeigeneinnahmen. Ohne
die ist alles sinnlos“, antwortet Colin
Walsh, britischer Berater mehrerer Zeitschriftenverlage und -vertriebe sowie
Vorsitzender der Organisation „the Publishing in Cambridge Association“. Um
überhaupt in das Stadium zu gelangen,
in dem Anzeigen verkaufbar sind, ist
laut Walsh eine gründliche Marktanalyse
vonnöten: Wer wird die Zeitung lesen
wollen; ist sie in ihrem Genre einzigartig,
und wer könnte daran interessiert sein, im
Blatt zu annoncieren? „Die Marktanalyse
muss auch das Internet einschließen. Denn
es gibt Zeitungen mit Homepage, aber
auch Homepages ohne zugehörige Zeitung, die sich auf das gleiche Gebiet konzentrieren. Weil im Internet so vieles gratis
ist, reicht es nicht, sich auf Abonnenten zu
verlassen“, meint Colin Walsh.
Guy Consterdine, britischer Medien­
analyst und Berater, hat mehrere Studien
über die Wirkung von Anzeigen in Zeitungen erstellt. In seiner jüngsten Studie
How Magazine Advertising Works (Wie
Anzeigen in Magazinen funktionieren) von
2005 betont er, wie wichtig es ist, dass die
Herausgeber ihre Zielgruppe kennen. „Bei
der Identifikation eines Lesers mit einer
Zeitschrift geht es nicht allein darum, dass
der Leser aus dem Blatt Informationen
bezieht. Wenn es der Zeitschrift gelingt,
bei ihm wirklich eine ganz bestimmte
Saite anzuschlagen, dann kann dies das
Selbstbild des Lesers stärken. Daraus
erwächst ein besonderes Verhältnis, ein
Vertrauen“, erklärt Consterdine.
Eine enge Beziehung zwischen Leser
und Zeitschrift nutze auch dem Anzeigenverkauf, glaubt er: Alles, was der
Leser an seiner Zeitschrift sympathisch
finde, beeinflusse seine Wahrnehmung
der Anzeigen.
Vertrieb und Exponierung
Insbesondere im Tageszeitungssegment haben hohe Vertriebskosten zur
Herausgabe von immer mehr Gratiszeitungen geführt. Zugleich kontrollieren Vertriebe und Zeitschriftenhändler, welche Publikationen in den
Regalen exponiert werden und wie
das geschieht. Um die Plätze herrscht
sca papergram no 3 › 2007
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Präsenz auf mehreren Kanälen neben
der Printausgabe. Und außerdem hat
People noch einen weiteren Trumpf im
Ärmel, einen Trumpf, der zum mittlerweile mehr als 30 Jahre währenden Erfolg
beigetragen hat. Doch dazu später.
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Zeit für den Start
Wenn alle genannten Details bedacht
sind – Zielgruppe definiert, Themen
gewählt, Anzeigenkunden gefunden,
Vertrieb und Exponierung geklärt – ist
es dann an der Zeit, sich an die Startlinie
zu begeben? Noch nicht; eine wichtige
Komponente fehlt noch. Und genau sie
ist der Trumpf in Peoples Ärmel. Dieser Trumpf heißt: guter Journalismus.
Denn obgleich die Zeitschrift als leichte
Unterhaltung angesehen wird, mit Betonung auf Promi-Klatsch, ist sie doch
enorm gut geschrieben und recherchiert.
Viele Redaktionen nutzen People, um
ihre eigenen Informationen über Promis zu überprüfen. „Gleich nach den
Anzeigenkunden sind gute Autoren das
Wichtigste. Sie imponieren nicht nur den
Lesern, sondern auch den Anzeigenkunden. Mit bekannten Namen kann eine
neue Zeitschrift unmittelbar Autorität
gewinnen“, sagt Colin Walsh.
S
Ein Muss: Medienkonvergenz
Zeitung gelesen wird heute im Internet,
auf der Arbeit, via Laptop oder Handy.
Oder wir nehmen uns in der Bahn eine
Gratiszeitung. Das ist – um einen abgenutzten Ausdruck zu verwenden – Multimedia. Medienkonvergenz bedeutet, dass
Kommunikation eben über verschiedene
Kanäle geschieht – so bietet eine Tageszeitung neben der Print- eine Internetausgabe und einen Newsletter an, ist per
E-Mail und im Handy zu lesen. Bei der
Planung von Kampagnen haben Anzeigenkunden ihre Konzepte deshalb auf
mehrere Kanäle ausgeweitet. „Die Herausgeber von Zeitungen müssen deutlich
machen, wo ihre Publikation inmitten
dieser umfassenden Mixtur angesiedelt
ist. Sie müssen das Einzigartige definieren, das die Zeitung bieten kann“, erklärt
Guy Consterdine. Zeitung und Internet,
betont er, funktionierten oft bestens im
Zusammenspiel: Jemand liest in der Zeitung seines Vertrauens einen Artikel über
eine Ware, eine Dienstleistung oder ein
Reiseziel. Daraufhin sucht er im Internet
weiter – und bucht oder kauft vielleicht
sogar postwendend.
S
Thema, Zielgruppe und Markt
Wie findet man ein relevantes Thema?
Marktanalysen liefern Antworten auf die
Frage, ob für die geplante Zeitung Bedarf
besteht. Ein erster Schritt in der Inhaltsplanung kann es sein, ganz einfach über
verschiedene potenzielle Lesergruppen
nachzudenken, die im Angebot des
Zeitschriftenregals bisher nicht bedacht
werden. RedTee und Psychologies Magazine
(siehe Kasten) fanden Leser-Nischen
– Golf spielende Damen beziehungsweise
allgemein an Psychologie Interessierte.
„Einmal habe ich eine Zeitung mit dem
Namen Pregnancy Plus lanciert – 750 000
Geburten pro Jahr in Großbritannien
ergeben einen großen Markt. Aber es
gibt natürlich ähnliche Titel“, sagt Colin Walsh und betont, wie wichtig es sei,
wirklich eine eigene Nische zu finden,
besonders innerhalb eines Bereiches, der
bereits „besetzt“ ist.
Pregnancy Plus kooperierte daher mit
der größten Wohlfahrtsorganisation
Großbritanniens, dem „National Childbirth Trust“, der im ganzen Land über
Schwangerschaft, Geburt und Kinder
aufklärt. Auf diese Weise konnte die
Zeitschrift ihre Zielgruppe effektiv erreichen.
Zwei Zielgruppen scheinen heute
besonders im Trend zu liegen: Umwelt-­
interessierte und „die graue Masse“. Mit
Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit,
mit Fernsehbeiträgen und Artikeln, dem
G8-Gipfel und den Live Earth-Konzerten des vergangenen Sommers nahm
die Beunruhigung über Klimaveränderungen zu, gewannen Umweltfragen an
Bedeutung. Und die „graue Masse“ – da-
mit ist die „Baby-Boom“-Generation
gemeint, die demnächst in Rente geht
und mit genügend Geld, viel Freizeit und
bei guter Gesundheit ein aktives Pensionärsdasein zu führen gedenkt. Diese
Generation stellt Ansprüche – doch nur
wenige Zeitschriften spiegeln bislang
ihre Situation.
„Gleich nach den Anzeigenkunden sind gute
Autoren das Wichtigste“
Colin Walsh
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beinharte Konkurrenz. „Reden Sie mit
den Zeitungshändlern. Wenn die Ihnen
sagen, für noch ein Computermagazin
ist kein Platz, dann sollten Sie kein neues
Computermagazin herausgeben“, sagt
Colin Walsh.
In Großbritannien, betont er, müssten
Herausgeber immer häufiger für die gewünschte Exponierung ihrer Zeitschrift
im Händlerregal bezahlen; etwa so, wie
Verlage Buchhändler für eine gute Platzierung im Schaufenster vergüten. Walsh
rät daher, mit den Händlern frühzeitig
die Art und Weise der Exponierung zu
diskutieren.
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Erfolgreiche Vorbilder
Zwei in ihrem jeweiligen Genre erfolgreiche Zeitschriften sind die
schwedische Golfzeitschrift für Frauen, RedTee, und die französische
Psychologiezeitschrift Psychologies Magazine. Beide nutzen die gleichen
Kniffe wie der erfolgreichste Magazinmacher der 1990er-Jahre, Tyler Brûlé
Der junge Magazin-Macher Tyler
Brûlé ist ein lebender Mythos der Medienwelt. Während einer Reportage
über die „Ärzte ohne Grenzen“ in Afghanistan wurde der damals 26-jährige
freischaffende Journalist überfallen und
von Kugeln in beiden Armen getroffen.
Im Krankenhaus legte er den Grundstein
für seine Zeitschrift Wallpaper, eine der
erfolgreichsten und einflussreichsten
Publikationen der 1990er-Jahre. In Bahn
brechendem Design vermittelte sie internationales Flair und behandelte Themen
aus Architektur, Design und Mode auf
neue Art. 1997 verkaufte Tyler Brûlé
Wallpaper für mehr als eine Million Pfund
Sterling. Nun ist er mit seiner neuen
Kreation Monocle erneut in der Zeitschriftenszene aktiv. Die erste Ausgabe
erschien in diesem Jahr; Schwerpunkte
sind Umweltanalysen, Business, Kultur
„Unser Markenzeichen macht den tiefsten
Wunsch von Frauen lebendig: den Wunsch,
glücklich zu sein“
Patricia Berthomier-Massip
und Design. Ob Monocle ebenso erfolgreich sein wird wie Wallpaper, wird die
Zukunft zeigen. Eines steht jedenfalls
außer Zweifel: Mehrere Kniffe, derer
sich Brûlé bedient, sind handwerklich
beispielhaft.
Zielgruppe mit Wissensdurst
Wallpaper wandte sich an eine Zielgruppe, die danach gedürstet hatte, Design in all seinen Erscheinungsformen
endlich mit dem gebührenden Ernst
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behandelt zu sehen. Auch die Gründerinnen von RedTee entdeckten brach
liegendes Terrain: Zum einen ist Schweden das Land mit den weltweit meisten
Golf spielenden Frauen per capita; zum
anderen hatten diese Golferinnen bis
dato keine eigene Zeitung. Und schon
war RedTee konzipiert – Europas erste
Zeitschrift für golfende Frauen. Noch
ehe die erste Printausgabe auf dem Markt
war, hatte man zudem eine Homepage
ins Netz gestellt, auf der allmählich die
ersten Bestellungen für Abonnements
eingingen. „Bald hatten wir an die 3 000
Abonnentinnen – damit konnten wir den
Druck der ersten Ausgabe finanzieren“,
erinnert sich Chefredakteurin Bonnie
Roupé.
In Ermangelung irgendwelcher Erfahrungen aus dem Zeitungsbusiness
berechnete sie das Budget auf ihre eigene Weise: „Ich schaute mir an, was es
braucht, um eine rentable Zeitschrift zu
machen, und überlegte, wie wir uns das
Endprodukt wünschen. Dann rechnete
ich einfach rückwärts und erhielt so die
Summe der Kosten. Wir passten dann
den Arbeitsprozess entsprechend an.“
Viele Zeitungen schreiben in den ersten
Jahren rote Zahlen; RedTee erwirtschaftete von Anfang an Gewinn.
Nische finden
Klas Hertzberg, stellvertretender Geschäftsführer des Verlages Anemona
Nemorosa, der RedTee herausgibt, erklärt
den Erfolg mit der extremen Nische, die
RedTee bedient. „Da muss die Auflage
nicht so groß sein; das Wichtigste ist eine
starke Verankerung in der Zielgruppe.
RedTee hat eine Auflage von 22 000
Exemplaren, verglichen mit den großen
„Von dieser Art Leser gibt es vielleicht nicht Millionen,
aber durchaus Hunderttausende“
Tyler Brûlé
Tyler Brûlé rief das Design-Magazin Wallpaper ins Leben. Sein jüngstes Projekt heißt Monocle
Frauenmagazinen ist das nichts. Aber
unsere Zielgruppe ist extrem spezifisch
und verfügt außerdem über Geld. Für ein
Auto in der Preislage um 70 000 Euro gibt
es in Schweden nur eine begrenzte Zielgruppe. Und genau die erreichen wir.“
So wie Tyler Brûlé in Monocle mit
verschiedenen Marken zusammenarbeitet, etwa mit Skeppshult-Fahrrädern
und Porter-Taschen, geht auch RedTee
Kooperationen mit anderen Unternehmen ein. Auf diese Weise stärkt man
gegenseitig die Marken. „So kann zum
Beispiel der Fondsverwalter Carnegie die
Zeitschrift an seine Kundinnen schicken.
Im Gegenzug bekommt Carnegie vier
bis sechs Seiten in unserer Zeitschrift“,
erklärt Klas Hertzberg.
mier-Massip. Der WiedererkennungsFaktor ist hoch und das Vertrauen der
Leser groß. Das Markenzeichen des Magazins ist stark, was die Macher gleichzeitig anspornt, sich hohe Ziele zu stecken. „Unser Markenzeichen macht den
tiefsten Wunsch von Frauen lebendig:
den Wunsch, glücklich zu sein“, erklärt
Berthomier-Massip.
Internet-Expansion
Psychologies hat auch eine starke Position
im Internet. Die Homepage verzeichnete
2006 an die elf Millionen Besucher. Und
neue Netzwerke und Kooperationen mit
anderen Sites kommen ständig hinzu.
Zudem hat die Printausgabe Ableger in
sieben Ländern; die jüngste nationale
Version ist eine chinesische, entstanden
im letzten Jahr. Die Gesamtauflage liegt
weltweit bei 850 000 Exemplaren.
Mit ihren exakt definierten Zielgruppen und Kooperationen sind Monocle,
RedTee und Psychologies Magazine Paradebeispiele für Magazine, die mit ihren
Lesern gute Verbindungen aufbauen und
zugleich ihre Marke über die Printausgabe hinaus verwalten.
S
Populär-Psychologie
Monocle hat derzeit eine Auflage von
60 000 bis 70 000 Exemplaren. Die
Ziel­gruppe ist genau definiert, aber den-
noch relativ groß. Sie umfasst „normale
Verbraucher, die Billigflüge buchen, bei
H&M oder Zara einkaufen und eine
etwas andere Art der Auslandsberichterstattung wünschen“. Und, wie Tyler
Brûlé es formuliert hat: „Von dieser Art
Menschen gibt es vielleicht nicht Millionen, aber durchaus Hunderttausende.“
Das französische Psychologies Magazine hat seine Zielgruppe ebenfalls klar
definiert: Frauen mit Interesse an Psychologie. Auch dieser Markt ist groß
– dem Interesse entsprechend. Als erfolgreichste Zeitschrift Frankreichs konnte
Psychologies Magazine die Auflage in den
vergangenen neun Jahren um mehr als
300 Prozent steigern. Die stellvertretende Geschäftsführerin des Verlages,
Patricia Berthomier-Massip, nennt als
wichtigsten Grund für den Anstieg von
monatlich 84 000 auf 300 000 Exemplare eine Konzept-Änderung: Aus einem
vorwiegend an Fachleute gerichteten
Blatt wurde eine populärwissenschaftliche Zeitschrift mit Prominenten auf
dem Cover. „Psychologies ist die einzige
Zeitschrift, deren Thema das Leben der
Leser selbst ist“, sagt Patricia Bertho-
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Herzensangelegenheit
John Kessler, Veteran in
der lateinamerikanischen Zeitungsbranche,
übertreibt nicht, wenn er sagt, sein Herz hängt
am Geschäft. Seit mehr als 70 Jahren versorgt
seine Familie die Druckereien und Verlage
Kolumbiens mit Druckpapieren
von Erico Oller Westerberg foto Oscar Sabetta
Jeden Morgen gegen sieben, wenn
John Kessler in seinem praktischen
Stadtjeep von zu Hause aufbricht, versucht er, sich nicht über den Verkehr zu
ärgern. Die Fahrt durch die Innenstadt
von Bogotá dauert 40 Minuten. Und
obgleich er weiß, dass viele Telefonate
zu führen und eilige Dinge zu erledigen
sind, fährt er nicht sofort ins Büro. Zunächst steht noch Wichtigeres an. „Jeden
Werktag von acht bis neun fahre ich in
die Herzklinik zur Reha. Diese Zeit ist
heilig. Wenn mir daran gelegen ist, weiter arbeiten zu können, dann muss ich
auf meine Gesundheit achten und Prioritäten setzen“, erklärt John Kessler.
Mit 65 Jahren hat er sich erstaunlich
gut von den schweren Herzbeschwerden
erholt, die ihn vor neun Jahren ereilten.
„Der Stress hat einen Preis, aber ich will
nicht klagen. Ich liebe diese Branche und
habe das Papier im Blut.“
10
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Strapaziöse Transporte
Mindestens einmal pro Woche läuft ein
Schiff mit Papier den Hafen von Cartagena oder Santa Marta an. Danach folgen
drei Tage und Nächte LKW-Transport
auf beschwerlichen Wegen über die Pass-
„Es kommt schon mal vor, dass sich ein Fahrer unterwegs
verliebt und ein paar Tage bei seiner neuen Liebsten
verweilt. Da laufen die Telefone heiß“
daher müssen wir um unsere Marktanteile kämpfen“, erklärt John Kessler.
„Meine Konkurrenten verkaufen keine
Exportware, sondern den Überschuss
ihrer Heimatmärkte. Je nachdem, wie
die Lage in den USA gerade aussieht,
können sie die Preise spürbar drücken.
Es ist schwierig, langfristig und kontinuierlich zu wirtschaften, wenn der Markt
ständig Berg- und Talbahn fährt. Das ist
ein ewiger Kampf.“
Großkunden in Bogotá
Schwarze Wolken ziehen derzeit in Gestalt eines möglichen Freihandelsabkommens zwischen den USA und Kolumbien
am Horizont auf. Infolge eines solchen
Abkommens würden Zölle verschwinden; für amerikanische Waren wäre mit
Preissenkungen um 15 Prozent zu rechnen. Noch aber kann John Kessler die
fünf größten Zeitschriftenverlage in der
Hauptstadt Bogotá zu seinen Kunden
zählen. Die meisten Wochenzeitungen
und Magazine werden auf GraphoCote
und GraphoLux von SCA gedruckt.
„Wer nicht am billigsten ist, der muss
am besten sein“, meint John Kessler. Er
straßen der Anden in die Hauptstadt.
Bogotá, mit rund acht Millionen Einwohnern, liegt auf einem Hochplateau,
2600 Meter über dem Meeresspiegel und
etwa 100 Kilometer im Landesinneren.
Tatsächlich ist der Transport von der
kolumbianischen Küste nach Bogotá
teurer als die gesamte Verschiffung des
Papiers von der Fabrik in Schweden bis
zum kolumbianischen Hafen. Und ob die
Lieferung pünktlich erfolgt, das hängt
von Faktoren wie dem Wetter, der Straßenlage und nicht zuletzt der Gefühlswelt des Fahrers ab. „Es kommt schon
mal vor, dass sich ein Fahrer unterwegs
verliebt und ein paar Tage bei seiner
neuen Liebsten verweilt. Da laufen die
Telefone heiß. Die Kunden fragen, wo
das Papier bleibt, während ich versuche,
die Turteltäubchen zu orten.“
John Kessler lacht. Sein Vater war
Deutscher, seine Mutter Engländerin;
aber Kessler hat einen typisch lateinamerikanischen Humor.
„Herzensangelegenheiten können
mir Herzbeschwerden machen“, sagt er.
„Verlieben sich schwedische LKW-Fahrer auch so leicht?“
S
Vom Vater zum Sohn
Seit mehr als sieben Jahrzehnten beliefert die Familie Kessler große Druckereien und Verlage in Kolumbien mit
Papier. John übernahm das Geschäft vor
32 Jahren. Als Agent für das schwedische
Handelshaus Elof Hansson, das auf den
Vertrieb von Papier und Forstprodukten
spezialisiert ist, sowie als Agent für
SCA in Lateinamerika hat Kessler die
alleinigen Rechte am Verkauf von SCADruckpapieren auf dem kolumbianischen
Markt. „Meine Tochter ist auch schon in
der Firma engagiert. Allerdings hat sie
sich im Moment etwas zurückgezogen,
um sich um ihre Kinder zu kümmern“,
berichtet Kessler.
Das Berufsleben hat seine Höhen und
Tiefen auf einem extrem Preis-anfälligen
Markt. John Kessler darf nie ruhen. Mit
einem jährlichen Liefervolumen um
die 8 000 Tonnen versucht er die Führungsposition zurückzuerobern, die er
und SCA vor 17 Jahren an verschiedene
amerikanische Konkurrenten abgeben
mussten. „Bei Qualität und Kundenservice liegen wir vorne. Aber auf diesem
Markt hier entscheidet der Preis, und
verteidigt seine Marktanteile mit intensivster Kundenbetreuung. „Ich bin
eine Art Notarzt, stehe immer bereit,
um bei Bedarf einzuspringen. Die Logistik ist ein ständiges Problem, denn
die Kunden erwarten Just in time-Lieferungen. Da kann man auf Dauer schon
Herzprobleme bekommen“, sagt er lächelnd.
t Papier
John Kessler, SCA-Agent in Lateinamerika, verkauft grafische Papiere an große Verlage und Druckereien unter anderem in seinem Heimatland Kolumbien.
Er führt die Geschäfte des Familienunternehmens seit 32 Jahren. Gegründet wurde die Agentur Kessler vor mehr als 70 Jahren von John Kesslers Vater
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11
tRENDS
von Luise Steinberger
Schneller ausdrucken
ILLUSTRATION : Daniel Egnéus
S
Zwei israelische Wissenschaftler am
College of Judea and Samaria haben
eine Drucktechnik entwickelt, mit der
man bis zu 1 000 Seiten pro Minute
ausdrucken kann; Textseiten können
sozusagen simultan ausgedruckt werden.
Diese Kombination von LCD-Technik
und konventionellem Druck erweitert
die Möglichkeiten des Druckerkopfes
bei Druckern.
Anregungen lieferten platte Computer- und Fernsehschirme. Die dort verwendete CTR-Technologie, mit der das
Bild auf den Schirm „gescannt“ wird, ist
dem Ausdrucken auf einem Drucker ähnlich. Mit LCD-Technologie wird das gesamte Schirmbild gleichzeitig verändert.
Die Wissenschaftler überführten diese
Technologie auf die Drucktechnik, wobei
das Problem vor allem in einer neuen Art
der Versorgung des Druckerkopfes mit
Tinte bestand. Druckerköpfe sind nach
dem Matrix-Prinzip aufgebaut; das Bild
ist in kleine Punkte unterteilt. Die Tinte
wird in Mikrobehältern bereitgestellt, die
unabhängig voneinander arbeiten. Daher
können verschiedene Bildsegmente separat gedruckt werden. So kann die Matrix
um viele Behälter erweitert werden, bis
der Druckerkopf das gesamte Druckbild
umfasst. Die Wissenschaftler haben bisher eine Matrix in der Größe zwölf mal
zwölf Zentimeter mit 57 600 Behältern
entwickelt, die als Modell dient.
(Quelle: AGI-news)
FSC-Unterstützung für Korkeichen
Ein Weinbauer aus Oregon, USA, der seine Flaschen mit FSC-zerti-
fizierten Korken aus Spanien verschließt, ist jetzt als erster Weinproduzent
nach FSC zertifiziert worden. Viele Weinbauern haben aus Umweltgründen auf Kunststoffkorken oder Schraubverschlüsse umgestellt; nun
stehen die Korkeichengebiete in Spanien, Frankreich, Portugal, Marokko,
Italien und Tunesien vor wirtschaftlichen Problemen, und die Artenvielfalt
der Bäume ist bedroht. Um dem entgegenzuwirken, zertifiziert der FSC
Korken, die in ökologischem Anbau hergestellt werden.
Der FSC ist eine unabhängige Naturschutzorganisation, die Regeln zur
S
Zertifizierung nachhaltiger Waldwirtschaft erarbeitet.
(Quelle: FSC Deutschland)
12
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KOLUMNE
Müll-Polizei
In London ist die Vermüllung durch Gratis-
Veränderung erwünscht?
zeitungen zum Problem geworden. Einige
Eine Zeitung zu machen ist etwas
geldern gedroht, falls diese nicht rasch für
anderes als Raketen zu bauen, sagte
kürzlich ein Medienanalyst. Wie
wahr. Eine Zeitung ist so viel komplexer.
Überlegen Sie einmal: Aufgabe einer Rakete ist es, Dinge auf schnellstmögliche, sicherste und effizienteste
Art von A nach B zu katapultieren.
Nicht sonderlich kompliziert, oder?
Vergleichen Sie das mit einer Zeitung.
Den Lesern Neuigkeiten vermitteln?
Klar, aber auch: Debatten auslösen,
Geschäfte anschieben, Unterhaltung
und Entspannung bieten, Hintergründe erklären, zu neuen Ideen inspirieren und Selbstverwirklichung
befördern. Und als wäre das noch
die Sammlung des Altpapiers sorgen. Einen
Teil der Schuld tragen Zeitungsverteiler, die
es nicht kümmert, ob die Zeitungen die Leser
erreichen; stattdessen legen sie sie in Packen
irgendwo ab.
Um der Sünder habhaft zu werden, hat
das Audit Bureau of Circulations (ABC),
dessen Aufgabe es eigentlich ist, Statistik
über Auflagen zu führen, nun eine Telefonnummer für Müll-Tipps eingerichtet. Dort
können Bürger nonchalante Zeitungsverteiler
anschwärzen. Die Statistikagentur handelt
dabei auch in eigenem Interesse: Schlie­ßlich
richten sich die Annoncenpreise nach den
Auflagen – wenn große Zeitungsbündel
ungelesen in Gebüschen herumliegen,
verändert werden: Es gilt, Artikel zu
kürzen, Anzeigen anderen Maßstäben anzupassen, Bildbehandlung und
Formsprache zu verändern, Rhythmus
und Tempoveränderungen stärker zu
berücksichtigen...
Veränderungschancen
Wer aber zum Tabloid wechselt, der will
wahrscheinlich gerade nicht alles beim Alten belassen. Jetzt besteht die Chance, ein
jüngeres Publikum zu erreichen, die Zeitung lebendiger zu machen. Zugleich sollen sich auch die treuen Leser willkommen fühlen. Ja, manchmal wünschte
man, man wäre Raketenbauer…
S
Verwaltungen haben Verlagen gar mit Buß-
wird das Bild verzerrt und die von ABC für
S
Glaubwürdigkeit.
Schnelleres
Waldwachstum
durch Autoabgase
Ü b e r rasch e n d hab e n mehrere
europäische Forschergruppen nachgewiesen, dass Bäume aus dem Stickstoff
von Autoabgasen zehn Mal mehr Kohlenstoff binden als bei gezielter Stickstoffdüngung. Durch viele Autoabgase
wächst der Wald also schneller. „Das
Paradox ist, dass die Verschmutzung
der Atmosphäre durch Übersäuerung
dem Treibhauseffekt entgegenwirkt – die
Menge des Kohlendioxids, das aus der
Atmosphäre gebunden wird, nimmt zu“,
sagt Anders Lindroth, Wissenschaftler
an der Universität Lund. Die Forscher
betonen jedoch, dass das Phänomen
weiter untersucht werden müsse. Über
den generell schädlichen Einfluss des
Verkehrs auf die Umwelt sind sich die
S
Klimaforscher einig.
(Quelle: DN)
Die Schrumpfung der Zeitungsseite bedeutet, dass alle Möbel
plötzlich in einem halb so großen Zimmer Platz finden müssen
nicht genug, erwartet jeder Leser von
einer Zeitung etwas anderes.
Neue Persönlichkeit
So mancher sieht seine Zeitung als
guten Freund. Und jetzt stellen Sie
sich vor, Sie werden gebeten, die
Persönlichkeit des guten Freundes
von jemandem zu verändern. Dann
verstehen Sie, wie pikant es sein kann,
eine Tageszeitung auf das Tabloid­
format umzustellen.
Viele mögen dieses Format, weil
es praktisch ist. Einfacher zu hand­
haben am Frühstückstisch, in Bus und
Bahn, im Park und im Bad. Aber die
Schrumpfung der Zeitungsseite bedeutet, dass alle Möbel plötzlich in einem
halb so großen Zimmer Platz finden
müssen. Beim traditionellen Großformat kann man einen Artikel mit 1 000
Worten unterbringen und dennoch
Platz genug für anderes Material haben. Die gleiche Textlänge füllt eine
ganze Tabloidseite. Und viele Leser
mögen es nicht, wenn auf einer Seite
nur ein einziger Text zu finden ist.
Auch wenn also der Inhalt der
Zeitung gleich bleiben soll, muss alles
OLE MUNK
Foto Privat
Annonceure feilgebotene Statistik verliert an
O L E M U NK , Grafiker, Designberater und
Illustrateur, wohnt im dänischen Espergaerde
und hat am Institut für visuelle Kommunikation
der Königlichen Kunstakademie in Kopenhagen
Architektur studier t. Von 1976 bis 1985
illustrierte er die Comicfigur Felix. Er arbeitete
als Reporter und Grafik-Chef bei der dänischen
Tageszeitung Politiken. Er war von 1997
bis 1999 Vorstandsmitglied des Vereins für
Nachrichtengrafik in Skandinavien und ist seit
1995 Geschäftsführer von Ribergaard & Munk
Graphic Design. Munk hat am Re-Design von
mehr als 50 Tageszeitungen mitgearbeitet. Acht
seiner Designkonzepte wurden preisgekrönt.
sca papergram no 3 › 2007
13
Lesezirkel sind ein Jahrhunderte altes Phänomen,
Zeitschrift
dem bislang kein Internet etwas anhaben konnte. Wer steckt
hinter diesem Prinzip des „Mietens“ von Zeitschriften? Und
wer liest Nachrichten, die oft schon mehrere Monate auf
dem Buckel haben? Ein Situationsbericht
von Kerstin Engelhard foto Suse Walczak
14
sca papergram no 3 › 2007
eitschrift,
Es ist der zehnte Juli, nachts um
23.30. Ich habe einen Freund in die
Notaufnahme des Hamburger Universitäts-Krankenhauses begleitet, sitze im
Wartezimmer und habe viel Zeit. Der
Raum mit dem Flair einer Vorstadtbahnhofshalle bietet jede Menge Lektüre. Den
Spiegel vom März. Angelzeitschriften
und Hörbuchkataloge. Da fallen mir die
schlichten blau-grau-melierten Einbände
ins Auge, die so gar nicht zum bunten
Rest der Zeitschriften passen. Diskret
ist der Titel auf dem Einband vermerkt
– Gala, Stern, Neues Blatt. Sie alle haben
einen gemeinsamen Nenner – den Lesezirkel. Die Heftchen kommen von einem
Abonnenten und wandern weiter zum
nächsten.
Beim Blättern verfliegt die Zeit. Die
Frau im Trend vom 18. Juni schildert die
„Bittere Trennung im Brautkleid – das
Ende einer Chaos-Ehe“. Da mir das
Schicksal der Protagonisten weitestgehend unbekannt ist, haben die Nachrichten einen durchaus hohen Aktualitätswert. Die neuesten Enthüllungen über
den Volkswagen-Konzern hingegen lesen
sich in etwa so spannend wie ein Krimi
von hinten nach vorn. Denn wer will sich
informieren ohne das Gefühl, am Puls der
Zeit zu sein?
Ahnen aus dem 17. Jahrhundert
Die Suche nach der Wurzel der Lesezirkel-Idee führt mich in den JahreszeitenVerlag zum Leserkreis Daheim. Der
marktführende Lesezirkel streut seine
Filialen bundesweit. Geschäftsführer
Joachim Herbst berichtet über eine früh
erkannte Marktlücke.
„Der erste Lesezirkel entstand im 17.
Jahrhundert“, sagt er. Genauer gesagt
schrieb man das Jahr 1610, als ein bayerischer Postmeister handgeschriebene
Zeitungen aus Nürnberg und Frankfurt,
später sogar aus Rom und Venedig, kommen ließ und sie an die obersten 16 der
Stadt – Ratsherren, Geistliche und Advokaten – vermietete. Daraus entstand ein
florierendes Geschäft. Mittlerweile gibt es
in Deutschland 150 Lesezirkel-Unternehmen, die pro Woche 195 000 neue Mappen herausgeben. Tendenz: stagnierend.
Im digitalen Zeitalter, in dem Auflagen
innerhalb weniger Jahre um ein Drittel
einbrechen, nimmt sich das freilich trotzdem wie ein erfolgreiches Standhalten von
David gegen Goliath aus.
„Im Vergleich zu den USA ist es in
Deutschland relativ teuer, eine
Zeitschrift zu abonnieren“
Joachim Herbst
Lieferung an einen Friseurladen. Regina Herrmann hält ein Schwätzchen
sca papergram no 3 › 2007
15
S
Zeitschrift, du musst wandern…
Besonders freut sich Regina Herrmann, wenn sie
einem Haustier eine Freude machen kann. Sie
hat immer Hunde- und Katzenfutter im Auto
„Im Vergleich zu den USA ist es in
Deutschland relativ teuer, eine Zeitschrift zu abonnieren“, erklärt Herbst.
Gleichwohl sei ungeklärt, warum das
Phänomen nicht auf weitere Länder
übergegriffen habe. „In Österreich und
in den Niederlanden gibt es einige Lesezirkel, in der Schweiz ist einer geplant.
Weitere Kreise hat es aber bisher nicht
gezogen.“
Lieferung frei Haus
Arztpraxen, Anwaltskanzleien, Cafés
und Friseurläden, aber auch Privatpersonen ziehen den Kreisverkehr der Einbahnstraße vor. Die Zeitschriften sind
frei zusammengestellt oder werden im
Standardpaket geliefert, aus erster, zweiter oder dritter Hand – je nach Umfang
des Portemonnaies und dem Wunsch
nach Aktualität.
Für die Verlage ist der Lesezirkel
eine kostengünstige Möglichkeit zur
Erweiterung ihres Wirkungskreises.
„Daher bekommen wir die Zeitschriften
zu guten Konditionen“, erklärt Herbst.
Aufwändiger ist der Versand. Allein für
16
sca papergram no 3 › 2007
„Die Mappe“ entpuppt sich als gewöhnliche Plastiktüte. Untergrenze: fünf
Magazine
den Leserkreis Daheim sind täglich 160
Lieferanten unterwegs, klingeln an den
Türen, übergeben eine Plastiktüte mit
mindestens fünf Zeitschriften – darunter
tut es das Unternehmen nicht – und nehmen eine ebensolche Tüte in Empfang.
Ob ich bei einer Tour mitfahren könne,
frage ich? Selbstverständlich, gerne.
Halb acht Uhr morgens, vor dem
Lager der Leserkreis-Filiale Hamburg.
„Regina Herrmann“, stellt sich die Zustellerin vor. Die vitale 60-Jährige ist
bereits seit über drei Stunden wach, hat
die Abrechnung vom Vortag abgeschlossen und den Lieferwagen neu beladen.
Die Mappen, in denen die Zeitschriften
geliefert werden, entpuppen sich als
schlichte Plastiktüten.
Frau Herrmann führt mich zu einem
dunkelblauen VW Caddy. Die Zustellerin legt ihr Privathandy aufs Armaturenbrett. Eine grün-weiß linierte Liste
liegt daneben. Achtzig Adressen müssen
angefahren werden.
Während der Fahrt kommt Regina
Herrmann ins Erzählen. Ein Knochenjob
sei das, nicht zu vergleichen mit ihrer
früheren Arbeit als Buchhändlerin, die
sie vor 27 Jahren aber bewusst beendete:
„Der Vorteil an dieser Arbeit ist die
Freiheit. Der Lohn wird pro Kunde und
Kilometer bemessen. Wie ich die Route
wähle, ob ich mich zwischendurch mit
den Kunden verplaudere, alles liegt bei
mir.“ Wir biegen ab auf den Autobahnzubringer in Richtung der Vororte, in den
Speckgürtel der Stadt.
Persönlicher Kontakt
Heute teilen wir uns die Arbeit. „Also…
siehst du den Eingang unter der Wendeltreppe? Im ersten Stock ist der Gynäkologe Steinfatt, da muss man die
Zeitschriften im Wartezimmer zusammensuchen. Dann daneben zu Brüske,
zweiten Blick bemerkte man ein totale
innere Auflösung, und sie sagte, es tut
mir leid, für die Mappe habe ich heute
gar keine Zeit. Mein Mann hat sich gerade mit der Jagdflinte erschossen!“
Lange Arbeitstage
Über Kilometern, Stockwerken und Anekdoten verfliegt die Zeit. Es ist drei Uhr,
als wir uns verabschieden. Regina Herr-
mann fährt weiter zum „Dorfhopping“,
das noch etwa drei Stunden andauern
wird. Sofern die Orte irgendwie erreichbar sind, werden sie beliefert. Ich nehme
den Zug zurück in die Hansestadt.
Was bleibt, sind Momentaufnahmen
aus dem Leben verschiedenster Leute,
schmerzende Muskeln und nicht zuletzt
Planung – für eine Zeitschriftenkombination, die für mich die beste ist.
S
dem Urologen. Hinter dem Tresen lehnt
die Mappe an der Heizung – die kannst
du einfach austauschen. Im Parterre gibt
es Dr. Gewiss. Da holt die Sprechstundenhilfe die Mappen aus dem Wandschrank.“
Diesmal ist die Tüte prall gefüllt,
mit Ausgaben vergangener Wochen.
Auf den ersten Blick wirken sie ganz
in Ordnung. Aber Frau Herrmann verweist auf die feinen Knickstellen quer
über dem makellosen Konterfei einer
verschwendungssüchtigen Prinzessin.
„Das ist völlig zerlesen“, urteilt die versierte Zustellerin, „so was geben wir ins
Altpapier.“
Die erste private Kundin wartet in
einem der gehobenen Wohngebiete. Die
Tüte hängt unter dem Carport. Doch
Elke Bing kommt aus dem Garten gelaufen, als sie den blauen Caddy parken
sieht. Die beiden Frauen kennen sich
seit mittlerweile zehn Jahren. „Heute
keine Ingwerplätzchen?“ Die gepflegte
66-Jährige bedauert. Sie hat keine Zeit
zum Backen gehabt, hat um elf einen
Termin bei der Kosmetikerin. „Wollt
ihr vielleicht ein Eis?“ Aber wir müssen
weiter.
„Einige meiner Adressaten kenne ich
noch von der Anfangszeit her“, sinniert
Frau Herrmann. „Manchmal sieht man,
wie die Leute altern, man merkt, dass
die Wohnung langsam muffig riecht.
Dann hänge ich schon mal schnell die
Wäsche auf oder löse ein Rezept in der
Apotheke ein.“ Die Fahrt gerät ins Stocken, wenn sie Pastete für eine zahnlose
Katze oder das Brötchen für „ihr“ Schaf
Dolly auf einem Bio-Hof in Bargteheide
kauft. Aber das ist ihre private Zeit.
„Auf der Liste gibt es Namen von Leuten, die hab ich in 27 Jahren noch nie
gesehen!“ Die Mappe liegt unter der
Kellertreppe oder auf dem Dachboden
– ein Zeitschriften-Abo als persönliche
Rückzugsmöglichkeit.
Manchmal bekommt auch Frau
Herrmann tieferen Einblick, als ihr lieb
ist. Eine Kundin sei immer sehr gestylt
gewesen, duftete über die ganze Straße,
erzählt sie. Jahrelang hing die Mappe
jede Woche pünktlich an der Türklinke –
doch eines Tages fehlte sie. „Ich klingelte.
Da öffnete mir diese Frau, bewahrte eine
unglaubliche Contenance, nur auf den
„Heute keine Ingwerplätzchen – Wollt
ihr vielleicht ein Eis?“
Elke Bing
Elke Bing in Ahrensburg bei Hamburg bezieht seit langem Lesezirkel. Regina Herrmann kennt sie
seit zehn Jahren
sca papergram no 3 › 2007
17
瀆
兔
益
Leserekord:
Japan
Von rechts nach
links, von unten nach oben, oder umgekehrt – fürs
Lesen gibt es im sonst so durchorganisierten Japan keine
Regeln. Den Konsum von Printmedien hat diese relative
Unordnung nicht behindert. Nirgendwo auf der Welt
wird so viel gelesen wie in Japan. Ein Schlaglicht von
Japan-Kenner Jon Thunqvist
von Jon Thunqvist foto Corbis, Scanpix
Nur wenige Menschen verbringen
so viel Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln wie die Japaner. Zwei Stunden
Fahrt bis zum Arbeitsplatz sind in den
Ballungsräumen von Tokio und Osaka
keine Seltenheit. Gedrängt wie die Ölsardinen, die Zeitung doppelt gefaltet,
nehmen die Japaner ihre zweite Tagesdosis Medien ein – die erste haben sie
bereits zusammen mit dem Morgenreis
vor dem Fernseher geschluckt. Und bis
der Tag sich dem Ende zuneigt, werden
weitere Dosen fällig.
Statistisch gesehen gehört Japan
beim Tageszeitungskonsum zur Welt­
spitze. Ein Durchschnittshaushalt hält
zwei Abonnements. Jeder Zeitungsverlag mit Selbstachtung bringt eine Morgen- und eine Abendausgabe heraus.
Es ist daher kaum verwunderlich, dass
japanische Tageszeitungen die höchsten
Auflagen der Welt erreichen.
Am größten, mit einer Auflage von
14 Millionen pro Tag, ist Yomiuri Shim-
18
sca papergram no 3 › 2007
bun, gefolgt von der liberaleren Asahi
Shimbun mit knapp zehn Millionen
Auflage. Neben diesen Giganten weisen
auch etliche Regional- und Lokalzeitungen Auflagenzahlen auf, die europäische Zeitungsbosse vor Neid erblassen
lassen.
Neben der Tageszeitung konsumiert
der Durchschnittsjapaner diverse Spezialpublikationen vor allem der Wochenpresse. Es gibt aber auch vier bis fünf
Sport-Tageszeitungen, die Artikel über
Baseball oder Sumoringen mit Bildern
leicht bekleideter Mädchen kombinieren – ein höchst beliebter Mix bei all
jenen Millionen Pendlern, die nach
einem Arbeitstag oder einem Abend
unter Freunden heim in ihren Vorort
fahren.
Presseclubs
Auch wenn Japan in Sachen Zeitungslesen am größten, besten und schönsten ist, gibt es einen vernachlässigten
兔
Bereich: Die Gratisblätter, die jedem
U-Bahnzug von New York bis Madrid
ihren Müll-Stempel aufdrücken, haben den Weg nach Japan noch nicht
gefunden. Vielleicht liegt das just am
Müll-Faktor – die Japaner lieben ihre
Bahnhöfe in ordentlichem Zustand. Ein
weiterer Grund könnte sein, dass Tageszeitungsabonnements seit jeher relativ
billig sind – verglichen mit Deutschland
oder Schweden zahlt man die Hälfte.
Und der Inhalt? Ja, es gibt intelligente
Leitartikel, anregende Debatten, sachkundige Kommentare über alles von
Karaoke bis hin zur Lage in Nahost. Ein
imposantes Netz fleißiger Korrespondenten verleiht den Zeitungen Breite
und Tiefe. Dennoch sind, journalistisch
gesehen, Verbesserungen möglich.
Vieles ist uninspiriert und platt, nicht
namentlich genannte Quellen sind eher
Regel als Ausnahme, und die Nachrichten-Jagd wird meist im Rudel betrieben.
Mit ihrem System der Presseclubs hat
die japanische Medienindustrie die verhasste Medienhatz mehr oder weniger
institutionalisiert.
Die Presseclubs – kisha club auf
S
Neben Tageszeitungen mit allgemeinem Inhalt
gibt es eine Handvoll täglicher Sportzeitungen
mit Fokus auf Baseball und Sumoringen
(Fotomontage)
sca papergram no 3 › 2007
19
瀆
Japanische Journalisten vermeiden Berichte über
unangenehme Fakten – die Alternative wäre der
Ausschluss aus dem Presseclub, der Grundlage
ihrer Arbeit ist
Japanisch – werden regelmäßig diskutiert, manchmal abgeschafft, nur
um kurz darauf wieder aufzuerstehen.
Kurz gesagt beinhaltet das System, dass
jedes Ministerium, jede Behörde und
jede Organisation – bis hin zu größeren
Unternehmen – einen eigenen Club für
jene Journalisten unterhält, die über
just besagte Institution schreiben. Die
Grenze zwischen Objekt und Subjekt
des journalistischen Prozesses ist somit
vielfach schwer zu ziehen. Nicht selten
Satoshi Kamata – Japans Günter Wallraff
Ungerechtigkeiten irritieren ihn,
20
sca papergram no 3 › 2007
(Japan auf der Überholspur) beschreibt
er Stress, Krankheiten und Überstundenarbeit in einer Industrie, die zuvor
nahezu unisono für ihre Konzepte der
totalen Qualitätskontrolle und Just in
time-Lieferungen gelobt worden war.
Satoshi Kamatas Reportage zeichnete
ein anderes Bild und trug dazu bei, die
Diskussion über karoshi – den Tod durch
Überarbeitung – ernsthaft anzuschieben.
Sein Name wird heute von japanischen
Journalisten mit größtem Respekt genannt. Nicht zuletzt, weil er seine Karriere aufs Spiel setzte, indem er sich auf
die Seite der Schwachen stellte.
S
und der Wunsch, den Japanern zu
zeigen, wie es wirklich um ihr Land
steht, treibt ihn an. Der freie Journalist
Satoshi Kamata ist der Günter Wallraff
von Japan. Wallraff trat in den 1970erund 1980er-Jahren verkleidet auf, um
Insider-Informationen beispielsweise
aus der Boulevardpresse und über die
Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern
zu sammeln.
Satoshi Kamata begann seine Karriere auf die gleiche Weise. Fast ein
Jahr lang stand er in einer Fabrik des
Autoherstellers Toyota am Band. Im
Reportagebuch Japan in the Passing Lane
瀆益庖
gibt es einen gesonderten Raum für
Journalisten; dort hat jeder seinen eigenen Briefkasten, und dorthin kommen
die Potentaten, um sich zu äußern.
S
„Wilde“ Wochenzeitungen
Selbstredend ist dieses System einem
unabhängigen Journalismus kaum
förderlich. Noch schlimmer aber: Es
führt zur Selbstzensur. Die Journalisten vermeiden Berichte über unangenehme Fakten – die Alternative wäre
der Ausschluss aus dem Presseclub, der
ja Grundlage ihrer Arbeit ist.
Eine Lösung dieses Problems bieten
die Wochenzeitungen. Deren Journalisten gelten für die Presseclubs als nicht
„fein“ genug; und wer nicht Mitglied
eines Clubs ist, der kann auch nicht
ausgeschlossen werden.
Eben deshalb sind erste Andeutungen über Skandale stets zwischen
Paparazzi-Fotos und Bikinibräuten
in den Wochenblättern zu finden.
Beim Betrachten japanischer Bestechungsaffären oder Korruptionsskandale der Nachkriegszeit fällt auf, dass
stets die Wochenpresse den Deckel
lüpfte. Ist die Story dann erst einmal
ins Rollen gekommen, haken die Tageszeitungen, die oft über wesentlich mehr Ressourcen verfügen, nach
und bringen Ordnung in die Details.
So war es beim Lockheed-Skandal,
der Premierminister Kakuei Tanaka in
den 1970er-Jahren zu Fall brachte; so
war es auch ein Jahrzehnt später beim
Recruit-Skandal, der die Regierung
Takeshita zum Rücktritt zwang. Und
so wird es wieder sein, wenn Minister
oder Unternehmensführungen bei Ungereimtheiten erwischt werden. Ergo:
Wer etwas als Erster wissen möchte, der
lese eine japanische Wochenzeitung.
Manga – Markt
für Milliarden
Mit über zwei Milliarden ver-
S
kauften Exemplaren ist die japanische
Comic-Industrie gigantisch, und in
den letzten Jahren haben Comics wie
Dragonball und One Piece auch den
Weg nach Europa gefunden. Laut
dem japanischen Exportrat JETRO
werden Manga, Comics und Anime,
Zeichentrickfilme, für die Exporteinnahmen in Zukunft ebenso wichtig
sein wie die Autoindustrie.
Die Geschichte der Manga reicht
mindestens bis ins 18. Jahrhundert
zurück. Bildrollen waren die Vorläufer der Comics. Durch das Drehen der
Rollen gelangte man zum nächsten
Bild; nach und nach konnte man so
die gesamte Geschichte betrachten.
Manga werden heute auf billigem
Papier gedruckt. Die Bücher sind oft
so dick wie Telefonbücher, und wenn
man einen neugierigen Blick über die
Schulter eines japanischen Pendlers
wirft, wird man sich wundern, wie
gewalttätig und pornografisch der
Inhalt sein kann. Aber man sollte
nicht alle Comics über einen Kamm
scheren. Es gibt auch Manga zu
friedfertigen Themen wie Essen oder
Segeln. Und selbstverständlich sind
sowohl Shakespeares gesammelte
Werke als auch die Bibel in MangaForm erhältlich.
Mit mehr als 4 000 Zeichnern
und einem nahezu unersättlichen
Publikum ist Manga eine Industrie,
die in Zukunft viel Papier verwenden
dürfte. Versuche, die Comics per
Mobiltelefon zu übermitteln, waren
wenig erfolgreich; die „Telefonbücher“ sind nach wie vor angesagt.
Zum Glück sind Altpapiersammlungen in Japan ebenfalls in – der
Recyclinggrad liegt bei über 80
Prozent.
sca papergram no 3 › 2007
21
Neue Forschung
zur Weiße von Papier
Der korrekte Datenaustausch zwischen Papierund Druckindustrie bei der Interpretation der
optischen Eigenschaften von Papier war lange
ein Problem. Per Edström, technischer Physiker
an der Mittuniversität in Härnösand in Mittelschweden, ist einer Lösung auf der Spur: Er
hat ein neues Messmodell entwickelt
von Mats Wigardt foto Bo Fernström
22
sca papergram no 3 › 2007
Seit mehr als 70 Jahren nutzt die
Papierindustrie zur Interpretation der
optischen Eigenschaften von Papier
ein Modell, das von einem idealisierten Wirklichkeitsbild ausgeht. Die
Druckindustrie verwendet ein anderes
Messmodell, das ihren Bedürfnissen angepasst ist. Daraus sind beim Austausch
von Daten zwischen der Papier- und der
Druckindustrie Probleme und bei vielen
Papierprodukten unerwünschte Qualitätsvariationen entstanden. „Die neue
Interpretationsmethode erleichtert die
Kommunikation zwischen Papier- und
Druckindustrie“, erklärt Anders From
vom Forschungs- und Entwicklungs-
zentrum der SCA in Sundsvall. „Mit
diesem Modell können wir besser verstehen, wie der Aufbau des Papiers dessen optische Eigenschaften beeinflusst,
das heißt, wie es sich verhält, wenn man
es unter verschiedenen Lichtbedingungen betrachtet. Daraus können wir
schlussfolgern, wie wir die Herstellung
steuern müssen, um ein besseres Papier
zu erzeugen.“
Die günstige Entwicklung ist in gewisser Weise Per Edströms Heimweh
zu danken. Nach Grundstudien in technischer Physik in Uppsala zog es den
jungen Wissenschaftler zurück nach
Hause. Er vermisste die nordschwedische
Natur.
Verschiedene Sprachen
Ein noch größeres Problem war jedoch,
dass Papierindustrie und Druckereien
verschiedene optische Eigenschaften auf
verschiedene Weise maßen und somit
nicht die gleiche Sprache sprachen. Wenn
Druckereien Papier einer bestimmten
Weiße bestellen, bekommen sie nicht
immer genau die gewünschte Nuance.
Außerdem kommt es vor, dass sich die
Farbnuancen im Druck vom Original auf
dem Computerbildschirm unterscheiden. „Eigentlich ist das Modell nicht
falsch. Aber das Messsystem und die
Interpretation sind idealisiert“, sagt Per
Edström.
aus. „Alles, was man braucht, ist ein
Programm und ein Klick mit der Maus.
Effektivere Produktion und weniger
Farbfehler sind das Ergebnis.“
Alltagsprobleme gelöst
Während seiner gesamten Arbeit hatte
Per Edström engen Kontakt mit SCA,
M-real und Stora Enso. Sein Prinzip
war es, von Problemstellungen aus dem
Alltag der Industrie auszugehen. Und
noch ehe die Doktorarbeit Ende Mai vorgestellt wurde, waren die Ergebnisse in
mehreren internationalen Zeitschriften
publiziert worden. „Per Edströms Forschung erleichtert es, die Bedeutung
einzelner Komponenten bei der Herstellung von Papier zu verstehen“, summiert
Anders From.
S
Lichtverbreitungsmodell
Nach der Ankunft daheim meldete
sich ein neu berufener Professor für
„Systemanalyse und mathematische
Modellierung“ bei ihm und schlug zwei
Forschungsprojekte mit Koppelung zur
Papierindustrie vor. „Rein zufällig entschied ich mich dafür, Modelle für die
Lichtverbreitung in Papier und die Farbwiedergabe zu studieren. Erst nach einiger Zeit begriff ich, welche Bedeutung
das für die Papier- und Druckindustrie
hat“, erzählt Per Edström.
Seit den 1930er-Jahren wird allgemein
ein gutes und einfaches Modell, KubelkaMunk genannt, zur Interpretation von
Messungen von Lichtreflexionen auf der
Papieroberfläche verwendet.
Dieses Modell basiert auf Mess­
ergebnissen mit Instrumenten, die eine
indirekte Messmethode verwenden, etwa
so wie die Geschwindigkeitskameras der
Polizei. „Allerdings baut das Modell der
Papierindustrie auf Idealverhältnissen
auf“, erklärt Per Edström. „In der Realität kommt es leicht zu Komplikationen.“
So ging man früher davon aus, dass
verschiedene Papiereigenschaften, wie
Lichtverbreitung und Farbabsorption,
voneinander unabhängig seien. In Wirklichkeit beeinflussen diese Eigenschaften
einander aber in hohem Maße. „Diese
Erkenntnis ist für die Papierindustrie
enorm wichtig“, sagt Per Edström. „Die
Prozesssteuerung geht ja davon aus, dass
das Resultat bei jeder Papierrolle exakt
gleich wird. Und in der Druckerei möchte
man auch sicher gehen, dass die Farbmi-
schung auf jedem Bogen Papier dieselbe
Farbnuance erzeugt.“
„Rein zufällig entschied ich mich dafür, Modelle für die
Lichtverbreitung in Papier und die Farbwiedergabe zu
studieren. Erst nach einiger Zeit begriff ich, welche
Bedeutung das für die Papier- und Druckindustrie hat“
Per Edström
Er vergleicht mit einer Situation,
die entsteht, wenn zwei Personen mit
unterschiedlicher Muttersprache in einer dritten Sprache kommunizieren.
Man versteht einander im Großen und
Ganzen, aber Nuancen können verloren
gehen und es entstehen leicht Missverständnisse. Ergebnis der Promotion von
Per Edström war ein im Grunde recht
kompliziertes Interpretationsmodell. Er
versichert jedoch, dass es in der Anwendung einfach sei. Alte Messausrüstung
kann weiterverwendet werden. Lediglich die Interpretation der Messwerte
ist verfeinert worden. Jetzt geht man
von einem objektiven Wirklichkeitsbild
In Kürze:
• Per Edström promovierte am 29. Mai 2007 mit der Doktorarbeit Mathematical Modeling and Numerical Tools for Simulation
and Design of Light Scattering in Paper and Print
• Sein Computerprogramm kann auch zum Studium des
Treibhauseffektes und im Bereich der medizinischen
Tomographie große Bedeutung erlangen
• Orientierungslauf ist neben der Forschung Per Edströms
große Leidenschaft
sca papergram no 3 › 2007
23
Alte Möbel in
Antiquitäten liegen im
Trend. Zeitschriften über
alte Möbel und Einrichtungsgegenstände sind
oft so genannte „OneShots“. Sie präsentieren
Rokoko, Barock oder Art
Deco einem erstaunlich
breiten interessierten
Publikum
von Imke Janoschek foto Bo Fernström, Bo Mellerstedt
24
sca papergram no 3 › 2007
neuen Magazinen
Mehr ältere Formen
Im Kielwasser des Antiquitäten-Trends
kommen nun schwere Samtvorhänge,
Plüschsofas und massenweise so genannte „New antiques“ auf den Markt −
Möbel, die von alten Vorlagen inspiriert
sind. Die einst „weißen“ Einrichtungsreportagen nehmen bunte und vor allem
altmodische Formen an. Ausdrücke wie
„eine Wohnung personalisieren“, also
individuellen Stil zeigen – am besten
mit Möbeln und Sammlerobjekten, die
nicht so leicht erhältlich sind –, sind in.
Im Trend liegt da natürlich auch ein
Interesse für „echte Ware“, sprich richtige Antiquitäten. Fernsehprogramme,
bei denen Reporter im Lande herumreisen und den Wert der Kleinode von
Zuschauern schätzen, erfreuen sich
stetig wachsender Beliebtheit. Das Interesse an Kunst- und Antikauktionen
ist enorm und wird durch die günstige
Konjunkturlage in den meisten europäischen Ländern noch verstärkt. Wir
richten uns individuell ein, der Preis
spielt keine Rolle.
In den Zeitungsregalen stehen Einrichtungstitel dicht an dicht; nun
kommen neue hinzu, in Schweden mit
Namen wie Hem & Antik (Heim und Antiquitäten). „Es geht natürlich darum, das
beliebte Themengebiet Einrichtung zu
variieren. Die Einrichtungsbranche in
Schweden wächst enorm, und jetzt suchen alle überall nach neuen Nischen“,
„Die Leute waren das minimalistische Konzept
mit zwei weißen Sofas in einem weißen Zimmer
ganz einfach leid“
Angela Linforth
sagt Ulrika Falk, Chefredakteurin von
Hem & Antik. Ihr selbst kam die Idee
vor drei Jahren. Das Konzept entwarf
sie in einer Mittagspause gemeinsam
mit ihrer Kollegin Linda Grahn. „Der
Verlagsleiter gab uns nach der Präsentation unserer Idee sofort grünes Licht“,
erzählt Ulrika Falk. „Da es im Verlag
schon eine Einrichtungszeitschrift (Allt
i hemmet) mit funktionierender Redaktion gab, waren die Startkosten extrem
niedrig und das Risiko kalkulierbar.“
Foto Homes & Antiques
lebiger geworden; die Mode wechselt
heute fast ebenso rasch wie in der Bekleidungsbranche. Vor geraumer Zeit
noch war altes, ererbtes Mobiliar verpönt. Weiß sollten unsere Wohnungen
sein – also mehr oder weniger leer. Nur
einige wenige ausgewählte Stücke sollten als Einrichtung Dienst tun. Doch
dann schlug plötzlich und unerwartet
der Barock zu. Auf einmal war bisher
Geächtetes wieder in: geschwungene
Tischbeine, dunkle Hölzer, Kronleuchter und Tapeten mit Ornamenten. „Die
Leute waren das minimalistische Konzept mit zwei weißen Sofas in einem
weißen Zimmer ganz einfach leid“, sagt
Angela Linforth, Chefredakteurin der
britischen Zeitschrift Homes & Antiques
(BBC-Verlag).
Heute möchte man gemütlicher
wohnen, modernes Design mit Altem,
Ererbtem mischen. „Da geht es um Wurzeln, darum, eine eigene Geschichte zu
schaffen“, sagt Riitta Lindegren, Chefredakteurin der seit 1994 erscheinenden
finnischen Glorian Anttiikki. „Man kann
diese Entwicklung in der gesamten westlichen Welt verfolgen.“
Funktionierende Einrichtungen
Ausgangspunkt war, dass es Antiquitätenzeitschriften für den Durchschnittsbürger bislang nicht gab. „Die etablierten Fachzeitschriften wenden sich an
bereits Eingeweihte und an Profis. Wir
S
Einrichtungstrends sind schnell­
sca papergram no 3 › 2007
25
machen eine Zeitschrift für Leute, die
alte Sachen mögen. Wir möchten Antiquitäten in normale Einrichtungen integrieren und mischen Antikes mit Neuem.
Jetzt finde ich schon, der Markt hat sich
verändert. Auch die Fachzeitschriften
präsentieren die Antiquitäten heute etwas zugänglicher“, sagt Ulrika Falk.
Hem & Antik bringt in der Regel drei
Reportagen, die jeweils ein modernes,
funktionstaugliches Zuhause mit Antiquitäten präsentieren. Die beiden
Schwesterzeitschriften Allt i Hemmet und
Hem & Antik auseinander zu halten sei
kein Problem, sagt Ulrika Falk. „In Hem
& Antik können wir jene Kostbarkeiten
zeigen, die in Allt i Hemmet unpassend
„Da geht es um Wurzeln, darum, eine eigene
Geschichte zu schaffen“
riita Lindegren
wären. Hem & Antik ist wie das Dessert
zu Allt i Hemmet.“
Die britische Homes & Antiques gibt
es seit Mitte der 1990er-Jahre. Die neue
Chefredakteurin Angela Linforth ist
bestrebt, Antiquitäten noch weiter hervorzuheben. „Ich möchte integrierter
arbeiten und hoffe, dass wir in dieser
Hinsicht schon ein Stück vorangekommen sind. Früher haben wir Einrichtung
und Antiquitäten getrennt behandelt.
Jetzt fließen beide Bereiche ineinander,
genau wie auf dem Markt auch“, sagt
sie.
Der Einrichtungsmarkt sei für Zeitschriften derzeit ziemlich eng, findet
Angela Linforth. Und auch die Antiquitätenhändler haben es nicht leicht. Die
früher so beliebten „Brown victorian
furniture“ (braune viktorianische Möbel) gehen heute gar nicht mehr. Der
englische Geschmack befindet sich im
Umbruch. Das Interesse an Handwerk
und umweltfreundlichen Produkten
ist groß. Antiquitäten haben da einen
selbstverständlichen Platz.
Antike 1970-er
Die finnische Glorian Anttikki hat sich
unter der Leitung von Riitta Lindegren von einer recht orthodoxen zu
einer breiteren Antiquitätenzeitschrift
gewandelt. Heute werden auch Möbel
aus den 1970er-Jahren vorgestellt – das
lockt jüngere Leser an. „Der Trend geht
eindeutig dahin, Antiquitäten und moderne Einrichtung zu mischen“, sagt
Europäische Antiquitätenzeitschriften, die Einrichtung und Antikes mischen:
Fachzeitschriften
Journalist Simon Hewitt liest:
Antiques Trade Gazette,
Großbritannien
Art Newspaper,
Großbritannien
Journal des Arts,
Frankreich
Art & Auction, USA
Glorian Anttikki, Finnland
Chefredakteurin:
Riitta Lindegren
Verlag: Sanomamagazines
Erscheint sieben Mal jährlich
Preis: 8,90 Euro
Auflage: 34 414 Exemplare
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sca papergram no 3 › 2007
Homes & Antiques, Großbritannien
Chefredakteurin: Angela Linforth
Verlag BBC Magazines,
Bristol Magazines Ltd.
Erscheint 12 Mal jährlich
Preis: zirka 3,40 Pfund (5 Euro)
Auflage: 100 212 Exemplare
Hem & Antik, Schweden
Chefredakteurin: Ulrika Falk
Verlag: Bonnier Tidskrifter
Erscheint sechs Mal jährlich
Preis: 49 SEK
Auflage: geheim
ArtNews, USA
Art Chronika, Russland
von Luise Steinberger
S
auch Simon Hewitt, britischer Journalist
mit Sitz in Paris. Hewitt schreibt über
Kunst und Antiquitäten in Europa unter anderem in der britischen Fachzeitschrift Antiques Trade Gazette und in der
einflussreichen amerikanischen Art &
Auction. Am stärksten, so Hewitt, sei der
Antiquitätentrend derzeit in Russland
ausgeprägt. Eine neue Oberklasse treibt
den Markt dort an, besonders wenn es
um moderne und zeitgenössische Kunst
geht. Das hat natürlich eine Reihe neuer
Kunstmagazine hervorgebracht, wie ArtChronika und The Desillusionist. Auch in
Frankreich boomt vor allem der Kunstmarkt, und Paris hat kürzlich eine neue
Gratiszeitschrift bekommen − Exporama
rezensiert sämtliche Ausstellungen
der Stadt. Simon Hewitt ist außerdem
aufgefallen, dass ein gewinnträchtiger
Antiquitätenbereich bisher an den Zeitungsmachern vorbeigegangen ist: der
Schmuck. „Betrachtet man den Umsatz
auf internationalen Kunst- und Antiquitätenmessen, dann liegt Schmuck
nach der Kunst auf Platz zwei. Hier ist
sehr viel Geld zu holen, gleichzeitig ist
der Wissensdurst groß und den dekorativen Aspekt der Sache sollte man auch
nicht vergessen. Als Verleger würde ich
mir das mal genauer anschauen“, so
Hewitts Tipp.
„Auch die Fachzeitschriften
präsentieren die Antiquitäten
Ulrika Falk
SCA sponsert Recyclingpreis
Die Recyclingorganisation European Recovered Paper
Council stiftet einen Preis zur Förderung von Maßnahmen, die Altpapiersammlung zu intensivieren
Das European Recovered Paper Council (ERPC) hat sich zum
Ziel gesetzt, den Recyclinggrad für
Papier in Europa bis 2010 auf 66
Prozent zu steigern. Ein neu gestifteter Preis, den SCA sponsert, soll
dem Nachdruck verleihen. „Recycling nimmt immer mehr Raum in
unserem Alltag ein, und hierdurch
kann die Gesellschaft initiativ sein
für ein nachhaltiges Europa“, sagt
Anders Hildeman, bei SCA verantwortlich für Lobbyingkontakte und
Umweltfragen sowie Vorsitzender
des ERPC.
Der Preis wird an Organisationen vergeben, die mit innovativen
und Kosten-effizienten Mitteln für
Papier-Recycling arbeiten. Drei Kategorien werden gekürt: Industrie,
lokale oder regionale Verwaltungen
und Kampagnen, die Universitäten
oder Verbände durchführen. Eine
unabhängige Jury, der unter ande-
rem Europaparlamentarier angehören, wählt die Preisträger, die ihre
Auszeichnung am 28. November
im Rahmen der European Paper
Week in Brüssel entgegennehmen
können.
Anders Hildeman betont, wie
wichtig gerade die Altpapiersammlung ist: „Sie trägt zum Klimaschutz
bei, mindert die Notwendigkeit
für Deponien und treibt die Entwicklung neuer ökologischer Papierprodukte voran. All dies sind
Schlüsselbereiche der europäischen
Umweltpolitik.“ Europa steht
in Sachen Altpapier mit einem
Recyclinggrad von 63,4 Prozent
vergleichsweise gut da. Dennoch
setzte die Industrie 2006 ein neues
Ziel. Der neue Recyclinggrad, 66
Prozent, entspricht einer Menge
von zwei Tonnen Altpapier das pro
Sekunde gesammelt wird.
S
heute etwas zugänglicher“
sca › info
– noch besser
Nun sind die optischen Eigenschaften
sagt Jan Knuts, Marketingleiter für den
Produktbereich gestrichene Papier bei
SCA Graphic Sundsvall.
Das hochwertige LWC-Papier Grapho-­
Cote eignet sich für Zeitschriften und
Printmaterial mit anspruchsvoller Farbwiedergabe und Bildreproduktion.
GraphoCote wird aus chlorfreiem Zellstoff (TCF) hergestellt und die Produktion
ist ISO 9001- und ISO 14001-, sowie
FSC (Chain-of-Custody)-zertifiziert.
S
von GraphoCote noch besser – höhere
Helligkeit und frischere Färbung. Das
Papier besitzt gute Papier- und Druckopazität. Gute Rupffestigkeit macht es
besonders für zügige Hochglanzfarben
geeignet. Hohes Volumen und Steiffigkeit
geben dem gedruckten und gebundenen
Heft mehr Stabilität, bei gleichzeitig ausgezeichneten Laufeigenschaften. „Wir
haben auf unsere Kunden gehört und ihre
Verbesserungsvorschläge umgesetzt“,
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Wissenswertes über
den König der Wälder
Jeweils am ersten Montag im September
beginnt in Nordschweden die Elchjagd. Einige
hunderttausend Jäger legen auf etwa 100 000 Tiere
an. Für viele Teilnehmer ist die Elchjagd wichtiger
als Weihnachten und Mittsommer zusammen
von Mats Wigardt illustration Per Matsson foto Centralstock
Der Elch ist zweifellos der König der
… Elche in Tempo 60 km/h galoppieren
können – bei einer Schrittlänge von bis
zu vier Metern.
… Elche im Winter bis zu 3 000 Zweige
äsen, oder acht bis zehn Kilo Pflanzenteile. Diese Kost resultiert in 14 bis 17
Haufen Losung täglich. Im Sommer
frisst der Elch viel mehr.
… Elchnahrung aus rund hundert Arten
besteht, darunter Zweige, Sprösslinge
und Rinde von Kiefern, Birken und
anderen Laubbäumen. Hinzu kommen
Gräser und Pilze.
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sca papergram no 3 › 2007
… ein maßgeschneiderter Anzug aus
Elchleder beim Herrenschneider My
Moose in Stugun, zwischen Sollefteå und
Östersund, gut 1000 Euro kostet.
… es sieben verschiedene Elcharten
gibt. Vier in Nordamerika – darunter
der riesige Alaska-Elch, der bis zu einer
Tonne auf die Waage bringt und eine Geweihbreite bis zu zwei Metern hat –, zwei
in Asien und eine in Skandinavien.
… das Elch-Warnschild, beliebte Trophäe deutscher Touristen, in den 1950erJahren von dem Designer Kåge Gustafsson entworfen wurde, der seit Kriegsende
sämtliche schwedischen Straßenschilder
entworfen hat.
… Elch auf Latein alces alces heißt, auf
Ungarisch jávorszarvas und auf Isländisch elgur.
… die Künstlerin Katarina in Bollnäs
die einzige mit dem Familiennamen
Älg ist.
… Elche das häufigste Motiv auf schwedischen Höhlenmalereien sind.
… vieles von dem hier publizierten Wissen in der Bibel für Elchliebhaber Älskade
Älgar! zu finden ist. Siehe außerdem
auch: www.algar.se
… es in der Losung von Elchen von
Insekten wimmelt. Unter
anderem leben dort 50 Arten
von Käfern.
… man im Moose Garden
in Orrviken in der Provinz
Jämtland Elche streicheln
kann. Dort wird auch Papier
aus Elchlosung hergestellt.
… es in Schweden acht Apotheken mit dem Namen
„Älg“ (Elch) gibt.
… man im „Haus des Elches“ in Bjurholm, Västerbotten, Elchparfait kaufen
kann.
S
schwedischen Wälder – trotz seines speziellen Aussehens, das der Schauspieler
Ernst-Hugo Järegård einst „nicht schön,
aber cool“ nannte. Über Europas größtes Tier gibt es viel Wissenswertes zu
berichten, beispielsweise dass…
… Elche 20 bis 25 Jahre alt werden.
Der Bulle wird bis zu zwei Meter hoch,
bei einem Normalgewicht von 300 bis
400 Kilo.